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Full text of "Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus"

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Die Wiederbelebung 


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elaſſiſchen Alterthums 


oder 


das erſte Jahrhundert des Humanismus. 


Von 


Dr. Georg Voigt, 


Prof. honor. an der Univerſität zu München. 


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Berlin. 
Druck und Verlag von Georg Reimer. 
1859. 


Alle Geſtalten find ähnlich und keine gleichet der andern, 
Und ſo deutet das Chor auf ein geheimes Geſetz. | 
.. Bdthe’s Metamorphoſe der Pflanzen. 


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Vorwort. 


Die Entveckungsfahrten und der Humanismus, zwei mäch⸗ 
tige Bewegungen im Ausgange der mittelalterliche Zeit, find 
analogen Weſens und keine ſteht an Bedeutung der andern nach. 
Beiden liegt die Tendenz der Ausdehnung, der Erweiterung zum 
Grunde. Dort wird ein neuer Raum geſucht und gefunden, 
auf welchem die geſchichtliche Menſchheit ihre geſellſchaftlichen und 
ſtaatlichen Urformen wiederholt, hier wird die vergeffene Tiefe einer 
Vorzeit heraufbeſchworen und dieſe in ihren edelſten Schöpfungen 
noch einmal vurchlebt. Beide Richtungen haben ihren genialen 
Propheten und Helden, beide haben ihre Abenteurer, beide ihren 
begeiſterten Schwung und ihren moraliſchen Schmutz. 

Den kühnen Seefahrern hat es an Theilnahme und Wür⸗ 
digung, ihrer Geſchichte an Forſchern nicht gefehlt. Dagegen 
die ſogenannte Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften, oder ſagen 
wir treffender die Wiederbelebung des claſſiſchen Alterthums, 
gehört zu jenen vertrockneten Begriffen, die ſich ſeit hundert 
Jahren von einem Buche zum andern fortſchleppen, ausgeſtattet 
mit einigen Notizen und Phraſen, die denn gleichfalls ihr origi⸗ 
miles Gepräge durch ven vielfachen Umſatz längſt eingebüßt ha⸗ 


Iv Vorwort. 


ben. Erſt in neueſter Zeit hat man hin und wieder den Man⸗ 
gel gefühlt. Bernhardy deutet ihn mit glücklichem Blicke, 
wenn auch faſt lediglich im Intereſſe des philologiſchen Faches 
an: „Zunächſt und am meiſten bedarf einer Reviſion die her⸗ 
kömmliche Geſchichte der Herſtellung der Wiſſenſchaften; man 
erfährt nichts oder unwahres vom Geiſt und von den Untiefen 
dieſer auf einen ſchlüpfrigen Boden gepflanzten Philologie, vom 
inneren Zuſammenhange der philologiſchen Arbeiten unter ſich 
und mit den übrigen Richtungen der Zeit; auch ſind die gefeier⸗ 
ten Namen der früheſten Gelehrten von allzu glänzenden Lichtern 
umgeben, und ihre Leiſtungen und Werke ſelten unbefangen ab⸗ 
geſchätzt.“ — Doch iſt eine Geſchichte der Philologie in dem 
betreffenden Zeitraume nicht die Aufgabe, welche dieſes Buch ſich 
geſtellt hat. Gleichwie die Länderentdeckungen des 15. Jahrhun⸗ 
derts eine viel zu großartige Bedeutung haben, als daß eine Ge⸗ 
ſchichte der Schifffahrt ſie erſchöpfen könnte, ſo war auch die 
wachſende Kenntniß der claſſiſchen Sprachen nur das Mittel, 
durch welches der Menſchheit ein neuer Nahrungs⸗ und Bildungs⸗ 
ſtoff zugeführt wurde. 

Man kann nicht ſagen, daß die gtaliener die Periode des 
Rinascimento, die ihnen vorzugsweiſe angehört, überſehen oder 
vernachläffigt hätten. Man zollte ihr in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts ein reges Intereſſe und ſeitdem iſt manche brauch⸗ 
bare Monographie geliefert worden. Aber Dank dem kleinlichen 
Localpatriotismus und Dank der bekannten Methode der italieni⸗ 
ſchen Literatoren, nach welcher ein Jeder auf eigene Hand ar⸗ 
beitet und ſich um die Leiſtungen vor ihm und um ihn herum 
meiſtens nur dann kümmert, wenn er ſchmähen oder ſchmeicheln 
will — iſt Alles Stückwerk geblieben. Was der Nation gemein⸗ 
ſam angehört, ſoll vielleicht erſt dann an die Reihe kommen, 


Borwort. V 


wenn jedes Städtchen und Dörfchen, jedes Kloſter und Gottes⸗ 
haus alle feine winzigen Celebritäten mit biographiſchen Verherr⸗ 
lichungen verſorgt haben wird. Selbſt ein Name wie der Pe⸗ 
trarca's war nicht im Stande, die literariſchen Kräfte zu einer 
irgend würdigen Ausgabe ſeiner lateiniſchen Werke zu vereini⸗ 
gen. Mehus entwarf einen ausführlichen Plan dazu, aber die 
Ausführung, zu der er vor Vielen berufen war, überließ er 
Andern, um lieber eine Menge von halben Büchern zu ma⸗ 
chen, um unzähligen Kleinkram zu ſammeln und um mit jedem 
nicht⸗florentiniſchen Autor eine unerquickliche Fehde anzubinden. 
Schon Banduri hatte verſprochen, wenigſtens die noch unedirten 
Briefe Petrarca's bekannt zu machen, ſein Verſprechen iſt von 
Andern mehrmals wiederholt, nie gelöft worden. So ſtolz Ita 
lien auf ſeinen Petrarca iſt, kennt und lieſt es ihn nicht. 

Auch die Humaniſten des 15. Jahrhunderts haben eine 
Fülle von Werken hinterlaſſen, die ungekannt in den italieniſchen 
Bibliotheken verſtauben oder in alten und ſeltenen Drucken kaum 
zugänglich ſind oder in verderbteſter Geſtalt vor uns liegen. 
Darunter zogen die Briefwechſel mit Recht das Intereſſe am 
meiſten auf ſich. Aber keine Edition derſelben, ſelbſt nicht die 
von Canneti beſorgte der Briefe Traverſari's, kann nur ent⸗ 
fernt genügen, ſchon weil ſie allemal nur nach einem und dem 
andern zufällig aufgefundenen Codex veranſtaltet und darum völ⸗ 
lig unvollſtändig ſind. So iſt das Material in allerlei Werke 
und Werkchen zerſtreut, deren einzelne ſelbſt ein Tiraboschi nicht 
mehr zu Geſicht bekommen konnte. 

Die fragmentariſche Natur dieſer Vorarbeiten kann vielleicht 
manchen Irrthümern und Mängeln des vorliegenden Buches zur 
Entſchuldigung dienen. Es wurde ferner in Königsberg geſchrie⸗ 
ben, mit Benutzung einer Bibliothek, die ſtarke Lücken empfinden 


vi Vorwort. 


ließ und mehr als einen Wunſch, der ſelbſt durch die bereitwil⸗ 
lige Unterſtützung der berliner Bibliothek nicht immer befriedigt 
werden konnte. Seine Berufung nach München legte dem Ver⸗ 
faſſer andre Arbeiten auf, die ihm zu einer Reviſion der vor⸗ 
liegenden nicht Zeit ließen. Doch meinten Freunde, die Brauch⸗ 
barkeit des Buches hänge in dieſem Falle weniger von der 
Vollſtändigkeit des Stoffes ab, da eben keine Bibliographie des 
betreffenden Abſchnittes der Literatur geliefert werden ſolle und 
auch nicht erſchöpfende Biographien der betreffenden Literatoren. 
Mehr als die Hälfte des Materials bleibe immer noch hand⸗ 
ſchriftlich in den Bibliotheken Italiens liegen, und bei ver Fülle 
des vorliegenden ſcheine es überall wichtiger, den Ballaſt auszu⸗ 
ſcheiden, als die Ladung zu vermehren. ö 


München den 30. Januar 1859. 


Inhalt. 


Einleitung. Italien und das Vermächtniß des römiſchen Alterthums S. 1. 
Italien als Stätte der Neubelebung deſſelben 3. Dürftiges Fortleben der römiſchen 
Literatur im Mittelalter 4. Die Kirche und die Reſte des Heidenthums 5. Die 
claſſiſchen Bücher in den Klöſtern 6. Ihr Inhalt ohne Einfluß auf die Bildung 7. 
Kritik und Geſchmack als Ausflüſſe des Individualismus 8. N 

Dante Alighieri und das Alterthum 9. Sein Verhältniß zur lateiniſchen 
Sprache 10. Seine Perſönlichkeit 11. 


Erſtes Buch. 
Francesco Petrarca, die Genialität und ihre zündende Kraft. 


Francesco Petrarca und der Schwerpunct ſeines Genius S. 12. Der 
Schulmeiſter zu Avignon 14. Petrarca's Beſchäftigung mit Cicero's Schriften und 
mit dem Wohllaut der lateiniſchen Sprache. Das Brodſtudium 15. Petrarca als 
Verehrer Virgils und Cicero's 16. Sein Begriff von der Poeſie 17. Seine Elo⸗ 
quenz und Latinität, ſein Stil 19. Seine Schwärmerei für das Alterthum 22. Er 
ſucht nach Cicero's Schriften 23. Ob er Cicero's Werk „vom Ruhme“ beſeſſen? 25. 
Cicero's Reden und Briefe 27. Petrarca und feine Bibliothek 28. Er erhält einen 
Homeros. Sein Verſuch, Griechiſch zu lernen 29. Petrarca unter den Ruinen des 
alten Rom 30. Petrarca und Cola di Rienzo 31. Petrarca als politiſcher Ideologe 
und Anwalt der römiſchen Freiheit 35. 

Petrarca und der Humanismus 37. Sein Kampf gegen die Scholaſtik 38. 
Seine Verachtung der Aſtrologie, Alchymie, Traumdeuterei und andern Aberglaubens 40. 
Seine Polemik gegen die Aerzte 42. Gegen das Jus 44. Gegen die Schulphilo⸗ 
ſophie 45. Sein Verhältniß zu Ariſtoteles 46. Zu Platon 48. Seine Stellung zu 
Glauben und Kirche 49. Petrarca und Auguſtinus' Confeſſionen 51. Sein Kampf 
gegen die ſcholaſtiſche Theologie 52. Die Secte der Averroiſten und Petrarca 52. 
Seine Motive, wenn er als Apologet des Chriſtenthums auftritt 56. 

Petrarca als Weltweiſer 58. Die Lüge der Eloquenz 59. Petrarca als Repu⸗ 
blicaner und Fürſtendiener 60. Als Anachoret und Pfründenjäger 62. Der philo⸗ 


vin N Inhalt. 


ſophiſche Einſiedler 64. Der Freundſchaftscultus 67. Petrarca's Neid gegen Dante, 
Hochmuth und Eitelkeit 68. Seine Ruhmesſehnſucht und Ernüchterung 72. Die 
Dichterkrönung und Petrarca's wechſelnde Empfindungen 74. Noch einmal Petrarca 
und Cola di Rienzo 76. | 

Petrarca als Individualmenſch und der mittelalterliche Gegenſatz 80. Die Scene 
auf dem Mont⸗ Ventoux 82. Die Beſchäftigung mit dem Selbſt als Kampf 83. 
Die claſſiſch⸗philoſophiſchen Tractate und der Pulsſchlag der Perſönlichkeit 84. Die 
Acedia 85. Antiquariſches über ſie 87. Petrarca's Acedia 88. Sein Buch „über 
den geheimen Kampf ſeiner Herzensſorgen“ oder „von der Verachtung der Welt“. 
Selbſtbeichte und Bußkampf 90. Der Erfolg 95. 

Petrarca's Ruf und Verehrung 96. Seine Schriften als Vorbilder neuer Lite⸗ 
raturzweige 99. Sein Blick in die Zukunft 100. 


Zweites Buch. 


Die Gründer der florentiniſchen Muſenrepublik. Die Wanderlehrer. 
Erweckung der claſſiſchen Autoren aus den Kloſtergräbern. 


Die unmittelbar von Petrarca ausgehenden Anregungen S. 102. Ihre Con⸗ 
centration in Florenz 103. Giovanni Boccaccio. Sein Bildungsgang 103. 
Boccaccio und ſein Meiſter Petrarca 104. Boccaccio als mikrologiſcher Gelehrter 105. 
Der Abfall von Petrarca's genialer Höhe 107. Die Akademie von San Spirito. 
Luigi Marſigli 114. Coluccio di Piero de' Salutati. Sein Verhältniß 
zu Petrarca 116. Ueberführung der Africa nach Florenz. Salutato als florentiniſcher 
Staatscanzler und politiſcher Charakter 118. Seine Briefe als Muſter eines neuen 
Canceleiſtils 122. Seine Leichenfeier und Dichterkrönung 123. Seine literariſche 
Thätigkeit. Seine Schützlinge Poggio und Bruni 124. 

Die Wanderlehrer 125. Giovanni Malpaghino da Ravenna 126. Gaspa⸗ 
rino da Barzizza 128. Manuel Chryſoloras 129. Seine Schüler in Florenz 130. 

„Auſſchwung des Humanismus im Beginn des 15. Jahrhunderts 132. Die 
literariſchen Entdeckungen. Die Bücher in den Klöſtern. Boccaccio zu Monte 
Caſſino 133. Poggio auf literariſchen Entdeckungsreiſen 134. Er findet zu St. Gal⸗ 
len Quintilians Inſtitutionen 135. Weitere Funde. Bartolommeo da Montepnl⸗ 
ciano 136. Poggio findet acht Reden Cicero's 137. Sein Verfahren 138. Täu⸗ 
ſchende Gerüchte, zumal von den fehlenden Decaden des Livius 139. Der plautiniſche 
Fund 140. Auffindung ciceroniſcher Schriften 141. Griechiſche Bücher aus Byzanz. 
Alterthümer. Ciriaco de Pizzicolli der Anconitaner 143. 


Drittes Buch. 


Das erſte mediceiſche Zeitalter. Der Humanismus in den 
Republiken Italiens. 


Stabilifirung der Humaniſten S. 147. Die Muſenrepublik von Florenz. Der 
Adel der Republik 148. Coſimo de Medici 149. Sein Mäcenat. Sein Bruder 
Lorenzo 151. Andre florentiniſche Adlige als Literatoren: Roberto de Roſſi, Rinaldo 


Inhalt. IX 


degli Albizzi, Palla de Strozzi 152. Die Acciajoli, Piero de Pazzi, Matteo Pal- 
mieri, Leonardo de Dati, Lapo da Caſtiglionchio 153. 

Der um Coſimo gruppirte Literatenkreis. Niccolo de Niccoli 153. Lionardo 
Bruni d' Arezzo 161. Carlo Marſuppini d' Arezzo 164. Ambrogio Traverſari der 
Camaldulenſer 165. Giannozzo Manetti 171. Poggio Bracciolini der Florenti⸗ 
ner 172. Seine literariſche Muße in der Valdarniana 173. Seine Fehden und 
Invectiven 174. 

Die nach Florenz berufenen Lehrer: Guarino 178, Aurispa, Filelfo 179. Sein 
erſtes Auftreten in Florenz 180. Gegnerſchaften 181. Marſuppini als ſein Katheder⸗ 
Rival 183. Filelfo's Satiren. Ein Meuchelmörder gegen ihn 184. Die Staats- 
revolution vom September 1433: Coſimo verbannt, Filelfo's Triumph; die Vergel⸗ 
tung, Poggio's Invectiven gegen Filelfo 185. Fortſetzung des Kampfes nach Filelſo's 
Abzug 187. Griechische Lehrer in Florenz: Georgios Trapezuntios. Joannes Argy⸗ 
ropulos 188. 

Ein Blick auf die bildende Kunſt in Florenz. Leo⸗Battiſta degli Alberti 190. 
Verbindung der Künſtler mit den Literatoren. Der antike Geiſt der florentiniſchen 
Republik 192. Die Hochſchule. Der heilige Antoninus, Erzbiſchof von Florenz, als 
Gegenbild 193. Angriffe gegen Dante, Petrarca und Boccaccio 195. Verehrung 
dieſer literariſchen Ahnen zu Florenz 196. Die humaniſtiſchen Geſchichtſchreiber der 
Republik, ihre Staatscanzler 198. Das Bücherweſen. Florenz als Centralpunct des 
Buchhandels 199. Etwas über die Preiſe der Bücher 200. Niccoli's Plan einer 
öffentlichen Bibliothek 201. Die Marciana zu Florenz 202. Tommaſo Parentu⸗ 
celli (ſpäter Papſt Nicolaus V) als Bibliothekar. Coſimo's bibliothekariſche Unter⸗ 
nehmungen 203. Privatbibliotheken 204. Die Verherrlichung der Republik durch 
Wiſſenſchaft und Kunſt 205. 

Der Humanismus in Siena 206. 

Der Humanismus in Venedig. Die Regierung ohne literariſches Intereſſe. 
Dieſes eine Privatſache einzelner Adliger 207. Carlo Zeno 208. Leonardo Giuſti⸗ 
niani. Sein Sohn Bernardo. Francesco Barbaro 209. Die vaterländiſche Ge⸗ 
ſchichtſchreibung. Mißliche Stellung der berufenen fremden Lehrer 212. Büͤcherſamm⸗ 
lungen 213. 

Der Humanismus in Genua. Jacopo Bracelli. Niccolo Ceba 214. 


Viertes Buch. 
Der Humanismus an den Höfen Italiens. 


Dynaſten und Humaniſten S. 215. Der Muſenhof zu Neapel. König Ro⸗ 
bert und Petrarca 218. Paolo de Perugia. Barlaamo. König Alfonſo der Arago- 
nier 219. Die Freiheit des Wortes an ſeinem Hof. Lorenzo Valla. Seine Dialoge 
über die Wolluſt 222. Seine Schrift über die conſtantiniſche Schenkung 224. Sein 
Streit mit den Zionswächtern 225. Valla vor der Inquiſition 226. Sein Triumph. 
Beccadelli's Hermaphroditus 227. Die Urtheile der Humaniſten 228. Zetergeſchrei 
der Mönche 229. Der Dichter als Hofrath 230. Sein Streit mit Valla. Barto⸗ 
lommeo Fazio. Die Verherrlichung Alfonſo's 231. Porcello 232. Filelfo und Enea 
Silvio de Piccolomini in Neapel. Theodoros Gaza. Manetti 234. Alfonſo's Frei⸗ 
gebigkeit. Sein Sohn Fernando 235. 


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x | | Inhalt. 


Die Visconti in Mailand. Filippo Maria 236. Die Hofredner: Antonio 
Loschi, Gasparino und Guiniforte da Barzizza 238. Filelfo in Mailand, ſein Ver⸗ 
hältniß zum Tyrannen 239. Sein Gegner Pier⸗Candido Decembrio 240. Seine 
Erniedrigung zur Vulgärſprache. Die Zeit der Republik 241. Filelfo's politiſche 
Stellung 242. Francesco Sforza, ſeine Bildung und fein Mäcenat 243. Cicco 
Simonetta 244. Guiniforte da Barzizza als Lehrer der fürſtlichen Kinder. Decem⸗ 
brio. Lodriſio Crivelli 245. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe 246. Die Sforziade 247. 
Seine Anſprüche an das Leben, poetiſche Betteleien, * Handel mit Unſterblichkeit 248. 
Er erlebt den Verfall ſeines Ruhmes 251. 

Die kleineren Dynaſten Italiens. Die Gonzaga zu Mantua. Vittorino Ram⸗ 
baldoni da Feltre, der Pädagog in der Caſa Giocoſa 251. Die Eſte zu Ferrara 255. 
Markgraf Niccolo III 256. Guarino da Verona 257. Giovanni Aurispa. Ugo 
Benzi 258. Markgraf Lionello, der fürſtliche Humaniſt 259. Sein Bruder Börſo 261. 
Die Carrara zu Padua. Pier⸗Paolo Vergerio. Federigo di Montefeltro, Herzog 
von Urbino 263. Die Malateſta in Rimini und Ceſena 264. Eine Rundreiſe 
Filelfo's zu verſchiedenen Fürſten 266. Die Humaniſten als Politiker 267. 


Fünftes Buch. 


Der Humanismus an der päpſtlichen Curie. Das Zeitalter 
Nicolaus’ V. Die helleniſtiſchen Studien. 


Der Humanismus und die bhierarchiſche Kirche S. 269. Das Schisma führt 
die Humaniſten an die Curie 270. Die Secretarie 271. Petrarca's Anſicht. Za⸗ 
nobi da Strada, Coluccio Salutato, Giacomo d' Angelo da Scarparia in der päpſt⸗ 
lichen Cancelei 272. Poggio als Curiale 273. Poggio unter den Monumenten und 
Trümmern Roms 274. Das Bugiale und Poggio's Facetien 275. Sein Kampf 
gegen die Bettelmönche 276. Lionardo Bruni als Curiale 277. Antonio Loschi und 
ſein neues Formelbuch. Papſt Martin V 278. Anſprüche der humaniſtiſchen Secre⸗ 
tarie 279. Papſt Eugen IV 280. Humaniſtiſche Cardinäle 281. Das Unionsconcil 
in Florenz: Auxispa und Marſuppini als apoſtoliſche Secretäre. Traverſari 282. 
Ermolao Barbaro. Verhandlung mit Decembrio. Giovanni Tortello 283. Flavio 
Biondo 284. Maffeo Vegio 285. Die römiſche Hochſchule. Georgios Trapezuntios 
als Lehrer an derſelben 286. 

Tommaſo Parentucelli, als Papſt Nicolaus V. Seine Vergangenheit 287. 


. Sein Charakter 289. Seine Bildung 290. Die Zeit feines Pontificats 292. Seine 


Politik. Das Jubeljahr und feine financiellen Folgen 293. Die Ruhmliebe des 
Papſtes. Luxus der Curie 294. Bauten und Entwürfe 295. Seine Vorliebe für 
die Florentiner. Sein Mäcenat 298. Vernachläſſigung der Hochſchule 299. Die 
Gelehrten um die Perſon des Papſtes verſammelt 300. Piero da Noceto. Poggio 
und der Papſt 301. Seine Invectiven gegen Felix, den Gegenpapſt, und das basler 
Concil 303. Seine Schrift gegen die Heuchelei. Sein Rücktritt von der Curie 305. 
Flavio Biondo und der Papſt 306. Manetti und der Papſt 310. Balla, er bittet 
Papft Eugen um Verzeihung 311. Valla in Rom 313. Giovanni Tortello als. 
Präfect der päpſtlichen Bibliothek, ſein Buch de Orthographia 315. Aurispa in 
Rom 316. Decembrio. Filelfo und der Papſt 317. Seine N a 
Seine Aufnahme in Rom 320. 


Inhalt. xl 


Epiſode über die Wiederbelebung der helleniſchen Sprache und Literatur 323. 
Barlaamo und Petrarca 325. Leonzio Pilato und Boccaccio 326. Pilato's Ueber⸗ 
ſetzung der homeriſchen Epen 327. Der Hellenismus zur Zeit Petrarca's 328. Chry⸗ 
ſoloras. Die Griechen und die Lateiner. Ihr Wettſtreit während des Unionscon⸗ 
eils 329. Plethon und Platon, Coſimo's Gedanke einer platoniſchen Akademie, 
Marſiglio Ficino 330. Disputationsſieg der Lateiner zu Ferrara 331, Die Byzan⸗ 
tiner in Italien 332. . 

Die Griechen an Nicolaus' Hofe. Cardinal Beſſarion 332. Seine Anteceden⸗ 
tien 333. Seine Rolle an der Curie 334. Sein Literatenhof. Niccolo Perotti 335. 
Beſſarion als Theologe und Philoſoph 336. Als Latiniſt, als Bücherſammler 337. 
Georgios Trapezuntios 338. Theodoros Gaza aus Theſſalonike 339. 

Rom als Schauplatz der ſeandalöſen Gelehrtenchronik 340. Fehde zwiſchen Pog⸗ 
gio und Valla. Perotti's Einmiſchung 341. Filelfo als Friedensprediger 342. Fehde 
zwiſchen Poggio und Trapezuntios 343. Streit der Griechen unter ſich über den 
Vorzug des Ariſtoteles oder Platon 345. | 

Vergleich der römiſchen Literatencurie mit der florentiniſchen Gruppe 347. Die 
Leiſtungen unter Nicolaus’ V. Die Ueberſetzungsliteratur 348. Ihr Verdienſt 349. 

Ihr Stolz. Die griechiſche Eloquenz 350. Florentiniſche Arbeiten 351. Bruni's 
Ueberſetzungen zumal platoniſcher und ariſtoteliſcher Werke 352. Der neue Ariſtoteles. 
Andre Ueberſetzungen der Florentiner 353. Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus’ V 
Vergerio's Arrhianos 354. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V: Ariſtoteles 355. 
Platon. Die Geſchichtſchreiber der Griechen 356. Strabon 357. Der lateiniſche 
Homeros als letzter Wunſch des Papſtes 358. Kirchliche Autoren 360. Nicolaus V 
als Bücherſammler. Alberto Enoche aus Ascoli ſein Entdeckungsreiſender 361. Grie⸗ 
chiſche Bücher 362. Nicolaus V als Begründer der Vaticana 363. 


Sechſtes Buch. 
Propaganda des Humanismus jenſeits der Alpen. 


Der Humanismus als weltbürgerliches Element S. 366. Die Weiſe der Pro⸗ 
paganda 368. Ihre Verſchiedenheit bei den romaniſchen und bei den germaniſchen 
Völkern 369. « 

England. Cardinal Henry Beaufort und Poggio 370. Enea Silvio und 
Adam Mulin 371. Herzog Humphrey von Glocefter 372. William Gray 373. 

Deutſchland. Antagonismus des deutſchen und des italieniſchen Sinnes 374. 
Deutſchlands Fürſten: König Sigmund 375. Pier⸗Paolo Vergerio bei ihm. Sig⸗ 
mund in Italien 376. Albrecht II und Friedrich III. Enea Silvio de' Piccolomini 
in der deutſchen Reichscancelei 377. Friedrich III in Italien, ſeine Dichterkrönun⸗ 
gen 378. Enea Silvio und Deutſchlands Fürften und Adel 379. Seine Caneelei⸗ 
Collegen 380. Verbreitung und Nachahmung ſeiner Schriften 381. Enea Silvio 
als Verfechter des Humanismus in Deutſchland 382. Sein Antipode Gregor Heim⸗ 
burg, der Juriſt 383. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbarei 390. Der 
Humanismus und die Preſſe 392. Durchbruch des Humanismus in Deutſchland 394. 

Ungarn. Leichter Eingang der italieniſchen Bildung 395. Joannes Vitéz 396, 
Janus Pannonius 397. König Matthias 398. 

Polen. Cardinal Zbignew Olesnicky 398. 


XII Inhalt. 


Siebentes Buch. 


Die Erſcheinungsformen und Tendenzen des italieniſchen Humanismus 
im Allgemeinen. 


Das claſſiſche Alterthum ein geſichertes Gut S. 400. Der nationale Stolz der 
italieniſchen Humaniſten 401. Ihr perſönliches Selbſtgefühl 403. Ihre moderne 
Auffaſſung des Alterthums und alterthümelnde der Gegenwart 406. Schein und 
Sein in der ſittlichen Sphäre 409. 

Die Gelehrtenrepublik 412. Ariſtokratie des Talentes. Entfernung von der 
Kirche und den Hochſchulen 413. Die Epiſtolographie als Bindemittel, ihre Entwicke⸗ 
lung 414. Der Freundſchaftscultus als Umgangston 423. Die Feindſchaften unter 
den Humaniſten, ihre Invectiven 424. Die Stiliſtik und ihre Entwickelung 428. 
Die Poeſie, tusciſche und lateiniſche 431. Die Redekunſt und ihre Ausbildung 433. 
Die philoſophiſchen Tractate 437. Die Geſchichtſchreibung 439. 

Die deſtructiven Tendenzen des Humanismus. Schöngeiſterei und Pedanterie 445. 
Der Kampf gegen die Weisheit der Hochſchulen, gegen die ſcholaſtiſche Methode 446. 
Gegen die Juriſten, ihr Uebergewicht auf den Kathedern 447. Verknöcherung der 
Rechtsſtudien 448. Polemik der Humaniſten gegen ſie, anbei auch gegen die Aerzte 449. 
Polemik gegen die Theologie 454. Das frivole Spiel der Humaniſten mit dem 
Heidenthum 457. Sittliche Frivolität 459. Die Zote als Literaturzweig 463. An⸗ 
griffe auf die Außenwerke der Religion und Kirche 466. Der Humanismus und 
das Mönchthum 469. Poggio's Kampf mit den Bettelmönchen 472. Aufnahme 
des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 475. Pius II, der Humaniſt auf 
dem apoſtoliſchen Stuhl 478. Scheinbare Reaction unter Paulus II 479. Die ca⸗ 
tilinariſche Bande in Rom und die platoniſche Akademie 480. Triumph des Hu⸗ 
manismus im päpſtlichen Rom 484. 


3 J 61 


Einleitung. 


Kein Boden Europa's iſt von ſo verſchiedenen Völkern getreten 
und zertreten worden als der italiſche, keiner war Zeuge ſo mannig⸗ 
facher und tiefgreifender Wandelungen. Auch die größte Veränderung, 
welche die geſchichtliche Menſchheit bisher erlitten hat, die Auflöſung 
der antiken Weltherrſchaft und das Emporwachſen einer neuen, auf das 
Blut Jeſu Chriſti gegründeten, mußte vorzugsweiſe Italien in Gährung 
und Sturm durchleben. Damals war es berufen, die Brücke zwiſchen 
dem Alterthum und der chriſtlichen Zeit zu bilden. Für dieſe be- 
wahrte es das Palladium der Zukunft, den Stein, auf welchem die 
Kirche gegründet war; vom Alterthum barg es mannigfache Reſte, ein 
größeres Vermächtniß, als der erſte Anſchein uns wohl glauben macht. 
Wenn irgendwo der antike Geiſt wieder aufleben und in die Poren 
der neuen Organismen eindringen konnte, ſo mußte es in Italien ſein. 

Italien hat das Idiom, in welchem die alten Römer ihre Gedan⸗ 
ken niederſchrieben, trotz allen Völkermiſchungen am reinſten und treuſten 
bewahrt. Mehr als irgendwo ſonſt blieb die weltbürgerliche Sprache 
von Latium hier, im Brennpunkte des kirchlichen und gebildeten Lebens, 
die Sprache des Geſchäftstreibens, der Gelehrſamkeit, der Gottesvereh⸗ 
rung. Ferner weiß man, daß die letzte und neben der Völkerherrſchaft 
die rieſigſte Schöpfung der alten Römer, ihr Recht und ihre Rechtswiſſen⸗ 
ſchaft, in Italien niemals außer Geltung kam. Dieſes Römerrecht hat 
allmählig und unbeachtet, wie ſich das Blut der Völker der alten Welt 
mit dem der neuauftretenden Stämme vermiſchte, auch die Denkweiſe 
der letzteren, den geſelligen Verkehr und das politiſche Leben bald leich⸗ 


Boigt, Humanismus. 4 1 


2 5 Einleitung. 


ter gefärbt, bald eindringender inficirt. Es vererbte ſich auf die neue 
Bevölkerung eine Fülle von Erinnerungen an das Heldengeſchlecht des 
Romulus, welches die Welt bezwungen. Oft iſt nur noch das Monument 
vorhanden und ſteht als ein räthſelhafter Spuk da, wie die mittelalter⸗ 
lichen Märchen von der Reiterſtatue Marc⸗-Aurels oder vom Bau des 
Pantheon bezeugen. Oft iſt die Vorſtellung dunkel und verworren, wie 
die vom Cäſarenthum, als es unter dem fränkiſchen Karl wiederher⸗ 

geſtellt wurde, oder von der alten römiſchen Republik, als Arnoldo 
da Brescia den Senat, die Conſuln und den Populus Romanus wie⸗ 
der aufrichten wollte. Oft auch war eine Inſtitution am Leben geblie⸗ 
ben, ohne daß man ſich ihres antiken Urſprungs bewußt wurde, wie 
denn zum Beiſpiel die municipalen Einrichtungen des römiſchen Alter⸗ 
thums in einzelnen Städten, zumal in Rom und Florenz, niemals ganz 
erloſchen. Vor Allem aber hat Italien und insbeſondre Rom nimmer 
vergeſſen können, daß von hier aus eine Welt unterworfen und gelenkt 
worden iſt. 

Man wird nicht leugnen können, daß Italien dem Geiſte nach die 
Wiege nicht nur der Hierarchie, ſondern auch die des germaniſchen 
Kaiſerthums geweſen. Es hat ihr Aufwachſen, ihre mächtigen Kämpfe 
gegen einander, dann ihren Niedergang geſehen. Beide aber, die Hie⸗ 
rarchie und das römiſche Reich veutſcher Nation, find von alt⸗romiſchen 
Ideen unmerklich durchdrungen worden, beide haben durch ſie die welt⸗ 
bürgerliche und univerſalmonarchiſche Richtung erhalten. Desgleichen 
haben die Sprache Roms, das Recht Roms und die Kirche Roms den 
Boden für eine europälſche Geſammtbildung geebnet und ein geiſtiges 
Band um die Völker geſchlungen, deſſen Handhabung Italien zur He⸗ 
gemonin Europa's machte. 

Der erſte Blick, den wir auf die Geſchichte Italiens während des 
14. und 15. Jahrhunderts vom politiſchen Geſichtspuncte aus werfen, 
lehrt uns ſofort, daß die Halbinfel zur Fortführung ihrer großen Auf. 
gabe durchaus unfähig geworden war. Wir glauben nicht mehr als einen 
Tummelplatz zerreißender und zweckloſer Leidenſchaften wahrzunehmen. 
Bon keiner mächtigen Kaiſerhand mehr zuſammengehalten, benutzen dieſe 
kleinen Staaten ihre Freiheit nur, um einander mit unruhiger Eifer⸗ 
ſucht zu quälen und zu ſchaben. Der unaufhoͤrliche Widerftreit der 
Oynaſten und Uſurpatoren gegen die Republifen und in letzteren der 
ewige Kampf zwiſchen Adel und Volkspartei, der Adelsgeſchlechter gegen 
einander und der demokratiſchen Gewalten gegen einander, ein vielge⸗ 


1. 


Ginlettung. 8 


ſtaltiger Bürgerkrieg hilft die Zerrüttung und die Ohnmacht vollenden. 
Die Halbinſel reifte der Fremdheryſchaft und doch nicht der eines einzi⸗ 
zen Herrſchers entgegen. Die Entfernung der Curie aus Italien und 
das kirchliche Schisma unterwühlten auch die religiöſe Eintracht der 
Gemätber, und die Vorboten der großen Kirchentrennung denteten be⸗ 
reits auf ein Auseinandergehen der Nationen in Glauben und Cul⸗ 
tus. Wie hätte Rom noch der Altar der weltbürgerlichen Idee bleiben 
können 5 | 

Wie nun Italien das Herz des mittelalterlichen Staatenorganis⸗ 
mus genannt werden kaun, ſo repräſentirt feine Geſchichte gleichſam die 
generelle. Es iſt, als ſchneide die aufſteigende Entwickelung des Mittel⸗ 
alters überhaupt ſeit der Mitte des 13. Jahrhunderts faſt plötzlich ab. 
Das, Fortleben aller mittelalterlichen Schöpfungen iſt nur noch ein 
mechaniſches Weiterſpinnen ihrer dürftigen Exiſtenz. Das Kaiſerthum 
mit feinen weitfichtigen Entwürfen ſinkt ſeit dem Ausgange der Hohen⸗ 
ſtaufen zuſammen; die Hierarchie mit ihrer gottesſtaatlichen Tendenz 
folgt ihm nach, ſobald ſie des anſpannenden Gegenſatzes entbehrt. 
Geiſt und Gemüth verdumpfen überall unter dem Zwange eines kalten 
Formalismus. Die Hochſchulen find nur Gefängniſſe des Geiſtes, in 
denen jede Regſamkeit durch die eiſernen Bande der Scholaſtik gebro⸗ 
chen wird, dieſe aber, obwohl ſie einen gewiſſen Fond von Kenntniſſen 
und Anſchauungen im Umſatz erhielt, iſt eben keine Wiſſenſchaft, ſon⸗ 
dern nur die disciplinirende Methode aller Wiſſenſchaften, die in ihrem 
ſtrengen Banne wie im Kloſter und unter der umſchränkenden Regel 
fortleben. Auf dieſer Bahn war kein Fortſchreiten möglich, der arbei⸗ 
tende Geiſt drehte ſich immer nur im Kreiſe herum. 

Da nun keimte in Italien die Saat einer neuen Bildungs vegeta⸗ 
tion, die ihre Blüthen zunächſt auf dem literariſchen und küuſtleriſchen 
Gebiete treiben ſollte und eine neue Einigung Italiens nicht nur, ſon⸗ 
dern der gebildeten Welt überhaupt, unter dem Banner der Muſen zu 
vollbringen berufen war. Dieſe Entwickelung tritt nun in den Vorder⸗ 
grund, während pas Intereſſe an der kirchlichen Politik, an den Krie⸗ 
gen und Revolutionen, ſelbſt an den wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen 
immer mehr zurückſchwindet. Sprechen wir die neue Aufgabe Italiens 
aus, ſoweit ſie zu faſſen uns gegeben iſt. Das Alterthum und die 
Blüthe des chriftlich-romantifchen Lebens zu recapituliren, die Form 
und ſinnliche Schönheit als das Erbe der claſſiſchen Völker mit dem 
Geiſte der Romantik im Kunſtwerke zu vereinigen, das iſt das Ziel, 

1 * 


4 leitung. 

dem fich fortan die edelſten Kräfte zuwenden, das ift die Bedeutung 
eines Arioſto und Taſſo, eines Bramante und . eines eio- 
nardo da Vinci und Rafaele Sanzio. 

Wir haben hier nur ein Stadium und eine Seite diefes cultur⸗ 
geſchichtlichen Proceſſes zu verfolgen, die Wiedergeburt des claſſifchen 
Alterthums und ſein Eindringen in das geiſtige Leben zunächſt Ita⸗ 
liens. Wir haben ferner nur das Kindes⸗ und das Jünglingsalter 
dieſer Beſtrebungen vorzuführen, wie jenes ſich aneignet und lernt, ge⸗ 
fördert durch den Trieb der Nachahmung, wie dieſes die erworbenen 
Kräfte und Kenntniſſe übt, muthig gebraucht und keck mißbraucht. 
Das Entſtehen und Wachſen wird daher unſer Intereſſe auf ſich zie⸗ 
hen, noch nicht Schöpfungen, die den Stempel der Reife und Dauer 
tragen. 

Vom claſſiſchen Alterthum 88 vorzugsweiſe ſeine lrerarischen 
Monumente, mit ihnen ſank es in den Winterſchlaf, mit ihnen ſollte 
es zu einem neuen Frühling erweckt werden. Seine Geſchichte knüpft 
ſich alſo an die ſeiner Literatur. Die Männer ſelbſt, welche die rö⸗ 
miſchen und griechiſchen Autoren wieder in das Leben führten, ſprachen 
regelmäßig von ihrem ſiebenhundertjährigen Schlummer. Sie rechneten 
nicht falſch; mit dem römiſchen Reiche ſchwand auch der Sinn für die 
römiſche Literatur allmählig dahin, im 7. Jahrhundert war er ſo gut 
wie erloſchen. Aber wir dürfen ihnen jenes Wort doch ſo unbedingt 
nicht nachſprechen; mitten in der Flamme ſtehend, ſahen ſie die glim⸗ 
menden Funken nicht. Wie die römiſchen Rechtsbücher, ſo blieb auch 
die geſchichtliche, philoſophiſche und poetiſche Literatur der Römer nie⸗ 
mals ganz unbeachtet liegen, immer ſind Livius und Salluſtius, einzelne 
Schriften Cicero's und Seneca's, Virgilius und Lucanus, Horatius 
und Ovidius, Terentius und Plinius einmal in der ſtillen Kloſterzelle 
geleſen und in die kirchlichen, ſcholaſtiſchen und geſchichtlichen Werke 
verwebt worden. Schon die Kirchenväter wieſen vielfach auf die pro⸗ 
fanen Autoren hin, denen ſie ja ihre Erudition zum guten Theile ver⸗ 
dankten. Durch ihre Schriften ſowie durch die ſpäterer kirchlicher 
Sammelgeiſter, etwa des Biſchofs Iſidorus von Sevilla, blieben einige 
Kenntniſſe und Notizen aus dem claſſiſchen Alterthum in ftetem Um- 
lauf. Andre pflanzten ſich, wenn auch noch ſo verſtümmelt, durch Sage, 
Legende und Dichtung fort, wie die wirren Märchen vom trojaniſchen 
Kriege, von Alexander dem Großen, von einzelnen römiſchen Impera⸗ 
toren. Boethius, deſſen chriſtlich⸗philoſophiſches Troſtbüchlein allezeit 


Einleitung. 5 


in hohem Anſehen ſtand, gab in feinen Commentaren zugleich einen 
Impuls zum Studium oder doch zur Beachtung der ariſtoteliſchen Phi⸗ 
loſophie. Aehnliche Berührungen gab es hundertfach. Auch haben im⸗ 
mer Einzelne die griechiſche Sprache entweder im apuliſchen Reiche 
oder in Griechenland ſelbſt gelernt. Endlich beſitzen wir aus allen 
Perioden der mittelalterlichen Zeit die handſchriftlichen Copien clafft- 
ſcher Auteren, die doch ein thätiges Intereſſe für dieſe Literatur be⸗ 
zeugen. 8 

Dennoch überwogen bei Weitem die Momente, welche dem Alter⸗ 
thum entgegenſtanden. Noch kannten der chriſtliche Glaube und die 
Kirche keine Ausſöhnung mit demſelben. Im ſteten Kampfe mit der 
heidniſchen Welt waren ſie groß gewachſen, und wenn auch noch ſo 
kümmerlich, glimmte doch zu allen Zeiten der Funke des Heidenthums 
unter den Trümmern ſeiner Tempel fort, es blieb, auch beſiegt, mit 
ſeinen freien, durch Kunſt verſchönten Lebensanſchauungen immer noch 
ein furchtbarer Feind. War es doch in den Zeiten des Unterganges 
ſelbſt manchem ehrwürdigen Lehrer der Kirche, der vorher Sophiſt oder 
Phetor geweſen, wie eine lockende Sirene erſchienen. Man führt wohl 
den Rigorismus Gregors des Großen als Beweis an, wie tief und 
mit welcher Verachtung zu feiner Zeit die heidniſchen Dichter unter die 
Füße getreten ſeien, aber gerade daß Gregor ſich genöthigt glaubte, 
energiſch gegen ihre Leſung anzukämpfen, zeigt uns doch wieder, daß 
der Sinn dafür und die verführeriſche Macht dieſer Todten keinesweges 
dahin war. Selbſt als der Kampf mit den Reſten des Heidenthums 
wirklich in den Hintergrund trat, als der Streit der Kirche des Occi⸗ 
dentes mit der des Orientes, das Ringen der römiſchen Biſchöfe mit 
der Kaiſergewalt die Gemüther in Anſpruch nahm, als dann im Anta⸗ 
gonismus der kirchlichen Gewalten gegen einander die Wiſſenſchaft vor⸗ 
zugsweiſe bemüht war, theolegifche und canoniſtiſche Waffen zu ſchmie⸗ 
den, ſelbſt damals konnte man ſich eines furchtſamen Grauens nicht 
erwehren, wenn man an die bezwungenen Mächte dachte, die wie ge⸗ 
feſſelt in der Hölle, aber doch noch lebend und Rache ſinnend drohten. 
Die Zeit der Griechen und Römer erſchien als eine Nacht, in welcher 
die Menſchen unreine Dämonen angebetet; dieſe Dämonen aber, mit 
denen einſt der chriſtliche Glaube gebrochen, webten im Aberglauben 
ihr unheimliches Daſein fort. Nein, die Kirche, ſo lange ſie beſtrebt 
war dem weltlichen Treiben gegenüber das Gottesreich auf Erden dar⸗ 
zuſtellen, konnte nimmer dem Alterthum die ausſöhnende Hand reichen. 


6 Einleitung. 


Sie konnte es nicht dulden, daß der Geiſt ſich mit Liebe in eine Ver⸗ 
gangenheit verſenkte, die nicht ihre eigene war, daß er abgelenkt wurde 
von dem Blicke in das Reich, welches Jeſus der Zukunft e hat 
und beſſen Schlüſſel fie allein führte. 

Demnach hat die Kirche, während der Geiſt der Reinigung in ihr 
noch lebendig und eine heilige Herrſchaft ihr Ideal war, die mächtig⸗ 
ſten Hebel menſchlicher Thaten, Gefühl und Phantaſie, für ihre Zwecke 
abſorbirt. Das Denken hielt fie durch ihre Dienerin, die Scholaſtil, in 
Zucht und Banden. Den Sinn für das Schöne erdrückte ſie lieber, 
als daß fie ihm den Nahrungsſtoff, den er bei den claffifchen Völkern 
finden konnte, gegönnt hätte. Es iſt kein Zufall und noch oft wird 
in dieſem Buche darauf hingewieſen werden, daß erſt mit dem Erblei⸗ 
chen der kirchlichen Sonne das Mondlicht des Heidenthums, welches 
lange von ihr überſtrahlt worden, wieder hervortrat. 

Finden wir hierin nicht den tiefſten Grund, ſo wäre die Erſchei⸗ 
nung ganz unerklärlich, daß alle die Beſchäftigung Einzelner mit der 
claſſiſchen Literatur, die uns während des Mittelalters nicht ſelten ent-, 
gegentritt, doch für die Geſammtbildung deſſelben völlig unfruchtbar 
blieb. Das Alterthum iſt einmal eine Welt für ſich; nur demjenigen, 
ber es als ſolche auffaſſen und mit unbeirrter Hingabe betrachten kann, 
bietet es ſeinen bildenden Stoff. Kein Theil der Wiſſenſchaft kann 
gedeihen, ſo lange er einem andern zu dienen verurtheilt iſt. 

Gewiß verdanken wir die Erhaltung der elaſſiſchen Literatur, fo- 
weit ſie uns eben erhalten ift, vorzugsweiſe den Kloſterbrüdern. Jahr⸗ 
hunderte lang haben fie treu das von ihren Vorgängern erworbene Gut 
aufbewahrt und geſchützt, auch durch Abſchriften vervielfältigt. Aber 
ihr Beruf war es niemals, Geiſt und Herz haben ſie dieſer Arbeit 
nicht gewidmet. Das Bücherabſchreiben war gemeinhin nur ein dürres 
Handwerk, von der Ordensregel bald geboten, um durch friedliche Be⸗ 
ſchäftigung die rohe Sitte zu brechen, um die Muße ſchwächlicher Brü⸗ 
der zu füllen oder um dem Kloſter einen Erwerb zuzuwenden, bald 
mi geftattet, in andern Fällen auch wieder verboten. Wurden dann 
in den berühmten Häuſern der Benedictiner zu Monte Caſſino, Cluny, 
St. Gallen oder Fulda neben den theologiſchen, Meß⸗ und Gebetbüchern 
auch einmal claſſiſche Werke copirt, ſo geſchah es nach dem Gebote des 
Abtes oder es war vielleicht auch die ſpielende Liebhaberei des Bruders 
ſelbſt. Immer aber blieb es bei dem todten Buchſtaben. Oft auch, 
an Ye vornehme Abt mit dem Falken auf der Hand durch die 


Einleitung. | 7 


Felder ſtrich, zu Turnieren und Hoffeſten zog oder beim ſchlemmeri⸗ 
ſchen Mahle den Poſſeureißern zuſchaute, während die Brüder umher⸗ 
ſchlenderten oder ein müßiges Geſpräch durch Wein belebten, verſtaub⸗ 
ten und verrotteten die Bücher in der dunkelſten und feuchteſten Zelle, 
aukgenommen vielleicht die Urbarien, auf denen die Einkünfte und 
Nutzbarkeiten des Kloſters beruhten, therapeutiſche, aſtrologiſche und 
Gebetbücher. Da iſt im Laufe der Jahrhunderte von den claffiſchen 
Autoren vielleicht ebenſoviel zu Grunde gegangen und für ewig verlo⸗ 
ren, als auf der andern Seite gerettet worden. Sie waren auf Gaſt⸗ 
freund ſchaft gewieſen geweſen, ein Heimathsrecht hatte man ihnen nie 
gönnt. 
Daſſelbe Daſein, welches die claſſiſchen Bücher in den Klöſtern 
führten, lebte ihr Inhalt in den Geiſtern. So lange die Bildung über⸗ 
haupt und der Unterricht insbeſondre faſt ausſchließlich in geiſtlichen 
Händen war, wurde die antike Literatur mit ſtiefmütterlicher Laune be⸗ 
handelt. Daher iſt der ſcheinbare Aufſchwung im karolingiſchen Zeit⸗ 
alter und fein Nachhall im ottonifchen ohne Wirkung geblieben wie 
die Berührungen mit Byzanz, dem Archive des Hellenismus, die hin 
und wieder im Abendlande flüchtige Moden erzeugten, wie die oft er⸗ 
ſtaunlichen Anſtrengungen Einzelner. Es fehlte die Contivuität des 
Strebens, es fehlte das Zuſammenwirken der Strebenden. Die Mei⸗ 
ſten hatten keinen andern Begriff, als daß die lateiniſche Sprache eine 
Magd der Kirche ſei. Man lernte ſie aus Donatus und Priscianus, 
man las einzelne Schriften Cicero's oder einen Dichter dazu, um Bei⸗ 
ſpiele für die Regeln der Grammatik zu finden. Ein armſeligeres 
Fortleben der römiſchen Autoren iſt kaum zu denken, als wie ſie da⸗ 
mals zur propädeutiſchen Ausbildung der Kleriker oder als mattherzige 
Nebenbefshäftigung dienten. Und es ging ihnen nicht beſſer, wenn fie 
aus dem Kloſter in die Kloſterſchule und dann in die Hochſchule ver⸗ 
pflanzt wurden. Auch hier dienten ſie den großen Facultätswiſſenſchaf⸗ 
ten; ein ſelbſtſtändiges Leben haben ſie ſelbſt bei den Geiſtern erſten 
Ranges, bei einem Abailard und Johannes von Salisbury nicht er⸗ 
langt. Notizen aus dem Alterthum halfen höchſtens die Lücken eines 
theologiſchen oder philoſophiſchen Syſtems verſtopfen, gleichwie man 
die Marmorſänlen alter Tempel und Paläſte ohne Schaam zu gemei⸗ 
nem bürgerlichem Gebrauche verwendete. | 

Wir wiederholen nicht das alte Lied von der Urtheils⸗ „Kritik⸗ und 
Geſchmackloſigkeit der mittelalterlichen Zeiten. So gedankenlos es oft 


8 Einleitung. 
nachgeſungen worden, ſo bleibt unleugbar, daß der geiſtige und zumal 
der äſthetiſche Erwerb des Alterthums Jahrhunderte lang ſo gut wie 


verloren war. Nur einige minder beachtete Erſcheinungen wünſchten wir 


hier hervorzuheben, weil fie die verzehrende Dictatur der Kirche ain 
ſchlagendſten beweiſen und weil wir in den folgenden 838 gerade 
dieſe Geſichtspunkte feſtzuhalten gedenken. 

Die herrſchende Kirche duldet den individuellen Menſchen nicht. 
Alles ſoll zum fügſamen Gliede in der Kette ihrer Syſtematik werden 
und ſich dem Geſetze ihrer Inſtitutionen unterordnen. Sie kennt kein 
beſonderes Geiſteseigenthum und in dieſem Sinne iſt fie auch mit der 
claffifchen Literatur verfahren. Darum wurden die Werke derſelben nach 
Belieben verkürzt und erweitert, verchriſtlicht und verſtümmelt, darum 
ohne Abſicht einer Fälſchung angeſehene Autorennamen zu modernen 
Machwerken mißbraucht. Es iſt bekannt, wie zum Beiſpiel Donatus 
ein Collectivbegriff für jede Grammatik, Servius für jeden Commen⸗ 
tar zum Virgilius wurde. Die Kraft, die ſolchem Beſtreben entgegen⸗ 
tritt, iſt die Kritik: in ihr ſetzt ſich der Einzelne, auf den ihm eigen⸗ 
thümlichen Geiſt vertrauend, der zwingenden Autorität gegenüber. 

Die Kirche ruhte ferner ſelbſt auf einer Fülle ſehr verſchiedenar⸗ 
tiger Autoritäten und die kirchliche Wiſſenſchaft hatte den Beruf, ihre 
Widerſprüche auszugleichen und das Lehrgebäude nach beſtimmten Ten⸗ 
denzen abzurunden. Um keine dieſer Autoritäten zu untergraben, hielt 
ſie alle in gleicher Achtung. Solche Behandlung mußten ſich auch die 
Claſſiker gefallen laſſen. Die philoſophiſche Moral des Ariſtoteles 
durfte der kirchlichen nicht widerſprechen; Cicero, Seneca und Boethius 
wurden betrachtet, als ſtänden ihre Schriften in gleichem Range neben 
einander; Florus, Eutropius und Valerius Maximus galten daſſelbe 
wie Salluſtius und Livius; neben Virgilius, Statius, Lucanus, Juve⸗ 
nalis und Perſius behaupteten ſich in demſelben Anſehen Dichtwerke 
eines Marbod von Rennes, Alanus ab Inſulis und Johannes von 
Salisbury. Eine Scheidung zwiſchen ſolchen Autoritäten erforderte 
gleichfalls die Kraft der Kritik, mehr aber noch ein ſich bildendes Ge⸗ 
fühl für die edlere Form und den tieferen Gehalt. Der Geſchmack 
aber, den die Kirche nicht duldete, war wiederum Sache des Einzelnen. 

Um dieſer individuellen Kraft Spielraum zu ſchaffen, mußte die 
neue Wiſſenſchaft, die das Erbe der claſſiſchen Nationen antrat, das 
Kloſter, die geiſtliche Zucht und die zünftigen Univerſitäten verlaſſen. 
Ihre Jünger mußten Kutte und Meßgewand von ſich werfen und ſich 


Euleltung. 9 


als Sühne des alten Rom gleichſam in Tunica und Toga kleiden. Ein 
neuer Stand mußte in die Geſellſchaft treten mit einer neuen und 
ſelbſtſtändigen Bildung, bald neben die Kirche, bald feindlich ihr gegen⸗ 
üͤbergeſtellt, immer aber weſentlich von ihr geſondert. 


Wer der Bildung des neueren Italien nachſpürt, in welcher Rich⸗ 
tung es auch ſei, kann bei Dante Alighieri nicht achtlos vorüber⸗ 
gehen. Den Reſtauratoren des claſſiſchen Alterthums können wir ihn 
freilich nicht beizählen. Seine Größe liegt darin, wie er die ſyſtema⸗ 
tiſche Scholaftil und die provencaliſche Romantik fo wunderſam in ſich 
vereinigt. Seine Bildung beruht noch ganz auf den Disciplinen 
des Trivinms und Quadriviums, feine Leitſterne find die Bibel und 
„der Philoſoph“, in zweiter Reihe ſtehen ihm abwechſelnd Auguſtinus 
und Thomas von Aquino, Boethius und Cicero. Der Geiſt Dante's 
ift ein ſchwerwandelnder, leichte, anmuthige Formen reizen ihn nicht; 
er ſucht in den Tiefen nach dem Golde der Weisheit und bleibt unbe⸗ 
rührt von der heiter lockenden Pracht der Fläche. Vom leichten Blute 
der Hellenen und der helleniſirten römiſchen Dichter iſt kein Tropfen 
in ihm. Seiner Phantaſie hält die ſtrenge Logik den Zügel, ein freies 
Tummeln gönnt er ſeinem Genius niemals. 

Und doch, wie die Wirkungen großer Geiſter unberechenbar find, 
ahnen wir ſchon in Dante 's Werken etwas von den geheimnißvollen 
Impukfen, die zu den Schätzen der claſſiſchen Römerzeit hinzutreiben 
ſcheinen. Er las ihre beſten Dichter, Ovidius, Virgilius, Horatius 
und Juvenalis, und findet er gleich ihren Werth nur in ihren lebens⸗ 
weiſen Sentenzen und nicht auch, wie die fpäteren Humaniſten, im 
Wohlklang ihrer Verſe und der Eleganz ihres poetiſchen Stils, ſo war 
es doch ſchon bedeutſam, daß er Dichterwort neben die hergebrachten 
Autoritäten zu ſtellen und zu ſeinen Kunſtſchlüſſen zu verwenden wagte. 
Eine Fülle von Beweiſen dafür hat man weniger in ſeinem großen 
Gedichte als in ſeinen proſaiſchen Werken zu ſuchen. Aber auch in 
jenem iſt bemerkeuswerth, wie er heidniſche und chriſtliche Materien, 
alte und moderne Geſchichte, helleniſchen Mythus und kirchliche An⸗ 
ſchauungen oft gar wunderlich durcheinandermiſcht. Er führte das Al⸗ 
terthum, wenn auch nur notizenweiſe und zerſtreut in die tusciſche 
Poeſie ein, gleichwie fein Lehrer und Freund Brunetto Latini zuerſt 


10 Einleitung 5 


römiſche Autoren, den Ovidius und Boethius, in die Vulzärſprache 
überſetzt hat.) Einen Autor wie Livius las Dante mit Gefühl: hier 
erſchloß ſich ihm der Begriff jener patriotiſchen Tugend, in deren Lichte 
die Thaten des alten Rom ſchimmern; davon zeugt das zweite Buch 
ſeines Werkes über die Monarchie. 

Dante hat es wohl erkannt, daß die lateiniſche Sprache der Volks⸗ 
ſprache, die noch nicht Norm und Ausbildung erhalten hatte, an Adel 
und Schönheit überlegen ſei.) Auch begann er ſeine göttliche Comö⸗ 
die in lateiniſchen Hexametern: Ultima regna canam ete. Wenn er 
trotzdem in der Folge zur erlauchten Mundart von Si griff, ſo lag der 
Grund wohl ſchwerlich in dem ſtolzen Gedanken, den der Dichter ein⸗ 
mal geäußert haben foll: er ſehe, wie die großen Dichter der Alten 
von den Menſchen ſeines Zeitalters nicht verſtanden und gering geach⸗ 
tet würden; deshalb habe er die claſſiſche Lyra bei Seite gelegt und 
eine andere bereitet, die für dieſe modernen Menſchen paſſe, denn dem 
Säugling biete man vergebens feſte Speiſe an.) Dagegen hat ihn 
gewiß ein anderer nicht minder ſtolzer Gedanke gereizt: er wollte gerade 
die mißachtete Vulgärſprache, indem er fie zur Form feines hohen 
Geiſtes wählte, zu Ehren bringen. Als ihm Giovanni di Virgilio 
zumuthete, ſeine edlen Geiſteswerke nicht dem Pöbelhaufen, ſeine Perlen 
nicht den Schweinen zuzuwerfen und die caſtaliſchen Schweſtern nicht 
in ein unwürdiges Gewand zu zwängen, wies Dante dieſe Aufforde⸗ 
rung in der erſten ſeiner Eclogen ſcherzend zurück.) Am Ende ſeines 
Lebens hat er in der Abhandlung de vulgari eloquio den Triumph 
der erlauchten Vulgärſprache auch theoretiſch gefeiert und zwar in bar⸗ 
bariſchem Latein. Und doch ſind die beiden lateiniſchen Eclogen, die 
wir von Dante beſitzen, gerade deshalb ſo denkwürdig, weil zuerſt in 
ihnen die Eleganz der Alten wiederangeſtrebt und Virgilius auch in 
der Form zum Vorbilde genommen wird. Selbſt der Gebrauch der 
Volksſprache in der göttlichen Comödie hat eine Frucht getragen, die 


) Mehus Vita Ambrosii Traversarii vor deſſen Epistolae recens. Canneti. 
Florentiae, 1759. p. 157 sq. 

) Convito tr. I. cp. 5. 

) Nach der bekannten Erzählung des Mönches Jlario, die er in einem Briefe 
an Uguccio da Faggiola mittheilt, b. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 321. Sie 
liegt offenbar auch der vielfach nachgeſprochenen Anſicht Boccaccio's (Comento sopra 
la Commedia di Dante. Opere vol. IV. Firenze, 1724. p. 17) zu Grunde, nur 
daß dieſer ſie ein wenig ſeinem Gedankenkreiſe angepaßt hat. 

) Die Ecloge Giovanni s b. Mehus J. c. p. 320. 


Einleitung. 11 


freilich nicht in des Dichters Abſicht lag, aber doch den kommenden 
Zeiten in die Hand arbeitete: jene Sprache entfremdete nämlich das 
große Gedicht dem kirchlichen Kreiſe und übergab es einem Theile der 
Nation, welcher dann zum Träger der humaniſtiſchen Richtung beru⸗ 
fen war. 

Höher indeß als alles das ſchlagen wir Dante's Perſönlichkeit an. 
Einſam und in ſtolzer Selbſtſtändigkeit durchſchritt der große Laie das 
Leben. Die Majeſtät des Denkers und Dichters, die ſeine Zeitgenoſſen 
auf der gewaltigen Stirn und den dunkeln Geſichtszügen thronen ſahen, 
war kein Heiligenſchein, auch keine Würde, die Fürſten der Kirche oder 
Fürſten der Welt verleihen N es war die e des auf ſich 
felber rußenden Mannes. 


12 


Erbes Duc. 
Francesco Petrarca, die Genialität und ihre bbs. Kraft. 


* 


Es war höchſtens eine dunkle Ahnung, mit der Dante in das 
gelobte Land hinüberzuſchauen vergönnt war, ſeinen Boden hat er noch 
nicht betreten. Der Prophet und zugleich der Entdecker der neuen 
Welt des Humanismus war Francesco Petrarca. Er hat nicht 
nur vorwärtsweiſend ihre Bahnen und Perſpectiven eröffnet, er hat ſie 
bereits in allen Richtungen mit ſichern Schritten des Triumphes durch⸗ 
meſſen. Was die Bedeutung des Genius in der Weltgeſchichte iſt und 
daß er wirklich mehr wie eine ſinguläre Wundererſcheinung als wie ein 
aus nachweisbaren Factoren gewordenes Product zu betrachten iſt, wird 
an ſeiner Geſtalt auf das Ueberraſchendſte klar. Wer dieſe Einſicht 
gewinnen will, wird ſich freilich von dem gebräuchlichen, in Italien 
und Frankreich beinahe canoniſch geltenden Urtheil über Petrarca loswin⸗ 
den und derjenigen Meinung wieder nähern müſſen, die unter den 
Zeitgenoſſen des Mannes die allgemeine war. 

Hier iſt nämlich nicht weiter vom Sänger Laura's, von feinen 
majeſtätiſchen Canzonen und ſterbensſüßen Sonetten die Rede. Wenn⸗ 
gleich Schöpfungen von ſirenenhaftem Zauber, zeigen ſie ihn doch nur 
als den Meiſter einer melodiſchen Sprache, die er ausgebildet vorfand, 
als gewandten Beherrſcher jener Welt von Liebes vorſtellungen, die un⸗ 
ter einem andern Himmel entſtanden war und dort ihre Blüthe bereits 
ausgehaucht hatte. Und dieſes Gebiet, deſſen Beſchränktheit an ſich 
einleuchtet, beutete er ſo unerſättlich aus, daß er den unzähligen Nach⸗ 
folgern zwar die Wege plattgetreten, aber die Früchte vorweggenommen 


I. Petrarca's weltgeſchichtliche Bedeutung. 13 


hatte. Die Verſuchung, in die er gerieth, ſeine Reime als „frivol“ 
den Flammen zu übergeben, wird nicht größer geweſen ſein als bei 
Hunderten, die ſeit Virgilius damit gedroht, indeß ſprach er von ihnen 
bekanntlich immer nur wie von jugendlichen Spielereien, in welchen er 
dem Geſchmacke des ungelehrten Volkes gehuldigt und von denen er 
die Unſterblichkeit feines Namens nicht erwartete). So dachten auch 
die Beften feiner Zeitgenoſſen, fo urtheilte man noch ein paar Jahr⸗ 
hunderte nach ihm und zwar mit richtigem Inſtinct oder vielleicht 
auch mit noch warmer und dankbarer Anerkennung jener großartigeren 
Leiſtungen, die unſerm Blicke nur deshalb leichter verborgen bleiben, 
weil ſie das in der Tiefe der Vorzeit ruhende Fundament des Gebäu⸗ 
des find, in deſſen ausgebauten Gemächern wir bereits mit Behaglich⸗ 
keit wohnen. 

Der Genius Petrarca's ruht, um vorerſt nur vielen Sinn in ein 
Wort zu drängen, in der von ihm erſchloſſenen Welt des Humanis⸗ 
mus. Nicht nur daß er dem in langen Winterſchlaf gehüllten Alter⸗ 
thum das Erwache zugerufen, daß er eine erſtarrte Welt neubelebt, er 
hat ſie auch in den Kampf mit der ihn umgebenden geführt und aus 
dieſem Kampfe ahnungsvoll ein neues Zeitalter emporſteigen geſehen. 
Hier wies er auf ein Feld mühevollen und unendlichen, aber reichloh⸗ 
nenden Strebens, gab Hunderten von Talenten ihre Richtung, und 
wurde er auch nach wenigen Menſchenleben in mehr als einer Bezie⸗ 
hung ſchon überflügelt, ſo geſchah es nur in der Weiſe, wie der Ent⸗ 
decker des vierten Welttheiles an Kenntniß deſfelben bald freilich einem 
Schulknaben hätte weichen müſſen. Nicht nur in der Literargeſchichte 
Italiens, ſondern in der der civiliſirten Welt, und nicht nur in dieſer, 
ſondern in der Geiſtesgeſchichte der Menſchheit überhaupt, ſoweit man 


) Sonetto I; epist. de reb. famil. VIII, 3. de reb. senil. V, 3; XIII, 10. 
XV, 1 (p. 1047). Auch die Widmung des Tractates de vita solitaria ſpricht wohl 
von den Liedern in tuseiſcher Sprache. Gleich hier ſei bemerkt, daß alle Citate 
aus den lateinischen Werken Petrarca's ſich auf die Ausgabe ſeiner Opera omnia 
Basil., 1554 beziehen. — Ich bedaure allerdings, die Lebensbeſchreibungen Petrarca's 
von Baldelli und Campbell bei der Bearbeitung dieſes Abſchnittes entbehrt zu 
haben. Indeß find die äußeren Umriſſe feines Lebens und das Bibliographiſche über 
feine Werke keines großen Studiums mehr bedürftig. Wem es nur darum zu thun 
ift, der findet z. B. in dem Artikel, den Blanc für die Allgemeine Eueyklopädie der 
Wiſſenſchaften und Künſte lieferte, genügenden Aufſchluß. Aber wahr mag es den⸗ 
noch bleiben, was Bettinelli bemerkte, daß die dreißig Lebensbeſchreibungen des 
Laura Sängers uns nur Eine wünſchen laſſen, die feiner würdig wäre. 


14 I. Petrarta nad der Schalmeier. 


dieſen Begriff auch faffen mag, glänzt Petrarca's Namen als an Stern 
erſter Größe, und er würde nicht geringer erſcheinen, wenn er auch nie 
einen Vers in der Sprache von Si gedichtet. 

Wer das Thun eines ſolchen Mannes zu ſchildern und ſeinen G. 
dankengängen zu folgen unternimmt, wird immer feine Geſichtspuncte 
beſchränken, ja eingeſtehen müſſen, daß viele ihm verſchloſſen geblieben 
fein und glücklicheren Forſchern vielleicht aufleuchten mögen. Genug, 
wenn es gelänge, durch die Hüllen zum Kerne zu dringen. Wir möch⸗ 
ten vorzugsweiſe diejenigen Momente aus Petrarca's Leben und Stre⸗ 
ben darlegen, in denen er gleichſam tonangebend für die ihm nachfel⸗ 
genden Jünger und Schulen des Humanismus geworden iſt. Denn es 
iſt überraſchend, wie ſich bei ihm nicht nur Geiſtes richtungen, ſondern 
aus ihnen ſelbſt Geſinnungen und äußere Lebensverhältniſſe herausbil⸗ 
deten, denen wir dann Jahrhunderte lang auf jedem Schritte durch das 
literariſche Gebiet wieder begegnen. 


Die erſten Auregungen eines reichbegabten Geiſtes find oft die be⸗ 


ſtimmendſten, immer aber am ſchwerſten nachzuweiſen. Einen Lehrer 
von Bedeutung hat Petrarca nicht gehabt. Der alte Schulunsiſter, der 
ihm zu Avignon die erſten Elemente der Grammatik und der herge⸗ 
brachten Rhetorik einprägte, war es ſicher nicht. Zur Zeit, da Pe⸗ 
trarca noch ein Jüngling war, hatte jener bereits, wie man ſagte, 
ſechszig Jahre lang Schule gehalten, eine Generation wie die andre 
behandelt, immer aber in Armuth und Noth gelebt. Ex war ganz 
ſtumpfſinnig geworden und es beherrſchte ihn die ſonderbare Vorſtellung, 
daß er Bücher ſchreiben müſſe, doch über einen ſehr wunderlich gewähl⸗ 
ten Titel und über das Prosmium kann er nicht hinaus. Petrarca 6 
Vater ließ dem armſeligen Greis manche Unterſtützung zukommen und 
das that nach ſeinem Tode auch der Sohn, der überdies der ganze 
Stolz des Lehrers war. Wenn dieſen der Cardinal Giovanni da Co⸗ 
lonna ſcherzend fragte: Nun ſagt mir, Magiſter, gehört zu Euren gro⸗ 
ßen Schülern, die Ihr ſo zärtlich liebt, nicht auch unſer Franciscus? 
dann ſtiegen dem ehrlichen Grammatiker ſogleich die Thränen in die 
Augen, er ging mit rührendem Schweigen bei Seite oder er ſchwur 
hoch und theuer, nie habe er einen Schüler ſo ſehr geliebt. Man 
wußte, daß der junge ae dem Alten ein Gegenfians . 
Schwärmerei war. 


Y Petrarca epiat. rer. senil. XV. 1. Filippo Villani (bei Mehus Vita 


5 


I. Petraten als junger Schöngeiſt und Inriſt. 15 


Pekrarca's Vater beſaß einige Schriften Cicero's umd hielt ſte in 
ren, doch mehr wegen des juriſtiſchen Intereſſe. Sie fielen in die 
Hände des Knaben, noch bevor dieſer von ihrem Inhalt und Werth 
eine Vorſtellung haben konnte, und während ſeine Spielgenoſſen ſich 
mit ver Schulgrammatik und den äſopiſchen Fabeln abquälten, freute 
er ſich bereits des majeſtätiſchen Klanges und des ſüßen Wohllautes 
der lateiniſchen Worte. Je mehr er verſtehen lernte, deſto mehr ſchien 
ihm Cicero's Sprache alles Andere zu übertreffen.) Wir ſehen wohl, 
wie das Ohr, der Sinn für Klang und Rhythmus dasjenige Organ 
war, durch welches er zuerſt und am eigenthümlichſten auffaſſen lernte, 
durch welches er aber auch gerade zu jenem Gefühl für Formenſchön⸗ 
heit geleitet wurde, welches der Welt des Mittelalters am meiſten ver: 
loren gegangen war. Vers und Wohlklang waren ihm wie angeboren.) 
Selbſt' ſeine Stimme, fo rühmt Filippo Villani, war fo tönend und 
füß, daß man nicht fatt werden konnte, ihn anzuhören. Auch wird in 
Mefer Sphäre der Zufammenhang erkennbar zwiſchen dem, was Pe⸗ 
trarca in lateiniſcher, und dem, was er in tusciſcher Sprache erſtrebte. 
Die gereimten lateiniſchen Hexameter, die er in jüngeren Jahren ge⸗ 
dichtet, darf man als einen Uebergang anſehen. 

Dieſe Liebhaberei für das Muſicaliſche der lateiniſchen Sprache 
und des antiken Verſes wuchs unter einem äußeren Drucke deſto leben⸗ 
diger hervor. Petrarca ward von ſeinem Vater für das Brodſtudium 
ber Rechte beſtimmt und ſieben Jahre lang auf den Hochſchulen zu 
Montpellier und Bologna mit Strenge dazu angehalten. Die Schrif⸗ 
ten Cicero's und der römiſchen Dichter wurden nun eine verbotene 
Frucht, um deren Genuß er oft ausgeſcholten wurde und die er vor 
dem Zorne des Vaters im Verſteck hüten mußte. Dennoch als es einſt 
eine Scene zwiſchen beiden gab, riß der Vater alle die Bücher, die den 
ſchöngeiſtigen Jüngling von feinen Rechtsſtudien abzuhalten ſchienen, 
aus dem Verwahrſam im Bette und unter dem Bette herdor und über⸗ 
gab fie vor feinen Augen dem Feuer. Erſt als er ſah, wie Francesce 


Ambr. Travers. p. 195) nennt den alten Lehrer Couvennole (beſſer Convenevole) 
da Prato. ef. ibid. p. 208. 
1) Sola me verborum dulcedo quaedam et sonoritas detinebat, ut quicquid 
aliud vel legerem vel audirem, raucum mihi longeque dissonum videretur. 
2) Er ſelbſt jagt: Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos: 
Quicquid tentabam dicere, versus erat. 
Filippo Villani l. c. p. 196. 


16 I. Petrarca als Verehrer Virgils und Cicero’. 


bitterlich weinte und gleich einem Ketzer daſtand, der ſelbſt dem Flam⸗ 
mentode geweiht iſt, rettete er noch einen Virgilius und die Rhetorik 
Cicero's vor dem Untergange: nimm jenen, ſagte er lächelnd, zu einer 
feltenen Erholung des Geiſtes, dieſen zum Beiſtand in den Rechtsſtu⸗ 
dien! Was half es? der Genius brach ſich doch ſeine eigene Bahn, 
warf das bürgerliche Recht bei Seite und eilte mit weiten Flügeln den 
Höhen des Parnaſſes zu.) Virgilius und Cicero — fie waren gerade 
die beiden hellen Puncte, die zuerſt wieder aus dem Nebel des Alter⸗ 
thums aufſtrahlten. Von ihnen ausgehend, erſchloß ſich Petrarca 
die neue Welt voll Schönheit und wunderbarer Weisheit. Sie ſind 
ihm die beiden Väter der römiſchen Eloquenz, die Augen der lateini⸗ 
ſchen Sprache.) Den Virgilius hat das ganze Mittelalter in Ehren 
gehalten, aber bald wie einen unheimlichen Wahrſager und Schwarz⸗ 

künſtler, deſſen man ſich zu ſpukhaften Dingen bedienen könne und bei 
deſſen Grabmal an der Via Puteolana der Eingeborene mit einem ge⸗ 
wiſſen Grauſen vorüberging, bald wie einen halben Heiligen. Petrarca, 
den noch Papſt Innocenz VI für einen Zauberer hielt, weil er den 
Virgilius leſe '), ſah in ihm den ſinnreichen, gottbegeiſterten, melodi⸗ 
ſchen Sänger. Cicero war bisher ein geachteter Name geweſen, aber 
vor ihm, darf Petrarca ſagen, hätten nur ſehr Wenige ſeine Werke 
ſtudirt, er habe zuerſt ſeine Verehrung in Schwung gebracht. Was 
Andere trocken und nüchtern hinſchwatzen, das hat Cicero geiſtreich und 
blühend geſagt; zum Nutzen kommt die Ergötzung und zur Majeſtät 
des Inhalts der Glanz und die Würde der Worte, *) Er iſt die ſtrah⸗ 
lende Sonne der Eloquenz, neben der ſelbſt Salluſtius, Livius und 
Seneca erbleichen. „O erſter Fürſt der römiſchen Wohlredenheit — 
ruft Petrarca aus — nicht nur ich, ſondern wir Alle danken dir, die 
wir uns mit den Blumen der lateiniſchen Sprache ſchmücken. Denn 
mit deinem Quell wäſſern wir unſre Gefilde. Gern bekennen wir, daß 
wir, von dir geleitet, durch dein Vorbild auf den Weg gewieſen, in 
deinem Namen ſelber verherrlicht, gleichſam unter deinen Auspicien zu 


) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1. Villa ni l. c. 
2) Petrarca Rer. memorand. Lib. II. (Opp. p. 461); Trionfo della Fama 
opt. III, 16 e seg. 
3) Petraroa epist. rer. senil. I, 3. 
a ) Petrarca de vita solitaria Lib. II. sect. VIII cp. 2; cf. Praefat. in n Epistt. 
famil. (Opp. p. 634). 


I. Petrarca als Kuwait der Poeſte. 8 17 


unſerer Kunſt ves Schreibens gekommen ſind, wie en fie auch 
ſei.“ 9. 

Wohl hat ſich Petrarca erlaubt, an Cicero's politischem und mensch 
lichem Charakter ein wenig zu kritteln, da ja auch Auguſftinus in ſei⸗ 
nem „Gottesſtaate“ nicht Alles gebilligt, was Cicero geſagt; dennoch 
ift er bereit, Männer wie ihn und Seneca „gleich Gottheiten zu ver⸗ 
ehren.) Und dieſe Gefinnung, die ihn in frühen Jugendjahren ange- 
facht, bewahrte er noch als Greis. Als er im „Triumphe des Ruhmes“ 
die Helden des Alterthums im Gefolge der Ruhmesgöttin voranſchreiten 
ſah, ging der Mantuaner ebenbürtig neben Homeros, ihm folgte Mar⸗ 
cus Tullius, unter deſſen Füßen das Kraut grünt, an dem die Blu⸗ 
men und Früchte der Eloquenz ſich darlegen. 

Es ſtand in der That jo, daß Begriff und Name der Poeſte erſt 
wieder zu Ehren gebracht werden mußten. Der Dichter, hörte man 
einfach behaupten, macht die Lüge zu ſeinem Beruf, und die antiken 
Dichter verführen noch dazu zur Frivolität, zu ſchändlichen Laſtern und 
zum Heidenthum. Selbſt Virgilius wurde von Manchen nicht aus⸗ 
genommen. Schon als Jüngling ſah, ſich Petrarca veranlaßt, gegen 
einen ſolchen Verächter eine Vertheidigung der Poefie und eine Ehren⸗ 
rettung Virgils zu ſchreiben.) Und mit demſelben Feuer nahm er 
ſie noch als Greis gegen diejenigen in Schutz, welche über die Frivoli⸗ 
täten und Obſcönitäten der römiſchen Dichter nicht hinweg konnten. 
Den ſtrengen Theologen ſtellte er entgegen, daß auch Hieronymus, Lac⸗ 
tantius und Auguſtinus ſich den redenden und dichtenden Künſten, der 
Philoſophie und Geſchichte ergeben und ohne ſolche Studien ſchwerlich 
die Ketzer ſo glorreich bekämpft hätten, daß auch die Poeſie endgültig 
durch einen guten und frommen Genius das Lob Chriſti und der wah⸗ 
ren Religion verkündigen jolle. *) 

Mit hohem Stolze nannte ſich Petrarca einen Dichter, Poeta; 
zwiſchen einem „Gedicht“ und „Reimen“ zeg er eine ſcharfe Scheide⸗ 
linie. Jenes konnte die lateiniſche Sprache und die antike Form nicht 
entbehren und auch dem Inhalte nach wurde ſoviel Alterthum hinein⸗ 
gebracht als irgend möglich, Nachbildungen altrömiſcher Dichtung und 
unmittelbare Reminiscenzen aus ihr. Um ſo zu dichten, mußte man 


) Petrarca epist. II. ad viros quosdam ex veteribus illustres. 
) Petrarca epist. var. 27. 

) Epist. rer. senil. IV, 4. | 
) Epist. rer. senil. I. 4; XIV, II. 


Voigt, Humanismus, N 2 


18 I. Petrarca's Begriff von der Poeſie. 


tüchtig ſtudirt haben. Die Reime waren ein gentales Jongleurſpiel mit 
Wörtern, Bildern und Gefühlen. Die Reime Petrarca's ſind nie ver⸗ 
klungen, noch nach Jahrhunderten haben Tauſende ihnen mit Entzücken ge⸗ 
lauſcht; die Gedichte durchblättert nur noch hin und wieder der Gelehrte, 
nicht um des Genuſſes willen, den er leichter und reiner am Borne des 
Alterthums ſelber ſchöpft, fondern wegen der Notizen, die darin verſtreut 
ſind, und um ſich eine Anſchauung zu bilden, die den Dichter ſelbſt 
gewiß wenig erbauen würde. Die Gedichte aber waren damals das 
neue und unerhörte Verbienft, die Brücke, die zu den herrlichen Schöpfun⸗ 
gen des Alterthums führte, und an ſich Schöpfungen, in denen Pe⸗ 
trarca einzig daſtand, durch welche er den Lorbeer auf dem Capitol 
verdiente. Er ſelbſt hat ſich über die Ehre, welche die Welt dem Dich⸗ 
ter ſchuldet, oft und feierlich genug ausgeſprochen. „Die Dichter ſtrah⸗ 
len im Ruhme, in ihrem Namen und in der Unſterblichkeit, die ſie 
nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch andern erwerben; denn ihnen iſt es 
vor andern gegeben, der Vergeſſenheit der Namen vorzubeugen. Auch 
die Tugend (der Tugend hafte) bedarf ihrer Hülfe, zwar nicht an ſich, 
aber doch deshalb, weil ſie mit den Laſtern und mit der en 
im Streite liegt.“) 

Bei dem hohen Range, den er für den Dichter beansprucht, tft es 
merkwürdig, daß Petrarca über die Dichtkunſt den engherzigen Begriff 
beibehielt, den die Virgilius⸗Verehrung früherer Jahrhunderte mit einem 
myſtiſchen Chriſtenthum zuſammen erzeugt hatte. Auch er nämlich ſetzt 
das Weſen der Dichtkunſt in die Allegorie und ihren Endzweck in die 
Moral. Als Handwerkerſeelen bezeichnet er diejenigen, denen in den 
Werken der Poeſie der feine allegoriſche Sinn verborgen bleibt; er 
findet denſelben überall, zumal im Virgilins und im Texte der heiligen 
Schriften. „Es iſt die Bemühung des Dichters, die Wahrheit in ſchöne 
Hüllen zu kleiden, fo daß fie dem ungebildeten Pöbel verſchloſſen bleibt, 
dagegen für den geiſtvollen und gelehrten Leſer zwar mühſam zu ſuchen, 
aber deſto ſüßer iſt, wenn er fie gefunden.“) Go find wir in der 
That ſehr überraſcht, wenn wir Petrarca's Eclogen ohne beſonderes 


) Lib. I. Inveetivarum contra medicum quendam (Opp. p. 1905). 

) Ibid. Offenbar nach dieſer Stelle oder vielleicht von Petrarca ſelbſt iſt der 
Beruf des Poeten in feinem Dichterprioilegium vom 9. April 1343 (ſo in den Opp. 
p. 1254, richtiger vom 8. April 1341) dargelegt: Virtutem rei sub amoenis colori- 
bus absconditam — — altisonis oelebratam carminibus et dulois eloquii suavi- 
tate respergat, quae sit quaesitu difficilier magis atque inventa dulceseat. 


I. Petrareca's Begriff don der Poefle. 19 


Intereffe geleſen und nun von Boccaccio hören, daß er hier unter der 
Hülle von Hirtengeſprächen das Lob des wahren Gottes und der heili⸗ 
gen Trinität und zugleich ihren Zorn über die ſchnöde Lenkung des 
Schiffleins Petri geſungen.) Wir leſen jene Gedichte aufmerkſamer 
noch einmal und finden nun allerdings die Anſpielungen auf Avignon, 
feine Päpfte und Eardinäle, die bildliche Bedeutung von Hirt und Heerde 
und dergleichen mit leichter Mühe heraus. Das Geheimniß ift alſo nichts 
mehr, als was Petrarca unzählige Male in deutlicher, ſchlichter Proſa 
ausgeplaudert. Gehen wir aber mit jener Vorausſetzung an die „Africa“, 
fo müſſen wir unſer völliges Unverſtändniß beklagen. Viel leichter ließe 
ſich jene Symboliſtrung bei den italieniſchen Reimen Petrarca's durch⸗ 
führen, und ſchon einer ſeiner Freunde hat die Meinung aufgeftellt, 
unter der gefeierten Madonna Laura dürfe wohl der Lorbeer und unter 
diefem die Sehnfucht nach dem Dichterruhme zu verſtehen fein. Bon 
den „Triumphen“ iſt es gewiß, daß ſich Petrarca darin gefiel, fie mit 
geheimnißvollen Andeutungen auszuſtatten, nur find hier die Bezüge 
weniger von ſinnbildlicher Natur wie bei Dante, mit dem er vielleicht 
in Wetteifer treten wollte, als vielmehr Räthſel⸗ Aufgaben, die durch 
claſſiſche Gelehrſamkeit, verbunden mit einigem Scharffinn, ohne Schwie⸗ 
rigkeit gelöſt werden können. Auch kam es Petrarca ſelbſt wohl nur 
beranf an, die Fülle feiner hiſtoriſchen und mythologiſchen Kenntniſſe 
zu zeigen, wie denn überhaupt fein Stolz auf den allegoriſchen Sinn 
3 Poeſien vom Beigeſchmack der Charlatanerie nicht ganz freizu⸗ 
ſprechen ift | 
Die Dichter, fagt Petrarca einmal, find ſchon felten, aber feltener 
noch find die Redner.) Unter Beredtſamkeit verſteht er weniger die 
Kunſt, durch das Wort auf einem Forum zu wirken, als vielmehr vie 
Fähigkeit überhaupt, feine Gedanken durch künſtlichen Wortputz eindring⸗ 
licher, anziehender zu machen, alſo die Wohlredenheit oder Eloquerz. 
Seine Abhandlungen und ſeine Briefe hielt er für nicht minder ewig 
als ſeine Gedichte, durch feine Proſa verdiente er den Lorbeerkranz nicht 
weniger. Und in der That, er hat dieſe Eloquenz aus dem Alterthum 


N) De Genealogia Deorum XIV, 10. 32. und Comento sopra la Commedia 
# Dante cap. 1 (Opere vol. V. Firenze, 1724) p. 35. cf. Mehus Vita Ambros. 
Travers. p. 256. — Schon bei Petrarca’s Lebzeiten verfuchte ſich Mancher in der 
Erklärung ſeiner Gedichte. 

*) De remedio utriusque fortunae Lib. 2: dial, 102: insignis poetarum, 
major oratorum raritas. EN 


3° 


E I. Petrarca's Latinität. 


in ſein Zeitalter hinübergepflanzt, er iſt ihr Vater in der modernen 
Welt geworden. 

Auch hier müſſen wir einem se Urtheil entgegentreten, 
welches ſeit 400 Jahren aus einem Buche ins andre gewandert iſt und 
doch zuletzt der naiven Meinung der Zeitgenoſſen gegenüber kleinlich 
erſcheint. Man hat nämlich über die Selbſtgefälligkeit, mit welcher 
Petrarca von ſeinem Stil zu ſprechen pflegt, und über den Beifall, 
den feine Freunde demſelben zollten, nicht genug lächeln und den Vor⸗ 
zug ſpäterer Zeiten nicht genug rühmen zu können geglaubt. Man hat 
an ſeinem Latein gemäkelt, es ſei doch zu voll von grammatiſchen Feh⸗ 
lern und Barbarismen, der Satzbau ſei oft noch recht unklar und un⸗ 
geſchickt, die Redeweiſe bald durch Alterthümeleien verziert und ver⸗ 
ſchroben, bald ohne alle Eleganz, die Tractate ſeien mit claſſiſchen 
Gemeinplätzen überfüllt, die Briefe weitſchweifig und redſelig. End⸗ 
lich hat man, gleichſam aus Mitleid und um den gefeierten Namen 
zu retten, die Schuld auf die allgemeine Geſchmackloſigkeit und Bar⸗ 
barei des Zeitalters geſchoben und Petrarca doch aus Gutmüthigkeit 
einen kleinen Antheil an dem Ruhme gegönnt, den ſeine Nachfolger 
eingelegt haben.) | 

Wir find durchaus nicht gemeint, in Betrarca’g lateiniſcher Proſa 
ſtiliſtiſche Muſterſtücke finden zu wollen. Aber wir ſuchen in großen 
Literatoren auch keine Stilmeiſter, die für den Schulgebrauch immerhin 
ihren Werth haben mögen, in reiferen Jahren aber die Geiſtasentwicke⸗ 
lung eher hemmen als fördern. Wir ſehen im Stil den Ausdruck einer 
Perſönlichkeit und meſſen den Werth deſſelben nicht nach dem äſtheti⸗ 
ſchen Vergnügen, das er uns bereitet, ſondern nach der Einwirkung, 
die er oder vielmehr die Perſönlichkeit ſelbſt auf ſpätere Geſchlechter 
geübt hat. In dieſem Sinne war Petrarca der erſte Schriftſteller der 
neueren Zeit, der überhaupt einen Stil ſchrieb. Denn er ſchrieb eben 
frei heraus, wie ein lebhafter und angeregter Menſch ſpricht, erzählt, con⸗ 
verſirt. Während der ſcholaſtiſch⸗gebildete Geiſt wohlgezähmt und einge⸗ 


) Einige ältere Urtheile der Art werden wir im dritten Buche noch erwähnen. 
Sie find in derſelben Weiſe noch in den neueren Literargeſchichten nachgebetet worden. 
Vergl. z. B. Tirabeschi Storia della letteratura Italiana T. V. 2a edis. (Mi- 
lano, 1823) p. 820, wo die für die Kenntniß jener Zeit brauchbaren infinite notisie 
und die Aufrichtigkeit Petrarca's als Gegengewicht dienen müſſen! 

) Epist. de reb. famil. VI, 4. Praefat. in Epistt. famil.: soribendi enim 
mihi vivendique unus finis erit. 


yo. 


* 


I. Petrarca's Latinität und Stil. 21 


ſchukt am Leitfeil der Logik geführt wird, hat Petrarca dieſe Krücken 
von ſich geworfen, das Wort iſt bei ihm wieder der unmittelbare Aus⸗ 
druck der Seele geworden. Er will ſich im Schreiben frei bewegen 
und gehen laſſen, er will nicht nur ſeinem Jahrhundert nützen und 
andere belehren, ſondern ſchreiben, um ſeinen Geiſt der drängenden 
Falle zu entlaften und zu erheitern, er will nicht Menſch fein und 
nebenbei Schriftſteller, ſondern Schreiben und Leben iſt ihm eins.) 
Alle feine Schriften, zumal feine Briefe, waren zunächſt für ihn ſelbft 
von Wichtigkeit und Nutzen. Was man als Weitſchweifigkeit und Ge⸗ 
ſchwätze bezeichnet hat, iſt vielmehr die behagliche Plapperhaftigkeit eines 
Kindes, das ſeine Freude nur an dem mühſam erlangten Gebrauch der 
Sprache hat und wie durch Inſtinct zu ihrer eifrigen Uebung getrieben 
wird. Die Fülle der neuen Anſchaunungen und Kenntniſſe, verbunden 
mit dem freudigen Gefühl des leichten Ausdrucks, drängt zur Mitthei⸗ 
lung. Da erhält jeder Einfall, das heißt der Zufall der Geiſtesope⸗ 
ration, den ein ſcholaſtiſcher Dogmatismus zurückgewieſen haben würde, 
ſofort ſein Recht. Wenn Petrarca dem Cardinal Colonna erzählen 
will, mit welchen Gedanken er in Rom umhergewandelt ſei, ſo fällt 
ihm bei dem Worte „Umherwandeln“ die peripatetiſche Schule ein und 
er kann nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit ſeine Meinung über die 
verſchiedenen alten Philoſophenſchulen und ihr Verhältniß zur chriſtlichen 
Lehre darzulegen, um dann plötzlich wieder abzubrechen und von den 
Alterthümern Rom's weiter zu erzählen.) Gerade eines ſo beweg⸗ 
lichen Geiſtes bedurfte es, um mit der dürren ſcholaſtiſchen Methode 
zu brechen. Ihr gegenüber den freien Menſchen geltend zu machen, 
das war Petrarca's ſchriftſtelleriſcher Beruf, das war die edelſte Frucht 
feiner claffiſchen Studien. 

Neben dieſem großartigen Bemühen, welches von ſeinen Zeitge⸗ 
noſſen bewundert, wenn auch natürlich nicht mit Reflexion ausgeſprochen 
wurde, ift die Latinität oder der Ciceronianismus des Stils nur ein 
unbedeutender Zuſatz. Jenes Streben allein würde Petrarca nicht min⸗ 
der epochemachend erſcheinen laſſen, wäre auch ſein Latein noch zehn⸗ 
mal ſchlechter geweſen. Indeß lag auch die Herſtellung einer reineren 
und edleren Sprache ihm am Herzen und ſo ſehr er darin übertroffen 
worden iſt, hat er dennoch Bewunderns würdiges geleiftet. Nur muß 
man ſein Latein nicht neben das eines Politianus, Bembus oder Mu⸗ 


) Epist. de reb. famil. VI, 2. vom Jaunar 1337. 


22 I. Petrarcs's Schwärmerei für das Alterthum. 


retus ſtellen, ſondern neben das mönchiſche früherer. Zeiten, welches er 
ſelbſt gelegentlich mit einem verkrüppelten Baume vergleicht, der weder 
grüne noch Früchte trage,) Man bedenke, daß er das alte Idiom 
eigentlich ohne grammatiſche Grundlage gelernt — denn die elementare 
wird man fo nicht nennen können — daß er nur allmählig in den Befig 
verſchiedener alter Autoren und beſſerer Handſchriften gelangte, daß 
er allein nach dem alterthümlichen Ausdruck, nicht nach dem des gol⸗ 
denen Zeitalters ſtrebte. Auch liegen ſeine Schriften in einer ſo ver⸗ 
derbten Geſtalt vor uns, daß ſeine Schuld und die ſpäterer Abſchreiber 
und Drucker für's Erſte nicht geſondert werden können. Und wenn er 
in ſeinen Werken oft den Rand voll Verbeſſerungen ſchrieb und gewal⸗ 
tig am Texte feilte, ſo iſt das eine an ſich bedeutungsvolle Erſcheinung, 
gleichviel was er dadurch erreichte. 

Von der Freude am ſüßen Klange virgiliſcher Verſe und tulliani⸗ 
ſcher Rede war Petrarca ausgegangen. Die Schönheit der rhythmi⸗ 
ſchen Formen und der melodiſche Reichthum des claſſiſchen Latein feſ⸗ 
ſelten ihn immer mehr, je aufmerkſamer ſein Ohr ihnen lauſchte und je 
emſiger er ſich in Nachbildungen verſuchte. So mächtig war ſchon dieſe 
erjte Berührung mit dem Alterthum, daß feine Bewunderung ihn ganz 
in Feſſeln ſchlug, daß ſein Schritt wie von Geiſterhand vorwärts und 
immer vorwärts gezogen wurde, bis er mit ſeinem edelſten Sinnen und 
Trachten ganz in dieſer neuen alten Welt lebte und von hundert Zaubern 
in ihren Bann geſchlagen, ein ſchwärmender Verehrer ihrer Größe wurde. 
Was er von den Alten gelernt, war ihm mindeſtens von gleichem Werthe 
mit dem, was ſein Geiſt ſelbſtſtändig ſchaffen mochte, ja er würde den 
ihm eigenthümlichen Gedanken gern dem claſſiſchen unterordnen.) Er 
fühlte, daß er durch das Alterthum Alles geworden, was er war, und 
ſo vermengte er leicht die Hoheit des Alterthums mit ſeiner hohen 
Meinung von ſich ſelbſt. Er hätte ein Träumer oder ein Wahnwitzi⸗ 
ger werden müſſen, wenn nicht zugleich dieſes ſtarke Gefühl ſeiner ſelbſt 
ſich in ihm erhoben und ihn mit der Mitwelt in Verbindung erhalten 


) &in Lexicon Petrarchicum, gleichſam ein ſtikiſtiſches Sündenregiſter, lieferte 
C. E. Chr. Schneider in feiner Ausgabe von Franc. Petrarchae Historia Juli 
Caesaris, Lips., 1827. Prooem. p. XXXXII sq. 

) Eine merkwürdige Aeußerung in epist. de reb. famil. VI, 2: Testatus sum 
tamen, me nihil novum, mihil fere meum dicere, immo vero nihil alienum; 
omnia enim, undecunque dicimus e Bora sunt, nisi forsan abstulerit 
en nobis oblivio. * e = . 


J. Petraven ſucht Cicers's Schriften. 2 


Uötte, die verſinkende Schwärmerei durch zurückbeziehende Perſönlichkeit 
eufwiegend. So ging er denn mit Begeiſterung und doch auch mit 
nüchterner Thätigleit an das Werk, das ihm als würdigſte Aufgabe 
feines Meuſchenlebens erſchien, an die Neubelebung des erſtorbenen und 
begrabenen Alterthums. 

Unter dem Himmel der Provence, wo ſein Genius erwachte, wa⸗ 
ven Bücher die einzigen Monumente, die lebhaft an das alte Rom er» 
innerten. Er wurde gewahr, wie die Schriften der Alten, in Staub 
und Moder verborgen und zum Theil ſchon verloren, dem vollſtändigen 
und ewigen Untergange unvermeidlich anheimfallen mußten, wenn nicht 
bald die rettenden Hände ſich zeigten. Dieſer Drang zu retten, ver⸗ 
einigt mit dem Wunſche des Beſitzens, warf ſich natürlich zuerſt auf 
die Schriften Cicero's, der mehr als andere Autoren in Vergeſſenheit 
geſunlen war. Noch Dante hatte nur die Bücher über das höchſte 
Gut, über die Freundſchaft, über das Alter, über die Pflichten, die 
Paradora und die Rhetorik gekannt.) Man ſieht, wie ſich die philo⸗ 
ſophiſchen Schriften Cicero's noch in einigem Anſehen erhielten, wäh⸗ 
rend die eigentlichen Fundgruben der Eloquenz völlig ins Dunkel zu⸗ 
ruͤcktraten. Seine Briefe waren durchaus vergeſſen. Von alten Reden 
las man im 12. und 13. Jahrhundert nur die catilinariſchen, die Phi⸗ 
Impiten, einen Theil der Verrinen, die für den mantliſchen Gefetzes⸗ 
vorſchlag und vielleicht einige kleinere, ſicher nicht über zwölf, und alle 
nur ſelten.) Welcher traurige Reſt! aber wie viel war da auch noch 
zu finden! und auf wie vieles Andere hat das Suchen geführt! 

Schoen als Jüngling war Petrarca mit großem Eifer bemüht, die 
Werke Cicero's zu ſammeln; denn ſeine Vergötterung dieſes Römers 
wuchs durch Alles, was er von ſeinen Schriften las oder über ihn hörte. 
Wie groß war zum Beiſpiel feine Freude, als er fand, daß ſchon Quin⸗ 
tiltanus den Cicero hoch über Seneca geſtellt. Jede Andeutung anderer 
Autoren über ſolche Werke Cicero's, die er noch nicht beſaß, war ihm 
ein heftiger Sporn, fie zu ſuchen. Befand er ſich auf Reifen und ſah 
irgend ein altes Kloſter aus der Ferne auftauchen, ſo war ſein erſter 
Gedanke: wer weiß, ob hier nicht etwas von dem ſein möchte, wonach 


) So ſchließe ich daraus, daß ich nur dieſe Werke in Dante 's poetiſchen und 
proſaiſchen Schriften erwähnt gefunden. 

) Cf. Adami Clerici Flores historiarum bei Meh us Vita Ambr. Tra- 
vers. p. 212; B. G. Niehuhr in edit. Ci ceronis Oratiemum pro M. e 
et pro C. Rabirio. Romae, 1820. p. 86. 


24 | I. Petrarca ſucht nach Cicero’ Schriften. 


mich ſo fehr verlangt. Etwa in ſeinem 25. Jahre kam er nach Lüttich 
und da er hörte, daß es hier viele alte Bücher gebe, entſchloß er ſuh 
ſofort zum Bleiben. Zwei neue Reden Cicero's waren der glückliche 
Lohn: die eine ſchrieb er mit eigener Hand ab, die andere copirte ihm 
ein Freund, beide wurden durch ihn in Italien verbreitet.) Wie groß 
die Gefahr des Verluſtes geweſen, macht er dadurch anſchaalich, daß 
es ihm in der gewerbreichen und blühenden Stadt viel Mühe gekoſtet, 
etwas Tinte aufzutreiben, die noch dazu mehr ſaffranfarben als ſchwarz 
war.) Unaufhörlich regte er feine Freunde und Bewunderer an, in 
den alten Klöſtern nachzuſpüren und bei gelehrten Männern nachzufra⸗ 
gen. Nach Rom und Tuscien, nach Frankreich und Spanien, nach 
Deutſchland und Britannien ſchickte er Bitten und Mahnungen, Geld⸗ 
beträge, Zettel, auf denen er verzeichnet, nach welchen Schriften ſein 
Sinn am meiſten ſtehe. Selbſt in Griechenland fragte er nach Werlen 
Cicero's an, erhielt aber ſtatt ihrer einen griechiſchen Homeros. Oft 
hatte er nicht die geringſte Hoffnung, das Erwünſchte zu erhalten, und 
wollte durch fein Antreiben nur Nachforſchungen veranlaſſen; oft erhielt 
er nach begierigem Warten nur ſolche Schriften, die er bereits in meh⸗ 
reren Exemplaren beſaß.) Faſt von jeder größeren Reiſe brachte er 
irgend eine Schrift Cicero's mit, die er bis dahin nicht gelaunt; von 
andern lernte er nur den Titel kennen und den Verluſt betrauern.) 
An Cicero's Büchern von der Republik verzweifelte er nach langem 
vergeblichem Suchen. Aber die Werke „vom Troſtee« und „vom Lobe 
der Philoſophie “ meinte er immer noch finden zu müſſen. Letzteres 
las er von Auguſtinus in einer Weiſe erwähnt, die ihn auf das Höchſte 
geſpannt machte: wie bedeutend mußte ſein Inhalt ſein, wenn dieſer 
ehrwürdige Mann der Kirche geſtand, es habe ihm zu ſeiner Bekeh⸗ 
rung und zu ſeiner Erkenntniß der Wahrheit viel genützt. Lange hatte 
Petrarca geglaubt, die genannte Schrift Cicero's zu beſitzen; nur konnte 
er durchaus nicht finden, was Auguſtinus fo beſonders zu ihr hinge⸗ 
zogen haben möchte. Endlich entdeckte er in Auguſtinus' Werke von 
der Dreieinigkeit eine jener Schrift entnommene Stelle, von der in 
ſeinem Exemplar kein Wort ſtand. Der Irrthum wurde ihm nun klar: 


1) Wohl in Bezug hierauf erwähnt er epist. famil. XIII, 6, daß er von ſeiner 
Streifpar tie durch Deutſchland die Rede Cicero's ie den Archias mitgebracht habe. 

) Epist. rer. senil. XV, I. 

) Epist. rer. famil. III, 18. senil. III, 9; XV, 1. 

) Rer. memorand. Lib. I. (Opp. p. 447). = 


I. Petrarca uud Cicero’s Schrift vom Ruhme. 25 


eine fulſche Auffchrift feines Buches hatte ihn getäuſcht. Aber daß es 
gleichfalls von Cicero war, darüber ließ ihm "feine himmliſche, unnach⸗ 
ahmliche Eloquenz, keinen Zweifel. Später lernte er vermittels eines 
Codex, den er in Neapel geſchenkt erhielt, daß dieſes Werk, welches er 
Mir das „Lob der Philoſophie gehalten, nichts weiter ſei als ein Stück 
der Academica, und im Aerger über die Enttäuſchung erlaubte er ſich 
über dieſe letztere Schrift ein ziemlich geringſchätziges Urtheil.) 
Nicht vergeſſen konnte Petrarca den Verluſt der Bücher Cicero's 
„vom Ruhme“. Einſt erhielt er nämlich von Raimondo Sopranzo, 
einem alten Curialen, ver viele Bücher beſaß, aber als Juriſt von Fach 
unter den Autoren des Alterthums nur am Livius ſeine Freude hatte, 
einen Band vermiſchter Schriften zum Geſchenk: darunter waren Ci⸗ 
cero's Bücher „vom Redner“ und „von den Geſetzen“ in der mangel⸗ 
haften Geſtalt, in der man ſie damals allgemein las, „die beiden vor⸗ 
trefflichen Bücher vom Ruhme“ und einige Schriften Varro's.“) Dieſen 
Band und einen andern, der gleichfalls Schriften Cicero's enthielt und 
Petrarca ein theures Erbſtück von ſeinem Vater war, lieh er einſt ſei⸗ 
nem alten Lehrer, von dem wir oben erzählt. Die Armuüth verleitete 
dieſen zur Unehrlichkeit: er verpfändete die Bücher, gab Petrarca auf 
ſeine Mahnungen hinhaltende Antworten, ſchämte ſich auch wieder, die 
Bücher von ihm auslöſen zu laſſen, und war plötzlich, während Pe⸗ 
trarca an den Quellen der Sorgue verweilte, aus Avignon verſchwun⸗ 
den. Er war nach feiner tusciſchen Heimath zurückgezogen und ließ 
nichts mehr von ſich hören. Die geliehenen Bücher aber blieben allen 
Nachforſchungen zum Trotz verloren und die „vom Ruhme“ für im⸗ 
mer. — Petrarca war überzeugt, ſie beſeſſen zu haben. Wir indeß 
können uns des Gedankens nicht erwehren, auch hier möchte eine falſche 
Aufſchrift die Urſache ſeiner Täuſchung geweſen ſein. Denn der Beſitz 
dieſes Buches fällt in ſehr frühe Jahre, von denen Petrarca gelegent⸗ 
lich geſteht, genauer gekannt habe er damals von Cicero wenig mehr 
als einige Reden und Briefe. Später konnte er ſich des Inhaltes je⸗ 
ner Schrift nicht mehr im mindeſten 1 ein Beweis, daß er 


) Er nennt ſte epist. rer. senil. XV, 1. ein subtile opus magis quam ne- 
cossarium aut utile. 

) Ganz leichtfertig iſt der Bericht Manetti's, der fen Leben Petrarca’s um 
die Mitte des 15. Jahrhunderts ſchrieb, als habe dieſer die Bücher vom Ruhme in 
extremo fere Germaniae angulo abstrusos gefunden, Aue Mehus (Vita Aube. 
Travers. p. 216) die Sache hingehen büßt. 


26 | I. Petrarca ſucht nach Cirero's Schriften. 


niemals mit ihr vertraut geweſen. Von der Exiſtenz jener Bücher de 
gloria konnte er ans Cicero's Briefen und auch aus dem vielgeleſenen 
Buche über die Pflichten wiſſen. Wie leicht ſieht man ein Geſpenſt, 
wenn man nur erſt von feinem Daſein überzeugt iſt! Wäre Petrarca 
der Sache gründlicher nachgegangen, wer weiß, ob ſich die Bücher vom 
Ruhme nicht in einige Abſchnitte der Tusculauen aufgelöſt hätten.) Die 
willkürliche Betitelung der Abſchreiber nach irgend einem Theile des 
Buches, der ihnen gerade wichtig erſchien, hat mehr als einmal irre 
geleitet.) | 

Man hat ſich nicht einigen können, welche Werke Cicero's durch 
Petrarca wiederaufgefunden ſeien. Es iſt allerdings ſchwer, den Bes 
griff des Findens feſtzuſtellen, wenn man nicht weiß, welchen Grund⸗ 
ſtock ciceroniſcher Schriften man als bekannt voransſetzen darf. Bei 
einzelnen Schriften iſt es offenbar ſo ergangen, daß ſie aus irgend einer 
ſtillen Kloſterbibliothek an das Tageslicht gebracht, einmal oder ein paar 
Male copirt wurden und dann wieder in eine gewiſſe Vergeſſenheit 
zurückſanken, aus der fie von Neuem hervorgezogen, alſo zum zweiten 
Male entdeckt werden konnten. Auch war das Verdienſt des Entdeckers 
meiſtens doch nur das des Verbreiters, und als neu Tomate man mit 
einigem Recht doch nur diejenigen Schriften bezeichnen, deren Andenken 
völlig verſchwunden geweſen oder die in andern Ländern . 
und nach Italien verpflanzt wurden. 


) Z. B. Tuscul. Lib. I; III, 2; V, 15. etc. 

) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1; ef. epist. 2 ad viros ex veteribus 
illustres. Da auch Schriften Varro's als in jenem Codex befindlich erwähnt wer- 
den, fo gründet ſich vielleicht auch nur darauf die Erinnerung Petrarca's, deffen An- 
tiquitates rerum humanarum et divinarum vormaleinſt geſehen zu haben? Epist. 
7. ad vir. ex veter. ill. (Opp. p. 785): ilicet divinarum et humanarum rerum 
libros — — puerum me vidisse meminerim. Noch unſicherer lautet gar eine 
Variante dieſer Stelle, die Mehus Vita Ambr. Travers. p. 216. aus einem floren⸗ 
tmiſchen Codex mittheilt: Nullae tamen exstant seu admodum lacerae tuoram ope- 
rum reliquiae, e quibus aliqua pridem vidi et reeordatione torqneor summis, 
ut ajunt, labiis gustatae dulcedinis, et ea ipsa, praecipue divinarum et huma- 
narum rerum libros — — adhuc alicubi latitare suspicor ete. Jedenfalls geht 
auch hieraus hervor, wie dunkel Petrarca der Inhalt jenes Codex vorſchwebte; wie⸗ 
derum if ihm nichts, durchaus nichts aus Varro's Werken im Gedächtmiß geblieben. — 
Ebenſowenig Werth legen wir auf Petrarca's Notiz in Ber. memorab. Lib. I. ch. 2 
aus welcher man geſchloſſen hat, daß er die Epigramme und Briefe des Kaiſers 
Auguſtus noch gekannt habe. Es iſt wieder eine Jugenderinnerung, die ihm im bo» 
hen Alter vorſchwebte: quod opus inexplicitum et carie semeaum adolessenti 
mihi admodum in manus venit frustraque postmedum qugesitum sto. 


I. Beraten md Cicere's Briefe. 27 


"Mo kt nun im Allgemeinen kein Zweifel, daß Ciceres Werke, 
auch dit philsſephiſchen und rhetoriſchen, durch Petrarca's Anregung 
mendlich mehr coptrt und geleßen wurden als vorher; davon zeugt ihre 
Berbreitung im Beginne des folgenden Jahrhunderts. Aber um zwei 
Alain derſelben hat Petrarca ein namittelbares Verdienſt, um die 
Raden und Briefe. inen Codex, der eine Reihe von Reden enthielt, 
cepirte er Jahre lang mit eigener Hand, damit ihm nicht die bezahlten 
Abſchreiber den Text verdürben.) Mehrere einzelne Reden hat er auf 
Reifen geßunden, doch beſaß er noch lange nicht alle diejenigen, die wir 
jetzt lefen. Aber weichen Triumph empfand er, als ihm 1345 zu Ve⸗ 
rena die ſen dem 10. Jahrhundert völlig verschollenen ſogenannten fa⸗ 
miliären Briefe Eicero's in die Hand fielen!) Zwar beſaß er wahr⸗ 
ſcheinlich damals ſchan die beiden aubern Sammlungen dießer Briefe 
und hatte bereits die tulläaniſche Epiſtolographie in die neuere Literatur 
eingeführt, in der fie eine großartige Rolle zu ſpielen berufen war, 
eber der neue Fund gab dieſem wichtigen Belebungsmittel des huma⸗ 
niſtiſchen Berkahrs ſofort einen erhöheteren Schwung und hat fo eine 
mumehbere Wirkung geübt. 

Wir haben den Cufer, mit dem ſich Petrarca gerade Cicero's Schrif⸗ 
ten winmete, nicht hne Grund weitlänfiger dargelegt; denn von Cicero 
ans, darf mam faft ſagen, erſchloß ſich ihm das liebende Verſtändniß 
der andern Autoren des alten Rom. Aus Cicero's Academica lernte 
er Varro ſchätzen, in den Officten las er Ennius' Namen zum erſten 
Male, aus den Tusculanen lernte er Terentius lieben u. ſ. w.) Jagte 


) Auch einen Virginus, von Petrarca's eigener Hand geſchrieben, bewahrt die 
Ambroſtana. 

) Petrarcaepist. 1. ad vir. ex veter. ill. — Blond us Italia illustr. (Opp. 
Basileae, 1599. p. 346) giebt, wohl durch irgend ein Verſehen, Vercelli als den Fund⸗ 
ort an. Welche Brieffammlungen Cicero's Petrarca überhaupt gefunden, iſt jetzt 
wohl mit Entſchledenheit zu befiimmen. Er kannte ohne Zweifel die fogenannten 
ſamilikren⸗Briaße (ad di versos), welche der veronteſer Coder enthält, aber nach ſeinem 
Werke de republica optime administranda (Opp. p. 419) auch die ad Quintum fra- 
trem und ad Atticum gerichteten, wogegen die Nachricht des Blondus (a. a. O.) in 
ſich zuſammenfälkt, als habe die ad Atticum ein Unbekannter aufgefunden. In der 
Apologia c. Galli cujusdam calumnias (Opp. p. 1195) ſpricht Petrarca bereits von 
tria volumina epistolarum, und daß er fie wirklich gefunden und copirt hat, be⸗ 
weiſen auf das Klarſte die beiden in der Mediceo⸗Lautentiana aufbehaltenen Codices. 
ef. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 213 sq. 220. Jahrbücher f. Philologie und 
Paedagogik herausg. von Jahn. Jahrg. I (1826) Bd. II. Heft 2. S. 291. 

) Epist. famil. IIl, 18. 


28 I. Petrarea und feine Wöſtothek. 


er auch vorzugsweiſe den vermißten Schriften Cicere’s nach, ſo bildeten 
doch die römiſchen Claſſiker in feiner Phantaſie bereits eine Gefammtt⸗ 
beit und jede Lücke in derſelben erſchien ihm als ein ſchmerzlicher Ver⸗ 
luſt. Wie hat er ſich nach der zweiten Decade des Livius abgemiht, 
als er die erſte, dritte und vierte beſaß, wie bedauerte er den Unter⸗ 
gang der Hiſtorien des Salluſtins ), wie quälend blieb ihm der Ge⸗ 
danke, Varro's Antiquitäten einft befeffen zu haben und 1 mehr 8 
den zu können! ng 

Es iſt wohl begreiflich, wie lieb dem Beſttzer eine Semlung von 
Büchern wurde, die ſo mühſam geſucht, erworben und zuſammengebracht 
werven mußten. Erſt im Privatbeſitz wurde das geiſtige Gut, welches 
in ihnen lag, ein flüſſiges, es verkehrte gleichſam mit der freien Luft 
und ward fruchtbar durch die Mittheilung an Freunde in der Nähe 
und Ferne. Bücher, ſagt Petrarca, ſeien feine. unerſättlichſte Begierde, 
ſie würden ihm wie ein lebendiger Umgang, wie ſprechende Freunde.) 
Bei ihnen ſuchte und fand ſeine Seele, auch als er manches andere 
Streben als Täuſchung und Eitelkeit erkannte, immer ein ſtilles Afyl. 
Eine ſchöne, wenn auch unhaltbare Tradition, daß man ihn an feinem 
letzten Lebensmorgen in ſeinem Studirzimmer und über einem Buche 
eingeſchlummert gefunden. Seine Sammlung war die erſte moderne 
Bibliothek. Immer waren ihm Peiſiſtratos und Ptolemäes Phitadelphes 
unter ihren Bücherſchätzen viel edler erſchienen als Craſſus unter feinen 
Reichthümern. Er hatte einſt den Plan, daß ſeine Bucher, zu denen 
er eben noch die Boccaccio's zu erwerben wünſchte, unzerftrent „zu ſei⸗ 
nem ewigen Angedenken“ an einem frommen Ort aufgeſtellt werden 
ſollten.) Iſt gleich dieſer Plan und auch ein ſpäterer, nach welchem 
ſeine Bücher der Republik Venedig zufallen ſollten, nicht zur Ausführung 
gekommen, iſt auch feine Sammlung nach feinem Tode verſchleudert 
worden, ſo ging doch jener Gedanke ſeitdem nicht mehr unter und man⸗ 
cher edle Schatz der claſſiſchen Literatur wurde durch ihn gerettet. In 
gleicher Weiſe hat Petrarca auch andern Schätzen des Alterthums ein 
forſchendes Auge zugewendet und den Sinn für ihre Erhaltung geweckt. 
Er konnte Karl IV. einige Münzen römiſcher Kaiſer als Denkmale 


1) Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 447. 448). 
) Epist. rer. famil. III, 18. 
) Epist. rer. senil. I, 4 an Boccaccio. 


1. Petraten und Hameros. 29 


feiner Vorfahren zeigen, er war, fo. viel wir wiſſen, der erſte, der alte 
Münzen und Medaillen ſammelte.) 

Ein Bewunderer Petrarca's am Hofe von Byzanz, Nikolaos Si⸗ 
geros, ſchickte ihm ein Exemplar der Geſänge Homers als Geſchenk. 
Trotz dem kirchlichen Schisma und trotz dem durch Jahrhunderte ein⸗ 
gewurzelten Haſſe reichen ſich hier Orient und Occident zum erſten 
Male wieder die freundſchaſtliche Hand und zum Bindemittel wird der 
ehrwürdige Sänger von Jlion. Er iſt gleichſam der erſte Flüchtling, der 
vor der drohenden Türkenbarbarei im Abendlande Schutz ſuchte, und 
trugen ihn auch nicht Engelshände herüber wie das Gnadenhäuschen 
von Loreto, ſo war es doch eine ähnliche Verehrung, mit der Petrarca 
ihn aufnahm. Dieſer einzelne Vorfall iſt Beginn und Typus einer 
literariſchen Wanderung von unberechenbaren Folgen: die helleniſche 
Literatur, mit dem Untergange bedroht gleich dem byzantiniſchen Staats⸗ 
körper, ſuchte und fand in Italien ein liebevolles Aſyl. Man hatte 
hier gelernt, daß ſie die Mutter und das Vorbild der römiſchen ge⸗ 
weſen; ſo galt es alſo fortan, auch zu dieſer Quelle des Schönen vor⸗ 
zudringen, die griechiſche Sprache zu lernen oder fich doch ihre Schätze 
durch Ueberſetzungen anzueignen. 

Petrarca machte den Verſuch. Sein Lehrer Barlaamo — wir 
ſprechen noch von ihm — war ein aufgeblaſener, geſchmacklofer Theo⸗ 
loge, der zwar die griechiſche Sprache in Konſtantinopel gelernt, aber 
nicht im Stande war, ſeine Gedanken in der lateiniſchen auszudrücken. 
Auch genoß Petrarca nur wenige Lectionen bei ihm, er kam nicht über 
die Elemente hinaus.) Und dennoch iſt er mit ſeinem Homeros, den 
er kaum leſen konnte, in der Hand, der anregeudſte Lehrer des Grie⸗ 
chiſchen geweſen. Er ſah das Buch mit Entzücken an, umarmte es 
und wußte doch nur, wie hoch die Römer, ein Cicero, Horatius und 
Plinius, dieſe Gefäuge gehalten.) Schon beſaß er mehrere Schriften 
Platon's in griechiſcher Sprache; der erſte der Dichter, ſagt er, und 
der erſte der Philoſophen hätten bei ihm Wohnung genommen. Er 
faßte den Muth, jenen Sigeros auch um die Werke des Heſiodos 
und des Euripides zu bitten, und gab die Hoffnung nicht auf, noch 


1) Epist. rer. famil. X, 3. 

) De ignorantia sui ipsius (Opp. p. 1162); Mehus Vita Ambr. Travers. 
p. 220. 

) Rer. memorand. Lib. II (Opp. p. 464); Petrarca's Antwort an Nik. Si⸗ 
geros epist. rer. variar. 21. vom 10. Jauuar (1354). 


80 I. Petrarea unter den Ruinen des alten Rom. 


einſt im hoheren Alter Griechiſch zu lernen. Zunchſt erhielt Bocenecio 
durch ihn den Anſtoß: auf ihn wurde ver ſehniiche Wunſch verpffanzt, 
den gefeierten Homeros in lateiniſcher Sprache zu besitzen.) Wir 
werden ſehen, wie dieſer Wunſch noch nach hundert Jahren in den 
Freunden beider Literaturen als ein Ideal fortlebte, wie Italkener nach 
Byzanz hinüberſchifften und Byzantiner nach Italien kamen, fene um 
zu lernen, dieſe um zu lehren, wie Alt und Jung Griechiſch treibt und 
wie der Genius des alten Hellas, einmal durch nn herbeibeſchwo⸗ 
ren, nicht mehr zur Ruhe geht. 

Seit ſeiner Jugend hatte Petrarca der Wunſch durchgtagt, Nom 
zu ſehen. Er wurde ihm im Jannar 1337 erfüllt. Wie ein dieſer 
Welt Entrückter wandelte er zwiſchen den ſieben Hügeln umher, Alles 
fand er wieder, wovon er bei den Alten geleſen, Alles von ver Königs⸗ 
burg Evander's und der Höhle des Cacus bis zu den Stätten, we Pe⸗ 
trus und Paulus den Märtyrertod erlitten. Nur ſeine Phantaſtie war 
geſchäftig, ihm die Trümmer zu deuten, die neuen Römer konnten es 
nicht; Aberglauben und Unwiſſenheit umdunkelten ihnen die Werke ih 
ter Ahnen. Nirgends, rief Petrarca aus, wird Rom weniger gekannt 
als zu Rom felbit.”) Es war noch die alte Weltſtadt und ſie war es 
Boch nicht mehr. Die alten Paläſte, in denen einſt „die ungeheuren 
Männer“ gewohnt, ſah Petrarca verfallen, die Tempel und Triumphe 
bogen eingeſtürzt, die Stadtmauer zerbröckelt. Dieſe Römer ſchämten 
ſich nicht, mit den ehrwürdigen Trümmern ſchnöden Handel zu treiben, 
mit den marmornen Säulen, Tempelſchwellen und Grabesdenimclern 
das weichliche Neapel ausſchmücken zu laſſen. Auch die letzten Trüm⸗ 
mer, meinte er, würden bald verſchwunden ſein.) Er rief vie avenio⸗ 
nenſiſchen Päpſte zum Mitleid für die hinfinkende Tiberſtadt auf.) 
Dieſe erſchien ihm wie eine gealterte Matrone mit grauem Haar, blaß 
und kränklich von Geficht, mit zerriſſenem Gewande und dennoch mlt 


) Epist. de reb. senil. III. 6; V, 1; VI, 2; XI, 9. 
) Epist. de reb. famil. VI, 2 an Cardinal Giovanni Colonna. 
) Ad Nicolaum Laurentii de capessenda libertate hortatoria (Opp. p. 596); 
epist. metr. II, 13: 
Quanta quod integrae fuit olim gloria Romae, 
Reliquiae testantur adhuc, quas longior aetas 
Frangere non valuit etc, 
Funditus ita ruent (labentis patriae fragmenta) menibus convulsa nefandis. 
) Epist. metr. I, 2. Benedicto XII; II, 5. Clementi' Vi et al. 


I. Petrarca und Cola di Nienzo. 31 


ungebeuztem Muthe und voll ehrwürdiger Erinnerungen.) „Aber wer 
lann zweifeln, daß die alte Tugend Roms ſofort wieder auferſtehen 
wird, wenn Nom anfängt, ſich ſelber zu kennen.“) 

Dieſes prophetiſche Wort ſah Petrarca in Erfüllung gehen durch 
das Unternehmen des Cola di Rienzo. Die politiſche Erſchütterung, 
die Rom und Italien durch daſſelbe erfuhren, war wie das Brauſen 
des Sturmes, lärmend und erſtaunlich, hier und dort zerſtörend, aber 
endlich doch ſpurlos vorübergehend. Dagegen der Geiſt, der während 
dieſes Sturmes durch die Gemüther der Menſchen rauſchte, blieb lange 
im Andenken und iſt auch nicht wieder verſchwunden. Es iſt derſelbe, 
in deſſen Namen Petrarca ſprach und ſchrieb. Darum die wunderbare 
Berwandtſchaft zwiſchen beiden Perſönlichkeiten; fo verſchieden ihr Le⸗ 
benslauf und ihre Wirkungsſphäre, ſo verkörperte ſich doch in beiden 
dieſelbe Idee. Es iſt wahrſcheinlich, daß durch Petrarca's Schriften 
der zündende Funke in Cola's Bruſt geworfen wurde, gewiß, daß zu 
Avignon ein Austauſch republicaniſcher Gedanken zwiſchen Beiden ſtatt⸗ 
fand.) Ihre Wege gingen dann nur ſcheinbar auseinander. Während 
Petrarca in der weichen Luft der Provence dem Wohlklange der tullia⸗ 
niſchen Rede lauſchte und ſich in ſeine Bücherwelt einſpann, las Cola 
in Rom den Livius, Salluſtius, Valerins Maximus und fühlte ſich 
ſelber auf der Bühne, auf welcher ihre Erzählungen vom alten Rom 
ſpielen. Niemand wußte beſſer als er die alten Inſchriften zu leſen, 
die Statuen und Ruinen der Weltſtadt ſelbſt und ihrer Umgegend zu 
deuten. Er würde vielleicht als Alterthumsforſcher und Schriftſteller 
einen Namen erworben haben ), nur daß es ihn trieb, fich im öffent⸗ 
chen Leben hervorzuthun und als Redner vor dem Volke Beifall zu 
erndten. Ganz wie Petrarca ging er von der Vorſtellung des alten 
Rom aus und ſah, mit dieſem Maaßſtab in der Seele, auf die Römer 
der Gegenwart. Wo ſind jetzt jene edlen Römer, fragte er, wo iſt 


) De pacificanda Italia Exhortatio ad Carolum IV. 

) Epist. rer. famil. VI, 2. 

) Petrarca ad Nicol. Laurentii hortatoria (Opp. p. 595): Testis ego sibi 
sum, semper eum hoc, quod tandem peperit, sub praecordiis habuisse. 

) Der Verfaſſer der Vita di Cola Rienzo (Historiae Romanae Fragmenta) 
bei Muratori Antiquit. Ital. T. III. nennt ihn nutricato de latte de Eloquen- 
tie, dono Giramatico, megliore Rettuorico, Autorista bravo. — Petrarca ſagt 
von ihm epist. rer. famil. XIII, 6: Nyeolaus Laurencii vir facundissimus est et 
ad persuadendum effieax et ad oratoriam promptus, dietator (litterarum) quoque 
dulcis ac lepidus non multe quidem sed suavis coloratequte senteneie. 


32 I. Petrarca und Cola di Nienzo. 


ihre erhabene Gerechtigleit? o könnten wir. doch zu ihrer Zeit leben! 
Er konnte bitterlich weinen und andre zu Thränen rühren, wenn er 
das geſunkene und geſchändete Rom beklagte. Von dieſem Gefühl, von 
einer traumhaften Sehnſucht nach dem Glanze der Freiheit und Tu⸗ 
gend, in welchem ihm die römiſche Republik leuchtete, wurde er auf 
ſich als den Herſteller dieſer Idealwelt, als den Befreier Roms und 
Italiens geführt.) Bald ſchwebte ſeinem wüſten Hirn ein Brutus 
und ein Volkstribun vor, dann wieder Roma als die Beherrſcherin der 
Welt und ſo ſprach er auch gern und mit Feuer von Julius Cäſar.) 
Ganz unklar war ihm die Grenze, bis zu welcher ſeine redneriſche Schwär⸗ 
merei reichte und auf welcher das eitle Hervordrängen ſeiner Perſön⸗ 
lichkeit begann; daher beging er auf dieſer Grenze ſeine lächerlichſten 
Albernheiten. 

Um aber die Begeiſterung zu verſtehen, mit welcher Cola's erſtes 
Auftreten nicht nur in Rom und Italien, ſondern überall, wohin nur 
ſein Ruf gelangte, begrüßt wurde, müſſen wir manches Moment in 
Rechnung bringen, welches unſerm Gefühl, die wir den Ablauf dieſer 
und ähnlicher Begebenheiten kennen, freilich ſtark verkümmert wird: 
zunächſt alſo die völlige Neuheit des Ideals, die jugendliche Schnellkraft 
der erſten Schritte Cola's, die ihn aus der Ferne als einen hochherzi⸗ 
gen Freiheitshelden, ja als Erretter der Menſchheit erſcheinen ließ, und 
dann den Glorienſchein Roms, der gleichſam zum Hohne der avenio⸗ 
nenſiſchen Päpſte aus dem längſt verſunkenen heidniſchen Alterthum 
aufleuchtete. Petrarca berichtet uns, wie man ſelbſt in Avignon dachte 
und ſprach: die Briefe Cola's, die an die Curie gelangten, wurden ſo⸗ 
fort abgeſchrieben und verbreitet, als kämen ſie vom Himmel; man 
wußte nicht, ob man die Thaten oder die Reden des Tribunen mehr 
bewundern ſolle, man nannte ihn einen Brutus, weil er Rom die Frei⸗ 
heit gegeben, und einen Cicero, weil aus ſeinen Worten die hochherzige 
Majeſtät des römiſchen Volkes ftrahle. °) 


1) Vergl. ſ. Schreiben an Karl IV von 1350 bei Papen cordt Cola di Rienzo 
Urk. 13. p. XXXIII: nichil actum putavi, si que legendo didiceram, non ag- 
grederer exercendo etc. 

) Vita di Cola Rienzo I. c. p. 399. 

) Petrarca an Cola bei de Sade Memoires sur la vie de Frangois Pe- 
trarque T. III. Pieces justificatives n. XXXI; Apologia contra Galli cujusdam 
calumnias (Opp, p. 1181). Einen Brief des Tribunen an Petrarca, der Papencorpt 
entgangen, bezeichnet Mehus Vita Ambr. Travers. p. 246. | 


1. Petrarca und Cola di Rienzo. | 33 


Petrarca ſelbſt aber war der volltönendſte Herold dieſer Begeiſte⸗ 
rung, er war erſtaunt und erſchüttert wie einer, dem plötzlich ein glück⸗ 
licher Traum in Erfüllung geht. Aus dem ärmlichen und nüchternen 
Zeitalter ſah er wieder einen Helden emporſteigen, wie er ihn unter 
ſeinen Büchern geträumt, und Rom von Neuem zur Königin der Welt 
erheben. Er nannte ihn einen dritten Brutus, einen Camillus, einen 
neuen Romulus. Du ſtehſt auf einer hohen Warte, rief er ihm zu, 
Gegenwart und Zukunft finden kein Ende deines Ruhmes! ') Er ſah 
in der neuen Republik „eine Umwandelung des öffentlichen Weſens, den 
Anfang des goldenen Zeitalters, eine andre Geſtalt des Erdkreiſes.“) 
Der Glückwunſch, den er an die „ruhmreichſte Siebenhügelſtadt“ und 
an ihren Tribunen richtete, eine grüßende Freiheitsrede, zeigt uns recht 
dentlich, wie er nur mit ſeinen aus Livius genährten Phantaſien poli⸗ 
tifirte, wie er ſich als Zuſchauer aus weiter Ferne in unermeßlichen 
Hoffnungen erging.) 

Dieſer jubelnden Erwartung entſprach dann freilich die bittere Ent⸗ 
täuſchung, die Niedergeſchlagenheit, als Cola immer deutlicher durch die 
Maske des Alt⸗Römers den eitlen Narren durchblicken ließ und fein 
eigenes Werk mit dem Fluche des Lächerlichen ſchändete. Es wurde 
Petrarca ſchwer, dem ſeligen Traume zu entſagen und an die Wahr⸗ 
heit zu glauben. Er erhielt eine Abſchrift von einem der pomphaften 
und thörichten Schreiben des Tribunen. „Ich erſtarre, ich weiß nicht, 
was ich antworten ſoll. Ich erkenne das Geſchick unſers Vaterlandes, 
und wohin ich mich wende, überall finde ich nur Grund und Stoff zu 
Klagen. Wird Rom zerriſſen, wo bleibt Italien? und wird Italien in 
Schande getreten, welches Leben bleibt mir? Mögen bei dieſer allge⸗ 
meinen und beſondern Trauer die Einen Geld, die Andern Körperkraft, 
die Einen Macht, die Andern guten Rath beiſteuern; ich wüßte nichts, 
was ich geben könnte, außer — Thränen.“ 

Nach Rom zu eilen und ſelber Hand ans Werk zu legen, war Pe⸗ 
trarca's Sache freilich nicht. War er doch derſelbe eitle Schwärmer im 
ſtillen Studirzimmer, der Cola in ſeinem phantaſtiſchen Unternehmen war. 
Darum wußte er ihm auch jetzt nur mit blaſſen Gemeinplätzen zu rathen, 


) bei de Sade l. e. 
) Epist. 8. tit. 4. | 
) Ad Nicolaum Laurentii hortatoria (Opp. p. 595 sq.) 
) Epist. rer. famil. VII, 5. 
Voigt, Humanismus. 3 


34 I. Petrarca und Cala's Niedergang. 


er möge ſich nicht dem ſchlechteſten Theile des Volkes in die Arme 
werfen, ſeine Tugend und ſeinen Ruhm wahren, lächerliche Narrheiten 
meiden und dergleichen.) Mit Cola's Flucht aus Rom war er ſehr 
unzufrieden: nach ſeinem Geſchmack hätte der Tribun, ſtatt als Bitten⸗ 
der vor dem Böhmenkönige und als Gefangener vor dem Papſte zu 
Avignon zu erſcheinen, einen ruhmvollen Tod auf dem Capitole vor⸗ 
ziehen ſollen. Dennoch will er ſich, ſowie er einſt geglaubt, an dem 
Ruhme Cola's einen ehrenvollen Antheil zu nehmen, wenn er ihn durch 
Schriften anſpornte und entflammte, auch jetzt feiner früheren Begeiſte⸗ 
rung nicht ſchämen. Er kann den nicht verachten, auf den er ſeine 
letzte Hoffnung für die Freiheit Italiens geſetzt, der dem Gefühle ſeines 
Buſens den Ausdruck der That gegeben. „Wahrlich — ruft er bitter 
aus — ein Verbrechen, des Kreuzes und der Geier werth, daß es einen 
Römer ſchmerzte, wenn er ſeine Vaterſtadt, die dem Rechte nach die 
Herrin Aller iſt, als die Magd der elendeſten Menſchen ſah!“ — 
„Wie auch das Ende ſein mag, noch kann ich nicht anders: ich muß 
den Anfang bewundern!“ ) Und auch jetzt noch rief Petrarca die Rö⸗ 
mer auf, ihrer Majeſtät zu gedenken, wenn nur noch ein Tropfen des 
alten Blutes in ihnen ſei, die einmal erworbene Freiheit nicht wieder 
aufzugeben und ſich für die Loslaſſung des um ſie hochverdienten Tri⸗ 
bunen zu verwenden. Er ſelbſt wolle ſich nicht weigern, für die Wahr⸗ 
heit zu ſterben, wenn fein Tod der Republik zu nützen ſcheine.) 

Allerdings halfen der Republik und ihrem Tribunen weder die 
Thränen Petrarca's noch jetzt feine Anbietung eines Vaterlandstobte, 
doch bleibt es von eigenem Intereſſe, wie der Dichter ſich fo Erampf- 
haft noch an die proftituirte Sache der römiſchen Freiheit klammaerte. 
Es zeigt uns den congenialen Zug, der ihn mit Cola verknüpfte, und 
fanden wir dieſen bisher nur in der gemeinſamen Schwärmerei für 
das römiſche Alterthum, fo gedenken wir in der Folge, ſobald erſt Pe⸗ 
trarca's Seele noch von einigen Seiten beleuchtet iſt, auch auf Cola 
noch einmal zurückzukommen und den verunglückten Freiheitsmann mit 
dem geprieſenen Weltweiſen in weitere Parallele zu ſtellen. 

Wir müſſen uns eine Zeit vorſtellen, in welcher die einfache Exfah⸗ 
rung, daß jemand ein großer Gelehrter und doch ein ſchlechter Staatsmann 


) Epist. rer. famil. VII, 7 an Cola vom 26. Novemb. 

) Petrarca an Francesco di Nello, dat. Vaucluſe 12. Auguſt 1352 in Epist. 
rer. famil. XIII, 6, bei Papencordt Urk. 28. LXXVIII. 

) Epist. 8. tit. 4. 


I. Perarca abs Anwalt der römiſchen Freiheit. 35 


fe: Wige, noch nicht gemacht, das heißt noch nicht beobachtet, in wel⸗ 
cher man an die Geſchäftsführung der Geiſtlichen völlig gewöhnt war, 
in welcher man die populärſte Macht, die Hierarchie, ſtets mit weit⸗ 
ausgeſpaunten Theorien ihre Politik treiben ſah. Erſt dann wird es 
uns verſtändlich, wie Petrarca ſich auch im Staatsweſen für einen der 
Weiten: und Uufehlbaren halten, wie er, was viel wunderbarer iſt, von 
fo Vielen, ja im Allgemeinen, dafür gehalten werden konnte. Daß 
Cola's Unternehmen, dem er einſt freudig zugejauchzt, wie ein Poſſen⸗ 
ſpiel abgelaufen, daß er ſelbſt als der literariſche Herold jener komö⸗ 
dienhaſten Republik feinen Antheil an allen ihren Ausſchweifungen und 
Lacherlichkeiten hatte, machte ihn nicht im mindeſten irre. Er blieb 
überzeugt, daß die Schuld des Mißlingens nur an Cola's menſchlichen 
Schwächen gelegen, ja er genoß das beruhigende Bewußtſein, immer 
zur Mäßigkeit und Gerechtigkeit gerathen zu haben, und ſo ſah er die 
literariſchen Thränen, die er der Tribunenherrſchaft nachzuweinen pflegte, 
ganz erufiheft als den würdigen Tribut an, den ein edler Römer fei- 
nem Baterlande zollte. | 

Dem Bürgerrechte, welches Petrarca bei feiner Dichterkrönung 
auf dem Capitol ertheilt worden, glaubte er ſich für ewig verpflichtet. 
Am war, als wenn Roma nach dem Tode des Tribunen auf ihn 
lliele wie sine gekränkte Mutter auf ven ſtarken Sohn, als ſetze fie ihre 
letzte Hoffnung darauf, daß er mit weiſem Rath und mit feinem ge⸗ 
faerten Nen für fie in die Schranken trete. So fühlte er ſich ge⸗ 
beängt, für fein Vaterland wenigſtens das Wort zu ergreifen, da er 
ihm durch Thaten nicht helfen könne. Der Papft hatte eine Commiſ⸗ 
fi: von vier Cardinälen ernannt, um die zerrüttete Organiſation des 
viarischen Gemeinweſens herzuſtellen und auszubeſſern. Un. fie richtete 
Petrarea zwei Deukſchriften, in denen feine aus Livius geſchöpfte Weis⸗ 
heit es unternahm, der unclaffiſchen Bildung jener Prälaten auf den 
rechten Weg zu helfen.) Nichts zeigt uns deutlicher den Dünkel und 
zugleich die Unfähigkeit Petrarca's, die reale Welt von der Welt feiner 
Studien zu ſcheiden. Die Hauptfrage war, ob zur Stadtbehörde nur 
Nobili oder auch Bürger zugelaffen werden ſollten. Petrarca nun ſpricht 
ea. geraden aus, daß man, felle Rom in feinem Elend geholfen wer⸗ 
den, das Beiſpiel derjenigen Zeit vor Augen nehmen müſſe, in welcher 


y Die Denkſchriften vom 18. und 24. Novemb. 1351 in Epist. rer famil. XI, 
16. 17, verbeſſert bei Papencordt Urk. 29. 30. p. LXXXI 34. 


8 


36 J. Betraren als Anwalt ber römischen Freiheit. 


die Stadt ſich „aus Nichts zu ven Sternen erhob.“ us beleben 
Grundſatz ſuchte er der Commiſſton einzuprägen: kein Name tet: voll⸗ 
tönender (sonantius) als der der römiſchen Republik, der bloße Nam 
der alten Königin der Welt müſſe noch Achtung auch für die Nou in 
Trauer gebieten. Das Volk von Rom, die Bürgerſchaft — er ſagt 
nicht, welche Claſſen er ſich darunter vorſtellt — erſcheint ihm als die 
alte Plebs, die Nobili bezeichnet er als „fremde Tyrannen“ voll Stolz 
und Räuberſinn. Dieſer Adel mißbrauche die allzu große Demuth des 
römiſchen Volkes und behandle es, als ſeien es gefangene Punier odor 
Cimbern. Man wiſſe, daß er die Orſini nicht haſſe, die Colonna fo⸗ 
gar liebe und verehre, aber theurer ſeien ihm das Gemeinweſen, Rom 
und Italien. Wie könne man nur fragen, ob römiſche Bürger in den 
Senat von Rom gehörten! Sie müſſen ihn vielmehr allein oder doch 
vorzugsweiſe ausmachen und die fremden Adelsgeſchlechter können hoch 
ſtens geduldet werden. Dafür beruft ſich Petrarca anf einen Ausſpvnch 
des Manlius Torquatus, und wie er dem Abel bes 5 vie 
Valerius Publicola, Menenius Agrippa, Cincinnatus, Fabricit 
rius als Muſter vorhält, ſo geht ihm der Pöbel Roms, ber feine 
Würde eben erſt unter Cola di Rienzo gezeigt, und der liwianiſche Po⸗ 
pulus Romanus in einen Begriff zuſammen. Wie fellte das xöimifche 
Volk, ruft er aus, einſt Herrſcher über alle Völler, nicht auf ſeinem 
Capitol, auf dem es den Senonen trotzte, wo es dis gefangenen Könige 
hinter dem Triumphwagen ſah, wo es die demüthigen Gefandten frerr⸗ 
der Völker anhörte, wo es übermüthigen Bürgern den Nacken beach, 
wie ſollte es da nicht an der Verwaltung des Staates Antheil haberrt 
Das Volk des Mars, das in der Welt nimmer ſeinesgleichen hatte, 
die römiſchen Tugendhelden, die im Gefolge der Ruhmesgöttin voran⸗ 
gehen,) Scipio Africanus der Aeltere, fein auserwählter Liebling un⸗ 
ter ihnen, fie beherrſchten Petrarca's Sinn bis zur Blindheit und gaben 
ihm doch die Empfindung eines glänzenden Lichtſchimmers, die en deſto 
ſicherer täuſchte. Als Kenner des Alterthums hielt er ſich für ein un⸗ 
fehlbares Orakel und als berühmter Mann glaubte er berufen zu ſotn, 
bei wichtigen Fragen von vaterkändiſchem Charakter jedesmal fein Went 
in die Waagſchale zu werfen. Wiederholt mahnte er die aweniemett⸗ 
ſiſchen Päpſte zur Rückkehr in das verwittwete und verwalſete Mom; 
man nahm dieſe Mahnungen auf wie fromme Empfindungen eines 


) v. Trionfo della Fama op. I. U, 3. ö 


I Wetsuece ala Bbasloge. | 37 


Dichters und mehr waren ſie in der That nicht. Mied er doch ſelbſt 
ad Aufenthalt in Rom trotz feinem römiſchen Bürgerrechte, lebte er 
dach trotz feinem italieniſchen Patriotismus der Behaglichkeit wegen viele 
Jahre unter demſelben Himmelsſtrich, welchen er den Päpften zum bit⸗ 
ten Vorwurf machte. Er miſchte ſich in den venetianiſch⸗ genueſiſchen 
Krieg, als bedürfe es zur Friedensſtiftung nur wohlgeſetzter Worte; 
man gab ihm in Venedig ſehr ſchmeichelhafte, aber höflich⸗ abweiſende 
Antworten.) Lim entſchiedenſten zeigte ſich feine eitle Zudringlichkeit, 
als er Karl IV. aufrief, nach Italien zu kommen und dieſem unglück⸗ 
liihen Lande den Frieden zu geben:) um es Dante nachzuthun, ver⸗ 
leutuete en dabei Alles, was er fonft von der Würde Italiens und 
von den barbariſchen Fremdlingen gepredigt. Im Erfolge war er über⸗ 
all, wo er ſich in die Politik einmiſchte, gleich unglücklich und mußte 
in damit träften, daß man den hohen Schwung feiner Gedanken und 
feiner Worte bereitwillig anerkannte. Die Praxis der Politik blieb 
Männern wie dem Cardinal Albornaz vorbehalten, welcher den Helden 
der altrömiſchen Politik glich, ohne es zu willen und vielleicht ohne je 
ame: ihnen gelefen zu haben. 

Wie ſehr das römiſche Alterthum Petrarca nicht nur Gegenſtand 
des Sindiumse war, ſondern in alle ſeine Lebensanſchauungen eindrang, 
das wird uns noch jede Seite des Folgenden zeigen. Alles gewinnt in 
der claſſiſchen Sprache und durch die Brille des Rämerthums ſofort 
eine andre Färbung, und Petrarca hätte ſich in dieſem unnatürlichen) 
Dönmerlichte gleich einem irren Phantaften oder Nachtwandler bewegt, 
wenn nicht der Kampf gegen das Hergebrachte, zu dem er berufen, der 
Kampf in feinem Junern und die ſtarken Regungen eines perſönlichen 
Dewußtſeins feine Träumereien mit der realen Welt im Gleichgewicht 
erhalten hätten. 

Dem Genius iſt es eigenthümlich, daß er ſich der Wirkung, die 
von ihm ausgeht, ebenſowenig in ihrer ganzen Fülle bewußt wird wie 
der in ihm arbeitenden Kraft. Der Fortſchritt, den er auf einem und 
vielleicht nicht einmal dem bedeutendſten Gebiete hervorgebracht, wird 
auf andre Gebiete übertragen, die er kaum berührt, und gewinnt den⸗ 
noch erſt hier feine Vollwichtigkeit. Wo die Reſultate ſichtbar und 
‚greifbar find, wie zum Beispiel auf dem Felde der techniſchen Erfin⸗ 


) Die Correspondenz im Lib. epist. variar. 1—4. 
9 De pacifeanda Italia Exhortatio ad Cerelum IV. (Opp. p. 500). 


38 T. Petrared's Gumarismis. 


dungen, laſſen ſich auch die Zuſammenhänge leichter nachweiſen. Die 
Fortdauer und Propaganda rein⸗geiſtiger Potenzen dagegen iſt unbe⸗ 
rechenbar und hat etwas Dämoniſches. Wir fühlen fie aus Wort und 
Schrift, aus Denk⸗ und Handlungsweiſe wohl heraus, aber wir ver⸗ 
mögen nicht immer, dieſes Herausgefühlte in Wort und Schrift auch 
wiederzugeben. Was wir ſagen, erfcheint uns ſelbſt unvollkommen und 
nicht erſchöpfend, und wollen wir es kurz zuſammenfaſſen, ſo erſcheint 
es oft als eine vieldeutige Phraſe. So iſt es ſchnell ausgeſprochen, 
daß das dem Geiſtesleben der Hellenen und Römer Eigenthümlichſte 
die Darſtellung des Reinmenſchlichen war, und ebenſo ſchnell fügen wir 
hinzu, daß Petrarca dieſes Princip des Humanismus in die geiſtigen 
Gährungen der modernen Welt getragen hat. N 

Statt aber zu erklären, was wir im Weſentlichen unter Humantos⸗ 
mus verſtehen, und den Begriff in feine poſitiven Merkmale zu zer⸗ 
legen, ſchildern wir Petrarca auf die Gefahr hin, den Kern nicht zu 
finden und nur die Schalen darzulegen, in ſeinem Kampfe gegen Das, 
was dem Humanismus als Gegenſatz oder Hinderniß gegenüberſtand. 
Auch beſchränken wir uns zunächſt auf das Gebiet des wiſſenſchoftlichen 
Strebens und der einzelnen Disciplinen, weil hierin Petrarca ſelber 
am klarſten fühlte, was als Vorurtheil und gehaltloſe . lg 
ſtürzt und vernichtet werden müſſe. 

Er ging weder ſchüchtern und allmählig, noch einſeitig zu Werbe 
Die ganze Wiſſenfchaft, wie fie durch die ſcholaſtiſche Methode zufam⸗ 
mengehäuft war, erſchien ihm als ein wüſter Schlackenhauſen, unter 
dem kein Körnchen vom Golde der Wahrheit und Weisheit begraben 
war, der als völlig unnütz, ja als ſchädlich betrachtet und ohne Scho⸗ 
nung weggeräumt werden müffe. Nichts gilt ihm, als was ummittel⸗ 
bar auf den Menſchen Bezug hat, keine Gelehrſamkeit iſt ihm ehrwür⸗ 
dig, deren Endziel nicht mit dem des menſchlichen Lebens zuſammenfällt. 
Daher iſt er nie ſo voll Verachtung und heiligen Eifers, als wenn er 
auf das handwerksmäßige Treiben der Scholaſtiker zu ſprechen kommt. 
Daß es dem Geiſte Vergnügen gewähren und ein mit Luſt ergriffener 
Lebensberuf fein könne, tft ihm ganz unglaublich. Dieſe Menſchen, ſagt 
er, behandeln die Wiſſenſchaft lediglich als ein Mittel zum Gelben 
werb, als eine kaufmänniſche Waare; ſelbſt diejenigen unter ihnen, bie 
ſich den ſogenannten freien Künſten widmen, denken bereits an den 
Lohn, ſobald ſie nur in die Schule treten. Dieſe Krämer bieten Geiſt 
und Zunge feil und find darum verächtlicher als der Seemann oder 


I. Pama als Senner der ſcholoßßiſchen Wifſenſchaft. 39 


Kberbawer, der nur feine Hände und feine Körperkraft dem Erwerbe 
winmet. ') Petrarca verhöhnt die Mugiſter⸗ und Doctorwürde, die 
bloß durch pomphafte Ertheilung der Inſignien aus einem Dummkopf 
plötzlich einen aufgeblafenen Weiſen mache.) Die Univerfitäten find 
ihm Neſter der dünkelvollen Unwiſſenheit. Nennt er gelegentlich die 
gefeierte pariſer Hochſchule mit Ehrfurcht „die Mutter der Gelehrſam⸗ 
leit“ oder „vie ungeheure Univerſität,“ ſo geſchieht das eben nur in 
dem Augenblicke, wo fie ihm die Dichterkrone angeboten und wo er ihre 
Ehre ohne die eigene nicht ſchmälern konnte.) 

Der wahre Gelehrte iſt ihm der ſtrebende Menſch, die Wiſſenſchaft 
die Dieuerzu der Tugend. Darum meint er Geſchichtsforſcher, Philo⸗ 
ſoph, Dichter, Theolog in einer Perſon fein zu müſſen. Während der 
Scholaſtiker feine Diseiplinen möglichſt ſcharf zu trennen ſucht, will er 
als Humaniſt die feinigen zu einer allgemeinen Menſchenbildung ver⸗ 
ſchmelzen. Fragt jemand ihn, zu welcher Kunſt er ſich bekenne, ſo ant⸗ 
wortet er, er wolle mar einer Kunſt und nicht Bekenner, ſonvern demü⸗ 
thiger Junger fein, fie nur erwänfchen, nicht fie beſitzen, und das ſei' 
die Funſt, die in beſſer mache. Er bezeichnet fie daun im Allgemei⸗ 
nen als „Tugend und Wahrheit“. 

Mit dieſem Maaßſtabe tritt er an die wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗ 
bungen anderer und zeigt ihre Beſchränktheit oder Nichtigkeit. Der Gram⸗ 
matiker, fagt er, iſt ängſtlich hinter den Geſetzen der Sprache her, aber 
wie leichtfertig den ewigen Geſetzen Gottes gegenüber! Der Dichter 
mag lieber in feinem Lebenswandel als in feinen Verſen hinken. Der 
Geſchichtſchreiber kümmert ſich um die Thaten der Könige und Völker, 
won feinem eigenen kurzen Daſein aber weiß er nicht Rechenſchaft zu 
geben. Die Arithmetiker und Geometer wollen Alles berechnen und 
meſſen, nur mit ihrer Seele wiſſen ſie nichts anzufangen. Die Mu⸗ 
flker leben ganz für ihre Töne, aber nicht für vie Harmonie ihrer eige⸗ 
nen Handlungen. Die Aſtronomen berechnen aus den Sternen, was 
mit Städten und Reichen geſchehen wird, achtlos gegen das, was mit 
ihnen ſelbſt im taglichen Leben vorgeht; ſie ſehen die Verfinſterungen 
der Sonne und des Mondes vorher, aber vie ihres eigenen Geiſtes er⸗ 


) Nu. MEERES I (Opp. p. 456); de vita selituria Lib. I. sect. IV; 
cp. I. et al. a 

) De vera sapientia Dial. I (Opp. p. 365). 

eu. euer e 

+) Epist, ser. senil, XII, 2 (Op. F. 10% - . 


40 I., Petrarca als Geguer der ſcholaſtiſchen Wiſſanſchaft. 


kennen fie. nicht. Die Philoſophen forſchen nach dem Ur gend aller 
Dinge und wiſſen nicht, was Gott der Schöpfer ift; ſie beſchreben 
die Tugenden und üben fie nicht. Aus den Theologen ſind Dialekuker 
geworden, wenn nicht gar Sophiſten; fie wollen nicht liebende Kinder, 
ſondern Kenner Gottes ſein, und auch das wollen ſie nur ſcheinen. 
Selbſt diejenigen, welche die Eloquenz zu ihrem Studinm machen — 
hier ſchließt Petrarca ſich ſelbſt nicht aus — wohl hüten ſie ſich, in 
der Rede ungebildete und gemeine Worte zu gebrauchen, und vermeiden 
doch nicht den elendeſten Schmutz des Lebens. „O wenn du wüßteſt 
— ruft er bei dieſer Betrachtung dem Freunde zu — wie es wich nun 
zieht und drängt, wie das Verlangen in mir glüht zu lehren und weit⸗ 
läufig darüber zu ſprechen!“) 
Ja dieſes glühende Verlangen, dieſes raſtloſe Anſtreben ift es, was 
uns Petrarca's Geiſt auf feinem Höhepuncte zeigt. Aber wa er es 
nun wirklich unternimmt, dieſe höchſte Lehre, die mit ſo ahnungsreichem 
Drange an feine. Bruſt pochte, im Näheren auszuſprechen und zu bes 
gründen, geräth er entweder ins Stocken oder er verfällt ſeiner repſeli⸗ 
gen Eitelkeit. Doch zeigen wir ihn zunöchſt in feinem Kampfe gegen 
die einzelnen Disciplinen, die ihm auf den Hochſchulen oder in der 
Achtung der Menſchen als die vornehmſten entgegentraten. Er hat ſich 
hier freilich mehr polemiſch als reformatoriſch verhalten, er hat ſcharf, 
bitter und einſeitig geurtheilt, aber bedenken wir, daß überall enft der 
unbrauchbare Schutt fortgeſchafft werden muß, ehe an den neuen Bau 
die Hand gelegt werden kann, daß immer erſt die Skeptik die Mutter 
der ſelbſtſtändigen Forſchung iſt und daß ein einzelner Menſch wohl 
als Erneuerer der Wiſſenſchaft, nicht aber aller einzelnen Wiſſenſchaften 
auftreten kann. Jenen Kampf hat Petrarca nicht immer in einzelnen, 
mit abſichtlicher Tendenz angreifenden Schriften geführt, er zieht ſich 
vielmehr durch alle ſeine Werke; zumal ſeine Tractate und ſeine Briefe 
werden durch dieſen unaufhörlichen Kleinkrieg belebt. Wir ſehen auch 
hier, wie es ihn reizt und treibt, wie er mit eruſthaftem Angriff und 
mit verachtender Stichelei, mit lächelndem Scherz und mit ze 
den Schmähungen immer demſelben Ziele zuſteuert. 
Zunächſt und vor Allen zieht er vor ſeine Schranke die Aſtrels- 
gen, Alchymiſten und alle die betrogenen Betrüger, welche ua ar 


) Epist. rer. variar. 32. Si Ti rain e en 
n IB en a 


I. Petrarca gegen die Afvelsgie, gegen Traum und andern Mberglauben. 41 


Aanſte das zulkänſtige Schickſal der Menſchen zu ergründen oder der 
Natur ihre Geheimniſſe abzulauſchen vorgeben. Vielleicht ſind wir ver⸗ 
ſucht, über die unermüdliche Wiederkehr der Ausfälle zu lächeln, die 
sc gegen fte richtet, und freilich ſind es für uns Gemeinplätze, die er 
verbringt. Aber er ſprach fie zu einer Zeit aus, wo der Hofaſtrologe zu 
den augeſehenſten Gelehrten zählte, wo in Bologna und Padua beſon⸗ 
vere Lehrſtühle für dieſe Wiffenſchaft errichtet waren, wo die Kirche es 
noch nicht wagte, die morgenländiſche Thaumatologie, welche durch die 
Berührungen mit dem Orient in Wiſſenſchaft und Leben gedrungen 
war, ſtreng vom Glauben zu ſondern, wo fie den Aberglauben theilte 
und feine Fietionen für Realitäten hielt, auch wenn fie dieſelben als 
Werk des Teufels verdammte und beſtrafte, wo fie noch des Dämonis⸗ 
mus als eines Gegenſatzes ihrer erlöſenden Kraft bedurfte. Da war 
es gewiß eine That des Muthes, ſo rückſichts⸗ und bedingungslos wie 
Petrarca den Trug und den Aberglauben als ſolchen zu brandmarlen. 
Hat er gleich noch Jahrhunderte lang fortgedanert, fo hat doch unaus⸗ 
geſetzt der Humanismus den Kampf dagegen wie ein Erbe ſeines Erz⸗ 
vaters auf ſich genommen und nahezu durchgeführt. 

Gleichzültig gegen die vielfache Verſchlingung, in welche fich die 
keirche mit den abergläubiſchen Vorſtellungen eingelaſſen, fußt Petrarea 
theils auf dem Alterthum, am meiſten aber auf der freien Anſchaunng, 
vie fein Geiſt ſich errungen. Schon gebildete Römer wie Cicero ſah 
er über die Superſtition des Pöbels ſich hinwegſetzen; Auguſtinus hatte 
mit philoſophiſchen und dogmatiſchen Gründen dagegen geeifert.) Den 
Angurien und Prodigien, von denen er im Livius las, Glauben zu 
ſchenken, war Petrarca nicht verſucht; die an ſie gelegte Kritik ſchärfte 
ſeinen Geift gegen jeden ähnlichen Hokuspokus, der ihm im täglichen 
Leben entgegentrat. Selbſt das Gebiet der Ahnungen und Träume 
wies er mit rationellen Gründen zurück. Als ihm ſelbſt einſt in Traume 
fein theuerſter Freund, der Biſchof von Lombds, in der Bläſſe des 
Todes erſchien und er nach 25 Tagen die Beſtätigung dieſer Viſion er⸗ 
fuhr, wollte er doch an Träume nicht glauben und meinte, es ergehe ihm 
wie Cicero, dem auch durch Zufall ein Traum eingetroffen. So be⸗ 
diente er ſich nur des geſunden Menſchenverſtandes, der ſich aus den 
täglichen Erfahrungen eine Lebensphiloſophie abſtrahirt, um die geheim⸗ 
nißvolle Gaunerei und die e klar zu W Dieſe 


) Perarea wieberhelt ihre 6 ver. famil, II, 8. 


42 I. Petrarca gegen bie Aſtrolatzen, gegen die Aunzte. 


Aſtrologen, eifert er, willen nicht, was am Himmel vorgeht, fie Fink 
nur unverſchämt genug, dieſes Wiſſen vorzugeben, und frech müſſen fie 
in ihren Lügen ſein, um ſich in Reſpect zu erhalten. Sie reden Dinge, 
die nur Gott weiß, und ſchwatzen lieber Unſinn, ehe ſie ihre Unwiffenheit 
eingeſtehen. Tüchtige Menſchen, beſonders aber ſolche, die ſich einer 
wiſſenſchaftlichen Bildung rühmen, ſollten ſich ſchämen, ihrer Windben⸗ 
teleien zu achten und ſich darum zu kümmern, ob ſie zum Beiſpiel aus 
einer langedauernden CTonjunctur zwifchen Mars und Saturn ein gro⸗ 
ßetz Unheil weiſſagen. Nur thörichtes Volk hängt immer von dem ab, 
was die Zukunft in ſich trägt. Es waltet Einer über den Sternen 
wie über den Menſchen, aus ſeiner gerechten Hand haben wir unſer 
Schickfal zu erwarten und hinzunehmen; ſo lehrt die Schrift. Ein 
unverdientes und blindes Geſchick giebt es nicht. — Mit beſonderm 
Triumph erzählt Petrarca von einem alten mailändiſchen Hofaſtrologen, 
den er einſt zu dem Geſtändniſſe gebracht, er denke darüber im Grunde 
nicht anders wie Petrarca auch, doch müſſe er einmal mit feiner Kunſt 
ſein Leben friſten.) 

Von den Aſtrologen, deren ganze Wiſſenſchaft eine Charlatanevie 
war, führte der nächſte Schritt zu den Aerzten, die ſich in der That 
nicht minder als Charlatans zeigten. Petrarca war noch jung und voll 
ſchwellenden Stolzes, als er ſeine erſte Lanze gegen die mediciniſche 
Kunſt brach, und auch dieſen Kampf hat er dann unermüdlich bis in 
fein hohes Alter fortgeführt. Gern ſtellt er die Sache jo dar, als fei 
er zuerſt durch Aerzte, die von der Poeſie mit Geringſchätzung geſpro⸗ 
chen, gereizt worden. In der That aber knüpfte er ſelbſt die Fehde au. 
Während einer Krankheit des Papſtes Clemens VI. richtete er an dieſen 
ans freien Stücken einen Brief, in welchem er ihn vor den Aerzten als 
umwifienden Betrügern warnte.) Ein päpſtlicher Leibarzt fand es albern, 
daß Petrarca ſich in eine Sache miſche, von der er doch nichts ver⸗ 
ſtehe; der Dichter möge bei ſeinem Lügenhandwerk bleiben. Gegen ihn 
richtete Petrarca jene vier Bücher Invectiven, die zugleich als das erſte 
moderne Erzeugniß dieſer Gattung au Beachtung verdienen.) Er 


) De reined. utr. fortune Lib. I. dial. 111. 112; epist. rer. sewil. I, . 
* 1. ot l. 

9 Epist. rer. senil. XII, 2. vom 12. März 1352; xv, 3. 

) Libri IV Invectivarım contra medicum quendam (Opp. p. 1200— 1233). 
Sie datiren: Mailand den 12. Juli 1853. of. Mehus vita Ambr. Travers. 


p. . 


I. Petrarea gegen die Terzte. 13 


nahm die erste mit Gründen, die wir oben dargelegt, in Gchatz, une 
priff dafür die ärztliche Praxis mit fo beißendem Spott an, daß er ſelbſt 
wenigſtens ſich ſchmeichelte, den Gegner „für alle Gwigleiten zerfleischt 
zu haben. Mit ſcharfem Sinn hatte er wirklich das Lächerliche im 
Benehmen der Aerzte herausgefunden, ihr Geſchwätz über den Pula, 
die Säfte, die kritiſchen Tage, über die Wunderkraft ihrer unzähligen 
Heilmittel. Er war ſchon damals berühmt genng, um durch feine 
kecken Angriffe Aufſehen zu erregen. Zu Avignon gerieth er oft mit 
den Leibärzten des Papſtes und der Cardinäle in Streit und immer 
vergalten ihm dieſe mit mißachtenden Aeußerungen über feine. Kunſt, 
die Poeſie. Je mehr man ihn reizte, deſto ſchärfer wurde feine Anſicht 
von der Arzeneikunde. Er bethätigte fie nun auch im Leben und pres 
digte ſie in ſeinen Schriften mit einer Vorliebe, die faſt ſchon Sonderbar⸗ 
keit iſt. Noch als Greis, als er in der That ein wenig gebrechlich wurde, 
rühmte er ſich gern, wie er die Aerzte von feiner Schwelle fern halte - 
oder wenn er fie aus Rückſichten zulaſſen müſſe, ihre Verordnungen 
nicht befolge. ) Sie wiverriethen ihm den Genuß des kalten Quell⸗ 
waſſers und des rohen Obſtes, der ihm gerade behagte, ſie erklärten 
fein übermäßiges Faſten für nachtheilig, obwohl hier die Gefahr zuver⸗ 
Kfig nicht fo groß war, als er die Welt glauben machte. Er blieb bei 
ſeiner Lebensweiſe geſund und rüſtig und lachte ihrer Mahnungen. 
Mit Behagen pflegte er zu erzählen, wie ihm einſt bei einer Krankheit 
die Aerzte geweiffagt, er werde um Mitternacht ſterben, und wie ſie 
3 am Morgen wiederkehrend, vergnügt an feinem NS ge 
2 
funden.) 

Doch weientlicher als fein perſönliches Verhalten, bei Kali nie 
deſtens fo viel Laune als Ueberzeugung war, find uns die Gründe, die 
er gegen das Treiben der Aerzte vorbringt. Von ihrer Wiſſenſchaft 
verſtand er allerdings nichts, aber es war ihm doch klar, daß ſie bis 
jetzt eben keine ſei und ſich entweder ihrer Unfähigkeit beſcheiven ober 
tiuſt ganz andre Bahnen ſuchen müſſe. Er war auch in dieſem Fache 
der erſte, der mit Unglauben an das alte Syſtem klopfte; darum ge 
bührt ihm in der Geſchichte der Mediein ein ehrenvollerer Platz als 
manchem geiſtvollen Erfinder neuer Qualen und unſeliger Mordeunren. 
Am reinſten ſpricht er ſich aus, wenn er nicht im Tone des Spottes 


9 A et. rer. Seni KEV, G. et al. 
2) Epist. rer. senil. XIII, 8. XIV, 14. 


44 I. Petrauca gegen bie Nerzte. 


uud der Polemik dem nerhuften Stande der Hurmnephheten übauhanpt 
zu Leibe geht, ſondern feine Meinung einem geſchätzten Freunde, wie 
dem berühmten Arzte und Phyſiker Giovanni de Dondi, mit Mäßi⸗ 
gung darlegt. Dann beſtreitet er keinesweges, daß es eine Wiſſenſchaft 
der Mediein gebe, aber er kann nicht glauben, daß die Aerzte feiner 
Zeit oder ihre Vorgänger im Beſitze derſelben geweſen. Solbſt vie 
Alten, meint er, helfen hier nicht aus; den wie eigentlich Hippokrates 
geheilt habe, wiſſen wir nicht, dem Galenos aber ſei als einem Pvahler 
nicht zu trauen und überhaupt können die griechiſchen Aerzte Kranken 
eins andern Landes, deren Natur auch eine andre ſei, nicht helfen. 
Die arabiſchen ſcheinen ihm die vollſte Verachtung zu verdienen. Fin⸗ 
den unn ſelbſt die Heilkünſtler des Alterthums keine Gnade vor ihm, 
woher ſollten die modernen ihr Wiſſen haben? Sie ſtehen ihm den 
Aſtrologen ganz nahe, treiben ein betrügeriſches und noch dazu ſchmutzi⸗ 
ges Gewerbe und ſind allzumal Charlatans, fie müßten denn ihre Un⸗ 
mifſenhett eingeſtehen. Sie mißbrauchen die Leichtgläubigkeit und vie 
Lebeusluſt der dummen Menge, welche ihre geheimnißvollen Mienen 
und Worte refpecktet und die kauderwelſchen Namen ihrer Gifte als 
auiechifche Weisheit verehrt. Wenn fie die Apheriemen des Hippokra⸗ 
tes citiren, die. fie nicht verſtehen, thun fie in ihrer Anmaßung, als 
hatten ſie den Himmel unter ihren Füßen und als lägen die Geheimm⸗ 
niſfe der Natur vor ihnen offen. Selbſt an ihre Erfahrung well Pe⸗ 
trarsa nicht glauben, weil das Wirken der Natur allzu tief und ver- 
borgen ſei. Auch ſcheint es ihm gegen Philofophie und Religion, über 
der Erhaltung des Lebens allzu ängſtlich zu wachen; der Natur. gemäß 
müſſe man leben und wo ſie nicht ausreicht, auf Gott vertranen, nicht 
auf Hippokrates, am wenigſten auf feine unwiſſenden Schüler, die * 
ihr Morden noch hohen Lohn verlangen.) | 

Nebſt der Medicin waren die Rechte das eigentliche Brodſtudium und 
Shen das hätte Petrarea vermocht, von der Wolkenhöhe der Philosophie 
mit. Verachtung auf fie herabzuſehen. Daß er ſelbſt ſieben Jahre lang 
dem Rechts ſtudium obgelegen, wenn auch unter Zwang und Widerwillen, 
. man 8 . . an. Die Abneigung und in Golge 


) Episte rer. senil. XII, 1. 2. V, 4. xv, 3. es al. ae Wanferungen Pete 
über die mediciniſche Wiſſenſchaft und die Aerzte findet man in Reihe und Glied ge 
ſtellt, wodurch fie freilich ein allzu methodiſches Anſehen erhalten, in einem Auſſatze 
von Henſchel (Janus. Zeitschrift für Gesch. und Literatur der Medici Ba. I. 
Breslau, 1846. S. 183 fl.) 


I. Petrarea und das Ins. Sein Kampf gegen bie Schulpkilefopfe: 45 


derſelben das tiefere Bewußtſein ſeines humaniſtiſchen Berufes ſchen 
die einzige Frucht jener oklademiſchen Jahre. Dennoch iſt er mit der 
Rechts disciplin und mit den Juriſten noch glimpflicher umgegangen als 
mit der Medpiein und den Aerzten. Entweder war ihm das Andemen 
an jene Jahre der Zwangsarbeit ſo zuwider, daß er an ſie nicht den⸗ 
ken mochte, oder er kam mit ſeiner Anſicht nicht ins Reine. Denn 
das bürgerliche Recht Italiens, wie auch entſtellt, war doch immer 
eine auf dem Alterthum ruhende Disciplin, und das bürgerliche Leben 
konnte der richterlichen Entſcheidungen nicht entbehren. Petrarca iſt in 
dieſes Gebiet nicht ſonderlich tief eingedrungen. Er vermochte uicht 
die geſchichtliche Auffaſſung von der Praxis zu trennen und ſich wieder⸗ 
um den nothwendigen Zuſammenhang beider zu verdeutlichen. Er ſtieß 
ſich ſofort an der täglichen Erfahrung, die er mit der Moral im Ge⸗ 
genſatze ſah. Er fand, daß der Gebrauch des Rechtes durch die Nichis⸗ 
würdigleit der Menſchen geſchändet werde, er wollte das menſchliche 
Recht geübt fehen, welches die alten Philoſophen gelehrt. Nur mit 
wenigen Fingerzeigen hat er hier auf ein Feld der Polemik . 
welches von ſeinen Nachfolgern reichlichſt ausgebeutet wurde. N 
Am ſchärfſten mußte der Humanismus feinem Widerſpiel, der 

ſcholaſtiſchen Methode, entgegentreten, wo er ſie losgelöſet van Leben 
und Anwendung, in ihrer abſtracten Form, als Philoſophie antraf. 
Bis zu dieſem Kern drang Petrarca erſt allmählig, indem die mit dem 
Leben verknüpften Wiſſenſchaften ihn zuerſt reizten und ſeine ankämpfende 
Kraft übten. Bildete aber die Dülektik ſtets die Waffe feiner Gegner; 
ſo mußte entweder auch er ſie führen lernen oder ſie dem Feinde aus 
der Hand ſchlagen. Mit Hülfe feiner wohlgeübten Rhetorik glaubte 
er letzteres zu vermögen. Die Dialektik, erklärte er, möge eine vor⸗ 
treffliche Uebung für den jugendlichen Geift fein, gleichwie das Kind 
ſeine Körperkraft zuerſt im Spiele übe, ſie ſei der Weg, nicht das Ziel, 
ein alter Syllogismenkrämer aber höchſt lächerlich. In der That war 
ein ſolcher gegen ihn aufgetreten und hatte die Poeſie und Rhetoril 
für die unnützeſten aller Künſte erklärt.) Der Krieg Petrarca's gegen 
die ganze Discipkin war dadurch entzündet. Fortan fühlte er ſich als 
einen Sokrates, der das Treiben der Sophiſten enthüllte. In den 
gefeierten Kathederphiloſophen ſah er nur noch Narren, die unter einem 
geſchwätzigen Spiel mit Worten grau werden und dabei der en 


') Epist. rer. mil 1. 6. 9. 11. 


46 I. Pererea'e Kempf gegen vie Schulpyilsſaphie und Arihstrbes. 


welche durch die Worte bezeichnet werden, ganz vergeſſen, die ſich mit 
ihren unfruchtbaren Speculationen und Disputationen eitel und hof⸗ 
fährtig in leeren Kreiſen herumdrehen und nur vom dummen Volle 
angeſtaunt werden.) Die wahre Philoſophie werde beſcheiden anfixe- 
ten und den Weg zum Heile weiſen; nicht hohle Begriffe, ſondern der 
fittliche Menſch und das Leben ſeien ihr Gegenſtand, fie. führe den 
Weiſen zum Hafen des höheren Lebens.) Es iſt, wie man ſteht, die 
Moral, in die ihm alle Philoſophie aufgeht. 

Der Schild, den ſeine Gegner ihm ſofort entgegenhielten, war 
natürlich Ariſtoteles, ein gefeierter Name, dem noch niemand feine hr: 
furcht zu verweigern gewagt. Petrarca, der Verehrer des Alterihums, 
wurde hier durch das Alterthum ſelbſt aus dem Felde geſchlagen. Ge 
iſt höchſt anziehend zu beobachten, wie er um dieſen Einwurf herum⸗ 
zukommen ſucht und wie er endlich kühn dem hehren Namen mit 
einem andern hehren Namen entgegentritt. In jenen Jünglingsfahren 
nämlich, als er feine Invectiven gegen die Aerzte ſchrieb, beſchulvigte 
er feine Gegner einfach, den Ariſtoteles nicht zu verſtehen und zu ale 
deuten. Er kannte ihn aber felbft nur in derſelben verderbten Geſtalt 
wie ſie und hat ſich zuverläſſig, ſeitdem er der Hochſchule entlaufen, 
nie wieder mit der vort üblichen Philoſophie beichäftigt. Doch wüßte 
er, vaß die Handbücher eben nicht den reinen Ariſtoteles, ſondern nur 
eine Verarbeitung enthielten, deren unzählige Zuſätzt und Umſchreibun⸗ 
gen von dem alten Autor kaum noch eine Spur erkennen ließen. Er 
wußte ferner, daß arabiſche und jüwiſche Commentatoren, zumal Awer⸗ 
roes, dabei thätig geweſen, und das war genug für feine Galle; wenn 
er dachte ſogleich an die arabiſchen Aerzie, an wilde Heiden, hartanckige 
Juden, wüthende Verfolger Chriſti und dergleichen. Mit der Zeit 
mußte der ihm kaum bekannte Ariſtoteles unter dem Haſſe mitleiden, 
den er gegen den ihm ganz unbekannten Averroes hegte, nur ſprach er 
von jenem noch mit Zurückhaltung, während er auf Araber, Averroiſten 
und Ariſtoteliker ſchon gewohnheitsmäßig eiferte und ſchmähte. Dabei 
mußte er ſich im Stillen geſtehen, daß auch diejenigen Schriften des 
Awiſtoteles, die er in unmittelbarer, wenn auch der Untreue ſehr ver⸗ 
mächtiger Ueberſetzung las, ihn nicht im mindeſten anzogen. Wie un⸗ 


) De remed. utr. fort. Prasfat. (Opp. p. 2); de oantemptu mundi Dial. I 
(Opp. p- 379) et al. 
) Invect. e. medicum Lib. II (Opp. p. 2212) Aehuliches an ä Stellen 


dieſer Schrift. 


I. Beiropen und Ariſtoteles. 47 


ſicher er ſich fühlte, wie es ihn drängte, feine ganze Meinung über 
Ariſtoteles herauszuſagen und wie er doch Scheu trug, dem ehrwürdi⸗ 
gen Alten zu nahe zu treten, zeigt am deutlichſten die Schrift „über 
ſeine und vieler Anderer Unwiſſenheit“, die gegen eine Secte gerichtet 
iſt, in welcher Ariſtoteles wie ein Gott verehrt wurde. In dieſer 
Schrift wechſelt Petrarca zweimal ſeinen Standpunct. Er erzählt uns, 
wie er ſich bisher geholfen habe, wenn ſeine Gegner in der Disputa⸗ 
tion einen ariſtoteliſchen Satz wie ein heiliges Axiom hingeſtellt: er 
ſuchte nämlich entweder mit einem Scherz die Unterhaltung darüber 
hinwegzuleiten oder er ſagte beſchönigend, Ariſtoteles ſei zwar ein gro⸗ 
ßer Mann von vielen Kenntniſſen, aber doch ein Menſch geweſen und 
habe deshalb Vieles nicht gewußt.) Weil dann ſeine Gegner, Logiker 
vom reinſten Waſſer, die Eloquenz als eines Mannes der Wiſſenſchaft 
unwürdig erklärten und ſelbſt bereit waren, fie dem Ariſtoteles, finde 
fie ſich an ihm, als Nachtheil anzurechnen, fo erklärt Petrarca den 
Stagiriten plötzlich für ſüß und. wohltönend und nur durch feine ge⸗ 
ſchmackloſen Jünger ins Unfeine und Rauhe entſtellt.) Endlich aber, 
nachdem er ſich im Fortſchreiben an ſeinen Gegnern tüchtig eingeärgert, 
bricht er doch mit ſeiner wahren Meinung heraus. Er wolle wegen 
der Zeugniſſe der Alten, zumal des Cicero, immerhin glauben, daß ſich 
Ariſtoteles in ſeiner eigenen Sprache licht⸗ und ſchmuckvoll leſen möge, 
aber er müſſe geſtehen, daß ihn der Stil ſeiner Werke, wie ſie nor 
ihm lägen, nicht ſehr ergötze. Auch lehre Ariſtoteles wohl, was Tu⸗ 
gend ſei, aber er lehre nicht mit dem feurigen Eifer eines Gicern oder 
Kane die Tugend lieben und das Laſter haſſen. Wohl wiſſe er, daß 
die Ariſtoteliker ihn wegen dieſer kühnen Aeußerung verketzeru würden, 
eber er müſſe fie herausſagen.) 

An einer andern Stelle ſeiner Schriften ſpricht er ſich noch rüd- 
beltiofer über Ariſtoteles aus. Er will es wagen, dem »wüthenden 
Haufen“ der Verehrer des Ariſtoteles entgegenzutreten und »dem all⸗ 
gemeinen Irrthum nicht ſtill zu folgen“: an der Größe feines Geiſtes 
könne man nicht zweifeln, wohl aber an ſeiner Beredtſamkeit; in den⸗ 
jenigen Büchern wenigſtens, die auf uns gekommen, finde ſich „leine 
Spur von Wohlredenheit.“) 


1) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1149). 

) Dulcis ac suavis, sed ab his scaber factus Aristoteles. ibid. p. 1143. 
3) ibid. p. 1159. 

) Rer. 3 Lib. I (Opp. p. 466). 


48 I. Petrarca und Platon. 


Ein ſolches Wort macht in der Geſchichte der Wifjenfchaften 
Epoche, wie eine Völkerſchlacht in der Geſchichte der Staaten. Pe⸗ 
trarca trat damit nicht nur einem einzelnen Gegner oder einer beſon⸗ 
dern Schule, ſondern einer ſeit Jahrhunderten geläufigen und von 
niemand noch angefochtenen Autorität entgegen. Der Schlag traf 
nicht Ariſtoteles allein, zugleich auch die Kirche, das mittelalterliche 
Syſtem. | 

Als Gegengewicht hob Petrarca nun den Platon empor. Hiebei 
war noch weniger Kenntniß und faſt Alles bloßer Inſtinct. Bei den 
Ariſtotelikern ſtand Platon in ſehr geringer Achtung oder vielmehr in fo 
geringer Kenntniß, daß ſie der Meinung waren, er habe gleich Pytha⸗ 
goras nichts oder doch nur ein paar unbedeutende Werke geſchrieben. 
Petrarca beſaß etwa ſechszehn ſeiner Schriften, aber es waren griechiſche 
Exemplare, die gleich ſibylliniſchen Büchern in ſeiner Bibliothek ſtanden.) 
Boccaccio hat ſich einmal an ihre Ueberſetzung wagen wollen, bald aber 
eingeſehen, daß der fromme Wunſch noch nicht das Können ſei. Folg⸗ 
lich war auch Petrarca's Vorſtellung von dem großen Athener eine 
äußerſt dunkle und ſkizzenhafte. Er wußte nicht viel mehr von ihm, 
als daß die Scholaſtiker auf ihn zu ſchmähen pflegten — ſchon ein 
weſentlich zu ſeinen Gunſten ſprechendes Argument — daß Cicero, 
Seneca, Apulejus, Plotinus, auch Ambroſius und Auguſtinus ihn hoch 
gehalten, daß er ſchon im Alterthum den Beinamen des Göttlichen ge⸗ 
führt.) Aber das iſt ihm genügend. Will er auch einmal ſich nicht 
zum Richter darüber aufwerfen, ob Ariſtoteles oder Platon größer ſei,) 
ſo iſt doch dieſe Frage bei ihm längſt entſchieden. Er nennt Platon 
bei andern Gelegenheiten geradezu den erſten der Philoſophen, erkennt 
ihm den Principat zu, iſt von dem „göttlichen Redeſtrom“ feiner. Werke 
überzeugt und ſchilt die Kathederphiloſophen, die ſeinem Lobe wider⸗ 
ſprechen, ein plebejiſches und kleinkrämeriſches Volk.) Ja ſogar den 
neueren Griechen, die ſich ſonſt wenig ſeiner Hochachtung erfreuen, will 
er beiſtimmen, wenn ſie Ariſtoteles ſeiner reichen Kenntniſſe wegen ach⸗ 
ten, Platon aber wegen der Hoheit ſeines Geiſtes als den Göttlichen 
bewundern.) | 


) De sui ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1162). 
) Epist. rer. variar. 21. 
De sul ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1161). f 
) Epist. rer, variar. 21; famil. IV, 9. Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 452). 
) Rer. memorand. Lib. I (Opp. p. 463). 


I. Petrarca und Platon. Seine Stellung zur Kirche. 49 


Auch hier iſt das, was uns überraſcht, nicht Petrarca's Urtheil, 
welches er doch allzu dürftig begründet, es iſt vielmehr die Gabe der 
Divination, die geniale Wegweiſung. Es bedurfte eines Jahrhunderts, 
um den Kampf, den Ariſtoteles und Platon um die Hegemonie der 
Geiſter führen ſollten, auf das Feld der wiſſenſchaftlichen Kunde zu 
übertragen, dann verging etwa noch ein halbes Jahrhundert und der 
Sieg Platons war entſchieden. War es für's Erſte nur von Bedeu⸗ 
tung, daß durch das Hervorheben Platons die Autorität des Ariſtote⸗ 
les deſto mächtiger erſchüttert wurde, ſo müſſen wir doch gleich hier 
eine andre, wenngleich viel ſpätere Folge ins Auge faſſen. Während 
Ariſtoteles eine Stütze der Kirche geworden war, indem ſeine dialektiſche 
Methode, tauſendfach mit ihrem Dogma verſchlungen, demſelben Feſtig⸗ 
keit und Einheit gab, erhob ſich dagegen der Platonismus auf ſelbſt⸗ 
ſtändigen Grundlagen neben der Kirche und wurde, wie man ihn trieb, 
zu einer Theoſophie, die durch myſtiſchen Zauber und als ſtolze Lehre 
für Auserwählte gefährlich genug der Theologie und dem Glauben ge⸗ 
genübertrat. 

Wie glich ſich denn dieſer Gegenſatz, des Humanismus nämlich, 
der freien Kraft, die Alles aus eigenem Buſen ſchaffen will, und des 
firchlichen Glaubens, der als Poſtulat an den Menſchen tritt, wie glich 
er ſich in Petrarca's Seele aus? Seine Stellung zur Kirche, zur Theo⸗ 
logie und zum Glauben iſt keine einfache, in ihr liegt der Angelpunct 
ſeines Geiſteslebens, ſie führt uns am tiefſten in das Verſtändniß ſei⸗ 
ner Perſönlichkeit. In andern Puncten werden wir oft finden, wie 
Petrarca der Typus und Pfadweiſer für die ihm nachfolgenden Huma⸗ 
niſtenſchulen war; das iſt er in dieſem Puncte nicht oder er iſt es viel⸗ 
mehr in einem ungleich höheren und weitgreifenderen Sinne. 

In jenen jüngeren Jahren, als der Wohllaut der tullianiſchen 
Sprache und das im Helldunkel des Heroismus ſchimmernde Alterthum 
ihn noch völlig beherrſchten, war er wenig verſucht, ſich um Glauben 
und Kirche mehr zu kümmern als andre junge Leute, die eine Weihe 
genommen, eine auskömmliche Pfründe abwarteten und das Schickſal 
der Kirche ihrem unſichtbaren Lenker überließen. Aber der Ernſt der 
Zeit riß auch ihn in ihr Intereſſe mit, um ſo mehr da er den Drang 
fühlte, ſich hervorzuthun und als Sänger, als Vates, im Sinne der 
Propheten des alten Bundes aufzutreten. 

Die Zeit der avenionenſiſchen Reſidenz, der großen Peſt und aller 
jener Uebel, welche damals das bürgerliche Leben und die Gemüther 

Voigt, Humanismus. 4 


50 I. Petrarea und die Kirche. 


zerrütteten, hat ihre eigene Literatur von Klageltedern, Straſpredigten 
und Weltgerichtsverkündigungen. Es herrſchte eine unheimliche religidſe 
Erregung, die erſt gegen den Schluß des Jahrhunderts einer langen 
und matten Gleichgüttigkeit Raum machte. Hunderte von Mönchen 
ſahen den Antichrift hereinbrechen und riefen verzweifelt zur Buße, zu 
Sack und Aſche auf. In dieſen Weheruf ſtimmt auch Petrarea ein, 
wortreich und lamentabel wie jene Mönche, nur erfinderiſcher und ge 
bildeter in der Ausdrucksweiſe. Auch er iſt unerſchöpflich, wenn er auf 
die Sündhaftigkeit und das Elend ſeiner Zeit zu ſprechen kommt. Er 
ſieht die Menſchheit an einem Abgrunde ſtehen, von dem ſie nur vor⸗ 
wärts in das allgemeine Verderben ſtürzen kann, er iſt der Prophet 
eines furchtbaren Strafgerichtes, welches über die von Chriſto abgefallene 
Menſchheit kommen muß, ja er bewundert die Geduld Gottes, der ſeinen 
Zorn noch beſchwichtige und den großen Tag ſeiner Rache noch ver⸗ 
ſchiebe. Jetzt, ſagt er, ift die Zeit eines Nero und Domitianus noch 
zu beneiden; denn jetzt kann man weder tugendhaft leben noch ehrenvoll 
ſterben. Und muß einer die Summe der Schuld tragen, ſo iſt es der 
Papſt, der nicht weilt, wo die Gräber der Apoftelfürften ſind und wo 
vom Capitol aus eine Welt beherrſcht wurde. „Indem wir unſern 
Fahnen folgen, werden wir verrathen und unter der Leitung unſers 
Führers gehen wir ins Verderben, und wenn nicht Chriſtus noch ein⸗ 
mal als Rächer auftritt, iſt Alles verloren.“) 

So folgt hier Petrarca einem allgemeinen Stichwort. Aber er 
ift auch auf dieſem Gebiete nur der Redekünſtler, ein ſtrenger Genfer, 
der aber nur um feines Amtes, nicht um der Sache willen eifert. 
Man darf nur einige Seiten ſeines Lebenswandels mit ſeinen Worten 
in Vergleich ſtellen. Gern rügt er mit ernſter Miene oder mit witzi⸗ 
gem Spott) das liederliche Leben der Kleriker und Mönche, und 
doch hatte er ſelbſt eine Weihe empfangen und bezeichnete ſich als Prie⸗ 
fter, ohne die in der Theorie verehrte Enthaltſamkeit im Leben zu be⸗ 
währen. Gegen Schein und Heuchelei hat er tüchtig geeifert, aber feine 
Gebete und Faſten nicht ohne Eitelleit zur Schau getragen. Wie ft 


) Die Briefe ohne Adreſſe find vorzugsweiſe dem Weherufe gewidmet (vergl. 
befonders epist. s. tit. 6. 7. 11. 12. 13), doch ſiuden ſich ähnliche Eppectorationen 
ziemlich in allen Werken Petrarca's, z. B. epist. famil. II, 10: Sed, ut res ennt, 
indies pejorg conjicio, quamvis jam pejora vix possim. 

„) So iſt z. B. die epist. s. tit. 18. erzählte Geſchichte von dem alten verbuhl⸗ 
ten Cardinal der Facetien Poggio's ganz würdig. 


T. Petravea end Anzuſtinus. | 51 


verſichert er uns, daß er ein gläwbiger Shrift ſei und ſein wolle, und 
duch konnte er den heivniſchen Philoſophen, den das Alterthum gebildet, 
nummer derlengnen. 

Noch zu verſelben Zeit, in weicher Cicero und Virgilius feine 
verehrten Idole waren, fielen Petrarca die Bekenntniſſe des Auguſtinus 
in die Hände. In der That ein wunderbares Buch, dieſe Confeſſionen! 
Der Nhetor, der auf ſein blühendes Wort vertraut und für feine Kunſt 
eine Bühne ſucht, ſtößt hier zuſammen mit dem Chriſten, der nichts 
darch ſich, Alles uur durch die Gnade Gottes fein will. Etwas, düult 
uns, von dem Hange, der Auguſtinus zum Schauſpielen zog, hat ihn 
verleitet, fein Herz zur Bühne zu machen und vor einem Publicum 
feine Couverſion darzuſtellen. tel und ſelbſtgefällig, fo lange er das 
Leben als ein geiſtreicher Heide genoß, läßt er die rhetoriſche Verbil⸗ 
dung auch dann noch verſpüren, als er fi in das Meer der Gnade 
ſtürzte und mit pathetiſchem Entzücken die Empfindung der tiefften 
Demuth genoß. Er konnte nicht mehr zur Einfalt und Einheit ves 
Weiens zurücklehren. So ſteht dieſer denkwürdige Menſch an einer Greuz- 
ſchewe gleich Peitavca, beide find rückwärts⸗ und vorwärtsſchauende 
Nannsgeſtulten, beide fefjeln uns durch vas Bild des ringenden und 
kenipfenden Merſchen, der werden möchte wie ein Kind und doch 8 
bertanenhen gleich einer Kette mit ich fchleppen unß. 

Wir verſtehen nun wohl, was Petrarca an diefem Buche ber 
Confeffionen fo mächtig anzog, warum es in ihm gährt und glüht, 
wenn er von Auguſtinus ſpricht. Er empfand die verwandte Natur 
wo: ſah in ihrem Spiegel ſein eigenes Bild; er fühlte, daß auch in 
im dieſelben lemente ſchliefen und zum Kampfe erwachen mußten. 
In der That ſtand er keinem Menſchen fo nahe als dieſem Kirchen⸗ 
lehrer, der ein Jahrtauſend vor ihm gelebt. Gern nennt er ihn: mein 
Auguſtiuns. Im Stolze des Ciceronianers hatte er die Leuchten der 
Arche, im Selbſtgefüchl des Dichters den Chriſten bis dahin wenig 
leuchtet.“) Ans dirfem Buche hörte er den Menſchen zum Menſchen 
reden und an das: Tiefiunerſte pochen, was er ſelber in feinem Buſen 
barg; Heilige Empfindungen ſah er gepaart mit quellender, oft hin⸗ 
weißender Begemkeit. Ee wurde das Buch feines Herzens, viefts 


) Bpist, rer. senil. XV, 1: Nondun sane sanctorum Aibros eee; 5 
errore coecus et typo tumidus Beta, ae 


4* 


52 I. Petrarca und die Theologie. Die Averroiſten. 


„thränenfeuchte“ Buch der Confeſſionen.) Er hatte feinen geiſtlichen 
Helden gefunden, den er nun ſofort zu einem neuen Idole machte und 
mit deſſen Cultus er ſich recht vor die Augen der Welt drängte, gleich⸗ 
wie er im weltlichen Gebiete feine auf Scipio Africamts gefalleue Lieb⸗ 
lingswahl bis ins Abgeſchmackte verfolgte. Aber vüllig neu war doch 
dieſe Auffaffung eines Schriftſtellers der Kirche. An den Claſſikern 
hatte Petrarca wieder gelernt, einen Autor leſen, aus deſſen Büchern 
man bisher nur einzelne Stellen geriſſen, um ſie gepaart etwa mit 
Thomas von Aquino's und Lyra's Gloſſen zur ſchulmäßigen N 
zu verwenden. 

Petrarca iſt ferner der erſte, der zwiſchen der Religion or, 
wie fie in den Schriften des neuen Bundes, den Werken eines Hiero⸗ 
nymus und Lactantius, vor Allen aber feines geliebten Auguſtinus ge⸗ 
lehrt wird, auf der einen und der neueren Theologie auf der andern 
Seite eine ſcharfe Scheidelinie zieht. Der ſcholaſtiſche Theolog ſteht ihm 
nicht höher als der ſcholaſtiſche Philoſoph und Juriſt. Den heiligen Na⸗ 
men der Theologie, ſagt er, den einſt würdige Bekenner geziert, entehren 
jetzt profane und geſchwätzige Dialektiler, daher dieſe Maſſe un brauchbarer 
Magiſter.) Ihre Gelehrſamkeit flößt ihm nicht die mindeſte Ehrfurcht 
ein und ebenſowenig iſt er für mönchiſchen Spuk empfänglich; denn 
jene entbehren der Weisheit des Alterthums und dieſem widerſpricht 

die Philoſophie der Römer. Wenn Petrarca dennoch als Apologet des 
eee nicht geringen Ruhm erlangt, ſo müſſen wir die . 
legenheit und die Motive mit in Betrachtung ziehen. 

Eben zu feiner Zeit hatte die ſcholaſtiſche Philoſophie einen wan 
derlichen Auswuchs getrieben und eine Schule erzengt, die der hum 
niſtiſchen ſchroff entgegenſtand und den Vater des Humanismus an ſich 
zum Kampfe herausforderte. Leider kennen wir biefe wiſſenſchaftliehr 
Secte nur aus Petrarca's Schilderung, und dieſer hebt als ihr Gegwer 
allein die negativen und anftößigen Lehren hervor. In Venedig lernte 
er fie (etwa 1366) kennen, viel weiter verbreitet war fie jedeufalla, 
aber herrſchend oder auch nur auf den Hochſchulen populär wer fie 
ebenſo gewiß nicht. Ihre Tendenzen waren au ſich nur Wenigen zu⸗ 
gänglich, bie Mitglieder ſcheinen eine Art Gehrimband gebildet zu be 


) Epist. rer. variar. 29. nennt er Augustini scatentes lacrymis Confessio- 
num libros, de quibus quidam ridiculi homines ridere solent. 
) De remedio utr. fortunae Lib. I. dial. 46. 


I. Die Secte der Anerzsiften. 53 


ben, der entwener nur durch ſtilles Einverſtändniß und gewiſſe Stich⸗ 
werte zuſammenhielt oder auch in ſeiner Berzweigung und feiner Stellung 
neben der Kirche an das Freimaurer und Logenweſen wenigſtens er⸗ 
innern mag, wenn wir auch den behaupteten Zuſammenhang zwiſchen 
Awerroiſten und Freimaurern deshalb nicht vertheidigen wollen. Von 
einem Ausläufer dieſer Secte, der in Florenz fein Weſen trieb, N 
ken wir noch zu ſprechen. 

Es waren die „modernen Philoſophen“, „die Bekenner einer neuen 
geheimeren Weisheit“, eine Geſellſchaft von Freigeiſtern. Im Stolze 
anf ihre dialektiſche Kunſt erklärten fie nämlich jeden Autoritätsglauben 
ſür einen Nothbehelf ſchwacher Seelen. Sie ſtellten den Geiſt möglichſt 
auf den Geiſt allein, wieſen alle Vorausſetzungen zurück außer denen, 
welche die finnliche Wahrnehmung und die Logik aufſtellen, und trium⸗ 
phirten nur in ſolchen Reſultaten, die fie dem abſoluten Denken zu 
verdanlen meinten. Es war alſo, wenn wir recht ſehen, die ſcho⸗ 
laſtiſche Methode, die ſich von allem Stofflichen und von jeder Zucht, 
auch der kirchlichen, loszumachen ſtrebte, um auf eigene Hand als 
Wiſſenſchaft, als eigentliche Philoſophie aufzutreten. Wie aber gemein⸗ 
hin die eine Autorität nur bei Seite geſchoben wird, um eine andre 
an ihre Stelle zu ſetzen, ſo wurde Ariſtoteles von dieſer Schule wie 
dur Prophet und ſeine Commentatoren, zumal Averroes, wie die Evan⸗ 
geliſten verehrt. Die Naturwiſſenſchaften, inſofern ſie auf der reinen 
Empirie beruhen, gaben häufig den Stoff zu Disputationen, aber ſtatt 
den eigenen Augen zu vertrauen, ging man doch auch hier auf Ariſto⸗ 
wles und die Araber zurück und ſtritt ſich, dürfen wir Petrarca als 
einem Gegner der Secte glauben, mit großem Ernſt über die unphilo⸗ 
ſaphiſcheſten Probleme, zum Beiſpiel wie viele Mähnenhaare der Löwe oder 
wie viele Federn der Habicht im Schwanze habe, wie ſich die Elephan⸗ 
ten begatten, ob wirklich der Krokodil das einzige Thier ſei, welches 
die obere Kinnlade bewegen könne, ob wirklich der Phönix in die aro⸗ 
matiſchen ä ſtürze und aus der Aſche neu geboren werde und 
dergleichen. 

Auch gegen das Chriſtenthum ſtellten ſich dieſe Philosophen ganz 
ſalbſrſtändig obwohl ſie, verſtehen wir eine Andeutung Petrarca's recht, 
zum großen Theil Mönche waren. Doch war dieſe Selbſtſtändigkeit 
ſchon eine Oppoſition, nur daß ſie nicht laut zu werden wagte und ſich 
damit begnügte, im Gefühl der Ueberlegenheit die gläubige Menge zu 
verachten. War in dieſem Kretſe von Chriſto, den Apoſteln und dem 


54 I. Petrares und die Awverrviſten. 


Evangelium die Rede, fo gab es entweder frivole Scherze oder man 
bezeugte ſich durch Lächeln und ſtumme Winke das ſtolge Wiumerftäntd 
niß. Bei öffentlichen Dispatationen pflegte man n es 
werde jetzt „abgeſehen vom Glauben“ geſprochen. 

Weil Petrarea als der Großgeiſt feiner. Zeit verehrt werde und 
auch dieſe Dialektiler ſich auf der Höhe derſelben fühlten, glaubten Fe 
nicht anders, als er müſſe im Stillen mit ihnen einverſtanden ſein, 
und einige, die ohnehin mit ihm befreundet waren, nahten ſich im mit 
dieſer Vorausſetzung. Auch wollten fie wohl, gleich allen Sectirern, un⸗ 
ter angefehenen und gefeierten Männern Propaganva machen. Doch eben 
das brachte Petrarca ihrer Gemeinſchaft um ſo ferner. Er hatte ſich 
immer als ein Individnum angeſehen, das allein und ohne gleichen da⸗ 
ſtand. Nicht nur feine Gelehrſamkeit war einzig und über jede m 
fechtung erhaben, er war auch der große Weiſe feines: Jahrhunderte 
und ſelbſt feine religiöfe Anſchauung theilte er mit einem Lebenden. 
Was ihm fein Auguſtinus war, vavon hatten jene keine Ahnang, 10 
ihr Ariſtoteles war ihm längſt zuwider. Er war überdies ein Greis 
geworden; man weiß ja, wie Leute ſind, welche das Alter in ur ide 
ſtimmten Meinung von ſich befeſtigt hat. 

So iſt es an ſich begreiflich, daß Petrarca ven ncbermmn While 
ſophen“ abhold fein mußte. Er ſagt, fe hätten üder Sokrates und 
Pythagoras, über Platon und Ariſtoteles gelacht, Cicero und Seneca 
verachtet, über Virgilius gefpättelt, Ambrofins, Auguſtinns und Hiere⸗ 
nymus für Schwätzer erklärt. Ihnen liege nichts daran, daß die mei⸗ 
ſten Schriften der Alten verloren gegangen find; venn fie glauben ja 
ſelbſt genug und Alles zu wiſſen. Die Wohlrevenhett verachteten ſte 
als wiffenſchaftlicher Menſchen unwürdig. — Wir böten hier ohne 
Zweifel Aeußerungen, die gerade und nur gegen Petrarca aufpeſtellt 
werden konnten, die ihn, den Schüler und Verehrer des Alterthums, 
mit Geringſchätzung trafen und vermuthlich viel von ihrer abſprechenden 
Schärfe erſt der Phantaftie des Beleidigten verbunden. Es ſind m 
möglich entwickelte Dogmen der Secte, die doch nicht den Comenentuter 
Averroes, wie Petrarca ihr dorwirft, verehren und den commentirten 
Ariſtoteles verlachen kennte. Ueberdies ſagt Petraren an einer andern 
Stelle ſelbſt wieder, Ariſtstekes ſei ihr Abgott, und er nem fir mit 
demſelben Spott bald Ariſtoteliler bald Averroiſten. Auch reiten ſte 
ihn unmittelbar perſönlich. Der Eine ſprach von den Glaubenskämpfen 
des Auguſtinus wie von einer leeren Fabelet und als Petrarea ihn 


I. Peiwaree und die Arrroiften. 55 


deshalb wie einen Unglücklichen bemitleiden wollte, entgegnete er lächelnd: 
Wie thöricht mußt du fein, wenn du wirklich fo glauben ſollteſt, wie 
du ſprichſt. Ein Anderer, der ihn in ſeinem Arbeitszimmer zu Venedig 
beſuchte, zeigte im Geſpräche den ganzen Uebermuth feines Unglaubens: 
r nannte den Apoſtel Paulus einen albernen Schwätzer, hieß Petrarca, 
der ihn in Schutz nahm, ſpöttelnd einen guten Chriſten ſein und per⸗ 
ficherte, en glaube von allen den Dingen der Bibel nichts. Wie viel 
her ſtehe Averroes als Paulus und Auguſtinus, die unwiſſenden 
Dabelmacher. In Petraxca wallte der Zorn auf, er faßte den Ketzer 
beim Klelde und warf ihn zur Thüre hinaus. 
Mochte jo die Geſinnung einzelner unter den abfoluten Philoſophen 
in, offenbar übertrieben iſt es, wenn Petrarca verſichert, fie zeigten 
fh Abarall wie ein dichter Haufen von Ameiſen, ihre Zahl wachſe täg⸗ 
la, ße, füllten die Städte und Schulen, fie ſeien die Richter der Wiſſen⸗ 
schaft. Nur weil er felbft ſich in dieſem Kampfe als ein gegen die 
Pulagieher eifernder Anguſtinus fühlte, brauchte er zu demſelben auch 
elne funchtbaue Schaar von Gegnern; da ex fie nicht vorfand, erſchuf 
ſie ſeine Phantaſie ſich ſelber. Wie hätte die Kirche gegen ſolche Schaa⸗ 
sen kacket Leugner gleichgültig, wie hätte uns, wenn auch dieſe Dialek⸗ 
tiker nur in Disputationen, nicht in Schriften ihre Weisheit fort⸗ 
pflanzten, alle weitere Kunde von ihnen außer Petrarea's Bericht 
vorenthalten bleiben können! | 
Petrarca forderte einen jungen Philoſophen, den Auguſtinermönch 
digi Marfigli auf, gegen Averroes, den „wüthenden Hand“, der Chri⸗ 
ſtum und den katholiſchen Glauben anbelle und ſchmähe, und⸗ gegen ſeine 
modernen Jünger zu ſchreiben.) Es geſchah nicht, vielmehr haben 
wir Grund zu glauben, daß Marſigli ſich zu den Gegnern fchlug. 
So ergriff denn der Meiſter ſelber die Feder und verfaßte das be⸗ 
rühmte Werk „über ſeine eigene und vieler Anderer Unwiſſenheit“.“) 
Die Tendenz iſt einfach: Petrarca bringt die chriſtliche Einfalt zu Ehren 
gegen die philoſophiſche Aufgeblaſenheit. Den Philoſophen zum Trotz 
ſtürzt er ſich in die kriechendſte Demuth, auf welche er dann im Grunde 
viel ſtalzer iſt als ſie auf ihre dialektiſche Weisheit. Jede Seite des 


) Epist. 8. tit. 20 an Marſigli. (Opp. p. 812). 

) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1141 8g. ). 
Petrarca beendete dieſes Werk zu Arqua am 25. Juni 1370 (Mehus Vita Ambr. 
Travers. p. 238). Es ift natürlich die Hauptquelle des oben Erzählten. Dazu kom⸗ 
men epist. rer. senil. V, 3. und XIV, 8 und einige zerſtreute Bemerkungen, 


56 I. Petrarea als Apologet des Chriſtenthums. 


Buches zeigt uns, wie es nicht ſowohl darauf ankommt, einem über- 
müthigen Dünkel zu Leibe zu gehen und ihm die abgeriſſene Larve vor 
die Füße zu werfen, als vielmehr denjenigen ihre Armſeligkeit zu wei⸗ 
ſen, die an feinem Ruhme zu zupfen, feinem Weisheitsprineipat 
zu widerſprechen gewagt. Statt der Sache ſelbſt, in welcher Stoff 
genug zur Polemik lag, hat er immer nur die kleinen Confliete im 
Auge, in welche er mit einzelnen Gliedern jener Secte gerathen. Das 
Motiv, welches er ihnen unterlegt und auf welches er in dieſem Werke 
unermüdlich zurückkommt, iſt wahrhaft abenteuerlich und gewiß nicht 
von auguſtiniſcher Demuth erfunden. Mit dem Neide nämlich glaubt 
er den Krieg zu führen: aus Neid gegen ſeinen Ruhm ſuchten ihn die 
ariſtoteliſchen Ketzer zu ihrer eigenen Unwiſſenheit herabzuziehen und 
verſchrieen ihn als Verächter des Ariſtoteles.) Ihre Mißachtung ver 
Religion und ihre Mißachtung ſeines Ruhmes erſcheinen Petrarca als 
zwei Verbrechen, die ziemlich auf gleicher Stufe ſtehen. Wenn fie un⸗ 
ter ſich ſind, ſagt er, lachen ſie über Chriſtus und verſchreien mich 
als einen Unwiſſenden, weil ich aus Gläubigkeit ihnen nicht zuſtimme.) 
Faſt ſollte man nach feinen Worten glauben, die ganze Secte verdanke 
nur dem neidiſchen Widerſpruch gegen ſeine Autorität ihren Urſprung 
und mit ihr ſei die ganze Welt der Wiſſenſchaft gegen ihn in den 
Kampf getreten. 

Wo ſich Petrarca am felgen als Chriſt ie als Vertheidiger 
der chriſtlichen Religion ausſpricht, da ſtachelt ihn meiſtens der Anta⸗ 
gonismus gegen die Averroiſten an. Er vertheidigt daher nicht die 
Hoheit des Chriſtenthums im Allgemeinen, ſondern immer nur die 
ſeines Chriſtenthums. „Je mehr ich gegen den Glauben Chriſti ſpre⸗ 
chen höre, deſto mehr liebe ich Chriſtus, deſto feſter bin ich im Glan⸗ 
ben Chriſti. Denn mir ergeht es wie Einem, der in der Liebe zu 
ſeinem Vater matter geworden iſt; wenn er aber hört, daß gegen ihn 
geſprochen wird, ſo erglüht alsbald von Neuem die Liebe, die erloſchen 
ſchien, und ſo muß es ſein, wenn er ein wahrhafter Sohn iſt. Oft 
haben mich, und dafür rufe ich Chriſtum ſelbſt zum Zeugen an, die 
Läſterungen der Ketzer aus einem chriſtlichen Gläubigen zu einem aller⸗ 
chriſtlichſten gemacht. Denn jene heidniſchen Alten, wenn fie auch viel 
von den göttlichen Dingen fabeln, läſtern dennoch nicht, weil ſie die 


) De ignorantia p. 1142. 1143. 1158. 1164. et al. 
) ibid. p. 1156. 


I. Petrarca als Apologet des Chriſtenthums. 57 


Erkenntniß des wahren Gottes nicht haben und Ehrift Namen niemals 
hörten“. ) 

So hat es die verhaßte Ueberhebung ſeiner Gegner dem tämpfen⸗ 
den Petrarca wohl weſentlich erleichtert, ſeine irdiſche, das heißt hier 
daffiiche Weisheit vor der himmliſchen zu demüthigen und in dieſer: 
Demuth feinen Ruhm zu ſuchen. Geſtehen wir zu, daß er in allen. 
ſeinen Schriften von der chriſtlichen Lehre mit Ehrerbietung geſprochen, 
aber erſt in ſpäteren Jahren und ſeit jenen Conflicten liebte er es, 
fie recht gefliſſentlich und ausdrücklich ſelbſt den heidniſchen Philoſophen 
gegenüber emporzuheben. Er ruft Gott zum Zeugen an, daß er lieber 
ein tugendhafter Menſch als ein Gelehrter fein wolle, er erbittet ſich. 
ton ihm Demuth, Einſicht in feine Unwiſſenheit und Gebrechlichkeit, 
um vor dem Hochmuth der Ariſtoteliker bewahrt zu bleiben. Einer, 
ver Kleinsten, die an Gott glauben, tft ihm größer als Platon, Ariſto⸗ 
teles und Cicero mit aller ihrer Weisheit; denn Chriſto gegenüber find 
fie nur gebrechliche Menſchen, die vielfach irren, und ihre Lehre iſt 
ohne Autorität. Hielten ihm ſeine Gegner vor, er ſei ein allzu eifriger. 
Eiceronianer, fo antwortet er: ja ich bin Ciceronianer, aber wo die 
höchſten Wahrheiten der Religion, wo das ewige Heil in Betracht 
kommt, da bin ich weder Ciceronianer noch Platoniker, ſondern Chriſt. 
Auch iſt er überzeugt, daß Cicero Chriſt geworden wäre, wenn das 
Evangelium an ihn hätte kommen können, gleichwie Auguſtinus kein 
Bedenken trägt, daſſelbe von Platon zu behaupten. Das Chriſtenthum 
iſt ihm die einzige und unerſchütterliche Grundlage aller wahren Wiſſen⸗ 
ſchaft, auf die allein der menſchliche Geiſt bauen darf. Das Evange⸗ 
lium ſoll ihm immer im Ohre klingen, auch wenn er die San 
philoſophiſchen und geſchichtlichen Werke der Alten lieſt.) 

Wir finden es nun erklärlich, daß ſelbſt die ſtrengen Männer des 
Glanbens und der Kirche Petrarca trotz feiner Beſchäftigung mit dem 
Heidenthum nicht antaſteten, vielmehr bei feinen Bewunderern ſtanden. 
Auch in ſpäterer Zeit hat die Kirche den Vater des Humanismus mit 
Wohlgefallen zu ihren Streitern gezählt. Abgeſehen davon, daß ein 
paar ſeiner poetiſchen Epiſteln, die gegen das avenionenſiſche Papſtthum 
gerichtet ſind, im Index der von der katholiſchen Kirche verbotenen 
Bücher ſtehen, hat keine Inqniſition in feinem Laura⸗Cultus oder in 


) ibid. p. 1151. 
) ef. de . p. 1145. 1146. 1162. 1163; epist. rer. anl. VI, 2 ot al. 


58 | K Petrarca als Weltweiſer. 5 


feiner ſchwürmiſchen Verehrung der Alten einen Auſtoß gefunden. Wir 
freilich ſehen die Sache, vom Erfolge belehrt, anders an. Jene Künſt⸗ 
ler des formalen Denkens, gegen die er kämpfte, haben dem Glauben 
keinen weſentlichen Schaden mehr zugefügt; denn ihre Lehre konnte auch 
nicht den Schein eines neuen Inhaltes bieten. Die Jünger Petrarcais 
dagegen find in jener religiöſen Schen am wenigſten ihrem Meifier 
gefolgt: oft haben fie, die ſprühende Fackel des Heidenthmas in der 
Hand, mit der ermatteten Sonne des Glaubens zu wetteifern sera! 
und nicht ſelten ſich des Sieges rühmen dürfen. 

Petrarca's Auftreten gegen die Averroiſten zeigte uns bereits ein 
charakteriſtiſches Stück aus dem Gewebe ſeiner Serle; wir entrollen 
dieſts Gewibe ganz und finden es entſprechend. Er wollte mehr ſein 
als ein gefeierter Schriftſteller, er wollte als Weltweifer hoch über ſei⸗ 
nem Zeitalter thronen, bewundert und verehrt wie eine Sonne, von 
deren Strahlen man nicht weiß, was fie ſind und von wannen fie 
kommen. Ein Gedanke von ſtaunenswerther Kühnheit und Neuheit, 
auch wenn wir im voraus eingeſtehen, daß er höchſt unvolllommen 
ansgrführt wurde, daß der Prophet auf ‚nen Schritte die mrenſchliche 
198 zurückließ. 

Petrarca bedurfte auch hier der Folie, des dunkeln S 
1 5 welchen feine eigene Geſtalt deſto leuchtender abſtach. Gleichwie 
er ſich jeue Averroiſten nicht bösartig und gefährlich genug voyſtellen 


kbeunte, kann er auch fein Jahrhundert, die ihn umgebende Welt nicht 


ſchwarz genug ausmalen. Mag er ihr nun das roſige Alterthum en 
getzeuſtellen oder mag er mit den Mönchen über den allgemeinen Sün⸗ 
deupfuhl zetern, immer fühlt er nur ſich ſelbſt als den großen Men⸗ 
ſchen, der in dieſes erbärmliche und entartete Daſein gebannt ſei. 
Seinem Jahrhundert zu Liebe will er nicht ſchriftſtellern und wirken, 
denn ihm könne in feinem Elend nicht mehr geholfen werden. Um 
„diejenigen zu vergeſſen, mit denen ein ungünſtiger Stern ihm zu leben 
beſchteden, will er im Geiſte mit feinen großen Ahnen des Alterthums, 
in wirklichen Leben aber feine einſame Bahn wandeln.) Dennoch heat 
er in jüngeren . den e der Luſt gekoſtet wie nur einer, und 


) Epist. de reb. famil. VI, 4. Aehnliche Neußerungen finden ſich überall in 
ſeinen Schriften. Noch in der epist. ad posteritatem (vor der Ausgabe ſeiner Werke 
gedruckt), welche gleichſam ſein Teſtament an die Nachwelt iſt, ſagt er: Incubui 
unice inter multa ad notitiam vetustatis, quoniam mihi semper astas ista 
(kostxk) displiowit ect. 


I. Pettatea als Weltweiſer. Ks 


fo tief er ſein Iabchimbert: verachtete, hat er voch feine N 
nie ewibehren knnen. 

Auf welchem Felde wir nun Petrarca's Gedankenlauf Be 
immer finden wir ein redliches Streben nach ber tiefften Wahrheit ge 
miſcht mit dem eitelſten Haſchen nach dem Scheine, ein ſtetes Ringen 
der beſſeren Einficht mit der unüberwindlichen Lüge im Herzen. 
Peketrured wollte die ftotfche Philofophie nicht nur in ſeinen Schrif⸗ 
ten, ſondern auch in ſeinem Leben darſtellen. Das Merkmal eines 
ichten philoſophiſchen Strebens ift ihm, daß ein hochbegabter OGeift ſuch 
beſcheiden in anſpruchsloſe Verhältniſſe zurückziehe, Alles gering achte 
außer Wiſfenſchaft und Tugend, vor Altern aber jede Eitelkeit und 
Oſtentation verſchmähe. Als Schriftſteller und Dichter ruhte fein Stolz 
auf der Eloquenz, jener gefährlichen Kunſt, weſche freilich ſchuell die 
Bewunderung mit ſich reißt, aber oft den Schreibenden oder Rebenden 
nicht minder täuſcht wie den Leſer oder Hörer. Diefe Gefuhr hat 
Petrarca mit unbeirrtem Scharfſinn erkannt. Die Kloquenz ſoll ihm 
eine keuſche Mufe ſein. Er weiß es, daß ſte, um Werth zu haben, 
mit Tugend und Weisheit verbunden fein muß, nur dann fei ſie „ein 
großes Mittel zum Ruhme“. Die ſchmeichleriſche Süßigkeit und den 
trügerfſchen Schmuck der Rede vergleicht er dagegen mit der Schminke 
ener Dirne oder mit honigſüßem Gift.“) „Es iſt eine windbentelhafte 
Ruhmfucht, lediglich durch den Glanz der Worte ein Anſehen unter 
den Menſchen zu ſuchen“.) — „Auf die Thaten richte deinen Geiſt! 
In den Worten ft eitel Großthun, mühſeliges Ningen und hohler 
Klang, in den Thaten iſt Ruhe, Tugend und Glück“.) So klef durch⸗ 
bringt ihn vie Erkenntniß dieſes Widerſpruches, daß er ſich ſogar ver⸗ 
pflichtet fühlt, dem hochverehrten Cicero feine Schwache vorzuhakten⸗ 
„Was hilft es, andre zu belehren, was nützt es, immer in den prüch⸗ 
tigſten Worten von den Tugenden zu reden, wenn du dir ſelber daber 
nicht folgſt“? ) Er wirft dem Römer vor, daß er trotz feinen: ſchöͤnen 
ſtotſchen Grundſäͤtzen, die er mit fo hinreißender Redekunſt auszuſpre⸗ 
chen wiſſe, doch immer zu klagen habe, bald über Verbannung und 


— 


1) De remed. utr. fort. Lib. I. dial. 9. 

) Epist. ad posteritatem. 

5) De remed. Lib. II. dial. 102. 

) Brief an Cicero (Opp. p. 780). Zu Arezzo befand ſich ein Brief, in wel⸗ 
chem ein Spaßvogel als Cicero dem N antwortete. el. Leonardi Bruni 
epist. IV, 4 ed. Mehus. | 


0 I. Petrarea als Nepublicaner und Finſtendiener. 


Krankheit, über die Wirren des Gerichtes und des Forums, bald über 
den Verluſt von Geld und Gütern und über die Beeinträchtigung, ſei⸗ 
nes Ruhmes, daß man in ſeinen Briefen oft ſchmähende Angriffe auf 
Männer finde, die er kurz vorher gelobt.) Dieſer Widerſpruch zwi⸗ 
ſchen Wort und Handlung, dieſe ſelbſtgefällige Geſinnungsloſiskeit, auf 
die im Grunde Alles herauskommt, was man in unſerer Zeit gegen 
Cicero ſcharf, und ſchärfer geltend gemacht hat, ſpürte alſo ſchon Pe⸗ 
trarra mit feinem Inſtinet heraus und zwar deshalb, weil er in ſich 
ganz denſelben Antagonismus, daſſelbe Schwanken vorfand. Wie er zu 
Cieero, ſo fügte fein Auguſtinus zu ihm: „Was nützt es dir, audern 
nech ſo ſüße Dinge vorzuſingen, wenn du dich ſelber nicht hörſt “?) 
„Wie viel mehr — fo geſteht Petrarca einſt — liegt uns Allen, die 
wir im Staube der literariſchen Paläſtra leben, die Wohlredenheit am 
Herzen als unſer Leben, wie viel eifriger 8 wir a dem . 
als nach der Tugend“ !) 

Es war eine freie ee rohe Stellung, die Petrarca der 
Mitwelt gegenüber einzunehmen gedachte: er wollte ihr auf der Wolken⸗ 
höhe des Gedankens, der Philoſophie erſcheinen, erhaben. über irdiſche 
Portheile und menſchliches Lob. Die Schranken, welche edlere Geburt 
und Abkunft zwiſchen dem Menſchen und dem Menſchen ziehen, ſchwinden 
vor feinem Blick. Berühmtheit, fagt er, wird nicht durch edle Geburt 
erworben, ſondern durch das Leben. Es iſt lächerlich, ſich fremden 
Verdienstes zu rühmen; ja die Flecken entarteter Enkel werden durch 
den Glanz und Ruhm der Vorfahren erſt recht hervorgehoben.) Dem⸗ 
gemäß iſt Petrarca ein ſtolzer Republicauer, wo er ſeinen Theorien 
den Lauf läßt, die Fürſten erſcheinen ihm dann als Phalariden und 
Dionyſe, denen ein Platon mit freiem Wort entgegentreten muß. Den⸗ 
noch zog es ihn an die Höfe der Fürſten und in die Paläſte der Vor⸗ 
nehmen; er bürgerte hier den Humanismus ein, der dann Jahrhunderte 
lang als ihr ſchönſter Schmuck galt. Er hat bei König Noberto von 
Neapel, bei den Correggi zu Parma, den Visconti zu Mailand, den 
Carrara zu Padua gelebt. Unter den Adelsfamilien, deren innigſter 
Vertrautheit er ſich rühmen durfte, nennen wir nur die Colonna, die 


) Praefat. in Epistt. famil. (Opp. p. 635). 

) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 415). 
), Epist. rer. variar. 32. | 
2) De remed. utr. fort. I, 16. II, 5. 


I. Pemasta dis. Nepabldautt und Fusftrudiener. 61 


er. zu berſaben Zeit mit Schmeicheleien bedachte, in welcher er als 
Cola s Matteigänger und als Organ des Republicanismus den vn 
ſchen Adel ein räuberiſches Geſchlecht von fremden Eindringlingen nan. 
Der Dichter füß mit den Großen der Welt zu Tafel und empfing 
ihre freundſchaftlichen Befuche. Wie vergötternd ſchauten ſelbſt Fürſten 
zw ihm empor; er hat darin nur im Philksſophen von Ferney feines: 
gleichen gehabt. Zu derſeiben Zeit rief ihn der römiſche König zu fich, 
der König von Frankreich ind ihn mit Geſchenken, der Papſt übertrug 
ihm zwei Pfründen und verſprach ihm viel mehr, wonn er zu ihm als 
Secretär Tonnen wolle.) Petrarea war ſchon ein Greis, da wünſchte 
ihn Urban V. bei ſich zu ſehen: er ſollte weder ein Amt noch eine N. 
beit Übernehmen, ſondern nur durch feine Anweſenheit bie Curie zie; 
ren.) Jummer entſchuldigte ſich der Philofoph mit feinem. Alter oder 
feiner Kränklichkeit. Er ließ ſich aufſuchen und bitten und, erſchien um 
jo großartiger, wenn er die Ehre abwehrte. Er habe nie zum Vor⸗ 
trauten der Herrſcher gepaßt, fchrieb er ſeinem Bruder, und paſſe jet 
als Greis am wenigſten dazu; er wolle ſich zu einem ruhigen, mäßigen 
und einſamen Leben zurückziehen, leſen, . und = =. 
übungen au feiner Seele arbeiten. in 

Aber alle jene Ehven erlangte Petraroa nicht ohne ige au a 
phikofophiicheh ährunsfägen. Er wußte die Ohren der Füͤrſten dunch wit 
ſüßen Töne der demüthigen Verehrung und jener Dankbarkeit zu gewen⸗ 
nen, die zum Entgelt fü Ehren und Wryhlthaten die Verherrlichung des 
Namens durch den Mund des Dichters verheißt. Gern rühmt er ſich da; 
mit, wie ſich die Könige und Bäpfte um ſeine Perſon bemuht. Aber ſtulzen 
noch rühmt er ſich, daß er ſtets ein völlig freier Mann geweſen, daf 
er nie in einer Lage geblieben fein würde, die ihn feinem Selbſt und 
ſeinen Studien auch nur ein wenig entzogen hätte. Niemand könne 
fügen, daß er viel Zeit im Dienſte von Bärſten verbereg. Ohr. State 
uh habe ihn nie — daran zweifeln wir nicht — ihre Geſtmähler 
feiten gefeſſelt. Wenn Alles ſich im Palaſte tummelte und Vn und. Hen 
beängte, fer er im füllen Zimmer bei feinen: Büchern geblieben onen 
infa nachdentend ins Grüne hinauagegangen. o ſei er nur zm 


) Epist. rer. senil. I. 1. XIV, 6. 

) ibid. XIV, 3. Vom Anbieten eines Cardinalats“ weiß allein 8 5 
len tone (bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 200) zu . a 

) ibid. XIV, 6. E 


L 


7 L Pema s Anachertt und MWinkubenjliner, 


Schein bai den Jürſten, in Wahrheit aber die Fürſten bei Wut geweſen; 
wollien fie ſein Geſealſchalt, ug müßen e m ſeiner Nonne on 
qui...) 

* ſolche Lage erwirbt man nicht 1 Bebenehunft, duch ber 
Bllofopg will eſſen und trinken und an den Gütern biefer Welt kie⸗ 
ber einen etwas reichlichen Antheil haben als ben bittern Becher der 
Embehrung koſten. In der Wirklichleit wußte Petrarea gerade die 
goldene Mitte zu treffen, in der ſich's am behaglichſten lebt. Doch 
ſchwankt er hier auch in der Theorie. Bald ſchien ihm die genleßenbe 
Nuhe eines Horatius wünſchenswerth und er wollte die beeugende fx 
muth in dem Sinne vermeiden, daß er in vollem Maaße hatte, was 
ſein Herz begehrte; er habe, meinte er dang, die beſchräukte Mittel 
mäßigleit zwar lieben, aber nicht ertragen gelernt.) Bald hüllte er 
ih in den anacherstifchen Mantel, konute Gold und Schlitze nicht ger 
ung verachten und verdammen, wollte fich nur von Früchten ud Quell- 
weiler nähren, wünſchte ſich nichts als einen guten Tod. Einem Dienste, 
una an der Exrie, wollte er ſeine Freiheit nimmer zum Opfer brin⸗ 
een; ein Secretariat, ja ein Bisthum und jedes mit Seslſopge ver⸗ 
bundene Beneficium wies er mit dem ſtolzen Grunde zurück, er habe 
wit der Sorge für feine eigene Seele genug zu thun. Aber ven pfrün⸗ 
den zu leben, für die er nichts leiſtete, fuͤrſtliche Geſchnule zu weinen, 
die ex nur mit ſchmeichleriſchem Danke vergalt, das beleidigte feinen 
Stolz nicht im mindeſten. Wir erinnern an das ſchretendſte Bade 
ſpiel, wie er mit der röntiſchen Deputation und als roͤmiſcher Bürger 
m Avignon vor Clemens VI. ſtand und dem franzufüfchen Papſte ſo ger 
füllig ſprach, R C 
. wurde. 

Noch als Greis, während er. im Rufe eines phikofopkikten Heilt 
een int Argna feine letzten Oehre hintebte, verſcherähte er es nicht, bee 
Gasft des Papſtes zur Erhöhung feiner Einkünfte zu benutzen. Mer 
wich mund aber iſt ſetne Art zu bitten. Er habe wohl fo wiel, als etws 
um Lein eitges Canonilers hiureiche. Da er indeß für mehrere Was 
funde ır 85 gerade kein Erforderniß für einen Weltweiſen — ſorgen 


) ibid. VI, 2. XVI, 2 an Boccaccio. Filippo Villani bei Mehus Vita 
Ambr. Travers. p. 197: Ceterum quum curias trequentaret invitus et renuens, 
in illis, quod dicte mirabile est, solitarius erat. 

) Epist. rer. senil. VIII, 3. 


I. Petrarca als Anachoret und Pfrfinbenjäger. 88 


mirſfe, fo erwüͤchſen ihm daraus fo viel Koſten, als etwa die Erhaltung 
eines ganzen Capitels verurſachen würde. Gern lebe er einſam und 
einfach auf dem Lande. Doch müſſe er Diener halten — „o könnte 
ich doch ohne fie leben!“ — ſich mit zwei Pferden und drei Schreibern 
begnügen. Bisweilen, wenn er allein und in feiner Weiſe zu ſpeiſen 
wünſche, komme eine Schaar von Gäſten, die er doch anuſtändig bewir⸗ 
then müſſe, um nicht geizig zu erſcheinen (!) ) Niemand könne ſo leicht, 
wenn er nur wolle, eine Wohlthat ertheilen, als der Papſt; er aber, 
der Dichter, wiffe nicht zu bitten, da er über ſolche Dinge wenig nach 
gedacht. Doch Eines mache er bemerklich: übertrage man ihm eine 
Pfründe, fo dürfe man feines Alters und feiner Hinälligleit wegen 
darauf rechnen, fie bald einem Andern verleihen zu können.) — Go 
zierlich Petrarca dieſe Operation eingeleitet, ſchlug fie doch fehl. Lin 
Freund von der Curie ſchrieb ihm, der Papſt ſei ihm zwar fehr gün⸗ 
ftig, werde indeß ſchwerlich viel für ihn thun, weil vie Schaar ber 
neu⸗creirten und heißhungrigen Cardinäle ihn ganz in Anſpruch nehme. 
Jetzt warf ſich Petrarca deſto mehr in feinen Stolz, weil er das 
beſchämende Gefühl nicht los wurde, daß er ſich im Bitten erniedrigt. 
Jetzt verſicherte er erſt recht energiſch, er habe nach irviſchen Gütern 
niemals Verlangen getragen, er werde ſich wenig darum kümmern; sb 
man ihm ein großes oder ein beſcheidenes Theil oder nichts zukommen 
laſſe. Aber feinem Aerger über die unerfättlichen ‚Brälaten muß er 
Luft machen. Die verſagte Pfründe wird in ſeiner Phantaſie alsbald 
zum Sinnbild und zum Merkzeichen der übolverwalteten Kirche: der 
Papſt ſcheint ihm zu allem Guten willig, die Carpinäle aber ſind ihm 
die Anwälte alles Böſen. „Ich und die Wahrheit, ſagt er, haben 
an der Curie große Gegner, die meinem Vortheil und meiner Ehre 
mit aller Gewalt entgegenfichen. Mit welcher Verachtung fieht er nun 
auf den Haufen der aufgeblafenen Cardinale herab, während er fid 
durch das freundliche Wort jedes einzelnen hochgeſchmeichelt fühlen würde. 
An ihnen werde nur die Infel und der rothe Hut geehrt; die Ehre 
dagegen, die ihm, dem Dichter, gezollt werde, gelte auch ihm ſelber. 
Und weil ihm das Denken an den Tod das Hauptmerkmal des Pike 


1) Zur beliebigen Auslegung diene folgende Notiz des Cecco Pol enton e 
(bei Mehus l. c. p. 199) ifher Petrarca: Pinguior enim simul et senior factus est. 

) Epist. var. 44. an Franc. Bruni. Im letzten Theile des Briefes ſtimmen 
mehrere Sätze faſt wörtlich mit dem Schluſſe von epist. rer. senil. XIII, 12. an 
denſelben Bruni überein. Letzterer Brief iſt ſeinem Inhalte nach der ſpätere. 


64 I. Petrarca als phileſophiſcher Einſtedler. 


ſophen zu fein ſcheint, ſtellt er die in Pomp und Schwelgerei genießen⸗ 
den Cardinäle, um ſie recht tief zu verachten, in die Reihe derer, welche 
den Todesgedanken fliehen.) 

Hundertmal erzählt uns Petrarca, wie er gern den Lärm der 
Stadt und der Menſchen gemieden, ſich in die Eiuſamkeit zurückgezogen, 
im ſtillen Studirzimmer über ſeinen Büchern geſeſſen, oder wie er durch 
Wald und Fluren wandelnd, den Vögeln oder dem murmelnden Quell 
lauſchend, allein und in ſich ſelbſt vertieft ſeinem Denken und Dichten 
nachgehangen. So ſchildert er ſich nicht etwa nur in feinen Reimen, auch 
in den Briefen und den philoſophiſchen Schriften iſt er unermüdlich, 
dem Leſer dieſes Bild ſeines Dichterlebens einzuprägen.) In welchem 
Lichte er da ſeinen Zeitgenoſſen erſchien, ſehen wir an Boccaccio, der 
vou der Zurückgezogenheit ſeines Freundes jedesmal mit geheimnißvoller 
Ehrfurcht wie von der Göttin des ariciſchen Haines ſpricht. Die 
Quellen der Sorgue wurden ſchon unmittelbar nach Petrarca's Tode 
den Reiſenden als die Wunderſtätte gewieſen, an welcher das Buch 
uvom einſamen Leben“ entſtanden ſei.) Auch jetzt noch verknüpft die 
Phantaſie das Andenken an den melodiſchen Sänger Laura's am lieb⸗ 
ſten mit dem zauberhaften Thale von Vaucluſe, und den gelehrten Pe⸗ 
trarea, über feine lateiniſchen Bücher gebückt, denken wir uns unwill⸗ 
lürlich im beſcheidenen Häuschen zu Arqua, vor dem Fenſter jener 
Gärten, deſſen Olivenbäume er mit eigner Hand gepflanzt und gepflegt. 

Die römiſchen Dichter fingen von dieſer idylliſchen Einſamkeit, 
die Mönner des Krieges und der Staatsverwaltung im alten Rom 
liebten die ländliche Zurückgezogenheit und die literariſche Muße. 
Sie zunächſt waren Petrarca's Vorbilder. Dann aber fühlte er ſich 
deſte erhabener über die Maſſe der gemeinen Menſchen, wenn er ihrer 
Weiſe, das Leben mit plumpen Sinnen zu genießen, entſagend, ſeinen 
Geiſt nur im traulichen Verkehr mit ſich ſelbſt und mit den Geiſtern 
der Vorwelt ergötzte. Man hat viel von W 

9) Epist. rer. senil. XIII, 12. 13, beide an jenen Bruni, feinen ee 


an der Curie. 
) Nur ein Beiſpiel, wie er fein Leben in Feld in Wald ſchildert, aus 8 
metr. I, 7: 
Saepe dies totos agimus per devia soli, 
Inque manu calamus dextra est, at carta sinistram 
| Occupat, et variae complent praecordia eurae. 
) Dominicus Aretinus bei Mehus Vita Ambr. Travers, p. 198. 


I. Petrarca als philoſophiſcher Einſtedler. 65 


Zuge in Petrarca geſprochen, aber wie ſehr hat man ihn da mißver⸗ 
ſtanden! So gern er von ſeinen Faſten, Nachtwachen und Entbehrun⸗ 
gen redet und ſein beſchauliches Leben zur Schau trägt, ſo iſt doch 
ungleich mehr von dem Stolze des gelehrten als von der demüthigen 
Einfachheit des religioſen Standes in ihm. Er hat ein Buch über 
das Leben in der Einſamkeit geſchrieben, welches zwar den Kloſterleu⸗ 
ten, die ihren Stand darin verherrlicht ſahen, unmäßig gefiel, aber ſich 
von den erbaulichen Betrachtungen mönchiſcher Richtung ſchon durch 
die philoſophiſche Behandlung und den glänzenden Rednerſtil deutlich 
genug unterſcheidet, auch den ſtill⸗grübelnden Philoſophen des Alter⸗ 
thums und den chriſtlichen Einſiedler in bedenklicher Weiſe auf eine 
Stufe ſtellt. Es predigt, genau genommen, nicht die einförmig⸗fromme 
Stille des Kloſters, ſondern die Ungeſtörtheit des Studirzimmers und 
die Wonne des einfachen Lebens mit der Natur, die den Lärm der 
Außenwelt gern entbehren, um ein inneres, mannigfaches Leben deſto 
reicher zu entfalten. Leſen, Schreiben und Denken, ſagt Petrarca, ſeien 
immer feine hoͤchſte Luſt geweſen ); in dieſem Sinne rühmt er die 
Güter, welche ihm die Einſamkeit gewähre und nur ſie gewähren könne: 
Ruhe, Freiheit und Muße. Wenn er unaufhörlich arbeitet und ſchafft, 
fühlt er die Fülle des Daſeins in ſeiner Bruſt. Als einſt Boccaccio 
meinte, er dürfe endlich auf ſeinen Lorbeeren ruhen und ſich ein be⸗ 
quemes Alter gönnen, wies er dieſen freundſchaftlichen Rath als feiner 
mwärbig zurück.) Ein ander Mal hatte ihm derſelbe Freund die Werke 
des Auguſtinus in einem fehr ſtarken Bande geſchenkt. Nun, vorſicherte 
ihm Petrarca, verſdume er bei der eifrigen Lectüre manche Mahlzeit und 
manche Nacht gehe ſchlaflos hin. Dieſes Leſen ſei ſeine einzige Luſt; da⸗ 
von ahne freilich der Pöbel nichts, der außer dem Sinnenreiz kein Ver⸗ 
gnügen kenne.) Aus demſelben Nimbus, in den er ſo gern ſich hüllte, 
erſchien ihm auch das Familienleben verächtlich. Sein abgeſchloſſenes 
gelehrtes Treiben ſollte auch in dieſer Beziehung ein modernes Mönch⸗ 
thum ſein. Das Studium der Philoſophie und eine Gattin, findet er, 
wohnen ſchlecht bei einander; denn das Weib ſei der wahre Teufel, 
der Erzfeind des Friedens und der Seelenruhe. Oft führe die Ehe 
zu Gefahren aller Art, öfter zur Schande und faſt immer zu Ueber⸗ 


) Epist. rer. senil. XIII, 7; Invect. c. medicum Lib. IV (Opp. p. 1225) 
) Epist. rer. senil. XVI, 2. 
) Epist. rer. variar. 23. 

Voigt, Humanismus. 5 


66 I. Petrarea als phllofophiſcher Einfiebler. 


druß und Ekel. Wer die Wolluſt und den Kinderlärm liebe, möge 
eine Gattin nehmen und auf dieſe Weiſe für die Ewigkeit ſeines Fa⸗ 
miliennamens ſorgen. „Wir werden, wenn es Uns gegeben wird, Un⸗ 
ſern Namen nicht durch die Ehe, ſondern durch den Geiſt, nicht durch 
Kinder, ſondern durch Bücher, nicht mit Hülfe eines Weibes, ſondern 
mit Hülfe der Tugend ausbreiten”. ') 

In dieſe gelehrte Einſiedelei will Petrarca vor den Menſchen 
fliehen, um ihren anſtaunenden Blicken zu entgehen und das Lob 
ihres Mundes nicht zu hören. Deſto ungeſtörter genoß er in ſei⸗ 
ner Phantaſie die Fülle des Ruhmes, den ihm gerade der Ruf von 
ſeiner geräuſchloſen philoſophiſchen Muße eintragen mußte. Je mehr 
er ſich vor den Huldigungen der Menſchen zurückzuziehen ſchien, vefte 
neugieriger ſuchten ſie den außerordentlichen Mann auf. Wie ehrend, 
menn viele und namhafte Männer zum Thale von Vaucluſe wallfahr⸗ 

teten, nur um ihn zu ſehen und zu ſprechen!“) Wie ſüß, als ihn die 
Einladungen zur Dichterkrönung an den Quellen der Sorgue aufſuchen 
mußten! Zu König Syphax, erzählt er, kamen die Geſandten von Rom 
und Karthago, um ihn zur Bundesgenoſſenſchaft und Hülfe aufzufordern, 
ſie fanden ihn auf ſtolzem Thron und von Trabanten umgeben; mich 
fanden jene Einladungen, während ich einſam morgens in den Wäldern, 
abends am Ufer des Fluſſes umherſchweifte.“) 

Und daſſelbe Gefühl, mit dem er jene beſuchenden Fremden und 
jene Einladungen zur Lorbeerkrönung empfing, trieb ihn zu audern 
Zeiten wieder recht mitten unter die Menſchen. Dann hatte er nirgend 
lange Ruhe, zog von einer Stadt zur andern, unerſättlich überall den 
dargebrachten Weihrauch einſchlürfend. Selbſt Scipio Africanus — 
ſo entſchuldigt er dieſen Wechſel des Aufenthaltes — ſei durch den 
täglichen Umgang in den Augen der Römer eine gemeine Perſönlichkeit 
geworden; was habe da ein Anderer zu hoffen, der kein Scipio ſei und 
nicht unter Römern lebe!) 

Wir haben Petrarca's eigenes Geſtändniß, welches jeden Zweifel 
abſchneidet und über feine Einſamkeit zu Vaucluse, in ſeinem Linternum 
zu Garignauo und in den euganeifchen Bergen den einfachſten Aufſchluß 


) Epist, rer. senil. XIV, 4 (Opp. p. 1034). 

) Invect. c. medicum 1. c. (Opp. p. 1226). 

) Petrarca Thomae Messanensi vom 23. Auguſt 1340; (Opp. p. 1251). 
9 ar rer. senil. VI, 2. 


I. Petrarca's Frenndſchaftsenltus. 67 


giebt. Allerdings habe er oft die großen Städte und die Feierlichkeiten 
der Menſchen gemieden, ſich in den einſamen Wald und die ſtille Flur 
zurückgezogen. Aber das Motiv ſei doch gerade fein Ehrgeiz geweſen. 
Er habe ſich dieſer Flucht vor der Verehrung der Menſchen zu rühmen 
gedacht, er habe den gemeinen, vielbetretenen Weg des Ehrgeizes ver⸗ 
laſſen, aber auf einem andern Wege wieder demſelben Ziele zugeſtrebt: 
der Endzweck ſeiner Einſamkeit, ſeiner ſtillen Studien ſei doch immer 
der Ruhm geweſen.) 

Cicero hat ein Buch über die Freundſchaft geſchrieben; wie oft 
und emphatiſch ſpricht Seneca von ihr in ſeinen Briefen! Auch Petrarca 
meinte ohne ſie kein vollgültiger Philoſoph zu ſein. Noch in ſeinem 
Brief an die Nachwelt rühmte er ſich, er habe mit dem eifrigſten Ernſte 
nach ehrenhaften Freundſchaften geſtrebt und ſei ihr treueſter Pfleger 
geweſen.) Immer ſpricht er mit begeiſterter Liebe von ſeinen Freun⸗ 
den und als fie alle vor ihm das Zeitliche geſegnet, mit gerührtem 
Andenken. Was ihm aber ſeine Freunde ihrerſeits geweſen, ſehen wir 
nicht recht. Selbſt die vielgeliebten Lälius, Jacopo Colonna und Boc⸗ 
caccio nicht ausgenommen, erkennen wir nirgend die Natur eines per⸗ 
fönlichen Verhältniſſes, auf welchem der Freundesbund beruht hätte. 
Sie waren eine Auswahl ſeiner Verehrer. Die Briefe, die Petrarca 
an fie richtet, gehen auf ihre Verhältniſſe faſt niemals ein, es ſind 
meiftens Selbſtgeſpräche, mit deren Adreſſe der Freund beehrt wird. So 
iſt Petrarca die Freundſchaft nicht ein Genuß, der in der Fähigkeit 
und Freude der Hingabe läge und die Menſchenliebe im engeren Kreiſe 
übte, fie iſt ihm ein Apparat, deſſen er zum Aufbau feines philo⸗ 
ſophiſchen Thrones bedarf, der mit Freunden umgeben ſein muß wie 
ein fürſtlicher mit edlem Hofgefolge. Die bewährteſten ſeiner Freunde 
erhalten antike Pſeudonymen wie Sokrates, Lälius, Simonides. Andre 
genießen aus Höflichkeit nicht nur den Titel der Freundſchaft, ſondern 
noch einige ciceroniſche Wendungen über ſie dazu. „Wer nur Nutzen 
von ſeinen Freunden ziehen will, iſt ein Krämer der Freundſchaft, nicht 
ihr Verehrer“ — ſo ſchrieb Petrarca dem Francesco Bruni, der Ab⸗ 
breviator an der Curie war und von dem er offenbar nichts weiter 
erwartete, als daß er ihm zu einer Pfründe verhelfe.) Meiſtens in 
dieſem letzteren Sinne hat dann der Freundſchaftscultus ſeine Rolle in 


) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 389). 
2) Epist. ad. poster. I. s. c. 
) Epist. rer. senil. III, 13. 
5 * 


68 I. Petrarca's Neid gegen Dante. 


der humaniſtiſchen Literatur fortgeſpielt, wie denn überhaupt ſo Man⸗ 
ches, was Petrarca noch mit einem großartigen Schimmer zu umkleiden 
wußte, unter ſeinen Nachfolgern immer mehr der gemeinen Sphäre 
anheimgefallen iſt. | | 

Das Verdienſt und die Größe Anderer ohne Beziehung auf fich 
ſelber zu wägen und anzuerkennen, war Petrarca völlig unmöglich, es 
hätten denn die Alten ſein müſſen, an deren ferne Geſtalten der Neid 
nicht reicht. Keiner der Neueren hatte einen Anſpruch, ihm an die 
Seite zu treten, nur ragte unter der Menge der Literatoren, auf die er 
fhanen mochte, Einer wie ein einſamer Felſen hervor, Dante Alighieri. 
Petrarca vermeidet, von ihm zu ſprechen, er hält ihn mit einer ge⸗ 
wiſſen Scheu von ſich fern. Als Boccaccio ihm ein Exemplar der 
göttlichen Comödie verehrt, welches er mit eigener Hand für ihn ab⸗ 
geſchrieben, glaubt Petrarca ſich entſchuldigen zu müſſen, daß er die 
Begeiſterung des Freundes nicht theilen kann. Um dem Vorwurfe des 
Neides zu entgehen, der ihm in der That ſchon damals allgemein zu⸗ 
gewälzt wurde, verſichert er, daß Dante ihm, hätte das Schickſal ihnen 
zuſammen zu leben beſchieden, ein theurer Freund ſein würde, daß er 
ſeinen hohen, durch Armuth und Verfolgung unbeirrten Lebensgang be⸗ 
wundere. Seine Verachtung müſſen nun die unverſtändigen Verehrer 
Dante's tragen, die ihren Poeten auf Straßen und in Tabernen loben, 
ohne ſeinen wahren Werth zu erkennen. Er erſinnt die wunderlichſten 
Wendungen, um die Unmöglichkeit des Neides darzuthun. Wie könne 
man glauben, daß er den beneide, der ſein ganzes Leben über, wenn 
auch noch ſo erhaben, in jener Vulgärſprache geſchrieben, welcher er 
ſelbſt kaum einen Theil ſeiner jungen Jahre und dieſe nur im Spiele 
gewidmet. Sei er doch ſelbſt auf Virgilius nicht neidiſch. Auch könne 
der rohe Beifall der Waſchweiber, der Weinſchenker und ſolcher Tagelöhner 
ihn nicht reizen, ja er wünſche ſich mit Virgilius und Homeros Glück, 
wenn er ſolcher Bewunderung entgehe. Nur die Neider ſeines Ruhmes 
hätten die Albernheit erfunden, als beneide er Dante. Wie ſonderbar 
Petrarca auch die Beſchäftigung mit der göttlichen Comödie ſelbſt ab⸗ 
weiſet! Er möge aus dem Gedichte nicht lernen, weil er fürchte, es wider 
Willen zu beſtehlen. Man fage, was man will, ihn kränkte das bewun⸗ 
derte Werk und ſein lorbeergekrönter Dichter, er ſchob ſie bei Seite, um die 
traurige Empfindung fremder Größe und eigenen Neides los zu werden.“) 


) De Sade Mémoires pour la vie de F. Pétrarque T. IM p. 508. Bal- 


— 


U 


I. Petrarec's Hochmuth und Eitelkeit. 69 


Seinerſeits dagegen weiß Petrarca von Neidern und Feinden oft 
zu ſprechen. Er bedurfte ihrer, weil dem niedrigen Haufen das Große 
und Ungewöhnliche immer zuletzt zum Aergerniß wird, weil der Neid 
den Ruhm zur Folie hat. Er hatte Gegner, ohne Zweifel: die Män⸗ 
ner der Katheder, die er angegriffen, die Meviciner und Ariſtoteliker 
voran, werden ihrem Zorn nach Kräften Luft gemacht haben; andre 
zogen ihr Fachſtudium den Humanioren vor; wieder andre mögen ſich 
ein wenig reſpectlos über ihn oder über die Poeſie geäußert haben oder 
ſie verhielten ſich gegen die allgemeine Bewunderung ſeiner Perſon mehr 
ablehnend, ja mancher wurde offenbar durch das Uebermaaß dieſer Ber 
wunderung zum Widerſpruch angeſtachelt. Petrarca ſtand ſo glücklich 
da, daß er weder in ſeinen äußeren Lebensverhältniſſen noch in ſeinem 
Studienkreiſe von ſolchen Gegnern beläſtigt oder geſtört werden konnte. 
Er hätte ſie ſo ruhig überſehen können. Aber wo ihm ein laues Ur⸗ 
theil, ein Angriff auf ſeine Studien oder gar auf ſein Verdienſt zu 
Gehör kam, wo ſich ihm nicht Alles beſcheiden unterordnete, ſah er 
ſogleich eine Schaar hämiſcher Feinde und Verſchwörer gegen ſeinen 
Ruhm, dann brechen ſofort die gereizte Eitelkeit und der Hochmuth, 
und oft in recht kleinlicher Weiſe, hervor. Jemand, den er zuvor als 
Freund behandelt, hatte ſich erlaubt, an ſeinen Schriften ein wenig zu 
kritteln; ſofort griff er ihn mit Heftigkeit als einen „Feind“ an und 
ließ ihn das ſtolze Sus docet Minervam hören.“) Andre hatten, 
wie man ihm zutrug, geringſchätzig über ſeinen Geiſt geurtheilt: ſie 
ſind ihm alsbald „eine Schaar plebejiſcher Geiſter“, die in ihrem Ur⸗ 
theil um ſo kühner und ſchneller verfahren, je ungebildeter und leicht⸗ 
fertiger fie find; man muß ihr leeres Geſchwätz verachten und durch 
Tugend und tiefe Gelehrſamkeit ihren Neid überwinden. Sie können 
das Licht verdecken, aber nicht auslöſchen, es lebt fort und wird plötz⸗ 
lich wieder ſtrahlend durch die Wolken brechen. „Viele urtheilen über 
mich, die ich nicht kenne, auch nicht kennen will und zu kennen nicht 
würdige. In der That wundert mich, wer ſie zu Richtern über mich 
geſetzt.) Wieder andre wollten die Poeſie und die Dichter der Alten 


delli Vita di Giov. Boccacci. Firenze, 1806. p. 130 e seg. So eben lieſt man 
in den Zeitungsblättern, daß zu Florenz ein von Petrarca's Hand copirtes Werk 
Dante's aufgefunden ſei. Doch würde dieſe Nachricht, auch wenn ſie ſich beſtätigte, 
unſer obiges Urtheil ſchwerlich ändern. 5 | 

) Epist. metr. II, 18. 

2) Epist. rer. senil. II, 3. 


70 I. Petrarea's Bochenuth und. Eitelkeit. 


ſo hoch nicht ſchätzen wie er: Maro und Flaccus, ſprachen ſie wohl, 
ſind ja längſt begraben, warum von ihnen noch viel Aufhebens machen! 
So ſprachen ſie nach Petrarca's Meinung nur, um ihre Zeitgenoſſen, 
denen ſie es nicht nachthun können, vom Studium der Alten abzu⸗ 
ſchrecken, dieſe Literatoren ſind „ein aufgeblaſenes und fauliges Ge⸗ 
ſchlecht“.) Aehnliche Gegner hatte einſt Boccaccio in einer Streit⸗ 
ſchrift zurückgewieſen. Petrarca dagegen meinte anfangs auf ſeinem 
philoſophiſchen Throne zu Arqua, ſie ſeien als alberne Menſchen des 
Zornes nicht werth, ihr Urtheil habe ihm nur ein Lachen abgelockt; 
indeß wurmte es ihn doch ſo lange, bis er endlich — wie er uns glau⸗ 
ben machen will, auf einer Reiſe durch die Langeweile geplagt — die 
Feder gegen ſie ergriff.) Am bezeichnendſten aber iſt ein Vorfall, 
der ſeine Bedeutung durch den hohen Kreis erhielt, in dem er ſich zu⸗ 
trug. Petrarca's Jugendfreund, der Cardinal Colonna, hatte ihn einft 
dem Papſte Urban dringend empfohlen und in der Wärme der Be⸗ 
wunderung mehrmals als einen wahren Phönix bezeichnet, der einzig 
auf dieſer Erde ſei. Dieſes Lob zwar wies Petrarca als das eines 
übernachſichtigen Freundes zurück, aber er ergrimmte doch ſehr gegen 
einen andern Cardinal, der über den begeiſterten Collegen und über 
den Phönix ſeinen Spott losgelaſſen: jener Cardinal ſei ſein Feind, 
haſſe die Wahrheit und Freimüthigkeit (1), ſei mit dem Teufel recht 
eigentlich der Vater der Lüge, eine wahre Nachteule.) In feinem 
Kampfe mit den Averroiſten hätte er es nicht unpaſſend gefunden, wenn 
eine Art Inquiſition das Heiligthum ſeines Ruhmes geſchützt hätte. 
Indem er nicht etwa die Ketzer, ſondern nur ſeine perſönlichen Gegner 
in ihnen angreift, findet er das größte Uebel in der zu weit getriebe⸗ 
nen Freiheit der Worte, die thörichten Menſchen geſtatte, berühmte 
Namen durch Spott herabzuziehen; ſie hätten gar leicht die Maſſe, die 
eben auch aus Thörichten beſtehe, auf ihrer Seite, *) 

Für ſolchen Aerger entſchädigte ſich Petrarca durch das Wohlbe⸗ 
hagen, mit welchem er die Huldigungen auch unbedeutender Perſonen 
hinnahm.) Zwar verſtand er Lob und Bewunderung mit feiner Ma⸗ 
nier und freundlicher Beſcheidenheit abzulehnen, aber ſelbſt mit dieſen 


1) Brief an König Robert von Sicilien (Opp. p. 1253). 

) Epist. rer. senil. XIV, 8. 

3) Epist. rer. senil. XIII, 12 an Franc. Bruni. 

) De ignorantia (Opp. p. 1165). 

) ef. epist. rer. famil. VII, 14. 16. senil. II, I. VI, 3.6. et al. 


I. Petrarca's Hochmuth mb Eitelkeit. 11 


beſcheidenen Wendungen buhlt er mir um das Lob einer neuen Tugend. 
Ebenſo oft iſt er ſelbſt die Poſaune ſeines Ruhmes geweſen, ja er be⸗ 
ruft ſich dafür auf Ovidius, Seneca und Statius, die gleichfalls ihr 
Fortleben im Nachruhm kühn in ihren Werken geweiſſagt.) Wie ge⸗ 
wohnlich tritt auch bei ihm die Eitelkeit im höheren Alter mit lächer⸗ 
licher Unbefangenheit hervor; der Menſch vergißt ſo leicht keine Schmei⸗ 
chelei, gewöhnt ſich immer mehr an die Imagination feines Werthes 
und ſeiner Werthſchätzung, wird überhaupt geſchwätziger und darum 
auch ruhmrediger. Nur ſo läßt es ſich erklären, wie Petrarca feine 
befſere Einſicht oft glücklich durch einen Schwall von Beſcheidenheits⸗ 
floskeln zu betäuben vermochte. Als Jüngling, ſo geſtand er einſt, 
habe er aus Uebermuth Alles verachtet außer ſich ſelbſt; im ernſten 
Mannesalter habe er nur ſich ſelbſt verachtet; jetzt als Greis verachte 
er vor Allem ſich ſelbſt und laſſe nur das Wenige gelten, was fich 
durch Tugend über die Verachtung erhebe.) Gerade auf der Warte 
des Greiſenalters meinte er am ſicherſten die Frucht feiner Philoſophie 
zu genießen, wenn er auf ſeinen ſchwellenden Jünglingsſtolz, der doch 
mir ein andres Kleid angelegt, gleich Einem herabblickte, der über 
folche Regungen längſt erhaben iſt. Einſt hatte er ſich in feinen jun⸗ 
gen Jahren vor einem Freunde zu dem ſokratiſchen Bekenntniß er⸗ 
niedrigt, daß er nichts wiſſe; in älteren Jahren erzählte er nun dieſe 
Selbſtdemüthigung wieder mit dem vollen Stolze feines philoſophiſchen 
Bewußtſeins.) So haben wir hier denſelben Widerſpruch, der ſein 
Leben und Denken in allen Richtungen durchzieht. 

Petrarca's grenzenloſe, untilgbare, gleichſam mit allen Faſern ſei⸗ 
nes. Geiſtes zuſammengewachſene Eitelkeit, ließe fie noch einen Zweifel 
zu, wir könnten fie durch eine Blüthenleſe aus feinen Werken und 


) De remed. utr. fortunae Lib. I. dial. 117. 

) Epist. rer. senil. XIII, 7. Petrarca ſcheint ſich dabei unmittelbar auf einen 
Ausſpruch zu beziehen, den er einſt ſelbſt in feinen Mannesjahren der Welt kund⸗ 
gethan. Er hatte in epist. metr. I, 7 geſungen: 

Nil usquam invideo, nullum ferventius odi, 

Nullum despicio nisi me, licet hactenus idem 

Despicerem cunctos et me super astra levarem. 
Aehnlich in der epist. ad poster. (I. c.): Sensi superbiam in aliis, non in me, et 
cum parvus fuerim semper, minor judicio meo fui. — Eloquio, ut quidam di- 
xerunt, claro ac potenti, ut mihi visum est, fragili et obscuro. 

) Epist. rer. senil. XV, 6. 


72 | I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. N 


ſeine eigenen Geſtändniſſe bis zur ſchreiendſten Evidenz darthun. Doch 
was fangen wir mit dem gewonnenen Reſultate an? Sollen wir dieſe 
Eitelkeit entſchuldigen und beſchönigen, wie die Literatoren Italiens zu 
thun pflegen, ſollen wir ſie mit Stacheln und Keulenſchlägen verfolgen, 
wie einer der neueſten deutſchen Beurtheiler gethan hat, ſollen wir uns 
mit dem Gemeinplatz tröſten, daß große Männer auch ihre Schwächen 
haben? Uns dünkt, die geſchichtliche Wiſſenſchaft ſoll vom Richterſtuhl 
herabſteigen, ſie ſoll, den Gang eines Ganzen im Auge haltend, ſich 
der alltäglichen und unſicheren Maaße der Moralität, der Abwägung 
von Tugenden und Laſtern begeben, ſie ſoll redlich nach dem Wie, dem 
Woher und Wohin der Erſcheinung forſchen. Dann tritt als der letzte 
Maaßſtab, den wir an eine weltgeſchichtliche Perſönlichkeit zu legen 
haben, ihre Stellung zu einem Größeren, ihre Auswirkung ins Ganze 
hervor. Und von dieſen Standpunct aus erhebt ſich Petrarca auch 
vor unſern Augen zu der großartigen Hoheit, in welcher N Zeitge⸗ 
noſſen ihn ſahen. 

Seine Eitelkeit mit allen ihren lächerlichen Extravaganzen, was 
iſt ſie anders als eine krankhafte und verkümmerte Sehnſucht nach 
dem Ruhme? Dieſe Sehnſucht aber, vielleicht das edelſte und tiefſte 
Handlungsmotiv bei den Völkern der claſſiſchen Welt, der innerſte Puls⸗ 
ſchlag ihrer Geſchichte, auch fie iſt durch Petrarca aus dem Grabe er- 
weckt und als eine neue Triebfeder der modernen Welt zugeführt wor⸗ 
den. Das asketiſche Chriſtenthum hatte ſie verdammen müſſen; denn 
führt ſie gleich den Geiſt des Individuums über Tod und Aſche hin⸗ 
aus, ſo bleibt ſie doch am Dieſſeits haften und findet ihr Ziel unter 
den Menſchen, unter den Geiſtern der vorgeahnten Generationen. Erſt 
der Sinn für eigentliche Geſchichte, erſt die Erfahrung, daß der längſt 
verwehte Staub Verſtorbener ſich vor unſerm innern Auge wieder zur 
wandelnden Geſtalt zuſammenfügen und von unſerm Geiſte aus neubelebt 
werden kann, erſt die Anerkennung, daß Geiſtesgröße und Verdienſt in 
ihren Wirkungen auf Erden nicht hinſterben, daß ein Geſchlecht vom an⸗ 
dern zu lernen und ſeine hervorragenden Lehrer dafür mit dankbarem Au⸗ 
gedenken zu ehren hat, alſo erſt eine Ahnung von dem, was der Menſch 
als einzelnes Weſen für die unſterbliche Menſchheit fein kann — konnte 
das Idol des Ruhmes, der Unſterblichkeit des Namens wieder aufkommen 
laſſen. Es trat Petrarca aus der Römerwelt, zumal aus Cicero, den 
Geſchichtſchreibern und den Dichtern entgegen. Die alte Geſchichte über⸗ 
haupt erſchien ihm als eine Ruhmeshalle und diente zugleich zum deut⸗ 


I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. 73 


lichen Beiſpiel, wie trotz der Ferne der Zeiten und gerade durch fie 
die Geſtalten immer leuchtender und heldenhafter werden. Jene Män⸗ 
ner, die ein mühevolles Leben und ſelbſt den Tod nicht geſcheut, um 
ihren Namen der Vergeſſenheit zu entreißen, ſie hatten es jetzt ja er⸗ 
reicht, und es war Petrarca's Stolz, in der Verkündung ihres Ruhmes 
ven ſeinigen zu ſuchen. Welch ein entzückender Gedanke, ihnen an die 
Seite zu treten und nach Jahrhunderten genannt zu werden wie ſie, 
wie berauſchend mußte er auf den wirken, der ihn zuerſt wieder hegte. 
Dante hat ihn vielleicht vorempfunden, aber Petrarca hat ihn ſelbſt⸗ 
ſtändig fortentwickelt und zur völligen Klarheit gebracht. Er iſt viel⸗ 
leicht die folgenreichſte Entdeckung, die er der Menſchheit hinterlaſſen. 
Darf es uns da wundern, wenn dieſe Idee ihn ſelbſt ganz und gar 
beherrſchte? Als Jüngling ließ ſie ihn nicht ruhen und nicht ſchlafen, 
umd noch als Greis mußte er trotz allen Einwendungen geſtehen, der 
mädtigfte Sporn für hochherzige Geiſter ſei die Liebe zum Ruhme.) 
Auf ſie führt er ſeinen Trieb zu den Wiſſenſchaften, ſein Haſchen nach 
der Wohlredenheit, fein unermüdliches Arbeiten und feine Nachtwachen 
zurück. Sie begeiſterte ihn zu ſeinen Werken, unter welchen er beſon⸗ 
ders von der "African erwartete, fie ſolle ein „ruhmvolles, ſeltenes 
und ausgezeichnetes Werk werden.) Seiner ganzen Lebens⸗ und Denk⸗ 
weiſe lag dieſe eine Leidenſchaft zu Grunde. Bald erglühte ſie in ihm 
wie eine heilige Flamme, bald ſtrömte ſie in den Flackerlichtern der 
Eitelkeit aus. Er nennt fie feine ſchwerſte Krankheit, die er nicht bändigen 
könne. Denn dieſer verzehrenden Sehnſucht, die wir immerhin als 
eine Infection des Heidenthums betrachten dürfen, widerſprach doch 
ſein chriſtliches Bewußtſein. Cicero hatte geſagt, gerade die Beſten 
würden am meiſten von der Begierde nach Ruhm geſtachelt; das Evan⸗ 
gelium aber weiß nichts von dieſem Motive guter Thaten. Darum 
jagt ſich Petrarca, er müſſe von dieſem eiteln Streben nach dem Ruhm 
lafſen und nach der Tugend felber ſtreben, da der Ruhm nur ein Schatten 


) Epist. rer. senil. V, 6. Statt der unzähligen Belege, die wir in feinen 
Werken überall finden, nur zwei e aus den früheren Lebensaltern. Als Jüng⸗ 
ung fang er epist. metr. I, 1: 

Implumem tepido praeceps me gloria nido 
Expulit et coelo jussit volitare remoto. 
Und bald nach ſeiner Dichterkrönung (epist. metr. II, 11): 
— — — — — — est mihi famae 
Immortalis honos et gloria meta laborum. 
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 410). 


74 I. Petrarea's Dichterkrönung⸗ 


der Tugend ſei, ein verlockender Sirenenklang, der aber deſte gefährlecher 
iſt und deſto energiſcher verdammt werden muß; ſein Bücherſchreiben ſei 
vom Uebel, ſein Studium müſſe ohne Ehrgeiz und ohne Aufſehen getrieben 
werden und nur der wahrhaften Erleuchtung gewidmet ſein.) So predigt 
er ſich ſelber und bisweilen glaubt er dieſes Ziel zu erreichen, den Feind 
aus dem Felde geſchlagen zu haben, aber deſto ſiegreicher iſt dieſer von 
der andern Seite wieder eingezogen. Sein großer Geiſtes freund, ver 
h. Auguſtinus, hatte daſſelbe in ſich erlebt und ausgeſprochen: „Oft 
rühmt ſich der Menſch, wie er den eitlen Ruhm verachte, aber er rühmt 
ſich deſto eitler. Darum darf er ſich der wirklichen Verachtung des 
eitlen Ruhmes ſchon nicht mehr rühmen; denn er verachtet ihn nicht, 
da er ſich innerlich rühmt.) Eben das war . . 
Krankheit. 

Wir weiſen dieſes Schwanken zwiſchen einem brennenden Gefühle, 
welches der Philoſophie widerſtrebt, und der Philoſophie, welche vieſes 
Gefühl verdammt, an einem Beiſpiel nach. Die Ehren, die Petrarca 
von der Nachwelt im Tempel der Geſchichte erwartete, verlangte 6 
ihn glühend, im Vorgeſchmack ſchon von der Mitwelt zu genießen 
Die Sehnſucht nach der Dichterkrönung hatte ihm manche fchlafinfe 
Nacht bereitet. Von Dante's Leichenkrönung wußte er nicht, nur dun⸗ 
kel ſchwebten feiner Phantaſie die Spiele und Wettkämpfe der Hellenen 
und der delphiſche Kranz vor, ſchimmernder noch der capitoliniſche Lor⸗ 
beer, der als höchſte irdiſche Ehre einſt das Haupt berühmter Cäſaren 
und heiliger Sänger geſchmückt. Der Welt wollte er ein Schaufpiel 
geben, welches ſie ſeit Jahrhunderten, ſeit Domitianus Zeiten nicht 
geſehen und welches ihn in dem vollen Glanze zeigte, den einſt die 
Beherrſcher der Welt mit dem Dichter getheilt. Wir zweifeln nicht, 
daß die Veranſtaltungen von ihm ausgingen. Er wußte den Köniz 
Robert von Neapel durch den befreundeten Dionigi de' Noberti, einen 
Auguſtiner aus dem tusciſchen Borgo San Sepolero, für feine Poeſien 
zu erwärmen und führte die Unterhandlung durch einen andern Freund 
an demſelben Hofe, mit welchem er zuſammen in Bologna die Rechte 
ſtudirt, Tommaſo Caloria von Meſſina. Wenn er gleichzeitig die pa⸗ 
riſer Hochſchule, deren Canzler Roberto de' Bardi ſein tusciſcher Lands⸗ 
mann war, zu demſelben Erbieten anzuregen ſuchte, ſo war es ihm 


) ibid. p. 414. 397. Rer. N Lin III (Opp. * . 
2) Confess. X, 38. 


I. Petrurca's Dichterkrönung. 75 


ſicher lein Ernſt damit und er wollte nur den neapolitaniſchen König 

Lund den römifchen Senat durch die Drohung mit einem Nebenbuhler 
zu Eifer und Eile ſpornen. An einem Tage, es war der 23. Auguſt 
1340, erhielt er beide Einladungen; ſie trafen ihn, wie wir oben ſahen, 
mitten in ſeinem philoſophiſchen Leben, während er denkend und dich⸗ 
tend durch Wald und Flur ſchweifte. Er that eine Zeit lang, als 
ſchwanke er zwiſchen Paris und Rom. Auf jener Seite ziehe ihn die 
Neuheit der Sache an und der Ruhm der großen Hochſchule; er ent⸗ 
ſchied ſich natürlich für das ehrwürdige Alterthum, für das „Haupt 
der Welt und die Königin der Städte“, für den geweihten Platz „über 
der Aſche der alten Sänger“, für das römiſche Capitol. Aber noch 
im Phlloſophenthale von Vaucluſe, wo er die erſehnte Botſchaft em⸗ 
pfangen, faßte ihn das nüchterne Gefühl ihrer Nichtigkeit. „Du fragſt: 
warum dieſes Mühen, dieſer Eifer, dieſe Sorge? ob mich der Lorbeer⸗ 
kranz gelehrter oder beſſer machen wird? Er wird mich vielleicht be⸗ 
rühmter machen und mehr noch dem Neide ausſetzen. Der Thron 
des Wiffens und der Tugend aber iſt der Geiſt, hier hauſen ſie, nicht 
gleich Vögeln in den belaubten Zweigen. Warum alſo dieſe Zurüſtung 
des Lorbeers? Du fragſt, was ich darauf antworten kann. Was meinſt 
vn wohl? Nichts als, wie der hebräiſche Weiſe ſagt: Vanitas vanita- 
tum et omnia vanitas. Aber fo find die Menſchen!“ ') 

Die Dichterkrönung fand am Oſtertage 1341 ſtatt. Noch kurz 
vorher hatte Petrarca feierlich in Gegenwart der römiſchen Senatoren 
erklärt, er habe den Lorbeer nicht um des Ruhmes willen erſtrebt, ſon⸗ 
dern weit mehr, um andere zu ähnlichem Studieneifer zu entzünden. 
Dieſe Erklärung nahm man in ſein Dichterdiplom auf, welches „ge⸗ 
geben auf dem Capitol“ und durch eine goldene Bulle beglaubigt wurde.) 
Aber wie erfaßte ihn der Rauſch, als die Ceremonie vollzogen wurde 
und er den Jubel der ſchauluſtigen Menge hörte! Er fühlte ſein Haupt 
wie ein geheiligtes, Rom und das Capitol hörte er frohlocken über die 
erneuerte Ehre.) In einer Stunde rühmte er ſich freudig der ſelte⸗ 
nen Zier, die ihm allein zu Theil geworden, und fragte ſich doch, 
warum ihm ewig dieſer Lorbeer im Sinne liege, den doch nur das ge⸗ 
meine Volk wie einen Schauſpielſchmuck bewundere, ob er nicht beſſer 


) Epistt. ad Thomam Messanensem (Opp. p. 1251. 1252). 


) Opp. p. 1254. | | 
) Petrarca Reberte Siciliae Regi (Opp. p. 1253). 


76 I. Noch einmal Petrarca und Cola. 


gethan hätte, durch Feld und Wald, unter Hütten und Landleuten zu 
wandeln, die von ſeinen Geſängen nichts wüßten, als das Capitol der 
königlichen Stadt zu beſteigen.) 

Hier tritt uns noch einmal die Geſtalt Cola's des Voltstribunen 
entgegen, und was ſeiner gedenken läßt, ſind nicht nur die Scenen, die 
das Capitol wenige Jahre nach Petrarca's Dichterkrönung ſah. Wir 
deuteten ſchon oben darauf hin, wie eine faſt myſtiſche Verehrung des 
Alterthums beiden gemeinſam war und ſie auch in ihren äußeren Le⸗ 
bensgängen verknüpfte. Vermögen wir nun Vorgänge des innerſten Bu⸗ 
ſens, welche Petrarca's Feder oft nur gelegentlich und andeutend ver⸗ 
rieth, mit ſolchen in Vergleich zu ſtellen, die in einem handelnden Leben 
ſich kundthun, ſo werden wir noch ungleich mehr durch die geiſtige Ver⸗ 
wandtſchaft zwiſchen dem Philoſophen und dem Befreier Roms über⸗ 
raſcht. 

Es fördert unſer Verſtändniß nicht wenig, daß Cola auch Schrift⸗ 
ſteller war und daß wir von ihm eine Reihe von Briefen beſitzen, von 
denen mehrere den Umfang kleiner Abhandlungen haben. In ihnen 
nun iſt er genau derſelbe Phantaſt wie in den Schauſpielen, deren 
Zeuge und Mitſpielender das Volk von Rom war. Cola's Schreib⸗ 
weiſe iſt aus verſchiedenen Elementen verworren gemiſcht. Die Form 
läßt oft den Notar noch deutlich erkennen, gleichwie mancher niedrige 
Zug in feinem Benehmen den Sohn der Wäfcherin zu verrathen ſcheint. 
Dann aber ſchwanken das alte Rom und das päpſtliche Rom, livianiſche 
und apokalyptiſche Geſpenſter auf das Wunderlichſte durcheinander. 
Das alte Rom erfüllt ihn mit einem unklaren Bilde von vergangener 
Größe und Hoheit. Das Bild einer glänzenden Zukunft und einer 
Heldenrolle, die er zu ſpielen berufen, iſt dagegen ſtark mit prophe⸗ 
tiſchen und apokalyptiſchen Phantaſien unterwoben. Eine Schaar von 


) Epist. metr. II, 11: 

Laurea, perrarum decus atque hoe tempore soli 
Speratum optatumque mihi — — — — — 
Cur redit in dubium totiens mea laurea ? numquid 
Non satis est meminisse semel? decuitne per urbes 
Ciroumferre nova viridantia tempora fronde, 
Testarique greges hominum, populique favorem 
Infami captare via? Laudarier olim 

A paucis mihi propositum. Quid inertia vulgi 
Millia contulerint, quid murmura vana theatri ? 


I. Petrarca und Cola. 77 


widerſprechenden Begriffen — ein einiges freies Italien und Rom als 
Vorherrſcherin — Cäſarenthum und Volksherrſchaft — weltgebietendes 
Anſehen der Kirche und des Papſtes, aber auch des Volkstribunates und 
ſeiner ſelbſt — Freiheit im Namen des allgemeinen Friedens und der 
Gerechtigkeit, dabei aber Terrorismus und anmaßende Weltherrſchaft — 
republicaniſche Einfachheit und ſinnloſe Prunkſucht — ſentimentale Sym⸗ 
pathie für ſtilles, häusliches Menſchenglück und niedertretender, oft 
kindiſcher Stolz — kleinliche Willkür und freies Walten des heiligen 
Geiſtes — alle dieſe Vorſtellungen und Empfindungen liefen gleich Irr⸗ 
lichtern in ſeinem Hirne hin und her. Es war als wollte er die ganze 
Geſchichte Roms in allen ihren Phaſen noch einmal ſpielen laſſen und 
den Zuſtand des Paradiſes ſo wie den der Wiederkunft Chriſti hinzu⸗ 
fügen. Seine Perſon dachte er ſich ſtets obenan, aber wohin er ſie 
ſtellen ſollte, darüber hatte er ſehr mannigfache Vorſtellungen. Bezeich⸗ 
nend ſind die Beinamen, die er ſich öffentlich und feierlich zulegte und 
von deren Bedeutung er oft den unklarſten Begriff hatte. Er nannte 
ſich den Tribunen, ohne auch nur eine Ahnung von dem Amte eines 
altrömiſchen Volkstribunen zu haben; das Wort bezeichnete ihm nur 
eine republicaniſche Würde, die ihn an die Spitze der Stadt ſtellte, 
oder noch allgemeiner einen Anwalt der Freiheit und Gerechtigkeit. 
Was dachte er ſich wohl unter dem »tribuniciſchen Kranze“? Warum 
er ſich Auguſtus nannte, entſchuldigte er vor Papſt Clemens VI mit 
folgenden Gründen: weil der heilige Geiſt durch ihn in wenigen Tagen 
die römiſche Republik befreit, weil derſelbe ihn an den Calenden des 
Monats Auguſt zum Ritter gemacht, weil er das Ritterbad in der 
Wanne genommen, in welcher einſt der Kaiſer Conſtantinus getauft ſei.) 
Was aber wollte er mit dem Ausdrucke Tribunus Auguſtus? Ferner 
nannte er ſich Candidatus, worunter er ſich wohl nur einen weißgeklei⸗ 
deten Beamten vorſtellte. Dann weihte er ſich ſelbſt zum Ritter des heili⸗ 
gen Geiſtes. Andere Titel dienen nur zum Pomp, wie wenn er ſich „den 
Strengen und Gütigen, den Befreier der Stadt, den Schwärmer für Ita⸗ 
lien, den Freund des Erdkreiſes“ nannte und zwar fo, daß alle dieſe Bei- 


1) Ceterum cum diffusa gratia Spiritus Sancti in paucorum dierum circulo 
sub meo regimine Rempublicam liberavit et auxit, et in Kalendis Augusti prae- 
fatis ad militiam mea humilitas est promota, michi Augusti nomen et titulus 
est attributus. Sein Brief an Clemens VI bei Papencordt, Cola di Rienzo, 
Urk. 6. p. X. 


78 I. Petrarca und Cola. 


namen ſtehende officielle Formel waren.) Denn gelegentlich giebt er ſich 
auch andre begeiſterte Prädicate und nennt ſich zum Beiſpiel „den Tribunen 
der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, den herrlichen Befreier 
der heiligen römiſchen Republik.“) Wir ſehen, wie er gleich Petravca 
das Urtheil der Geſchichte anticipirt, wie eine grenzenloſe Eitelkeit ihn 
treibt, als politiſcher Heros fo großartig dazuſtehen wie Petraren als phi⸗ 
loſophiſcher. Lechzte dieſer nach dem Wahnbilde des capitoliniſchen Kran⸗ 
zes, ſo gelüſtete Cola nach dem tribuniciſchen. Er ließ ſich am 15. Auguſt 
1347 ſechs Kronen auf einmal übertragen, vom Laube der Eiche, des 
Epheu, der Myrthe, der Olive, des Lorbeers und von vergoldetem Silber,“) 
unerfättlih in Pomp und Prunk, gleich Petrarca, wenn er das geſpen⸗ 
dete Lob gierig einſchlürfte und immer neues provoeirte. Und wie 
Petrarca die Weisheit der Erde und des Himmels in ſeiner Perſon 
zu vereinigen meinte, ſo finden wir auch in Cola neben der weltlichſten 
Herrſchſucht einen phantaſtiſch⸗ religiöſen Zug. Er führte den heiligen 
Geiſt unaufhörlich im Munde, wollte Alles zu Ehren der Apoſtel Pe⸗ 
trus und Paulus gethan haben, verlegte feine republicaniſchen Feier⸗ 
lichkeiten auf kirchliche Feſttage, betheuerte, daß er ein rechtgläubiger 
Chriſt und ein beſonderer Verehrer der glorreichen Gottesmutter fei. *) 
Wenn er das Scepter der Senatoren trug, ſo war auf dem Apfel 
deſſelben ein goldenes Kreuz mit einer Reliquie angebracht und im 
Wappen führte er ſowohl die Schlüſſel Petri wie das 8. P. Q. R. 
Für ſeinen Geſchmack lag in dieſer Miſchung nichts Bedenkliches, er 
ſagt: Wenn ich neue Namen und Titel annehme und mein Haupt 
mit verſchiedenen Laubkränzen ſchmücke, wenn ich die alten roͤmiſchen 
Amtsbezeichnungen und die alten Gebräuche erneuere, was ficht es den 
Glauben an?) 

Das bewegende Princip aber war bei Cola wie bei Petrarea jene 
ſubjective Ruhmbegier, die ſich hier wie dort am Thatenglanze des 


1) Candidatus, Spiritus Sancti Miles, Nicolaus Severus et Clemens, Libe- 
rator Urbis, Zelator Italiae, amator orbis et Tribunus Augustus. So im Briefe 
an Clemens VI. I. c. p. XI, in einer öffentlichen Verordnung ebend. Urk. 7. p. XIII. 
Vgl. Urk. 9. p. XIX. Wenn er Karl IV. einreden wollte (ebend. Urk. 13. p. XXXIV), 
den Beiſatz Severus habe er um des Boethius Severus willen angenommen, ſo iſt 
das doch wohl nur ein Einfall, mit dem er ſich augenblicklich rechtfertigen will. 

) ebend. Urk. 1. p. I. 

) ebend. Urk. 10. p. XX. 

) ebend. Urk. 13. au Karl IV. p. XXIX. 

) ebend. Urk. 11. p. XXII. 


I. Petrarca und Cola. 79 


Alterthums entzündet. Der Tribun fing mit Kleidung, Putz und Feſten 
an wie Petrarca mit der blumigen Eloquenz. In die einzelnen Artikel 
des Putzes und Pompes legte er gern allerlei ſymboliſche Geheimniſſe, 
gleichwie Petrarca es liebte, feine Gedichte und fein Leben durch ein 
Myſterium verhüllt erſcheinen zu laſſen. Wie dann Petrarca zur prak⸗ 
tifchen Philoſophie, fo ging Cola zum vollen Walten der Herrſchſucht 
über. Auch er hatte vielleicht ſchwärmeriſche Stunden, in denen er ſich 
einredete, nur um des gemeinen Beſten und um des Völkerglückes willen 
gehandelt zu haben. Dann ſchwebte ihm eine Staatsregierung vor, welche 
die Guten ſchirmt und die Böſen ſtraft, Allen gleiche Gerechtigkeit zu⸗ 
wiegt, vie Tyrannen niedertritt, den Armen hilft, den Wittwen und 
Waiſen beiſteht, die Kirchen und Klöſter ſchützt, die Liederlichen zur 
Kirche führt, Gattenzwiſt und Ehebruch verhütet und Aehnliches.) 
Wie ſehr entſpricht dieſes politiſche Utopien dem moraliſchen Petrarca's, 
ſeinen Begriffen von Tugend und Lebensphiloſophie! Aber auch bei 
Cola drängt ſich durch dieſe Traumwolken immer das Bild ſeiner Per⸗ 
ſönlichkeit: er wiegt ſich in der ſchmeichelnden Vorſtellung, wie die Römer 
und die Italiener überhaupt ihn lieben und anſtaunen, er verkündet 
ſelbſt die Unſterblichkeit ſeines Namens und ihm iſt, als wenn die Gro⸗ 
ßen der Welt nicht ſowohl ſeine Republik als vielmehr neidiſch ſeinen 
unendlichen Ruhm verfolgen,) ganz wie Petrarca in jedem Gegner 
der Poeſie ſeinen perſönlichen Neider ſieht. Wir bemerkten, wie Pe⸗ 
warca bei feiner Dichterkrönung die perſönlichen Motive gern ableugnen 
und vorſpiegeln wollte, als glaube er nur der Poeſie dieſe Ehre ſchul⸗ 
dig zu ſein. Desgleichen Cola: „Wenn ich mich zum Ritter weihen und 
mit dem tribuniciſchen Kranze krönen ließ, Gott ſei mein Zeuge, daß 
ich den Ritternamen nicht um des eitlen Ruhmes willen annahm — 
weiß ich doch nicht, wie lange ich noch lebe, da das menſchliche Leben 
zwiſchen Morgen und Abend vergeht — ſondern es geſchah nur zur 
Ehre des tribuniciſchen Amtes und des heiligen Geiſtes, nach deſſen 
Willen und deſſen Namen mein Ritterdienſt bezeichnet iſt.“ “) Dennoch, 
als er feiner Macht beraubt, demüthig von Karl IV Schutz und Hülfe 


1) ebend. Urk. 11. p. XX und Urk. 13. p. XXXVI. ö 

) Vergl. ebend. Urk. 12. p. XXVI. Urk. 13. p. XXXV: quanquam multi 
preeminentes in mundo illam (famam mei nominis gloriosam) extinguere sitiant 
ob invidiam et timorem, ne videlicet nomen meum gratum in Italia atque cla- 
rum nomen eorum obscurum faciat et neglectum. 


) Ebend. Url. 11. p. XXII. 


80 I. Petrarca und Cola. 


erflehte, geſtand er auch feinen Stolz und Uebermuth, die Eitelkeit und 
den ehrſüchtigen Pomp, zu dem er ſich in den Tagen ſeines Glückes 
verführen laſſen,) und endlich ging er in feiner Haltungsloſigkeit genan 
ſo weit wie Petrarca, indem er ſich nämlich dieſer Demuth und der 
freiwilligen Entäußerung dieſer Ruhmesliebe zu rühmen begann.) 

So ſind Petrarca und Cola Kinder einer Zeit und derſelben Idee. 
Man darf den einen nicht anſtaunen und über den andern mitleidig 
die Achſel zucken. Der Tribun verrieth durch ſeine lächerliche Prunk⸗ 
ſucht den faulen Fleck ſeines Herzens, und er hatte es mit dem erbärm⸗ 
lichen Römervolke zu thun; ſeine Handlungen traten nach außen und 
man ſah ihre Folgen. Petrarca bedurfte zu dem Geiſterkampfe, den 
er führte, nur ſeiner ſelbſt und der Helden und Denker des ehrwürdi⸗ 
gen Alterthums. Er blieb als eine geheimnißvolle hohe Perſönlichkeit 
daſtehen; denn wer war im Stande ihm Herz und Nieren zu prüfen? 
Und in der That ging er als ſtrebender Menſch ſeine großartige Bahn 
weiter, nachdem der Römer ſeinen ehrgeizigen Traum mit dem Fluche 
der Lächerlichkeit und mit dem Tode gebüßt. 


Nichts durchdringt und bezeichnet das chriſtliche Mittelalter — die 
Jahrhunderte vor Petrarca mögen hier einmal darunter verſtanden wer⸗ 
den — ſo entſchieden als der corporative Zug. Nach dem Chaos der 
Völkerwanderung kryſtalliſirte ſich gleichſam die erneuerte Menſchheit 
in Gruppen, Ordnungen, Syſteme. Hierarchie und Feuvalismus waren 
nur die größten Formationen. Selbſt das wiſſenſchaftliche und künſt⸗ 
leriſche Leben, welches doch nur einen ſehr kleinen Theil der Bevölle⸗ 
rungen beſchäftigte und ſich minder leicht in eine gemeinſame Nichtung 
drängen läßt, fügte ſich doch dem allgemeinen Hange: es ſchoß wie 
gefrierendes Waſſer nach gewiſſen Mittelpuncten zuſammen und von 
dieſen gingen dann die Strahlen wieder nach allen Seiten aus. Zu 
keiner Zeit haben ſolche Maſſen von Menſchen ſo gleich gelebt und 


) Ebend. Urk. 12. p. XXVI. 

2) Er ſchrieb an den Erzbiſchof von Prag (ebend. Urk. 20. p. LXW): Nullus est 
enim hominum, qui tantum (sibi) in pompe et vane glorie presumptione doetra- 
xerit, quantum ego meis accusationibus michi ipsi, nee plura de sumptis ho- 
noribus et operibus virtuosis, quam de hujusmodi meis delictis, scripture mee 
undique jam redundant. 


I. Petrarca als Individualmenſch. 81 


gehandelt, ja gedacht und empfunden. Wenn großartige Menſchen her⸗ 
vorragen, ſo erſcheinen ſie nur als Repräſentanten des Syſtems, in 
deſſen Mitte ſie ſtehen, nur als die Erſten unter ihresgleichen, ganz ſo 
wie die Häupter des Lehnsſtaates und der Kirche. Ihre Größe und 
Macht hängt nicht von den Zufälligkeiten und Eigenheiten ihrer Perſon, 
ſondern davon ab, daß ſie mit Energie den ideellen Kern ihres Sy⸗ 
ſtems vertreten und ſich ſelber dabei aufopfernd verleugnen. Aus ſolchem 
Zuſammenſtehen und Zuſammenwirken entſpringen natürlich auch groß⸗ 
artige Erfolge, erhebende Thaten; denn jeder ſieht daſſelbe Ziel und 
die Kräfte zerſplittern ſich nicht. Die Vorkämpfer der Menſchheit ſind 
nicht Individuen, welche die Maſſe geiſtig beherrſchen, ſondern Stände 
und Körperſchaften, die dem Individuum nur wie einer Standarte 
folgen. | 

Wer iſt nun der gewaltige Menſch, der dieſen Bann der Corpo⸗ 
ration durchbricht, der ſeiner Mitwelt nichts zu danken ſcheint, der im 
Umgange mit längſt Verſtorbenen und mit ſich ſelbſt Alles geworden 
iſt, was er iſt, der ſein Ich zum Spiegel der Welt zu erheben und 
für ſeine Individualität das Staunen der Mitwelt und den Ruhm der 
Nachwelt zu fordern wagt? Wir nehmen keinen Anſtand, Petrarca in 
dieſem Sinne den Propheten der neuen Zeit, den Ahnherrn der moder⸗ 
nen Welt zu neunen. Die Individualität und ihr Recht treten in ihm 
zum erſten Male kühn und frei mit dem Anſpruch auf hohe Bedeutung 
hervor. Wohl liegt auch ſchon in Dante, wenn er finſter und einfam. 
durch das Leben ſchritt, dieſes Element verborgen, aber es bricht nur. 
ſelten und unklar durch feine methodiſche und disciplinirte Anſchauung. 
Petrarca ſtellt es dagegen in der beweglichſten Mannigfaltigkeit und bis 
zu den Extremen dar. Selbſt ſeine ungemeſſene Ruhmſucht und ſeine 
Heinlichen Eitelkeiten gehören als ſehr weſentliche Beſtandtheile dazu. 
Was er lieſt und lernt, was er thut und erlebt, Alles bezieht er auf 
ſeine Perſon, die ganze Außenwelt dient ihm nur zum Stoffe ſeiner 
perſönlichen Bildung. Wie anders lernte er aus Büchern! Nicht nur 
ſein Gedächtniß eignet ſich Kenntniſſe an, nicht nur ſein Verſtand übt 
ſich im Scheiden und Urtheilen, ſein ganzes Selbſt tritt in Verkehr 
mit den großen Männern, die vor ihm gelebt. Er ſpürt in Cicero's 
und Auguſtinus Büchern ſolchen Empfindungen nach, die denen des 
eigenen Buſens gleichen; er ſucht in den Büchern den Menſchen. 

Petrarca bat. für die claſſiſchen Wiſſenſchaften viel geleiſtet, er 
hat zum Sturze des Scholaſticismus die mächtigſte Anregung gegeben, 


Voigt, Humanismus. N 6 


982 Petrarca als Individualmenſch. 


aber bei weitem feine größte, mühevollſte und vervienſtlichſte Lennunz 
war fein Selbſt. An ſich und für ſich zu arbeiten, erklärt er oft für 
ſeinen höchſten Lebensberuf, aber es iſt nicht das Abmühen des ehrlichen 
Kloſterbruders, der um fein Seelenheil bekümmert ſich mit ſemen ſpar⸗ 
ſamen Begriffen von Fleiſch und Geiſt herumplagt, der, wenn er die 
Sinnenluſt erdrückt und feine Frömmigkeit in regelmäßigen Gang ge 
bracht hat, mit dieſer Anwartſchaft auf den Himmel ſich zufrieden giebt, 
es iſt in Petrarca das ruheloſe Drängen und Pochen tiefgreiſender 
Widerſprüche, das gewaltige Ringen verſchiedener Bilvungselemente zur 
Einheit, welches eben den modernen Individual⸗Menſchen ankündigt. 

Das war der innerſte und mächtigſte Zauber, welcher die Vereh⸗ 
rung der Zeitgenoſſen an dieſen Menſchen wie an einen geheimnißvollen 
Propheten feſſelte, und überlegen wir, wie dieſer Zauber auf fein 
Selbſtbewußtſein zurückwirken mußte, ſo erſcheinen Stolz, Ruhmſucht 
und Eitelkeit kaum mehr als Flecken des Charakters, ſondern als die 
natürlichen Eonfequenzen eines Selbſtgefühls, welches ſchrankenlos fein 
mußte, weil es niemand auf Erden über oder neben ſich ſah, ſich alfe 
mit niemand vergleichen und keinen Richter anerkennen konnte. Zwar 
hat, gleich dem Entdecker der neuen Welt jenſeits des Oceanus, der bes 
kanntlich ohne die Ahnung geſtorben iſt, daß er eben eine neue Welt 
entdeckt, fo auch Petrarca die neue Zeit nicht geahnt, die mit ihm an- 
bricht; beide glaubten nur dem Alten auf einem neuen Wege beigekom⸗ 
men zu ſein. Doch fühlte Petrarca ein Etwas in ſich, mit dem er 
allein unter den Meuſchen, allein ſeinem Gotte gegenüber und weit 
entrückt dem Seelenleben der Maſſe baftand. 

Indem wir nun daran gehen, das Tiefſte und Dunlelſte, was in 
Petrarca's Seele vorging, nachzuweiſen, müſſen wir es freilich dem 
Leſer überlaſſen, ob er die oben ausgeſprochenen Reſultate daraus ſol⸗ 
gern will. Darum laſſen wir die Geſtändniſſe und Aussprüche Pe⸗ 
trarca's moͤglichſt für ſich reden oder trennen doch merkbar ab, was 
wir hinzufügen. 

Petrarca erzählt uns eine n die etwa in ſein 32. gebensjahr 
fällt. Nur von feinem jüngeren Bruder Gerardo begleitet, beſtieg er 
einſt den Mont⸗ Ventoux. Das mühſame Berganſteigen erweckte in ihm 
die Betrachtung, wie man durch eine willensſtarke Aneignung von Ti 
genden zum ſeligen Leben emporſteige. Er erreichte den Gipfel und 
ſah die Wolken zu ſeinen Füßen ſich thürmen. Hier ging ſein Lebens⸗ 
lauf an ihm vorüber. Vor zehn Jahren hatte er die Hochſchule von 


I. Perrarca is Jubiwibnalmeuſch. 88 


Bologna verliefen und ſich ohne Hemmung der Poeſie und Eloquenz 
hingegeben. Seit noch nicht drei Jahren hatte in ſeiner Seele der 
Kampf begonnen, in welchem ſich der geiſtige Menſch gegen den fleiſch⸗ 
lichen auftehnte, der bis dahin ohne Widerſpruch in ihm geherrſcht. 
Er dachte vorwärts, wie weit dieſer Kampf nach zehn Jahren in ihm 
gediehen fein würde. Dabei war fein Ange auf das Schaufpiel um 
ihn her gerichtet: hier der breite Zug der Sevennen, dort der Golf 
von Lyon, tief unter ihm der majeſtätiſche Rhone. Die Sonne neigte 
ſich bereits, er war ſo gut wie allein. Seine Seele fühlte das Be⸗ 
dürfuiß der Erhebung, er beſchloß, in den Confeſſionen des Auguſtinus, 
die er in einem kleinen Bande mit ſich führte, die erſte befte Stelle 
aufzuſchlagen und als einen Wink von oben zu nehmen. Er las: „Und 
vie Menſchen gehen hin, um die Bergeshöhen zu bewundern und vie 
ungeheuren Fluthen des Meeres und den breiten Lauf der Ströme und 
den weiten Kreis des Oceans und die Bahnen der Geſtirne — ſich 
ſelbſt aber laſſen fie außer Acht, vor ſich felbft bleiben fie ohne Be⸗ 
wunderung.“ ) Betroffen las er nicht weiter und ſchloß das Buch. 
Er zürnte ſich ſelbſt, weil er nicht längſt von den heidniſchen Philo⸗ 
ſophen gelernt, daß nichts zu bewundern ſei außer dem menſchlichen 
Geiſte und daß dem großen Geiſte nichts mehr groß erſcheine (außer 
ſich felbſt). Bis fie am Fuße des Berges wiederangelangt, ſprach er 
kein Wort. Als ſie aber in die nämliche Hütte zurücklehrten, von wel⸗ 
cher ſie ausgegangen, ſetzte er ſich nieder und berichtete den wunder⸗ 
baren Vergang in einem Briefe dem befreundeten Giovanni da Co⸗ 
lonna.) ö 

Es war im Grunde nur eine Scene, die er mit ſeiner eigenen 
Seele ſpielte. Er ahmte das Tolle, lege! ves h. Auguſtinus nach. 
Aber wir fehen auch, wie in biefer Stunde ein gewaltiger Gedanke, 
den er vielleicht ſchon lange in ſich getragen, zur Reife gedieh. Sein 
Selbſt war ihm fortan das tiefſte Studium. Wie es auch fein mochte, 
er hing mit der größten Liebe an dieſem Selbſt und gewann es immer 
noch lieber, je mehr er ſich mit ihm beſchäftigte. Und doch war auch 
der Blick, den er nach Innen richtete, ſcharf genng, um die Fülle der 
Schwächen und Halbheiten, um den Abgrund der Eitelkeiten bis auf 
den Boden zu durchdringen. Daun ſchauderte er vor feiner eigenen 


1) 8. Augustini Confess. X, 8 8 6. 
9) Epist. rer. famil. IV, 1. 
6 * 


84 I. Petrurea als Indivibuetfmenſch. 


Seele und konnte doch feine Liebe nicht von ihr kosreißen. Er wollte 
fie in Einklang mit ihrem Ideale bringen und begann den harten Krieg 
mit ſich ſelbſt, aber er kam immer nur bis zur finſtern Miene und 
zum zornigen Worte; die ſcharfe Waffe, die nach dem Herzen des Geg⸗ 
ners ſtrebt, vermochte er nicht gegen den Liebling zu zücken. Deukend 
und ſchreibend meinte er Beichte und Buße vollziehen zu können, und 
doch dachte und ſchrieb er ſich nur immer tiefer in ſeine Selbſtliebe 
hinein. Dieſe eitle Seele, die er haſſen wollte, liebte er zuletzt am 
meiſten um ihrer Reue und ihres ſchmerzhaften Kampfes willen. 

In dieſem Kampfe, der Petrarca's Leben feit jenem Sonnenunter⸗ 
gange auf dem Mont⸗Ventoux bis zum Eintritte des minder ftürmir 
ſchen Greiſenalters durchzieht, meinen wir ſehr deutlich zwei Perioden 
wahrzunehmen. Die erſte wird durch eine Reihe von philoſophiſchen 
Tractaten bezeichnet: vom Mittel gegen Leiden und Freuden, vom ein⸗ 
ſamen Leben, von der Muße der Religioſen, von der wahren Weisheit. 
Alle dieſe Werke haben im Grunde denſelben Inhalt. Sie zeigen den 
Philoſophen, wie er ſich auf feinem claſſiſchen Flitterthrone noch wohl 
und majeſtätiſch fühlt, wie er nur ſorgt, daß die Welt ihn bewundern 
möge, wie er den Conflict ſeines Buſens noch mit dem . 
Scheine zu betäuben ſucht. 

Die Dialoge „vom Mittel gegen Leiden und a, bie hier 
an Bedeutung voranſtehen, ſind, wie es auf den erſten Anblick ſcheint, 
in möglichſt objectiver Weiſe gehalten. Die Leiden des Lebens wie 
feine Freuden werden nämlich vorgeführt, dürfen nach Herzensluſt jene 
klagen und dieſe triumphiren, dann werden ſie in ſenecaiſcher Weiſe 
mit philoſophiſchen Gemeinplätzen geprüft, gefichtet und endlich auf ein 
Aequam memento zurückgeführt, welches das wahre Glück ſichere. 
Meiſtens find ſie einfacher und faßlicher Natur; dann werden ſie mit 


ruhiger Dialektik abgefertigt. An mehreren Stellen aber fühlen wir 


plötzlich den Pulsſchlag des Autors und feine Philoſophie geräth daun 
gleichſam ins Fiebern, fie läßt uns ihr unruhiges und ſich zerſetzendes 
Lebensblut ahnen, und die ausgleichende, beruhigende Tendenz des Wer⸗ 
kes bleibt rathlos vor einem vernichtenden Gedanken ſtehen, der des 
ſtoiſchen Wortkrames zu ſpotten ſcheint. Aber dieſer Gedanke wird nicht 
erſchöpft, als ſcheue ſich Petrarca, ihn auf ſeinen Urquell zurückzuführen. 

So gleich in der Vorrede des Tractates.) Das Leben erſcheint 


) De remedio utriusque (secundae et adversae) fortunae Praefat. (Opp. p. 1). 


1. Petrarca und feine Acedia. d 95 


dem Berfaffer, der es hier im Großen und Ganzen überfchant, traurig 
nnd voll Sorgen. „Mit welchem Eifer ſchaffen wir uns die Veran⸗ 
Inffungen des Elends und die Nahrung der Schmerzen! Dadurch ma⸗ 
chen wir das Leben, welches, recht geführt, fo glücklich und füß fein 
müßte, elend und traurig. Seinen Beginn beherrſchen Blindheit und 
Erinnerungsloſigkeit, feinen Verlauf Mühe und Arbeit, feinen Ausgang 
Schmerz; Irrthum beherrſcht das ganze.“ Aber liegt nicht die Schuld, 
wenn wir es uns aufrichtig geſtehen, in uns? Wir führen einen ewigen 
Krieg mit dem Schickfal (fortuna !); wir wiſſen, daß allein die Tugend 
uns zum Sieger machen kann und dennoch werden wir ihr mit Be⸗ 
wußtfein und Willen abtrünnig. 

Im Verlauf der Schrift, wo Petrarca auf die ſcholaſtiſchen Phi⸗ 
loſophen und Theologen, wo er auf die Eloquenz und die römiſchen 
Dichter zu ſprechen kommt, überall entfaltet er ſeine Anſicht mit Sicher⸗ 
heit und ruhigem Selbſtgefühl. Dann ſpricht er auch vom Nachruhme, 
wie Ovidius und Seneca den eigenen zu prophezeien gewagt, und hier 
durchzuckt ihn wieder ein Gefühl der Nichtigkeit: „Laſſet die leeren 
Hoffnungen und die eitlen Wünſche, verachtet das Irdiſche und lernet 
endlich das Himmliſche zu erwünſchen und zu hoffen!“) Der Wi⸗ 
derſpruch iſt aufgeriſſen, aber er bleibt ungelöſet liegen; die Wunde 
Hit bloß gelegt, aber es fehlt der ernſte Wille, zu ihrer Heilung zu 
ſchreiten. 

Hier nun ſpricht Petrarca auch zum erſten Male von jener Trau⸗ 
rigkeit, die keine augenſcheinliche Urſache habe, einem zerrüttenden Wehe, 
in welchem doch wieder eine gewiſſe Süßigkeit liege.) Es ſei das 
gleichfſam eine philoſophiſche Krankheit, Cicero und Seneca hätten Aehn⸗ 
liches empfunden und als aegritudo animi bezeichnet. Später hat er 
noch oft von dieſer Krankheit geſprochen, ſie zu ſchildern und zu ergründen 
geſucht. Das Leben, die Welt, das Schickſal ſollten anfangs herhalten 
und die feindlichen Mächte ſein, aus welchen dieſer unerklärliche Trüb⸗ 
ſinn entſpringe. Wohl müſſe man Lebensekel empfinden, wenn man 
täglich das Gedränge der Leidenſchaften und das tauſendfache Wehe in 
der Welt umher ſehe und mitempfinde. Vielleicht helfe dagegen, wenn 


1) Ibid. Lib. I. dial. 117. 

) Ibid. Lib. II. dial. 93: dolendi voluptas quaedam, quae moestam animam 
facit, pestis eo funestior, quo ignotior causa atque ita difficilior cura est. 
Auf dieſe Stelle bezieht ſich Petrarca epist. rer. senil. XV, 9 ad fin. 


38 I. Petrarca und feine Aeedia. 


man ſich die Freuden des Lebens ebenſo lebhaft vergegenwärtige und ut 
Maaß genieße. Jene Deutung widerlegt ihm ſein Auguſtinus treffend: 
wer ſelbſt mit ruhigem Buſen auf trocknem Ufer ſtehe, werde auch den 
Schiffbruch Anderer ruhiger mitanfehen. ') Das philoſophiſche Heilmittel 
aber wollte garnicht anſchlagen. So viel ſah Petrarca ſehr bald, daß die 
Urſache jener Krankheit in ihm ſelbſt liegen müſſe. Das ganze Leben 
um ihn und in ihm erſchien feiner Betrachtung nun als ein beſtänvi⸗ 
ger Kampf. Nicht nur gegen andre Geſchöpfe, ſondern gegen ſeine 
eigene Gattung kämpft ein Jeder, nicht nur gegen ein andres Individunmz 
ſondern gegen ſich ſelbſt. Bis in die tiefſten Tiefen des Bufens hin⸗ 
ein führt ein Jeder mit ſich einen unaufhörlichen Krieg, hier zerfleischt 
ſich ein Jeder durch den Sturm widerſprechender Gefühle und Leiden⸗ 
ſchaften.) Die Seele iſt in zwei Theile geſpalten und dieſe liegen 
miteinander gleichſam im ewigen Bürgerkriege. Das macht das Leben 
düſter und ſorgenvoll, fo daß der Menſch ſich ſelber zur Laft, zur 
Mühe und Strafe wird.) Oft beklagt ſich Petrarca über die Unruhe, 
die ihn hin und her treibe; er hoffte die Lebensluſt anzufriſchen, wenn 
er den Aufenthalt wechſelte, und dann meinte er wieder ruhig zu wer⸗ 
den, wenn er an den früheren Ort zurückkehrte.) Die Krankheit, 
klagt er, folge ihm überall hin. Nie laſſe ſie ihn zu der Ruhe und 
Heiterkeit des Gemüthes kommen, die ihm doch als das höͤchſte Gm 
erſcheine. Sie quäle ihn bisweilen Tag und Nacht, ſtürze ihn in das 
Gefühl der dickſten Finſterniß und des bitterſten Todes. Sein Schick⸗ 
ſal und das der Welt, Vergangenheit und Zukunft laſteten dann fo 
ſchwer auf ihm, daß er ſich wie von allen Seiten beſtürmt und erdrückt 
fühle. Das Menſchenthum überhaupt erſcheine ihm dann haſſenswerth 
und verächtlich, fremdes Elend drücke ihn nieder und das eigene. Er 
nennt dieſe Krankheit, die größte Peſt feiner Seele, mit einem ſpeciſi⸗ 
ſchen Namen Acedia, Weltſchmerz.) 

Was iſt ſie für eine Krankheit, dieſe Acedia? Der Begriff wurde 


j De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 394). 

) De remedio etc. Praefat. ad Lib. II (Opp. p. 124). 

) So ſchildert Petrarca epist. rer. senil. VIII, 3. ſeine jüngeren Jahre: quippe 
pugnantibus inter se animae partibus et dissensione perpetua ac civilibus velut 
bellis vitae statum pacemque turbantibus etc. — — ipse mihi pondus et labor 
et supplicium factus eram. 

*) Epist. ad poster. in fine. 

5) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 391). 


I. Die Acebla. 8 


ymnächſt aus dem vierten Buche der ariſtoteliſchen Ethik aufgenommen 
und dann durch mittelalterliche Anſchauungsweiſe gefärbt. Bedeutet 
das Wort (axdssa) feiner Etymologie nach die träge Gleichgültigkeit 
des Geiſtes gegen Alles, was die menſchliche Sorge in Anſpruch nimmt, 
das Verfinken der Seele in ihre Paſſivität, fo läßt die kirchliche Sitten⸗ 
lehre dieſen unſeligen Zuſtand bald als bedauerliche Melancholie er⸗ 
ſcheinen, die zugleich aus phyſiſchen und moraliſchen Urſachen entſteht 
und alſo auch des Arztes bedarf, bald aber als die ſchwerſte Läſſigkeits⸗ 
ſünde.) In den ſcholaſtiſchen Syſtemen der Ethik erſcheint die Acedia 
als eines der ſieben Hauptlaſter. Mönche, beſonders ſolche, die eben 
erft die ſtrenge Regel auf ſich genommen, unterliegen dieſem Uebel am 
meiſten, mag nun aus der ſcharfen Askeſe durch ihre Einwirkung auf 
leibliche Organe eine drückende Hypochondrie entſtehen, mag der ſchnei⸗ 
dende Widerſpruch zwiſchen der todten Einförmigkeit des Kloſters und 
dem muntern Weltleben fie erzeugen oder mag aus dem hinträumenden 
Leben ein tiefes Gefühl ſeiner Unnatur entſpringen. 

Irren wir nicht, ſo verändert ſich die Vorſtellung weſentlich, ſo⸗ 
bald ſie von der Laienwelt aufgenommen wird. Von einer ſpecifiſchen 
Kloſterkrankheit iſt hier nicht mehr die Rede, man geht wieder mehr 
auf ven urſprünglichen und antiken Begriff zurück. Das Gefühl, daß 
Thätigkeit das eigentlichſte Lebenselement des Menſchen iſt, beſtätigt 
durch die Erfahrung, daß er ſich im Arbeiten und Schaffen am wohl⸗ 
ſten und auch in ſittlicher Zufriedenheit befindet, brandmarkt nun jedes 
träge Hinbrüten, jedes Sichabſchließen von Leid und Freude der Welt 
als fanle und ſelbſtiſche Sünde. In dieſer Weiſe ſcheint Dante die 
Atedia zu faſſen. Im fünften Kreiſe der Hölle findet er die Zorn⸗ 
müthigen, die im ſumpfigen Styx einander mit Fäuſten und Biſſen 
zerfleiſchen. Unter dem fauligen Waſſer gurgeln und lallen Andere, 
die auf ber heitern Erde trübſinnig und lebensunluftig geweſen, fie 
klagen: 

Tristi fummo 0 
Nel aere dolce, che dal Sol s'allegra, 
Portando dentro accidioso fummo. *) 


) Eine Ueberſicht über den Sprachgebrauch des Wortes feit Hieronymus fin- 
det man in Du Cang e Glossar. med. et inf. latin. digess. Henschel s. v. 
Acedia. a 

2) Inferno Oanto VII 8. fine. 


88 Die Acedia. 


Gerade die Zuſammenſtellung mit den Iracondı bezeichnet am 
treffendſten die Accidiosi: jene überſchreiten das Maaß des Handelns, 
indem ſie der Bewegung ihres Gemüthes auf rückſichtsloſe Weiſe Luft 
machen; dieſe gerathen nicht in Wallung, wo ein tüchtiger Meuſch ge⸗ 
rathen ſollte, ſie verleugnen die Natur, indem ſie ſich nicht rächen, nicht 
betrüben, nicht aufregen mögen, ihnen iſt verloren gegangen, was im 
Leben und zum Leben reizt und ſpornt. Dieſe Auslegung des tiefſin⸗ 
nigen Dichters, die man bei mehreren neueren Commentatoren durch ge⸗ 
zwungene Wunderlichkeiten erſetzt findet, iſt bereits von Boccaccio auf: 
geſtellt, der ſich hierüber mit beſonderer Ausführlichkeit ergeht.) Er 
erklärt die Acedia durchaus als eine ſtumpfe und verdammliche Träg⸗ 
heit und weiſet auf die Betrachtung der unermüdlich geſchäftigen Ameiße 
hin. Er ſchildert den Accidioſo wider die Gewohnheit feiner inter⸗ 
pretirenden Methode jo anſchaulich, daß man glauben ſollte, er habe 
Unglückliche der Art gekannt: ein ſolcher Menſch mag nichts anfangen, 
und treibt ihn die Nothwendigkeit zu etwas, ſo führt er es nicht zu 
Ende; das Leben ſchleicht ihm hin, als lebte er nicht; ſeine Gedanken 
werden immer düſterer und trüber, er mag nicht die Geſellſchaft, Ein⸗ 
ſamkeit, Dunkel und Schweigen zieht er ihr vor, er mag nicht die 
Kirche beſuchen und beichten, nicht die Handlungen der Menſcheuliebe 
üben, niedergeſchlagen verkommt er in Armuth und Elend, haßt fein 
Leben und ſich ſelbſt, er empfindet erſt Gleichgültigkeit, dann Wider⸗ 
willen und Ekel gegen Alles, was gut und ſchön iſt (fastidio ge 
nerale d' ogni bene). 

War das nun Petrarca's Sal? Sollte er, der immer thätig und 
fleißig war, der die Früchte ſeines Fleißes von Andern geſucht und ge⸗ 
lobt ſah, dem die Selbſtzufriedenheit mehr als billig lohnte, der mit 
Vuſt an feinen alterthümlichen Studien hing, der das Daſein mit 
empfänglichen Sinnen genoß und dazu mit durſtigen Zügen die Wonne 
des Nachruhms ſchlürfte, der ſich gegen Freunde hülfreich und herzlich 
erwies, ſollte er den Druck des ſtumpfen Lebensekels empfunden haben? 
Ein Hinbrüten war ſeine Krankheit jedenfalls nicht; ſchildert er ſie doch 
gerade als einen ſteten Kampf. Wenn er ſie ganz unpaſſend als Acedia 
bezeichnete, ſo müſſen wir bedenken, daß er weder im Stande war, die 
Abſtammung dieſes Wortes zu ergründen, noch ſeine Bedeutung in der 
ſcholaſtiſchen Philoſophie einer näheren Kenntnißnahme würdigte. Er 


1) Comento sopra Dante cap. VII (Opp. vol. VI. Firenze, 1724. p. 53—65). 


1. Petrarca und Seneca. 89 


nennt fie eine philoſophiſche Krankheit und bezieht ſich auf Cicero und 
Seneca. Hier haben wir den Schlüſſel zu dem Geheimniß zu ſuchen. 
Sicero zwar ſpricht allerdings im dritten Buche der tusculaniſchen Un⸗ 
terſuchungen, auf welches Petrarca beſonders hinweiſet, von einer aegri- 
tudo animi, aber in einer Weiſe, die ſeinem verehrenden Leſer unmög⸗ 
lich das Gefühl der Sympathie erwecken konnte: ſtatt auf Seelenzuſtände 
einzugehen, kommt er auf ſeine Gemeinplätze vom höchſten Gut, von 
Schmerz und Luft, auf ſtoiſche und epikuräiſche Anſichten zurück. Aber 
Seneca in ſeinem Werke „von der Ruhe des Gemüthes“ ſpricht in der 
That Worte, die wie Pfeile in Petrarca's Herz dringen mußten, er 
enthüllt hier feine krankhafte und zwieſpaltige Natur, die mit Petrarca's 
eine überraſchende Verwandtſchaft zeigt. N 

Wie Petrarca hat Seneca die ſtrebende Sehnſucht in ſich gefühlt, 
ſein Leben in einer elenden Zeit vermittels philoſophiſcher Beruhigung 
tragen zu lernen, doch war ſeine Bildung die des Redners oder viel⸗ 
mehr des Wort⸗ und Gedankenkünſtlers. Seiner Philoſophie gemäß 
hätte er ein zurückgezogenes, einfältiges Leben führen müſſen, ſein Ta⸗ 
leut aber trug ihn wieder auf Bahnen, in denen es vor der Welt ſei⸗ 
nen Glanz entfalten konnte. Er erkennt es wohl für das Beſſere, 
wen er die Objecte feiner Studien einfach für ſich ſprechen ließe und 
dem Schimmer der Beredtſamkeit, dem Anſpruch auf den Ruhm der 
Nachwelt entſagte. Dennoch reiße ihn der Ehrgeiz immer wieder nach 
ven Höhen der Wohlredenheit und entfremde ihn feinem beſſeren Selbft, 
Es ſei gar zu lockend, Lob und Schmeichelei zu hören, und gar zu 
bitter, ſich ſelbft die volle Wahrheit zu ſagen.) So, bekennt er ſich, 
ift dein Leben ein gemachtes und auf den Schein berechnetes, du wagſt 
vich nicht einfach und frei darzuſtellen, wie du biſt, ſtets mußt du die 
Maske hüten und dir ein Anſehen geben, welches deinem wirklichen 
Weſen widerfpricht. Und doch wäre es immer noch beſſer, wegen ſei⸗ 
nes einfachen Geiſtes gering geachtet zu werden, als die Qual einer 
ſteten Heuchelei zu ertragen.) Dieſes Schwanken iſt feine Krankheit.) 
Die reinere Erkenntniß hat manchen Angriff verſucht und doch nicht 
durchzudringen vermocht; immer trat ihr die feſtgewurzelte Eitelkeit als 


) ef. de tranquill. animi I, 10—17. 

2) ibid. XVII, 1. 

) Animi inter utrumque dubii nec ad recta fortiter neo ad prava vergen- 
tis infirmitas. ibid. I, 4. Auch den Ausdruck morbus gebraucht er dafür. 


90 I. Petrarca und ſeine Acedia. 


eine unüberwindliche Macht entgegen,) und endlich drückte das Be⸗ 
wußtſein eines nutzloſen Kampfes den Lebensmuth des Philoſophen 
nieder.) Er ſinnt auf ein Heilmittel gegen dieſe Krankheit und findet 
doch kein andres als ein auf öffentliche oder private Thätigkeit gerich⸗ 
tetes Leben. Bei jener aber wird zu der innern Gefahr, der er eben 
entgehen will, noch die äußere kommen, und das Studienleben iſt ja 
gerade der Herd der Gefahr ſelbſt. 

Schon ahnen wir, wie ſich Petrarca bei der Lectüre dieſer lebens⸗ b 
philoſophiſchen Grübeleien getroffen fühlte. Der Menſch, der die Trieb⸗ 
federn des eigenen Innern zu erkennen und zu regeln ſtrebt, der an 
ſeiner Perſönlichkeit arbeitende Menſch trat aus dieſem ſenecaiſchen Buche 
hervor wie aus den Confeſſionen Auguſtins. Man erkennt die an⸗ 
ſteckende Wirkung auch geiſtiger Krankheitsſtoffe. Denn ſchon jene grü⸗ 
belnde Neigung allein iſt eine Krankheit, da die geiſtigen Kräfte, gleich 
den körperlichen Sinnen, von Natur zu einer Richtung nach außen be⸗ 
ſtimmt ſind und ſo ihre geſundeſte Thätigkeit entfalten. Nicht im Prü⸗ 
fen, Abwägen und Beichten des Selbſt, ſondern im Thun erkennt ſich 
der Menſch. Wie den körperlich Kranken das Nachdenken über diefe 
Krankheit immer tiefer in dieſelbe hineinzieht) fo erſcheinen auch geiſtige 
Verſtimmungen bei längerer Selbſtbeſpiegelung zuletzt wie reizende Ge⸗ 
heimniſſe, indem ſie uns ein ſchmeichelndes Gefühl von der Mannig⸗ 
faltigkeit und Tiefe unſers Selbſt geben, und der Menſch gefüllt ſich 
nur gar zu wohl in einem Gedankenkreiſe, deſſen Mittelpunkt ſein 
Ich iſt. 

Kehren wir nun zu Petrarca's Acedia zurück. Immer ſpricht er 
von ihr in ziemlich dunkeln Ausdrücken, das Gefühl der Krankheit ſelbſt 
it ihm ein unbeſtimmt⸗ drückendes und ermattendes. Sie iſt ihm wie 
ein Geheimniß, das er nur in philoſophiſcher Beichte ſich ſelber anver⸗ 
trauen darf. Oft zwar ſpricht er über die Sache, aber den Namen 
nennt er nur in einem ſeiner Werke, in welchem er, wie wir gleich 
ſehen werden, wie vor Gott das tiefinnerſte Weben N Gedanken 


darlegt. 


Das iſt das Werk „von der Verachtung der Welk N wie der 
Titel in den meiſten Handſchriften bezeichnender lautet, „über den ge⸗ 


U 


) Tam malorum quam bonorum longa conversatio amorem induit. ibid. I, 3. 
) Recedo itaque non pejor, sed tristior — nihil horam me mn nihil 
non tamen concutit. ibid. I, 9. we; 


I. Petrae Sekbfähelehte. 91 


heimen Kampf ſeiner Herzensforgen.“) Ein Buch von der unermeß⸗ 
lichten Bedeutung, das Monument einer reichen und vielverſchlungenen 
Subjertisität gleich den Confeſſionen eines Auguſtinus, Montaigne, 
Roxfjean, der Schlüſſel zu allen andern Werken Petrarca's und die 
Krone derſelben. Schon die Dialoge „über die Heilmittel gegen Glück 
und Unglück“ waren eine Art von ſyſtematiſcher Selbſtſchau, doch über⸗ 
wog, wie wir ſahen, in ihnen noch der objective und wiſſenſchaftliche 
Charakter. Hier haben wir eine Beichte im eigentlichſten Sinne, be⸗ 
gonnen mit dem reblichſten Beſtreben, durch unerbittliche Offenheit zur 
Klarheit und zu einem friedlichen Gewiſſen zu gelangen. Petrarca will 
diefes Buch, wie er in der Vorrede ſagt, nicht gleich feinen andern um 
des Ruhmes willen ſchreiben, es ſoll nur ihm ſelbſt gehören, ein Beicht⸗ 
ſpiegel ſein, den er ſtill für ſich immer wieder zu leſen gedenkt. Du 
ſollſt mein Geheimniß fein und heißen, ſagt er zu dem Buche. 

Der heilige Auguſtinus iſt allein würdig dieſe Beichte zu hören. 
Seneca mochte als Seelenverwandter, als Mitleidender erſcheinen, 
Auguſtinus aber ſtand vor Petrarca zugleich als ein Prieſter da, der 
mit ernſter Strenge zur Aufrichtigkeit des Bekenntniſſes und zur Buße 
mahnt, zugleich war er der Vater aller dieſer Gedanken. Wir müſſen 
hier noch einmal betonen, daß zunächſt nicht der Trieb des eigenen Ge⸗ 
wiſſens, ſondern die Confeſſionen jenes Glaubensmannes Petrarca den 
Beichtgedanken eingaben. Wenn ich ihn leſe, ſagt er, erſcheint mir 
mein ganzes Leben wie ein flüchtiger Traum, wie ein luftiges Phan⸗ 
tasma; er regt mich ſo auf, daß er mich aus dem Schlummer auf⸗ 
ſchreckt; mein Wille ſchwankt und meine Wünſche werden uneins mit⸗ 
einander, der äußere Menſch kämpft gegen den inneren.) Dennoch 
liegt etwas Wahres in dem Vorwurfe, den einſt Jacopo da Colonna, 
zugleich ſein Freund und ſein Mephiſto, gegen Petrarca ausſprach, er 
habe ſich Auguſtinus und feinen Werken „mit gemachter Auhänglichkeit“ 
hingegeben, in der That aber ſich von den Dichtern und Philoſophen 
des Alterthums nicht losgeriſſen. Die Scene auf dem Mont⸗Ventoux 
iſt von Affectation ſo wenig frei wie Petrarca's Begeiſterung für dieſe 
„Sonne der Kirche überhaupt. Das iſt von vorn herein ein Wurm⸗ 
ſtich in der Freudigkeit und Hingebung des Bekenntniſſes. 


) De secreto conflictu curarum suarum, auch wohl Secretum (ef. Mehus 
Vita Ambr. Travers. p. 237) und ein andermal Liber maximus rerum mearum 
genannt. 

) Epist. rer. famil. II, 9. an Jacopo Colonna. 


92 I. Petrurer's Selbadeichte 


Petrarca beſchuldigt ſich ſelbſt eines unmäßigen Stolzes auf ſein 
Genie, auf die vielen Bücher, die er geleſen, auf ſeine Wohlredenheit: 
er zeiht ſich einer Selbſtgefälligkeit, die „bis zum Haſſe gegen den 
Schöpfer“ gehe. Er geſteht ſeinen Ehrgeiz. Nur um von den Men⸗ 
ſchen deſto mehr bewundert und gerühmt zu werden, habe er zum Bei⸗ 
ſpiel die Einſamkeit aufgeſucht.) Die Ruhmliebe erkennt er als einen 
der gefährlichſten Affecte an, weil ſie den Schein des Hohen und Edlen 
trage und mit den füßeften Tönen locke. Das Verlangen nach der 
Unſterblichkeit des Namens ſei feine ſchwerſte Krankheit, die er nicht 
bändigen könne.) Unter den Eitelkeiten wird vor allen die Buhlerei 
um den Lorbeer gerügt. Wie ſchwer ihm gerade diefes Geſtänduiß 
wurde, ſehen wir aus den Wendungen und Windungen, mit denen er 
herumzukommen ſuchte. Denn bald wollte er den Lorbeer nur gewünſcht 
haben, um Andre zum Nachſtreben anzuſpornen, bald nur um des 
Namens feiner Laura willen.“) 

Hier iſt die einzige Stelle in ſeinen proſaiſchen Werten, i in welcher 
er von dieſer berühmten Liebe eingehender ſpricht, aber auch hier dun⸗ 
kel und offenbar mit der Abſicht, das lockende Geheimniß nicht aufzu⸗ 
klären. Wiederum hören wir die ſpöttelnde Stimme jenes Jacopo 
da Colonna: Petrarca habe den hohen Namen Laura's nur erfunden, 
damit er ihn verherrlichen könne und damit die Leute von ihm redeten; 
die Laura in ſeinem Herzen ſei keine andre als die Poeſie, der Grund 
ſeiner Lieder ſei erdichtet und ſeine Seufzer erheuchelt. „O wäre es 
Heuchelei und nicht Wahnſinn!“ hatte ihm Petrarca geantwortet.) 
Jetzt will er ſeine Liebe als eine reine und edle Erhebung des Geiſtes 
vertheidigen, aber fein religiöſes Gewiſſen, fein Auguſtinus verlangt, 
er ſolle einen verbrecheriſchen Wahnſinn darin ſehen, daß er ſeinen 
Sinn vom Himmel zu ihr, vom Schöpfer zur Creatur gewendet, daß 
fie ihn Gott vergeſſen gemacht habe.) Auch hier finden wir uns in 
einem Nebel von Schein, Täuſchung und ann der das rei⸗ 
zende Myſterium immer dichter Rn: 


) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 383. 389). Wir binden uns hier 
nicht an die im Buche ſelbſt gegebene Reihenfolge der Eonfeffionen, weil fie uns we⸗ 
der beabſichtigt noch weſentlich erſcheint. 

2) ibid. Dial. III (p. 397. 410). 

3) ibid. p. 403. 

) Epist. rer. famil. II, 9. 

) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 398. 403). 


I. Petraroa's Selbſtbeichte. 93 


Potrarca ſtellt ſich feiner eigenen Lebensphiloſophie gegenüber. Er 
findet, daß fein Geiſt ſich in allzu vielfachen Beſchäftigungen zerſtreue, 
ohne Plan hierhin und dorthin ſchwanke, nirgend ganz und einig ſei. 
Beweglichleit laſſe ihn nicht bei ſeinen heilſamen Planen verharren und 
dadurch am meiſten entſtehe „jener innere Zwieſpalt, jene Angſt der 
ſich ſelber zürnenden Seele: fie ekelt vor ihrem Schmutze und fie wäſcht 
ihn doch nicht ab, ſie erkennt die gewundenen Wege und verläßt ſie 
dech nicht, fie fürchtet die drohende Gefahr und weicht ihr doch nicht 
aus.) Er hat ja, was ihm dagegen noth thut: die Vorſchriften der 
ſtoiſchen Philoſophie — aber freilich ſie ſind „der Wahrheit näher als 
der Anwendung“; die Gebote der Religion — träten ſie nur nicht dem 
Gebildeten ebenſo unerbittlich, Gehorſam und Demuth fordernd gegen⸗ 
über wie jedem Dummkopf, wollten ſie nur nicht Den, der hoch und 
einzig daſteht, zum gemeinen Volke herunterſtoßen, ließen ſie nur dem 
denkenden Menſchen einige Freiheit in ſeinen Meinungen, ſtatt auch ihn 
unter eine und eine alleinige Autorität zu beugen.) Aber dieſe Nor⸗ 
men find doch immer wahr. Der Stoicismus und das Leben in Chriſto 
können allein der Seele den Frieden wiedergeben, ſie dulden keine Halb⸗ 
heit. Es muß mit ihnen bitterer und unbedingter Ernſt gemacht wer⸗ 
den, Petrarca muß Myrthe und Epheu, ſelbſt den Lorbeer, den er allein 
unter feinen Zeitgenoſſen zu tragen verdient, vergeſſen, alle irdiſchen 
Wünſche müſſen von ihm weichen, will er das wahre Gut, den hohen 
Standpunct von Auguftinus' Confeſſionen erlangen.“) 

Er hat den Menſchen ſo oft erzählt, daß der Gedanke an den 
Tod ihn unaufhörlich beſchäftige, daß er beſtändig das Bild des Todes 
wie mit ſchwarzen Zügen auf ſeine Seele geſchrieben in ſich herumtrage. 
Das Thema kehrt in ſeinen Briefen und Tractaten bis zur Langweilig⸗ 
keit wieder, er kam ſich darin am weltweiſeſten vor. Nun prüft er 
ſich mit ſchneidendem Ernſte. Und ſiehe, der Todesgedanke erfüllt ihn 
immer noch mit kindiſcher Furcht, er hat ſich keineswegs an ihn ge⸗ 


1) ibid. Dial. I. (Opp. p. 382). 

2) Petrarca meint beiläufig Dial. III (p. 398): Suam quisque sententiam se- 
quatur; est enim opinionum ingens varietas (ſo muß ohne Zweifel geleſen werden, 
nicht veritas; auch finde ich jene Lesart in einem Manuſeript der k. Bibliothek zu 
Königsberg) libertasque judicandi. Dagegen ſagt ſein Auguſtinus, die Kirche: Ve- 
ritas una atque eadem semper est. Uns dünkt, es liege ein R Princip 
in ſolchen Worten. 

) ibid. Dial. I (Opp. p. 377. 378). 


94 I. Petrarcas Selbgtbeichte. 


wöhnt, und wie er recht in ſich dringt, findet er, daß er fig mir ein⸗ 
bilde, viel und ernſtlich an den Tod gedacht zu haben. Er verlangt 
von ſich, daß der Gedanke des Todes ihm wirklich und lebhaft, bis 
zum Erbleichen und Durchſchaudern vor der Seele ſtehe; es müßße ihm 
dann fein, als zittere er ſchon vor der furchtbaren Rechenſchaft, wo 
Körperſchönheit, der Ruhm der Welt, Wohlredenheit, Macht und Reich 
thum, wo alles Irdiſche nichts iſt; die Hölle mit ihrem Grauen müffe 
gegenwärtig ſein. Er war verzweifelt, nicht zu empfinden, wie er doch 
empfinden ſollte, er zwang ſich zu einer phantaſtiſchen Zerknirſchung, die 
doch mit dem Herzen nichts zu thun hatte. Er legte ſich zur nücht⸗ 
lichen Stunde wie ein Sterbender auf ſein Bette, ſtellte ſich lebhaft 
den Act vor, der den Geiſt vom Leibe ſcheidet, phantaſtrte ſich in vie 
Schrecken des Todes und des Weltgerichtes hinein, er ſah die Hölle, fuhr 
bebend empor, ſchrie laut wie ein Wahnſinniger Jeſum um Hülfe an, 
brach in einen Thränenſtrom aus und — fand ſich dann zu ſeiner 
Verwunderung als denſelben Menſchen wieder, der er vorher geweſen.) 

Nach der Analogie dieſes philoſophiſchen Kampfes verſtehen wir 
nun auch die moraliſchen Bußkämpfe Petrarca's, wir verſtehen feine 
Klage, daß das Gewiſſen ihm zwar oft die tiefſte Zerknirſchung und 
bittre Thränen ausgepreßt, niemals aber feinen Vorſatz und Willen 
gründlich geändert, den eitlen Sinn überwunden habe. Darum findet 
er nichts trauriger im Leben, als die eitle und verderbliche Sucht der 
Menſchen, ſich ſelbſt zu täuſchen. Da iſt die Liebe und das Aufehen 
und das Zutrauen unendlich groß: ein Jeder ſchätzt ſich höher als er 
gilt, liebt ſich mehr als er ſollte, und deshalb iſt der . em 
Betrüger nicht mehr zu unterſcheiden.“) 

Das eben iſt der individuelle Menſch. Einmal zu dem — 
fein gelangt, daß er eine Monade auf vieſer Erde iſt, kann er feine 
Einzelſtellung nicht mehr aufgeben, kämpft er vergebens gegen die Bel⸗ 
dung, die ihm zur eigenthümlichen Natur geworden iſt. Einmal ge 
worden, wird er nur auf ſeinem eigenen Wege anders und ſelten auch 
das. Für die unbedingte Autorität iſt er verloren: er wird kein ge⸗ 
lehriger Schüler, kein guter Soldat, kein richtiger Mönch mehr. 


1) ibid. Dial. I (Opp. p. 378—380): Corpus hoc in morem morientium com- 
pono, ipsam quoque mortis horam et quicquid eirea eam mens horrendum re- 
perit, intentissime mihi ipse confingo, usque adeo, ut in a meriendi ve 
mihi videar etc. 

) ibid. Dial. I (p. 376). 


I. Petrorca's Seſbftbeichte. 9 


Auch Petrarca iſt nach feinen Eonfeffionen genan derſelbe geblie⸗ 
ben, der er vorher geweſen. Es kommt bei denſelben nichts weiter 
heraus, als womit er anfing und was er längſt wußte, daß er das 
title Streben nach dem Ruhme laſſen und die Tugend ſelber erringen 
müſſe, daß der Reſt ſeines Lebens ganz darauf gerichtet ſein ſolle, den 
Gedanken des Todes auszudenken und Gräber zu betrachten.) Um 
die Wirkung dieſes Entſchluſſes zu erfahren, dürfen wir kaum erſt auf 
ſein ſpäteres Leben und ſeine ſpäteren Schriften ſehen. Schon die 
Conſeſſionen ſelbſt genügen uns. Wie matt und halb iſt der dritte 
Dialog gegen die beiden erſten, wie iſt ihm während des Schreibens 
ſchon der Wille erlahmt, das Buch zu einer großartigen That zu ma⸗ 
chen! Während er eben noch ſeinen Stolz und ſeine Eitelkeiten verdammt 
hat, freut er ſich ſchen wieder „feines Genies und feines gedanken⸗ 
ſchweren Geiſtes.“) Während er ſich im Anfange vorgeſetzt, dieſes 
Buch ſolle nur ihm ſelbſt gehören, hat er es doch veröffentlicht und in 
jenem dritten Dialoge ſchwebt ihm deutlich ſchon wieder der bewun⸗ 
dernde Leſer vor.) Einſt hatte er mehr ſein wollen, als er war, und 
das war nicht ehrlich gegen die Menſchen; jetzt wollte er ehrlich gegen 
ſich ſelber ſein und vermochte es nicht mehr. Um dieſen Preis hat er 
den philsſophiſchen Heiligenſchein erkauft. 

Petrarca verſichert uns, daß er in ſeinem Alter ruhiger und eini⸗ 
ger mit ſich geworden.) Daß er deshalb aber der Philoſoph nicht 
geworden, zu welchem er ſich in den Conſeſſionen hinaufzuläutern ge⸗ 
dachte, beweiſen feine fenilen Schriften auf jeder Seite. In der Ge⸗ 
ſchwätzügkeit des Alters erſcheint er ſogar noch eitler und ruhmrediger 
als zuvor. Er erſparte ſich aber die unfruchtbare Reue und das nutz⸗ 
loſe Verlangen, ein andrer werden zu wollen. Mit Behagen, aber 
nicht mehr mit gierigen Zügen, genoß er in ſeiner Einſamkeit zu Arqua 
immer noch den Becher des Ruhmes und der Bewunderung. Je näher 
er dem Grabe rückte, deſte großartiger erſchien dem heranwachſenden 
Geſchlechte feine philoſophiſche Majeſtät. 

Wunderbar, daß gerade jener Zug, der Petrarca von Sittenrichtern 
am meiſten zum Vorwurfe gemacht iſt, jenes eitle Hervordrängen ſeiner 


9) ibid. Dial. III (p. 414) 

) ibid. Dial. III (p. 407). 

N ibid. p. 410 läßt er Auguſtinus feine miserias erwähnen, quas sciens sileo, 
ne arguar a quoquam, si quis forte aurem in hos sermones nostros intulerit. 

) Epist. rer. senil. VIII, 9. 5 


98 I. Petrarca's Verehrung. 


Perſönlichkeit und der Nimbus, in dem er ſie darzuſtellen fuchte, feine 
Wirkung auf die Welt und zunächſt auf die Literatur am meiſten be⸗ 
dingt hat. An ſeiner Perſon lernte man den Dichter, den Philoſophen, 
den Alterthumsforſcher ehren. Den Umſchwung und die Ausbreitung 
mancher Ideen fördert nichts ſo ſehr, als wenn die Welt ſie in einer 
Perſon repräſentirt und gleichſam verkörpert ſieht. Unzählige haben 
die Fähigkeit, einen Menfchen zu verehren, wenn fie auch von dem, 
was er eigentlich will, wenig Notiz nehmen oder verſtehen. Und end⸗ 
lich kommen die Huldigungen, die von der Eitelkeit als perſoͤnlicher 
Tribut eingefordert werden, doch wieder der Sache zu Gute, und ſelbſt 
das Kleine an großen Menſchen dient der höheren Weltordnung. 
Petrarca wurde wie ein Wunder der Schöpfung angeſtaunt. Wir 
deuteten bereits an, daß nicht allein der Ruf ſeiner Gelehrſamkeit und 
der ſüße Klang ſeiner Lieder die Urſache waren, ſondern mehr noch 
das Geheimniß ſeiner Perſönlichkeit.) Daher erſcheint die Verehrung, 
die man ihm zollte, mitunter unverſtändig und kindiſch, oft aber auch 
ahnungsvoll und rührend. Er war noch ein junger Mann und lebte 
zu Avignon, da kamen ſchon nicht ſelten vornehme und gebildete Män⸗ 
ner aus Frankreich und Italien, lediglich um ihn zu ſehen und zu ſpre⸗ 
chen, ſchickten auch wohl koſtbare Geſchenke voraus, um ſich den Weg 
zu ihm zu bahnen. War er in der Stadt nicht anweſend, ſo ſuchten 
fie den Philoſophen in feiner Einſamkeit an den Quellen der Sorgue 
auf. Er gedenkt, wie er das erzählt, daß Hieronymus Aehnliches von 
Titus Livius berichte. Päpſte und Fürſten, die Höchſten vom Adel 
und Klerus wetteiferten, ihm durch Geſchenke und Schmeicheleien ihre 
Ehrerbietung zu bezeugen. Hat ſpäter die humaniſtiſche Richtung ein 
einigendes Band um Italien geſchlungen, iſt ſie zum kosmopolitiſchen 
Bindemittel zwiſchen den gebildeten Nationen Europa's geworden, ſo 
war der Anfang dieſer Erſcheinung die gemeinſame Verehrung Pe⸗ 
trarca’s. Italien hatte nun einen Namen, deſſen Klang von den Alpen 
bis zum joniſchen Meer der edelſte und vollgültigſte war; ſo vergalt 
man Petrarca die feurige Liebe, mit welcher er in Wort und Lied die 


) Bei ſeinem Tode beſang ihn Franco Sacchetti (bei Mehus Vita Ambr. 
Travers. p. 231) als | 
Colui, che sempre avea co’ vizzi guerra, 
Cercando i modi santi e il regno eterno. 
Tanto avea gli occhi verso il ciel divino eto. 


I. Betrarca’s Verehrung. | 97 


ruhmreiche Halbinſel geprieſen. In einem Decrete des venetianiſchen 
Senates heißt es von Petrarca, ſein Ruhm ſei ſo groß auf dem gan⸗ 
zen Erdkreiſe, daß ſeit Menſchengedenken unter den Chriſten kein Mo: 
ralphiloſoph und Dichter geweſen ſei noch jetzt lebe, der mit ihm ver⸗ 
glichen werden könne.) Wie ſtolz waren die Bürger ſeiner Vaterſtadt 
Arezzo auf ihn! ſie führten ihn, als er einſt hinkam, wie im Triumphe 
durch die Straßen und zu ſeinem Geburtshaus, deſſen Umban dem 
damaligen Eigenthümer unterſagt wurde, damit es als Denkmal des 
großen Bürgers ſtehen bleibe.) Auch Florenz, die fruchtbarfte Stätte, 
in welche die Ausſaat des petrarchiſchen Geiſtes gefallen iſt, beehrte 
ſich, den großen Tuscier ihren „Mitbürger“ zu nennen. Auf Staats⸗ 
koſten wurden die Ländereien, die einſt feinem verbannten Großvater 
entriſſen waren, wieder eingelöſet und dem Dichter zurückgeſchenkt. 
Durch ſeinen Ruhm angeregt, beſchloß die Republik, ihrer Hochſchule 
eine Facultät der freien und ſchönen Studien hinzuzufügen, und lud mit 
den ſchmeich elhafteſten Erbietungen den Mann ein, „der ſeit Jahrhun⸗ 
derten ſeinesgleichen nicht gehabt und in der Zukunft ſchwerlich haben 
werde“, den ſie verehre,“ als hätte Maro's Geiſt oder Cicero's Beredt⸗ 
ſamkeit ſich wieder mit menſchlichen Gliedern bekleidet.“ Unter ſeiner 
Führung ſollte das neue Studium erblühen und durch feine Mitglied⸗ 
ſchaft alle andern in Schatten ſtellen. Boccaccio wurde beauftragt, 
dieſe Einladung zu überbringen, aber Petrarca begnügte ſich auch hier 
mit der Ehre des Rufes.) 

Rührender noch war die Verehrung Einzelner. Ein alter, völlig 
erblindeter Schulmeiſter aus Pontremoli, der ſelber dichtete und eine 
innige Liebe zu den ſchönen Wiſſenſchaften hegte, kam, auf ſeinen ein⸗ 
zigen Sohn und einen Schüler geſtützt, bis nach Neapel gewandert, um 

den großen Petrarca einmal hören und vielleicht antaſten zu dürfen. 
Da dieſer Neapel bereits verlaſſen, reiſte er ihm in derſelben Weiſe 
über den ſchneeigen Apennin bis Parma nach. Hier endlich traf er 
ihn, und wie oft küßte er ſein Haupt um der Gedanken willen, die 


) Das Decret vom 4. Sept. 1362 bei Tiraboschi Storia della Letteratura 
Italiana (II. ediz.) T. V (Milano, 1823) p. 173. 


2) Epist. rer. senil. XIII, 3. Cecco Polentone bei Mehus Vita Ambr. 
Travers. p. 199). Ä 

) Das Schreiben der Priori, des Gonfaloniere di giuſtizia und der Commune 
von Florenz im Auszuge bei Mehus l. o. p. 243. und bei de Sade Memoires T. 
III. p. 125. Baldelli Vita di Giov. Boccaoci. Firenze, 1806. p. 108. 


Voigt, Humanismus. 7 


* 
8 I. Petrarca's Verehrung. 


es gehegt, wie oft ſeine rechte Hand um der entzückenden Worte willen, 
dis fie geſchrieben!!) Selbſt Männer wie der nüchterne Filippo Villaui 
erhielten von Petrarca's Perſönlichkeit einen tiefen Eindruck. Er war, 
ſagt jener, in jeder Beziehung das Bild der vollendeten Tugend und 
gewiſſermaßen ein Spiegel der Sitten. Dadurch habe er. auf fein 
elende Zeitalter nicht weniger eingewirkt als durch feine Rede, da 
Biele ihm nachftrebten. Auch findet es Villani ſehr glaublich, vaß aus 
dem Munde des ſterbenden Petrarca eine weiße Nebelwolke gen Him⸗ 
mel aufgeſtiegen fei, und er ſieht darin ein Wunderzeugniß für die 
Gottſeligkeit des Verſtorbenen.) Hören wir noch einen Zeugen. We⸗ 
nige Tage vor Petrarca's Tode beſuchte ihn in Arqua der junge Do⸗ 
menico von Arezzo, ein vielſeitiger Gelehrter, der auch ein lurzes Leben 
Potrarca's geſchrieben hat. Als Landsmann wagt er es, ihm fein Buch 
Fons Memorabilium Universi zur Anſicht zu überreichen. Nach eini⸗ 
ger Prüfung deſſelben heftet der Meiſter die Augen auf ihn und fagt: 
„hehe hin, mein Sohn, und verfolge mit gutem Glück, tüchtig und 
löslich, was du begonnen Haft! Ergründe alle Bücher, ſchlage fie immer 
wieder und wieder um und bringe dadurch deinen Namen auf die fernfte 
Zukunft!“ In wenigen Tagen muß Domenico hören, daß den großen 
Mann ein Schlagfluß dahingerafft. Er möchte, ſagt er, gar viel von 
ihm erzählen, aber ſo oft er an ihn denke, entſtrömten ihm die ne 
nen und die bebenden Hände wollten nicht ſchreiben.) 

Bis in die barbariſche Fremde wirkten die Nubmesſtrahlen, die 
von Petrarea's gekröntem Haupte ausgingen, mit zündender Kraft. 
Dreimal lud Karl IV den Dichter zu ſich: er trage das größte Ber⸗ 
langen, ihn zu ſehen, ſich ſeiner Wohlredenheit zu erfreuen und die 
Lohren der Moral pon ihm zu hören. Sein Canzler, der Biſchof Jo⸗ 
hann von Olmütz, war wie verzaubert von den Schriften Petrarca's, 
die ex ſich kommen laſſen, und von dem Rufe des wunderbaren Philo⸗ 
ſophen, der pon ſelbſt zu ihm gedrungen. Er fchämte fi), va er 
im Auftrage des Königs die Einladungen an Petrarca zu ſchreiben 
hatte, ſeiner ſtiliſtiſchen Plumpheit, die er demüthig mit der deutſchen 
Barbarei zu entſchuldigen bat.) Er empfand wahrhaften Trühſinn 


]) Epist. rer, senil, XV, 7. 

) Villani bei Mehus l. c. p. 197. 

) Dominicus Aretinus ibid. p. 198. 

) Erubescam igitur de mea grossitie, quam rustica involvit semper bar- 
baries, qui germanicis nivibus natus Orientis non valeo viribus adaequari. 


I. Petrarca's Berchrung. 99 


darüber, daß er nur den ſüßen Klang von Petrarca's Eclogen heraus⸗ 
zuhören, ihren tieferen Sinn aber nicht zu ergründen vermochte. da 
er gedachte mit Schaam feiner notarialen Kunſt und ſeiner Tanzler⸗ 
würde, in der er ſich dem ſchwunghaften Worte Petrarca's gegenüber 
wie eine ſchwatzende Elſter erſcheine. Und fo fand er nur zu beklagen, 
daß ihm nicht das Glück geworden, Jünger einer ſolchen Schule zu 
fein, er wünſchte nur von den Broſamen, die von dem reichen Tiſche 
des heiligen Sängers abſtelen, ſeinen Hunger zu ſtillen und wollte ſich 
a. preifen, wenn er, mit dem Angeſicht auf der Erde, bie Jußſpuren 
tines ſolchen Redners verehren könnte.) 

Jene lateiniſchen Werke Petrarca's, über welche jetzt fo Mancher, 
ver fie nicht kennt, zu lächeln ſich erkühnt, haben zu ihrer Zeit ein Auf 
ſehen erregt, welches ſich in Urſache und Wirkung vielleicht nur wit 
dem Wertherſieber vergleichen läßt. Eben weil man überall die Her⸗ 
zenserlebniſſe des Verfaſſers durchzittern fühlte, entzündeten fie wunder⸗ 
ber die Gemüther. Wir hören das ſelbſt von ſolchen Schriften, bei 
denen uns der ſentimentale Eindruck faft unbegreiflich ſcheinen wel, 
zum Beiſpiel von dem Tractate über das einſiedleriſche Leben. Ver⸗ 
ſchiedene Perſonen fühlten ſich gedrängt, dem Autor ihre Bewunderung 
auszuſprechen. Ein Arzt aus Siena verſicherte ihm, er. habe bei meh⸗ 
rwen Stellen fromme Thränen geweint. Der Biſchof von Cav aillon, 
nochmals Cardinal von S. Sabina, ließ es in feiner geiſtlichen Fa⸗ 
milte bei Tiſche leſen, als wären feine Capitel heilige Legenden. Gin 
alter und frommer Camaldulenſerprior vermißte unter den heiligen 
Einſiedlern S. Romualdo, den Stifter ſeines Ordens, er ſchickte Pe⸗ 
trarca ein Leben deſſelben und bat dringend, ihn in die ehrwürdige 
Reihe aufzunehmen. Da Petrarca eiuwilligte, bewarb ſich ein and rer 
Freund ſogleich um dieſelbe Ehre für den heiligen Johaunes von Vall⸗ 
ombreſa. Die Dominicaner beklagten ſich, daß man den heiligen 
Franciscus in dem Buche finde, nicht aber ihren Dominicus, worauf 
Hetrarca antwortete, er habe nirgend geleſen, daß S. Dominicus a 
Einſiedlerleben geführt.) 

Unter Petrarca's Werken finden wir faſt alle die Gattungen ver⸗ 
treten, die hundert Jahre lang von feinen Jüngern, den Humaniſten, 


) Sechs Briefe des Canzlers an Petrarca bei Mehus l. c. p. 221 2. , die 
Antwortsbriefe Petrarca's bezeichnet Mehus p. 245. 
2) Epist. rer. senil. XV, 3. 


en 


100 I. Betrarca’8 Schriften als Vorbilder neuer Literaturzweige. 


gepflegt wurden. Die Epiſtolographie erhob er wieder zur Kunſt und 
ſchuf in ihr zugleich ein Bindemittel für die zukünftige Gelehrteurepn⸗ 
bit. Schon bei feinen Lebzeiten fing ſich eine epiſtolographiſche Schule 
um ihn zu bilden an: wir ſehen, wie ſeine Freunde und Cicero's Ver⸗ 
ehrer ſich in Venedig, Parma und anderswo bemühten, philofophiſch, 
mit geſuchten Wendungen, mit claſſiſchen Citaten, mit hiſtoriſchen und 
mythologiſchen Anſpielungen zu ſchreiben.) Petrarca dichtete Eclogen 
und poetiſche Epiſteln, in denen man Virgils glatte Sprache und Ho⸗ 
ratius' Feinheit wiederzufinden meinte, ferner viſtichiſche Epitaphien. 
Die antiken metriſchen Formen find ſeitdem aus der lateiniſchen Poeſte 
nicht mehr verdrängt, das Reimſpiel iſt in die Vulgärdichtung verwieſen 
worden. Verſe aher machte bald ein Jeder, der nur den grammatiſchen 
Eurſus hinter ſich hatte. Das Heldengedicht Africa, mit welchem Pe⸗ 
trarca den Kranz zu verdienen meinte, den nach ſeiner Phantaſie einſt 
Auguſtus dem Sänger der Aeneide auf die ruhmerglühten Schläfen 
gedrückt, iſt doch immerhin der erſte Verſuch des modernen Kunſtepos 
und ſteht durch eine Reihe von Mittelgliedern in Verbindung mit dem 
raſenden Orlando und dem befreiten Jeruſalem. Der moraliſche Tractat 
iſt ſeit Petrarca der Tummelplatz antiker Philoſophie und antiquari⸗ 
ſcher Kenntniſſe aller Art geblieben. Ihn durch eine große Subjectivi⸗ 
tät zu beſeelen wie er, haben ſeine Nachfolger freilich nicht vermocht. 
Auch in der Invective iſt er wahrlich nicht ohne Nachahmung geblieben, 
es knüpft ſich als Gegenſpiel an dieſe Gattung die Lob⸗ und Feſtrede, 
deren Petrarca vielleicht nur ſich ſelber würdig hielt. Er verſuchte 
ſich in der Geſchichtſchreibung großen Stils, obwohl ſeine römiſche Ge⸗ 
ſchichte, die von Romulus bis auf. Titus führen ſollte,) im Plane 
liegen blieb und nur die 31 Lebensbeſchreibungen berühmter Männer 
fertig wurden. Seine Sammlung alter und neuer Anekdoten, in der 
Weiſe des Valerius Maximus, führte in leichterer Form die menſch⸗ 
lichen und charakteriſtiſchen Züge der alten Geſchichte vor.) Und ſein 
Itinerarium Syriacum muß als der erſte Verſuch gelten, die Geographie 
der alten Welt herzuſtellen. 

Alles, was er als Dichtung und Alterthum bezeichnete — jene 
beiden Begriffe, die ihm ſo nahe verwandt ſchienen — ſah Petrarca 


ͤ—— — — 


) Vergl. die eingeſtreuten Briefe Andrer in Petrarca's Epistolae rerum variarum. 
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 410). 
) Ich meine die Rerum memorandarum Libri IV. 


I. Andentung des Erfolges. 101 


noch bei ſeinen Lebzeiten in üppigen Aufwuchs kommen. Niemals, ſagt 
er halb mit Freude halb mit Beſorgniß, niemals war des Horatius 
Wort Seribimus indocti doctique poemata passim wahrer als jetzt. 
Täglich regneten ihm aus allen Winkeln Italiens Verſe zu, ja aus 
Frankreich, Deutſchland, England und Griechenland. Die Juriſten 
verlaſſen ihren Juſtinianus und die Aerzte ihren Aesculap, ſie wollen 
nur von Virgilius und Homeros ſprechen hören. Selbſt an die rö⸗ 
miſche Curie habe ſich das Uebel ſchon eingeſchlichen. „Ich fürchte, 
daß ich mit meinem Beiſpiel zu dieſer Thorheit beigetragen habe. Man 
ſagt, der Lorbeer erzeuge wahre Träume, aber ich beſorge, daß der, 
den ich mit allzu großer Begier erworben, noch nicht reif war und mir 
und vielen andern falſche Träume bringe.“) 


) Bei de Sade Mdmoires T. III p. 243. 


108 


Zweites Buch. 


Die Gründer der florentiniſchen Muſenrepublik. Die Wander⸗ 
lehrer. Erweckung der elaſſiſchen Autoren aus den 
Kloſtergräbern. 


Petrarca würde ſich bitter getäuſcht fühlen, wenn er den Ruhm, 
den er ein halbes Jahrhundert nach ſeinem Tode genoß, mit demjenigen 
vergliche, den ſein brennendes Herz ſich für Aeonen geſichert glaubte. 
Aber warum ſetzte er auch den Ruhm in die blinde Bewunderung, in 
das lärmende Lob der Menſchen! Dieſes verhallt und jene wird matt, 
ja die jungen Generationen, die auf des Meiſters Schultern ſtehen, 
vergeſſen gern den Arm, der ſie emporgehoben, und meinen größer zu 
ſein, weil ſie mit keckem Uebermuth über ſein Haupt hinwegſehen. Ein 
andrer Ruhm dagegen, der freilich nicht ſo faßlich von Mund zu 
Mund und von Ohr zu Ohr ſich ausbreitet, iſt Petrarca in reichem 
Maße zu Theil geworden: das ſtille und oft auf verborgenen Wegen 
beinahe geiſterhaft wirkende Fortleben ſeines Geiſtes. Die Saat, die 
er ausgeworfen, hat Tauſende von Menſchen zu ihrer Pflege gerufen 
und Jahrhunderte zur Reife bedurft. Nicht nur auf allen Seiten die⸗ 
ſes Buches, wohl auch auf allen Blättern, welche die Weltgeſchichte 
der folgenden Jahrhunderte erzählen, wird der feinfühlende Leſer den 
Geiſt des neubelebten Alterthums und gerade in der Gewandung rau⸗ 
ſchen hören, die er durch Petrarca empfangen. 

Wir faſſen in dieſem Abſchnitte die Anregungen ins Auge, die 
allzunächſt von Petrarca ausgingen und nicht bei dem bloßen unthäti⸗ 
gen Staunen verharrend, zu lebendig fortwirkenden Kräften wurden, 
wir weiſen die erſte Propaganda ſeines Geiſtes auf. Da finden wir 


II. Die florentiniſchen Jünger Petrarca’s. Boccaccio. 108 


denn, wie die Arbeit, die er auf fein alleiniges Haupt genommen, ſd⸗ 
fort getheilt wird, wie einzelne Perfönlichkeiten dieſen oder jenen Strahl 
ſeines Seelenlebens aufgefangen haben und in ihrer Weiſe darſtellen, 
wie die Richtungen ſich ſondern und doch wieder in Gruppen zuſammen⸗ 
treten, um einander zu unterſtützen und zu ergänzen. Eine Concen⸗ 
tration, wie ſie in Petrarca's Individualität gleichſam vorbildlich vor⸗ 
handen war, findet jetzt in dem tuseiſchen Stamm oder vielmehr 
geradezu in der Capitale deſſelben, in Florenz ſtatt, welches durch Pe⸗ 
trarca's Geiſt fortan zum Sitze der Muſen geweiht wird, die beſten 
feiner Jünger in ſich verſammelt und jo dem Humanksmus eine feſte 
Stätte gründet. Es iſt unleugbar, daß von dieſer Republik die moderne 
Republik ver Wiſſenſchaften zum großen Theile Form und Charakter 
empfangen hat. 

Wir nennen ſogleich die drei Jünger Petrarca's, denen wir dieſen 
Einfluß zuſchreiben: es ſind Giovanni Boccaccio, Luigi Marſigli und 
Coluccio Salutato. Wir bezeichnen auch ſogleich den Kern ihrer Wirk⸗ 
ſamkeit: Boceaceis ſtellt die Freude des ſtillen Gelehrtenfleißes dar; 
Marfigli iſt der Gründer des erſten freien Vereines, in welchem Wiſſen⸗ 
ſchaft und menſchliches Streben außerhalb der Kirche und Hochſchule 
gepflegt werden; Salutato hat dem Humanismus im Staatsleben das 
Bürgerrecht erworben. Sie alle umſchlingt ein gewiſſer republicaniſcher 
Geiſt, der Petrarca, dem Weltbürger, perſönlich fremd geweſen und 
doch von ſeiner Lehre den Urſprung herführt. Inwiefern ſich jene 
Mäuyner auch ſonſt Petrarca anſchließen, wird das Folgende deutlich 
geung zeigen, aber laſſen wir auch allem Beſondern, was an ihrer 
Perſönlichkeit und ihrer Stellung haftet, ſein Recht widerfahren. 

Dem Genie ſcheint wie einem Glückskinde Vieles von ſelbſt zuzu⸗ 
fallen, was Andre mühſam erarbeiten müſſen, und was in andern Fäl⸗ 
len für ein bedauerliches Hinderniß gehalten wird, erſcheint bei ihm 
oft gerade als fördernde Vorſehung. Petrarca war durch ſeinen Vater, 
der einen Advocaten aus ihm machen wollte, in ſeinem ſchöngeiſtigen 
Treiben gehemmt worden, indeß brach der Dichter in ihm nur deſto 
mächtiger durch, die Kraft und die Begeiſterung wuchſen unter dem 
Drucke und mit der Juriſterei warf er die ganze ſcholaſtiſche Methode 
hinter ſich. Wie anders war der Bildungsgang feines treueſten Jün⸗ 
gers, des Giovanni Boccaccio aus Certaldo! Er hatte noch das 
ſiebente Jahr nicht erreicht, da verſuchte er ſich ſchon in kleinen Dich⸗ 
tungen, natürlich in tusciſcher Sprache. Sein Vater aber beſtimmie 


104 | II. Boccaccio's Bildungsgang. 


ihn zum Kaufmann und ließ ihn ſechs Jahre lang, eine unwiederbring⸗ 
liche Zeit, mit Rechnungen und Geſchäften verkehren, bis er endlich, 
auf die Befähigung des Sohnes aufmerkſam gemacht, ſeinem Studien⸗ 
eifer nichts mehr entgegenſetzte, aber ihn auf eine Brodwiſſenſchaft, 
das kanoniſche Recht, verwies. In dieſer Zeit, angefeuert durch Pe- 
trarca's vielgerühmten Namen, begann Giovanni die alten Autoren zu 
leſen, ohne Anleitung, doch mit deſto größerer Begier. Wiederum ſechs 
Jahre lang hielt ihn ſein Vater bei den Rechtsſtudien feſt und ärgerte 
ſich an ſeinen ſchöngeiſtigen Gelüſten. Auch ſeine Freunde ſchalten ihn 
darüber und wenn fie ihn Dichter nannten, ſo geſchah es nicht ohne 
Spott. Boccaccio ließ ſich das Alles nicht irren. Als er in ſeinem 
fünfundzwanzigſten Jahre durch den Tod des Vaters ein freier Mann 
wurde, war ſein Entſchluß gefaßt. Ob dazu gerade das Grabmal Virgils 
beigetragen, laſſen wir dahingeſtellt fein. ') Boccaccio wußte, daß den 
Poeten nicht das Wohlleben erwartete, welches ſich der Kleriker oder 
Advocat allenfalls ſchaffen konnte. Aber er gehörte zu denen, in deren 
Seele ein unauslöſchlicher Funke des petrarchiſchen Ruhmgedankens ge⸗ 
fallen war. Dennoch war ihm die Zeit, in welcher die Geiſteskräfte 
und Talente geweckt werden, allzu bitter verkümmert. Er ſelbſt wenig⸗ 
ſtens behielt bis in ſein Alter das Gefühl, daß er vielleicht ein be⸗ 
rühmter Dichter geworden wäre, hätte ſein Vater ihm ſogleich freien 
Lauf gelaſſen.) 

Daß Petrarca ihn der Freundſchaft würdigte, nahm Boccatels 
wie eine unverdiente Gnade auf. Mit neidloſer Bewunderung ſah er, 
wie Päpſte und Könige um dieſe Freundſchaft des großen Mannes 
buhlten und wie der Ruhm deſſelben die Welt erfüllte. Er ſchreibt 
ſeinen Namen nicht, ohne daß die Begeiſterung ein ehrendes Beiwort 
hinzufügt. Er nennt ihn feinen berühmten und erhabenen Lehrer, 
ſeinen Vater und Herrn, einen Dichter, der eher den herrlichen Alten 
als den Modernen beigezählt werden müſſe, einen wahrhaft himmliſchen 
Menſchen, das glorreiche Wunder ſeiner Zeit.) Als Petrarca einſt 


) Er ſelbſt ſpricht nicht davon, nur Filippo Villani le Vite d'uomini illustri 
Fiorentini data alla luce del Conte Giamm. Mazzuchelli. Venezia, 1747. p. 12. 

) Jo. Bocatii 2600 yeveanloylasg Deorum Libri XV. Basileae, 1532. Lib. 
XV. cap. 10. 

3) ibid. XIV, 10. 11. 19. XV, 6. 14. Comento sopra la Commedia di Dante 
cap. 1 (Opere vol, IV. Firenze, 1724. p. 34. 35). cf. Petrarca epist. rer. se- 
nil. I, 4. | 


II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca. 105 


von literariſchen Gegnern angegriffen wurde, vertheidigte ihn Boccaccio 
in einer lebhaften, vom Feuer der Freundſchaft eingegebenen Apologie.) 
Wir beſitzen ſie nicht, aber er wird darin geſprochen haben wie an 
einer andern Stelle, wo er fich ſelbſt nur als den „gehorſamen Scla⸗ 
ven“ des großen Meiſters bezeichnet. Deſſen Seele, ſagt er, wandelt 
in höheren Regionen, ſeine Schreibweiſe iſt wunderbar geſchmückt und 
erhabene Sentenzen zieren ſie; denn er ſchreibt mit wohlerwogenem 
Urtheil und aus der Tiefe des Gedankens.) Gerade ſolche Freunde 
liebte Petrarca: er hat Boccaccio eine reichliche Zahl von Briefen ge⸗ 
wipmet, er hat ihm in feinem Teſtamente fünfzig Goldgulden vermacht 
zu einem Winterkleide, das den fleißigen Freund bei ſeinen nächtlichen 
Studien erwärmen möge.) Boccaccio war krank, als er von dieſem 
letzten Liebeszeugniß und vom Tode des Mannes hörte, den er länger 
als vierzig Jahre hatte ſeinen Freund nennen dürfen. Ein Brief, den 
er damals mit zitternder Hand zum Lobe des Dahingeſchievenen ſchrieb, 
iſt das fchönfte und rührendſte Denkmal dieſes Bundes.“) 

Daß Boccaccio der Bildner der ſchönen tusciſchen Proſa, daß er 
der behaglichſte und liebenswürdigſte Erzähler von Geſchichten war, 
liegt außer unſerm Kreiſe gleich Petrarca's Reimen. Aber auffallend 
ift es doch, daß er in feinen lateiniſchen Werken nie und nirgend der 
tusciſchen gedenkt, während doch Petrarca von den feinen, wenn auch 
nur mit vornehmer Geringfchätung ſpricht. Auch Boccaccio bekennt 
ſein Verlangen nach literariſchem Ruhm ), aber er denkt nicht daran, 
ihn anderswoher als pon ſeinen claſſiſchen Studien zu erwarten. Man 
ſagte ſogar, die lasciven Jugendſchriften, die Novellen, hätten ihm als 
Greis ſchwer auf dem Gewiſſen gelegen und er hätte ſie vernichtet ge⸗ 
wünſcht, wären ſie nicht ſchon durch ganz Italien verbreitet geweſen.) 

Petrarca's Genialität kann durch keinen Beweis in ſo klares Licht 
geſetzt werden als durch den Abfall, den wir von ihm zu Boccaccio 
wahrnehmen. Petrarca war das Alterthum eine Schule des Menſchen, 
er iſt ſich ſeiner geiſtigen Durchdringung bewußt, er beherrſcht, was er 


) Petrarca Epist. rer. senil. XIV, 8. 

) Epilogus Libri de montibus etc., der Genealogia Deorum angefügt, in 
der obigen Ausgabe p. 504. 

ö 3) Petrarchae Opp. p. 1373. 

) Bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 203 8. 

) z. B. de geneal. Deor. XV, 13. 

) Dominicus Aretinus bei Mehus l. c. p. 265. 


106 II. Boccaccio als Gelehrter. 


lieft, und was ihm paßt, wird fein perfönliches Eigenthum. Vootaceie 
ergreift dieſe Wiſſenſchaft allein mit dem ftofflichen Intereſſe, fein Fleiß 
iſt fein Verdienſt, er bleibt ein Sclave des Kleinigkeitskrames. Er hat 
rüftig in die Breite gearbeitet, während Petrarca's Streben immer 
nach der Tiefe drang. Sein Hauptwerk, welches er auf der Schwelle 
des Greiſenalters ſchrieb, iſt feine Mythologie (de genealogia Deo- 
rum), ein wüſtes und geſchmackloſes Notizenmagazin. Zwar mögen 
wir betonen, daß dieſer Stoff zu feiner Zeit immer noch ein neuer 
war und daß wir in dem Werke das erſte zuſammenfaſſende Handbuch 
einer Alterthumsdiseiplin haben, wir mögen die Beleſenheit und den 
Sammelfleiß des Autors bewundern, aber das Alles hebt ihn nicht 
weſentlich über die dürftige Manier der früheren Jahrhunderte hinaus. 
Gerade die veränderte Art der Behandlung machte ja die Beſchäftigung 
mit den Alterthumswiſſenſchaften fo bedeutſam und fruchtbar. Wo die⸗ 
ſes Studium nicht lehrte, die Leichtgläubigkeit, die ſtumpfe Urtheils⸗ 
loſigkeit und die engherzige Syſtemſucht zu überwinden, da war es eben 
kein erfriſchendes, kein humaniſtiſches mehr. Boccaccio häuft und thürmt 
die mythologiſchen Notizen aufeinander und bringt dann noch feine um: 
felige Sucht hinzu, Alles allegoriſch und ſymboliſch zu denten.) Sein 
Buch „über die Berge, Wälder, Quellen, Seen, Flüſſe, Sümpfe und 
Meere“, welches dem vorigen gewöhnlich angehängt wird, iſt weiter 
nichts als ein alphabetiſches Lexikon der alten Geographie, welches bei 
dem Studium der römiſchen Dichter als Hälfsmittel dienen ſoll. Und 
die Schrift „über die berühmten Frauen“, welche ein Seitenſtück zu 
Petrarca's Werk „über berühmte Männer“ fein ſollte und wie dieſes 
faſt ausſchließlich Biographien aus dem Alterthum enthält, iſt en 
falls nichts mehr als eine mühſelige Compilation.) 

Wer erkennte in dem trockenen nächtlichen Gelehrten den e 
ten und launigen Erzähler des Decamerone, den ſchalkiſchen und fri⸗ 
volen Dichter des fieſolaniſchen Nymphenſpiels und des Ameto! Und 
doch iſt Boccaccio, wo er fein epiſches Talent unterdrücken und ſich als 
Gelehrter zeigen muß, immer derſelbe. Mühſam prägte er ſich unter 


1) Die wiffenſchaftliche Würdigung dieſes Werkes iſt der Hauptinhalt der kleinen 
Schrift von Jul. Schück, zur Charakteristik der ital. Humanisten des . und 
15. Jahrh. Breslau, 1857. 

2) Die neun Bücher de oasibus virorum ac feninarum illustrium find mir 
nicht zu Geſicht gekommen. Das Buch de elaris mulieribus kenne ich in der Aus⸗ 
gabe Bernae, 1539. = 1 2 


II. Boccaccio als Gelehrter. 107 


der Leitung eines mürriſchen und cyniſchen Lehrers, der den feinſinni⸗ 
gen Petrarca von Weitem anekelte, die griechiſchen Buchſtaben und die 
Elemente der Grammatik ein, ließ ſich von ihm die Iliade erklären 
und notirte ſich emſig alle die dummen Erklärungen und Bemerkungen, 
die der unwiſſende Lehrer dem ſtaunenden Schüler vortrug. Die Ueber⸗ 
ſetzung der homeriſchen Geſänge, die derſelbe verfertigt, ſchrieb ſich Boc⸗ 
tuccio mit eigener Hand ab. Er war ſeelenvergnügt darüber, daß er zu⸗ 
erft und auf eigene Koſten die Werke Homers und andrer Griechen 
habe nach Tuscien kommen laſſen, ) daß er zuerſt einen Lehrer des 
Griechtſchen berufen und beherbergt, daß er zuerft unter allen Italienern 
wieder ven Homer las, daß feine antiquariſchen Notizen fich jo reichlich 
mehrten. Keine Arbeit war ihm zu fauer, keine Sorgfalt zu peinlich. 
Die Comodien des Terentius ſchrieb er lieber ſelbſt ab, ehe er ſich den 
Text von gewiſfenloſen Copiften verderben ließ.) Der Gedanke, die 
alten Handſchriften mit einander zu vergleichen und eine aus der andern 
zu verbeſſern, iſt fein Verdienſt. Aber über das, was an ſolchen Ar⸗ 
beiten das handwerksmäßige ift, kam er nicht hinaus. Er iſt der Vor⸗ 
zänger und Typus der philologiſchen Kleinmeiſterei, deren Arbeit erſt 
nurch den Geiſt befruchtet werden muß, um fruchtbar zu werden. Und 
doch fühlte er ſich glücklich in dieſer Beſchränktheit: wie Petrarca ſeine 
philoſophiſche Perfönlichleit, fo ſetzte er dem hochmüthigen Scholaſtiker 
ſeinen edlen Arbeitsſtoff, und den gemeinen Menſchen, die nur für 
Eſſen, Trinken und die ſündhaften Gelüſte des Fleiſches leben, feinen 
Fleiß und ſeine Studien entgegen. 

Was Boccaccio von Geſichtspuncten und Ideen vorbringt, iſt alle⸗ 
mal Petrarca's Eigenthum. Aber nur einzelne Fäden des Gewebes 
ergreift er, um ſie weiterzuſpinnen, weit mehrere entgehen ihm völlig 
und von ihrer Bedeutung im Zuſammenhang hat er keine Ahnung. 
Es erſcheint uns oft unbegreiflich, wie ein ſo naher Freund und hin⸗ 
gebender Bewunderer Petrarca's von dieſem nicht mehr gelernt haben 


) De geneal. Deor. XV, 7. Ju welchem Verhältniß dieſe Ueberſiedelung Ho⸗ 
mers zu dem obenerwähnten Geſchenke des Sigeros (oder Sergios) an Petrarca 
ſtand, wiſſen wir nicht. Uebrigens wird von dieſen griechiſchen Studien noch im 
fünften Buche ausführlicher die Rede ſein. 

) Mehus (Vita Ambr. Travers. p. 275) hat im Codex der Laurentiana die 
Hand Boccaccio's zu erkennen gemeint. Der größte Theil der Codices, die er ge⸗ 
ſchrieben, iſt ſpäter mit feiner Bibliothek verbrannt. Näheres bei Baldelli Vita di 
Giov. Boccacci p. 127 e seg. 


108 II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca. 


konnte. Der Mund bes Weiſen, Bücher und Lebenserfahrung werfen 
doch nur Samenkörner aus ins Unbeſtimmte; wo der Boden nicht be⸗ 
reitet iſt, ſie zu empfangen, geht die keimtreibende Kraft verloren. 

Petrarca nimmt im Gefühl ſeines ſelbſtſtändigen Geiſtes auch dem 
Alterthum gegenüber oft eine kritiſirende Stellung ein, er ſondert und 
wägt bereits die Meinungen alter Autoren; Boccaccio häuft ohne Wahl 
die verſchiedenſten Autoritäten verſchiedener Zeitalter aufeinander. Mit 
welcher Sicherheit hatte Petrarca die von Julius Cäſar und Nero 
ausgeſtellten öſterreichiſchen Privilegien als alberne Erfindungen aufge⸗ 
deckt und kritiſch vernichtet!) Boccaccio hat nicht den Muth zu einer 
energiſchen Meinung; alles Geſchriebene erſcheint ihm noch ehrwürdig. 
Findet er im Vincentins Bellovacenſis, daß die Franken von Franko, 
einem Sohne Hektor's, abſtammen, jo will er es zwar nicht ſehr glan⸗ 
ben, aber ja auch nicht völlig leugnen, weil bei Gott kein Ding un⸗ 
möglich ſei.) Wir ſahen, wie Petrarca es ſich herausnahm, ſelbſt 
ſeinem verehrten Cicero moraliſche Vorwürfe zu machen. Boccaccio 
hat nicht entfernt dieſe verpflichtende Schülerſtellung zu Eicero; wo er 
von ihm ſpricht, zeigt er ſogleich, wie wenig er ihn eigentlich kannte.) 
Folgt er ihm aber in irgend einem Falle nicht, ſo fügt er ängſtlich ein 
Salva tamen semper Ciceronis reverentia hinzu. So ſehr er in 

Petrarca den Menſchen neben dem Schriftſteller verehrte, entging ihm 
doch völlig, wie dieſer unabläſſig der Schulphilofophie eine Leber 
loſophie gegenüberſetzt. 

Wohl fährt auch er, der getreue Schildknappe ſeines Herrn und 
Ritters, gelegentlich auf die ſcholaſtiſchen Philoſophen los, die Philo⸗ 
ſophie iſt aber ihm ſelber auch nicht mehr als die Kunſt der Argumen⸗ 
tation, die ſcholaſtiſche Dialektik.) Und Ariſtoteles, deſſen Hegemonie 
im Reiche des Denkens Petrarca kühn anzugreifen wagte, iſt Boccaccio 
wieder „in allen bedeutenden Dingen die würdigſte Autorität,) und 
wenn Ariſtoteles zum Beiſpiel ſagt, die Dichter ſeien die Bildner der 
Religion geweſen, fo hält der Dichter Boccaccio dieſen Kernſpruch den 
Theologen feines Zeitalters zur Beherzigung hin. Doch am auffallend⸗ 
ſten iſt wohl das große Gewicht, welches Boccaccio wieder auf die 


1) Epist. rer. senil. XV, 5 an Karl IV. 

2) De geneal. Deor. VI, 24. 

) v. Comento s. Dante cap. 4 (Opere vol. V. p. 249). 

) v. Vita di Dante (Opere vol. IV p. 56). 

) ibid. p. 40: dignissimo testimonio ad ogni gran cosa. 


II. Boceaedo und fein Meiſter Petrarea. 109 


aſtrologiſchen Träumereien legt. Nicht nur daß Petrarca jede Gelegen⸗ 
heit aufgeſucht, fie lächerlich zu machen, gerade in Briefen an Boccaccio 
hatte er ſich ausführlich und heftig gegen ſie ausgelaſſen. Und dieſer 
ift nun wieder überzeugt, die Kunſt der Aſtrologen ſei an ſich wahr 
und beruhe auf ſichern Grundlagen; wo ſie irre, liege der Grund nur 
in der ſchwer zu erforſchenden Größe des Himmelsgewölbes und in der 
menſchlich⸗ mangelhaften Kenntniß von den Umwälzungen und Conjunc⸗ 
turen der Planeten.) | 

Wir lernten in Petrarca einen eifrigen Vertheidiger des criſtlichen 
Glaubens kennen, der ſich bemühte, die Lehre der Kirche auf ſeine 
Weiſe mit dem heidniſchen Stoicismus in Einklang zu bringen und 
beide dem Bepürfniß feiner Perſönlichkeit anzupaſſen. Er wagte es, 
ohne die Vermittelung des geiſtlichen Standes und der ſichtbaren Kirche, 
ſelbſtſtändig und allein vor ſeinen Gott zu treten. Boccaccio dagegen be⸗ 
zeugt der ſcholaſtiſchen Theologie meiſtens ſeine höchſte Achtung, er gefällt 
ſich ſogar in ihren myſteriöſen Begriffen und Terminologien.) Er trennt 
ſich in ſeiner religiöfen Anſchauung nicht von der allgemeinen feines 
Zeitalters. Obwohl er ſein Gewiſſen nicht vor dem Publicum aufdeckt 
wie Petrarca, beunruhigt ihn doch Reue über die Leichtfertigkeit ſeiner 
früheren Jahre. Ein merkwürdiger Vorfall, bei dem zunächſt er, dann 
aber auch Petrarca betheiligt wurde, zeigt uns deutlich, wie jeder von 
ihnen dachte. Piero Petroni, ein Carthäuſer zu Siena, fromm und 
im Rufe der Heiligkeit, beauftragt ſterbend den Bruder Giovacechino 
Ciani, zu Boccaccio zu gehen und ſein Gewiſſen zur Umkehr von ſei⸗ 
nem bisherigen leichten und heidniſchen Leben zu bewegen. Zur Be⸗ 
glaubigung feiner göttlichen Sendung ſoll er ihm gewiſſe Geheimniſſe 
kundthun, die außer Boccaccio ſelbſt nicht gut jemand wiſſen kann. 
Er ſoll ihn an ſeine Schriften erinnern, durch welche er die guten 
Sitten vererbt, die Keuſchheit verletzt und das Laſter beſchönigt habe, 
ihn mahnen, von dem Streben nach nichtiger Ehre und eitlem Ruhme 
zu laſſen, ihn mit baldigem Tode und mit den Strafen der Hölle be⸗ 
drohen. Boccaccio läßt ſich erſchrecken: in der erſten Zerknirſchung 
will er ſogleich ſeine Bücher verkaufen und der Poeſie Lebewohl ſagen. 
Er theilt Petrarca das Ereigniß und ſeine Reue mit. Dieſer verhehlt 

) ibid. p. 55. Comento s. Dante cap. 1. 5. 7. (Opere vol. V. p. 55. 316. 

vol. VI. p. 21). 

) Einen gelegentlichen Ausfall, den er ſich gegen die modernen Theologen er⸗ 
laubt, werden wir im 7. Buche erwähnen. 


10 IT. Boccaecio und fein Meifter Petrarca. 


| N 

fein Bedenken nicht: man müſſe in ſolchen Fällen die Perfönlichleit 
des Gottesboten wohl prüfen, oft ſei unter dem Schleier der Neligion 
Trug und Lüge verborgen. Er erinnert Boccaccio, daß er nicht erſt 
durch den Mönch, ſondern längſt ſchon hätte wiſſen folten, daß ſein 
Lebensfaden ein kurzer ſei. Er billigt durchaus feine Abſicht, die welt⸗ 
lichen Sorgen und Leidenſchaften abzuthun, aber er findet es ganz un⸗ 
gerechtfertigt, daß der Freund auch das Studium, den Troſt ſeines 
Alters, bei Seite werfen wolle.) Boccaccio kam mit der Zeit zu der⸗ 
ſelben Meinung, wir ſehen aber, wie es ihm an der fichern Perſön⸗ 
lichkeit fehlte. 

Andre Lehren Petrarca's dagegen, die Weinen einmal be 
nommen, kann er auch wieder nicht genug ausführen und mit breiter 
Redſeligkeit verkünden. Die Poeſie nach dem Begriffe Petrarca's, in 
welchem ſie zugleich die Eloquenz und die Alterthumswiſſenſchaft in 
ſich faßte, war eine neue Kunſt, fie fand Verehrer, aber auch heftige 
Gegner. Letztere hatte Pekrarca meiſtens uur mit einigen verächtlichen 
Worten abgefertigt. Er griff an; ſich und ſeine Muſe zu vertheidigen, 
war er zu ſtolz. Dieſen Kampf aber, der des Meiſters nicht würdig 
ſchien, nahm Boccaccio auf ſich. Ein ganzes Buch, das vierzehnte, 
ſeiner Mythologie hat er ihm gewidmet. Darin nimmt er nun die 
Dichter des Alterthums in Schutz, die Dichtung überhaupt und zugleich 
ſeine eigene Beſchäftigung mit den Mythen. Die ſcholaſtiſchen Philo⸗ 
ſophen und Theolegen, welche die Poeſie als eitle Fabelei verachten 
und vornehm ſprechen: „Was ſollten wir dieſe Poſſen auſehen? Pah, 
wir haben ſie nicht geſehen und wollen ſie auch nicht ſehen, wir haben 
Beſſeres zu thun,“ die geldgierigen Juriſten, welche den Dichter als 
armſeligen Lumpen verachten, die heuchleriſchen Mönche, welche den 
alten Dichtern ihre Vielgötterei, ihre poſſenhaften Göttergeſchichten und 
ihre verführeriſchen Lascivitäten nicht vergeben können und ihre Werke 
deshalb den Flammen überliefert und in alle Winde zerſtreut wünſch⸗ 
ten — alle dieſe Gegner werden ernſthaft, eifrig und ausführlich wider⸗ 
legt. Um ſeine mythologiſchen Studien zu vertheidigen, beruft ſich 
Boccaccio auf Auguſtinus, Hieronymus und Lactantius. Kommt 
er in dringende Verlegenheit, wie er zum Beiſpiel die Frivolität ge⸗ 
wiſſer römiſcher Dichter weder leugnen noch entſchuldigen kann, ſo 


) Petrar ca epist. rer. senil. I, 4. v. Baldelli Vita di Giov. Boccaed 
p. 155 e seg. 
) De geneal. Deor. XV, 9. 


II. Boceaceio ımb fein Meiſter Petrarca. | 111 


gieht er FA preis: Plautus, Terentius und Ovidius haben dieſes 
Schickſal . 

In Boreaccio's Definition der Poeſie iſt es recht bemerkbar, wie 
er einige gelegentliche Aeußerungen Petrarca's aufgefangen hat, ohne 
zu dem freilich allgemeinen und durch ſubjective Bezüge verworrenen 
Gedanken feines Lehrers zu gelangen. Dieſer ſah den Dichter vor 
Allem in ſich ſelbſt: er faßte den Philoſophen, den religiöfen Denker, 
den geheimnißvoll⸗ großartigen Menſchen, den Propheten — alle in 
den Begriff des Poeta, des Vates zuſammen. Die Macht des Wortes 
und den tieferen allegoriſchen Sinn führte er nur nebenbei als Attri« 
bute der Poeſie auf. Gerade in dieſe beiden Merkmale iſt Boccaccio 
wie verrannt. Zunächſt ſcheint ihm die praktiſche Rhetorik der Poeſie 
ſehr ähnlich. Die Arbeit des Dichters iſt nach feiner Meinung nichts 
anders, als neue unerhörte Stoffe anszufinden, zu ordnen, mit unge⸗ 
wöhnlichen Worten und Sentenzen auszuſchmücken, die Situation aus⸗ 
zumalen, die Menſchen zu loben, zu begeiſtern, anzutreiben und zu züͤ⸗ 
geln. Nur iſt ihm im Vergleich mit der Rhetorik Poefie der weitere 
Begriff, wie er zu ihrer Ehre ſagt, in der That aber der engere; denn 
es gehört zu ihr noch die allegoriſche Verhüllung eines tieferen Ge⸗ 
dankens, der Fabelſchleier.) Er erklärt diejenigen für lächerlich albern, 
welche der Annahme widerſtrebten, daß die alten Dichter ihren Fabeln 
einen tieferen Sinn untergelegt. Nur ein Verrückter könne das in 
Virgilius' Bucolica, Georgica und in der Aeneide leugnen. So ſeien 
in Dante’8 großem Gedicht die Tiefen der katholiſchen Wahrheit ver⸗ 
borgen und nicht minder in ſeines Meiſters Petrarca Gedichten.) 
Ganz wie dieſer und offenbar als ſein bloßer Nachbeter rühmt er das 
Vergnügen, welches ein feiner Kopf empfinde, wenn er den vor des 
Pöbels Augen verborgenen Sinn herausgefunden, nur macht er ein 
langes Gerede aus dem, was Petrayca in einem Satze fagte.‘) Wir 


) ibid. xiy, 19. Ziemlich dieſelbe Vertheidigung der Poeſie giebt Boccaccio N 
im Comento s. Dante cap. 1 (Opere vol. V. p. 33 42). 

) De geneal. Deor. XIV, 7. Mera pocsis est, quiequid sub velamine com- 
ponimus et exquiritur (doch wohl exprimitur) exquisite. Komiſch ift dabei Boc⸗ 
caccio’8 Sträuben, poeta von 10 = fingo abzuleiten, was er für eine böswillige 
Entwürdigung hält. Es fol von einem griechiſchen Worte om herkommen, wel⸗ 
ches, vom Stil gebraucht, etwa sotto faboloso velame e esquisito paxlare bedeute. 
v. Comento s. Dante cap. I (vol. V. p. 33). 

) De geneal. Deor. XIV, 10. 

) Comento s. Dante cap. I (vol. V. p. 54). Siehe oben S. 18. 


\ 


112 II. Petrarca's Sucht des Allegoriſtrens. 


\ 

faben oben, wie er ſich über den geheimen Sinn von ne Ec⸗ 
logen freute, der ihm vielleicht vom Dichter ſelbſt enthüllt worden war. 
Auch er hat Eclogen in dieſer Weiſe gedichtet.) Wenn ſich darin der 
Hirt Daphnis und die Schäferin Florida zanken, ſo bedeutet das den 
Streit der Kaiſer mit der Stadt Florenz. Einen Fürſten von Rimini, 
der gern zur Jagd durch die Wälder ſtrich, verſteht er unter dem Na⸗ 
men Faunus. Den flüchtigen König Ludwig von Sicilien bezeichnet 
er als Dorus, den wandernden Sohn des Hellen; im Namen Dorus 
findet er zugleich den Stamm eines griechiſchen Wortes, welches „Bitter⸗ 
keit“ bezeichne — dieſe Etymologie habe ich noch nicht ergründen kön⸗ 
nen — und hier vorzüglich paſſe, weil dem Vertriebenen die Verban⸗ 
nung wahrſcheinlich ſehr bitter geweſen ſei. Nach ſeiner Rückkehr nennt 
er denſelben König Ludwig Alceftus, theils weil dieſer ein guter König 
geweſen ſei, theils mit feiner Anſpielung auf GA und nestus, weil 
er mit Gluth nach der Tapferkeit geſtrebt habe. Hätte Boccaccio für 
die Enthüllung dieſer und ähnlicher Geheimniſſe nicht ſelber Sorge ge⸗ 
tragen, ſie würden zweifellos der Welt ewig unlösbare Räthſel geblie⸗ 
ben ſein.) In feiner Mythologie läßt er ſich durch das Allegoriſiren 
zum willkürlichſten Unſinn verleiten. Sogar die chriſtliche Theologie 
ſcheint ihm mit der Poeſie nahe verwandt wegen der bildlichen Wen⸗ 
dungen und Erzählungen im alten und neuen Teſtamente. Den hei⸗ 
ligen Geiſt findet er „ſehr gelehrt“, weil er ſich des poetiſchen Mittels 
der Allegorie bedient, um die höchſten Geheimniſſe des göttlichen Gei⸗ 
ſtes zu verhüllen, wie in den Viſionen gewiſſer Propheten und noch in 
der Apokalypſe geſchehen ſei.) So deutet er den feurigen Buſch, in 
welchem Jehovah dem Moſes erſchien, auf die Jungfräulichkeit Chriſti 
und die Viſion des Nabuchodonoſor auf die Zeitalter der chriſtlichen 
Lehre, er findet dieſe Allegorien ſo natürlich wie daß in dem zu den 
Göttern erhobenen Herakles der Lohn der Tugend und in dem in einen 
Wolf verwandelten Lykaon der des Laſters dargeſtellt fei. *) oo 

Der Nachruhm und der Dichterlorbeer, dieſe beiden Idole, die 
Petrarca in ewigem Kampfe bald anbetete bald von ſich wies, werden 


) Sie finden ſich in den Bucolicorum Auctores. Basileae ex officina Joa, 
Oporini 1546. 


)v Guin gene Histoire litt. d’Italie T. III (Paris, 1811) p. 39—43. 
) Comento s. Dante IJ. c. 


) Vita di Dante l. c. p. 36 e seg., ähnlich Comento 1. o. p. 57. 


II. Boccaccio und fein Meiſter Petrarca. 113 


/ 

bei Boccaccio zu erſtaunlich nüchternen Dingen. Er findet es ſehr an⸗ 
ziehend, wenn die Menſchen von einem tüchtigen Manne noch bei ſei⸗ 
nen Lebzeiten ſingen und ſagen, wenn man mit Bewunderung auf ihn 
ſieht und mit Ehrfurcht auf ihn hinzeigt, und noch anziehender, wenn 
ſein Leben in Schriften verherrlicht und nach Jahrhunderten immer 
wieder geleſen wird. Da aber nicht Jeder ein Julius Cäſar oder ein 
großer Alexander werden könne, ſo ſtehe es ihm eher offen, unſterbliche 
Werke zu ſchreiben. In dieſer Ueberlegung nimmt Boccaccio nirgend 
Anftoß zu bekennen, daß auch er gern fo viel Ruhm einlegen möchte 
als möglich, und daß dieſes Verlangen ihn bei ſeinen Studien antreibe. 
Diejenigen Menſchen, die der Ruhm anſtachelt, erſcheinen ihm als eine 
bevorzugte Claſſe denen gegenüber, die nur nach Geld jagen und den 
Bauch pflegen. Zu jener höheren Claſſe rechnet er unbefangen auch 
ſich, da er ja der gewinnverheißenden Jurisprudenz entfagt und den 
ärmlichen Dichterſtand gewählt.) Von Petrarca's Demuthsaffectatio⸗ 
nen zeigt er keine Anwandlung. 

Iſt daher Petrarca's inneres Leben ungleich großartiger, ſo lebte 
Boccaccio zufriedener und glücklicher. Er war ohne Drang und Zwang 
der Philoſoph, den Petrarca niemals erreicht hat. Der Ueberfluß plagte 
ihn nicht, ja mitunter mag es ihm etwas ärmlich und knapp geworden 
ſein.) Im volkreichen Florenz befand ſich der fette, heitere und witzige 
Mann ganz wohl, wenn die Cabalen der Stadtparteien ihm nur keine 
Sorge machten. Aber auch wenn er ſich nach feinem Certaldo zurück⸗ 
zog, wo er dann ftarb, theilte er Leid und Freude der dortigen Klein⸗ 
bürger. Er ſah mit Behagen die grünen Bäume und die bunten Blu⸗ 
men, hörte die Vögel fingen und verkehrte im ftillen Stübchen mit 
feinen Büchern. °) 

Boccaccio, fehen wir, hat als ſtiller Gelehrter ein geräuſchloſes 
Daſein geführt. Er hatte nicht den Trieb, im geſelligen Vereine thä- 
tig zu ſein oder ſich einer Corporation anzuſchließen. Der Kirche ge⸗ 


1 


) So findet er es bei Dante natürlich, daß ihn nur der Ruhm zu ſeinem Ge⸗ 
dichte getrieben haben könne und daß er nach dem Lorbeer verlangt. Fu desideroso 
di fama, come generalmente siamo tutti. — Auch den Beruf der Dichter, die 
Namen großer Männer zu verewigen, behandelt er wie ein Handwerk, z. B. Comento 
8. Dante cap. 4. (p. 276). 

) Lett. a. M. Ems de Rossi (Opere vol. IV p. 3. 9); Filippo Villani 
I. e. p. 18. 

) Lett. a Pino; Dominicus Aretinus I. s. e. 


Voigt, Humanismus. 8 


114 II. Die Akademie von San Spirito. Marſigli. 


hörte er nicht mehr an wie jeder andre Laie und an der Univerfſttät 
lehrte er nur gleichſam zufällig und vorübergehend. Dieſe Loslöſung 
der humaniſtiſchen Wiſſenſchaft von der Kirche und ihren Inſtituten ſo 
wie anbrerfeits auch von den Hochſchulen, diefe ſelbſtſtändige Stellung 
der erſten Humaniſten halten wir für ein höchſt bedeutſames Moment; 
denn fie it keinesweges eine bloß äußerliche. 

Unter dieſem Geſichtspunct haben wir nun einen gelehrten Verein, 
eine Akademie im Sinne der alten platoniſchen, zu betrachten, die 
ſich in Florenz aufthat und gerade durch das Geheimniß, in welches 
ſie ſich hüllt, eine beſondre Bedeutung erhält. Leider ſind unſre Nach⸗ 
richten über fie ſpärlich, doch glauben wir nicht zu irren, wenn wir 
ſie für einen Zweig jenes Geheimbundes halten, deſſen Mitglieder die 
abſolute Philoſophie in der dialektiſchen Kunſt fanden und ohne wiſſen⸗ 
ſchaftliche oder dogmatiſche Vorausſetzungen lediglich der ariſtoteliſchen 
und averroiſtiſchen Methode anhingen, jener Freigeiſterei, gegen welche 
Petrarca mit ſolcher Entrüſtung gekämpft. 

Bei den Auguſtinern von San Spirito nämlich, wo Boccaccio's 
Bibliothek aufgeſtellt war, pflegten die feinen Geiſter von Florenz fich 
täglich zuſammenzufinden. Auf einer Tafel, die an der Wand oder 
einer Säule hing, war der jedesmalige Gegenſtand der Disputation 
bezeichnet: er wurde der Dialektik, der Phyſik oder Metaphyſik ent⸗ 
nommen. Da galt nun die Kunſt des Disputirens, der Gegenſtand 
und das Reſultat waren an ſich gleichgültig. 

Der obengenannte Luigi Marſigli, ein Mönch jenes Ordens, 
war Mittelpunct und Seele des Kreiſes, der ſich hier verſammelte. 
Als Knabe war er durch einen Verwandten Petrarca zugeführt worden, 
der dem jungen Manne dann eine bedeutende Zukunft weiſſagte und 
ihn anſpornte, keinen Tag in Trägheit hingehen zu laſſen, die Theolo⸗ 
gie mit andern Studien zu verbinden und ſich zu einem großen Kampfe 
gegen die Afterphiloſophie der Averroiſten vorzubereiten.) Doch ſcheint 
Marſigli im Gegentheil ihr entſchiedenſter Anhänger geworden zu ſein 
und durch ihn gewinnen wir von jener ſogenannten Secte freilich eine 
ganz andre Vorſtellung als durch Petrarca's Angriffe. Nicht nur war 
ihm die Verachtung der Alterthumsſtudien, die Petrarca den Averroiſten 


) Petrarca epist. s. tit. 20 (Opp. p. 810) iſt nach den Auslegern an Mar- 
ſigli gerichtet. Für das Verhältniß zwiſchen beiden iſt bezeichnend Petrarca epist. 
rer. senil. XIV, 7. 


II. Die Akademie von San Spirito. Marfigli. 115 


Schuld giebt, durchaus fern, ſondern er ſprach noch beim Tode dieſes 
Mannes ſeine wärmſte Bewunderung für ihn aus.) Damals befand 
er ſich in Paris, wo er die Würde eines Magiſters der Theologie er⸗ 
worben hat. Auch in ſeinem Orden genoß er hohes Anſehen: er war 
Provincial des piſaner Sprengels, 1389 begehrten ihn die Florentiner 
von Bonifacius IX zum Biſchof ihrer Stadt. Trotzdem ſcheint er der 
Kirche ſeiner Zeit faſt entfremdet und mehr ein italieniſcher Patriot 
geweſen zu ſein. Wenn er einige Sonette Petrarca's commentirte, ſo 
wählte er gerade diejenigen, welche das kranke Papſtthum von Avignon 
angreifen, und die Canzone Italia mia.) 

Die Fülle ſeiner Weisheit aber ſtrömte in dem privaten Kreiſe 
von San Spirito aus. Unter den gelehrten Disputanten, die ſich hier 
regelmäßig einfanden, werden uns Vangeliſta da Piſa und Girolamo 
da Napoli genannt; von beiden wüßten wir ſonſt nichts zu ſagen. 
Auch mancher angeſehene Florentiner beſuchte dieſe Verſammlungen, 
darunter Coluccio Salutato, der Staatscanzler, Roberto de' Roſſi, 
Niccolo Niccoli, und das ſind Namen, die uns noch mehr als einmal 
entgegentreten werden. Der junge Manetti, deſſen älterlicher Garten 
nur durch eine Mauer vom Kloſter getrennt war, trat wie zufällig in 
dieſen Kreis, zeigte ſich bald als gewandter Dialektiker und legte hier 
den Grund feiner Bildung.) Alle jüngeren Freunde verehrten Mar⸗ 
figli als einen würdigen Greis von ungewöhnlichem Scharfſinn und 
tiefer theologiſcher Gelehrſamkeit, „als ein göttliches Orakel“. Man 
ſprach auch von der moraliſch⸗ erziehenden Gewalt, die er unter ihnen 
übte. Doch ſcheint es, daß feine Moral minder die der Kirche als die 
des feinen und honetten Geiſtes war, den feine gebildete Sphäre vor 
groben Sinnlichkeiten ſchützte und mit einer gewiſſen Hoheit umkleidete. 
Marſigli beſaß die Gabe des Wortes in hohem Grade, er feſſelte den 
Hörer, indem er Alles zu wiſſen ſchien und die Weisheit Cicero's, 
Virgils und Seneca's in reichlichen Citaten darlegte, aber er verband 


5) Vergl. feinen Brief bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 227. 

2) Mehus I. c. p. 261. 

) Vespasiano: Giann. Manetti 5 2. (Wir werben biefe ſehr ſchätzbaren Le⸗ 
bensbeſchreibungen des florentiniſchen Buchhändlers Vespaſians de' Biſticci von 
nun an öfters citiren, ſie ſind vollſtändig gedruckt in dem dom Cardinal Angelo 
Mai herausg. Spicilegium Romanum T. I.) Naldi Vita Jamot. Manetti ap. 
Muratori Scriptt. T. XX. p. 531. Pog gius Orat. in funere Nic. Nicoli (Opp. 
Basileae, 1538 p. 271). Mehus Vita Ambr. Travers. p. 30. 


gr 


116 II. Salutato und Petrarca. 


damit nach dem Zeugniſſe eines verehrenden Schülers eine rückſichts⸗ 
loſe und ungebundene Art zu witzeln und zu ſpotten.“) 

Bleibt nach dieſen Angaben unſre Vorſtellung von Marſigli und 
ſeiner Akademie immerhin noch eine ſchwankende, ſo ſehen wir doch 
jedenfalls einen geſelligen Verein, der ſich um einen Weltweiſen grup⸗ 
pirt und aus gebildeten Männern beſteht, die eben nicht Schüler waren. 
Und wir wiederholen, daß die Abſonderung dieſer humaniſtiſchen Phi⸗ 
loſophen von Kirche und Univerfität uns an ſich vielbedeutend erſcheint. 
Frei wie Petrarca als Perſönlichkeit, ſteht dieſer Bund von den her⸗ 
gebrachten Inſtituten da, wiederum ein Vorbild der Gelehrtenrepublik, 
die der Humanismus als ſeine eigenthümlichſte Lebensform ſchuf. 

Ein Produkt gleichſam aller der Anregungen, die von Petrarca, 
Boccaccio und der Akademie von San Spirito ausgingen, iſt Coluc⸗ 
cio di Piero de' Salutati.”) Seine Natur war in jüngeren Jah⸗ 
ren eine überaus biegſame und lernbegierige. Schon als Knabe auf 
der Schule zu Bologna hatte er beſtändig die Lehrer zu fragen und 
mit den Mitſchülern zu disputiren. Gleich als fühlte er, zu wie man⸗ 
nigfachem Wirken er einſt berufen ſein ſollte, nahm er an Allem ein 
lebhaftes Intereſſe. Was er geleſen und gelernt, trieb es ihn ſofort 
mit jemand durchzuſprechen.“) Als fein Lehrer in der Grammatik und 
Rhetorik wird dann Pietro da Muglio genannt, der Freund Petrarca's 
und Boccaccio's. Dies feine erſte, freilich noch ſehr ferne Berührung 
mit dem Geiſtesfürſten, aber auch hier ein Beiſpiel, wie elektriſch der 
Name Petrarca auf irgend empfängliche Gemüther wirkte. Den jungen 
Salutato, der den Meiſter ſelbſt nie geſehen, läßt ſein Ruhm nicht 
ſchlafen, er richtet an ihn einen Brief voll Verehrung und erhält dafür 
eine kurze, aber freundliche und aufmunternde Antwort.) Er vergißt 
ihn nicht, während er der Curie als Secretär dient, und zwar unter 


) Manetti Vita Nicolai (Niccoli) bei Mehus l. e. p. 76: loquendi et ob- 
jurgandi vaga quaedam ac soluta libertas atque licentia. cf. ibid. p. 288 8g. 
Poggius drückt daſſelbe in der Leichenrede (I. c.) etwas zarter aus. — Marſigli 
ſtarb am 21. Auguſt 1394. 

) Den Namen Lino übergehe ich hier abſichtlich, da er jo wie Co luc eio 
doch nur eine tusciſche Verſtümmelung von Niecolo iſt. Doch iſt nicht zu leugnen, 
daß beide oft neben einander gebraucht wurden. Piero aber iſt nicht ein Name des 
Canzlers, ſondern nur der ſeines Vaters. 

) So läßt ihn Lionardo Bruni in einem ungedruckten 1 ſich ſelbſt 
ſchildern bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 289. 

*) Petrarca epist. rer. senil. XI, 4. 


II. Salntato und Petraren. 117 


Urban V und Gregor XI; im Gefolge des erſteren macht er den Zug 
nach Rom und die Rückkehr nach Avignon mit, auch der Eindruck die⸗ 
ſer Ereigniſſe iſt ihm geblieben. Wann er nach Florenz überſiedelte, 
wiſſen wir nicht genau; jedenfalls hat er ſchon zwei Jahre, bevor er 
1375 die Leitung der Staatscancelei übernahm, ein öffentliches Amt, 
wohl ein geringeres ſtädtiſches Notariat, bekleidet.) Damals lebte der 
greiſe Petrarca längſt gleich Einem, der ſchon halb der Erde entrückt, 
unter den Oliven von Arqua, auch der alte Boccaccio befand ſich mei⸗ 
ſtens zu Certaldo oder ſonſt auf der Villeggiatur. Letzteren jedoch hat 
Salutato noch ſeinen Freund nennen dürfen: ſo oft ſie mit einander 
ſprachen, war der Gegenſtand jedesmal Petrarca, und wenn er von 
ihm erzählte und ihn pries, wußte der freundliche, redſelige Greis kein 
Ende zu finden.) Am 18. Juli 1374 ſtieg Petrarca's Geiſt zu ſeinem 
Schöpfer auf, am 20. December 1375 folgte ihm Boccaccio. Es iſt 
ein eigenes Gefühl, wenn man ſich lange an das Daſein bedeutender 
und verehrter Menſchen gewöhnt hat und wenn nun der Tod plötzlich 
auf die leere Lücke zeigt. Es war Salutato, der nicht lange vor Boc⸗ 
caccio's Hingang an die Spitze der Staatscaucelei getreten, zu Muthe, 
als ſei er nun berufen, dem allgemeinen Schmerze den Ausdruck zu 
geben und das Werk der Beiden nach Kräften fortzuſetzen, dann aber 
ſie der florentiniſchen Republik, welcher er nun angehörte, gleichſam zu 
vindiciren. „Wehe, ruhmreiche Florentia, die du noch jüngſt mit zwei 
Leuchten glänzteſt, die dich mit denen des Himmels wetteifern ließen / 
denen das Alterthum nicht ähnliche an die Seite ſtellen könnte!“) 
Tag und Nacht, ſagte Salutato, als die ſichre Kunde von Pe⸗ 
trarca's Tode nach Florenz gelangt war, könne er „den für die Welt 
erloſchenen Stern nicht pergeſſen. „Durch feine Verdienſte, wenn 
mich die Viebe nicht täuſcht, wird unſer Zeitalter ein ruhmreiches bei 
der Nachwelt werden.“ Dieſe Verdienſte aber auch der Nachwelt zu 
erhalten, war nun ſein eifrigſtes Streben. Er hatte bereits Verſe an 
Petrarca fertig gehabt, die dieſen zur Veröffentlichung der geheimniß⸗ 
vollen „Africa“ antreiben ſollten; denn überall war die Kunde verbrei⸗ 


) Lini Colueii Pierii Salutati Epistolae ed. a Jos. Rigaccio P. II 
(Florentise, 1742) epist. 5. 6. 

) In cujus laudationem adeo libenter sermones usurpabat, ut nihil avidius 
nihilque copiosius narraret. Salutati epist. II, 6 an Francescolo de Broſſano, 
Petrarca's Schwiegerſohn. 

) Balutati epist. II, 6. 


118 II. Galutato und Petrarca. 


tet, ihrer harre nach des Dichters Teſtament der Flammentod, weil er 
der Welt kein unreifes Machwerk hinterlaſſen wolle. Der Mailänder 
Francescolo de Broſſauo, Petrarca's Schwiegerſohn und Haupterbe, 
verſprach, das Werk copiren zu laſſen und unter gewiſſen Bedingungen 
nach Florenz an Boccaccio zu ſenden. Als über den Verhandlungen 
auch dieſer geſtorben war, bat Salutato mit inniger Dringlichkeit, ihn 
an Stelle des Verblichenen als Freund anzunehmen und der „göttlichen 
Africa“ theilhaftig zu machen, er wollte ſogleich Hand ans Werk legen 
und durch Beſſern und Feilen ſuchen „die göttliche Seipiade ewig zu 
machen.“ So haben denn Boccaccio und Salutato und wohl als Ge⸗ 
hülfe des letzteren ein gewiſſer Niccolo Niccoli, der zum Abſchreiben 
der Africa nach Padua ging — wir lernen ihn ſchon noch kennen — 
mit dem gefeierten Epos gleichſam den Geiſt Petrarca's nach Florenz 
getragen und ihm durch Nacheifer hier eine Wohnſtätte gegründet, in 
welcher er am reinſten und reichſten fortgelebt. Sehr bezeichnend iſt die 
blinde Verehrung, die Salutato den beiden großen „Florentinern“ noch 
unbedingt entgegentrug. Nicht nur ihr perſönliches Andenken verherr- 
lichte er in Briefen und Trauergedichten, auch ihre Werke bewundert 
er ohne Wahl. So meint er zum Beiſpiel nichts Albernes zu ſagen, 
wenn er Petrarca's Invectiven gegen den päpſtlichen Leibarzt den Ver⸗ 
rinen und Philippiken, ja wohl den catilinariſchen Reden Cioero's vor⸗ 
zieht. Boccaccio's Mythologie findet er „in völlig göttlichem Stil“ 
geſchrieben. Gerade einer ſo begeiſterten Hingabe bedurfte es, um dem 
neuen Studium, das an ſich mit Opfern und Schwierigkeiten genug 
verbunden war, Jünger und Förderer zu gewinnen.) 

Dann war Salutato einer der eifrigſten Beſucher von San Spi⸗ 
rito und mit Marſigli engbefreundet. Während des langen Weges zu 
dieſem weltweiſen Auguſtiner, der jenſeits des Arno wohnte, pflegte er 
ſich ſchon zurechtzulegen, worüber er mit ihm ſprechen wollte. Da fand 
denn ſein Drang Genüge, ſich über die tiefſten Fragen der Moral ins 
Klare zu bringen.) 

Als Salutato am 25. April 1375 zum Schreiber der Priori er⸗ 
nannt wurde, war er ein fertiger Mann von 45 Jahren. Mit dieſem 
Amte, welches er bis zu ſeinem Tode, faſt dreißig Jahre lang beklei⸗ 


) Ejusd. epist. II, 3. 5. an den bekannten Benvenuto (de' Rambaldi) da Imola; 
II, 6. 7. 


) Nach Bruni's Dialog bei Mehus I. o. p. 20. 


II. Salutato als florentiniſcher Staa tscanzler. 119 


dete, wuchs feine Perſönlichkeit gleichſam zuſammen. Seine Zeitgenoſſen 
ſchildern ihn als einen Mann von mehr als mäßiger Größe, von im⸗ 
ponirendem Auftreten, obwohl er ſpäter ein wenig gebeugt ging, eine 
vollkräftige, markige Geſtalt. Auch in den Geſichtszügen, zumal in den 
gewaltigen Kinnladen und Lippen, lag der Ausdruck männlicher Fülle. 
Sein Blick hatte etwas Finſteres und faſt Zurückſchreckendes, ſeine Rede 
war ernſt und langſam wie die eines Mannes, der gewohnt iſt, ſich 
zu bewachen. Doch brach durch Auge und Rede, wenn er ſich dem 
vertrauten Umgange hingab, gar leicht die freundlichſte Gutmüthig⸗ 
keit durch.) Ein humanes Weſen zeigte er auch in ſeinem Amte: es 
wird ihm beſonders nachgerühmt, wie er ſich gegen jeden Bürger freund⸗ 
lich und gefällig erwieſen.) Er konnte für ein Muſter von republi⸗ 
caniſcher Bürgertugend gelten, es lag etwas von der antiken Kaloka⸗ 
gathie in dieſer Strenge, dieſer Unbeſcholtenheit, dieſer Hingabe an das 
gemeine Beſte. Schon daß während ſeiner dreißigjährigen Amtsführung 
das in ihn geſetzte Vertrauen nicht ein einziges Mal wankte, iſt ein 
genügender Beweis ſeiner feſten Redlichkeit, zumal wenn wir an das 
ſchnellbereite Mißtrauen denken, mit welchem Beamte einer vielbewegten 
Republik beobachtet werden. Ein anſehnliches Privatvermögen ſetzte 
ihn in den Stand, zehn Kinder mit Ehren aufziehen zu können.) 
Nach ſeinem Tode unterſuchte man die Hinterlaſſenſchaft: es wurde 
gefunden, daß er weder ein Haus noch ſonſt ein Beſitzthum hatte, das 
er nicht ererbt; die Baarſchaft betrug nur vierzig Goldgulden.“) 

Salutato war in der That ein politiſcher Charakter. In ihm 
zuerſt wurde die Weisheit des Alterthums fruchtbar für das Staats⸗ 
leben. Wie nun früher gar oft der Kleriker zugleich der praftifche 
Staatsverwalter geweſen war und die überlegene Bildung der Kirche in 
die Geſchäftsführung getragen hatte, ſo geht ſeit Salutato dieſe Rolle 
ebenſo oft auf Gelehrte und Humaniſten über. Er adelte durch Bildung 
und Patriotismus das Amt, welches, da er es übernahm, das eines 
Notars und Kenners der Canceleiregeln war; vom Diener der Priori ſtieg 
er zum einflußreichen Staatsmann empor, und nun erhielt der Titel eines 

) Filippo Villani Vite eto. ed Mazzuchelli p. 28, auch in Rig acei's 
Ausgabe der Briefe P. I. p. XIII. Manetti bei Mehus l. c. p. 289. 

) Lucas de Scarparia in feinem gleichzeitigen Chronicon bei Ri gacci 
I. c. p. XIV. 


) Manetti J. c. p. 288. 
) Nach dem Katalog der Priori in der Maglabechiane bei Rigacci IJ. 6. p. XXL 


120 II. Salntato als florentiniſcher Sta atscanzler. 


Staatscanzlers eine völlig andre Bedeutung. Ein hoher Sinn und 
muſiſche Bildung ließen Salutato nicht in den Alltäglichkeiten des Ge⸗ 
ſchäftslebens untergehen; weil ihn, wie er ſich einmal ausdrückt, die 
Majeſtät des Vaterlandes hob, wußte er auch das Kleine und Gemeine 
zu beſorgen und in großem Sinne zu faſſen. Vielleicht ſchützte ihn 
gerade die Fülle der kleinen Dienſtverrichtungen vor jener Alterthums⸗ 
träumerei, die Petrarca noch als die Eſſenz antiker Staatsweisheit er⸗ 
ſchienen war. Der Freiheitsgedanke, der ihn befeelte, war kein unklarer 
und wüſter, ſondern er heftete ſich ganz an die florentiniſche Vaterſtadt 
und wurde durch die Geſchicke derſelben zur hellen Begeiſterung an⸗ 
gefacht. 5 

Gleich die erſten Jahre ſeiner Amtsführung fielen mit jenem drei⸗ 
jährigen Kriege zuſammen, der ſich zwiſchen Florenz und Papſt Gre⸗ 
gor XI entſponnen. Es war ein zerrüttender Krieg, mit fremden 
Söldnern ausgefochten, nicht durch Schlachten ausgezeichnet, wohl aber 
durch Heimtücke und Verrath. Für die florentiniſche Republik handelte 
es ſich um ein hohes Gut, um ihre Unabhängigkeit. Sie führte da⸗ 
mals zwei Banner: das eine war das der Commune, auf dem andern 
prangte mit goldenen Buchſtaben das goldene Wort der Freiheit.) 
In ihrem Namen ſuchte die Republik auch die Städte des Kirchen⸗ 
ſtaates zu einem ghibelliniſchen Bunde zu vereinigen, der als »heilige 
Ligue“, heilig eben im Namen der Freiheit, dem Herrn der Kirche 
den Gehorſam aufkündigte.) Da gab es für den Staatscanzler viel 
zu thun: er führte für die regierenden Achtmänner den brieflichen Ver⸗ 
kehr mit den Bundesſtädten, den Söldnerhäuptlingen, den Parteigehülfen 
hier und dort. Die moraliſche Macht und die Macht der Ueberredung, 
die kein geringes Feld hatte, wo auf viele Köpfe und viele Sinne ein⸗ 
zuwirken war, lag in ſeiner Feder. Ein Gedanke begeiſterte ihn: „Das 
iſt dieſe Stadt, das iſt dieſes Volk, welches ſowohl bei ſich die Ty⸗ 
rannenherrſchaft verabſcheut und ihr flucht, als auch immer bereit iſt, 
die Freiheit der andern Städte nach Kräften zu vertheidigen.) Auf 
der andern Seite hegte er gegen den Feind einen rechtſchaffenen Haß; 


) S. Antonius Chronicon P. III. tit. XXII cap. 9. $ 1. 

) Vergl. Papencordt Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter, herausgeg. 
von Höfler. Paderborn, 1857. S. 438, wo die Sachlage ſich freilich von der rö⸗ 
miſchen Seite her anders ausnimmt als von der floreutiniſchen. N 

3) Aus feinem Briefe an Franc. Guinigi, den lueccheſiſchen Geſandten, bei Cor- 
nian i i Secoli della Letteratura Italiana T. I (Milano, 1882) p. 107. 


II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler. 121 


er hatte ihn als Diener der avenionenſiſchen Curie eingeſogen. Wie ihre 
Machinationen durch Aufhetzung der Volksparteien im Kirchenſtaate ver⸗ 
gelten wurden, fo trat der Staatscanzler ihren drohenden und fluchen 
den Cenſuren mit der Kraft und Schärfe des Wortes entgegen. Zwar 
wahrt er die Ehre der Republik gegen den Vorwurf, als ſtreite ſie 
gegen die heilige Kirche; ſie will, ſagt er, nur ihre Freiheit ſchützen 
und das fremde Volk verjagen, welches der Papſt zum Unheil Italiens 
ins Land gerufen. Aber er ſcheut auch nicht vor den Worten der bit⸗ 
terſten Wahrheit zurück, die zwiſchen ihm und dem Papſtthum eine 
ewige Scheidewand bauen mußten. Mit der Kirche, heißt es in einem 
ſeiner Briefe, iſt kein dauerhafter Friede zu denken; „denn ihr Haupt 
kann, ja ich ſage es mit aller Ehrfurcht, es pflegt aus der Fülle 
ſeiner Macht Bünde zu brechen, Verträge zu vernichten, von Eiden zu 
löfen u. ſ. w.“ Der Papſt vertraut wohl auf die innere Uneinigkeit, 
auf den Bürgerzwiſt in Florenz; aber je dringender die Gefahr iſt, 
deſto mehr wird wahrlich tiefer Zwiſt aufhören, alle Florentiner wer⸗ 
den gegen den Feind ein Leib und eine Seele ſein.) — „Wir wiſſen, 
daß die Kirche viel vermag. Wir glauben, daß der Papſt viel auf 
Rache finnt und auf die Verwüſtung Italiens. Aber der Herr ver⸗ 
nichtet die Rathſchläge der Ungerechtigkeit und wendet ſie auf die 
Häupter derer, von denen ſie ausgegangen. — Uns aber iſt eine um⸗ 
ſtrittene Freiheit theurer als müßige Knechtſchaft. Mag der Feind dro⸗ 
hen, reicher und vielleicht mächtiger: wir werden der Macht die Macht 
entgegenſetzen und zeigen, daß die Freiheit der Florentiner wohl feind⸗ 
lich bedroht, aber nicht ſo leicht überwunden werden kann. Und end⸗ 
lich wird das Alles, da es über die Kräfte der Menſchen hinausgeht, 
in den Händen Gottes ſein. Er wird über die Sache ſeines Volkes 
richten und in ſeiner Barmherzigkeit uns und unſern Nachkommen die 
Freiheit ſchützen.“) 

Ein ſolcher Sinn, der in der That Zeugniß ablegt, „daß die alte 
Kraft in italiſchen Herzen noch nimmer erſtorben“, tritt nicht etwa nur 
in einzelnen Stellen der Briefe Salutato's, gleich den hier ausgehobe⸗ 
nen, hervor, er durchbebt ſie insgeſammt als ein gewaltiger Pulsſchlag. 
Als die galliſchen Cardinäle von dem italiſchen Papſte Urban VI abfielen 
und Clemens VII, einen Franzoſen, mit der dreifachen Tiara ſchmück⸗ 


) Epist. II, 2. ed Rigacci. 
) Epist. I, 78. 


122 II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler. 


ten, als das große Schisma begann (1378), da tritt wiederum Salu⸗ 
tato mit einer patriotiſchen Kampfſchrift auf, die aus grollen dem Herzen 
und von einem ſcharfen Denker geſchrieben, abgefaßt ferner im Namen 
einer mächtigen Republik, ebenſo weit die petrarchiſchen Declamationen 
wie die mönchiſchen Zeterſchriften hinter ſich läßt.) Das ſchnöde 
Spiel, das mit dem Heiligen getrieben wird, hat ſeinen energiſchen 
Haß genährt. Und fo finden wir es in der Ordnung, wenn er dem⸗ 
ſelben nicht nur in ſeiner Eigenſchaft als Staatscanzler, ſondern über⸗ 
all Luft macht, wo er auf die Curie zu ſprechen kommt. Dann liegen 
ihm Zorn und Spott wie in der Feder. Es iſt nicht ein zufälliger 
Scherz, wenn er zum Beiſpiel ſeinen jungen Schützling Lionardo Bruni, 
der nach Rom gegangen war, um eine Anſtellung in der Cancelei zu 
ſuchen, ironiſch „Ehrwürdiger Vater in Chriſto“ anredet, ) es iſt auch 
das eine Wallung des Ghibellinenblutes in feinen Adern. Er konnte 
nicht wie Petrarca über das Verderben der Kirche winſeln und jedem 
Prälaten einzeln die Hand drücken, ſein Charakter war einmal ein gan⸗ 
zer und aus einem Stücke derben Holzes geſchnitten. 

Der Schwerpunct ſeiner literariſchen Wirkſamkeit liegt gleichfals 
in den amtlichen und halbamtlichen Briefen, die von ſeiner Cancelei 
aus über Italien und jenſeits der Alpen verſendet wurden. Man las 
und copirte ſie, ſtaunend über die neue Weiſe, das politiſche Geſchäft 
mit dem Glanze tullianiſcher Beredtſamkeit auszuſtatten.) Sie wur⸗ 
den bald für den Verkehr der italieniſchen Staaten das, was vorher 
und bei andern Nationen die Formelbücher waren, ſie wurden die 
Vorbilder eines neuen, mit Redeblumen und philoſophiſchen Sentenzen 


) Epist. I, 9. an die galliſchen Cardinäle gerichtet; in ähnlichem Sinne I, 10. 
an Cardinal Corſini und I, 51. an den Markgrafen Jodocus von Brandenburg und 
Mähren. | | 
2) Epist. I, 1. 

) Lucas de Scarparia l. s. o. Manetti ap. Mehus l. c. p. 288: epi- 
stolas privatas et publicas paene infinitas ita egregie dietavit, ut in hoc episto- 
larum genere solus consensu omnium regnare diceretur. Die Ausgabe auser- 
leſener Briefe von Rigacci iſt bereits genannt. Die von Mehus beſorgte, welche 
gleichfalls zu Florenz 1741 erſchien, ſcheint in Folge der Bemühungen des Verlegers 
Nigacci, der ſich mit Mehus überwarf, höchſt ſelten geworden zu fein. Sie war auf 
fünf Bände berechnet, von welchen indeß nur der erſte, 31 Briefe enthaltend, erſchienen 
iſt. Vergl. Mazzuchelli zu Villani Vite etc. p. 23. not. 7. Kleinere Serien 
von Briefen finden ſich bei Pez Thesaurus Anecd. noviss. T. V. P. III, in Ba- 
luzii Miscell. Lib. IV. p. 510. 511. 516. und in den Epistolae Principum etc. 
(ed. ab. Hier, Donzelin o) Venet., 1574. p. 208. 


II. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler. 123 


aufgeputzten Canceleiſtils. Die Form der Diplomatie ward überhaupt 
eine andre. Den Geſandtenverkehr erſetzte immer öfter der ſchriftliche, 
und in dieſem wurde neben dem eleganten Stil die florentiniſche Höf⸗ 
lichkeit Mode. Gelehrte und in der Stiliſtik gewandte Staatscanzler 
erſcheinen ſeit dem Beginn des 15. Jahrhunderts für die Republiken 
und Dynaſten Italiens als ein entſchiedenes Bedürfniß. So fanden 
denn ausgezeichnete Humaniſten auch in Venedig, Genua und Siena, 
in Neapel und Mailand, ja an der römiſchen Curie amtliche Lebens⸗ 
stellung und oft reichlichen Lohn, eine Entſchädigung für ihr wandel⸗ 
bares Schickſal an den Univerſitäten. Und daß für den literariſchen 
Ehrgeiz auch politiſche Wirkungskreiſe ſich eröffneten, iſt für die Lite⸗ 
ratur wie für die Politik von unberechenbarem Einfluß geweſen. 

Freilich iſt die Kunſt der Ueberredung immer zugleich die der 
Täuſfchung und deſſen war ſich auch Salutato wohl bewußt. „Was 
iſt wirkſamer, um zu täuſchen, als eine wohlgeſetzte und ausgeſchmückte 
Süßigkeit? Was iſt angenehmer und gefälliger als eine nach allen Sei⸗ 
ten entſprechende und gefeilte Redeweiſe? Was zieht den menſchlichen 
Geiſt mehr mit ſich, bewegt und überwindet ihn mehr als eine ſüße 
und kunſtreiche Darſtellung?“ ) Indeß iſt Salutato fo wenig als 
hundert Jahre ſpäter ſein Amtsnachfolger Macchiavelli der Vater der 
Lügenpolitik geweſen. Nur hatte erſterer den Vortheil, daß das Sy⸗ 
ſtem, mit zierlichen Worten zu täuſchen, noch neu, daß die „Würde der 
Eloquenz, die Schwere der Sentenzen und die Mafeftät des Stils“, 
die man an ſeinen Briefen bewunderte, noch wenig erprobt und darum 
von ſtärkerer Wirkung waren. Man wiederholte ſich gern einen Aus⸗ 
ſpruch, der Giangaleazzo Visconti, dem Tyrannen von Mailand, zuge⸗ 
ſchrieben wurde: Salutato habe ihm durch ſeine Schriften mehr geſcha⸗ 
det als tanſend florentiniſche Reiter.“) 

Die Republik ehrte das Verdienſt des großen Staatscanzlers in 
der angemeſſenſten Weiſe. Am 4. Mai 1406 war er geſtorben; obwohl 
ein Greis von 76 Jahren, hatte er doch bis zu den letzten Tagen fei- 
nem Amte mit voller Kraft vorgeſtanden. Die Leiche wurde am fol⸗ 
genden Tage auf dem öffentlichen Platze degli Peruzzi zur Schau nie⸗ 
dergeſetzt. Die höchſten Beamten der Stadt, die Priori und der 


) Bei Pe z l. c. p. 80. 


) Ich finde dieſes Wort zuerſt bei Aeneas svlviae . cap. 54; Pi i 
II. Comment. p. 50. 


124 Il. Salntato's literariſche Thätigkeit. 


Gonfaloniere della giuſtizia umſtanden ſie, dann die Doctoren der Hoch⸗ 
ſchule, bürgerliche und gelehrte Notabilitäten, und die Menge des Volks. 
Viviano Neri de' Franchi, Notar der Riformagioni, alſo ein College 
des Verſtorbenen, trat hervor, hielt eine ehrende Rede und krönte dann 
nach dem Beſchluſſe der Priori und des Gonfaloniere das Haupt des 
Todten mit dem Dichterlorbeer. Die Banner und Zeichen der Com⸗ 
mune und der einzelnen Zünfte wurden über ihn geſenkt. Man ſetzte 
den Sarkophag in S. Liparata !) bei und errichtete dem Andenken des 
Canzlers hier auf Koſten der Commune ein Marmordenkmal. Den 
Bürgern ward befohlen, ihn hinfort nicht anders als Coluccio Poeta 
zu nennen, und ſie, ſagt ein Berichterſtatter, waren der W daß 
er dieſe Ehre verdient.) 

Die literariſche Thätigkeit Salutato's außerhalb der Staats caneelei 
erſcheint nur, mit der politiſchen verglichen, minder bedeutend, würde 
ſonſt aber an ſich genügen, unfern Blick auf ihn zu lenken. Leider 
nur liegt von den Zeugniſſen derſelben faſt nichts vor als die Be⸗ 
richte Andrer. Er hat Eclogen und Elegien gedichtet, auch ein Epos, 
welches den Krieg des Königs Pyrrhos von Epeiros gegen die Römer 
behandelte, wohl Fabricius zum Helden hatte und handgreiflich durch 
Petrarca's Scipiade angeregt war. Ferner ſchrieb er philoſophiſche 
Tractate über die Arbeiten des Hercules (mit allegoriſchen Deutungen), 
de verecundia und de fato, de religione et fuga seculi und ähn⸗ 
liche Dinge, die wiederum ſchon in ihrem Titel Petrarca als Vorbild 
zu erkennen geben.) Auch ihn ſchmerzte es, wenn er die claſſiſchen 
Werke durch die Unwiſſenheit und Nachläſſigkeit der Abſchreiber ver⸗ 
ſtümmelt ſah, er verglich verſchiedene Exemplare von Senecas und 
Auguſtinus' Schriften miteinander und verbeſſerte den Text. Er be⸗ 
gann Kritik zu üben und ſuchte zum Beiſpiel zu erweiſen, daß der Phi- 
loſoph Seneca unmöglich der Verfaſſer der ihm zugeſchriebenen e 
dien fein könne.) 

Auch im Umgange mit den jüngeren Schöngeiſtern, die unter ſei⸗ 
ner Protection heranwuchſen, zeigte Salutato die biedre Derbheit ſeines 


) Damals der Volksausdruck für die bekannte Kathedrale S. Maria del Fiore. 

) Nach dem Priorista (Priorenverzeichniß) jenes Viviano (Gioviano) Neri 
und dem Chronicon des Lucas de Scarparia bei Rigacci I. c. p. XIV. XV. XXI. 

) Ein Verzeichniß feiner Werke bei Ri gac ei p. XXIV. 

) Epist. II, 41. ed, Rigacci. N 


II. Salutato und ſeine Jünger. | 135 


Weſens. Es war ihm unmöglich, die Leichtfertigkeiten und Eitelkeiten 
dieſes jüngeren Geſchlechts hingehen zu laſſen. Den jungen Poggio, 
der in Florenz ärmlich gelebt und dann an der Curie ein gutes Unter⸗ 
kommen gefunden, ermahnte er, daſſelbe ja nicht ſeinen⸗Verdienſten und 
Talenten, ſondern nächſt der Gnade Gottes der Fürſprache eines ge⸗ 
wiſſen Prälaten zuzuſchreiben; ein andermal warnt er ihn, die Schmä⸗ 
hungen und Zänkereien zu meiden, nicht über Alles unberufen mitzu⸗ 
ſchwatzen.) Wenn wir dieſen Poggio näher kennen gelernt haben, 
wird ſich zeigen, daß ſolche Ermahnungen ihm durchaus nicht überflüſ⸗ 
ſig waren, und nun iſt Salutato der einzige Menſch, von welchem er 
dergleichen geduldig hingenommen hat. Lionardo Bruni, der Salutato 
Alles verdankte und einft in ähnlicher Weiſe von ihm zurechtgewieſen 
wurde, benahm ſich in der erſten Wallung des Stolzes ein wenig un⸗ 
gezogen gegen den Wohlthäter, aber er hat es in der Folge ehrlich 
bereut.) Es liegt etwas Rührendes in dem Andenken, in welchem 
der alte Staatscanzler bei ſolchen Jüngern ſtand, und wenn ſie ihn 
den Erzvätern des Humanismus als ein würdiges Glied anzureihen 
pflegten, ſo tragen auch wir kein Bedenken, ihm einen ſolchen Rang 
unter den Erſten ſeiner Zeit zuzuerkennen. 

Florenz, das ſeinen Dante ausgeſtoßen, hat dieſe Schuld reichlich 
geſühnt. Seit Boccaccio und Salutato, Jahrhunderte hindurch iſt es 
die Metropole der neuen Bildung geblieben, und ein auffallend großer 
Theil ihrer Vertreter ſtammte aus tusciſchem Blute. | 

In Vielen wohl mochte durch den Vorgang jener großen Männer 
die Sehnſucht nach dem goldenen Zeitalter der römiſchen Literatur recht 
rege geworden ſein. Uns dagegen erſcheinen im Verhältniß zu dem 
Feuer, mit welchem man ſich den neuen Studien widmete, die Fort⸗ 
ſchritte doch mäßig, die Ausbreitung laygfam. Es bedurfte eines Jahr⸗ 
hunderts zu dem, was bei uns ohne Zweifel ein Jahrzehent leiſten 
würde. Die Mittel des Lernens und der Mittheilung waren allzu ge⸗ 
ring und dürftig. Wer nicht große Koſten auf die Anſchaffung von 
Büchern verwenden konnte oder in dem günſtigen Falle war, von einem 
liberalen Bücherbeſitzer leihen zu können, mußte ſich vielleicht mit einem 
Virgilius und wenigen Schriften Cicero's begnügen und konnte nur 
ſehr allmählig durch eigenhändiges Abſchreiben ſeine Schätze vermehren. 


9) Epist. I. 6. 76. 
) Leon. Bruni epist. I. 10. X, 5. recens. Me hus. 


126 II. Die Wanderlehrer. Giovanni da Ravenna. 


Die alten Compendien der Grammatik und Rhetorik waren unbrauch⸗ 
bar geworden, neue noch nicht vorhanden; immer wiederholte Lectüre, 
Auswendiglernen, nachahmende Uebungen mußten den ſyſtematiſchen 
Unterricht erſetzen und erſetzten ihn natürlich nur ſehr unvollkommen. 
Der Kreis der Freunde, den Petrarca, Boccaccio und Salutato um 
ſich ſchufen, war ein fehr großer, aber immer noch klein im Verhältniß 
zu den Hunderten und Tauſenden, die ſo gern lernen wollten und ſich 
doch auf jedem Schritte des Studiums gehemmt ſahen. Ehe die Buch⸗ 
druckerei mit beweglichen Lettern der Wiſſenſchaft Flügel gab, bedurfte 
es, ihren Lauf zu beſchleunigen, andrer Hebel. N 

So folgte denn auf die Männer der Wiedererweckung eine zweite 
Generation, die der herumziehenden Lehrer, der wandernden Schu— 
leu. In ähnlicher Weiſe war auch der Gründung der italiſchen Hoch⸗ 
ſchulen ein Wanderthum der Lehrer und Schüler vorausgegangen und 
ganz wie damals waren es auch jetzt vorzüglich die Grammatiker und 
Rhetoren, die als Privatlehrer von Stadt zu Stadt zogen.) Ludi 
litterarii, der claſſiſche Ausdruck, blieb der übliche. Nun fanden ſich 
zu den Füßen gefeierter Lehrer Jung und Alt, Vornehm und Gering, 
Landsleute und Fremde in bunteſter Miſchung ein, und wie die Lehrer 
von einer Katheder zur andern zogen, reiſten oft auch die Schüler um⸗ 
her, um hier den feinen Stil, dort die Auslegung eines Autors, hier 
die antike Moral, dort die Elemente des Griechiſchen zu lernen. Durch 
mannigfaltigen Unterricht, durch Bewegung und Reibung wurden die 
bildenden Kräfte vervielfacht und ein immer regeres und vielſeitigeres 
Jutereſſe geweckt. 

Der erſte der Wasbek e ging unmittelbar von Petrarca aus. 
Bei dieſem lebte drei Jahre lang als ein armer Jüngling Giovanni 
Malpaghino, gewöhnlich nach ſeiner Geburtsſtadt Ravenna beibenaunt. 
Zunächſt empfahlen ihn ein glückliches Gedächtniß, welches die zwölf 
Eclogen Petrarca's zu des Meiſters Erſtaunen in eilf Tagen. auswen- 
dig lernte, eine ungewöhnliche Solidität in jeder Arbeit und eine ſchöne 
Handſchrift. Er war ganz geeignet, Petrarca's Werke ſorgfältig und 
zierlich zu copiren und ſcheint ſich anfangs dieſem Geſchäft mit großem 
Eifer gewidmet zu haben. Er war es, der die nnüberſehbare Menge 
der familiären Briefe Petrarca's, an deren Ordnung dieſer ſelbſt faſt 


) cf. Wilh. Giesebrecht de litterarum studiis apud Italos primis medii 
aevi saeculis. Berolini, 1845. p. 15 84. 


U. Giovanni da Ravenna. 127 


verzweifeln wollte, in ein fanber gefertigtes Volumen zuſammenbrachte. 
Petrarca hatte an ihm den brauchbarſten Diener, dieſer aber wuchs 
unterdeß ſelber zum Gelehrten heran. Es regte ſich in ihm ein un⸗ 
ruhiger, treibender Geiſt. Er wurde es müde, nichts mehr als ein 
bloßer Schreiber zu ſein; ihm ſtockte das Blut, da er in den rüſtig⸗ 
ſten Jahren die Lebensweiſe des ſtillen Greiſes theilen ſollte. Er rich⸗ 
tete ſeinen Geiſt auf Byzanz und die griechiſche Sprache, wollte ſein 
Glück und ſeinen Ruhm auf eigene Hand begründen. Mit dieſer For⸗ 
derung trat er endlich vor den Meiſter, gab auf deſſen altväteriſche 
Mahnungen trotzige Autwort und verließ ihn ſtürmiſchen Sinnes. 
Wohl fühlte er in ſich eine Kraft, die ihn zu höheren Zwecken berief. 
Petrarca aber behandelte ihn immer als werdenden Schüler und ver⸗ 
wies ihn auf zukünftige Leiſtungen von höherer Reife. Wir wiſſen ja, 
wie er gewohnt war, in jedem Talente nur einen Trabanten des ſeini⸗ 
gen zu ſehen, wie er nicht begriff, daß man ſeiner Zucht entwachſen 
könne. So ſollte ſich auch der junge Giovanni ſelig preiſen, in ſeinem 
Dienſte, unter ſeinen Augen und durch ſein erhabenes Vorbild geleitet, 
zum Philoſophen zu werden. Als er ſich endlich losgeriſſen, ſah Pe⸗ 
trarca in ihm nur einen unſtäten Jüngling, einen ruheloſen Landſtrei⸗ 
cher, obwohl er ihm ſeine väterliche Gunſt nicht völlig entzog. Freilich 
hatte er die Genugthuung, daß Geldnoth, Gefahren und Elend den 
jungen Ravennaten beſchämt vor die Augen ſeines Herrn zurückführten. 
Aber die Ausſöhnung dauerte nicht lange: von Neuem und beſſer aus⸗ 
gerüſtet zog Giovanni davon, um hier und dort in Italien das Leben 
und die Menſchen zu ſehen, um als Lehrer zu . was er in 
ſtillen, einſamen Stunden gelernt.) 

Eine Zeit lang war er Canzler am Hofe von Fürs in dieſer 
Stellung ſoll er Tractate „über feinen Eintritt in den Hofdienſt“ und 
„über das Glück bei Hofe“ geſchrieben haben“), ohne Zweifel, um ſei⸗ 
nem Unbehagen über die gebundene Stellung Luft zu machen. Sein 
Beruf war umherzuziehen und Samen auszuſteuen, die Frucht konnte 
er nirgend abwarten. In Padua, Florenz, Venedig und wohl noch in 


) Petrarca epist. rer. senil. V, 6.7. XI, 8.9. an Giovanni da Certaldo 
(Boccaccio). Mehus Vita Ambr. Travers p. 349. Von der Länge des Aufent⸗ 
haltes Giovanni's bei Petrarca ſagt Salutatus epist. ad Carolum de Malatestis 
bei Mehus l. c. p. 351. wohl irrthümlich: trilustris permansit. 

) Tiraboschi T. V. p. 957. Wohl während des Aufenthaltes in Carrara 
ſchrieb Petrarca an ihn die epist. rer. senil. XIV, 14, adreſſirt: Vago cuidam. 


128 II. Giovanni da Ravenna. Gasparino da Barzizza. 


mancher andern Stadt hat er ſeinen Lehrſtuhl aufgeſchlagen, Cicero 
und die römiſchen Dichter erklärt. Wie aus dem trojaniſchen Pferde — 
ſo drückte ſich ein Jahrhundert ſpäter, den Erfolg überſchauend, der 
Literarhiſtoriker Rafaele Maffei da Volterra aus) — fo ging aus der 
Schule des Giovanni da Ravenna eine Schaar ausgezeichneter Männer 
hervor, die dann wieder in Schulen und durch ihre Studien die Welt 
mit Bildung erfüllten. Was er geſchrieben, verdient keine Erwähnung; 
ſchon nach einigen Jahrzehnten wußte man von feinen Schriften nichts 
mehr. Er kam wohl nicht hinaus über das Talent der Nachahmung 
und Nachbildung, vor deſſen einſeitiger Verfolgung ſchon Petrarca ihn 
gewarnt. Aber „wie durch eine Gnade Gottes“, ſagt einer feiner Schü⸗ 
ler, Lionardo Bruni, wußte er feine Zuhörer zum Betriebe der ſchönen 
Wiſſenſchaften und zur Nachahmung Cicero's zu entflammen.) In 
Venedig war Francesco Barbaro ſein beſter Schüler, in Florenz, um 
nur diejenigen zu nennen, die uns nachher als Größen der Literatur 
wieder entgegentreten werden, Palla degli Strozzi, Giacomo d' Angelo 
da Scarparia und Roberto de' Roſſi, alle drei dem reichſten Adel an- 
gehörig, Carlo Marſuppini, Lionardo Bruni und Poggio Bracciolini, 
drei gefeierte Namen, die ſpäter in der Staatscanzlerwürde glänzten, 
Guarino da Verona und Vittorino da Feltre, die beiden namhafteſten 
Ludimagiſtri der folgenden Periode, Ambrogio Traverſari, ne 
da Vicenza, Pier- Paolo Vergerio.) 

Um einige Jahrzehnte ſpäter trat Gas parino da Barzizza in 
dieſelbe Laufbahn. Sein Zuname iſt der des Fleckens, in dem er ge⸗ 
boren; da derſelbe im Gebiete von Bergamo lag, bezeichnete man auch 
den Mann nicht felten als Bergomas. Er lehrte eine Reihe von Jah⸗ 
ren zu Padua und Venedig, wo viele edle Venetianer, darunter wieder 
Francesco Barbaro, aber auch Fremde wie Antonio Beccadelli ſeine 
Schüler waren.) Durch den glänzenden Erfolg ermuthigt, wäre er 
gern weiter umhergezogen, wenn ihm nicht Filippo Maria von Mai⸗ 
land 1418 als ſeinem Unterthanen geboten hätte, ſich nach Mailand 


1) Rafael Volaterranus Comment. urban. Lib. XXI. 

) ef. Blondus Italia illustr. p. 346. 347. 

) Meiners über das Leben und die Verdienſte des Johann von Ravenna in 
den „Lebensbeſchreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherſtellung 
der Wiſſenſchaften“ Bd. 1 (Zürich, 1795). 

) Francis ei Barbari Epistolae (ed Card. Quirino) Brixiae, 1743. 
epist. 118. | 


H. Chryſoloras. Ä 129 


zu überſiedeln und hier eine Schule zu begründen. So werden wir 
ihn denn unter den viscontiſchen Hofgelehrten wiederfinden.) Er hat 
ein eigenthümliches Verdienſt um die feinere Epiſtolographie, die er 
ſtreng nach dem Vorbilde der Briefe Cicero's in ſeiner Schule lehrte 
und in ein förmliches Syſtem brachte. Salutato hatte jenem römiſchen 
Muſter nur die philoſophirende Weiſe und die Höflichkeitsformen ab⸗ 
gelernt; im Uebrigen ſchrieb er noch ſchwülſtig und geſucht. Jetzt ſollte 
der Brief mit genialiſcher Nachläſſigkeit hingeworfen erſcheinen, man 
ſollte ſchreiben, wie man ſich lebhaft unterhält, ſo daß der Wortſtrom 
leicht und elegant hinfließe. Bruni und Poggio erreichten die Meiſter⸗ 
ſchaft in dieſer Gattung. An Gasparino ſelbſt aber wußte man zu 
tadeln, daß ſeine Redeweiſe zwar zierlich, aber nicht kräftig und ein⸗ 
dringlich ſei. 

Zur Zeit Bonifacius' IX erſchien der Byzantiner Manuel Chry⸗ 
ſoloras in Italien und zwar zuerſt in Venedig. In ſeiner Begleitung 
war Demetrios Kydonios, und auf beide richtete man ſofort von Flo⸗ 
renz das Auge, um vermittels eingeborener und gebildeter Griechen ſich 
den Schätzen der helleniſchen Literatur zu nähern. Zwei edle Floren⸗ 
tiner, Giacomo d' Angelo da Scarparia und Roberto de Roſſi, eilten 
nach Venedig, beide voll begeiſterter Lernbegier. Giacomo ging dann 
mit den heimreiſenden Geſandten nach Konſtantinopel, Roſſi kehrte nach 
Florenz zurück, nachdem er, wie es ſcheint, mit Chryſoloras ſchon vor⸗ 
läufig unterhandelt und ſich in die Elemente der griechiſchen Sprache 
hatte einweihen laſſen. Die beiden Griechen ſollten im Namen des 
paläologiſchen Kaiſers die Hülfe der abendländiſchen Völker gegen die 
Türken erbitten. Ihre Sendung war als eine politiſche ohne Erfolg, 
ſie fanden die Fürſten gleichgültig, die republicaniſchen Signorien vor⸗ 
ſichtig und engherzig. Deſto glänzender aber glückte ihre literariſche 
Miſſion, die ihnen ihr Kaiſer nicht aufgetragen. Chryſoloras war ſeit 
langer Zeit der erſte wahrhaft gelehrte Grieche, der ſich im Abendlande 
ſehen ließ, der zugleich ein grammatiſches Fundament legen, die Claſ⸗ 
ſiker der Hellenen interpretiren und ſich auch in lateiniſcher Sprache 
verſtändlich machen konnte. Er war ferner bereits ein Mann von 


) Blondus l. s. e. Bart h. Facii de viris illustribus Liber ed. Laur. 
Mehus. Florentiae, 1745. p. 28. — Sein Leben von Joſ. Alex. Furiettus 
vor deſſen Ausgabe von Gasparini Barzizii Bergomatis et Guiniforti filii 
Opera. Romae, 1723. 


Voigt, Humanismus. 9 


130 II. Chryſoloras in Florenz. 


Ruf. Guarino von Verona hatte ſchon als Jüngling fünf Jahre in 
Konſtantinopel zugebracht, um unter ſeiner Leitung die griechiſche Sprache 
zu ſtudiren.) Jetzt verkündete Roſſi ſeinen Ruhm und erweckte unter 
den edelſten Geiſtern der Stadt ein dringendes Verlangen, den gelehr⸗ 
ten Griechen für Florenz zu gewinnen. Am eifrigſten zeigte ſich Sa⸗ 
lutato: obwohl ein Mann von 65 Jahren, fühlte er dennoch bei dem 
Gedanken, ſich jetzt der griechiſchen Sprache und Weisheit bemächtigen 
zu können, das raſche Blut der Jünglingsjahre wieder in feinen Adern. 
Er gedachte Cato's, der ja auch noch im höheren Alter Griechiſch ge⸗ 
lernt. Auch erheiterte ihn die Vorſtellung, wie er den Lehrer fragen 
und quälen wolle, wie ſeine erwachſenen Mitſchüler lachen würden, 
wenn ſie den gravitätiſchen Staatscanzler griechiſche Sylben ſtammeln 
und ſtottern hörten. Er trug einem jüngeren Freunde, jenem Giacomo 
da Scarparia, der zur Erlernung des Griechiſchen nach Byzanz reiſte, 
auf, nicht anders als mit griechiſchen Büchern beladen heimzukehren: 
er möge alle Geſchichtſchreiber, vor andern den Plutarchos, alle Dich⸗ 
ter, zumal aber einen mit deutlichen Buchſtaben auf Pergament ge⸗ 
ſchriebenen Homeros auflaufen und auch Vocabularien nicht vergeffen. *) 

Neben Salutato, der indeß ſelbſt die Frucht ſeiner Bemühungen 
nicht mehr geerndtet hat, waren beſonders Palla Strozzi und Niccovlo 
Niccolt für die Berufung des Chryſoloras thätig. Im Jahre 1396 
erging an dieſen von Staatswegen die Einladung. Man bewilligte 
ihm als Lehrer der griechiſchen Sprache ein Jahresgehalt von 150 
Goldgulden, welches ſpäter auf 250 vermehrt wurde. Und welche 
Schüler ſah er nun täglich zu ſeinen Füßen fitzen! Es waren faſt alle 
Zuhörer des Giovanni da Ravenna, die nun unter ſeiner Leitung das 
Griechiſche von den Elementen an lernten, Palla Strozzi und der ſchon 
bejahrte Roberto de Roſſi als Vertreter des florentiniſchen Adels voran, 
der achtzehnjährige Poggio, Lionardo Bruni, Giannozzo Manetti, Carlo 
Marſuppini, wohl auch Ambrogio Traverſari als die fähigſten Schü⸗ 
ler. Bruni ſtudirte ſeit vier Jahren das bürgerliche Recht, aber längſt 
hatte ihn auch die neue Weiſe der Stiliſtik und Rhetorik angezogen. 
Die Ankunft des Byzantiners führte ihn auf den Scheideweg. Er 


) Maffei Verona illustrata P. II. p. 133. Dagegen läßt ihn Ves pas iano 
(Guarino Veronese $ 1) einfach mit den Andern in Florenz des Chryſoloras Schü⸗ 
ler ſein. | 
) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 356, beſonders Salutato's Brief an 
Giacomo ibid. p. 358. | 


II. Cbryſoloras. 181 


ſprach zu ſich: Nun wäre es dir möglich, den Homer, den Platon, den 
Demoſthenes und alle die Dichter, Philoſophen und Redner kennen zu 
lernen, von denen ſo viel Wunderbares erzählt wird. Sollteſt du es 
jetzt an dir fehlen laſſen? Seit ſiebenhundert Jahren hat niemand in 
Halten Griechiſch verſtanden und doch bekennen wir, daß alle Wiſſen⸗ 
ſchaft von dieſem Volke ausgegangen iſt. Der Doctoren des bürger⸗ 
lichen Rechtes giebt es genug, das kannſt du immer noch lernen. Aber 
hier iſt nun ein Lehrer des Griechiſchen, er iſt der einzige! — Der 
Entſchluß war gefaßt: zwei Jahre lang hörte Bruni den gelehrten 
Griechen; was er am Tage gelernt, ſagt er, ſei ihm während des 
nächtlichen Schlafes immer noch im Kopfe herumgegangen.) Dies 
tin Bild des Mifers, der ſeitdem für die griechiſche Sprache entflammte. 
In wenigen Jahrzehnten ſtand es ſo, daß anch ein tüchtiger Latiniſt, 
wenn er nicht zugleich Griechiſch verſtand, nur als halbgelehrt angeſehen 
wurde.) Auch nach Rom kam Chryſoloras und eröffnete hier eine 
Schule, wie er zu Florenz, Padua, Mailand und Venedig gethan. 
Nach einigen Jahren, die er in ſeiner Heimath verlebt, erſchien er wie⸗ 
der in Italien, zog mit dem Cardinal Zabarella nach Coſtnitz, ſtarb 
aber hier ſchon am 15. April 1415, lange bevor die griechiſche Geſandt⸗ 
ſchaft ankam, welcher er als Vermittler dienen ſollte. Man fette feine 
Leiche bei den Dominicanern bei und einer ſeiner Schüler, Pier⸗Paolo 
Vergerio, widmete ihr eine einfache Grabſchrift; ein andrer, der Dich⸗ 
ter Cenci, hielt ihm die Leichenrede.) 

Sein Ruf und die Achtung der Zeitgenoſſen bewährten ſich immer 
mehr und feine vielen Schüler ſprachen ſtets mit hoher Anerkennung 
von ihm, obwohl ihn das jüngere Geſchlecht an ſtiliſtiſcher Eleganz 
ſehr bald überholt zu haben meinte.) Noch vierzig Jahre nach ſeinem 


1 ) Leonardi Aretini Rerum suo tempore in Italia gestarum Commen- 
tatius ap. Muratori 8criptt. T. XIX. p. 920. 

2) ef. Franc. Bar bar i epist. 127. edit. eit. 

) Poggius Orat. in funere Nic. Nicoli (Opp. p. 272). Ves pas iano: 
Palla di Nofri Strozzi 8 1. Blond us l. c. Raphael Volate rr. I. c. Mehus 
Vita Ambr. Travers. p. 348—364. v. Weſſenberg, die großen Kirchenverſamm⸗ 
lungen des 15. und 16. Jahrh. Bd. II. S. 111. Ueber das Leben und die Schrif⸗ 
ten des Chryſoloras Humphr. Hodius de Graseis illustribus linguae Graecae 
literarumque humaniorum instauratoribus Libri duo. Londini, 1742. Lib. I. 
eap. 2. F. Jacobs in der Allg. Eneyklopädie der Wiſſ. und Künſte 8. v. Chry- 
soloras (Th. XII. Nachträge). 

) cf. Leonardi Bruni epist. IV, 1. ed. Mehus. 

9 * 


132 II. Aufſchwung des Humanismus. 


Tode faßte ſein eifrigſter Schüler Guarino ), damals ein Greis von 
83 Jahren, den Gedanken, „dem weiſeſten und göttlichen Philoſophen 
ſeines Zeitalters, ſeinem ſüßeſten Lehrer“, der ſich um die Ausſaat der 
ſchönen Wiſſenſchaften in Italien ein unſterbliches Verdienſt erworben, 
ein literariſches Denkmal zu ſetzen. Er ſammelte die zerſtreuten Brieſe 
des Chryſoloras in einen Band und ging Poggio, den einzigen, der 
außer ihm von jener „alten Schule“ noch übrig war, mit der Bitte 
an, zu jenem Denkmal beizuſteuern.) Selbſt im Zeitalter Leo's X, 
als die griechiſche Bildung begann der lateiniſchen faſt gleichzukommen, 
beſtand noch ein gutes Andenken an den erſten würdigen Lehrer der 
griechiſchen Sprache. 

Nur von den erſten Schulen, die das Beiſpiel gaben, ſollte hier 
die Rede ſein, nur von den erſten Lehrern, die mit der Fackel des hu⸗ 
maniſtiſchen Studiums umherziehend, das Licht in hundert Herzen ent⸗ 
zündeten. Wie ſich nach dem feurigen Anfange erwarten ließ, fanden 
ſich bald unter den Schülern jener Männer nicht wenige, die nach ih⸗ 
rem Beiſpiele Schulen aufthaten, der Griechen kamen immer mehr und 
bald zu viele nach Italien herüber, junge Humaniſten Italiens mach⸗ 
ten eine Lehrzeit in Konſtantinopel durch, um dann wieder ihren Lands⸗ 
leuten die erworbene Kenntniß des Griechiſchen und nene Monumente 
der Literatur zurückzubringen. 

Mit dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt in Italien ein ſo reges 
literariſches Leben, wie es unfre Zeit etwa auf dem induſtriellen Ge 
biete beobachtet. Das Signal, welches Petrarca gegeben, findet hundert⸗ 
und tauſendfachen Wiederhall. In allen Winkeln ſtöbert man nach 
alten Codices, bald auch im Auslande, man vergleicht und verbeſſert, 
man copirt und verbreitet ſie. Der ſtille Gelehrte arbeitet nicht mehr 
in einſamer Zelle, er tritt mit feinen Entdeckungen und Schöpfungen 
alsbald auf einen offenen literariſchen Markt. Es werden Lehrſtühle 
begründet, welche die Aufhellung des Alterthums und ſeiner beiden 
claſſiſchen Sprachen als ſelbſtſtändigen Zweck verfolgen. In den Frei⸗ 
ſtaaten und an den Höfen ſteigen die Humaniſten als angeſehene Män⸗ 
ner empor und finden aufmunternden Lohn. Sie ſind die gefeierten 


1) Vergl. feine begeiſterten Briefe über Chryſoloras bei Ho di us p. 44-61. 

) Guarino's Brief v. 26. Mai 1455 und Poggio's Antwort im Bpicile- 
gium Romanum T. X. p. 353. Epist. 81. 82. Zugleich widerlegt hier Poggio die 
damals wie noch jetzt vielverbreitete Notiz, als habe auch er neben Cenci dem Chry⸗ 
ſoloras zu Coſtnitz eine Leichenrede gehalten oder geſchrieben. 


II. Die literariſchen Entdeckungen. 133 


Helden des Zeitalters. Sie leben unter fich in einer vielverzweigten 
Geſellſchaft, einer Gelehrtenrepublik, in welche Talent und Fleiß den 
Zutritt eröffnen. Ein neuer Stand bildet ſich, fern von aller kaſten⸗ 
haften Beſchränkung, frei und unabhängig geſtellt und dennoch geſchätzt 
und geſucht von den Vornehmen der Welt. Im Alterthum wurzelt 
dieſer Männer Dichten und Denken: ſeine Schriftwerke, ſeine Medail⸗ 
len, Statuen und Gemmen werden geſammelt und wie heilig verehrt, 
ſeine Paläſte, Tempel, Cirkus und Grabdenkmale fangen an zu reden 
und zu zeugen. 

Als die Begeiſterung entzündet und der erſte Anlauf genommen 
war, regte ſich, wie in Petrarca, zunächſt der Wunſch, von den Reſten 
des Alterthums zu retten, was noch zu retten war. Man ſprach gern 
vom Roſte der Zeit, der auf ſeinen Denkmalen liege und nun endlich 
weggeräumt werden müſſe. Bücher, die in den Klöſtern aufbewahrt 
wurden und gar außerhalb Italiens, ſchienen durch die Barbarei ihrer 
Hüter dem ſichern Untergange geweiht; ſie mußten entführt oder durch 
Abſchriften erhalten werden. Mochte auch die Beſorgniß und der Eifer 
der Suchenden die Gefahr ein wenig übertreiben, ſo leitete ſie doch im 
Ganzen ein richtiger Inſtinct: erſt die Erfahrung, daß bereits manches 
unſchätzbare Werk der römiſchen Literatur verloren war, konnte lehren, 
daß man eilig und ängſtlich ſuchen müſſe. Boccaccio erzählte gern, 
was ihm bei den Benedictinern zu Monte Caſſino begegnet. Neugierig, 
ihre alte Bibliothek zu ſehen, bat er einen der Mönche, ſie ihm zu 
öffnen. Der wies ihn trocken nach einer ſteilen Treppe: Steige nur 
hinauf, ſie ift offen! In der That war das Bücherzimmer weder durch 
Schlöſſer noch durch Thüren irgendwie geſchützt. Als Boccaccio einige 
der Codices prüfend öffnet, findet er, daß hier die Ränder abge⸗ 
ſchnitten find, dort ganze Lagen fehlen, Verſtümmelungen aller Art. 
Weinend vor Unwillen ſteigt er hinab und fragt einen Mönch, der 
ihm gerade entgegentritt, warum man dieſe herrlichen Schätze ſo ſchmäh⸗ 
lich behandle. Ein paar ſeiner Brüder hätten, antwortet dieſer, um 
zwei bis fünf Solidi zu verdienen, das ausgeriſſene und abgeſchnittene 
Pergament zu Pſaltern und Breven verwendet, die dann an Kinder 
und Frauen verkauft würden.) Geſchah das in dieſem Mutterhauſe 
der Gelehrſamkeit, was war von andern zu erwarten? 


) Benvenuti sen Comment. in Dantis Comoed. ap. Muratori 
Antiq. Ital. T. I, p. 1296. 


134 II. Die literariſchen Entdeckungen. Poggio. 


Gerade jene Jünglinge und Männer, die in Florenz vor Giovanni 
da Ravenna und Chryſoloras“' Lehrſtuhl geſeſſen, führten mit unermüd⸗ 
lichem Eifer das Geſchäft des Suchens fort und genoſſen den Triumph 
des Findens. Die Schätze, die Italien barg, waren bald ans Licht 
gefördert. Für die Durchforſchung andrer Länder hat das coſtnitzer 
Concil Epoche gemacht, wie denn überhaupt der Einfluß der beiden 
großen Kirchenverſammlungen auf den Contact der Nationen nicht hoch 
genug angeſchlagen werden kann. Nicht ſelten waren auch die Legaten 
und Nuntien der Curie, Viſitatoren geiſtlichen und mönchiſchen Stan⸗ 
des gleichzeitig literariſche Emiſſäre. Einige von ihnen, wie die Car⸗ 
dinäle Branda und Ceſarini, beſaßen genügende Bildung, um ſelbſt in 
den Kloſterbibliotheken Deutſchlands nach den Werken des Alterthums 
zu forſchen; andre zählten humaniſtiſche Secretäre zu ihrer geiſtlichen 
Familie. Unvermuthet ſandte der Cardinal von Piſa aus dem fernen 
Spanien den Pompejus Trogus, das heißt den Auszug aus dieſem 
Autor, wie wir ihn noch beſitzen und Juſtinus zuſchreiben.) Zur Zeit 
des basler Concils trieben Legaten wie Ceſarini und Albergati das 
Büchergeſchäft neben dem politiſchen und kirchlichen. 

Poggio Bracciolini hat auf dieſem Felde ſeinen ſchönſten Lor⸗ 
beer errungen. Er war als päpſtlicher Secretär nach Coſtnitz gekom⸗ 
men, aber er lächelte im Stillen, wenn ſich die gelehrten Prälbaten und 
Doctoren um des Schisma oder der huſſitiſchen Ketzer willen in langen 
Expoſitionen und Discuſſionen ergingen. Ihre Reden erfchienen ihm 
altmodiſch und thöricht. So wandte er ihnen lieber ganz den Rücken 
und trieb ſeine literariſche Miſſion fort, aufgemuntert durch die Briefe 
ſeiner florentiniſchen und venetianiſchen Freunde, unbekümmert um die 
Kixche und um ſein apoſtoliſches Secretariat. Der Einfluß einiger 
kirchlicher Würdenträger, unter denen wohl Cardinal Zabarella war, 
öffnete ihm den Zutritt zu den Bibliotheken der nahen Klöſter. Ein 
harter Winter und der Schnee auf den Landſtraßen hielten ihn nicht 
ab. Der erſte Ausflug in die Umgegend führte ihn nach den Bene 
dictinerabteien Reichenau und Weingarten, aus welchen während des 
Concils manche ſchöne Handſchrift zum Gebrauche der gelehrten Väter 
nach Coſtnitz gebracht und nicht zurückgeliefert wide.) Glänzenden 


) Ambros. Traversarii epist. VI, 14. recens. Petro Canneto. Floren- 
tise, 1759. 
2) Pregizer bei von der Hardt Magn. oecum. Constant. Concikum, Pro- 


II. Poggio auf literariſchen Entdeckungsreiſen. 135 


Lohn für ſeine Mühe fand er erſt in St. Gallen. In welchem Zu⸗ 
ſtande er hier die reiche und noch jetzt ſo anſehnliche Bibliothek antraf, 
weiß er nicht ſchlimm genug zu ſchildern. Die Bücher, erzählt er, lagen 
in einem dunkeln Thurmzimmer, das man keinem verurtheilten Miſſe⸗ 
thäter anweiſen würde, unter Schutt und Staub wüſt umher. Niemand 
kümmerte ſich um die unſchätzbarſten Denkmäler, die hier in Finſterniß 
verſteckt verrotteten. Dafür gedenkt Poggio ſelten der Deutſchen, ohne 
ſig als Barbaren und ihre Kloſterbibliotheken als Kerker (ergastula) 
zu brandmarken, und in dieſer Geſinnung hielt er es ohne Zweifel für 
eine ruhmwürdige That, einzelne der edlen Gefangenen, wo es ſich thun 
ließ, zu entführen und ihrem Vaterlande jenſeits der Alpen zurück⸗ 
zugeben. 

Seine Entdeckungen rechtfertigten in der That den triumphiren⸗ 
den Ton, mit dem er fie verkündete. Zuerſt fand er die Inſtitu⸗ 
tionen Quintilians, wenn auch nicht, wie er in der erſten Freude nach 
Italien berichtete und auch ſpäter noch vornehm behauptete, in einem 
vollſtändigen Exemplar.) Man hatte dieſen Autor bisher nur in 
hächſt mangelhafter Geſtalt geleſen. Petrarca fand 1350 in Florenz ein 
übel zugerichtetes und defectes Exemplar, das gerade nur hinreichte, um 
dieſen Lehrer der römiſchen Beredtſamkeit ſchätzen, nicht um ihn kennen 
zu lernen. Dann wurde Salutato durch die Nachricht getäuſcht, als 
ſei aus Frankreich ein vollſtändiger Quintilianus zu erwarten.) Der 
Wunſch war mächtig angeregt, aber deſto ſchmerzlicher erſchien der 
Verluſt. Lionardo Bruni quälte ſich in Florenz mit den Fragmenten 
ab, wohl den von Petrarca gefundenen; in Mailand hatte Gasparino 
da Barzizza die troftlofe Arbeit unternommen, das Fehlende aus eige⸗ 
nem Kapfe zu ergänzen.) Jetzt kam, von Poggio's zierlicher Hand 
in 32 arbeitſamen Tagen abgeſchrieben, ein Exemplar nach Florenz, aus 
welchem Bruni durch Vergleichung mit dem dortigen Codex einen les⸗ 
baren Quintilian herſtellen konnte.“) 


legomena ad T. I. p. 13. Weidmann Geſchichte der Bibliothek von St. Gallen. 
St. Gallen, 1846. S. 36. 

) Poggii epist. ad Johannem amicum (aus Coſtnitz ohne Datum) ap. Mu- 
ratori Boriptt. T. XX. p. 160. Ejusd. Oratio in funere Nic. Nicoli (Opp. p. 272), 
de infelicitate principum (Opp. p. 394). 8 

) Sein Brief bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 386. 

) Blondus Italia illustr. p. 346. Raphael Volaterr. Lib. XXI. 

) Mehus (I. c. p. 34) erkennt den von Poggio gefundenen Quintilian in einem 
Coder der Laurentiana. cf. Leonardi Bruni epist. IV, 5. 9. reeens. Mehus, 


136 IE. Poggio auf literariſchen Entdecknngsreiſen. 


Es folgte eine Reihe von Werken, die man bis dahin in Italien 
noch nicht gekannt, die vielleicht bis auf den Namen verſchollen geweſen, 
und die nun auf Poggio's Ruf aus dem ſtaubigen und moderigen 
Grabe erſtanden, um wieder ihren Einzug in das Land zu halten, 
deſſen Sprache ſie verherrlichten. Jetzt erſt wurde der mönchiſche Fleiß 
des neunten Jahrhunderts für die Welt nutzbar gemacht. Noch in 
St. Gallen ſchrieb Poggio die Argonautica des Valerius Flaceus ab, 
freilich nur die drei erſten Bücher und die Hälfte des vierten, ferner 
des Grammatikers Asconius Pedianus Commentar zu acht Reden Ei⸗ 
cero's. Aus deutſchen und franzöſiſchen Klöſtern gingen alte Dichter 
von Neuem hervor, Lucretius Carus, der Lehrdichter „von der Natur 
der Dinge“, wenn auch nur in Fragmenten, Silius Italicus, der Sän⸗ 
ger der Punica, Manilius, der den Einfluß der Geſtirne auf die 
Schickſale der Menſchen gelehrt. Die Werke des Vitruvius über Bau⸗ 
kunſt und des Columella über Landwirthſchaft bereicherten die Kennt⸗ 
niß des Alterthums. Auch des Frontinus Buch über die Waſſerlei⸗ 
tungen Roms entdeckte Poggio ſpäter zu Monte Caſſino, wo er ſich 
den Abt zum Freunde gemacht.) Ein Theil der Kaiſergeſchichte wurde 
durch Ammianus Marcellinus aufgehellt, den Poggio freilich ſo unvoll⸗ 
ſtändig fand, wie wir ihn noch jetzt leſen. Niccoli ſchrieb dieſes Buch 
ſowie den Lucretius und Columella ſofort mit eigener Hand ab, ſeine 
Abſchriften befinden ſich noch jetzt in der Laurentiana.) An Qninti⸗ 
lianus ſchloſſen ſich ſpätere grammatiſche Werke von Nonius Marcellus, 
Priscianus aus Cäſarea, Flavius Caper, Eutyches, Probus.) 

Bei den Entdeckungsreiſen, die er von Coſtnitz aus unternahm, 
hatte Poggio einen Nebenbuhler, deſſen Verdienſt er dann freilich ganz 
ins Dunkel geſtellt hat. Es war Bartolommeo da Montepul⸗ 


Vespasiano: Poggio Fiorentino 8 2. Recanati Vita Poggii cap. 6. ap. 
Muratori Scriptt. T. XX. 

) Poggii Descriptio urbis Romae (Opp. p. 136). Ambros. Travers. 
epist. VIII. 43. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 47 sq. 

) Poggii epist. 48 im Spicileg. Roman. T. X. und Mai's Noten dazu. 
Meh us l. c. p. 37. = 

) Poggii epist. ad Johannem amicum l. c., ad Guarinum Veronensem 
vom 16. Decemb. 1416 in (Lenfant's) Poggiana. Amstelod., 1720. T. II. p. 309. 
Franc. Barbaro's Brief an Poggio, dat. Venedig den 6. Juli 1417, bei Pez 
Thesaur. Anecd. nov. T. VI. P. III. p. 165. und in Franc. Barbari epist. 
1. recens. Quirino. Poggii Orat. in funere Nic. Nicoli l. c. Ves pas iano l. e. 


Weidmann a. a. O. S. 38—48. 


II. Bartslemmeo und Poggio auf literariſchen Entbediungsreifen. 137 


ciano, ein Mann von ſehr untergeordneten Talenten, der ſich für 
einen Philoſophen hielt, weil er einige antike Sentenzen über die Freund⸗ 
ſchaft und über das höchſte Gut aufgefangen, für einen Dichter, weil 
er einſt die Schule des Chryſoloras genoſſen und zu Coſtnitz mit deſſen 
Jünger Cenci de Ruſtici verkehrte, und für ein wichtiges Glied der 
literariſchen Kreiſe, weil es ihm gelungen mit Männern wie Guarino, 
Barbaro und Traverſart in Briefwechſel zu treten. Lionardo Bruni 
hielt dieſen Bartolommeo für einen vöklig ungebildeten Menſchen und 
ſpottete über ſeinen Einfall, ſich teſtamentariſch eine Marmorſtatue zu 
beſtellen, damit das Grab des Dichters nicht in Vergeſſenheit gerathe. ') 
Dieſelbe hohle und lächerliche Eitelkeit tritt uns auch aus dem einzigen 
Briefe entgegen, den wir von ihm beſitzen und der uns offenbar nur 
deshalb erhalten blieb, weil er an einen bedeutenden Mann gerichtet, 
nicht weil er von einem ſolchen geſchrieben iſt.) Auch Bartolommeo 
reiſte in den ſchwäbiſchen Klöſtern umher, wohl durch Poggio's Erfolge 
geſtachelt. Ihm verdankte man des Vegetius Werk über die Kriegs⸗ 
kauft und den grammatiſchen Auszug des Pompejus Feſtus,) wahr⸗ 
ſcheinlich auch den Silius und den Lucretius; doch hat Poggio in ſei⸗ 
ner ruhmredigen Weiſe ſich ſelbſt die Bekanntmachung aller dieſer 
Autoren zugeſchrieben und den Gefährten ſo um den beſten Theil des 
Ruhmes gebracht.) 

Im Cluniacenſerkloſter zu Langres fiel in Poggio's Hände zuerſt 
eine Rede Cicero's, die man in Italien noch nicht beſaß, es war die 
für Cäcina. Später hat er noch ſieben andre Reden Cicero's auf 
verſchiedenen Reiſen gefunden.) Man erinnere ſich der Verehrung, 
nie Cicero feit Petrarca's Zeiten genoß, und man wird den Enthuſias⸗ 
mus begreiflich finden, mit dem im florentiniſchen Gelehrtenkreiſe die 


) Leon. Bruni epist. VI, 5. recens. Mehus. 

9) Nämlich an Traverſari in deſſen Epist. XXIV, 9. recens. Canneto. 

3) Dieſe beiden fand er, wie aus dem Briefe an Traverſari hervorgeht, in 
St. Gallen. 

) Mehus l. c. p. 36. 37. 380. Den Lucretius mag Poggio gefunden haben, 
jedenfalls aber hob Bartolommeo den Schatz, d. h. er ſchrieb das Buch ab. Vergl. 
Poggio's Brief an Niccoli unter denen des Ambros. Travers. recens. Can- 
neto XXV, 42. 

) Poggii Dial. de infelicitate principum (Opp. p. 394). Leon. Bruni 
epist. IV, 4. recens. Mehus. Welche Reden Cicero's es waren, darüber Re canati 
I. e. und Mehus l. c. p. 35. 36, über die Rede für Cäcina auch Nie buhr in 
edit. Ciceronis Orationum pro M. Fentejo et pro C. Rabirio. Romae, 1820. p. 37. 


* * % 


188 II. Poggio auf literariſchen Eutdackungspeiſen. 


von Poggio geſandten Abſchriften und die entführten Codices empfan; 
gen wurden. Wie eifrig die Mittheilung, das Copiren und platte 
niren hier gefördert wurden, das ſehen wir aus der Brieffammlung 
pes Camaldulenſers Ambrogio Traverſari. Freilich handelte es ſich 
bald auch um die pecuniäre Unterſtützung des literariſchen Futpeckungs⸗ 
reiſenden. Denn oft waren die Erwerbungen nur durch Beſtechung 
und Betrug möglich. So unterhandelte Poggio einſt mit einem here: 
felder Mönche, der in Geldnoth war: dieſer ſollte aus feinem Rloſter 
einen Ammiauus Marcellinus, einen Livius und einen Band mit cine 
roniſchen Reden bis Nürnberg entführen; für das Weitere wollte Bag« 
gio ſelhſt ſorgen und den Dieb bezahlen.) Wenn nun Coſimo de 
Medici nicht gerade bei der Hand war und die flerentjniſchen Freunde, 
ſelber arm, nicht zu helfen wußten, fo hatte Poggio in Venedig zwei 
reiche Gönner, Leonardo Giuſtiniani und Francesco Barbaro. Zumal 
letzterer ſtachelte ihn zu immer neuem Suchen und Forſchen an: „Du 
ſcheinſt dazu geboren, noch Ciecero's Werk vom Staate, Varro's und 
Cato's römiſche Alterthümer, die römiſche Geſchichte des Salluſtine 
und die verlorenen Deecaden des Livius zu finden.“ ) Aehnlich ſpornts 
ihn Lionardo Bruni: „Es wird wahrlich einſt dein Ruhm fein, wenn 
deine Mühe und dein Fleiß die ſchon verlorenen und zu Grunde ger 
richteten Schriften jener herrlichen Männer unſerm Zeitalter wieden⸗ 
ſchenkt.“) Wie Camillus der zweite Gründer Roms, jo werde er 
der zweite Autor jener Schriften genannt werden. N 

Poggio führte ſein Schickſal für einige Zeit nach England hia⸗ 
über, aber hier waren ſeine Nachforſchungen vergeblich und für ihn 
war es beine Entſchädigung, ſtatt eines Claſſikers die Chronik des 
Sigbert von Gemblours zu finden und ſich Notizen ans ihr zu ma⸗ 
chen ). Seitdem verließ er Italien nicht mehr. Noch im hohen Alter 
ſah er mit freudigem Stolze auf die Fülle der Autoren, die er „der 
lateiniſchen Welt wiedergegeben.“ Auch blieb ſein Intereſſe dafür im⸗ 
mer rege, obgleich er noch manche Täuſchung erfuhr. Einſt hörte er 
von einem portugieſiſchen Freunde Velasquez, daß ſich im Benedictiner⸗ 
ſtifte zu Alcobaca allerlei claſſiſche Werke befänden, zumal des A. Gellius 


—— 


1) Sein Brief an Niccoli unter denen des Ambros. Tra vers. XXV, 42. 
2) Sein Brief an Poggio vom 6. Juli 1417 a. a. O. 

) Leon. Bruni epist. IV, 5. 

) Poggii ist. 94. im Spieileg. Roman. T. X. 


II, Literariſche Gerüchte. 139 


attiſche Nichte in einem vollſtändigen Exemplar. Sofort wandte er 
ſich an einen Biſchof in Portugal mit der Bitte, er möge eifrig nach⸗ 
forſchen uud von allen ſogenannten heidniſchen Büchern Verzeichniſſe 
anfertigen laſſen. Als beſonders wünſchenswerth bezeichnete er ihm die 
verlorenen Werke des Cicero und Livins; zunächft aber ſollte Gellius 
recht genau copirt und auch die griechiſchen Stellen in feinem Werke 
nicht, wie es fenft geſchah, ausgelaſſen werden. Zum Danke dafür 
verſprach er dem Biſchof, die Poſaune feines Ruhmes fein zu wollen.) 
Der aber, ſcheint es, hatte wenig Sinn für ſolchen Ruhm. Ein ander⸗ 
mal wurde Poggio durch einen deutſchen Mönch, Nicolaus von Trier, 
Hoffnung gemacht, daß verlorene Theile von Tacitus' Geſchichte dem 
Staube und der Bergeſſenheit entriſſen werden könnten. Auch von 
einem Geſchichtswerle des Plinius, in welchem die Kriege der Römer 
gegen die Deutſchen erzählt würden, und von Cicero's Werk vom 
Staate ſprach dieſer Deutſche mit großer Beſtimmtheit. Doch wurden 
Poggio's Erwartungen genarrt. Darum wollte er auch an den Taci⸗ 
tus nicht glauben und verfolgte die Kunde läßlich. Sie war gleichwohl 
keine eitle geweſen: unter Leo X wurde das Manuſcript, welches die 
fünf Bücher der Hiſtorien enthielt, die man unwiederbringlich verloren 
meinte, aus Deutſchland wirklich herbeigebracht und in der Laurentiana 
niedergelegt.) 

Tuch ſollte Poggio noch die Hoffnung aufleuchten, daß die fehlen⸗ 
den Doeeaden des Livius ſich fänden, und diesmal im hohen Norden. 
An der Eurie Martin's V fand ſich nämlich ein Däne, Namens Ni⸗ 
claus ein, der in Gegenwart Poggio's, des Cardinals Giordano degli 
Orſtui und Andrer hoch und theuer verſicherte, er habe im Ciſtercienſer⸗ 
Kofler Sorde bei Nöskilde zwei oder drei gewaltige Bände geſehen, in 
welchen nach der Aufſchrift auf einem derſelben alle zehn Decaden 
des Livius enthalten fein. Er wollte ſogar einige Abſchnitte daraus 
zeleßen haben; die Schrift der Codices ſollte die longobarviſche fein, 
doch untermiſcht wit gothiſchen Charakteren. Der Däne erſchien als ein 
leichtfertiger Geſelle, doch zeigte er ſich fo wohl unterrichtet, daß man 
ihm das Verſtändniß für ſolche Dinge wohl zutrauen konnte, und zu 
einer bloßen un verſchämten Lüge war kein Grund zu ſehen. Cardinal 


) Poggii epist. HM. ibid. 
) Poggio's Brief an Niccoli vom 27. Sept. 1427 unter denen des Am bros. 
Travers. XXV, 40. 42. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 47. 


140 II. Literariſche Gerüchte. Der plantiniſche Fund. 


Orſini wollte auf Poggio's Zureden ſofort einen Boten nach Seeland 
abgehen laſſen, auch wendete ſich dieſer an Niccoli und durch dieſen 
angeſpornt beauftragte Coſimo de' Medici ſeinen lübecker Agenten, ſich 
ſogleich an Ort und Stelle zu begeben und Nachforſchung zu halten. 
Doch wurden in dem bezeichneten Kloſter keine Bücher der Art gefun⸗ 
den, obwohl nach einiger Zeit ein zweiter Zeuge, ein Reiſender, die 
Ausſage jenes Nicolaus bekräftigte. Dann wurde ein andres nordi⸗ 
ſches Kloſter genannt und auch hier auf Poggio's Veranſtaltung nach⸗ 
geſucht, auch hier vergebens.) 

Wir verſtehen es wohl, wenn nach einigen ſolchen Erfahrungen 
die hohen Gönner, welche das Geld zu den Nachforſchungen hergaben, 
ſchwieriger wurden, und doch finden wir es auch natürlich, wenn Pog⸗ 
gio ſich bitter über die Fürſten und Biſchöfe beklagt, die nur für Geld 
und Prunk Sinn haben, die ihre Tage lieber in Kriegen und Lüſten 
hinbringen, als bedacht ſind, aus den Gefängniſſen der Barbaren jene 
Autoren zu befreien, „durch deren Weisheit und Gelehrſamkeit man 
zum wahren Glück und zu einem ſeligen Leben gelangt.“) Ihm war 
zu Muthe, als müßte die Welt in freudigem Erftaunen über feine 
Entdeckungen ſtille ſtehen, und er ſtieß auf Kälte und kleinliche Rück⸗ 
ſichten, nicht ganz unähnlich dem Entdecker der neuen Welt. | 

Durch jenen Nicolaus von Trier, der ſich als Geldeintreiber der 
Curie in Deutſchland aufhielt, erhielten Poggio und ſein Freund Nic⸗ 
coli die Botſchaft, daß in einem deutſchen Codex außer den acht ſchon 
bekannten Comödien des Plautus noch zwölf andre ſich fänden. Die⸗ 
ſer Nicolaus nun kam gegen Ende des Jahres 1429 nach Rom, brachte 
den koſtbaren Coder mit und übergab ihn dem Cardinal Giordano 
Orſini. Da ſehen wir, wie ſolch ein Fund in den literariſchen Krei⸗ 
ſen ſofort eine kleine Revolution verurſachte, wie ſich alles drängte, 
um eine Abſchrift zu erhalten. Der Camaldulenſer Traverſari trug zuerft 
ſeine Bitte vor, er erhielt nicht einmal Antwort.) Dann bewarben 
ſich bei dem Cardinal der Herzog Filippo Maria von Mailand, Mark⸗ 
graf Lionello von Eſte und Lorenzo de Medici. Jenen trieb wahr⸗ 


) Poggii Dialogus de varietate fortunae cum epistolis LVII. ed. Domi - 
nicus Georgius. Paris., 1723. epist. 23. 30. Poggii epist. 51. im Spicil, 
Roman. T. X. Mehus |. c. p. 46. 47. 

) Poggii Dial. de infelic. principum 1. e. Vergl. ſeinen Brief an Niccoli 
unter denen Traverſari's XXV, 44. 

) Am br. Traversarii epist. VIII, 35. 36. 


II. Außfedung ciceroniſcher Schriften. 141 


ſcheinlich Gasparino da Barzizza, den Markgrafen Guarino, ') den 
Medici aber Niccoli, Poggio und Traverſari. Doch der Cardinal 
Orfini machte Schwierigkeit, den ſeltenen Schatz aus der Hand zu 
geben. Erſt als Lorenzo de' Medici ſelber nach Rom kam, um dem 
nenen Papſte Eugen IV im Namen der Republik die Obedienz zu lei⸗ 
ſten, gelang es ſeiner Liſt, dem Cardinal den Codex abzulocken und 
nach Florenz zu entführen, wo Traverſari und Niccoli ſogleich mit 
eigener Hand Abſchrift davon nahmen. Letzterem wurde es offenbar 
recht ſauer, das herrliche Volumen, nachdem er es hinreichend benutzt, 
zur Rückſendung nach Rom wieder herauszugeben.) 

Wir haben oben diejenigen Schriften Cicero's bezeichnet, die wäh⸗ 
rend des Mittelalters niemals ganz in Vergeſſenheit gerathen waren. 
Petrarca hatte dazu die Briefe gefunden und einen Theil der Reden, 
deren Sammlung durch Poggio weſentlich vervollſtändigt wurde. Welche 
Veränderung die Literatur gerade durch dieſe Briefe und Reden erlit⸗ 
ten, bezeugen nicht nur die unzähligen Nachahmungen derſelben, ſondern 
der Ciceronianismus überhaupt, der noch nach Jahrhunderten ein Lo⸗ 
ſungs wort der Humaniſten war und immer ſich in der epiſtolographiſchen 
und rhetoriſchen Gattung am meiſten gefiel. Jeder glückliche Zufall, 
der noch unbekannte Werke Cicero's ans Licht brachte, wurde als ein 
neues. Evangelium begrüßt. Lionardo Bruni hatte die Freude, daß bei 
feiner Anweſenheit zu Piſtoja (etwa 1409) ein alter Codex der cicero- 
niſchen Briefe gefunden wurde. Enthielt er gleich nicht einmal alle die 
Briefe, die man bereits kannte, ſo war er doch zur Vergleichung und 
Verbeſſerung des Textes willkommen.) Dann geſchah es, daß zu Lodi, 
während man in einer lange verſchloſſenen Lade, die im alten Dome 
ſtand, nach gewiſſen Privilegien ſuchte, durch Gerardo Landriani, den 
Biſchof der Stadt, ein ſehr alter, aus vielen Stücken beſtehender Co⸗ 
dex ciceroniſcher Schriften gefunden wurde. Er enthielt außer den 
beiden als Rhetorik bezeichneten Werken, die man bereits kannte (näm⸗ 
lich den Libri quatuor Rhetoricorum ad C. Herennium, die damals 


) Deſſen Briefe an Card. Orſini und an Lionello von Eſte bei Pez I. e. 
T. V. P. III. epist. 14. 8. 

) Ambr. Travers. epist. VIII, 2. 37. 41. Poggio's Brief an Niccoli ibid. 
XXV, 44. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 39— 43. 388. Vergl. Ritſchl über 
die Kritik des Plautus im Rhein. Muſeum für Philologie herausg. von Welcker 
und Näke Jahrg. IV. Bonn, 1835. 

) Leon. Bruni epist. III, 13. recens. Mehus. 


* 


142 IL, Der ciecbeuiſche Fund zu bi, 


noch allgemein Cicero zugeſchrieben wurden, und den Khestrica u, de 
inventione rhetorica Libri duo), die drei vollſtäudigen Bücher „vont 
Redner“, den „Brutus oder über die berühmten Reduer“ und den an 
Brutus gerichteten „Redner“. Nur von der Schrift „vom Redaer“ 
beſaß man verſtümmelte Fragmente, an denen wiederum, wie vorher 
an Quintilians Juſtitutionen, Gasparino feine Ergänzungskunſt geübt. 
Nun aber war der lodeſiſche Codex mit ſeiner alterthümlichen Hand⸗ 
ſchrift ein Buch mit ſieben Siegeln, vor dem die lombardiſchen Ge⸗ 
lehrten nur mit unthätiger Bewunderung zu ſtehen wußten, bis ſich 
endlich ein geſchickter Diplomatiker fand, Coſimo aus Cremona, ber 
die Bücher „vom Rednere entzifferte und daun in mehreren Gopien 
einen wahren Triumphzug durch Italien halten ließ. Gasparino hatte 
die Genngthuung, die erſte Abſchrift zu erhalten.) Der junge 
Flavio Biondo aus Forli, der in Geſchäften feiner Vaterſtadt nach 
Mailand kam, ſchrieb den Brutus ab „mit wunderbarer Gluth und 
Schnelligkeit,, wie er ſelbſt ſagt; er ſchickte ihn zuerſt dem Guarine 
von Verona, dann nach Venedig an Leonardo Giuſtiniani, und bald 
waren die Exemplare auch dieſes Werkes durch ganz Italien ver⸗ 
breitet.) 

Es iſt kaum Uebertreibung zu nennen, wenn virfer Biondo mit 
der Verbreitung der bezeichneten Schriften Cicrro's, „dieſen Nahrungs⸗ 
quellen der Wohlredenheit“, eine neue literariſche Hera beginnen läßt, 
Die großen Entdeckungen auf dem Gebiete der römiſchen Literatur 
waren damit, für dieſes Jahrhundert wenigſtens, in würdiger Weiſe 
abgeſchloſſen. Was man noch fand, erſcheint nur als ärmliche Nach⸗ 


) Sein Brief an den Biſchof von Lodi, leider ohne Datum, in ſ. Opp. ed. 
Furietto p. 215. 

2) Blondus ſelbſt giebt uns Nachricht von besen denkwürdigen gude in ſei⸗ 
ner Italia illustr. p. 346. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 46. Vespaſiau⸗ 
läßt im Leben Poggio's, wohl nach deſſen ruhmrediger Ausſage oder weil Poggio's 
Name allen literariſchen Entdeckungen gleichſam inhärent geworden, auch die Schrift 
de oratore, die Briefe Cicero's an Atticus, die zwölf erwähnten Comödien des Plautus 
und Anderes, Alles insgeſammt von Poggio gefunden werden. Dieſer erhielt Nach⸗ 
richt von dem lodeſiſchen Funde, während er in London war, durch Niccoli (vgl. feinen 
Brief an Niccoli unter denen des Ambr. Travers. XXV, 39). Aus dieſer Notiz 
und aus dem Umſtande, daß Landriani von 1418 bis 1427 den Episcopat von Lodi 
verwaltete, läßt ſich die Zeit des Fundes ungefähr erſehen. Ves pas ian o: Nioc. 
Niccoli $ 2. 


II. Griechiſche Bucher. Alterthümer. Ciriaco. 143 


leſe. Es konnte die Aneignung, Verbreitung und Verarbeitung des ge⸗ 
ſammelten Stoffes nun beginnen. 

Außerdem kehrten fene Italiener zurück, die nach Byzanz gegangen 
waren, um dort die griechiſche Weisheit aus der Quelle zu ſchöpfen 
und griechiſche Bücher zu erwerben. Sie brachten reiche Schätze mit. 
Zwar verlor Guarino einen Theil ſeiner griechiſchen Codices auf der 
See; man hat ſpäter erzählt, ſein Haar ſei aus Kummer darüber grau 
geworden.) Aurispa aber brachte, als er 1423 in Venedig landete, 
eine Sammlung von 238 Codices mit, die nur alte heidniſche Autoren 
enthielten; denn um deren Entführung kümmerten ſich die Griechen 
wenig, während ſie über die der „heiligen Bücher“ bei ihrem Kaiſer 
Klage führten.) Unter jenen waren zum Beiſpiel alle Werke Platon's 
und Xenophon's, Arrhianos, Dio Caſſius, Diodoros, Strabon, Lukia⸗ 
nos. Auch Francesco Filelfo brachte mehrere Kiſten voll Bücher nach 
Venedig mit, als er im Jahre 1427 heimkehrte. Freilich war eine 
Kenntniß der griechiſchen Sprache, wie ſie zum Leſen jener Claſſiker 
erforderlich, immer noch das Eigenthum weniger Glücklicher. Aber 
Ueberſetzungen führten nun bald den neuen Stoff auch der lateiniſchen 
Welt zu, und immer deutlicher und ſtrahlender trat das Alterthum 
aus ſeinem Dunkel hervor. 

Wie vie Bücher, fo gewannen nun auch die Sluinen „Statuen, 
Inſeriptionen, Medaillen und Münzen der alten Zeit wieder eine Be⸗ 
dentung. Unbewegliche Alterthümer ſtanden fortan als ſacroſanct unter 
dem Schutze des Nationalgefühls, die beweglichen wurden allmählig in 
Cabinets und Gallerien vereinigt. Auch hier eilte der Eifer des Er⸗ 
haltens und Sammelns dem Verſtändniß voraus, und wie Poggio in 
den ſtaubigen Bibliotheken der ſtöbernde Geiſt war, ſo hatten auch die 
Alterthümer ihren wunderlichen Entdeckungsreiſenden in dem Anconita⸗ 
ner Ciriaco de' Pizzicolli. Unſtäte Wiſſensneugier, raſtloſes Su⸗ 
chen und Spüren, Triumph des Findens, Eitelkeit, Leichtfertigkeit und 
Ruhmrednerei, die nicht ſchnell genug den Lorbeer für die Mühen und 
Berdienſte einerndten kann, kurz Alles, was das literariſche Leben die⸗ 
fer Periode mit dem Schimmer und den Fehlern ver Ingenblichkeit 
umkleidet, erſcheint in dieſem Wandergelehrten wie verkörpert. Denken 


) Maffei Verona illustr. P. II. p. 134 nach Pontico Virun io. | 
) Aurispa’s Brief unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 53. cf. ibid. 
VIII, 28. 39. 


* 


144 | Il. Cixiaco. 


wir uns den Humaniſten jener Zeit bei der ſtillen Lampe, leſend und 
ſchreibend, mit wachſender Luſt von Blatt zu Blatt, von Buch zu Buch, 
von einer köſtlichen Erwerbung zur andern vorwärts eilend, wie ſeine 
Phantaſie ſich in den helleniſchen Orient und drüber hinaus nach allen 
Schauplätzen des antiken Lebens hinträumt: fo trieb es unſern reife- 
fertigen Anconitaner wirklich von einer geſchichtlich geheiligten Stätte 
zur andern fort. Wo ſich Spuren des Alterthums fanden oder nur 
vermuthen ließen, da war ihm heiliges Land. Wäre nur ſein Geiſt 
gründlicher ausgerüſtet geweſen! aber er war Autodidakt in der latei⸗ 
niſchen Sprache wie in der griechiſchen, feine Kenntniſſe reich genug, 
aber bunt und verwirrt wie ſein Leben. Anfangs, ſo ſcheint es, durch⸗ 
zog er die Welt als Kaufmann und Geſchäftsagent und zugleich als 
Abenteurer, dann als gelehrter Sammler und wieder zugleich als Aben⸗ 
teurer. Ein Reiſender von Profeſſion und in mannigfachen Verbin⸗ 
dungen mit venetianiſchen und genueſiſchen Handelsleuten, wußte er 
ſich überall die Wege zu öffnen. Drei⸗ bis viermal war er in Grie⸗ 
chenland, trieb ſich bald in Byzanz, bald in Morea, auf Rhodos, Kreta, 
Cypern und den Inſeln des Archipelagus umher. Bis nach Beirut und 
Damascus drang er vor und zweimal war er im ägyptiſchen Alexan⸗ 
drien. Seine Gedanken aber richteten ſich nach dem hundertthorigen 
Theben, nach Perſien und Indien; dann entwarf er wieder einen Reiſe⸗ 
plan, nach Aethiopien, zum Orakel des Amun und zum Atlas⸗ 
gebirge vorzudringen. Die Erdkunde alter und neuerer Zeiten tau⸗ 
melte ihm abenteuerlich im Kopfe herum. Auch wenn er nach Italien 
heimgekehrt war, ſehen wir ihn kreuz und quer ziehen: bald iſt er in 
Florenz, Ferrara, Mailand und flugs wieder in Neapel oder Pa⸗ 
lermo.) 5 

Nicht minder wirr iſt ſeine Thätigkeit. In Cypern erwarb er 
die Gedichte Homers und die Trauerſpiele des Euripides. In Ita⸗ 
lien ſuchte er die Höfe und Gelehrten auf und ſchriftſtellerte. In allen 
Städten, Klöſtern und Flecken ſuchte er nach alten Bauwerken, Trüm⸗ 
mern, Statuen und Reliefs. In Rom wies er Kaiſer Sigmund, wie 
ſchmählich man mit den Bauten des Alterthums umgegangen ſei. Seine 


) Ein ſiciliſcher Dichter fang ihn an: 
Tanta libido animo veterum monumenta videndi 
Fixa tuo, ut mundus area parva fuit. 


II. Ciriaco. 145 


vornehmſte Leidenſchaft war indeß, Medaillen und Münzen zu ſammeln 
und Inſcriptionen zu verzeichnen, ſolche Dinge, die er die Siegel der 
Geſchichte zu nennen pflegte. Aber er führte auch unzählige andre 
Antiquitäten und Curioſitäten mit ſich umher. 

Was nun die Reſultate ſeiner Forſchungen betrifft, die er in 
Werken niedergelegt hat, ſo wüßte ich kein competentes Urtheil anzu⸗ 
führen. Einige ſeiner Inſchriften, deren Vaterland Italien iſt, ſind 
ſpäter auch von Andern gefunden und beglaubigt worden, andre hat 
er ohne Verſtändniß und leichtfertig copirt, ein großer Theil iſt von 
neueren Forſchern auf den erſten Blick als untergeſchoben und erlogen 
erkannt worden. Schon unter ſeinen Zeitgenoſſen ſchwankte die Mei⸗ 
nung über ihn höchſt bedenklich. Filelfo, Barbaro und Bruni, auch 
Poggio, bevor er durch eine Schrift Ciriaco's gereizt, eine heftige In⸗ 
vective gegen ihn ſchleuderte, haben ſeiner als eines gelehrten und eifri⸗ 
gen Mannes mit Lob gedacht.) Dagegen ſchilderte ihn Poggio in 
ſpäterer Zeit und noch lange nach ſeinem Tode immer als einen ſchwatz⸗ 
haften Prahlhans, ) und Traverſari, dem er Münzen von Philippos 
und Alexander von Makedonien, ein Bild des jüngeren Scipio, in 
Onyx geſchnitten, und dergleichen Raritäten auskramte, ſcheint dieſelben 
nicht ohne mißtrauiſche Ironie betrachtet zu haben.) Dem Herzog 
Filippo Maria von Mailand ſchwindelte Ciriaco ſo großartige Dinge 
vor, daß dieſer ihn als Lügner davonjagte.) Indeß wußte er ſich 
bei Papft Eugen IV wie bei Coſimo de Medici für einige Zeit in 
Anſehen zu ſetzen. So ſcheint es denn, daß unſer Antiquarius zwar 
anfänglich aller Orten mit großem Intereſſe empfangen wurde, daß 
man ſeinen wunderſamen Erzählungen mit Neugier zuhorchte, daß aber 
ſein confuſes, leichtfertiges Weſen bald an den Tag trat und ſeine 
Schwatzhaftigkeit den Aufſchneider erkennen ließ. Wie dem auch ſei 


) Leon. Bruni epist. VI, 9. IX, 5. rec. Mehus. Vergl. Poggio's frei⸗ 
lich matten Empfehlungsbrief in jeinen Opera p. 328, dagegen die an Bruni gerich⸗ 
tete Invective, die freilich auch nur mit großem Mißtrauen geleſen werden darf, 
ibid. p. 330. 

) In der Invective, in den Facetien (Opp. p. 442) und ſonſt. 

) Ambr. Travers. epist. VIII, 45. 47. Beide Briefe enthalten indeß einen 
dunkeln Bezug, der andern Leſern erlanbt hat, Traverſari ſogar zu den Lobrednern 
des Anconitaners zu rechnen. 

) Petr. Cand. December Vita Phil. Mariae bei Muratori Seriptt. T. 
XX. cap. 63. 


Voigt, Humanismus. 10 


146 H. Eiriudo. 


und wie wenig Glauben Feine Inſchriften ſammlung auch verdienen mag, 
fo burfte dieſes treueſte Spiegelbild ans den Wanderjahren bes Hu- 
manismus um feines anregenden Einfluſſes willen nicht unerwähnt 
bleiben.) 


) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 23 — 28. Da mir die meiſten Schriften 
Ciriaco's nicht zugänglich waren, muß ich mich im Uebrigen auf Tiraboschi T. 
VI. p. 263—297 berufen, ohne in die Entſchuldigenngen und Rechtfertigungen, mit 
deuen dieſer gelehrte Forſcher ſerne italieniſchen Landsleute fo gern in Schutz nimmt, 
einſtimmen zu dürfen. N 


147 


Drittes Buch. 


Das erſte mediceiſche Zeitalter. Der Humanismus in den 
Republiken Italiens. 


Wir haben auf die großen Geiſter, die Finder der Bahnen hin⸗ 
gewieſen, wir haben geſehen, wie die wandernden Magiſter das neue 
Licht des Claſſicismus durch die Städte und Höfe Italiens ausbreite⸗ 
ten und wie durch ihre begeiſterten Jünger die Zeugen des Alterthums 
aus allen Winkeln hervor und aus der Ferne herbeigeſchafft wurden. 
Nun aber treten wir in die Zeit, wo ſich die Talente mehr in Maſſe 
auf das neue Studium werfen, wo froh⸗ beweglich eines dem andern 
in die Hand arbeitet, wo eine große vielgliedrige Gelehrtenrepublik ſich 
aufthut, wo bald durch gebildete Freundſchaften, bald in erbittertem 
Kampfe, bald durch aufopfernde Hingebung an das Studium, bald 
durch gehäſſige Reibungen elender Charaktere und gemeiner Laſter doch 
von Allen ein Ziel erſtrebt und auf verſchiedenen Wegen zuletzt eine 
Culturepoche erreicht wind. | 

Es ift für die Wiſſenſchaften oder Künſte, wo fie fich eben .erft 
erheben, gewiß ſehr von Vortheil, wenn fie bie feften Sitze noch fliehen 
und ſo mit einer verfrühten Stabilifirung auch mancher Einſeitigkeit 
entgehen. Iſt es doch mit der Ausbildung der Individuen nicht an⸗ 
ders. Doch ebenſo förderlich und nothwendig wird dann auch die Fi⸗ 
zirung der Kräfte und Beſtrebungen, das verbundene, planmäßige und ö 
gleichſam ſich forterbende Zuſammenwirken, die Concentration. So 
ſehen wir denn die Wanderſchulen allmählig in das geregelte Univer⸗ 
ſitätsleben übergehen und den Humanismus Domicil ſuchen. Seine 
Jünger gruppiren ſich in mannigfacher Weiſe, bald als privater Ge⸗ 

10 * 


148 III. Die florentiniſche Nobilität. 


lehrtenſtand, bald um die republicaniſchen Ariſtokratien, bald an den 
Höfen der Dynaſten. Damit iſt auch für unſre Darſtellung Maßſtab 
und Ordnung gegeben. 

Es bedarf kaum der Erinnerung, daß hier nur die Centralſtellen 
des literariſchen Lebens und auch an ihnen nur die Größen erſten oder 
doch zweiten Ranges — nach damaliger Schätzung — ins Auge gefaßt 
werden ſollen. Wie neben ihnen eine Schaar von Winkelgelehrten und 
Kleindichtern auftauchte, überlaſſen wir der Phantaſie des Leſers, der 
ſich derſelben Erſcheinung in ziemlich allen Literaturen erinnern wird. 

Am frühſten und am ſchönſten ordnete ſich die Muſenrepublik 
von Florenz, dieſer Mutter der feinen Sitte, die für das litera⸗ 
riſche und künſtleriſche Leben nicht minder die Sonne geweſen iſt, 
als Venedig für das kaufmänniſche, als Rom für das kirchliche. Und 
je mehr die kirchliche Sonne ſich verdunkelte, deſto ſtrahlender ſchien 
durch die Nacht der Vergeſſenheit die Sonne des Heidenthums wieder 
hervor; ihr ſchönſter Strahl beglückte die tusciſche Capitale. Sie ſchien 
berufen, für Italien fortan das zu ſein, was Italien für die mittelalter⸗ 
liche Welt geweſen war. In der Politik war die Rolle, welche der 
Kirchenſtaat bisher geſpielt, ſeit ſeiner Zerrüttung allmählig auf Flo⸗ 
renz übergegangen, es war zu einer italiſchen Großmacht herangewach⸗ 
ſen, die zwiſchen den Dynaſten Ober⸗ und Unteritaliens das Gleichge⸗ 
wicht erhielt. Nach manchen inneren Stürmen und längerem Schwanken 
fand ſich eine Ausgleichung zwiſchen dem ariſtokratiſchen und dem ple⸗ 
bejiſchen Element. Der Parteikampf hatte blutige Auftritte herbeige⸗ 
führt, aber er hatte auch die Talente aus der Verborgenheit geweckt 
und ein munteres Leben in den Staatskörper gebracht. Die Herrſchaft 
der Beſten und Tüchtigſten ſtellte ſich hier als ein natürliches Bedürf⸗ 
niß heraus. Die wohlhabenden Bürger waren ſtolz auf das Anſehen, 
welches Reichthum, gepaart mit Geiſtesbildung und ſchmückender Ele⸗ 
ganz, ihrem Freiſtaate erworben. Aus dieſen Eigenſchaften bildeten 
ſie ſich den Begriff der Nobilität, und wie überhaupt in Republiken 
die großen Namen ihrer Vorzeit nicht leicht vergeſſen werden, ſo er⸗ 
hielten Männer wie Dante und Giotto, wie Petrarca, Boccaccio und 
Salutato gleichſam das Bürgerrecht der Republik, einen Platz unter 
den Edlen derſelben. Mit bündigem Stolze, wenn auch mit mehr oder 
minder Recht, nannte man ſie kurzweg Florentiner. 

Eine Nobilität wie die florentiniſche fand ſich in der That ſonſt 
nirgend in Italien. Zu N ſonderte ſich der Adel wie eine ver⸗ 


III. Die florentiniſche Nobilität. 149 


ſchworene Faction vom Volke ab, welches vom „Staat“, vieſer unſicht⸗ 
bar⸗ unheimlichen moraliſchen Perſon, in den Banden der Ehrerbietung 
und Furcht gehalten wurde. In Genua gab es neben dem Kaufmanns⸗ 
adel auch einen Landadel, der räuberiſch auf ſeinen Schlöſſern hauſte. 
Die Neapolitaner ſetzten den Werth des Adels darin, daß man von 
ſeinen Beſitzungen leben, vornehm⸗fſtille ſitzen und höchſtens einmal ſpa⸗ 
zieren reiten dürfe. Mit dem Landbau mochte ſich hier der Edelmann 
nicht abgeben, jeder Geſchäftsbetrieb war ihm verächtlich. Der Toch⸗ 
ter eines Adligen, der den Weinertrag ſeiner Güter zu verkaufen 
pflegte, half keine Mitgift zum Manne; denn ihr Vater galt als 
Krämer. Im Kirchenſtaate gab es einen Landadel, der Ackerbau und 
Viehzucht trieb, aber auch in verwirrten Zeiten zur Raubritterei und 
zu Parteiſcharmützeln in den Straßen Roms ſehr geneigt war. Der 
Handel war auch hier verachtet.) Florenz dagegen hatte einen Ge⸗ 
burtsadel, der ohne Scheu dem Handel und jedem gewinnverheißenden 
Geſchäfte lebte. Dadurch ſtellte er ſich ſelbſt mit dem reichen Bürger 
auf eine Stufe, trat mit ihm in täglichen Verkehr und nicht ſelten in 
Familienbündniß. Die Maſſe des Volkes wurde — der altrömiſchen 
Sitte nicht unähnlich — durch weltliche und kirchliche Schauſpiele un⸗ 
terhalten, wobei Tänze, Geſänge, Feuerwerke und Schlachtvorſtellungen 
mit frommen Ceremonien abwechſelten. Seltener fanden dieſe Feſte 
auf öffentliche Koſten ſtatt; gewöhnlich gaben ſie reiche Männer vom 
Adel und wetteiferten dabei, wie im alten Rom, durch Aufwand und 
Pracht. So ſuchte der florentiniſche Adel ſeine Würde durch Eifer 
und Verdienſt um das Gemeinweſen, durch höfiſche Sitte und vor 
Allem durch eine umfaſſendere und feinere Weltbildung zu wahren. 
Sein Ideal war wirklich der Kalokagathie der Hellenen und der Was 
tugend der Römer nicht unähnlich. 

So ging denn auch der Adel von Florenz voran, als der antike 
Humanismus die feine Modebildung wurde. Coſimo de' Mediei, 
den die Literatur⸗ und Kunſtgeſchichte mit einer Art von Heiligenſchein 
umkleidet hat, war nur ſein lebhafteſter Typus. Schon die Schätze, 
die ihm ſein Vater Giovanni hinterlaſſen, machten ihn zum reichſten 
Privatmann in Italien. Er ſelbſt vermehrte ſie noch unglaublich. 
Seine Handelsverbindungen reichten durch ganz Europa und bis nach 
Aegypten hin. Desgleichen war auch ſein Blick auf das Weite und 


) Nach Pogg ius de nobilitate (Opp. p. 67). 


150 II. Ceſimo de Mediei. 


Allgemeine gerichtet. In jüngeren Jahren hatte er dem coftniger Concil 
beigewohnt und einen großen Theil von Deutſchland und Frankreich 
bereiſt. Italien insbeſondre lag wie durchſichtig vor ſeinem Geiſte: er 
kannte die Geheimniſſe der Höfe und die Stimmungen der Völker. 
Auf hundert unſichtbaren Wegen floſſen ihm die politiſchen und com⸗ 
merciellen Nachrichten zu. Er ſelbſt aber erſchien verſchloſſen, völlig 
unzugänglich für den neugierigen Späher, den Staatsmännern und 
Geſandten ein Geheimniß, an deſſen Ergründung ſie verzweifeln moch⸗ 
ten. Was wohl am meiſten dazu beitrug, war die glatte Höflichkeit 
ſeiner Worte, wie der florentiniſchen Diplomatie überhaupt. Ganz 
anders ſahen ihn ſeine Mitbürger: gegen ſie war ſein Betragen ge⸗ 
meſſen und ſtätig, ſein Geſpräch ruhig, ein wenig einſylbig, Späßen 
und Frivolitäten abgeneigt, immer aber leutſelig und hülfreich, wie 
ſeine Hand dem Bedürftigen. Für ſeine Perſon ſchien er ohne Ehr⸗ 
geiz oder Selbſtſucht, in würdevoller Einfachheit zu leben. Ging er 
durch die Stadt, ſo folgte ihm nur ein Diener; auf der Straße und 
im Rathe ließ er älteren Bürgern beſcheiden den Vortritt. Seine raſt⸗ 
loſe Arbeitſamkeit, der er oft den nächtlichen Schlaf zum Opfer brachte, 
ſchien nur dem Staate, aller Pomp und alle Pracht, die aus ſeinem 
Reichthum hervorgingen, nur dem Nutzen und der Zierde der Republik 
gewidmet zu ſein. Wir ahnen es wohl, wie ſolche republicaniſche Frei⸗ 
gebigkeit, welche die mediceiſche Bank als die Staatscaſſe erſcheinen 
ließ, aus kluger Berechnung entſprang; man hielt ſie aber für Gewohn⸗ 
heit und erblichen Charakterzug. Der Mann, welchem die öffentlichen 
Einkünfte verpfändet waren, welchem unzählige einzelne Bürger ſchul⸗ 
deten, kannte keine Erholung und Muße, als wenn er las, wenn er 
die Weinſtöcke in ſeinen Gärten zu Carreggi und Caffaggiolo beſchnitt 
und pflegte, wenn er bisweilen eine Partie Schach ſpielte. Es war 
natürlich, daß er der Erſte im Staate ſein mußte; fühlen ließ er es 
niemand. Auch hatte er, ſeit er 1434 aus dem Exil zurückkehrte, „den 
Neid überwunden“ und herrſchte nun bis an ſeinen Tod, über dreißig 
Jahre lang, ohne weitere Anfechtung, ungleich ſicherer und mächtiger 
als einſt Perikles über Athen.) 


) Da die florentiniſchen Literaten ſämmtlich ſeine Panegyriker find, glaubten 
wir die Vorſtellung Coſimo's, die fie und zumal Macchiavelli in die Geſchichte ge⸗ 
pflanzt haben, in Manchem ändern zu müſſen. Eine treuherzige Charakteriſtik giebt 
Ves pas ian o: Cosimo de' Medici und in andern Biographien, ein geiſtvolles Ur⸗ 


In. Gofmeo de Medici als Mär. 181 


Alle Medieser erſcheinen als die Mäcene der Wiſſenſchaft und 
Kunſt, aber keiner, ſelbſt Lorenzo der Erlauchte nicht, war es in ſo 
hohem und edlem Sinne wie Coſimo. Kein Gelehrter, doch vielſeitig 
angeregt und beleſen, von ſchneller Auffaſſung, von feinem Gefühl für 
das Schöne, war er dennoch geneigt, jedes wiſſenſchaftliche Verdienſt, 
ſelbſt das trockener Geiſter, nach Gebühr anzuerkennen. Der fleißige 
Kritiker, der ſeltene Handſchriften copirte und verglich, der Dichter, 
deſſen Feder die Hexameter mit genialer Leichtigkeit entrollten, der Lehrer 
der Sprachelemente, der Ueberſetzer aus dem Griechiſchen, der tiefge⸗ 
lehrte Theolog und Philoſoph, der Künſtler, welcher Kirchen, Paläſte, 
Billen und Brücken entwarf oder mit Statuen und Gemälden ausziorte, 
ſie alle gehörten vor Coſimo's Auge als Glieder zu einer Kette. 
Ibre Leiſtungen ſchmückten die Stadt, verherrlichten den Staat. Die 
Talente wurden herangezogen, ihnen Stellung und Sold angewieſen, 
ſie wurden beſchäftigt und belohnt, aber ſie wußten es ſelbſt kaum, ob 
fie es Coſimo, dem „Vater des Vaterlandes“, oder Coſimo dem Pri⸗ 
vatmanne verdankten, Er ließ einen Jeden in feiner Weiſe gewähren 
und ſchaffen, legte keinem eine Pflicht auf als die des Amtes oder des 
inneren Triebetz, verlangte keinen Weihrauch für ſeine Perſon, nahm 
aber den dargebrachten gütig an.) So ſtand er, ein Gegenſtand der 
Verehrung, hoch über den Zänkereien und dem Gellätſche da, die in 
der Welt der Literaten ſo wenig ausbleiben wie unter andern Concur⸗ 
renten. Filelfo allein, der ſich in feiner Anmaßung und Unverſchämt⸗ 
heit wie ein Wahnſinniger geberdete, hat auch Coſimo mit ſeinem lite⸗ 
rariſchen Schmutze zu bewerfen nicht geſcheut. 

Dem Bruder nicht unähnlich war Lorenzo de' Mediei, auch 
er ein Mann von vielſeitiger Bildung, ein Freund alter Gemälde, 
Münzen, Vaſen, auch er gefeiert von den Literaten wegen feiner Frej⸗ 
gebigleit. Aber er ſtarb ſchon am 23. September 1440, mehr verherr⸗ 
licht durch eine glänzende Leichenrede Poggio's ) als durch die Ehre, 
die der anweſende Papſt Eugen feiner Leiche erwies, — Die Kinder 


theil Aeneas Sylvius de vir. clar. XV (im Appendix 8. Tom. III. der Ora- 
tiones Pii II. ed. Mansi und in der Bihlietbek des literar. Vereins in Stuttgart 
I) und Pii II. Comment. p. 49. 50. 

) Ueber die Calleotiones Cosmisnae in der Laurentiana vergl. Ros os the life 
of Lorenzo de’ Medici vol. I. Heidelb., 1825. p. 53. 

) In ſeinen Opp. p. 278 und Poggii epist. 49. 6. im Spicileg. Roman. 
T. X. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 51. 


152 III. Florentiniſche Adlige als Literatoren. 


der Medici wurden wieder von den Gelehrten herangebildet, die von 
den Vätern begünſtigt worden, und jo lebte in dieſem Haufe der mä- 
cenatiſche Geiſt als ein erblicher fort. 

Doch waren es, wie oben angedeutet, nicht die Medici allein, die 
Florenz zu einem neuen Athen gemacht. In den vorragenden Gliedern 
des Adels lebte derſelbe Geiſt, nur daß er nicht in demſelben Maße 
durch Reichthum und Glück begünſtigt war. Der literariſche Erzvater 
unter den Nobili war Roberto de' Roſſi, ein reicher Hageſtolz, der 
in ſeinen Palaſt eingeſchloſſen, den Ariſtoteles überſetzte, alte Autoren 
zum Vergnügen copirte und nebenbei jüngere Adlige unterrichtete. 
Wenn er einmal ausging, begleiteten ihn ſeine edlen Schüler aus den 
Familien Buoninſegni, Tebaldi, Albizzi, Aleſſandri; auch Coſimo de 
Medici hatte dazu gehört.) Rinaldo degli Albizzi, der als Geg⸗ 
ner Coſimo's an der Spitze der Nobili ſtand, bediente ſich der litera⸗ 
riſchen Macht vielleicht mehr als eines Mittels, um die öffentliche 
Meinung gegen den Medici aufzuregen.) Aber Palla de' Strozzi, 
der, obwohl gemäßigter, doch zu derſelben Partei gehörte, hätte Coſimo 
leicht auch in dem mäcenatiſchen Ruhme erreicht, nur daß er ſeit dem 
Emporkommen der Volkspartei ſeine Tage in der Verbannung hinleben 
mußte. Der in ſeinem Hauſe die Kinder unterrichtete, Tommaſo Pa⸗ 
rentucelli, iſt der nachmalige von den Literaten hochgefeierte Papſt Ni⸗ 
colaus V. Wir erwähnten oben, daß Roberto de' Roſſi und Palla 
de Strozzi zu den eifrigſten Schülern des Giovanni da Ravenna und 
des Chryſoloras gehörten. Um letzteren nach Florenz zu ziehen, hatte 
Palla, bevor ſich die Staatscaſſe dazu verſtand, durch ſeine privaten 
Bekanntſchaften die nöthige Geldſumme zuſammengebracht und ſelber 
das Meiſte dazu gethan.) Gleichwie Coſimo während ſeines Exils 
zu Venedig Bücher zuſammenkaufte, nahm der verbannte Strozzi den 
Griechen Joannes Argyropulos in ſein Haus zu Padua auf, ließ ſich 
von ihm den Ariſtoteles auslegen und hat dann ſelbſt Werke Plutarchs, 
Platons und Chryſoſtomos' aus dem Griechiſchen überſetzt. Hier zu 


) Vespasiano: Cosimo de' Medici. 8 1. 

) Die Ambroſiana bewahrt ein Exemplar von Filelfo's giftiger Satire gegen 
Coſimo de Medici und deſſen Anhänger. Albizzi hat es im November 1437 als 
Verbannter zu Ancona mit eigener Hand geſchrieben. Carlo de’ Rosmini Vita 
di Franc. Filelfo. Milano, 1808. T. I. p. 97. 

) Vespasiano: Nic. Nicoli $ 7 und Vita della Alessandra de' Bardi im 
Spicileg. Roman. T. IX. p. 601. 


* 


II. Florentiniſche Adlige als Lteratoren. 153 


Padua iſt er, unabläſſig mit philoſophiſchen Studien beſchäftigt, 1462 
in einem Alter von neunzig Jahren geſtorben.) Auch die Familie 
der Acciajoli verband berühmten Adel mit wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗ 
bungen. Der prachtliebende Piero de Pazzi konnte die ganze Aeneide 
und viele livianiſche Reden auswendig, verſtand ein wenig Griechiſch, 
hielt beſtändig Abſchreiber in ſeinem Palaſt und gab viel Geld für 
Bücher aus.) Matteo Palmieri adelte gleichſam ſein Geſchlecht 
durch ſeine Gelehrſamkeit. Zweimal war er unter den Priori und 
1453 Gonfaloniere di giuſtizia, außerdem mehrmals Geſandter der 
Republik an Könige und Päpſte. Er ſchrieb eine Weltchronik, piſaniſche 
Annalen und ein theologiſches Gedicht Città di vita, eine Nachahmung 
der göttlichen Comödie, die indeß nicht frei von ketzeriſchen Lehren war 
und niemals publicirt wurde. Mit ihm zuſammen lernte Leonardo 
de' Dati, ſpäter Notar der Republik, die griechiſche Sprache unter 
Traverſari's und Marſuppini's Leitung. Er ſchrieb einen Commentar 
zur Città di vita, wie Boccaccio zu Dante's Gedicht.) Lapo da 
Caſtiglionchio hat einige Lebensbeſchreibungen Plutarchs überſetzt. Wir 
könnten noch manchen mehr oder minder berühmten Namen aus dem 
florentiniſchen Adel jener Zeit anführen, doch nur des genialen Alberti 
ſoll ſpäter noch gedacht werden. 

Führen wir uns ein in den Literatenkreis, der ſich um Coſimo 
de Medici, den Mittelpunct des ſchöngeiſtigen Treibens, gruppirte. 
Sofort tritt uns ſeine originellſte Geſtalt entgegen, ein Mann von, 
kaum mittlerer Statur, zur Corpulenz neigend, immer mit geſuchter 
Feinheit und Sauberkeit gekleidet, in ſeinen Zügen eine beſtändige Hei⸗ 
terkeit, ſo daß er bei jedem Worte zu lachen ſchien und wenn er ins 
Scherzen kam, die ganze Geſellſchaft zu unwiderſtehlichem Gelächter 
hinriß, bisweilen aber auch der Ausdruck ſarkaſtiſcher Schärfe. Das 
iſt der literariſche Miniſter Coſimo's und ihm als Mäcenas nicht un⸗ 
ähnlich, nur ſo arm als jener reich und ſo ſehr ein genügſamer, glück⸗ 
lich eingeſchränkter Lebensphiloſoph als jener ein weitblickender Staats⸗ 
mann. Es iſt Niccolo de' Niccoli. Sein Vater war Kaufmann 
in Florenz geweſen und hatte auch ihn viele Jahre hindurch zum Ge⸗ 


) Vespasiano: Palla di Nofri Strozzi. Pi i II. Comment. p. 49. 

) Ves pasiano: Piero de' Pazzi. 

) Vespasiano: Matteo Palmieri. Blondus Italia illustr. p. 687. Sal- 
vini Vita Leonardi Dathi vor deſſen Epistolae ed. Mehus. Florentiae, 1743. 
p. 46. 51. Corniani i secoli d. Letter. Ital. T. I. p. 174. 


154 III. Niccoli. 


ſchäft angehalten. Er aber warf nach dem Tode des Vaters, als Erbe 
eines mäßigen Vermögens den Handel bei Seite, um ſich ganz ſeiner 
Neigung zu den ſchönen Wiſſenſchaften hinzugeben. Als der Plan ſei⸗ 
nes Lebens einmal entworfen war, ließ er ihn bis an das Ende deſſel⸗ 
ben nicht mehr los. Er lernte nun Lateiniſch, auch bei Chryſoloras 
ein wenig Griechiſch. In S. Spirito erwarb er Anſchauungen von 
der Philoſophie und Theologie. Dann wurden Bücher ſeine vornehmſte 
Leidenſchaft. Zunächſt ging er, wie oben erzählt wurde, nach Padua, 
nur um von dort die Werke Petrarca's, zumal die Africa, zu holen. 
Es war wenige Jahre nach dem Tode des großen Aretiners, ſeine 
Verehrung gerade im vollſten Schwunge. Männer, die den greiſen 
Philoſophen noch gekannt, wußten dem begeiſterten Niccoli viel von 
ihm zu erzählen, beſonders Luigi Marſigli. Petrarca's Werke wurden 
der Grundſtock ſeiner Bibliothek, die er ſeitdem mit einer erſtaunlichen 
Energie vermehrte. 

Den größten Theil dieſer Bibliothek hat er ſelbſt geſchrieben. Noch 
jetzt werden zahlreiche Codices von ſeiner Hand in der Laurentiana 
und andern Sammlungen aufbewahrt, und manche, wie ſein Lucretius 
und die erwähnten zwölf Comödien des Plautus, gehören zu den Hand⸗ 
ſchriften erſten Ranges. Gemeinhin war er der erfte, au welchen die 
neuaufgefundenen Bücher zur Copirung gelangten. Er zeigte dabei bis 
wenige Tage vor ſeinem Tode einen Eifer und eine Sorgſamkeit ohne 
gleichen. Je älter die Schrift, deſto freudiger war er. Bei griechi⸗ 
ſchen Wörtern, die etwa in den Text einzufügen waren, half ihm Tra⸗ 
verſari's, des Camaldulenſers, freundſchaftliche Hand. Ferner kaufte 
er Bücher, ſo weit ſeine Mittel reichten und ſo oft ſich gute Gelegen⸗ 
heit bot. Die Bände zum Beiſpiel, die Salutato hinterlaſſen, wurden 
von deſſen Erben zerſtreut und verſchleudert; Niccoli aber wußte ſie 
einzeln theils ſelber zu erwerben theils Coſimo zum Ankauf zu empfeh⸗ 
len. Bald freilich fand er ſich dafür am Rande der bittern Armuth. 
Indeß durfte er nur eine Quittung nach der mediceiſchen Bank ſchicken, 
deren Caſſirer von Coſimo die Anweiſung erhalten hatte, jede begehrte 
Summe ſofort zu zahlen. Die Form des Darlehns erſparte ihm das 
beſchämende Gefühl, durch mildthätige Hand ſein Leben zu friſten. Er 
blieb bei ſeinem Tode der Bank mit 500 Ducaten verpflichtet, die er 
theils auf Bücher theils auf Lebensbedürfniſſe verwendet. 

Niccoli's Perſon war gleichſam das Börſenblatt für alle Notizen 
über Bibliotheken und Bücher. Für alte und werthpolle Codices hatte 


III. Nicco li. 155 


er einen Sinn, den man Witterung aus der Ferne nennen möchte. 
Er war der anſchlägige Kopf und die mediceiſchen Factoreien waren 
die Hände, darnach zu langen. Selten ging ein Florentiner nach Frank⸗ 
reich oder Griechenland, ohne literariſche Inſtructionen von ihm mit⸗ 
zunehmen. Männer wie Poggio und Bruni mochten in Rom ſein oder 
wo ſonſt die Curie ihren Sitz hatte, ſie mochten in Coſtnitz am Concil 
leben und von dort aus die deutſchen und franzöſiſchen Klöſter bereiſen, 
ihre Briefe und Nachrichten, politiſche und literariſche, ja ihre freund⸗ 
ſchaftlichen und Familienangelegenheiten gelangten regelmäßig zu Nic⸗ 
coli, und von ihm aus wurden ſie wieder mit florentiniſchen Nach⸗ 
richten, mit Büchern, literariſchen Neuigkeiten, auch wohl mit Geld 
verſorgt. Selbſt berühmten Cardinälen wie Albergati und Ceſarini, 
die auf ihren Legationsreiſen in verſchiedene Länder kamen, gab er 
Verzeichniſſe von Büchern mit, auf die ſie ein Augenmerk haben ſoll⸗ 
ten.) Noch im vorgerückten Alter beſchäftigte er ſelbſt ſich mit dem 
Plan, Griechenland zu bereiſen, um griechiſche Codices zu ſammeln. 
Denn auch dieſe waren ihm wie heilige Reliquien, obwohl er ſehr wenig 
von der griechiſchen Sprache verſtand. Er genoß ein volles Entzücken, 
wenn er zum Beiſpiel aus Byzanz einen ſchönen Codex erhielt, in 
welchem ſieben Tragödien des Sophokles, ſechs des Aeſchylos und die 
Argonautika des Apollonios enthalten waren, und wenn ſein Freund 
Traverſari die Entſtehung dieſes Volumens vor das Jahr 600 ſetzte.) 

Er war aber kein bloßer Copiſt: er verglich verſchiedene Exem⸗ 
plare, merzte offenbare Corruptionen aus, ſtellte den Text her, machte 
Capiteleintheilungen und Inhaltsangaben. Sein Geſchmack in dieſen 
Arbeiten, in denen eben der Geſchmack noch zum guten Theil die Kritik 
erſetzte, begründete recht eigentlich ſeinen literariſchen Ruhm. 

Niccoli's Bücherſammlung war durchaus die größte und beſte in 
Florenz: ſie enthielt 800 Bände, als er ſtarb, und ihren Werth 
ſchätzte man, ſoweit ſich dergleichen Dinge ſchätzen laſſen, auf etwa 
4000 Zecchinen. Er beſaß eine Weltkarte und beſondre Karten von 
Italien und Spanien. Dazu kam eine kleine Gallerie von antiken 
Statuen, Sculpturen, Gemälden, Vaſen, Moſaiken, Gemmen, Münzen 
und Medaillen. Letztere waren zum Theil alten Urſprungs, doch ver⸗ 
ſtand man bereits auch geſchickte Bleiabgüſſe zu fertigen. 


) Ambros. Traversarii epist. VIII, 2. 
) ibid. VIII, 8. | 


156 III. Niccoli. 


Das war die Welt, in welcher der kleine Mann, gleich einer zier⸗ 
lichen Spinne in ihrem Gewebe, hinlebte, doch ohne den Hang zur 
Einſamkeit und ohne den Fremdenhaß dieſes Thieres. Er ſcheint Flo⸗ 
renz felten verlaſſen zu haben. Einmal war er in Venedig, theils um 
die verbannten Medici zu beſuchen, theils um die Bücherſchätze der dor⸗ 
tigen Klöſter und feiner venetianiſchen Freunde gründlich purchzuftöbern. ') 
Auch die Sehnſucht, die er ſeit ſeinen jungen Jahren gehegt, einmal 
nach Rom zu kommen, wurde ihm endlich erfüllt. Er war mit Coſimo 
de Medici dort, aber wegen allerlei Umſtände konnte ihr Aufenthalt 
nur ein kurzer ſein. Er nahm von dieſer Fülle zertrümmerter Reſte 
des Alterthums nur den Eindruck eines ſchmerzlichen Mitleides nach 
Florenz heim.) Hier allein konnte er glücklich und in ſeiner Weiſe 
leben. Nie bewarb er ſich um ein öffentliches Amt oder buhlte um 
irgend eine Ehre. Auch blieb er Hageſtolz, um die Koſten einer Ehe 
lieber der Wiſſenſchaft zuzuwenden. Denn von mönchiſcher Neigung 
war er völlig frei; in ihren rüſtigen Jahren pflegten ſich Bruni und 
er an den Feiertagen vor den Kirchthüren aufzuſtellen und die hübſchen 
Weiber, die herauskamen, zu beäugeln.) Später lebte er mit einer 
friedſamen Concubine (una donna di tempo, wie Vespaſiano ſich aus⸗ 
drückt), ſeiner Benvenuta, die er zärtlich und treu liebte, für die er 
ſogar die Achtung ſeiner Freunde in Anſpruch nahm und um die er 
ſich mit ſeinen fünf Brüdern aufs bitterſte erzürnte. Dieſer Familien⸗ 
krieg, pflegte er zu ſagen, ſei die einzige Störung ſeines Glückes. Ben⸗ 
venuta war zugleich ſeine Bedienung; denn Zwei machten das ganze 
Haus. Alles, was außerhalb dieſes Hauſes und außerhalb der litera⸗ 
riſchen Kreiſe vorging, ſtörte nicht ſeine Heiterkeit. Wenn er aber 
ſpeiſete, mußten antike Vaſen, elegante Thongefäße, alte Krüge und 
kryſtallene Becher auf ſeiner Tafel ſtehen, meiſtens Geſchenke; das Ge⸗ 
deck mußte fein und reinlich ſein.) In ſolchen Dingen konnte er 
pedantiſche Laune zeigen. Auch waren ſeine Sinne ungewöhnlich ſcharf 
und empfindlich gegen widerliche Eindrücke: ſo hatte er eine beſondre 
Antipathie gegen das Blöken eines Eſels, das Knirſchen einer Säge 
und das Quieken einer Maus. 


— nn 


i) ibid. VIII passim. 

2) ibid. VIII, 8. 

) Leon. Bruni epist. IV, 4. 

) Vespasiano: A vederlo in tavola cosi anti co come era, era una gentilesza. 


III. Niccolo. 157 


Sonderbare Menſchen dieſer Art find in der Regel abgeſchloſſene 
Selbſtlinge, vergraben ſich in ihren Sammlungen und haben keinen Trieb, 
auf das Große und Allgemeine einzuwirken. Das war Niccoli's Fall 
nicht im mindeſten. Seine Thüre ſtand Jedem offen, der Belehrung oder 
literariſche Hülfe ſuchte, ſeine Bücher waren für Jeden da, der ſich ihrer 
zu bedienen wünſchte. Als er ſtarb, befanden ſich zweihundert Bände ſei⸗ 
ner Bibliothek auswärts. Er gehörte zu den Perſonen, die mehr dazu 
geboren ſcheinen, Andre anzuregen als ſelbſt etwas Zuſammenhängendes 
zu leiſten. Wer in ſeine Umgebung kam, fand ſich gleichſam mitgezogen 
in das lebhafte wiſſenſchaftliche Intereſſe, welches aus jedem ſeiner Worte 
und jeder ſeiner Mienen ſprach. So oft ich einen Brief von dir er⸗ 
halte, geſtand ihm einſt Lionardo Bruni, werde ich immer von Neuem 
zu den Studien angeſtachelt.) Sein Haus war gleichſam ein Muſeum, 
der Sammelplatz aller Schöngeifter von Florenz, zumal der jungen 
und aufſtrebenden Literaten, aber auch der Maler, Bildhauer und Ar⸗ 
chitekten. Fremde kamen oft, den merkwürdigen Mann in ſeiner merk⸗ 
würdigen Umgebung kennen zu lernen. Da gab es keine Mahlzeiten 
und Feſte, aber deſto mehr gelehrte Geſpräche und vielſeitigen Gedanken⸗ 
umtauſch.) Bisweilen ſah man zehn bis zwölf junge Leute in dieſem 
Studienſaale ſitzen, jeden mit einem Buche in der Hand: dann redete 
Niccoli den einen und den andern von ihnen an, prüfte, was er geleſen 
und wie er es aufgefaßt. Scherzen und Schwatzen ward nicht vernom⸗ 
men. Hier im privaten Muſeum wurde der Gelehrtenverein von 
S. Spirito gleichſam fortgeſetzt, freilich in ſehr veränderter Richtung; 
- und fo will es uns bedeutend ſcheinen, daß Niccoli geradezu als Schü⸗ 
ler jenes Luigi Marſigli, des Hauptes von S. Spirito, genannt wird. 

Wie Niccoli's Briefwechſel die Literaturzeitung der Humaniſten, 
ſo war er ſelbſt in Florenz das Orakel, wenn über lateiniſche oder 
griechiſche Bücher Anfrage geſchah; über geſchichtliche, literar⸗hiſtoriſche 
und kosmographiſche Materien wußte er genaue Rechenſchaft zu geben. 
Er hatte ein ſtarkes Gedächtniß; die göttliche Comödie, die er in jüngeren 
Jahren mit hoher Verehrung immer wieder und wieder geleſen, konnte 
er noch im Alter faſt ganz ohne Buch herſagen. Außerdem galt er 


) Leon. Bruni epist. III, 19. Aehnlich Ambros. Travers. epist. 
VIII, 2. N 

) Vergl. z. B. den Brief des jungen Ermolao Barbaro, der Guarino's 
Schüler war, mehr aber dieſem florentiniſchen Kreiſe dankte, unter Am br. Travers. 
epist. XXIV, 19. 


158 III. Niccoli. 


für einen geſchmackvollen, aber äußerſt peinlichen Kenner der lateini⸗ 
ſchen Sprache. Er ſelbſt hat nichts geſchrieben als einen kurzen Trac⸗ 
tat über die Orthographie der lateiniſchen Sprache, welcher zur An⸗ 
leitung für junge Studirende beſtimmt war; ftrittige Puncte ſuchte 
er durch die Autorität alter Münzen und Jnſcriptionen zu entſcheiden. 
Aber auch dieſes Werk, welches er übrigens in italieniſcher Sprache 
ſchrieb, ſcheint er, als es von Guarino heftig angegriffen wurde, der 
Oeffentlichkeit wieder entzogen zu haben. Auch ſeine Briefe verfaßte er 
regelmäßig in der Vulgärſprache. So viel man wußte, ſchrieb er über⸗ 
haupt aus Grundſatz nichts Lateiniſches. Auch ſprach er niemals la⸗ 
teiniſch. Man urtheilte hierüber verſchieden. Bruni ſagt in der In⸗ 
vective, die er gegen ihn richtete, er habe ſeine völlige Unkenntniß des 
Lateiniſchen damit verdecken wollen. Manetti, der ſein Leben im lob⸗ 
redneriſchen Schwunge, und Vespaſiano, der es mit fichtbarer Vorliebe 
beſchrieben, meinten, er habe ein zu vollkommenes Ideal von lateini⸗ 
ſchem Stil im Sinne gehabt, als daß er je hätte hoffen können, es zu 
erreichen. Aehnlich urtheilt Poggio in ſeiner Leichenrede, die natürlich 
nicht minder panegyriſch iſt, er habe nur das Feine und Vollkommene 
gutgeheißen ') und deshalb hätten ihm auch feine eigenen Schriften 
nicht genügen können. Wohl am richtigſten äußert ſich Enea Silvio: 
Niccoli habe ſeinem Geiſte nicht recht getraut und ſeine Leiſtungen dem 
Urtheil Andrer deshalb nicht unterwerfen wollen, weil er ſelbft mie⸗ 
mandes Leiſtung gelungen fand, alle zu tadeln wußte, die nur lebten, 
und auch unter den großen Todten nur Platon, Virgilius, Horatius 
und Hieronymus lobte.) | 

Das war nun eben der Punct, der den Verkehr mit ihm ſchwie⸗ 
rig machte. Er fühlte ſich ein wenig als unfehlbarer Kunſtrichter und 


1) Auch in einem Briefe an Traverſari (unter deſſen Epistt. XXIV, 7) ſagt 
Poggio in einer beſtimmten Verbindung von Niccoli: oui nihil nisi elimatum 
placet. 

) Aehnlich Philelfus Satyrarum (Venetiis, 1502) Dec. I. hec. 5. Nachdem 
er die Lebenden aufgezählt, die Niccoli's Neid verfolge, fährt er ſo fort: 

Namque probos clarosque viros mens dira furensque | 
Nunquam ferre potest, nitidae qui congruat atrum 
Virtuti viium. — — 

Naso valet nugis. Statius modo barbara blactit. 
Deliras, Lucane, tuba. Nil Musa Maronis | 
Personat egregium, nisi quae te magne Priape 
Coneinit, Eloquii damnatur Tullius ipse. 


\ 


III. Niecoli. 159 


als unabhängiger Mann. Ein eifriger Förderer und wohlwollender 
Freund im Großen, vernachläſſigte er oft jene Heinen Aufmerkſamkeiten 
und Höflichkeiten, die ein behaglicher Umgang einmal erfordert und die 
er für ſeine Perſon ſelbſt von den vertrauteſten Freunden verlangte. 
Auch war er reizbar, faßte leicht Argwohn und hegte ihn mit Eigen⸗ 
finn.) Widerſpruch machte ihn erregt und zornig. Und da er ſchnell 
die Fehler und Schwächen Andrer durchſchaute, äußerte er auch ſeine 
Meinungen und Gefühle darüber oft mit unvorſichtiger Freimüthigkeit, 
in welcher man den Jünger Marfigli's zu erkennen meinte. Desglei⸗ 
chen wußte er das Ausſprudeln ſeines beißenden Witzes nicht zu zügeln, 
während er ſelbſt hinter einem Scherze ſehr bald die Abſicht ſah, man 
wolle ihn zum Narren halten. Verträglichere Freunde ließen ihm die 
böſe Lanne hingehen und mieden höchſtens für einige Zeit ſeinen Be⸗ 
ſuch. Stolze oder heftigere Naturen aber wollten ſeine Ausfälle nicht 
unerwiedert laſſen. So zog ſich Niccoli die Feindſchaft Vieler zu, die 
durch ſeinen Einfluß nach Florenz berufen worden und die anfangs 
unter ſeiner Protection geſtanden hatten. Da aber ſeine Stimme bei 
Coſimo und bei den Beamten, die das gelehrte Weſen unter ſich hatten 
(ufficiali dello studio), Alles galt, mußten feine Gegner gewöhnlich 
bald Florenz, dieſes gelobte Land der Literaten, verlaſſen. So Ma⸗ 
mel Chryfoloras und Guarino von Verona, die beide als Lehrer des 
Griechiſchen durch ſeine Vermittelung berufen waren, ſo Aurispa und 
Filelfo.) Selbſt Lionardo Bruni erzürnte ſich heftig mit Niccoli, 
mit dem verbrüdert er einft den griechiſchen Lectionen des Chryſoloras 
beigewohnt, dem er ſeine erſten Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen 
gewidmet, den er als Cenſor und Richter über feine Schriften aner- 
kannt hatte. Daß Niccoli den Studien des Camaldulenſers Traver⸗ 
ſari ein größeres Intereſſe ſchenkte, war wohl die erſte Urſache der 
Entfremdung. Die eigentliche Veranlaſſung aber gab ein ſcandalöſer 
Vorfall mit Beuvenuta. Jene Verwandten Niccoli's hatten fie über⸗ 
fallen und auf offener Straße, vor den Augen der höhnenden Nachbarn, 
recht mit entehrendem Schimpfe ausgeprügelt.) Niccoli, dadurch ver⸗ 
ſtimmt und gereizt, mußte hören, auch Bruni habe, ſtatt ein tröſtender 


) Ambros. Travers. epist. VI, 2. und Poggio 's Brief an Niccoli ibid. 
XVV, 48, 

) ef. Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 5. 

) Leon. Bruni epist. V, 4. an Poggio, IV, 23. IX, 19. 


160 III. Niccoli. 


Freund in der Kümmerniß zu ſein, über das zärtliche Verhältniß ſeine 
Mißachtung geäußert und die Concubine als Köchin bezeichnet. Der 
Zwiſt machte großes Aufſehen und nicht nur bei den florentiniſchen 
Literatoren, unter welchen Traverſari zu wiederholten Malen und im⸗ 
mer vergeblich eine Ausgleichung verſuchte.“) Selbſt Papft Eugen IV, 
der ſich damals in Florenz aufhielt, ließ ſich die Vermittelung angelegen 
fein, auch er vergebens. Bruni richtete eine Invective gegen Nic⸗ 
coli, in welcher es an Spott und Verleumdung nicht fehlte; dieſer aber 
ließ ſich nicht auf das publiciſtiſche Feld hinauslocken und rächte ſich 
nur durch beißende Bonmots. Erſt nach Jahren gelang es dem Ve⸗ 
netianer Francesco Barbaro bei ſeiner Anweſenheit zu Florenz, die 
Beiden wenigſtens äußerlich auszuſöhnen, und Poggio gratulirte dem 
Friedensſtifter von Rom aus mit einer Feierlichkeit, als ſei die Welt 
nun von einem ſchweren Uebel befreit.) Doch ſtellte ſich die frühere 
Intimität nicht wieder her. 

Dagegen haben Andre, die geduldig abwarteten, bis Niccoli ſein 
Unrecht einſah, ſeine treue und hülfreiche Freundſchaft unausgeſetzt ge⸗ 
noſſen, ſo Ambrogio Traverſari und Carlo Marſuppini, ſo Poggio, 
der oft die bittern und argwöhniſchen Bemerkungen des Freundes mit 
wunderbarer Geduld hinnahm. Es war doch ein ſchmerzlicher Ver⸗ 
luſt, den die Wiſſenſchaft und ihre Jünger in Florenz erlitten, als der 
kleine Dictator, der arme Mäcen am 4. Februar 1437) nach drei⸗ 
undſiebzigjährigem Lebenslaufe in den Armen ſeines Freundes, des Ca⸗ 
maldulenſergenerals, und als guter Chriſt ſeinen Geiſt aushauchte. 
Seine letzte irdiſche Sorge war geweſen, daß er teſtamentariſch die 
Zukunft ſeiner Bücher ſicherte. Die Leiche wurde dem ungen des 
Verſtorbenen gemäß in S. Spirito beigeſetzt.“) | 


1) Ambros. Traversarii epist. VI, 18. 

) Poggii Epistolae LVII (bei ſ. Historiae de varietate fortunae Libri 
quatuor ed. a Dominico Georgio. Lutet. Paris., 1723) epist. 4. 5. 11. Tra- 
versar. epist. VIII, 16. 

) Der Todestag nach feiner Grabſchrift, die doch für authentiſcher gelten muß 
als die Angabe Manetti's, er habe ſein Teſtament am 22. Januar, pridie quam 
. moreretur, aufgeſetzt. Erwähnung verdient auch der rührende Nachruf, den ihm fein 
Freund Traverſari widmete (epist. IX, 21) und zwar am 12. Sehe, alſo noch 
im unmittelbaren Eindrucke des Verluſtes. 

) Die willkommenſten Nachrichten über dieſen bisher zu wenig egchteten Mann 
verdanken wir dem oft ſchon citirten Mehus (Vita Ambr. Travers. p. 28 — 82. 367. 
und auch Vita Leon. Bruni p. 65 sq.) Ihnen liegt die Lebensbeſchreibung deſſel⸗ 


— —— 


III. Bruni. 161 


Unter den Freunden Niccoli's und auch ſonſt ſchon öfters iſt des 
Lionardo Bruni gedacht worden. Gemeinhin führt er den Beinamen 
Aretino, er entſtammte demſelben Städtchen wie Petrarca. Gleich die⸗ 
ſem mußte auch er ſich mehrere Jahre lang dem Brodſtudium der 
Rechte widmen; denn er war arm und von geringer Herkunft. Aber 
ſein Sinn war bereits auf die liberalen Studien gerichtet. Schon als 
fünfzehnjähriger Knabe hatte er, während einer Stadtrevolution zu 
Arezzo in das Caſtell Quarata geſperrt, die Blicke nicht von einem 
Bildniß ſeines berühmten Landsmannes Petrarca losreißen können und 
eine brennende Sehnſucht empfunden, dem Gefeierten nachzufolgen.) 
Später hatte Salutato den Waiſenknaben unter ſeinen Schutz genom⸗ 
men und wie einen Sohn geliebt; ihm verdankte es Bruni nach eige⸗ 
nem Geſtändniß, wenn er die griechiſche Sprache erlernt und ſich in 
der lateiniſchen eine nicht gewöhnliche Fertigkeit erworben.) Bis zu 
ſeinem fünfunddreißigſten Jahre lebte er unter der Protection des 
Staatscanzlers, den er noch in ſpäteren Jahren ſeinen Vater und 
Lehrer zu nennen liebte. Aber ſo ſchnell arbeitete ſich der friſche Geiſt 
Bruni's empor, daß Salutato ihn bald neben ſich ſah und eingeſtehen 
mußte, ſie ſeien wechſelſeitig Schüler und Lehrer.) Wie die Ankunft 
des Chryſoloras in Florenz beſtimmend auf den jungen Mann einwirkte, 
ließen wir ihn oben mit ſeinen eigenen Worten ausſprechen. Dennoch 
nöthigte ihn der Mangel, auch ſeine Rechtsſtudien fortzuſetzen, bis er 
endlich durch Salutato's und Poggio's Verwendung unter Bonifacius IX 
das Amt eines apoſtoliſchen Secretärs erhielt und ſeitdem in geſicher⸗ 
ter Stellung der Curie folgte. So ging er mit Johannes XXIII 


ben von Manetti in deſſen ungedrucktem Buche de IIlustribus longaevis und viel 
andres handſchriftliches Material der florentiniſchen Bibliotheken und Archive zum Grunde. 
Auch aus der erwähnten Invective Bruni's gegen Niccoli (in nebulonem maledi- 
eum) hat Mehus nach einer Handſchrift der Laurentiana das Wichtigſte mitgetheilt. 
Vergl. außerdem Vespas ian o: Nic. Nicoli; Ambrog. Camald. 5 6; Cosimo de 
Medici 8 23. Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Bart. Facius de vir. 
illustr. p. 11 (ed. Mehus. Florentiae, 1745) Poggius Orat. in funere Nic, 
Nicoli in ſ. Opp. p. 270 und bei Martene et Durand Vet. Script. et Monum. 
ampliss. Collectio T. III. p. 727. Hier findet man noch einige andre durch Nic⸗ 
eoli's Tod veranlaßte Schriftſtücke. 

) So erzählt er in ſ. Rerum suo tempore gestarum Commentarius ap. Mu- 
ratori Scriptt. T. XIX p. 917. Manetti Orat. funebr. in Leon. Bruni Epistt. 
recens. Mehus p. XCII. 

) Epist. I, 12. II, 11. rec. Mehus. Vespasiano: Lionardo d' Areszo $ 1. 

) Salutati Epist. P. I. epist. 2. ed. Rigacci. 


Voigt, Humanismus. 11 


16% III. Bruni. 


nach Coſtnitz, kehrte aber nach Italien zurück, noch bevor vas Glück 
ſeinen Herrn völlig verlaſſen hatte. Im Jahre 1427 wurde et von 
der florentiniſchen Republik zu dem Amte eines Staatsſecretärs ober 
Canzlers berufen, welches Salutato vordem inne gehabt. So gelangte 
er denn durch feine Bekanntſchaft mit den Rechten und mehr noch durch 
ſein klares, elegantes Latein zu einer ehrenvollen Stellung, die ihm 
vergönnte, wieder unter ſeinen Freunden und in der Atmoſphäre zu 
leben, die ihm am meiſten behagte. Auch blieb ihm noch Zeit genug, 
um ſeinen Namen durch gelehrte Werke zu verherrlichen. Seine Ueber⸗ 
ſetzungen griechiſcher Autoren haben ihm den meiſten Ruhm eingebracht; 
ſie galten nicht nur für zuverläſſig, man wollte auch finden, daß er 
vor Andern die Schätze der helleniſchen Welt durch feinen und klaren 
Ausdruck jedem Lateiniſch⸗Gebildeten zugänglich gemacht. Durch ihn 
ferner erhielt Florenz die erſte Geſchichte feiner Republik, die in gefällt⸗ 
ger lateiniſcher Form geſchrieben war, wie der Geſchmack jener Zeit es 
verlangte. Man belohnte ihn dafür mit dem florentiniſchen Bürger: 
recht und mit der Immunität von den Staatsſteuern, die ſich auch auf 
ſeine Kinder erſtrecken ſollte. Er gehörte mehrmals zum Rathe der 
Zehner und ſein Wort gab mitunter bei den wichtigſten Staatsſachen 
den Ausſchlag.)) Seine Briefe, die amtlichen wie die privaten, galten 
als Muſterſtücke ſchmucker Latinität. Auch feine öffentlichen Reben er⸗ 
innerten an die perikleiſche Hoheit; ') doch wußte man, daß er dorbe⸗ 
reitet ſein mußte, denn ſonſt konnte er entweder gar nichts vorbringen 
oder er ſprach baaren Unſinn. ) 

In Florenz war Bruni ein vornehmer, hochverehrter Mann, ob⸗ 
wohl er ſich nicht liebenswürdig zeigte wie Salutato und nichts von 
Niccoli's Gemeinſinn hatte. Er war überzeugt, daß er ganz allein der 
Reformator der lateiniſchen Sprache ſei und daß ſich niemand neben 
ihn ſtellen dürfe.) In hohem Grade ſelbſtgenügſam lebte er nur in 
feiner Cancelei und in feinem eigenen Hauſe; bei andern Bürgern fah 
man ihn faſt nie. Ein Bild der Majeſtät ſchritt er ernſt und 


) Vespasiano IJ. c. 5 5. 6. Mehus Vita Leon, Bruni p. 44. Manetti 
Orai. funebr. I. c. p. X CVII. 

) Vergl. z. B. die Leichenrede auf Nanni Strozzi in Baluzii Miscell. Lib. 
III. p. 226. 

) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. 

) ef. Leon. Bruni epist. III, 19. Ves pas ia no: Ambrog. Camald. $ 6. 


IN. Bruni. 163 


feierlich in feinem langen rothen Mantel durch die Straßen.) Wie 
ſo manche Leute, denen es in jungen Jahren allzu ſauer geworden iſt, 
war er mürriſch und unzugänglich, wortkarg und leicht zu beleidigen, 
und notoriſch war auch fein Geiz.) Doch thaten dieſe Fehler der 
Achtung, die er genoß, wenig Abbruch. Spanier und Franzoſen, die 
in Italien Geſchäfte hatten, kamen mitunter nur zu dem Zwecke nach 
Florenz, um den berühmten Staatscanzler zu ſehen und wäre es auch 
nur von fern, wenn er Vormittags aus der Cancelei trat.) Als er 
am 9. März 1443 geſtorben war, gingen die Prioren der Stadt über 
ſein Leichenbegängniß zu Rathe und es wurde auf den Vorſchlag eini⸗ 
ger gelehrter Männer beſchloſſen, den großen Todten nach Sitte der 
Alten zu ehren. Man hatte die Leiche in dunkle Seide gekleidet, auf 
ihrer Bruft lag die florentiniſche Geſchichte als das edelſte Geſchenk des 
Staatscanzlers an die Republik. Die Rede hielt der gelehrte Manetti, 
ſelbſt Mitglied des Zehnerrathes, von einer Erhöhung aus, die zu 
Häupten der Bahre errichtet war. Am Schluffe derſelben trat er zu 
dem Todten: „So wenden wir uns nun zu dir, ruhmwürdigſter Stern 
der Lateiner, und krönen deine glücklichen, ſeligen Schläfen zum ewigen 
und unſterblichen Zeugniß deiner wunderbaren Weisheit und deiner 
unglaublichen Beredtſamkeit, zum Zeugniß für die Lebenden und für 
die kommenden Geſchlechter, unſerm Senatusconſulte gemäß mit dieſem 
würdigen Schmucke des Lorbeers.“ Im Angeſicht des Volkes von Flo⸗ 
renz, vieler hoher Geſandten und Curialen — denn Papſt Eugen reſi⸗ 
dirte damals in Florenz — wurde das Haupt des todten Staatscanz⸗ 
lers mit dem Lorbeerkranze geſchmückt und ſeine Leiche dann mit einem 
ehrenden Epitaphe in der Kirche S. Croce beigeſetzt.) 


) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo $ 10. 

) Selbſt Poggio ſagt in jeiner Oratio in funere Leon. Aretini (bei Balu - 
zius IJ. c p. 248 und bei Mehus vor jeiner Ausgabe der Briefe Bruni's p. CXXII): 
Vita füit per omnem aetatem parcissima ac severa. 

) Vespasianol.c. 89. : 

) Die Angabe des Todestages nach Matth. Palmerius de temporibus und 
wohl darnach in Staindelii Chronicon ap. Oefele Scriptt. rer. Boic. T. I. 
p. 536. Ungefähr ſtimmen damit die Angaben bei Mehus Vita Leon. Bruni p. 45. 
46. Das Leichenbegängniß fand nach einer beiläufigen Bemerkung in einem floren⸗ 
tiniſchen Codex am 12. März ſtatt. Mehus Vita Ambr. Traversarii p. 261. — 
Die Hauptzlige aus Bruni's Leben bei 8. Antoninus Chronicon P. III. tit. 
22 cap. 11 5 15. Ves pasiano: Giannozzo Manetti 5 12. Nal di Vita Jann. Ma- 
netti ap. Muratori Scriptt. T. XX p. 543. Manetti's Leichenrede ſteht vor der 


11 * 


164 | III. Marſuppini. 


Carlo Marſuppini, gleichfalls ein Aretiner, war ſein Nach⸗ 
folger in der Canzlerwürde und als Schriftſteller nicht minder geſchätzt. 
Man meinte, er komme Lionardo in der Proſa faſt gleich, übertreffe 
ihn aber in der Leichtigkeit ſeiner Verſe.) Er hatte ein unglaubliches 
Gedächtniß. Als er in Florenz ſeinen erſten Kathedervortrag hielt, 
wurde geurtheilt, ſo habe noch niemand geſprochen und es gebe unter 
den lateiniſchen und griechiſchen Autoren keinen, den er in jener Stunde 
nicht citirt. In ſeinem Auftreten hatte er mit Bruni eine gewiſſe 
Aehnlichkeit: auch er war blaß, einſylbig und hypochondriſch in ſich 
verſunken. Des frivolen Scherzes ſchien ſich ſeine Lippe zu ſchämen, 
er floh die muntre Geſellſchaft. Sein Verkehr beſchränkte ſich auf den 
Kreis der Medici; ſeiner engeren Freundſchaft durfte nur Niccoli ſich 
rühmen. Den aber verehrte Carlo mit ſolcher Ergebenheit, daß ein 
„Er hat es geſagt“ ihm gleich einem Orakel galt wie den Schülern 
des Pythagoras.) Das Anfehen; welches dieſer finſtre und herzens⸗ 
kalte Mann genoß, ſtand dem Bruni's kaum nach. Auch er erhielt 
das Bürgerrecht in Florenz und auch ſeine Leiche wurde öffentlich durch 
die Hand ſeines Schülers Matteo Palmieri mit dem Lorbeer gekrönt 
und der Ruheſtätte Bruni's gegenüber im Schiffe von S. Croce bei⸗ 
geſetzt.) Dabei war dieſer Carlo ein notoriſcher Heide und hatte 
noch auf dem Todtenbette die letzte Beichte und das heilige Mahl ver⸗ 
ſchmäht.) Zu andern Zeiten hätte man wegen ſeines chriſtlichen Lei⸗ 
chenbegängniſſes wohl Anſtand genommen; jetzt half in Florenz die 
Dichterehre über jedes Bedenken hinweg. 

Bildeten die genannten Männer, der eine durch ſeine unabhängige, 
die andern durch ihre einflußreiche Stellung gleichſam eine literariſche 
Ariſtokratie, die mit dem Adel von Florenz wie mit ihresgleichen lebte, 


Mehus'ſchen Ausgabe von Bruni's Briefen p. LXXXIX. Die Leichenrede Poggio's 
iſt nie gehalten, auch offenbar viel ſpäter geſchrieben, da er in derſelben ſeine eigene 
Nachfolge in der Canzlerwürde erwähnt, die er doch erſt 1453 antrat. Das Epitaph 
Bruni's bei Mabillon et Germain Museum Italicum T. I p. 163. 

1) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Historia Friderici III in Kol- 
larii Analecta Monum. Vindob. T. II p. 327, Pii II. Comment. p. 51. 

*) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 59. 379. 

) Mabillon l. c. Ves pas ia no: Carlo d'Arezzo $ 2. Er ſtarb am 24. April 
1453. Filelfo ſchildert ihn Satir. Dec. I. hec. 6 eben mit Groll und Gift. 

) Sein Zeitgenoſſe Niccolo Ridolfi ſagt von ihm (bei Tiraboschi T. VI 
p. 1596): Dio l’abbia onorato in Cielo, se I’'ha merito, che non si stima; perche 
morl senza confessione e comunione e non come buon Christiano. 


III. Traverſari. 165 


fo ſchließt ſich ihnen mit dem Camaldulenſer Ambrogio Traverſari 
auch das geiſtliche Element in vollſter Unbefangenheit an. Es war in 
Florenz die humaniſtiſche Schöngeiſterei der neutrale Boden, auf wel- 
chem die verſchiedenen Stände collegialiſch zuſammentrafen und einer 
gleich dem andern galt. Ambrogio war als vierzehnjähriger Knabe in 
das Klofter Maria degli Angioli vor den Mauern von Florenz einge- 
treten, aber viel tiefer hat auf ſein inneres Leben das literariſche Getreibe 
dieſer Stadt, der Umgang mit Niccoli und die Ankunft des Chryſolo⸗ 
ras eingewirkt, obwohl er ſeine Kenntniß der griechiſchen Sprache mehr 
der Autodidaxis als dieſem Lehrer verdankte. Sein Leben wäre wohl 
ein ſehr ſtilles, nur klöſterliches und literariſches geblieben, hätte ihn 
nicht Papſt Eugen IV, der als Cardinal Condolmieri der Protector 
des Camaldulenſerordens und dadurch mit ihm befreundet geweſen war, 
am 27. October 1431 zum General des Ordens ernannt. Seitdem 
wurde er in das öffentliche Leben hinausgeführt und dieſes zeigte ſei⸗ 
nem Ehrgeize noch andre Ziele als die literariſche Berühmtheit. | 

Gar zu gern mochte Traverſari ſich nun bemerkbar machen und 
ſeine Hände ein wenig in die hohe Politik miſchen. Da er in ſeinem 
Orden eifrig jene Kleinlichkeiten beförderte, die man als Obſervantismus 
und Reformation bezeichnete und in welchen auch der Papſt das Heil 
der Welt ſah, ſo durfte er ſich in dieſer hohen Gunſt völlig ſicher 
fühlen. Nun begann er gegen den Papſt auf der einen Seite den hei⸗ 
ligen Bernhard zu ſpielen und ihn mit feurigen Worten, doch ohne 
durch ſie anzuſtoßen, an Kirchenreform zu mahnen, gegen den Prunk 
und die Simonie der Curie zu predigen und im Eifer für das Haus 
Gottes manche freimüthige Rede ſich zu erlauben.) Auf der andern Seite 
verſtand er trefflich die Künſte des Hofmannes: mit den Obſervanz⸗ 
Mönchen, die zugleich des Papſtes Beichtiger und auch feine Gewiffens- 
räthe in der kirchlichen Politik waren, ſtand er im vertraulichen Brief⸗ 
wechſel, und wenn er als S. Bernhard durch kühnes Wort ſcheinbar eine 
Wunde geſchlagen, wußte er ſie auch wieder deſto ſchmeichleriſcher zu liebkoſen. 
Ferner war er Papiſt durch und durch: von den Vätern des basler 
Concils, die das Reformwerk ernſthaft in die Hand nehmen wollten, 
ſprach er nie anders wie von einer Zuſammenrottung wahnſinniger Ver⸗ 
brecher und Baſel pflegte er das weſtliche Babylon zu nennen. Nur 
vorübergehend ſpielte er hier als päpſtlicher Geſandter eine Rolle und 


) Ambr. Traversarii epist. I, 1. 26. 32. recens. Canneto, 


166 III. Traverſari. 


mit feinem Inſtinct fühlte er ſofort heraus, worauf es ſeiner Partei 
ankommen müſſe, den Präſidenten des Concils nämlich, Cardinal Ce⸗ 
ſarini, von der Sache deſſelben abzuziehen. Das nun zwar hat nicht 
er, ſondern die Gewalt der Umſtände vermocht, auch war ſeine Ge⸗ 
ſandtſchaft an Kaiſer Sigmund ohne allen Erfolg, aber er ſelbſt hat 
von ſeinen diplomatiſchen Thaten und von den Reden, die er dabei ge⸗ 
halten, ein Aufſehen gemacht, als ſei der Umſchwung der Dinge weſent⸗ 
lich ſein Werk. Daß er bei ſeiner erſten Hauptrede zu Baſel angeſichts 
der verſammelten Väter ſtecken blieb und fein Concept aus dem Aermel 
hervorziehen mußte, wiſſen wir freilich nicht durch ihn.) Viel eher 
war er bei den Verhandlungen über die Glaubensunion mit der byzan⸗ 
tiniſchen Kirche zur Mitwirkung berufen. Er wurde den Griechen ſchon 
nach Venedig entgegengeſchickt und hatte zu ihrer Begrüßung bereits 
eine griechiſche Rede fertig, in welcher nach ſeinem eigenen Urtheil 
„nichts von Gräcität zu vermiſſen war.“ Leider mußte er, weil der 
Legat die Sache für unpaſſend hielt, ſich der Rede und des Ruhmes 
begeben.) In Ferrara und Florenz betheiligte er ſich dann bei den 
Disputationen über das Filioque und ähnliche Fragen, theils indem 
er einſchlagende Werke griechiſcher Kirchenſchriftſteller zum Gebrauch 
ſeiner Landsleute überſetzte, theils indem er mit Andern das Geſchäft 
des Dolmetſchers übernahm. Auch hier wollte es ihm nachher ſcheinen, 
als habe er das Meiſte allein gethan.) 

Wer Traverſari nur als öffentlichen Charakter kannte, mochte ihn 
für einen harten, intriguanten, ruhmredigen und heuchleriſchen Mönch 
halten. Wir wundern uns nicht, daß er wenig beliebt war, daß er 
ſich zumal mit Brüdern ſeines Ordens in gehäſſigen Streit verſtrickte 
und überall mehr Zwiſt und Feindſchaft als Verſöhnung anſtiftete. 

Aber ein ganz andrer war er in ſeinem heimathlichen Florenz und 
unter den Literaten, hier kehrte er ſeine umgängliche und liebenswürdige 
Seite heraus. Im Kloſter degli Angioli fanden ſich die mediceiſchen 
Brüder, der muntre ſpitzige Niccoli, der kalte melancholiſche Marſup⸗ 
pini und manche Andre faſt täglich zu traulichem Geſpräch beiſammen. 
An Coſimo's Tafel ſah man den kleinen Camaldulenſergeneral mit 


) Ves pasiano: Ambrogio Camald. 8 3. 

2) Epist. I, 30. XIII, 16. XXIV, 24. 

3) Epist. XIII, 34: Negocia ista Graecorum omnia ferme ipsi conficimus, 
vel ex graeco in latinum, vel ex latino in graecum convertendo, quae dicuntur 
et scribuntur omnia. 


III. Traverſari. 167 


heiterem Geſicht und großer Beweglichkeit die Geſellſchaft unterhalten. 
Männer wie Marſuppini, der elaſſiſche Heide, wie Bruni und Poggio, 
die frivolen Spötter, durften ſich von ihm keiner Sittenprebigten ver⸗ 
ſehen. Mit Niccoli lebte er in faſt ſtudentiſcher Freundſchaft. Das 
Pücherweſen und die literariſchen Liebhabereien feſſelten ſie an einander. 
An Niccoli ſchickte er ſeine Berichte und alle Ausbeute, wenn er in 
Italien herum die Klöſter und mehr noch die Kloſterbibliotheken revi⸗ 
dirte. War dagegen Niccoli einmal auswärts und hatte feine Beuve⸗ 
unta mitgenommen, fo vertraute er der Obhut des Camaldulenſer⸗ 
generals des Theuerſte, was er zurückließ, die Schlüſſel zu den eiſernen 
Bücherkaſten — ein gutes Theil der Bücher hatte Traverſari ohnehin 
ſtets in ſeiner Zelle — die antiquariſchen Schätze des Hauſes und 
ſeine Kleider, die der Camaldulenſer auf Wunſch des pedantiſch⸗ſaubern 
Freundes häufig durch einen ſeiner Ordensbrüder ausklopfen und rei⸗ 
nigen laſſen mußte.) Wir ſehen aus der Correspondenz der Beiden, 
wie Traverſari die kleinen Launen und Schwächen Niccoli's mit bes 
wundernswürdiger Geduld erträgt, wie er gegen ihn voll Aufmerkſam⸗ 
keiten und Zärtlichkeiten iſt, wie er auch für perſönliche Dinge die 
wörmſte Theilnahme zeigt, wie er ſich ſogar den Ton des vertrauten 
Scherzes erlaubt, wenn florentiniſche Stadtgeſchichten von ziemlich an⸗ 
ſtößigem Charakter in den Briefen verhandelt werden. Gewiß hat es 
ihm Niccoli hoch aufgenommen, wenn der ehrwürdige Ordensgeneral 
auch der Benpenuta, die dem Freunde trotz den erwähnten Scandaloſis 
theuer geblieben, feine Ehrfurcht erwies, wenn er am Schluſſe feiner 
Briefe ſelten vergaß, ſich der Concubine als dem „treueſten Weibchen“ 
höflich empfehlen zu laſſen.) Brüderlich lebten und arbeiteten fie auch 
in Florenz zuſammen. Bald diente Niccoli als demüthiger Secretär, 
wenn Ambrogio, deſſen Hand in ſpäteren Jahren unſicher und zitternd 
wurde, etwa Werke des Chyſoſtomos überſetzte, bald mußte Ambrogio, 
wenn Nicceli einen Claſſiker, der griechiſche Stellen einmiſcht, wie den 
Aulus Gellius abſchrieb, ihm die griechiſchen Buchſtaben zierlich in den 
Text malen. 

Uebrigens iſt der literariſche Eifer Traverſari's höher anzuſchlagen 


) Epist. VIII, 2. 4. 8. et al. Ueberhaupt iſt das achte Buch dieſer Brieffamm- 
lung, welches 54 Briefe Traverſari's an Niccoli enthält, von beſonderem Intereſſe. 

) Femina fidelissima pflegt er fie zu nennen (epist. VIII, 2. 3. 5. 11. 33. 35. 
37. 38), einmal nur (VIII, 36) nennt er ſie fidelissimam famulam tuam. 


168 III. Traverſari. 


als ſein Talent. Von erſterem legen ſeine Briefe und ſein Hodoepo⸗ 
ricon, ein Tagebuch ſeiner Geſchäftsreiſen, das rühmlichſte Zeugniß ab. 
Gleich Niccoli war auch er unermüdlich, Bücher zu ſuchen, zu kaufen, 
abſchreiben zu laſſen und ſelber abzuſchreiben. Sein Stand und die Freund⸗ 
ſchaft der Medici verſchafften ihm überall Zutritt und faſt mit allen Freun⸗ 
den des Griechenthums in Italien, mit Guarino und Aurispa, beſonders 
aber mit den Venetianern Francesco Barbaro und Leonardo Giuſtiniani 
ſtand er ſtets in literariſcher Verbindung. Dabei war ſein Augenmerk am 
meiſten auf die griechiſchen Autoren der Kirche gerichtet; auf dieſem 
Gebiete war er an Bücherreichthum und an Kenntniß unſtreitig der 
Erſte. Seinen literariſchen Ruhm begründeten ſeine Uebertragungen aus 
dem Griechiſchen, von denen auch in ſeinen Briefen unaufhörlich die 
Rede iſt. Nicht ohne Neid ſah er auf die Ueberſetzungen, die aus der 
profanen Literatur der Hellenen Lionardo Bruni geliefert und die frei⸗ 
lich in ganz andrer Weiſe Aufſehen erregten als die ſeinigen.) Unter 
den Lateinern war Lactantius ſein Liebling, weil er meinte, der ſtehe 
Cicero an goldenem Fluſſe der Beredtſamkeit nicht nach.) 

Ihr eigentlichſtes Intereſſe aber erregt Traverſari's Geſtalt, wenn 
wir beobachten, wie chriſtliche Grundſätze und heidniſche Anwandlungen, 
Mönchthum und Literatenthum in ihm ringen. Im Leben konnte er 
allenfalls zwei Geſichter haben, eines für ſeine Mönche, das andre für 
feine florentinifchen Freunde. Schwerer wurde es ihm, ſich mit feinem 
Gewiſſen abzufinden. Jenes Streben nach Auszeichnung durch die Mit⸗ 
welt, nach Ruhm bei der Nachwelt, deſſen ſich ein Bruni oder Poggio 
nicht ſchämte, wollte dem General des Camaldulenſerordens nicht an⸗ 
ſtehen. Er fühlte den Ehrgeiz in ſeinem Buſen brennen und wehrte 
ſich doch gegen dieſe Sünde, indem er ſie ſich vom Gewiſſen wegzureden 
ſuchte. Wenn er zum Papſte ſprach, wußte er ſich nimmer genug als 
unnützen Knecht, als Staub und Aſche, als ein von der apoſtoliſchen 
Majeſtät geblendetes Erdenwürmchen zu demüthigen. Als nach ſeiner Er⸗ 
‚nennung zum General des Ordens die Meinung nahe lag, daß er noch 
höher ſteigen könne, verſicherte er ſeinem Bruder Girolamo, der „Wahn⸗ 
ſinn des Ehrgeizes“ ſei ſeiner Seele ſo fremd, daß er ſchon beim blo⸗ 
ßen Anblicke von Pracht und Pomp rechten Ekel empfinde und lieber 
unter den Bergwerksſträflingen als unter den Herren der Welt leben 


») of. epist. VIII. 8. 9. 
) Epist. VI. 5. 


III. Traverſari. 169 


U 


möge.“) Dennoch ging er in Rom bei allen Cardinälen herum und 
rühmte dann die freundliche Aufnahme, die ihm zu Theil geworden. 
Selbſt Niccoli, der ihn ſehr gut kannte und ſchätzte, pflegte unter Frenn⸗ 
den die freimüthige Anſicht zu äußern, Ambrogio ſei dem weltlichen 
Ehrgeize nicht ganz fremd und ſpanne ſeine Netze nach dem rothen 
Hute.) Es ſcheint, daß das ironiſche Männchen feine Freude daran 
hatte, wenn er die weltlichen Gedanken des religioſen Freundes be⸗ 
lauſchte. Er ſelbſt verleitete ihn durch Lob und Schmeicheleien, ſich 
auf feine eleganten Briefe etwas einzubilden.) That dann der Ca⸗ 
maldulenſer, als ſei er für literariſches Lob ganz unempfänglich, ſo 
ſchüttelte Niccoli ungläubig den Kopf und trieb dadurch den Freund 
auf ſeine letzte Poſition zurück: dann nämlich bekannte ſich Bruder Am⸗ 
brogio zu dem „Laſter der Eitelkeit“, aber er that es mit einer ſo ge⸗ 
ſuchten Demuth, daß man ſein Geſtändniß durchaus nur für die Re⸗ 
gung eines allzu zarten Gewiſſens ſollte halten können.“) 

In ähnlicher Weiſe mußte er ſich winden, wenn ihn mitunter das 
Gefühl überſchlich, als ſchicke es ſich nicht für einen Camaldulenſer⸗ 
general, ſo mitten in der humaniſtiſchen Gelehrtenrepublik zu ſtehen 
und um den Prunk eleganter Rede zu buhlen. Er vermied es ſorg⸗ 
fältig und abſichtlich, Stellen aus profanen Dichtern in ſeinen Briefen 
anzuführen, als verbiete ihm das die Ordensregel; ) wir haben nur 
eine einzige Stelle gefunden, wo ihm unter Bibelworten auch ein Citat 
aus Virgils Eclogen entſchlüpft iſt.) Wunderbar nur, daß er nicht den 
mindeſten Anſtoß nahm, unaufhörlich in Briefen und Reden nach tul⸗ 
lianiſcher Eloquenz zu haſchen; vertrug dieſe ſich etwa beſſer mit dem 
Eremitenkleid als ein unſchuldiges Verslein? Wie ängſtlich war er be⸗ 
ſorgt, daß ſeine Briefe nicht in verſtümmelter Form verbreitet würden 
und ihn durch fehlerhafte Latinität bloßſtellten!“) In komiſche Ver⸗ 


) Epist. XI, 15. 

) Poggii Dialogus contra hypocrisim, beſonders herausg. Lugduni 1679, 
abgedruckt im Appendix ad Fasciculum rerum expetend. et fugiend. s. T. II. op. 
et stud. Ed w. Brown. Londini, 1690. p. 583. 

) Vergl. z. B. epist. VIII, 47. 

) Nae ego nimium arrogans sum, qui me vanitatis vitio, cui miserabiliter 
addictus sum, liberum abs te putari voluerim etc. Epist. VIII, 36. 37. 

) Epist. VIII, 9 an Niccoli: Uterer ad te Naeviano versiculo, si id mihi 
religio permitteret etc. 

e) Epist. III, 59. 

) Epist. III, 22. 


170 III. Traverſari. 


legenheit gerieth er, als Niccoli und Coſimo de Medici ihm anlagen, 
ein profanes Werk, des Diogenes von Laerte Nachrichten pon berühm⸗ 
ten Philoſophen, aus dem Gxiechiſchen zu überſetzen. Sträubte fi 
wirklich ſein Gewiſſen fo gar heftig dagegen, fo hätte er die Zumuthung 
immerhin ablehnen können. Doch ſcheint es ihn zu der Arbeit gezogen 
zu haben, vielleicht um auf dieſem Felde mit Bruni zu wetteifern. Er 
fragte bei angeſehenen Männern an, bei dem Erzbiſchof von Genua, 
bei Antonio da Maſſa, dem berühmten Theologen; ſie fanden nicht 
den mindeſten Scrupel bei der Sache. Nun bat er mit Berufung auf 
dieſe Autoritäten auch Leonardo Giuſtiniani um Rath, offenbar in der 
Meinung, der Freund werde ihn als freiſinniger Mann, gleich den 
Andern zur Arbeit ſpornen. Dennoch rieth dieſer ihm wider Erwarten, 
den alten keuſchen Leuchten der Kirche zu folgen, die ſich mit der Ueber⸗ 
tragung heidniſcher Schriften nicht befaßt hätten. Damals hatte er 
aber bereits Hand ans Werk gelegt und mußte ſich nun auf die un⸗ 
widerſtehlichen Bitten ſeiner Freunde berufen. Während des Ueber⸗ 
ſetzens und noch damit beſchäftigt, verſchiedene Texte ſeines Autors 
miteinander zu vergleichen, ſeufzte er ſchon mit kämpfendem Gewiſſen: 
„Hätte ich doch niemals dieſes Werk begonnen! Wie wäre das meinem 
Wunſche und meinem früheren Vorſatze gemäßer! — — Nachher aber 
will ich mit deſto glühenderem Verlangen, deſto heißerem Durſte zur 
Uebertragung heiliger Schriften zurückkehren und ſie um ſo inniger 
küſſen, da jch faſt von Kindheit auf an ſie gewöhnt bin.“ Trotz dieſen 
Bepenklichleiten und Qualen iſt er mit der Arbeit fertig geworden und 
hat ſie mit einer Widmung an Coſimo veröffentlicht.) Auch daß er 
ſeine Briefe copiren und ſammeln ließ, will er nur auf die dringenden 
Bitten hoher Freunde gethan haben, denen er es nicht habe abſchlagen 
können. *) 

So haben wir das erſte Beiſpiel eines Mönches, in welchem der 
Schöngeiſt mit dem heiligen Geiſte im Kampfe lag, und wir ſehen 
ſchon, wie die künſtleriſche Liebhaberei von Florenz bereits das kirchliche 
Leben überwog. Die Zahl der humaniſtiſchen Geiſtlichen und Mönche 
iſt keine kleine geblieben, die ängſtliche Gewiſſenhaftigkeit des Camaldu⸗ 


) ef. epist. VI, 23. 25. 27. VII, 1. VIII, 8 Die Widmung ſelbſt epist. 
XXIII, 10. 
2) Epist. VI, 38. 


IH. Manetti. 171 


lenſers aber ſehen wir bei feinen Nachfolgern immer mehr und mehs 
dahinſchwinden.) 

Der Schüler Traverſari's im Lateiniſchen und Griechiſchen, in 
vielen Stücken auch der Fortſetzer feiner Beſtrebungen war Giannozzo 
Manetti, aus edler florentiniſcher Familie. Erſt in ſeinem fünfund⸗ 
zwanzigſten Lebensjahre fing er an Lateiniſch zu lernen, gönnte ſich dann 
aber aus Studieneifer nur fünf Stunden nächtlichen Schlafes. Alles, 
was ihm nur erreichbar war, raffte er in die Schatzkammer ſeiner 
Kenntniſſe zuſammen. Wir haben geſehen, wie er als junger Mann 
in die philoſophiſche Akademie von S. Spirito gerieth. Obwohl noch 
ein Neuling in den Wiſſenſchaften, fand er doch auf die ſchwierigſten 
Fragen ſofort eine Antwort und miſchte ſich keck in die Disputgtionen 
der gelehrteſten Männer.) In Ermanglung ſolcher disputirte er gern 
mit gelehrten Juden über ihren Glauben, nicht um ſie von dieſem ah⸗ 
zubringen, ſondern indem er ſich ſelbſt auf ihren Standpunct ſtellte; 
es freute ihn dann, ſie durch ſeine Kenntniß des Hebräiſchen zu be⸗ 
ſchämen. War Marſuppini ein Heide, ſo war dagegen Manetti ein 
mehr als rechtgläubiger Chriſt: den chriſtlichen Glauben, ſagte er, müſſe 
man nicht einen Glauben, ſondern eine Gewißheit nennen; die Lehre 
der Kirche ſei ſo wahr, als ein Dreieck ein Dreieck iſt. Er war der 
Mann, es zu beweiſen. In der Philoſophie und Theologie beſaß er 
eine erſtaunliche Beleſenheit. Griechiſche Autoren verſtand er bei ſchnel⸗ 
ler Ueberſicht. Im lateiniſchen Sprechen und Disputiren ſoll er ſelbſt 
Bruni's Neid erregt haben. Er konnte aus dem Stegreif eine geläu⸗ 
fige und von gelehrten Zierathen ſtrotzende Rede halten; freilich war 
fie aus rhetoriſchem Geſichtspunct, auch wenn er vorbereitet war, mittel⸗ 
mäßig genug. Wenn er in Florenz die Ethik und Politik des Ariſto⸗ 
teles erklärte, hatte er eine große Zahl von bewundernden Zuhörern, 
darunter manchen jungen Edelmann. Er hat Lebensbeſchreibungen des 


) Traverſari ſtarb am 20. October 1439. Sein Leben ſchrieb mit der müh⸗ 
ſamſten Ausführlichkeit L. Mehus in dem ofterwähnten Buche. Doch bleibt hier 
für die eigentliche Lebensbeſchreibung unter den unendlichen Excurſen uur p. 864 bis 
436 übrig und die hier gemachten Angaben ſind meiſtens nur Zuſammenſtellungen 
aus den Briefen und dem Hodoeporicon Traverſari's, gerade der unnützeſte Theil des 
ganzen Werkes. Eine zweite Biographie haben wir von Meiners in den Lebens⸗ 
beſchreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherſt. d. Wiſſenſch. Bd. II. 
Zürich, 1796. 

) Ves pas ian: Lionardo d' Arezzo 5 10. a 


172 III. Manetti. Poggio. 


Sokrates und des Seneca, Dante's, Petrarca's und Boccaccio's, Nic⸗ 
coli's, Papſt Nicolaus’ V und feine eigene geſchrieben, ſpäter auch andre 
ſehr umfangreiche und gründliche gelehrte Werke theologiſchen Inhalts, 
die mit Fug und Recht ungedruckt geblieben ſind. Ein älterer Kenner 
jener Literatur hat ſich gewundert, daß Manetti's Ruhm trotz ſeinem 
ungewöhnlichen und vielſeitigen Wiſſen dennoch hinter dem Anderer 
entſchieden zurückgeblieben ſei, wohl weil er es in Vielem weit, aber 
in keinem Zweige zur Meiſterſchaft gebracht habe.) Der Grund iſt 
wohl einfacher: bei aller Gelehrſamkeit vermißte man in Manetti's 
Werken die Grazien; wer ein ſo eintöniges und durch unvergleichliche 
Geſchwätzigkeit ermüdendes Latein ſchrieb, wer ſo plump panegyriſirte, 
daß er nur einen Superlativ auf den andern häufte, dem half nach 
damaliger Geſchmacksrichtung die prunkendſte Schauſtellung des Wiſſens 
zu wenig Anfehen. ”) 

Das waren nun die ehrſamen Gelehrten, die Ueberſetzer und Sprach⸗ 
meiſter, die Bücherſammler und Bibliothekenbegründer, welche die Arno⸗ 
Stadt wohl zu einem neuen Alexandria machen, nicht aber zu dem 
Ruhme führen konnten, das moderne Athen zu werden. Es geſellten 
ſich zu ihnen die Genies, die lebhaften losgebundenen Geiſter, welche 
Leben und Feuer in die ſtille Wiſſenſchaft, Unfrieden und Cabalen in 
die Gelehrtenkreiſe brachten, ſchnellproducirende Talente ohne Charakter 
und voll Schwächen und Laſter. Ihr Aufenthalt iſt ſelten ein ftätiger, 
ihre Thätigkeit nicht einer beſtimmten Richtung gewidmet. Wir dürfen 
uns daher nicht wundern, wenn wir ſie bald hier bald dort finden und 
wenn auch in dieſem Bnche ihrer bald an dieſer bald an jener Stelle, 
in dieſer oder jener Beziehung gedacht werden muß. 

So iſt Gian⸗Francesco Poggio Bracciolini unſerm Leſer ſchon 
lange nicht mehr unbekannt. Wir rechnen ihn billig zur florentiniſchen 
Gruppe. Bei Florenz, im Caſtell Terranuova, war er geboren. Flo⸗ 
renz verdankte er als Schüler Giovanni's da Ravenna und Chryſoloras 
ſeine Bildung. Dann freilich iſt er vierzig Jahre lang der päpſtlichen 
Curie gefolgt (1413— 1453). Aber wenn er in Deutſchland und Frank⸗ 
reich nach den Werken der alten Römer umherſtöberte, ſo war er doch 


) Paulus Cortesius de hominibus doctis Dialogus. Florentiae, 1734 
p. 21. 

) Sein Leben ſchrieben ſehr ausführlich Vespaſiano (Spicileg. Roman. T. I. 
p. 578 e seg.) und Naldo Naldi (ap. Muratori Scriptt. T. XX). Wo beide 
Biographen daſſelbe erzählen, ſtützen ſie ſich wahrſcheinlich auf Manetti's Autobiographie. 


III. Poggio. 173 


gleichſam das auswärtige Mitglied des florentiniſchen Kreiſes: von 
dort wurde er unterſtützt, an ſeine dortigen Freunde berichtete er über 
ſeine Funde, an ſie ſandte er die Autoren, die er zu neuem Leben auf⸗ 
erweckt. Von Rom aus kam er faſt jedes Jahr zum Beſuch nach Flo⸗ 
renz. Ein Decennium hindurch, während Eugen IV das rebelliſche 
Rom mied, lebte Poggio meiſtens unter ſeinen Freunden von Florenz. 
Er heirathete eine ſchöne achtzehnjährige Florentinerin aus dem adligen 
Hauſe der Buondelmonti. Nach dem Tode des Carlo Aretino wurde 
er als deſſen Nachfolger nach Florenz zur Leitung der Staatscancelei 
berufen '), obwohl ſchon ein Greis von zweiundſiebzig Jahren; er ers 
hielt das Bürgerrecht der Republik, wurde einſt unter die Signori ge⸗ 
wählt und nannte ſich ſelbſt gern einen Florentiner. Er ſtarb zu Flo⸗ 
renz am 30. October 1459 und ſein letztes Werk, bei welchem der Tod 
ihn überraſchte, war ſeine florentiniſche Geſchichte. 

Sein Leben in Florenz war das eines heitern Philoſophen. Er 
war am römiſchen Hof ein reicher Mann geworden und genoß nun in 
ſeiner Heimath die Frucht ſeiner langjährigen Mühen und Arbeiten. 
Sein Amt nahm ihn nicht allzuſehr in Anſpruch: er rühmt die Flo⸗ 
rentiner wegen der Freiheit, die ſie ihm geſtattet, geſchäftliche Arbeiten 
auf ſich zu nehmen oder abzulehnen. Den beſten Theil des Jahres 
verbrachte er auf der Villeggiatur und erfreute ſich an dem Empor⸗ 
wachſen ſeiner Kinder, an ihrem Stammeln und Plappern, welches ihm 
oft anmuthiger erſcheinen wollte als die höchſte Beredtſamkeit. Als 
ihm die Leitung der Cancelei durch gewiſſe Gegner beneidet und ver⸗ 
bittert wurde, legte er ſie, um ſich Aergerniß zu erſparen, lieber ganz 
nieder und widmete ſich, immer noch ein hochgeachteter Mann, lediglich 
den Studien, einer ehrenvollen Muße.) Nun er die Zeit der Nah⸗ 
rungsſorgen, denn er hatte als junger Menſch durch Abſchreiben von 
Büchern ein mühſames Brod verdienen müſſen, nun er die Zeit der 
Wanderluſt hinter ſich hatte, blickte er mit freudigem Selbſtgefühl auf 
jene Tage zurück, wo er in St. Gallen die Inſtitutionen Quintilians 
gefunden und abgeſchrieben und wo er ſo manchen andern römiſchen 
Autor aus dem Kloſtergrabe befreit. Er hatte ſich ein Landgütchen 
bei Florenz erworben, 4000 Schritte von der Stadt entfernt, er nannte 


) Comincid a fare sua patria Firenze, come meritamente si conveniva, 
tagt der Florentiner Bespajiano . Fiorentino 9 4). 
) Vespas ia no l. c. 5 6. 


174 | Im. Poggio. 


es ſeine Valdarniana. Das Haus hatte er ſich ſelber ſtattlich und be⸗ 
quem hergerichtet und da er für fein perſönliches Wohlbehagen fo gut 
geſorgt — alſo ſcherzt er — ſo habe er es würdig gefunden, auch für 
das Wohlbehagen ſeiner lieben Bücher einen eigenen kleinen Bibliothek⸗ 
faul bauen zu laſſen.) Hier war der Stolz ſeines Lebens, eine Reihe 
von griechiſchen und lateiniſchen Codices aufgeſtellt, ferner ein kleines 
Muſeum von Marmorkoͤpfen, Münzen und ſonſt allerlei Alterthümern, die 
er einſt auf Ausflügen nach Ferentino und Tivoli, nach Frascati und 
Arpino, den claſſiſchen Stätten, und zu den Mönchen des ehrwürdigen 
Monte Caſſino geſammelt oder durch Freunde aus Chios bezogen. *) 
Nur einen einzigen Marmorkopf beſaß er, der ganz und ſchoͤn war, 
alle andern hatten im Kampfe mit den Jahrhunderten die Naſe ein⸗ 
gebüßt oder ſonſt barbariſche Verſtümmelungen davongetragen. Aber 
er erkannte doch in ihnen immer noch die Hand des alten Künſtlers, 
und erhielt er einmal dergleichen Sendungen aus Griechenland, ſo wur⸗ 
den die zerbrochenen Marmorſtücke in feiner Phantaſie ſofort zu Kunſt⸗ 
werken von Praxiteles oder Polykleitos. Dieſe Umgebung nannte er 
ſelne Akademie. Es war ſein Leben in der Valdarniana eine gelehrte 
Muße wie die Cicero's in feiner tusculaniſchen oder antianiſchen Villa, 
und gleich einem Römer der alten Republik erfriſchte der greiſe Staats⸗ 
canzler ſeinen Geiſt durch die Beſchäftigung mit dem Land⸗ und Gar⸗ 
tenbau. Bisweilen fühlte er ſich hier ſo ruhig und glücklich, daß er 
meinte, das Schickſal müſſe ihn beneiden.) 

Und welch' ein boshafter und biſſiger Menſch war vieſer Poggio 
geweſen. Nur mit feinen florentiniſchen Genofſen lebte er im Frieden. 
Der alte Niccoli war ihm ſeit feiner Ingend Schutz und Hülfe ge⸗ 
weſen, ihm geſtand Poggio mehr als ſeinem leiblichen Vater zu ver⸗ 
danken. Zu Carlo Marfuppini führte ihn ſein erſter Gang, wenn er 
aus Rom zum Beſuch herüberkam; im Haſſe gegen die Heuchler und 
Mönche ſtimmten die Beiden trefflich zuſammen.“) Auch mit Bruni 
tab er freundſchaftlich. Aber ſonſt war er, fo zu ſagen, der litera⸗ 
riſche Gaſſenbube. Er hatte ein unverkennbares Talent für wüthenves 
Schimpfen und niederträchtiges Verleumden. Unter allen ſeinen Zeit⸗ 


) Seine epist. 28. 30. 31. 53. 56. im Spicileg. Roman. T. X. 
) Poggii Epistt. LVII. epist. 18. 19. 

) Epist. 28. im Spicileg. Roman. T. X. 

) Poggii Dialogus c. hypocrisim l. s. c. p. 571. 


I. Poggio. 175 


genoſſen war er ohne Frage der gewandteſte Kopf, er ſchrieb geiſtreich 
und piquant wie kein andrer, ſein Stil iſt von hinreißender Lebhaftig⸗ 
keit. Vor ſeinem Witz und vor ſeiner wüthenden Biſſigkeit herrſchte 
eine wahrhafte Furcht, der ſelbſt maͤchtige Fürſten fich nicht entziehen 
konnten.) Als er dem Könige Alfonſo von Neapel und Aragon ſeine 
Ueberſetzung der Cyropädie gewidmet und zugeſchickt,“) der erwartete 
Lohn aber allzu lange ausblieb, glaubte er in dieſer Vernachläſſigung 
die Einflüſterungen ſeines Gegners Lorenzo Valla deutlich zu erkennen 
und ſtimmte in ſeinem Aerger ſofort einen andern Ton gegen den Kö⸗ 
nig an. „Es iſt übrigens meine Schuld, daß ich mein Buch jemand 
gewidmet, der in feinem Urtheil mehr von Andern abhängt, als ſelbſt⸗ 
ſtändig iſt. Der Ruf, welcher die Gelehrfamkeit jenes Fürſten preiſt, 
hat mich getäuſcht. Er weiß, wie ich ſehe, die tüchtigen Geiſter von 
den dummen nicht zu unterſcheiden. Er thut gewiſſe Dinge zum Schein, 
damit es ausſehen möge, als ſei er gelehrten Männern hold. — Du 
ſagſt, man müſſe die Albernheit ſolcher Menſchen, die ſich bemühen, 
andre herabzuziehen, ertragen und verachten. Du haft Recht. Aber 
die Albernheit von Fürſten muß man nicht nur ertragen, ſondern ihr 
aus dem Wege gehen, da ſie verderblicher iſt und mit Schaden ver⸗ 
bunden. Denn nichts, glaube mir, iſt ſchlimmer als ſolche Albernheit, 
die das richtige Urtheil trübt und wo ſie ſich mit der Gewalt verbün⸗ 
det, zu jedem Verbrechen bereit iſt. — Das ſchlechteſte Ding iſt vie 
Undankbarkeit, fie iſt die Mutter aller Laſter; in wem dieſes Laſter 
herrſcht, in dem kann keine Tugend beſtehen. — Wenn die Sache nicht 
ſchon angefangen wäre, ſo wüßte ich wohl klüger mir bei einem Dank⸗ 
bareren eine Wohlthat zu erwerben.“ In ſolchen Betrachtungen erging 
ſich Poggio, wenn er an ſeine Freunde in Neapel ſchrieb.) Wir 
wiſſen nicht, ob Alfonſo von ſeinem Unwillen erfuhr, doch iſt es wahr⸗ 
ſcheinlich, da Poggio abſichtlich die Briefe, in denen er ſich ausgeſpro⸗ 
chen, an mannigfache Freunde verſendete und verbreitete. In den Exem⸗ 
plaren ſeiner Ueberſetzung, die er in der Zeit des Zornes abſchreiben 
und ausgehen ließ, wurde der Name Alfonſo's und die Dedication 


) Non era ignuno che non avesse paura di lui. Ves pasi a no l. c. 5. 3. 

) Der Brief an Alfonſo in Ba luzii Miscell. (edit. nova) T. IH. p. 154. 

) Die Briefe Poggio's an Bart. Fazio und Ant. Panormita in B. Facii 
de vir. illustr. ed. Mehus epist. 9— 11 und Poggii epist. 75. 76. im Spicileg. 
Roman. T. X. 


9 


176 III. Poggio. 


getilgt.) Dennoch, wenn nicht eben deshalb, ſchickte ihm der König 
bald darauf 600 Ducaten, und der befriedigte Schriftſteller pries dafür 
ſeine Majeſtät nach wie vor.) Er widmete ihm nun ein Prunkſchreiben, 
in welchem er die Weisheit rühmte, die der König in der Befriedung 
Italiens gezeigt, und ihn anſpornte, ſich an die Spitze eines italieni⸗ 
ſchen Seezuges gegen die Türken zu ſtellen.) Es iſt im Tone des 
feurigſten Panegyrikus verfaßt. Bartolommeo Fazio las es dem Kö⸗ 
nige im Beiſein vieler Herren vom Hofe vor und Alfonſo lauſchte ge⸗ 
ſpannt den Schmeicheleien des berühmten Literaten. *) 

Wir ſprechen ſpäter noch von Poggio's Schmähſchrift gegen Felix, 
den Papſt des basler Concils, für welche er ohne Zweifel bezahlt 
wurde; auch die Fehden, die er zu Rom mit Valla, Perotti und Geor⸗ 
gios Trapezuntios anknüpfte, laſſen wir hier noch unberührt und ge⸗ 
denken nur einiger Kämpfe, die er mehr zur Ehre ſeiner Feder führte. 

In Florenz knüpfte er den Streit mit Guarino über die Supe⸗ 
riorität Scipio's oder Cäſars an. Die Veranlaſſung war vermuthlich 
eine Stelle in Petrarca's „Triumph des Ruhmes“: der Dichter läßt 
hier nämlich Scipio Africanus den Aelteren und Julius Cäſar voran⸗ 
gehen, aber er will nicht entſcheiden, wer von beiden der Göttin des 
Ruhmes zunächſt geſchritten ſei; der eine ſei eine Sclave der Tugend 
und nicht der Liebe, der andre ein Sclave beider geweſen.) Poggio 
nun behauptete in einem Briefe) die höhere Würde Scipio's, wobei 
er es an heftigen Angriffen gegen Cäſar nicht fehlen ließ. Die Schrift 
war ihm, wie er ſelbſt geſteht, wenig mehr als eine Stilübung und 
um ſo unſchuldiger, da er keines Lebenden darin erwähnte. Was den 


) Poggii epist. 79. im Spicileg. Roman. T. X. p. 350. 
) Ejusd. epist. 7. 8. 9. ibid. Vespasiano: Poggio Fiorent. 5 4. 
) Poggii epist. 9. I. o. 
) Bart. Facii epist. 13. recens. Mehus l. s. c. \ 
) Petrarca Trionfo della Fama cap. I. v. 22: 
Da man destra, ove prima gli occhi porsi, 
La bella donna (la Fama) avea Cesare e Scipio; 
Ma qual piu presso, a gran pena m’accorsi. 
L'un di virtute e non d’amor mancipio, 
j L’altro d’entrambi. 
Petrarca hat bekanntlich beide verherrlicht, Cäſar in einer eigenen Lebensbeſchreibung, 
Scipio in ſeiner „Africa“. N 
) Brief an einen gewiſſen Scipione da Ferrara, deſſen Namen zu Liebe viel⸗ 
leicht die Entſcheidung getroffen iſt (Poggii Opp. p. 357). 


0 


III. Poggio. 177 


alten Suarino, der mit Poggio befreundet und überhaupt ein friedlicher 
Mann war, bewog dieſen Fehdehandſchuh zu ergreifen, ſehen wir nicht 
recht. Sein Gegner meinte, der Markgraf Lionello von Eſte ſei ein 
beſonderer Verehrer Cäſars und ihm zu Liebe, auch in der Hoffnung 
auf eine Belohnung, habe ſich Guarino zum Anwalte Cäſars aufge⸗ 
worfen. Seine Kampfſchrift, die wir nicht gedruckt leſen, muß umfang⸗ 
reich und nicht arm an perſönlichen Angriffen geweſen ſein. Dieſe Be⸗ 
leidigungen, ſagt Poggio, durch jemand, der damit die alte Freundſchaft 
brach, habe er auf ſeiner Ehre nicht ſitzen laſſen dürfen. Er wolle in⸗ 
deß nicht „nach ſeiner Art“ zu Felde ziehen und ſich mäßigen. In 
der That iſt die Invective Poggio's noch höflich zu nennen, wenn man 
ſie mit andern vergleicht, obwohl er Guarino darin als einen unwiſſen⸗ 
den Prahler behandelt.) Er betrachtete den Streit als einen honetten, 
wie er Männern der Wiſſenſchaft ziemt, als eine löbliche Uebung, um 
die Schärfe des Geiſtes im Loben und Tadeln auszubilden. Man 
könne, meint er, wohl über einen ſolchen Punct verſchieden denken und 
doch gut Freund bleiben. Als er die junge Florentinerin geheirathet und 
Guarino ihm eine höfliche Gratulation zuſchickte, vergalt er in der 
Wonne der Flitterwochen die freundliche Annäherung des Gegners 
mit Gleichem und das gute Verhältniß war hergeftellt *), ja Poggio 
ſetzte etwas darin, Guarino in Ehren zu halten und zu vertheidigen: 
er gehört, ſagt er, noch zu unſrer alten Schule, die ſo viele ausge⸗ 
zeichnete Männer hervorgebracht.) Beide überhäuften ſich ſeitdem mit 
den geſuchteſten und ſchmeichelhafteſten Artigfeiten. *) 

Doch für dieſelbe Sache ſollte Poggio noch einmal in die Schran⸗ 
ken treten, diesmal aber nicht zum gelehrten Turnier, ſondern zu 
einer literariſchen Schlägerei. Ciriaco de' Pizzicolli, den Anconitaner, 
den wir oben kennen gelernt, reizte ſein Unſtern, gegen Poggio's Mei⸗ 
nung eine Gegenſchrift zu richten, die er als kaiſerliche bezeichnete; 
er nahm nämlich in Cäſar den Begründer der Monarchie in Schutz 
und bezeichnete ſeine Verkleinerung als ein Sacrilegium. Gegen ihn. 
ließ Poggio ſeiner ſchmähſüchtigen Laune den vollen Zügel, nannte ihn 
einen unverſchämten und verwirrten Schwätzer, einen Dummkopf, eine 


) Poggio an Franc. Barbaro (Opp. p. 356). Die Invective ſelbſt iſt gleich⸗ 
falls Barbaro gewidmet (ibid. p. 365). 
) Poggio an Guarino (Opp. p. 355). 
) Poggii epist. 52. im Spicileg. Roman. T. X. 
) Ejusd. epistt. 85—90. ibid. 
Voigt, Humanismus. | 12 


178 III. Poggio. Drei berufene Lehrer in Florenz. 


läſtige Cicade, einen vagaböndirenden Narren, einen bärtigen m 
zweifüßigen Eſel u. ſ. w.) 

Außerdem verhöhnte Poggio die Banane Sera mit 
denen er Jahre lang im bitterſten Kriege lag, und proſtituirte endlich 
in den „Facetien“ eine Menge von Lebenden und das Andenken ſo 
manches namhaften Todten.) Das widerlichſte Schauſpiel aber ent⸗ 
ſtand, als er mit Filelfo, der ſeiner hierin ganz würdig war, zuſammen⸗ 
traf. In den vier Invectiven gegen ihn ſchüttete er ein wahres Füll⸗ 
horn von Schmutz und Galle über den Gegner aus, gleich als wollte 
ſich ſeine Phantaſie einmal alles ihres Unrathes entladen. Und dann 
ſtrömte dieſelbe Seele wieder in feierlichen und pomphaften Leichen⸗ 
reden über, vergötterte die Mediei, dieſen und jenen reichen Nobile, 
dieſen und jenen angeſehenen Cardinal. Von den Höhen der Philo⸗ 
ſophie und aus den Tiefen des Glaubens ergoß ſich dann das ſtrahlende 
Lob und erhob die todten Gönner zu Heiligen, um von den Lebenden 
den Lohn der Verherrlichung zu empfangen. 

Drei Italiener ſchöpften ihre Kenntniß der griechiſchen Sprache 
und Literatur an der Quelle ſelbſt, in Byzanz, es waren Guarino 
von Verona, Giovanni Aurispa und Francesco Filelfo aus Tolentino. 
In ihrem Lebenslaufe liegt eine gewiſſe äußerliche Aehnlichkeit. Wenn: 
ſie mit ihren Kiſten voll griechiſcher Bücher in den großen Canal von 
Venedig einliefen, ſuchte man ſie jedesmal zuerſt hier zu feſſeln, aber 
ſehr bald lockte die leuchtende und wärmende Sonne von Florenz ſie 
unter ihre Strahlen. Und doch konnte keiner von ihnen in Florenz 
heimiſch werden: immer reizte ihr ſtolzes Selbſtgefühl Niccoli's, des 
literariſchen Dictators, kauſtiſchen Witz, und er, der ſie gerufen, zwang 
ſie auch nach ein paar Jahren wieder davonzugehen, worauf ſie dann 
an den Fürſtenhöfen, Guarino und Aurispa zu Ferrara, Filelfo zu 
Mailand, ein dauerndes Unterkommen fanden. Man ſieht deutlich, 
wie die eingeborenen Florentiner oder richtiger geſagt Tuscier gegen 
dieſe fremden Ankömmlinge zuſammenhielten und eine ſtille Oppoſition 
bildeten. 0 

Guarino für die Hochſchule zu gewinnen, hatten die Curatoren 


) Dieſe Invective iſt Lionardo Bruni gewidmet (Poggii Opp. p. 380). Cie 
riaco wird durch die Buchſtaben C. A. deutlich genug bezeichnet. 

2) Noch einiger andern Fehden Poggio's gedenkt V alla Antidot. in Poggium 
Lib. I. (Opp. p. 256) 


In. Guarino, Aurispa, Filesfo in Florenz. 179 


derſelben, die ufficiali dello studio, einft für fo wünſchenswerth ge⸗ 
halten, daß ſie ihm ſelbſt überließen, die Höhe des Soldes zu beſtim⸗ 
men.) Auch war er ſonſt ein verträglicher und allbeliebter Mann. 
Dennoch wurde man ſeiner müde, er konnte ſich mit Niccoli nicht ſtellen. 

Aurispa ſcheint nur kurze Zeit in Florenz gelehrt zu haben. Wohl 
ſehnte er ſich, als es ihm dann in Bologna ziemlich kläglich erging und 
ſelbſt als er von da zu den Eſte gerufen wurde, nach den mediceiſchen 
Fleiſchtöpfen zurück, ſuchte ſeine nochmalige Berufung durch Traverſari 
zu vermitteln und ließ allerlei kleine Intriguen ſpielen. Um ſich erwünſcht 
zu machen, deutete er auf die Anträge, die ihm von Bologna, Mailand 
und Rom aus gemacht ſeien. Um Traverſari und Niccoli zu gewin⸗ 
nen, machte er ſie nach ſeinen Bücherſchätzen lüſtern. Und um ſich 
den Rückzug offen zu erhalten, bat er den Camaldulenſer, die Unter⸗ 
handlung insgeheim zu betreiben, damit ſie dem Markgrafen, dem er 
diene, nicht zu Ohren komme.?) Da aber die Florentiner ſchon eine 
Einladung an Filelfo erlaſſen, warnte er dieſen freundſchaftlich fie an- 
zunehmen und ſtellte ihm vor, daß er in Ferrara ungleich beſſer fituirt 
ſein würde. So wollte er in Florenz den Mitbewerber loswerden und 
zugleich in Ferrara die Lücke füllen.) | 

Filelfo aber war nicht der Mann, ſich den ehren- und gewinne 
vollen Ruf nach Florenz, wohin er von Coſimo Medici und Palla 
Strozzi, von Niccoli, Bruni und Traverſari freundlichſt geladen war, 
entgehen zu laſſen. Er bediente ſich, um den Camaldulenſer und Nio⸗ 
coli zu ködern und ſich einen guten Sold von wenigſtens 400 Gulden 
auszuwirken, deſſelben Mittels wie Aurispa: er deutete an, daß er in 
Bologna recht wohl bleiben könne, daß man ihn überdies nach Padua 
gerufen und endlich ihm auch von Rom aus Anerbietungen gemacht 
habe; dazu ſchickte er ein Verzeichniß ſeiner griechiſchen Bücher und 
aͤußerte, daß er noch andre aus Byzanz auf venetianiſchen Schiffen 
erwarte. Auch warf er in den Briefen an Traverſari und Bruni 
mit griechiſchen Brocken um ſich, als wollte er ſagen: Ihr ſeht, das 
kann der Filelfo! An Schmeicheleien und Liebesverſicherungen ließ er 
es auch nicht fehlen: nach ſeiner Ausſage ſehnte er ſich zum Sterben 


er 


1) Ambros. Travers. epist. VI, 20. 
) Ejusd. epist. VIII, 39. XXIV, 54. 55. 8d. 62. Schon jeine erfie Berufung 
war Traverſari's Werk. Vergl. deſſen epist. V, 34. VIII, 3. | 
) Franc, Philelfi epist. I, 48. 
12* 


180 III. Filelfo in Florenz. 


nach Florenz, nach dem Kloſter degli Angioli, nach Traverſari und 
Niccoli. Indeß verzögerten ſich die Unterhandlungen längere Zeit hin⸗ 
durch, indem Filelfo auf die privaten Anerbietungen florentiniſcher No⸗ 
bili nicht eingehen, ſondern durch die Curatoren der Hochſchule gerufen 
ſein wollte. Auch hören wir, zu welchen Vorleſungen oder vielmehr 
Interpretationen er ſich erbot: es waren täglich vier ordinariſche über 
Cicero's Tusculanen, die erſte Decade des Livius, eine rhetoriſche 
Schrift Cicero's und die Jliade; extraordinär gedachte er den Teren⸗ 
tius, die Briefe Cicero's, verbunden mit praktiſchen Uebungen, dann 
einige Reden deſſelben und unter den griechiſchen Autoren den Thu⸗ 
kydides und Xenophon's Politika zu erklären, außerdem über Moral⸗ 
philoſophie zu leſen.) | 

Im April 1429 traf Filelfo in Florenz ein. Er galt damals 
für den trefflichſten Griechen und den gewandteſten Dichter des Abend⸗ 
landes, dazu für einen der eleganteſten Latiniſten. Wo er hinkam, 
hatte ihn die Poſaune des Ruhmes ſchon angekündigt, er war der Ab⸗ 
gott der literariſchen Welt, den Alles mit Verehrung anſtaunte. Auch 
in Florenz wurde er für einige Zeit das Tagesgeſpräch. Die Men⸗ 
ſchen gafften ihn auf der Straße an: er trug noch den griechiſchen 
Bart, und die junge Gemahlin, die er mit ſich führte, war eine ge- 
borene Byzantinerin. Der reiche Coſimo und Palla Strozzi bezeugten 
ihm durch freundſchaftliche Beſuche ihre Huldigung. Auch Bruni, der 
Staatscanzler, fühlte ſich damals durch Filelfo's Freundſchaft geehrt; 
dieſer hatte ihm einen Brief in griechiſcher Sprache geſchrieben, um 
ſeine Befürwortung bei der Profeſſur gebeten und ihm ſeine Ueber⸗ 
tragung des Dio Caſſius zugeſendet.) Selbſt Niccoli ſchien hochach⸗ 
tender und zuvorkommender als gewöhnlich. Noch kam in Florenz die 
üble Nachrede nicht auf, die dem jungen Gelehrten aus Venedig, wo 
er mit den gebildetſten Nobili verkehrt, gefolgt war. Doch wurden 
gewiſſe Flecken ſeines Charakters, die ſich dort gezeigt, auch in dem 
nenen Domicil bereits im Stillen beſprochen.) | 

Filelfo war jung, fühlte die frifchefte und reichte Kraft in ſich, 
er glaubte als ein Lieblingsſohn der Götter leichten Schrittes zum 
Tempel des ewigen und grenzenloſen Ruhmes emporzuſchreiten. So 


) Ambros. Travers. epist. V, 14. XXIV, 27. 29. 30. 32. 35. 36. 40. 
2) Leon. Bruni epist. V. 6. rec. Mehus. 
) Ambros. Travers. epist. VI, 34. an den Benetianer Leonardo Giuſtiniani. 


III. Filelfo in Florenz. 181 


nahm er jede Verehrung wie einen ſchuldigen Tribut entgegen; gleich 
einem verzogenen Kinde ahnte er nicht, daß alle die dargebrachten Hul⸗ 
digungen eigentlich mehr auf der Hoffnung beruhten, die man auf ihn 
ſetzte, als auf ſeinen ſchon erworbenen Verdienſten. Er ſtolzirte durch 
die Straßen wie Einer, der den höchſten Lorbeer ſchon auf dem Haupte 
trägt und der mit Verachtung auf die neidiſchen Bekläffer ſeines Ruh⸗ 
mes herabſieht.) Daß er das Genie ſeiner Zeit ſei, war bei ihm 
ſchon früh zur fixen Idee geworden; daher feine kindiſche und ganz 
lächerliche Ruhmredigkeit, die ihn auch noch als Greis nicht verlaſſen 
hat. Es iſt natürlich, daß er ſich Gegner in Fülle zuzog, es iſt auch 
begreiflich, daß die erſte Geringſchätzung, auf die er ſtieß, alle böſen 
Geiſter des Argwohns, des Haſſes und der Wuth in ſeiner Seele 
weckte. 

Ohne Frage war es anfangs nur Wißbegierde, wenn ſich in der 
Schule Filelfo's unter den Zuhörern, deren 200 und mehr zu fein 
pflegten, auch Niccoli und Carlo d' Arezzo einfanden. Filelfo ſelbſt 
aber erſchienen ſie verdächtig, er war überzeugt, daß der Neid ſie trei⸗ 
ben müffe und daß fie ihm nur einen Fehler oder eine Schwäche ab⸗ 
lauern wollten. Dem ſchweigſamen Carlo mißtraute er beſonders, von 
Niccoli war er noch geneigt anzunehmen, er ſei mehr ein alberner 
Schwätzer als ein hinterliſtiger Menſch.) Ganz falſch hat er in der 
That nicht geſehen. Der begeiſterte Freudenrauſch, mit dem man ihn 
empfangen, konnte nicht andauern, man lernte ihn kennen und die 
Meinung über ihn war bald, wie ſie Traverſari einmal ausſprach, er 
ſei doch voll griechiſcher Eitelkeit und Leichtfertigkeit, rede von ſich ſelbſt 
immer gewaltige Dinge, nnd ſei das Lob auch wahr, fo müſſe es doch 
aus feinem Munde mißfallen.) Auch ſchien er mehr auf Lohn und 
Geld zu ſehen, als ſich für einen edlen Geiſt ſchicken wollte. Einſt 
las er, wie das gewöhnlich war, unter literariſchen Freunden etwas 
von ſeinen Compoſitionen vor, in der Erwartung, daß jedem Wort ein 


)— — — — — ——— quod solus honore 
Inter mille viros meritis et laude vigentes 
Augeor. — Francis ei Philelfi Satyrarum Dec. I. hec. 6. Ich be⸗ 
nutze die Venetiis, 1502. 40. erſchienene Ausgabe der Satiren. 
) Filelfo an Aurispa v. 31. Juli 1429 und an Tommaſo von Sarzana vom 
1. Octob. 1432. Die Briefe der früheren Zeit find nach dem Datum in allen Aus⸗ 
gaben leicht zu finden. 
) Ambros. Travers. epist. VI, 26 an Leonardo Giuſtiniani. 


182 1. Filelfo in Florenz. 


enthuſiaſtiſcher Beifall geſpendet werden müſſe. Niccoli aber unterbrach 
ihn öfters mit Einwürfen, ja er konnte einige bittere und ſpöttelnde Be⸗ 
merkungen nicht unterdrücken. Das war das Signal zum wüthendſten 
Kampfe. Filelfo beſchwerte ſich, er nannte Niccoli einen Verletzer der 
Freundſchaft, einen Ignoranten, einen Undankbaren, letzteres, weil er, 
Filelfo, den vorher unbekannten Mann durch ſeine lobenden Briefe in 
der Welt berühmt gemacht habe. Er ſchrieb unter andrem Namen 
eine giftige Satire gegen ihn!) und hatte die Keckheit, fie mit einer 
Dedication an Traverſari zu verſehen, obwohl er wußte, wie befreun⸗ 
det dieſer mit Niccoli war. Er wollte aber die ſchmutzigen Ver⸗ 
brechen, deren er Niccoli bezüchtigte, durch den angeſehenen Namen des 
Eamaldulenſers gleichſam ſanctioniren, und es ſollte ſcheinen, als habe 
dieſer den Impuls zur Läſterſchrift gegeben. Ambrogio proteſtirte da⸗ 
gegen: die Satire könne nur als Verleumdung und ihr Verfaſſer als 
Lügner bezeichnet werden. Trotzdem veröffentlichte Filelfo ſein Mach⸗ 
werk ſammt der Debication.?) Nun galt ihm auch Traverſari als 
entſchiedener Feind. Diefer überſetzte damals des Diogenes von Laerte 
Nachrichten von berühmten Philoſophen, Filelfo hatte ihm über ſchwie⸗ 
rigere Dinge Auskunft gegeben und insbeſondre verſprochen, die Ueber⸗ 
tragung einiger in das Werk eingefügter Verſe zu übernehmen.) Die⸗ 
fen Umſtand nun veröffentlichte Filelfo in einer ſpitzigen Satire, in 
welcher er Traverſari als einen aufgeblaſenen Menſchen brandmarkte, 
der ſich mit fremden Federn ſchmücken wolle; er rieth ihm, die Verſe 
felbſt zu überſetzen und könne er das nicht, es entweder zu lernen oder 
ſie ganz auszulaſſen oder in Proſa wiederzugeben; am beſten werde er 
es überhaupt unterlaſſen, ein profanes Werk zu überſetzen, und ſich lie⸗ 
ker mit feinem prieſterlichen Amte beſchäftigen, was einer Capuze beffer 
zieme als die gelehrte Profeſſion. Auch war es wohl wieder ein Act 
überlegter Bosheit, wenn er dieſe Satire an Manetti, den Schüler 
Traverſari's, richtete.) 


) In Nicolaum Nichilum cognomine Lallum, fie iſt nicht gedruckt. Traver⸗ 
ſari nennt fie orationem — — omnium, quas unquam legerim, teterrimam, im- 
pudentissimam atque acerbissimam. — 

: ®) Ambros. Travers. epist. VI, 21. an Franc. Barbaro. 

) Sein Brief an Ambrogio vom 30. Mai 1430 bei Carlo de’ Ros mini 
Vita di Franc. Filelfo da Tolentino. Milano, 1808. T. I. p. 117, und v. 2. Mai 
1483 in den Sammlungen der Briefe Filelfo's und unter den Briefen e 
XXIV, 43. Vespas iano Ambrog. Camald. 5 4. | 

) Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 7. 


III. Filelfo in Florenz. 183 


Es wurde zu Florenz ein Libell gegen Filelfo verbreitet, als deſſen 
Gerfaſſer Poggio, der Freund Niccoli's, nicht leicht zu verkennen war. 
Filelfo forderte Rechenſchaft von ihm, ob er »das alberne und unſin⸗ 
mige Zeug“ geſchrieben. Poggio geſtand es nicht offen zu, aber er 
‚wehrte die Vermuthung auch nicht ab: Filelfo möge nicht glauben, 
daß er allein die Erlaubniß habe zu ſchimpfen und zu verleumden, daß 
niemand im Stande ſei, ſeinen Schmähungen gegen Niccoli zu ant⸗ 
worten.) 

So waren nun vier der angeſehenſten Männer ſchon entfchiebene 
Feinde des übermüthigen Tolentiners, obwohl Traverſari wenigſtens in 
‚öffentlichen Aeußerungen noch einige Mäßigung behielt und auch feinen 
lieben Niccoli nicht von aller Schuld freiſprechen mochte. In den ver⸗ 
trauten Briefen an dieſen freilich zeigte er ſich mit den Gegnern 
Filelfo's durchaus einverſtanden; jo machte er von Venedig aus den 
Vorſchlag, als Lehrer des Griechiſchen Georgios Trapezuntios in Sold 
zu nehmen und ſo Filelfo zu verdrängen.) Der Einzige, der noch 
mit dieſem hielt, war Lionardo Bruni, weil er eben damals mit 
Niccoli wegen der Benvenuta geſpannt war. Jene Feinde aber waren 
zu Filelfo's Unheil gerade die Günſtlinge der Medici, und Filelfo 
meinte alsbald die Rückwirkung auf dieſe zu verſpüren. Weil Coſimo 
ihm zurückhaltend, ernſt und wortkarg erſchien, traute er ihm alles 
Schlimme zu, obwohl ſein Söhnchen Piero Filelfo's Schüler war.“) 
Doch hielt es dieſer noch für möglich, Coſimo den Einflüſſen zu ent⸗ 
ziehen, die Niccoli, Poggio und Marſuppini auf ihn übten. An 
Lorenzo de Medici dagegen glaubte er eine unverhohlene Abneigung zu 
bemerken; er ſah bei Seite, wenn Filelfo ihn grüßte.) Noch deut⸗ 
licher war die Ungunſt, in die unſer Gelehrter bei den Mediceern ge⸗ 
fallen war, darin zu erkennen, daß durch ihren Einfluß jetzt Carlo 
d'Arezzo auf den Lehrſtuhl der Eloquenz gerufen und fo handgreiflich 
als ſein Nebenbuhler aufgeſtellt wurde. Wirklich gelang es Marſuppini, 
feine Schule mit dem gläaͤnzendſten Erfolge zu eröffnen und Filelfo's 


) Der Brief Poggio's an Filelfo in ſ. Opp. p. 187, anch in Poggii Epistt. 
LVII. epist. 29. 
2) Ambros. Travers. epist. VIII, 46. 
) Filelfo an den Cardinal von n Bologna (Albergati) v. 22. aa: 1432. 
ef. Satyr. Dec. II. hec. 1. 
) Filelfo an Traverſari v. 2 Mai 1433 a. a. O., an Piero de Medici vom 
7. Mai 1433 bei Ros mini l. c. p. 118. 


— 


18⁴ f III. Filelfo in Florenz. 


bittern Neid zu erregen, da die gelehrteſten Männer von Florenz 
und von der apoſtoliſchen Curie fih nun vor feiner Katheder ein⸗ 
fanden, Nepoten des Papſtes und einiger Cardinäle.) Auch war ein 
Anſchlag gemacht worden, Filelfo durch Verminderung ſeines feſten 
Soldes zum freiwilligen Abzug zu bewegen.) Mit viel Geſchick wurde 
die finanzielle Frage mitangeregt, es wurden Bedenken erhoben, ob 
Filelfo's Wirkſamkeit feinem hohen Salar entſpreche. Morſuppini 
verlangte nur den dritten Theil deſſelben und erbot ſich zu denſelben 
Vorleſungen.) Man wollte, wie es ſcheint, das öffentliche Aufſehen 
vermeiden. Aber Filelfo ſelbſt wurde durch alle dieſe kleinen Reizun⸗ 
gen wie toll und blind. Er nahm den Mund voller als je, wenn er 
von ſeinem eigenen Ruhme ſprach, wurde immer giftiger gegen Niccoli 
und Carlo d' Arezzo, die er in Briefen und Satiren immer ſchaamloſer 
und verletzender höhnte.) Nun miſchte er ſich auch in das Partei⸗ 
weſen der Republik, griff in ſeinen Satiren die Volkspartei und die 
Mediceer an, insbeſondre Coſimo, den er keck verwarnte, auf ſei⸗ 
nen Reichthum nicht zu viel zu bauen und an Kröſus' Schickſal zu 
denken.) 

Als Filelfo eines Morgens nach dem Gebäude der Hochſchule ging, 
ſprang ein Meuchelmörder, in die Tracht eines florentinifchen Kauf 
mannes vermummt, mit dem Schwert auf ihn los, wurde indeß von 
dem Angegriffenen durch einen ſtarken Stoß auf die Bruſt abgewehrt 
und entkam. Wer er war, blieb nicht unbekannt: er hieß Filippo, 
ſtammte aus Caſale am Po und war ein notoriſcher Bandit. Auch 
wußte man, wer ihn gedungen: ein gewiſſer Girolamo Broccardo aus 
Imola. Aber wer hatte dieſen angeſtiftet? Filelfo war überzeugt, daß 
die Medici darum gewußt, er behauptete, jener Broccardo ſtehe mit 
Lorenzo de' Medici, Marſuppini und Niccoli in Verbindung. Er 
kannte ſeitdem keine Schranken ſeines Haſſes mehr.) Der Vorfall 


) Vespasi ano: Carlo d' Arezzo $ 1. Franc. Filelfo 5 2. Poggio Fioren- 
tino $ 3. 

) Filelfo an Coſimo d' Medici v. 1. Mai 1433. 

) Philelfi Satyr. Dec. I. hec. 6. 

*) Mehus Vita Ambr. Travers. p. 61. gedenkt außer den gedruckten Satiren 
zweier ungedruckter, die Filelfo gegen Niccoli richtete. 

) Satyr. Dec. I. hec. 3. 

) Sein Brief an Aeneas Sylvius v. 28. März 1439, Poggius Invectivs 
III in Philelphum (Opp. p. 181) nimmt als ausgemacht an, daß Broccardo, weil 
ihn ſelbſt Filelfo vielfach gekränkt, den Bravo gedungen. 


IM. Filelfo und die Florentiner. 185 


aber wurde vergeſſen, als im September 1433 eine Staatsrevolution 
alle Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Die Nobili ſetzten ſich durch einen 
geſchickten Handſtreich in den Beſitz der Gewalt, Coſimo de' Medici 
mußte als ein Gefangener ſein Schickſal erwarten. Nun brach Filelfo 
in vollen Jubel aus, ſein prophetiſches Wort ſchien eingetroffen und 
der Tag der Rache gekommen. In einer Satire, die er an das Haupt 
der ſiegenden Partei, an Palla degli Strozzi richtete, ſchalt er dieſen 
der mattherzigen Milde wegen, die ſich mit der Verbannung des ge⸗ 
ſtürzten Demagogen begnügen wollte, er forderte den Tod.) 

Coſimo ging damals nach Venedig ins Exil. Seine literariſchen 
Freunde blieben auch bei den Strozzi und Albizzi in Anſehen, mußten 
ſich aber freilich gefallen laſſen, daß der triumphirende Filelfo jetzt ſei⸗ 
nen ganzen Uebermuth an ihnen ausließ und beſonders Marſuppini 
und Niccoli unaufhörlich geißelte und nun auch Poggio, der ſich des 
alten ſchwergekränkten Niccoli in dieſer Zeit der Noth annahm. Die 
Vergeltung blieb doch nicht aus. Bekanntlich wurde Coſimo nach Ab⸗ 
lauf kaum eines Jahres durch die gebieteriſche Stimme des Volkes 
zurückgerufen. Seine Feinde machten ſich davon, ſobald er ſich der 
Stadt näherte, unter ihnen Filelfo. Wäre ich geblieben, ſagte er, ſo 
wäre es um die Muſen und um Filelfo geſchehen geweſen. Siena 
hatte ihn an ſeine Hochſchule berufen.) Jetzt vergalt ihm Poggio 
reichlich die Beleidigungen und Läſterungen, die Filelfo über die floren⸗ 
tiniſchen Freunde ausgeſchüttet. Gegen ſein Talent zu ſchmähen kam 
Filelfo nicht auf, zumal da Poggio ſich in ſeinen Invectiven der Proſa 
bediente und die Terminologie des Schmutzes erſchöpfte, während Fi⸗ 
lelfo bei den zierlichen Verſen der Satire blieb, die an ſich der Roh⸗ 
heit des Ausdrucks eine gewiſſe Schranke ſetzte. 

Wir kommen wohl noch mehrmals auf dieſe Literatur der Invec⸗ 
tiven zurück und gedenken im Ganzen den Leſer, der ſich eine Anſchauung 


) Quid facis, o Palla? quo te clementia cursu 
Praecipiti culpanda trahit? pater optime, Mundo (i. e. Cosmo, Cosimo) 
Ignovisse paras? nescis portenta latronis, 
Immani quae mente latent? — — lam desine, Palla, 
Deeretam prohibere necem etc. 
Satyr. Dec. III. hec. 1. 
) Vergl. ſ. Brief aus Siena an Leonardo Giufimiani v. 31. Jan. 1435. 
Satyr. Dec. IV. hec. 9: — — — ibimus et nos 
Hinc propere: nee enim nostras fore duco quietas 
Pieridas sicas inter virusque dolosum. 


* 


186 Hl. Filelſo und die Florentiner. 


von ihr erwerben will, auf die Werke ſelber zu verweiſen. Nur die 
Maßloſigkeit der Beſchuldigungen, die ſchwerlich zu einer andern Zeit 
ihresgleichen gehabt hat, wünſchten wir gleich hier zu betonen. Es 
giebt ſchlechterdings keine Rückſicht, die der Feder eines Poggio — und 
ſeine Gegner Filelfo und Valla thaten es ihm ziemlich gleich — ſcho⸗ 
nendes Schweigen geboten hätte. Vater, Mutter und Gattin werden 
in den Kreis der Schmähung und Verleumdung mitgezogen. Die Sitt⸗ 
lichkeit des Angegriffenen wird durch die unglaublichſten Vorwürfe und 
Verdächtigungen geſchändet und die Anführung ſpecieller Fälle und 
Namen muß ihnen Leben und Wahrſcheinlichkeit geben. Filelfo ſoll 
von einem halbverhungerten Weibe im Ehebruch mit einem Prieſter 
erzeugt ſein. Er ſoll zu Padua, wo er Gasparino's Schüler geweſen, 
mit Knütteln aus der Stadt gejagt ſein, weil er einem Jüngling mit 
unkeuſcher Begierde nachgeſtellt. Er ſoll in Konſtantinopel die Tochter 
des Joannes Chryſoloras, der ihn gaſtfreundlich aufgenommen, erſt 
entehrt und fe zur Heirath gezwungen, feinen Schwiegervater Bücher 
und andre Dinge geſtohlen haben. Er ſoll in Venedig den Leonardo 
Giuſtiniani um dargeliehenes Geld betrogen haben und dafür zu Flo⸗ 
renz eingekerkert ſein. Er ſoll zu Florenz, in Bruni's Bibliothek allein 
gelaſſen, einige Kleinodien entwendet haben, die der Gattin deſſelben 
gehörten. Poggio weiß von einem florentiniſchen Jüngling zu erzählen, 
mit dem Filelfo das ſchändlichſte Spiel getrieben, und er fügt hinzu: 
„Lüge ich etwa? Erfinde ich etwas? Füge ich der Wahrheit etwas 
hinzu? Nein, der Jüngling lebt und bekennt die Sache. Es find Zeu⸗ 
gen da, welche ſie gehört, deren Namen auch wider ihren Willen zu 
veiner ewigen Schmach ausgeſprochen werden könnten.) 


) Zu andern Proben mag die lateiniſche Sprache herhalten. Mater (Philelphi) 
Arimini dudum in purgandis ventribus et intestinis sorde diluendis quaestum 
fecit. Haesit naribus filii sagacis materni exercitii attrectata putredo et con- 
tinui stercoris foetens habitus. — Puerorum atque adolescentum amores ne- 
fandissimos sectaris, non mulierum. — Tu discipulorum tuorum maritus eandem 
artem calles, quam ab ineunte aetate exercuisti. Tu inguam adolescentes non 
ad scholam doctrinae, sed ad libidinum diversorium studiorum ostentatione at- 
trahere consuevisti, quos non solum tuae libidini effrenatae subdis, sed etiam 
aliis prostituere solitus es ad ampliorem mercedem salarii consequendam. — 
Pusionem, quem amabas hac in urbe, inter te et uxorem in eodam lecto sae- 
pius collocasti ete. — Die Imvectiven Poggio's gegen Filelſo in der Ausgabe 
der Werke des erſteren Basileae, 1538. p. 164 sg. Vergl. die Briefe Poggio's im 
Spicileg. Roman. T. IX. p. 628 8. 


II. Filelſo und die Florentiner. 187 


Die Wuth der literariſchen Kämpen wollte auch dann nicht nach⸗ 
laſſen, als Florenz und Filelfo völlig geſchieden waren. Und es blieb 
nicht lediglich beim Federkriege, wenn wir auch zugeſtehen wollen, daß 
Filelfo's erhitzte Phantaſie die gegen ihn gerichteten Verfolgungen über⸗ 
trieben haben mag. Es fanden ſich zu Siena viele der aus Florenz 
vertriebenen Nobili zuſammen, die politiſchen Feinde der Medici mach⸗ 
ten mit den literariſchen gemeinſchaftliche Sache. In einer Rede voll 
Feuer und Gift rief Filelfo die verbannten Florentiner zu einem be⸗ 
waffneten Angriff auf die Stadt und den Herzog von Mailand zur 
Hülfe auf. Wir leſen dieſe Rede in einer Abſchrift, die ſich Rinaldo 
degli Albizzt, das Haupt der Faction, mit eigener Hand genommen.) 
Zugleich ſpie Filelfo unaufhörlich in Satiren gegen Cofimo, Marſup⸗ 
pini, Niccoli und Poggio feine Galle aus. Er wurde kvaft eines gegen 
Rebellen gerichteten Geſetzes förmlich aus Florenz verbannt.) Bei 
einer ſolchen Erbitterung der Gemüther will es uns ganz glaubhaft 
erſcheinen, wenn wir noch einmal von Gift und Dolch hören. Etwa 
zehn Monate ſeit Filelfo's Flucht aus Florenz ließ ſich in Siena wie⸗ 
der jener Filippo, der Bravo, ſehen, der in verdächtiger Weiſe Erkun⸗ 
digungen über die Lebensweiſe des jungen Profeſſors einzog. Er wurde 
ergriffen, torquirt und durch Abhauen der Hand beſtraft, geſtand auch 
ſeine Abſicht, Filelfo zu ermorden, aber die letzten Knüpfpuncte des 
Fadens blieben in ein undurchdringliches Geheimniß gehüllt. Filelfo 
ſchuldigte ganz offen die Medici und ſeine florentiniſchen Rivalen an, 
er behauptet auch, daß man ihm, wie früher in Florenz, ſo jetzt in 
Siena mit Gift nach dem Leben geſtellt.) 

Daß Coſimo um ſolche Anſchläge gewußt haben ſollte, vermögen 
wir nicht zu glauben. Er ſtand zu hoch über dem Literatengezänke, 
er ſah nur auf das Talent und auf ſeine Fähigkeit, den Staat zu ver⸗ 
herrlichen. Im September 1437, als Niccoli, Filelfo's Hauptgegner, 


) Dieſes auf der Ambroſiana befindlichen Exemplars v. 15. Novemb. 1437 ge⸗ 
denkt Ros mini l. c. T. I. p. 97 nimmt aber, immer ſehr ſchaamhaft, wegen der 
molte orribili oscenità Anſtand, Mittheilungen aus der Rede zu machen. Den 
Hauptinhalt wiederholt Filelfo auch Satyr. Dec. V. hec. 8. 

) Vespasiano im Spicil. Roman. T. I. p. 551. 573. 637. Tiraboschi 
T. VI p. 1511. Filelfo ſelbſt ſpricht im Briefe an Coſimo v. 4. Juli 1440 von einer 
publica proscriptio. 

) Sein Brief an Aeneas Syloius vom 28. März 1439. Satyr. Dec. V. 
hec. 6. 10. 


188 III. Filelfo und die Florentiner. Trapezuntios. 


nicht mehr unter den Lebenden war, ließ der Mediceer ſogar durch 
Traverſari neue Verhandlungen mit Filelfo anknüpfen und lud ihn zur 
Rückkehr ein. Hätte er dabei Arges im Sinne gehabt, wie Filelfo 
meinte, ſo hätte er ſich ſchwerlich gerade des Camaldulenfergenerals 
zur Vermittelung bedient. Aber des Verbannten Antwort war entſchie⸗ 
den und ſtolz: „Coſimo braucht Dolch und Gift gegen mich, ich meinen 
Geiſt und meine Feder gegen ihn.“ — „Ich will nicht Coſimo's Freund- 
ſchaft und verachte feine Feindſchaft. ") 

Nach ein paar Jahren hatte ſich die Wuth des Dichters ſchon ſo 
weit gekühlt, daß er ſelbſt dem vielgeſchmähten Coſimo die Hand zur 
Verſöhnung bot, freilich im hochmuͤthigſten Tone; denn er ſtellte ſich 
mit ihm auf eine Stufe und prahlte, der Mediceer werde durch ſeine 
Rückberufung unſterblichen Ruhm erlangen, das Volk von Florenz aber 
werde nach der Verſöhnung der beiden Feinde für ewig in Glückſelig⸗ 
keit leben.) Wirklich ſollte damals durch einen Beſchluß der Signoria 
Filelfo's Verbannung wiederrufen werden, aber der Herzog von Mai⸗ 
land, der ſeinen Hofdichter nicht verlieren wollte, hintertrieb die Sache.“) 
Indeß finden wir in ſpäteren Jahren Filelfo mit den Medici völlig 
ausgeſöhnt und in freundſchaftlicher Verbindung. | 

Wir ſchließen die Reihe von Gelehrten, die ſich als Trabanten 
um die mediceiſche Sonne bewegten, mit den beiden Griechen, die zu 
Vorleſungen an die Hochſchule berufen wurden. Zur Zeit des Unions⸗ 
concils lehrte hier Georgios Trapezuntios — denn ſo pflegte er 
ſich- mit einem Geſchlechtsnamen zu nennen, obwohl Kreta ſein eigent⸗ 
liches Vaterland war — unter großem Zulaufe griechiſche Grammatik 
und z lateiniſche Rhetorik, Logik und Dialektik. Außer den öffentlichen 
Vorträgen hielt er mit ſeinen Scholaren private Uebungen. Doch ge⸗ 
hörte er zu denen, die von der Republik eben berufen und beſoldet 
wurden, ohne ſich bei ihren Häuptern einer weiteren perſönlichen Gunſt 
zu erfreuen.) 

Die Wirkſamkeit des Joannes Argyropulos beginnt freilich 


) Seine Briefe an Ambrogio Traverſari v. 1. Octob. und 9. Decemb. 1487 
in den Sammlungen der eee Briefe, auch unter denen Traverſari's. XXIV, 
44. 45. 

) Sein Brief an Coſimo v. 4. Juli 1440. Satyr. Dec. VII. hec. 7. 8. 

) Filelfo's Brief an Lorenzo de' Medici v. 20. Mai 1478 bei Ros coe the 
life of Lorenzo de’ Medici Append. n. XXIX. 

) Vespasi ano: Giorgio Trabisonda 8 1. 


IT. Argyropulos in Florenz. 189 


erſt in der Zeit, die hier beleuchtet werben ſoll, reicht aber, da er ſehr 
alt wurde, deſto weiter in die Zukunft hinaus. Er erklärte dem ver⸗ 
bannten Palla degli Strozzi die Schriften des Ariſtoteles, wurde 1456 
von Coſimo nach Florenz berufen und lehrte hier, nach zehn Jahren 
mit dem Bürgerrecht beſchenkt, die peripatetiſche Philoſophie. An Feſt⸗ 
tagen zog er, von feinen beiten Schülern umringt, nach dem mediceiſchen 
Balafte, um vor dem alten Coſimo, den damals ſchon die Gicht an 
das Zimmer feſſelte, über die Unſterblichkeit der Seele und andre Ma⸗ 
terien der Philoſophie und Theologie zu disputiren. Piero, Coſimo's 
Sohn, und der große Lorenzo, ſein Enkel, Donato Acciajoli, ſpäter in 
Rom Agnolo Poliziano und Johann Reuchlin waren des Argyropulos 
Schüler. Er war ohne Zweifel der talentvollſte unter den Griechen, die 
ſich nach Italien überſiedelt, aber ein echter Byzantiner: launiſch, prah⸗ 
leriſch, unzuverläſſig, unverträglich, außerdem als Freſſer berüchtigt. 
Biſſig und anmaßend wie die meiſten ſeiner Landsleute, erklärte er ein⸗ 
mal, nur um die Italiener zu ärgern, Cicero ſei in der griechiſchen 
Sprache wie in der Philoſophie völlig unwiſſend geweſen. Nur in 
einem Punct erkannte er ſehr bereitwillig die Ueberlegenheit der Latei⸗ 
ner an, im Glauben; denn wiederum wie die meiſten ſeiner Landsleute 
ſchwor er nicht nur ſeine griechiſchen Ketzereien ab, ſondern bewies auch 
durch eine beſondre Streitſchrift das Ausgehen des heiligen Geiſtes 
vom Vater und vom Sohne.) 

So iſt Florenz auch die erneute Heimath der helleniſchen Literatur 
geworden und ſo konnte am Schluſſe des fünfzehnten Jahrhunderts 
Agnolo Poliziano den florentiniſchen Bürgern zurufen: „Ihr ſeid es, 
Männer von Florenz, in deren Staat alle griechiſche Bildung, die in 
Griechenland ſelbſt längſt erloſchen war, ſo ſehr wieder auflebte und 
aufblühte, daß ſchon Männer aus eurer Mitte öffentlich die griechiſche 
Literatur lehren und daß Knaben aus eurem beſten Adel, was ſeit 
tauſend Jahren in Italien nimmer geſchehen, ſo rein und leicht die 
attiſche Sprache reden, daß Athen nicht zerſtört und von den Barbaren 
eingenommen, ſondern freiwillig, von ſeinem Boden losgeriſſen und mit 
allen ſeinen Bildungsmitteln nach Florenz hinübergewandert und in 
Florenz völlig aufgegangen ſcheint.“ 

Wir werfen nur einen flüchtigen Blick auf die bildende Kunſt, die 


) Vespasiano: Cosimo de’ Medici $ 26. Mehus vita Ambr. Travers. 
p. 220. Hodi us de Graecis illustr.. Lib. I. cp. 1. Tiraboschi T. VI p. 511. 


190 III. Alberti. 


der freigebigen Unterſtützung mehr noch bedarf als die Wiſſenſchaft 
und bekanntlich unter dem mebiceifchen Fittig jenen erhabenen Flug 
nahm, den wir heute noch bewundernd anftaunen. Ihre neuere Ge 
ſchichte beginnt in Florenz, in der Wiege des wiedergeborenen Alter⸗ 
thums. | i 
Als Vermittler gleichſam zwiſchen Literatur und Kunſt ſteht det 
wunderliche Leo⸗Battiſta degli Alberti da. Nur Florenz konnte 
einen Menſchen erzeugen und heranbilden, der aus fo mannigfachen uns 
bunten Elementen zuſammengeſetzt war. Züge, die man unter hundert 
der verſchiedenſten und eigenthümlichſten Männer der Republik zerſtrent 
beobachten mochte, ſchien er alle in ſeiner Perſon zu vereinigen, er war 
Florentiner durch und durch. Schon in jungen Jahren zeigten ſich 
ſeine vielſeitigen Talente. Wenn er ſich mit Andern in den Künſten 
des Balles und der Schleuder, im Laufen, im Erſteigen ſteiler Höhen, 
im Ringen und Springen übte, konnte keiner der Genoſſen es ihm 
gleich thun. Er machte die erſtaunlichſten Jongleurſtückchen. Er führte 
die Waffen wie der geſchickteſte Fechtmeiſter, er war der Gewandteſte 
in allen Reiterkünſten, man ſah die wildeſten Pferde unter ſeinen Schen⸗ 
keln alsbald heftig zittern. Er bildete in Thon und Wachs, er malte, 
er muſicirte, Alles ohne je einen Lehrer gehabt zu haben. Er ftubirte 
die Werke der tusciſchen und der lateiniſchen Literatur. Zu Allem 
fand er Zeit und Mittel, aber nichts konnte ihn auf die Länge beſchäf⸗ 
tigen. Bald war er in ſeinem entzückten Eifer vom Buche nicht loszu⸗ 
reißen, bald war ihm das Studium fo widerlich und das Loben fo 
lockend, daß die Buchſtaben ihm wie häßliche Scorpionen ausſahen. 
Dieſelbe Vielſeitigkeit und Unſtätigkeit blieb auch ſeinem reiferen 
Lebensalter eigen. Einige Jahre lang ſtudirte er die Rechte, vielleicht 
gedrängt durch Verwandte und durch die Nothwendigkeit, an eine Ver⸗ 
beſſerung ſeiner dürftigen Lage zu denken. Aber er blieb nicht dabei 
und ſcheint auch während des Studiums immer noch jeder Laune ge⸗ 
huldigt zu haben, die ihn überkam. So ſchrieb er, etwa zwanzig Jahre 
alt, eine lateiniſche Comödie (fabulam Philodoxeos), die er Scherzes 
halber unter dem Namen eines antiken Verfaſſers Lepidus verbreitete. 
Etwa im vierundzwanzigſten Jahre begann er ſich vorzugsweiſe auf 
Mathematik und Phyſik zu legen. Doch wiederum verfaßte er inzwi⸗ 
ſchen allerlei kleine Abhandlungen philoſophiſchen Inhalts und in latei⸗ 
niſcher Sprache, ferner Reden, Elegien, Eclogen, Liebesgeſchichten und 
Liebesgedichte, Hexameter und Sonette, heitre und frivole Tiſchreden 


III. Alberti. 191 


fintercoenales), bald in etruriſcher, bald in lateiniſcher Sprache. In 
keiner von beiden hat er es weit gebracht; denn auch das tussciſche 
Hlom mußte er erſt mühſam lernen, da die Familie der Alberti lange 
außerhalb Italiens in der Verbannung gelebt, immer ließ er feine 
italieniſchen Erzeugniſſe erſt von Freunden corrigiren.) Höher als 
jene Schriften, die verloren oder in verſchiedenen Bibliotheken zerſtrent 
find, werden feine Werke über Baukunſt, über Malerei und Statnen 
geſchätzt, und was er als Geograph, Geometer, Optiker und praktiſcher 
Baumeiſter geleiſtet. Die künſtleriſche Anlage war durchaus überwie⸗ 
gend. Für Alles, was ſchöne Formen, Eleganz oder Würde zeigte, 
hatte er den lebhafteſten Sinn, für wohlgeſtaltete Menſchen und Thiere, 
für fchöne Blumen und Gegenden. Auch ftrebte er ſelbſt darnach, ſich 
edel und grazids darzuſtellen, zumal im Gehen und Reiten. Bei der 
Fülle des Dranges zerſplitterte er ſeine Talente und Studien in aller⸗ 
lei Kleinigkeiten. Wenn er einem Schreiber dictirte, malte er dabei 
fein Geſicht oder formte irgend ein Werkchen aus Wachs. Seine 
höchſte Luft war, Freunde durch feine optiſchen Kunſtſtückchen zu über- 
raſchen; er nannte das „Borftellungen«, wenn er zum Beiſpiel vermit- 
tels künſtlicher Gläſer kleine landſchaftliche Bilder vergrößert, in tiefſter 
Perſpective und in erſtannlicher Naturwahrheit ſehen ließ. 

Sein Leben in Florenz war das eines Mannes, den Künſtlerlau⸗ 
nen mitumter ſchwierig machen. Bald ſah man ihn allein, ſchweigſam 
und trübe durch die Straßen ſchleichen, und dann war er wieder höchſt 
liebenswürdig im Geſpräch, voll Laune und Witz. Bald war er reiz⸗ 
bar und leicht gekränkt, bald tröftete er ſich, wurden feine Werke ein⸗ 
mal getadelt, lachend damit, daß keiner es beſſer mache, als er könne. 
Mit den Humaniſten, zumal mit Bruni und Poggio, mit dem ſtädti⸗ 
ſchen Notar Leonardo Dati und mit den Medici ſtand er friedlich und 
freundſchaftlich, von Carlo Marſuppini dagegen glaubte er ſich nichts 
Gutes verſehen zu dürfen.) Wäre es ihm gegeben worden, einen be⸗ 
ſtimmten Weg zu betreten und zu verfolgen, fein Name gehörte viel⸗ 
leicht zu den größeſten des Jahrhunderts.“) 


) ef. Leonardi Dathi epist. 13. recens. Mehus. Florentiae, 1743. 

) Leon. Bruni epist. IX, 10. Poggii epist. 22. im Spicileg. Roman. 
T. X. Facius de vir. illustr. p. 13. 

) Vita Leonis Bapt. Alberti ap. Muratori Scriptt. T. XXV p. 295 8. 
Leider iſt dieſe Biographie, die ſich auch bei Vaſari findet, ſo verwirrt und unvoll⸗ 
ſtändig wie das Leben des Mannes ſelbſt. v. Corniani i secoli della Letter. 
Ital. T. I. p. 166. | 


192 III. Florenz und die antike Kunſt. 


Was die florentiniſche Kunſt betrifft, ſo weiß der Leſer, wo er 
ſich guten Rathes erholen kann. Nur wenige Worte mögen hier auf 
ihren Zuſammenhang mit dem literariſchen Treiben der Republik hin⸗ 
deuten. Es iſt bekannt, welche Bewunderung die dritte Thüre der 
Taufcapelle von San Giovanni zu allen Zeiten gefunden hat, ſie iſt 
es, die Michelangelo für ſchön genug erklärte, um an den Pforten des 
Paradiſes zu ſtehen. Iſt es Zufall, daß die bildneriſche Phantaſie 
des Lorenzo Ghiberti zu dieſem Zwecke in Verbindung trat mit dem 
theoretiſchen Gutachten eines Lionardo d' Arezzo, daß Männer wie Nic⸗ 
coli und Traverfari ihr Wort über den Entwurf mitredeten?) Wir 
dürfen ferner nur Brunelleschi's Namen nennen, um die Wiedergeburt 
der griechiſchen Architektonik, nur den Donatello's, um die Wiederher⸗ 
ſtellung der Bildhauerkunſt nach dem Muſter der Antike zu bezeichnen. 
Donatello war es, der von den florentiniſchen Freunden über den 
Schönheitswerth antiker Statuen zuerſt befragt wurde, der zuerſt ſei⸗ 
nem hohen Gönner Coſimo den Gedanken eingab, die Werke der alten 
Meiſter anzukaufen und vom Untergange zu retten. Trotz glänzenden 
Anerbietungen wollte er fein Florenz nicht verlaffen, um hier bei den 
kritiſchen Kennern des Alterthums ſtets Belehrung und neuen Muth 
ſchöpfen zu können, und dankbar, wenn auch nicht ſehr treffend, nannte 
die Republik dieſen Meiſter des Marmors ihren Zenxis. 

Was brachte denn, fragen wir uns, gerade in Florenz das litera⸗ 
riſche und künſtleriſche Treiben in ſo regen Fluß, warum blühte hier 
das Alterthum früher und voller wieder auf als irgendwo ſonſt, wodurch 
wurde die Arno⸗Stadt die Metropole der modernen Bildung? Wir 
haben auf die Verdienſte des florentiniſchen Adels, auf den hohen Mä⸗ 
cenat des mediceiſchen Hauſes bereits hingewieſen. Damit iſt der 
Grund jener Erſcheinung nicht erſchöpft. Die reiche Protection allein 
wird den Wiſſenſchaften und Künſten ſelten mehr als ein Scheinleben 
geben können, weil das Auswirken des Geiſtes und das Durchdringen 
der Maſſe durch ein höheres Element Dinge ſind, die ſich nicht erkün⸗ 
ſteln oder durch Macht und Geld erzwingen laſſen. Die natürliche 
Begabung des tusciſchen Volksſtammes wollen wir nicht leugnen, aber 
als etwas Unbeweisbares hier auch nicht betonen. Florenz war, glau⸗ 
ben wir, in der That und ohne Zwang eine Republik, die mit den 


1) Ambros. Travers. epist. VIII, 9. Cicognara Storia della Scultura 
Lib. IV. cap. 4. | 


0 


III. Die Hochſchule zu Florenz. 193 


antiken Freiſtaaten eine entſchiedene Aehnlichkeit zeigte und darum wie 
aus Sympathie dem neubelebten Alterthum eine Freiſtätte, ja eine Hei- 
math darbot. Ein gewiſſer Drang der einzelnen und beſten Bürger, 
ihr Thun und ihre Leiſtungen für den Staat, zunächſt für die Stadt 
nützlich und ruhmvoll zu machen, der freudige Rückblick auf Alles, was 
die tusciſche Städtekönigin jemals Hohes und Herrliches hervorge⸗ 
bracht, der Wunſch, daß einſt die kommenden Geſchlechter nicht minder 
ſtolz auf die Jetztlebenden zurückblicken möchten, als dieſe auf ihre 
Ahnen ſeit Dante s Zeit, kurz ein öffentlicher patriotiſcher Sinn war 
die Eigenheit des florentiniſchen Bürgers, die ſich ſtärker und leuch⸗ 
tender im Adel, und im Hauſe Medici wie in einem e 
darſtellte. 

Für lirchliche und ſcholaſtiſche Bildung war im neuen Athen kein 
Raum mehr. Die Hochſchule war glänzend ausgeſtattet, gleich als 
zieme ſich das einmal für die glänzende Republik; der Ruhm Piſa's 
erblaßte immer tiefer vor der neueren Schöpfung. Im Jahre 1383, 
während Salutato die Staatscancelei lenkte, wurde beſchloſſen, den be⸗ 
rühmten Baldus nach Florenz zu rufen und zwar, wie es hieß, zur 
Ehre Tusciens, damit Tuscier nicht in andre Länder gehen dürften, 
um die Rechte zu ſtudiren.) Baldus freilich war der letzte unter den 
großen Juriſten der alten Schule, ſeit ſeinem Tode (am 28. April 
1400) gab es in der Rechtsgelehrſamkeit nur noch ein kümmerliches 
Epigonengeſchlecht. Männer wie Salutato, Bruni, Niccoli, Traverſari, 
Poggio oder Filelfo machten in Florenz ungleich mehr von ſich reden 
als die geſammte Hochſchule, obwohl dieſe um die Mitte des 15. Jahr⸗ 
hunderts über vierzig Lehrſtühle zählte.) Ihre Lichter, Männer wie 
der Arzt Paolo Toscanelli und der Juriſt Antonio de' Mincucci, 
lamen nicht auf gegen die ſtrahlenden Sterne des Humanismus. 

Wenig beachtet lebte in der Stadt der Schöngeiſter ein Mann, 
der fpäter um feines ſtillen Chriſtenthumes willen zu den Heiligen der 
Kicche geſellt wurde, der ehrwürdige Erzbiſchof Antoninus. Während 
der Adel in Gaſtmählern und Prunkreden ſchwelgte, gab es in ſeinem 
Hanfe nur Gefäße von Glas oder Thon, und er predigte dem armen 
Volke. Während das Heidenthum ſich bereits anſchickte, durch . 


1) Salutato's Brief an die Peruſiner v. 19. Juli 1383 in Rigacci's Samm- 
lung P. II. epist. 18. 
) Bandini Speeimen literar. Florent. T. I. Florentiae, 1748. p. 180. 


Voigt, Humanismus, . 13 


4 


{94 III. Florenz und fein heiliger Erzöiſchof. 


geniale Frivolität die Fundamente des Glaubens aus den Gemüthern 
zu tilgen, war er nur bedacht, die Seelen zum Himmel zu führen. 
Wir haben geſehen, wie Stolz, Neid und Wuth in ven literaoriſchen 
Kreiſen heimiſch waren. Antoninus trat als evangeliſcher Friedensſtifter 
unter die politiſchen Parteien. Cofimo ſoll geſagt haben, die Republil 
hütte durch Krieg, Peſt und Hunger, beſonders aber durch vie ſteten 
Verſchwörungen der Bürger gegen einander zu Grunde gehen müſſen, 
wenn nicht der Erzbiſchof durch feine Gebete und durch fein Anſehen 
vor Gott Sie erhalten hätte. Man meinte von ihm, er kenne keine Lei⸗ 
denſchaften und keinen andern Eifer als zu predigen und Beichte zu 
hören. Er war ein gelehrter Theologe und hat Werke von großem 
Umfange und einer ausgedehnten encyklopädiſchen Gelehrſamkeit hinter. 
laſſen, aber was er ſchrieb, war ſo einfach und ſchmucklos wie ſein 
Leben, die Herren vom eleganten Stil nahmen keine Notiz davon. Nl 
er am 2. Mai 1459 geftorben war, beſtand feine ganze Berlaftenfchaft 
in wenigem Hausgeräthe und in dem Mauleſel, auf dem er zu reiten 
pflegte. Papſt Pins II, der gerade damals in Florenz war, verzeichnete 
eine kurze Schilderung des würdigen Prälaten in feine Commentarien,) 
aber fie ſagt in wenigen Zügen mehr als die langen Lobreden, die feine 
Ordensbrüder, die Dominicaner, nachher in die heiligen Acten geſchrie⸗ 
ben haben. Es bedurfte nicht erſt der Wunder und der weihenden 
Zeit, die hier vergeſſen macht und dort erfindet, um das Andenken des 
frommen Mannes zu heiligen. Die Medici hatten ihn ſtets verehrt. 
Der arme und einfache Mann, der Alles den Armen gegeben, wurde 
auf öffentliche Koſten ſtattlich beerdigt. Nicht ein Niccoli in ſeinem 
Büchermuſenm, nicht der ſtolze Heide Marſuppini war mehr der 
Sonderling in Florenz, viel eher war es der heilige Antoninus. Die 
Univerfität und der Erzbiſchof, die Kirche überhaupt ſtanden dem 
öffentlichen Leben bereits ferner als die Erforſcher des Alterthewes, die 
dach zu andern Zeiten des Rufes genoſſen haben, als nachtwandelten 
fie nur unter den Mitlebenden und lebten unter ihren großen Todten. 
Die Humaniſten fühlten ſich meiſt als Weltbürger, inſefern fie 
darin einſtimmig waren, daß ihr Zeitalter ein ſehr elendes und ver⸗ 
rottetes ſei, wenn man es mit der Blüthezeit des alten Athen und Nom 
vergleiche. Auch waren ſie überall heimiſch, wo es ihnen wohl erging. 
Nur die beiden großen Republiken machen hier eine Ausnahme, Venedig 


y Pii Il. Comment. Praneofurti, 1614. p. 50. Aota 88. Maji T. I. 


III. Florenz und feine literariſchen Ahnen. 106 


mit dem ausſchließenden Bürgerfinn feiner Patricier und Florenz, wo 
der Ruhm und die Verherrlichung des Staates in Vergangenheit und 
Zukunft die Idole waren. a 

Dante, Petrarca und Boccaccio waren im Ganzen zu Namen ge⸗ 
worden, auf welche die eitlen Ciceronianer mit einer gewiſſen Gering⸗ 
ſchätzung herabſahen. Schon Petrarca verhehlte es kaum, daß er ſich 
über Dante erhaben fühle: fein Volgare war ein unverzeihlicher Fehler 
und ſein Latein ein barbariſches. Er wurde außerhalb Florenz wenig 
gekannt und geleſen; ſchon Boccaccio erlaubte ſich nicht, bei dem Könige 
Hugo von Cypern, dem er feine Mythologie widmete, die Kenntnlß 
des Namens Dante vorauszuſetzen.) Salutato, auf dem ceftniger 
Concil der Biſchof Giovanni da Seravalle und nach ihm ein gewiſſer 
Matteo Ronto ſuchten den Fehler gut zu machen, indem fie die gött- 
liche Comödie in lateiniſche Hexameter übertrugen.) Dann erlaubte 
ſich der Aſtronom Cecco da Ascoli feine Ausfälle gegen Dante, er 
ſcheint ihn verſchiedener Unrichtigkeiten in der Naturphiloſophie geziehen 
zu haben. Den Niccoli, der Alles bekrittelte, läßt Lionardo d' Arezze 
in einem ſeiner Dialoge offen erklären, er begreife nicht, wie man 
Dante, der ein ſo ſchlechtes Latein geſchrieben, zu den Dichtern und 
Gelehrten zählen oder ihn gar dem Virgil vorziehen könne, man mäffe 
ihn den Gürtlern, Bäckern und ähnlichem Volk überlaſſen, für welches 
er geſchrieben zu haben ſcheine.) Petrarca, meinte der Eine, ſei gewiß 
nicht ohne Geiſt geweſen und habe das Verdienſt, daß er die antike Poefte 
aus dem Schlummer geweckt, aber er bedürfe ſehr der Entſchuldigung 
durch ſein barbariſches Zeitalter, durch den Mangel an Büchern u. ſ. w. 
Er habe, ſagte ein Andrer, nicht mehr erreicht, als daß ſeit ihm die 
ſtrebenden Geiſter der verrotteten Redeweiſe überdrüſſig geworden.) 
Man fand feine Verſe mittelmäßig, feinen Proſaſtil ſchwerfällig und 
bald auch höchſt incorrect.) Hören wir gar, wie Bruni in jenen 
Dialogen den feinſinnigen Niccoli urtheilen läßt und wie biefer ſich 


1) De geneal. Deor. Lib. XV. cap. 6. 
9 Ueber Salntato's Ueberſetzung ek. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 308 sq., 

über Ronto Pii II. Comment. p. 263. 

) Mehus l. e. p. 176. 

) Enea Silvio an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decemb. 1443, 

) Blondus Italia illustr. p. 346. Raphael Volaterr. Lib. XXI. Pii 
II. Comment. p. 50. über Petrarca: cui vix parem inveniremus, si Latina ejus 
opera his, quae Tusco sermone conscripsit, aequari possent. f 

\ 1 


13 * 


196 III. Florenz und jeine literariſchen Ahnen. 


ohne Zweifel wirklich äußerte. Petrarca habe ſeine Africa ſelber un⸗ 
ermüdlich als ſein edelſtes und höchſtes Werk geprieſen. Nun ſie end⸗ 
lich ans Tageslicht gekommen, erinnere ſie ſtark an das riduculus 
mus. Jetzt urtheile ein Jeder, er hätte ſie lieber nicht ſchreiben oder 
verbrennen ſollen. In ſeinen bukoliſchen Gedichten ſei keine Spur vom 
Feld⸗ und Waldleben, in ſeinen Invectiven fehle es ſtark an der Rede⸗ 
kunſt. Sein Werk de viris illustribus fei ein wahrhaftes Faſten⸗Ragout. 
So gehe es den anmaßenden Menſchen, die nur ſich ſelber als Richter 
anerkennen wollen.) Von Boccaccio hieß es mit Achſelzucken, ſeine 
Eloquenz in der Vulgärſprache habe ihn berühmt gemacht, nicht die in 
der lateiniſchen, von deren Grammatik er kaum die Elemente gekannt. 
Und über Coluccio Salutato urtheilte Pius II, ſeine Proſa und ſeine 
Verſe möchten zwar für die damalige Zeit ganz ehrenwerth, für die 
jetzige aber müßten fie roh erjcheinen. *) 

Und trotzdem — Dante, Petrarca, Boccaccio, ſie waren Tuscier, 
Florentiner, ſo fanden ſie immer auch wieder Vertheidiger, ſo wurde 
in Florenz ihr Andenken aus Patriotismus heilig gehalten. Die Bio⸗ 
graphien der beiden erſteren aus dem 15. Jahrhundert, ſo unbedeutend 
ſie an ſich ſind, zeugen doch von der ſtolzen Verehrung, mit der man 
auf die großen Landsmänner zurückblickte. Domenico Bandini aus 
Arezzo ging voran. Dann ſchrieben Filippo Villani und Salutato 
Lebensbeſchreibungen der drei großen Dichter, Manetti und Bruni folg⸗ 
ten ihrem Vorgange, letzterer hat ſie in einem eigenen Dialoge gegen die 
Verkleinerungen in Schutz genommen und gelobt.“) Seit 1373 wurde 
in Florenz ein eigener Lehrſtuhl für die Erklärung der göttlichen Co⸗ 
mödie gegründet, wohl auf Boccaccio's Anregung, der ihn zuerſt inne 
hatte. Ihm folgte Filippo Villani. Auch Giovanni da Ravenna wurde, 
während er in Florenz die Eloquenz lehrte, mehrmals zur Auslegung 
des Dante'ſchen Gedichtes verpflichtet.) Jener Cecco da Ascoli fand 
in Salutato ſeinen Mann. Das Buch des Aſtronomen, meinte dieſer, 


) Mehus l. c. p. 226. 319. 362. Daß dieſe Denkweiſe wirklich die Niccoli's 
war, beweiſet wiederum Bruni, der ſie ihm in der Invective in Nebulonem ma- 
ledicum zum Vorwurf macht, und Filelfo, der Satyr. Dec. I. hec. 5 die von 
Niccoli Verfolgten aufzählt: Additur huic divus Dantes e Petrarca. 

) Pii IL Comment. I. c. 

9 ossi! Orat. in funere Leonardi Aretini in Baluzii Miscell. Lib. III. 
p. 258. 

*) Mehus I. o. p. 353. 


III. Florenz und feine literariſchen Ahnen. 197 


zeige zwar den Sachkenner und den gelehrten Mann, aber in den albernen 
Verſen gegen Dante verrathe ſich nur der Neid. Von der Erhabenheit 
des Dante'ſchen Stils, von den Leuchten der Philoſophie und der Theo⸗ 
logie, die Dante's Geſänge durchſtrahlten, habe Cecco keine Ahnung 
und am wenigſten von dem Weſen der Poeſie, das ſich freilich nicht 
durch Nachdenken und Gelehrſamkeit, ſondern allein durch Naturbegabung 
und göttliche Inſpiration begreife.) Gegen Niccoli's kühne Aeußerung, 
obwohl ſie Bruni ſelber im folgenden Dialoge mäßigt und mildert, 
trat ſofort ein Florentiner in die Schranken, Cino de' Rinuccini, um 
Dante, Petrarca und Boccaccio zu vertheidigen.“) Aehnliche Angriffe 
gegen die drei Dichter widerlegt Domenico da Prato.) Auch Filelfo 
miſchte ſich in die Sache, er hielt Feſtreden zu Ehren Dante's und 
zwar in tusciſcher Sprache,) er interpretirte die göttliche Comddie und 
das geſchah an Feſttagen in der Cathedrale von Florenz, wo noch jetzt 
Inſchriften und Gemälde an die damalige Verehrung Dante's erinnern.“) 
Filelfo ließ ſich ſeine Vorleſungen über die alten Dichter theuer genug 
bezahlen, aber für dieſe Vorträge, in denen er den Florentiner ver⸗ 
herrlichte, nahm er keinen Sold. 

Um Petrarca's Ruhm zeigte ſich Salutato in einer Weiſe beſorgt, 
die ihn, der ſelber dichtete, ſchöner ſchmückt als der Lorbeer. Man 
weiß, daß Petrarca's Africa bei Lebzeiten des Dichters nicht veröffent⸗ 
licht wurde, daß nur ein Freund die Ehre genoſſen, ein paar Dutzend 
Verſe davon zu leſen, daß überall die dunkle Kunde verbreitet war, 
Petrarca wolle dieſes Werk den Flammen überliefern laſſen. Gleich 
nach ſeinem Tode fragten Boccaccio und andre Freunde ängſtlich an, 
ob das Werk des zweiten Virgil auch gerettet ſei. Damals ging Nic⸗ 
coli nach Padua, er führte die Africa im Triumphe nach Florenz, frei⸗ 
lich um ſich dann gar ſehr getäuſcht zu finden. Salutato aber wollte 
dem Werke den Dienſt erweiſen, den der Sage nach Ovidius der Aeneide 
zugedacht; er wollte einige Härten und metriſche Verſtöße ausſcheiden, 


) Aus Salutati Tractatus de fato et fortuna bei Mehus l. c. p. 322. 

) Mehus l. c. p. 176. 227. 319. 

) ibid. p. 354. 

) Sie finden ſich bei Rosmini Vita di Franc. Filelfo. T. I. p. 56. 119 
bis 129. 

) Ves pasiano: Franc. Filelfo $1. Der Ort wird hier als 8. Liberata 
bezeichnet. Rosmini las: S. Liparata. Beides iſt nur verſtümmelt aus 8. Repa- 
rata, dem alten Namen des Domes, der jetzt als S. Maria del Fiore bekannt if. 


7 


198 III. Florenz und feine Geſchichtſchreiber. 


das Ganze feilen und glätten, den Büchern kurze Inhaltsangaben in 
Verſen vorſchreiben, dann mehrere Copien nehmen laſſen, fie ſorgfältig 
revidiren und eine an das Studium von Bologna, die andre nach Pa⸗ 
ris, die dritte nach England ſenden, die vierte in Florenz niederlegen, 
„damit ein ſolches Werk und der glänzende Name eines ſolchen Sän⸗ 
gers nach allen Weltgegenden hinfliege.“) Fügen wir hinzu, daß 
Petrarca's Reime und Boccaccio's Novellen immer noch die Lieb⸗ 
lingslectüre der feinen Florentinerinnen waren,) ſo erſcheint es als 
ſelbſtverſtändlich, daß ihrem Namen ein ehrenvolles Andenken geſichert 
blieb. | 
Lionardo Bruni und Poggio haben wir als Geſchichtſchreiber der 
florentiniſchen Republik bereits erwähnt. Sie ſchrieben im livianiſchen 
Stil und im Stil, nicht im Stoffe ſuchten ſie ihr Verdienſt; ſie arbei⸗ 
teten ſchnell, aphoriſtiſch und leichtfertig, die Kunſt mußte den Fleiß 
erſetzen.) Dennoch las man ihre Werke mit Entzücken und die alte 
florentiniſche Hiſtoriographie war für lange Zeit wie vergeſſen. Kein 
Staat Italiens, ſagt Vespaſiano ſtolz, mit Ausnahme der altrömiſchen 
Republik, hat ſich zweier ſolcher Geſchichtswerke zu rühmen. Donato 
Acciajoli übertrug Bruni's Werk in die Vulgärſprache. Auch wird 
einer eigenen Abhandlung gedacht, die Bruni in jungen Jahren aus⸗ 
drücklich zum Lobe der Stadt Florenz geſchrieben, und eine andre über 
die Verfaſſung von Florenz ſchrieb er in griechiſcher Sprache.) Ma⸗ 
netti und der genannte Vespaſiano da Biſticci beſchrieben das Leben 
einzelner berühmter Florentiner. Die meiſten der obengenannten Hu⸗ 
maniſten — ein Niccoli, Traverſari und Filelfo ſchließen ſich von ſelbſt 
aus — haben bedeutende Staatsämter bekleidet, Staatsreden gehalten 
und die Republik als Geſandte vertreten. Die Reihe der florentiniſchen 
Staatscanzler iſt zugleich eine Reihe von Gelehrten, welche der Repu⸗ 


9 Salutato’s Brief an Francesco de Broſſano in der Rigacei'ſchen Samm⸗ 
lung T. II. epist. 17, auch bei Martene et Durand Collect. ampliss. T. III. 
p. 910. 

2) Vespasiano Vita dell’ Alessandra de' Bardi im Spicileg. Roman. T. 
IX. p. 616. | 

Vergl. Gervinus Geſch. der florent. Hiſtoriographie (Hiſtor. Schriften Bd. J). 
S. 52 —62. 

) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Bruni epist. I, 8. VIII, 4. 
Mehus Leon. Bruni Seripta (vor den Briefen) p. 51. 61. Acovagdou Agszıyov 
ne ıns ray blwpevuvoy nν⁰t:é̃as herausg. von C. Fr. Neumann. Frankfurt 
am Main, 1822. ö 


IT. Florenz und das Bucherweſen. 199 


MR vie Söhre ves Amtes durch den Ruhm ihres Namens vergolten 
haben. Schon zur Zeit von Dante's Jugend bekleidete Brunetto Latim, 
gleich ausgezeichnet als Staatsmann wie als Schriftſteller, das Amt 
eines Staatsſecretürs. Der hohen Bedeutung, die Coluccie Salutato 
biefet Stelle und ſich ſelber erwarb, iſt bereits gedacht worden. Im 
gahrt 1427 trat Lionardo Bruni ein, dieſem folgte 1443 Carlo Mar: 
ſappini, dann 1453 Poggio Braccielint und 1459 Benedetto Accolti 
aus Arezzo, bekannt durch ſeine Geſchichte des erſten Kreuzzuges.) 
Wer gedächte nicht, wollten wir noch weiter gehen, des Nicrolo Mac⸗ 
chiavelli! Praktiſche Staatskunſt und Wiffenfchaft erſcheinen hier in 
der innigſten Verbrüderung . 

Selbſt bei jenen Abſchreibern der claſſiſchen Werke, bei jenen Bü⸗ 
cherſammlern tteffen wir auf denſelben Zug zum allgemeinen Nutzen, 
sm Wohl und zur Zierde der Republik. Der Gedanke einer öffent⸗ 
lichen Bibliothek, deren Benutzung jedem Gelehrten freiſtehen müſſe, 
iſt in Florenz entſtanden oder, wenn man will, aus dem alten Rom 
wied traufgenommen. In Florenz allein trafen die Bedingungen zuſam⸗ 
mm, die vazu gehörten: Bildung mußte ſich mit einem reichen Beſitze 
vereinigen, ver nicht leicht unter Erben zersplittert wurde; der Geiſt 
ves Sammelns und Ordnens mußte ſich mit liberalem Gemeia finn 
paaren. 

Das Inftitut ver Stationarii, durch zünftigen Zwang an die Hoch⸗ 
ſchulen gebunden, reichte für die Bedürfniſſe des claſſiſchen Studiums 
ſo wenig aus wie vie Hochſchulen ſelbſt. Ihr Gebiet waren die aka⸗ 
demiſchen Handbücher, die Summen und Gloſſen. Um der ſelteneren 
Knie habhaft zu werden, bedurfte es guter Verbindungen unter 
den Freunden dieſer Literatur. Zwar der unwiſſenden Abſchreiber 
gab es genug und der Buchhändler im jeder größeren Stadt ein paar.) 
Aber in dieſem Verkehr überwog eben das Handwerk und der Handel; 
die alten Codices felbſt oder die von gelehrter Hand rerigirten Exeni⸗ 
plare lamen hierhin nicht leicht. Vorzuͤglich durch Niccoli wurde {Tor 
renz der Centralpunct des Bücherhandels. Gute Exemplare der Claſ⸗ 
ſiker konnte man eigentlich nur hier kaufen. Wer zu Niccoli's Zeiten 
in Rom etwa die attiſchen Nächte des Gellius zu beſitzen oder in einem 


») Auch ihm hat Vespaſiano (im Spicileg. Roman. T. I. p. 575) eine Lebens. 
beſchreibung gewidmet. 

) Vergl. Albr. Kirchhoff die Handschriftenhändler des Mittelalters, im 
Serapeum herausg. von R. Naumann Jahrg. XIII. 1852 n. 17.20. 


900 III. Florenz und das Büchereien. 


ciceronianiſchen Codex den Text verbeſſert oder auch nur zierliche Iui⸗ 
tialen gemalt zu haben wünſchte, beſtellte in Florenz die Arbeit, zumal 
wenn Niccoli ſelbſt die Beſorgung übernahm.!) Hier zuerſt gab es 
Buchhändler wie Vespaſiano da Biſticci, die mit den Literatoren ſelbſt 
in freundſchaftlicher Verbindung, von ihnen gute Exemplare zum Ab⸗ 
ſchreiben geborgt erhielten und ihnen dafür wieder Gefälligkeiten er⸗ 
wieſen. Auch war Florenz geraume Zeit hindurch der beliebteſte Aufent⸗ 
halt für die hungernden griechiſchen Flüchtlinge, die mit Abſchreiben 
griechiſcher Autoren ein dürftiges Leben friſteten. Erſt e trat ihm 
Venedig und noch ſpäter Rom an die Seite. 

Es iſt mißlich, über die Preiſe der Bücher eine allgemeine Neun 
aufzuſtellen. Das Volumen war durchaus nicht maßgebend, obwohl 
man meinen könnte, es ſei nicht ſchwieriger die Pſalmen abzuſchreiben 
als die Verſe des Horatius. Wie in der wiſſenſchaftlichen Schätzung, 
ſanken auch im Handel die theologiſchen und juriſtiſchen Bücher bedeu⸗ 
tend herab. Man konnte zum Beiſpiel eine Bibel alten und neuen Teſta⸗ 
mentes um acht Goldgulden haben, wenn ſie auf Papier geſchrieben 
war, etwa um das Doppelte, wenn auf Pergament. In dem uns 
vorliegenden Falle freilich wurde das Buch in Böhmen gekauft, wo 
Bibeln unter allen Ständen verbreiteter waren als anderswo.) Poggio 
kaufte in Italien eine Bibel, von älterer Hand geſchrieben, in welcher 
jedoch die Pfalmen fehlten, um 25 Goldgulden und wollte fie an Papſt 
Nicolaus V um 40 wiederverkaufen.) Für ein neues und erträglich 
correct geſchriebenes Exemplar von Cicero's familiären Briefen ver⸗ 
laugte ein mailändiſcher Buchhändler zehn Zeccchinen.) Ein Band 
von Poggio's Briefen, der zehn Bücher derſelben enthielt und gewiß 
nicht minder umfangreich war, wurde in Florenz um vier florentiniſche 
Gulden copirt.) So war ohne Frage der Claſſiker ungleich theurer 
als das moderne Werk. Wir zweifeln nicht, daß ſich Männer wie 
Niccoli, Bruni, Marſuppini, wenn fie bei der Copirung die Aufſicht 
führten, das Exemplar corrigirten oder auch nur den Auftrag über⸗ 
nahmen, a dafür bezahlen ließen. Schon einem gewöhnlichen 


) ef. Le on. Bruni epist. II, 7. 10. 13. N 
) Enea Silvio's Briefe an Joh. Thuskon vom 31. October 1444 und 
23. Auguſt 1445. 
> Poggii epist. 55. 56. im Spioileg. Roman. T. X. 
) Filelfo's Brief an Piero u v. 8. vr 1452. 
) id. .epist. 49. e. ibid. 25 


MI. Florenz und das Bücherweſen. 201 


Schreiber, der gerade genug Bildung hatte, um claſſiſche Werke tren 
copiren zu können, gab man außer freier Station etwa dreißig Ducaten 
jährlich.) Und noch viel höher waren die Preiſe, wenn ſich ein Ge⸗ 
lehrter von Ruf zur Veräußerung eines claſſiſchen Werkes entſchloß. 
Das geſchah freilich ſelten; Niccoli erklärte es für das Zeichen eines 
ſchwächlichen und gemeinen Geiſtes. So verkaufte Poggio dem Mark⸗ 
grafen Lionello von Eſte die Briefe des h. Hieronymus für hundert 
Goldgulden, eine Summe, in die der Markgraf nur mit dem Bemerken 
willigte, daß Kenner in Ferrara ſie übermäßig fänden und daß Poggio 
einen Theil derſelben als Geſchenk anſehen müſſe.) Das war nun 
ein Stück poggianiſcher Unverſchämtheit; es handelt ſich vermuthlich 
um denſelben Codex, den er ſelbſt für 41 Ducaten gekauft, und auch 
diefen Preis giebt er bei einer Gelegenheit an, als er das Buch an 
Papft Nicolaus für 45 zu verhandeln gedachte.) Der Dichter Bec⸗ 
cadelli mußte demſelben Poggio für eine von ihm felbft geſchriebene 
Geſchichte des Livius 120 Zeccchinen zahlen und war gezwungen ein 
Landgütchen zu verkaufen, um ſich in den Beſitz dieſes Kleinods zu 
fegen: *) 

Man wird nach dieſen Andeutungen verftehen, welchen Fleiß und 
welche Conſequenz jener Niccoli aufbieten mußte, um als Privatmann 
von fehr mäßigem Vermögen ſeine Bibliothek von 800 Bänden zuſam⸗ 
menzubringen, deren Werth der Buchhändler Vespaſiano auf 6000 
Goldgulden ſchätzte. Auch fein Verdienſt tritt nun in das rechte Licht, 
wenn er, wie uns beſtimmt verſichert wird, der erſte war, der den 
Plan einer öffentlichen, Jedem zugänglichen Bibliothek mit Entſchiedenheit 
im Sinne hatte.) Einen ähnlichen Gedanken hatte ſchon Salutato 
ausgeſprochen, doch mit einem beſtimmten Augenmerk. Er wollte näm- 


') Ambros. Travers. epist. VI, 35. 

) Poggii Epistt. LVIII. epist. 56. 57. Shepherd the life of Poggio 
Bracciolini. Liverpool, 1802. p. 377 hält als Maßſtab dagegen, daß der Sold 
eines Univerſitätsprofeſſors ſelten 400 Zeccchinen überſtieg, jenes Buch alſo ein Vier⸗ 
theil des Jahrgehaltes koſtete. Indeß war der Preis einmal für einen Fürſten be⸗ 
rechnet, der ihn ſelbſt unverſchämt fand, und dann haben wir von dem Verhältniß 
zwiſchen feſtem Sold und Honoraren an den damaligen Hochſchulen Italiens keine 
ſichere Vorſtellung. 

) Poggii epist. 55. 56 im Spicil. Roman. T. X. 

) Anton. Pan orm. epist. V, 118 an König Alfonſo von Neapel. 

) Poggius Orat. in funere Nic. Niooli (Opp. p. 276). Ves pas iano: 
Nic. Nicoli 5 8: Solo Nicolao & quello che vuole che i sua libri siano in 


20 III. Florenz und die erſte öffentliche Bibliothek. 


lich der Verderbniß der Texte dadurch ſteueru. „Es müßten öffentliche 
Bibliotheken eingerichtet werden, in welche die ganze Büchermaſſe gu- 
ſammengebracht wird. Es müßten den Bibliotheken ſehr kundige Män⸗ 
ner vorgeſetzt werden, welche die Bücher mit der ſorgfältigſten Verglei⸗ 
chung revidiren und mit ſcharfem Urtheil die Varianten ſondern. Diefes 
Amt belleideten einſt, wie wir wiſſen, die bedeutendſten Männer und fie 
hielten es dann für ruhmwürdig, ihren Namen unter die Bücher zu 
schreiben, welche fie revidirt, wie wir das noch an alten Codices ſehen.“) 
Niccoli aber dachte zuerſt an die Gemeinnützlichkeit eines ſolches In⸗ 
ſtituts. Boccaccio hatte ſeine Bücher dem Auguſtinerkloſter S. Spirito 
hinterlaſſen ), fie lagen hier durcheinander in Kaſten und Schränken. 
Kiceoli ließ auf ſeine Koſten die Zelle herrichten, in welcher fie auf⸗ 
zeſtellt wurden, und übernahm dieſe Arbeit ſelbſt. So iſt denn Boc⸗ 
caceio's Sammlung gerettet worden, während Petrarca's und Salutato's 
Bücher von ihren Erben verſchleudert wurden. Seine eigene Bibliothek 
beſtimmte Niccoli anfangs durch Teſtament dem Camaldulenſerkloſter 
S. Maria degli Angioli, wohl aus Freundſchaft gegen Traverfari, 
doch mit der ausdrücklichen Beſtimmung, daß ihr Gebrauch jedem 
Studirenden freiſtehen ſolle, wie er es ja eigentlich ſchon bei Leb⸗ 
zeiten damit hielt. Wir wiſſen nicht recht, warum er noch am Tage 
vor ſeinem Tode jenes Teſtament änderte, wahrſcheinlich geſchah es 
feiner Schulden wegen: er überließ nun die Wahl des Ortes einer 
Commiſſion von ſechszehn Männern, unter denen wir die Namen 
Coſimo und Lorenzo de' Medici, Traverſari, Bruni, Poggio, Marſup⸗ 
pini, Alberti und Manetti leſen. Dieſe überließen Coſimo die wei⸗ 
tere Verfügung und Coſimo nahm die Schulden des Verſtorbenen 
und die Ausführung ſeines bibliothekariſchen Gedankens auf ſich. Er 
gab 36,000 Zecechinen her, um im Prädicantenkloſter zu S. Marco, 


publico a comune utilit di ognuno, che ne meritd grandissima commendazione. 
Aeneas Sylvius de vir. olar. XVI. giebt den Werth der Bibliothek nur auf 
etma 4000 Goldgulden an. 

) Ans feinem Traetat de fato et fortuna bei Mehus Vita Ambr. Tra vers. 

291. 

ö 2) cf. Testamento di Giov. Boccacci (Opere. Firenze, 1723. vol. Ww. in fin.) 
Es verdient bemerkt zu werden, daß ſchon Boccaccio dem Bruder Martino, dem er 
feine Bücher zunächſt hinterließ, eine freigebige Benutzung derſelben geſtattete, ja zur 
Pflicht machte. Die etwas unklaren Worte des Teſtators werden durch den lateinischen 
Text der Urkunde erläntert, den Miegus a. a. O. S. 31. aus einem Coder ber Stroz⸗ 
dana mitgetheilt. hat. 


BEN 


IN. Florenz und bie erſte öffentliche Bibliothek. 208 


jenem Prachtbau, den er zur Beruhigung ſeines Gewiſſens und Papft 
Engen zu Liebe aufgeführt, die erſte öffentliche Bibliothek zu begründen. 
Sie wurde ſchon im Jahre 1444 vollendet und eröffnet, ein würdiges 
Seitenſtück zu dem Oratorium des Kloſters, welches auf hohen Mar⸗ 
morſäulen ruhte. Wenn dieſe Bücherſammlung ſpäter nach Coſimo's 
Verdienſte der Freigebigkeit und zum Unterſchiede von der privaten 
Palaſt⸗Bibliothek der Medici den Namen der öffentlichen Bibliothek 
des mediceiſchen Hauſes erhielt, ſo bleibt doch immer Niccoli ihr eigent⸗ 
licher Begründer. Sein Name wurde in den vorderen Deckel der Bü⸗ 
cher geſchrieben. Coſimo aber vermehrte die Sammlung durch anſehn⸗ 
liche Einkäufe: ſo ließ er in Siena für 400 Goldgulden Bücher kaufen, 
die meiſtens das kanoniſche Recht betrafen, und im Jahre 1446 kauften 
ſeine Agenten von den Minoriten in Lucca eine Reihe von Bänden 
für mehr als 250 Scudi. Der die Bücher ordnete und aufſtellte, war 
Tommaſo Parentucelli, der erſte moderne Bibliothekar und Be⸗ 
gründer der Bibliothekswiſſenſchaft. Denn er entwarf ein Schema 
über die Claſſification der Bücher, nach welchem zuerſt die Librerie 
von S. Marco und die der Badia zu Fieſole, danu die des Herzogs 
von Urbino und des Aleſſandro Sforza von Peſaro, endlich aber jede 
neue Bibliothek geordnet wurde. Wer ſein ſtilles Thun in dieſem Grund⸗ 
ſtock der mediceiſchen Bibliothek nicht kennt, wird ihm die Achtung nicht 
verſagen, wenn er hört, daß dieſes Büchermännchen als Papſt Ni⸗ 
colaus V hieß und der eigentliche Begründer der Vaticana gewor⸗ 
den iſt.) 

In wie großartiger Weiſe Coſimo bei ſolchen Unternehmungen zu 
Werke ging, mag ein andres Beiſpiel zeigen. Als er das Kloſter 
S. Lorenzo erbaut hatte, war ſein Wunſch, daſſelbe in möglichſter Eile 
auch mit einer anſehnlichen Bibliothek auszurüſten. Er ging mit dem 
Buchhändler Vespaſiano zu Rathe: es war unmöglich, die wünſchens⸗ 
werthen Bücher zuſammenzukaufen, ſo mußte man die Bibliothek ſchrei⸗ 
ben laſſen. Der Buchhändler nahm ſofort 45 Copiſten in Dienſt. 


) Ves pas ia no: Nic. Nicoli 58. Nicola V Papa 5 7. Cosimo de' Medici 
99. Von dem Bibliotheksſchema Parentucelli's giebt er im Leben Coſimo'8 5 13. 
14. eine Anſchauung. Er war ſelbſt bei der Ordnung der Bibliothek zur Hand. 
ef. Aeneas Sylvius de vir. cler. XV. Ein reiches Material über die Schick⸗ 
ſale der Marciana giebt Mehus Vita Ambr. Travers. p. 62 — 74. 377. Tira- 
boschi T. V. p. 176. T. VI. p. 194 — 206. 3 


204 III. Bibliotheken in Florenz. 


Der Prior des Kloſters durfte täglich auf die mediceiſche Bank an⸗ 
weiſen, ſo viel zu ihrer Beſoldung nothwendig war. Nach 22 Mo⸗ 
naten war eine Librerie von 200 Bänden geſchaffen, die alle bedeu⸗ 
tenderen Werke des römiſchen Alterthums und der kirchlichen Literatur 
enthielt.) 

In andern Fällen dienten auch die weitgreifenden Handelsverbin⸗ 
dungen der Medici zur Bereicherung ihres Bücherſchatzes. So hatte 
einſt Niccoli ausgeſpürt, daß ſich in Lübeck ein ſchönes und vollſtändi⸗ 
ges Exemplar eines Werkes von Plinius befinde, das man in Italien 
noch nicht kannte. Auf ſeinen Antrieb ließ Coſimo mit den Mönchen 
heimlich unterhandeln und um hundert Gulden kam der Codex nach 
Florenz, obwohl über die Sache ein nicht geringes Scandal entſtand. “) 

In ähnlicher Weiſe entſtanden auch die Privatbibliotheken der me⸗ 
diceiſchen Familie; man betrachtete ſie bereits als ein nothwendiges 
Zubehör eines gebildeten Hauſes. Coſimo beſaß deren in ſeinem Pa⸗ 
laſte zu Florenz, auf feinen Villen zu Fieſole und del Bosco bei Mu⸗ 
gello. Sein Beiſpiel ſtand nicht allein da. So verfolgte ſein Neben⸗ 
buhler Palla Strozzi ähnliche Entwürfe. Er hatte aus Conſtantinopel 
eine Menge Bücher kommen laſſen, darunter die Werke Platons, die 
Lebensbeſchreibungen Plutarchs und das erſte Exemplar der Politik des 
Ariſtoteles, durch welches dieſes Buch im Abendlande bekannt wurde. 
Auch Palla gedachte eine öffentliche Bibliothek zu begründen und er⸗ 
wählte dazu das Kloſter S. Trinitä, weil feine Lage mitten in der 
Stadt dazu geeignet ſchien. Sein Exil vereitelte den Plan.) Auch 
Manetti hinderte der Tod an dem Unternehmen, feine Bücherſammlung, 
die vorzügliche Codices in griechiſcher und hebräiſcher Sprache enthielt, 
in jenem Kloſter S. Spirito, wo einſt der Sinn für Wiſſenſchaft über 
ihn gekommen, zur öffentlichen Benutzung auszujtellen. *) 

Welch ein andrer Geiſt wehte nun in dieſen öffentlichen und Hans: 


) Vespasiano: Cosimo de’ Medici 5 12. 

) Vespasiano: Poggio Fiorentino $ 2 Nic. Nicoi $ 3. Welches Werk 
des Plinius hier gemeint ſei, können wir nicht entſcheiden. Die Eneyklopädie des 
älteren und die Briefe des jüngeren Plinius waren jedenfalls längſtbekannte Bücher. 
So vermuthen wir, daß dieſe Nachricht im Zuſammenhange ſteht mit der obenerwähn⸗ 
ten (S. 139) Poggio's, die von einer Geſchichte der römiſch⸗deutſchen Kriege handelte, 
und daß eine myſtificirende Verwechſelung mit Tacitus ſtattgefunden. 

) Vespasiano: Palla di Nofri Strozzi. 5 1. 4. 

) Naldi Vita Manetti ap. Muratori Seriptt. T. XX. p. 601. 


III. Florentiniſcher Geiſt. 208 


bibliotheken, in denen die Bücher in offenen Repoſitorien gleichſam mit 
der freien Luft verkehrten, zu dieſem und jenem Gelehrten auswanderten 
und wieder heimkehrten, welch ein andrer Geiſt als in den dumpfigen 
Kloſterzellen, wo ſie zuvor, in Kiſten gepackt und mit dem Modergeruche 
behaftet, ihr Daſein gefriſtet! Ganz ſo wie der Gelehrtenſtand ſich in 
Florenz von dem mönchiſchen losrang und mit dem Adel der Republik 
ſein Bündniß ſchloß, treten auch die Bücher hier als eigenthümliches 
Gut dieſes Standes hervor und bieten ihren e einer freien 
und edlen Wiſſenſchaft. 

So verherrlichten Geſchichtswerke und Reden, Muſeen und Biblio- 
theken die tusciſche Capitale nicht minder als die vier Evangeliſten in 
S. Maria del Fiore von Donatello's Hand oder die Fronte von 
S. Maria Novella und der Palaſt Ruccellai, in denen Alberti's Geiſt 
fortlebt, als die Paläſte und Kirchen, die Arno-Brüden und öffentlichen 
Gärten, die der mediceiſchen Prachtliebe ihren Urſprung verdankten. 
Eine Gelehrſamkeit, die in ihrem Schooße die Kunſt trug, ein freier 
Sinn für die Welt der ſchönen Formen, hinter dem freilich verführe⸗ 
riſch das Heidenthum ſchlummerte, das war die Eſſenz des florentini⸗ 
ſchen Geiſtes, die ſich, bald unmerklich ausduftend, bald in voller Wal⸗ 
lung daherſtrömend, ganz Italien und durch Italien der modernen 
Welt mitgetheilt hat. Dem Geiſte, wenn auch nicht dem Blute nach, 
war jener Parentucelli der erſte Mediceer auf dem Stuhle der Apoſtel. 
Er wurde für Rom, was Coſimo für Florenz. Hier erreichte der 
Humanismus unter Lorenzo dem Erlauchten, zugleich dem Wiederher⸗ 
ſteller der tusciſchen Poeſie, ſeinen Höhepunct, dort unter den Päpſten 
aus dem Hauſe Medici, denen ſich eine Reihe andrer anſchließt, die 
wie jene den traurigen Leichendunſt der geſunkenen Macht durch den 
Blumengeruch der Kunſt übertäubten. Nur für kurze Zeit hat Savo⸗ 
narola's Weheruf die Florentiner aus ihrem poetiſchen Traume ge⸗ 
ſchreckt, und auch im vaticaniſchen Palaſte wurden ſorglos die Liebe 
und die ſchönen Götter der Heiden beſungen, als das deutſche Wort 
Fleiſch wurde und deutlich mahnte, daß die Zukunft noch ein andres 
Zeitalter bringen könne und müſſe als das auguſteiſche. 


906 III. Der Humanismus in Siena. 


Wie ſtattlich die Muſen im Gefolge von Macht und Reichthum 
erſcheinen und wie ſie ohne dieſe ſo leicht verkümmern, das zeigt der 
Vergleich des prächtigen Florenz mit Siena, der kleinen Nachbarrepn⸗ 
blik. Hier galt der Parteimann und etwa der Rechtskenner. Bei der 
ſteten Furcht vor bürgerlichen Unruhen und vor den mächtigen Nach⸗ 
baren konnten Literatur und Kunſt zu keinem fröhlichen Gedeihen kom⸗ 
men. Der tusciſche Boden hat auch hier bedeutende Männer und 
ſchöne Geiſter erzeugt, aber ſie konnten den Haß und den Argwohn 
der Parteien nicht überwinden. Francesco de' Patrizzi, ein tüchtiger 
Juriſt und Schriftſteller auch auf andern Gebieten, mußte die Stadt 
verlaſſen, weil er in die Adelsverſchwörung von 1457 verwickelt war. 
Den Enea Silvio de' Piccolomini hat ſeine Feder nirgend weniger zu An⸗ 
ſehen gebracht als in ſeiner Vaterſtadt; bevor er Papſt wurde, war ſie 
nicht ſtolz auf ihn. Selbſt ein eingeborener und eingebürgerter Mann 
wie Mariano de' Sozzini ſtellte wohl nicht freiwillig ſeine juriſtiſchen 
Vorleſungen ein und wollte ſich ſelbſt zu einer Ueberſiedelung nach 
Wien bequemen, um nur vor den Gehäffigkeiten und Stürmen des 
ſaneſiſchen Parteiweſens Ruhe zu finden.) Später als irgendwo in 
Italien entſchloß man ſich zu Siena, in Agoſtino Dati einen Huma⸗ 
niſten zur Abfaſſung der Staatsſchreiben und zu den Feſtreden in Sold 
zu nehmen, gemäß jener diplomatiſchen Sitte, die felbſt an den kleinen 
Höfen ſchon überall Eingang gefunden. Wiederum die politiſche Eifer⸗ 
ſucht hatte dem lange entgegengeſtanden; denn das Amt eines Staats⸗ 
canzlers war bis dahin jedes Jahr von Neuem beſetzt worden.“) 

Wo die einheimiſchen Talente nicht fortkamen, mochte ſich auch 
keiner der umherziehenden Lehrer des Griechiſchen oder der modernen 
Rhetorik auf die Länge niederlaſfen. Filelfo nahm einen Lehrſtuhl an, 
als in Florenz nicht mehr ſeines Bleibens war. Aber ein Sold von 
350 Zeccchinen konnte ihn nicht feſſeln.) Während der vier Jahre, 


) Sein Brief au Euea Silvio v. 16. Septemb. und deſſen Schreiben an Joh⸗ 
Märs, Kanzler von Oeſterreich, v. 8. Decemb. 1443. cf. Aeneas Sylvius de vir. 
clar. XVIII. 5 

) Aeneas Sylvius l. c. XVI. 

) Vergl. ſ. Brief an Leon. Giuſtiniani v. 31. Januar 1435. Schon bevor er, 
nach Siena zog, ſagte er Satyr. Dec. IV. hec. 9: 

Excipiat me Sena sibi tantisper habendum, 
Dum mare tranquillum reddat fortuna deusve, 
Aut alio solvens fluctus cum turbine linquam. 


HI. Der Humanismus zu Venedig. 207 


daß er zu Siena die Rhetorik vortrug, unterhandelte er faſt unaufhör⸗ 
lich mit dem Herzoge von Mailand und mit einigen Univerſitäten über 
eine beſſere Stellung. Später, als es ihm unter der fforzeſchiſchen 
Herrſchaft in Mailand nicht recht behagen wollte, verhandelte er auch 
mit Siena noch einmal, aber ohne Erfolg, weil er nun den Sold, den 
er früher aus angenblicklicher Noth hingenommen, verdoppelt haben 
wollte.) Das plebejiſche Regiment hatte keinen Sinn für den huma⸗ 
niftiſchen Luxus und die Adligen fanden im Aerger über ihre Zurück⸗ 
ſetzung nicht den Frieden, den die fruchtbare Beſchäftigung mit der 
Wiſſenſchaft erfordert. 

Florenz erſchien uns als Demokratie auch in ſeinen literariſchen 
Kreiſen. Venedig iſt das Gegenbild. Auch die Gelehrſamkeit ſteht 
hier in vornehmer oligarchiſcher Abgeſchloſſenheit da, ſie iſt die private 
Freude einzelner Nobili, aber die Strenge des Staatsbegriffes hält fie 
in einer gewiſſen ſcheuen Entfernung vom öffentlichen Weſen. Vom 
„Staate hat fich der Gelehrte als ſolcher weder der Gunſt noch der 
Ungunſt, weder der Unterſtützung noch der Intoleranz zu verſehen. 
Die Gewalt der Regierung braucht und verlangt keinen Schmuck und 
keine Verherrlichung von den ſchönen Künſten, ihre Tendenz iſt nur, 
den geheimnißvollen Nimbus einer unerſchütterlichen Macht aufrecht zu 
erhalten, und dieſe Tendenz drückt den einzelnen Bürger zu einem Atom 
herunter, das nur im ehrfürchtigen Dienſte des Ganzen eine Bedentung 
hat. Auf der Sicherheit und Ausbreitung der Stapelplätze, auf der 
Fülle der Zeughäuſer und Arſenale, auf vollen Staatscaſſen und vor 
Allem auf dem ftrengen Syſtem feiner Regierung ruht dieſe Republik. 
Von geſchichtlichem Intereſſe iſt ihr nur ihre eigne Vergangenheit, in⸗ 
ſofern das Gegenwärtige ſich auf ſie gründet; alle Politik iſt daher 
der augenblicklichen Sachlage und der nächſten Zukunft zugewendet. 
Aluſionen und Träume üben da keine verführeriſche Kraft, Ideale fin⸗ 
den keine Heimath, die Wiſſenſchaft keine Freiſtätte. Es fehlt der 
weitbärgerliche Sinn, der ſich in Florenz neben dem patriotiſchen ent⸗ 
faltete. 

So finden wir denn, daß der Adel Venedig's ſich als Geſammt⸗ 
heit gleichgültig gegen den Humanismus verhielt, nur einzelne Adlige 
treten hervor, die ſich der neuen Bildung aus privater Neigung hin⸗ 
geben. Wenn ſie zugleich in den hohen Staatsämtern glänzen, ſo iſt 


) Ros mini Vita di Franc. Filelfo T. II. p. 60. 


208 III. Der Humanismus zu Venedig. Carlo Zeno. 


das vielleicht eine Frucht ihrer feineren Bildung, die ſich überall zur 
Geltung durcharbeitet, aber es liegt darin nichts von Anerkennung oder 
Lohn derſelben; denn die Republik braucht lediglich ihre militäriſchen 
oder Verwaltungstalente, mögen dieſe nun durch bloße Praxis erwor⸗ 
ben oder auch durch Studien erhöht ſein. In Venedig ſelbſt gab es 
nicht einmal einen Gelehrtenkreis, und es iſt recht auffallend, daß die 
namhaften Männer der Wiſſenſchaft hier eher mit Fremden als mit 
einander in Verbindung ſtanden. Sie ſchließen ſich dem literariſchen 
Verkehr, der Gelehrtenrepublik an, die in ganz Italien ihre Glieder 
hat, aber ſie wahren dabei ſtets die Würde und Ehre ihres Standes. 
Den Brodneid, das Cliquenweſen, die Verhetzungen und Leidenſchaften 
ſcheint ihre Stellung an ſich auszuſchließen. Sie liegen daher mit nie⸗ 
mand im Streit, ja ſie treten als unparteiiſche Vermittler auf, wo 
wie in Florenz die literariſchen Fehden zum Scandal wurden. Daher 
kommt ihnen aber auch die Hochachtung überall entgegen. Als Poggio 
in ſeinem Dialog über den Adel von der venetianiſchen Nobilität ge⸗ 
ringſchätzig geſprochen, ſtand ſogleich ein Nobile, Gregorio de' Correri, 
damals Protonotar des apoſtoliſchen Stuhles, als Kämpe ſeines Standes 
auf, und ſiehe der biſſige Poggio ſuchte hier zu entſchuldigen und gut⸗ 
zumachen, was möglich war, der kleine Streit wurde im Tone feiner 
Leute geführt und ausgeglichen.) Er wurde von Neuem aufgefriſcht, 
als man auch in den Facetien Poggio's eine für die venetianiſche Re⸗ 
publik ehrenrührige Aeußerung las. Auch hier entſchuldigte ſich Poggio 
mit aller Höflichkeit, und erſt als ein junger Venetianer Lauro Quirini 
ihn mit einer heftigen Streitſchrift bedrohte, ließ ihm Poggio zur 
warnenden Probe feines Talentes eine ſeiner gegen Filelfo gerichteten 
Invectiven zukommen. So viel wir hören, kam die Fehde auch hier 
nicht zum Ausbruch ). 

Carlo Zeno erſcheint als der erſt, der ſich 1 in 91 letzten 
Jahren ſeines Lebens der humaniſtiſchen Muße hingab. Gelehrte wie 
Chryſoloras, Vergerio, Guarino fanden in ſeinem Palaſte freundliche 
Aufnahme und fühlten feine Freigebigkeit.. Aber feinen Ruhm ver⸗ 
dankt er nicht dieſem Mäcenat; er gehörte zu den erſten Generalen 


) Poggio an Greg. de' Correri v. 8. April 1440 (Opp. p. 325). 

) Zwei Briefe Poggio's an Petrus Thomaſius im Spicil. Roman. T. IX. 
p. 643. Laurus Quirinus Francesco Barbaro unter deſſen Briefen Append. 
epist. 62. | 


III. Die beiden Ginſtiniaui. Francesco Barbaro. 209 


ſeiner Zeit und hatte der Republik als Geſandter in Italien und 
Griechenland, in England und Frankreich gedient.) 

Als Zeno im Jahre 1418 ſtarb, hielt ihm ein junger Maun aus 
einer der erſten Patricierfamilien die Leichenrede, Leonardo Giuſti⸗ 
niani, ein Schüler Guarino's, kundig der griechiſchen Sprache, ein 
eifriger Sammler von Büchern, die er ſich auf Handelswegen felbft 
aus Griechenland und Cypern zu verſchaffen wußte, im gelehrten Brief⸗ 
wechſel mit den erſten Literatoren ſeiner Zeit, beſonders aber mit den 
florentiniſchen Bücherſtöberern, einem Niccoli und Traverſari. Außer 
Briefen, Reden und Ueberſetzungen hat er keine größeren Werke hinter⸗ 
laſſen, aber er dichtete Sonette und Canzonen in der Volksſprache, in 
jüngeren Jahren der Liebe, in älteren der Jungfrau Maria gewidmet, 
ſüße Lieder, die ſich durch Italien ſchnell verbreiteten, in den gelehrten 
Kreiſen freilich unbeachtet blieben.) Aehnliche Neigungen gingen auf 
feinen Sohn Bernardo über, der gleichfalls von Guarino gebildet 
war und mit Filelfo in ſtetem Verkehr ſtand. Der Name der Giu⸗ 
ſtiniani hatte überall einen guten Klang, wo den Muſen gehuldigt 
wurde, er hatte ihn auch in Venedig, aber aus andern Gründen. 
Leonardo war längere Zeit Statthalter in Friuli und 1443 Procurator 
von S. Marco. Bernardo zeichnete ſich als Staatsredner aus, ſaß 
im Rathe der Zehner und war 1474 gleichfalls Procurator der Re⸗ 
publik.) Ihre politiſchen Talente gehörten der Vaterſtadt, ihre Bil⸗ 
dung und ihre Herzensneigungen zogen ſie, wie das aus ihren Briefen 
erhellt, zu den florentiniſchen Kreiſen hinüber. 

Dieſelbe Erſcheinung, gleichſam eine Theilung des Menſchen in 
den Staatsbürger und den Gelehrten, nehmen wir auch an Francesco 
Barbaro wahr, dem als Schriftſteller ohne Zweifel der erſte Rang 
'unter den Venetianern gebührt. Die bedeutendſten Grammatiker und 
Kenner des Griechiſchen waren ſeine Lehrer, Giovanni da Ravenna 
und Gasparino da Barzizza, Vittorino da Feltre und Guarino von 
Verona. Auch war er als junger Mann in Florenz, verkehrte hier im 
Hauſe der Medici und athmete die ſchöngeiſtige Luft ein, die hier 


| 


1) Sein Leben von der Hand feines Enkels Giacomo Zeno bei Muratori 
Scriptt. T. XIX. Die Leichenrede, die ihm Leon. Ginſtiniani hielt, bei Mar- 
tene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. (43. 

2) Blondus Italia illustr. p. 373. Facius de vir. illustr. p. 12. 

3) Tirabos chi T. VI. p. 1186. 1049. 


Voigt, Humanismus. N \ 14 


210 III. Francesco Barbaro. 


herrſchte. Unter den Gelehrten ſeiner Zeit war kaum einer, der ihn 
nicht als Freund geehrt und im Briefwechſel mit ihm geſtanden hätte. 
So verkehrte er mit Beſſarion und Biondo in Rom, mit Valla, Fazio 
und Beccadelli in Neapel, mit Filelfo und Decembrio in Mailand, 
mit Guarino und Aurispa in Ferrara, mit dem ganzen florentiniſchen 
Gelehrtenkreiſe. Doch eigentlich nahe ſtand ihm unter allen dieſen ſo⸗ 
genannten Freunden nicht einer, nahe ſtanden ihm noch weniger die 
Venetianer, die ſeine Studien theilten. Die literariſchen Zänkereien, 
die jene unter einander führten, waren ihm zuwider. Suchten ſie ihn 
hineinzuziehen, ſo wehrte er dieſe Zumuthung ab: er leſe die Streit⸗ 
ſchriften nicht und man dürfe nach ſeiner Meinung über Geiſt und 
Charakter gelehrter Freunde kein unbeſonnenes Urtheil fällen. Zwiſchen 
Bruni und Niccoli, zwiſchen Poggio und Guarino hat er den verſöh⸗ 
nenden Schiedsrichter gemacht, auch zwiſchen Poggio und Valla hat er 
es wenigſtens verſucht.) 

An allen Beſtrebungen des Humanismus nahm Barbaro Theil 
und bethätigte ſein Talent in verſchiedenen Richtungen. Er ſammelte 
die Werke der alten Autoren, verglich und verbeſſerte die Exemplare. 
Des Griechiſchen war er ſo weit mächtig, daß er und Leonardo Giu⸗ 
ſtiniani den paläologiſchen Kaiſer Joannes im Jahre 1423 mit grie⸗ 
chiſchen Anreden im Namen der Republik empfangen konnten. Auch 
hat er einige kleinere Sachen aus dem Griechiſchen überſetzt. Wenn 
wir übrigens, abgeſehen von Reden und Briefen, nur ein größeres 
Werk über die Ehe von ihm leſen, welches er in jungen Jahren (1415) 
ſchrieb und Lorenzo de Medici widmete, ſo liegt der Grund in ſeiner 
ſteten politiſchen Beſchäftigung, die ihm für die Studien nur knappe 
Muße ließ. Das eine Werk genügte aber, um ſeine weite Gelehrſam⸗ , 
keit und fein elegantes Latein zu beweiſen; Poggio, mochte er auch 
ſchmeicheln, glaubte wenigſtens nichts Lächerliches zu ſagen, wenn er es 
neben Cicero's Abhandlung von den Pflichten ſtellte.) Es gehörte zu 
den frühſten und anregendſten Schriften dieſer Gattung. 

Jn Florenz wäre Barbaro lediglich als Gelehrter der Stolz der 
Republik geweſen, in Venedig ſtand er lediglich als hochverdienter 
Staatsmann unter den Erſten. Kaum daß er ſich für den Zwang, 


) Sein Brief an Valla in deſſen Opp. Basileae, 1540. p. 334. Franc. 
Barbari Epistt. ed. Quirino epist. 233. 234. 
) Sein Brief an Guarino Opp. p. 305. Ambros. Travers. epist. VI, 15. 


III. Francesco Barbaro. 211 


den ihm feine ſtaatliche Stellung auflegte, durch freien Briefwechſel 
mit den florentiniſchen Freunden entſchädigen konnte. Waren die Flo⸗ 
rentiner nicht gerade Bundesgenoſſen der Inſelrepublik wie zu jener 
Zeit, als ſie gemeinſam den Herzog Filippo Maria von Mailand be⸗ 
kämpften, fo mußte er ſich gar ſehr hüten und immer durfte er nur 
salvo officio ſchreiben. Darum vermiſſen wir in feinen Briefen die 
kecke Freimüthigkeit in politiſchen und kirchlichen Dingen, welche ſich 
ſonſt die Humaniſten erlaubten. Das Intereſſe der Vaterſtadt ſteht 
ihm immer obenan. Auch ſeine Studien hatten endgültig den Zweck, 
ihn zu einem guten und nützlichen Bürger zu bilden. Es war ſeine 
feſteſte Ueberzeugung, was er einſt einem befreundeten Univerſitätsge⸗ 
lehrten zurief: „Es iſt Zeit, daß du die Philoſophie aus der dunklen 
Behauſung unnützer Jünger in das offene Feld und in den Kampf führeſt. 
Denn ſolche Männer erſcheinen als glücklich, die unter einem freien 
Volke für das gemeinſame Beſte arbeiten, die ſich mit Würde in großen 
Geſchäften bewegen und des Ruhmes der (politiſchen) Weisheit genießen.) 

Ein achtzehnjähriger Jüngling, als er jenes Buch über die Ehe 
ſchrieb, wurde Barbaro ſchon im einundzwanzigſten Jahre zur Senator⸗ 
würde zugelaſſen. Seitdem finden wir ihn beſtändig als Podeſta in 
den Municipien der Republik oder als Geſandten, der ſie bei den 
ttalignifchen Mächten, vor Papſt und Kaiſer vertrat. Den meiſten 
Ruhm brachte ihm die Vertheidigung von Brescia gegen einen Angriff 
des Herzogs von Mailand im Jahre 1437. Er war Commandant 
der Stadt, die in Parteien geſpalten und aufs dürftigſte mit Lebens⸗ 
mitteln verſehen, trotz Hunger und Peſt ſich doch drei Monate lang 
gegen die Belagerung Piccinino's hielt. Seiner literariſchen Talente 
hat er ſich nie gerühmt, aber wie er ſich hier „um das Vaterland ver⸗ 
dient gemacht und die Freiheit Italiens gerettet“, das erfüllte ihn mit 
edlem Stolze, um fo mehr, da er ſich vom Senate der Republik ſchmäh⸗ 
lich vernachläſſigt fühlte.) Gratulirte er einem Fürſten wie Lionello 
von Eſte zum Antritt ſeiner Regierung, ſo war ſeine Mahnung dabei 
nicht wie ſonſt bei den Literatoren, er möge die Wiſſenſchaft und ihre 
Jünger befördern, ſondern er möge ſich um die Republik von S. Marco 
verdient machen.) Die beiden letzten Lebensjahre brachte er in Ve⸗ 


) Barbari Epistt. ed, Quirino Append. epist. 50. 
) Barbari epist. 62. 64. 65. 68. 70. 81. 
) Ejusd. epist. 84. 


14? 


212 III. Der Humanismus in Venedig. 


nedig als Procurator von S. Marco zu. Seine Ehe mit Maria, 
Pier Loredano's Tochter, konnte den Glanz ſeines Namens kaum 8 
heben.) 

Einige andre Venetianer, die als Arbeiter auf dem Fele der 
claſſiſchen Wiſſenſchaften aufgeführt werden könnten, würden gleichfalls 
beweiſen, daß ihr Verdienſt nur auf ſie perſönlich, nicht zum kleinſten 
Theil auf ihre Vaterſtadt fällt. In einem Gebiete, ſollte man denken, 
hätte das Talent ſolcher Einzelner mit dem Intereſſe des Freiſtaates 
zuſammenfallen können, in dem der vaterländiſchen Geſchichtſchreibung. 
Kaum ein andrer Staat trug die Bedingungen derſelben in ſo hohem 
Maße in ſich als der von S. Marco. Dennoch blieb es bei officiellen 
Annalen oder bei geheimen Memoiren, die Eigenthum der Familie 
wurden und erſt lange nach dem Tode der Verfaſſer an die Oeffent⸗ 
lichkeit kamen. Wir beſitzen eine Geſchichte der Belagerung von Brescia 
im Jahre 1437, die einem treuen Untergebenen Barbaro's, Evangeliſta 
Manelmo, zugeſchrieben wird. Wahrſcheinlich iſt Barbaro ſelber der 
Verfaſſer, und ſo zeigt uns die Pſeudonymität eben das Bedenkliche 
eines ſolchen Unternehmens.) Außerhalb der Republik ſelbſt waren 
venetianiſche Geſchichtswerke ganz unbekannt.) Bezeichnend iſt auch, 
daß man von Staatswegen mehrmals den Plan faßte und auch ins 
Werk ſetzte, durch einen in Pflicht genommenen Nicht⸗Venetianex eine 
officielle Geſchichte der Republik ſchreiben zu laſſen. Die Sie 
Kunſt gedeiht nur in der friſchen Zugluft eines öffentlichen Lebens: fie 
treibt nicht leicht Früchte, wo dieſe nicht genoſſen werden dürfen. 

Stand die Pforte zur mediceiſchen Gunſt jedem Talent offen, ſo 
war Venedig für ven nicht-venetianifchen Gelehrten vollends der un⸗ 
dankbarſte Aufenthalt. Das haben viele der wandernden Grammatiker 
und der anziehenden Griechen erfahren, keiner blieb lange. Sie er⸗ 
hielten den verſprochenen Sold, aber auf ein Mehr von Anerkennung 
und Ehre durften ſie ſich keine Rechnung machen. Von Ginſtiniani 


1 


* Seine Briefe hat der Cardinal Quirini zu Brescia 1743 herausgegeben 
und in einer Diatriba die Lebensbeſchreibung Barbaro's vorausgeſchickt. Einzelne 
Briefe und Reden bei Pcz Thesaur. Anecd. nov. T. VI. P. III. Cf. Fa cius de 
vir. illustr. p. 15. Tiraboschi T. VI. p. 86 - 88. 

) Daß Barbaro ſolche Commentarioli Brixienses geſchrieben hat, geht aus dem 
Briefe eines feiner Freunde hervor, der fie geſehen. Barbari epist. 133 ed. Qui- 
rino. Append. epist. 3. Jener Manelmo wird ibid. epist. 153 N 

’) Vespasiano: Poggio Fiorent. 5 8. 


II. Der Humanismus in Venedig. 213 


und Barbaro freundlich empfangen, blieben fie den höheren Streifen 
übrigens fern und der Staat verhielt ſich ganz gleichgültig gegen ſie. 
Männer, die mit gewaltigen Erwartungen gekommen waren wie etwa 
Filelfo und nach ihm Georgios Trapezuntios, fanden ſich in wenigen 
Wochen getäuſcht. Ueberdies war erſterer nicht von Seiten des Staates 
gerufen, ſondern einige Nobili hatten ihm aus privaten Mitteln einen 
Jahresſold von 500 Ducaten geboten. Als er, von Byzanz kommend, 
in Venedig landete, herrſchte daſelbſt eine Seuche und er fand die⸗ 
jenigen nicht vor, die ihn geladen, ſeiner Meinung nach eine unver⸗ 
zeihliche Vernachläſſigung.) Der anmaßende Trapezuntier wurde nir⸗ 
gend lange geduldet. Aber auch beſcheidene und verträgliche Menſchen 
wie Guarino verſuchten bald anderswo ihr Glück. Man wollte hier 
Leute, die zugleich genügſam und praktiſch brauchbar waren wie der 
Chalkidenſer Nikolaos Sagundinos, der ſich als Interpret auf dem 
florentiniſchen Unionsconcil ausgezeichnet und nun in Venedig als Se⸗ 
cretär angeſtellt wurde, um bei den griechiſchen e e be⸗ 
nutzt zu werden.) 

Der Gedanke einer öffentlichen Bibliothek, der in Florenz ſo natür⸗ 
lich aus dem Bürgerſtolz entſprang, lag in Venedig fern. Cardinal 
Antonio de' Correri hinterließ eine Sammlung von 120 Codices, die 
er mit großen Koſten zuſammengebracht, dem Kloſter S. Giorgio in 
Alga, dem er zugehörte. Giuſtiniani's und Barbaro's Bücher blieben 
ohne Zweifel in der Familie. Allerdings war einſt (1362) der Senat 
von S. Marco, durch den allgemeinen Sturm der Begeiſterung fort⸗ 
geriſſen, freudig auf das Anerbieten Petrarca's eingegangen, deſſen 
Bibliothek an einem angemeſſenen Ort aufzuſtellen und dem Gelehrten 
eine Wohnung dabei herzurichten. Indeß kam der Plan, wohl mit 
Lauheit betrieben, gar nicht oder nur in ſehr kleinem Maßſtabe zur 
Ausführung.) Die Begründung eines ſolchen literariſchen Inſtitutes 
geſchah erſt 1468 durch die Grille Beſſarion's, des griechiſchen Car⸗ 
dinals, der ſeine Bibliothek der Republik vermachte, weil er hier zuerſt 
den abendländiſchen Boden betreten, hier als Cardinal Ehre gefunden, 
hier den natürlichen Knüpfpunct zwiſchen Griechenland und Italien zu 
finden meinte. 


2) Vergl. die erſten 22 aus Venedig datirten Briefe Filelfo's und den Brief an 
Traverſari in deſſen Epistt. XXIV, 36. 

2) Facius l. c. p. 21. 

2) Tiraboschi T. V. p. 173. 


214 III. Der Humanismus in Genua. 


Was ſollen wir von Genua ſagen? Selbſt neben Venedig er⸗ 
ſcheint es für die Literatur ſo unbedeutend wie Siena neben Florenz. 
Es hatte einen guten Latiniſten zum Staatsſecretär, den Jacopo 
Bracelli, zugleich Geſchichtſchreiber der Republik.) Niccolo Ceba 
ſammelte griechiſche Bücher und ſtand mit florentiniſchen Freunden in 
elegantem Briefwechſel.) Viel mehr wüßten wir von genuefiſchen 
Humaniſten jener Zeit nicht zu ſagen; denn die Blüthe der Hiſtorio⸗ 
graphie gehört erſt einer ſpäteren Periode an. 


) Facius 1. e. p. 19, Briefe von ihm in den Epistolae Principum etc. ed. 
Donzelino. Venet., 574. 

°) ef. Leon. Bruni epist. IX, 4. — Blond us Italia illustr. p. 298 nennt 
noch ein paar genueſiſche Gelehrte zweiten Ranges, denen Niccolo Camullio beizu⸗ 
fügen ware. 


215 


Viertes Buch. 
Der Humanismus an den Höfen Italiens. 


Wie Petrarca für republicaniſche Freiheit ſchwärmte, auch in ſeiner 
perfönlichen Stellung ein freier Mann bleiben wollte und doch gern 
bei den Fürſten der Welt und der Kirche hofirte, ſo hat auch die Erbin 
feines Geiſtes, die humaniſtiſche Schule überhaupt, ſich wunderbar allen 
politiſchen Formen anzuſchmiegen gewußt. Auf der apenniniſchen Halb⸗ 
inſel konnte man dieſe Geſchicklichkeit üben: da gab es im Laufe der 
Zeit alle Berfafſungen, die demokratiſche Republik und die oligarchiſche, 
die tumultuariſche und die perikleiſche, den Despotismus, die Tyrannis, 
die vollsbeliebte Herrſchaft, das kleinſte ſtädtiſche Gemeinweſen und 
die weltumſpannende Hierarchie. Zu einer jeden nahm der neue Stand 
des ſchöngeiſtigen Gelehrtenthums eine beſondre Stellung an. 

Wir treten nun aus der Atmoſphäre der Republiken in die Hof⸗ 
luft der Dynaſtien herüber. Derſelbe Wechſel bezeichnet den Lebens⸗ 
pfad der meiſten Humaniſten und fo werden wir denn an den Höfen 
manche uns ſchon bekannte Geſtalt wiederfinden. Wer einige Jahre 
lang, durch gute Beſoldungen angelockt, von einem Lehrſtuhl zum andern 
umhergezogen war, ſehnte ſich natürlich bald nach einer ruhigeren Lebens⸗ 
weiſe, nach einer ſichern Stellung. Jeder Krieg, jede Regung der Par⸗ 
teien wurde ſelbſt in Florenz eine Lebensfrage auch für den Gelehrten. 
Er mußte fich mit den Machthabern zu ſtellen wiſſen, die aber wechſelten 
und immer war mehr als einer. Behaglicher war es immerhin, an 
einem Hofe unterzukommen; man hatte nur Einem zu dienen, Einem 
zu ſchmeicheln, von Eines Gunſt und Gnade den Lohn zu erwarten. 
Die meiſten Herren Italiens waren Tyrannen im antiken Sinne des 


216 IV. Der Humanismus an den Höfen Italiens. 


Wortes, ſie hatten ſich aus den Trümmern der Volksherrſchaft er⸗ 
hoben, andre waren aus Vaſallen und Statthaltern ſouveraine Fürſten 
geworden; in Neapel begründete die Eroberung das Recht. Keiner von 
ihnen fühlte ſich ganz ſicher auf dem Thron: bald war das Freiheits⸗ 
gefühl des Volkes noch im Stillen rege, bald der Anſpruch des alten 
Lehnsherrn zu beſorgen, bald vor Prätendenten und Kriegsheeren zu 
zittern. Auf die Condottieri war kein Verlaß; einem ſtehenden Heere, 
wären auch die Koſten erſchwinglich geweſen, hätte man noch weniger 
getraut. So beruhten dieſe Dynaſtien im Grunde auf der Zufrieden⸗ 
heit des Volkes und auf dem Bedürfniß einer ruhigen, geordneten Ver⸗ 
waltung. Daher überall daſſelbe Beſtreben, den Adel an ein Hofleben 
zu gewöhnen, durch Beamte ein regelmäßiges Regiment zu üben, Geld 
in Bereitſchaft zu halten, das Volk leutſelig zu behandeln und ihm doch 
durch Glanz und Pracht zu imponiren. 

Dieſem Syſtem mußten die Hofgelehrten und Hofdichter in ihrer 
Weiſe dienen. Sie waren nach damaligem Geſchmack die erſten Prunk⸗ 
artikel, nicht viel anders als wie etwa ein deutſcher Herzog durch ein 
zahlreiches, goldbeſticktes Hofgeſinde, durch eine Menge von Roſſen, 
Hunden und Falken, durch glänzende Bankette und Turniere ſich ein 
Anſehen unter ſeinesgleichen gab. Die Perſon des Fürſten und die 
Dynaſtie zu beſingen, ſie vor Mit⸗ und Nachwelt im Lichte antiker 
Größe und Hoheit erſcheinen zu laſſen, ihre Geſchichte zu ſchreiben, 
ſie in epiſchen, elegiſchen und odiſchen Maßen zu feiern, Feſtreden 
vorzutragen, Prunkbriefe zu ſchreiben und Epitaphe zu dichten, aber 
auch mittelbar durch den Ruhm ihrer eigenen Gelehrſamkeit und den 
Glanz ihres Namens den Hof zu zieren, der ſie ernährte, das war der 
Beruf dieſer literariſchen Höflinge. Alle die Fürſten Italiens, die als 
Schutzherren der Wiſſenſchaft geprieſen werden, ſuchten zugleich durch 
Bauten ſich Denkmale zu ſetzen, wiederum in der Tendenz, ihre Schwäche 
oder Illegitimität durch ſchauſtelleriſchen Prunk zu übertünchen, dadurch 
glänzend und mächtig zu ſein, daß ſie es ſchienen, daß ſie ihr Regi⸗ 
ment mit dem Mantel des Glanzes und der Macht umkleideten. 

Es iſt erſtaunlich und für den Freund wahrhafter Geſchichte de⸗ 
müthigend, wie leicht von dieſen Poſaunen des Dynaſtenruhmes die 
Ohren nicht nur der Mitlebenden, ſondern noch der Jahrhunderte nach 
ihnen betäubt werden konnten. Faſt möchte man behaupten, die ganze 
Geſchichte Italiens während der humaniſtiſchen Periode erſcheine in dem 
Lichte eines künſtlichen Feuerwerkes. Nur ſchüchtern und in ſparſamen 


— 


IV. Der Humanismus an den Höfen Italiens. 217 


Andeutungen verräth ſich hin und wieder die Wahrheit; ihre matte 
und ſchlichte Stimme iſt kaum zu hören durch den triumphirenden Lärm 
der Lobgeſänge und Verherrlichungen. Seit jener Zeit und bis auf 
dieſen Tag haben die italieniſchen Autoren eine Unart, die auch andre 
Nationen angeſteckt hat: ſie präconiſiren die hervorragenden Männer 
ihres Vaterlandes mit allen Zeugniſſen und Autoritäten, die irgend 
aufzutreiben ſind. Sprechen ſie von dem Leben und den Verdienſten 
eines Mannes, ſo fügen ſie alsbald einen Katalog derer hinzu, die ihn 
gelobt haben. Aber wie anders geſtaltet ſich oft das Urtheil, wenn 
man unter jenen Zeugen die bloßen Nachbeter ausſondert und die Mo⸗ 
tive der Uebrigen prüft! | 

So erſcheinen denn Fürſten, die nüchtern und ſparſam, beſonnen 
und berechnend, oft kleinlich und treulos eben waren, wie ſie unter den 
beſchränkenden Verhältniſſen ſein konnten, durch das Medium ihrer 
Hofliteratur wie große Cäſaren und erhabene Mäcene. Sie erkauften 
einfach die Stimmen derer, welche das Jahrhundert beherrſchten und 
ihr Wort durch hundertfältiges Echo in die Zukunft forttönen ließen. 
Und wie es der menſchlichen Eitelkeit eigen iſt, daß ſie gern den 
Schmeicheltönen lauſcht und ſich willig von ihrer Wahrheit überführen 
läßt, ſo wiegten auch jene Fürſten ſich in einem Traume ihrer ruhm⸗ 
vollen Unſterblichkeit, der als zweites Phantaſieleben neben dem nackten 
realen Leben herging. Daher die ausſchweifenden Ehren, die überfrei⸗ 
gebigen Belohnungen, die auf dieſe Hofliteraten gehäuft wurden und 
nun ſie wiederum in eine Wolke von Selbſttäuſchung hüllten, als ſeien 
ſie die Leuchten der Menſchheit, die Propheten der Zukunft, als liege 
es in ihrer Hand, die Palme des ewigen Ruhmes oder die Verdamm⸗ 
niß der Vergeſſenheit auszutheilen. Zu Statten kam ihnen ferner die 
nie ſchlummernde Rivalität und Eiferſucht der Fürſten unter einander; 
denn dieſen war es ein wahrer Triumph, einander literariſche Größen 
abzufangen. Mit einem Wort, man erhob die Koryphäen der Wiſſen⸗ 
ſchaft zu den Trägern der öffentlichen Meinung, und demgemäß ge⸗ 
berdeten ſie ſich mit dem Stolze einer Weltmacht. 

Man kann auf dieſes ſeltſame Verhältniß zwiſchen den Literatoren 
und den Höfen das Wort Hamlet's anwenden, welches er dem Polonius 
über die Behandlung der Schauſpieler einprägt: „Hört Ihr, ſorgt 
daß ſie gut gehalten werden; denn ſie ſind der Inbegriff und die Chro⸗ 
niken der Zeit. Es wäre Euch beſſer, nach Eurem Tode eine ſchlechte 
Grabſchrift zu haben, als ihre üble Nachrede, während Ihr lebt.“ 


U 


218 IV. Neapel. König Robert und Petrarca. 


Den erſten Muſenhof haben wir in Neapel zu ſuchen und hier 
war König Robert aus dem Hauſe Anjou der erſte Auguſtus, der 
die Dichter hegte, hier hatte ſchon Petrarca die Verehrung der Poeſie 
und des Alterthums gepflanzt. Seine Anweſenheit in Neapel wirkte 
entzündend auf den König, obwohl dieſer bereits 66 Jahre zählte und 
bisher nur für Philoſophie und Theologie einiges Intereſſe gezeigt. 
Als Petrarca ihm einſt — auch Boccaccio war gegenwärtig — den 
geheimen Sinn nachwies, der ſich in Virgils Gedichten berge, meinte 
der König erſtaunt, er habe nie geahnt, daß hinter den Fictionen der 
Dichter ein fo erhabener Gehalt ſtecke. Er bereute, die Poeſie jo fpät 
erkannt zu haben, und wollte ſogleich an das Studium Virgils gehen. 
Ich ſchwöre, ſagte er einſt nach einem inhaltſchweren Schweigen zu 
Petrarca, daß mir die Wiſſenſchaften viel ſüßer und theurer ſind als 
mein Reich und daß ich lieber das Diadem als ſie entbehren möchte. 
So anrüchig ſeine Regierung ſonſt in mancher Beziehung iſt, hat Pe⸗ 
trarca dennoch dieſen erſten fürſtlichen Mäcen mit unermüdlichem 
Preiſe verherrlicht, und Boccaccio folgt ihm auch hierin als treuer 
Schildknappe. Merkwürdig, wie dieſelben Phraſen, die Petrarca auf 
Robert anwendete, von ſeinen Nachfolgern oft genug an ſpätere Fürſten 
mit derſelben Wirkung gerichtet worden ſind. Petrarca machte den 
König zum Freunde der Muſen, indem er ihn verſicherte, daß er es 
bereits ſei; er ſtellte ihm den Cäſar Auguſtus nicht unmittelbar zum 
Vorbilde auf, ſondern er wollte bemerkt haben, daß der König ſelbſt 
ſich dieſes Vorbild gewählt; er rühmte ihn, daß Tugend und Geiſt vor 
ihm gälten, nicht der Vorzug der Geburt, und dergleichen. „Glück⸗ 
liches Neapel! rief er aus, dem es durch ein Glück ohne gleichen zu 
Theil geworden, den einzigen Edelſtein unſers Jahrhunderts zu beſitzen! 
Ja glückliches und beneidenswerthes Neapel! heiligſte Heimath der 
Wiſſenſchaften! Erſchieneſt du einſt ſchon dem Maro ſüß, wie viel 
ſüßer mußt du jetzt erſcheinen, da ein fo weiſer Verehrer der großen 
Geiſter und der Studien in dir wohnt. Zu dir komme, wer ſeinem 
Genius vertraut!“ ). 

Sogleich zeigten in Neapel, wie denn das Beiſpiel von Königen nie- 
mals ohne Nachahmung bleibt, einige Edle vom Hofe eine heftige Liebe 


) Petrarca epist. de reb. famil. I, 1. IV, 2. 3. Epist ad. poster. Epist. 
ad Robertum Sicil. Reg. (Opp. p. 1252), Rer. memorand. Lib. I. in fine (Opp. 
p. 456) Lib. III (p. 513). Das Epitaph auf den König epist. metr. II, 9. Boc- 
oatii de geneal. Deor. XIV, 9 ad fin. 22, 


IV. Neapel. König Alfonfo. 219 


zur Poeſie oder vielmehr eine glühende Verehrung für Petrarca; ſo 
Giovanni Barrili und Barbato von Sulmona, letzterer des Königs 
Canzler und von Petrarca im Feuer der Freundſchaft als zweiter 
Ovidius begrüßt. Doch war die Zeit noch nicht da, in welcher es eine 
Schaar von Schöngeiſtern gab, die ſich um König Robert hätte ver⸗ 
ſammeln können. Er that, was er ſolchen Umſtänden nach thun konnte. 
Er ſammelte Bücher aller Art, auch poetiſchen und geſchichtlichen In⸗ 
halts, und ſo entſtand die erſte fürſtliche Bibliothek, die im Gegenſatz 
zu den Kirchen⸗ und Kloſterſammlungen den weltlichen Charakter ſchon 
nicht mehr verleugnete. Ihr Vorſtand war der gelehrte Paolo de 
Perugia, deſſen Arbeiten Boccaccio nicht wenig zu verdanken bekennt.) 
Den Mönch Barlaamo ließ der König mit nicht geringen Koſten 
aus Griechenland kommen, damit er zu dem mythologiſchen Sammel⸗ 
werke Paolo's die Stellen griechiſcher Autoren überſetzen und die nöthi⸗ 
gen griechiſchen Bücher herbeiſchaffen helfe. 

Erſt nach mannigfachen politiſchen Wirren ſollte ſich hier in Neapel 
ein Muſenhof im volleren Sinne bilden. Werden Kunſt und Wiſſen⸗ 
ſchaft einmal höfiſch, fo muß zu ihrem Gedeihen ein bildungsliebender 
und liberaler Fürſt in die Mitte treten, der durch freudige Theilnahme 
anregt und ſpornt, der jedes gute Ding ſeinen Weg gehen läßt und 
Männer von Geiſt nicht zu bloßen Hoffiguren erniedrigt. 

König Alfonſo der Aragonier iſt mit dem meiſten Recht von 
den Humaniſten als das Ideal eines mäcenatiſchen Fürſten geprieſen 
worden, und nicht nur bezahlte Schmeichelei, auch wahrhafte Verehrung 
hat dazu mitgewirkt. Seine Geſtalt, entkleiden wir ſie auch jedes er⸗ 
borgten Schimmers, erſcheint dennoch als eine ungewöhnliche. Mit 
den Waffen in der Hand hatte er das apuliſche Reich dem franzöfiſchen 
Prätendenten abgerungen, deſſen Cabalen, verbunden mit dem rebelli⸗ 
ſchen Sinn der Barone, ihm immer noch Unruhe genug machten. Auch 
dauerte es lange, bis die Mächte Italiens der Feſtigkeit feines Thrones 
vertrauten. Er aber zeigte in Allem den ſichern Fürſten, der ohne 
Verdacht und Furcht, offen und frei über das Reich waltete. Er war 
durchaus kein Schooßkind des Glückes, aber man liebte es in Italien 
zu ſagen, daß er die Dirne Fortuna unter ſeinen kräftigen Willen ge⸗ 
beugt. Eifrig nahm er Antheil an allen diplomatiſchen Verhandlungen 
und Kriegen der Halbinſel, es ſollte nicht ausſehen, als habe er nöthig, 


) Bocost. Il. c. XV, 6. Raphael Volaterr. Lib. XXI. 


220 VV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel. 


ſchüchtern, vorſichtig und ſparſam zu fein. Um den Schein der wohl⸗ 
begründeten Macht zu wahren, ließ er bisweilen ſogar kleine Vortheile 
mit Gleichgültigkeit fallen. Obwohl ihn ſtets Geldmangel und Ver⸗ 
ſchuldung drückten, hielt doch kein andrer Fürſt ſo glänzenden Hof, 
keiner beſchenkte die fremden Geſandten ſo reichlich. Obwohl ihm ferner 
die Erhaltung ſeiner Dynaſtie, die Nachfolge ſeines Baſtards Fernando 
bedenklich erſcheinen mußte, wiegte er ſich doch mit ſcheinbarer Sorg⸗ 
loſigkeit in den Freuden der Jagd und der Wolluſt. Trotz dem ſpa⸗ 
niſchen Blute ſchien er in ſeinem Leben ganz und gar der italieniſche 
Fürſt zu ſein, wie er auch fertig italieniſch ſprach. Es war ihm eine 
rechte Genugthuung, als die franzöſiſche Ritterſchaar, die den Anſpruch 
des Herzogs von Orleans auf Mailand zu verfechten kam, ſo ſchnell 
und ſchmählich abgefertigt wurde und als dieſer Sieg in ganz Italien 
ein freudiges Zujauchzen hervorrief; derſelbe Haß traf ja auch ſeinen 
Rivalen, das angioviniſche Haus. An die aragoniſche Dynaſtie da⸗ 
gegen gewöhnte man ſich wie an eine einheimiſche. 

Alfonſo war ein offener und freier Kopf, dem niemand den Frem⸗ 
den, den Barbaren nachſchelten ſollte. Waren einmal Wiſſenſchaft und 
Kunſt der Stolz der italieniſchen Nation und ihrer Fürſteu, ſo ſtellte 
er ſich leicht auch von dieſer Seite als ganzer Italiener dar. Er hatte 
die lateiniſche Sprache erträglich leſen und verſtehen gelernt, mit dem 
lateiniſchen Sprechen freilich ging es ſchwach. Schon von Aragonien 
aus, bevor er alſo nach Italien herüberkam, ſtand er mit Lionardo 
Bruni im Briefwechſel und bemühte ſich um deſſen Ueberſetzungen 
ariſtoteliſcher Schriften.) An wiſſenſchaftlichen Kenntniſſen konnte er 
ſich vielleicht mit Coſimo de Medici meſſen, das heißt er war durch⸗ 
aus kein Gelehrter, aber er hatte die Auffaſſungsfähigkeit und das 
Intereſſe eines vielſeitigen Dilettanten, der mit Leichtigkeit zu lernen 
weiß und ſchnell begreift, worauf es ankommt. An Muße fehlte es 
ihm, wie zu den ſinnlichen, ſo auch zu den literariſchen Vergnügungen 
nicht. Daß ihn von einer Krankheit Curtius' Leben Alexanders des 
Großen heilte, welches ihm Beccadelli in täglich drei Lectionen wie eine 
Arzenei beibrachte, daß er ſich in Kriegeszeiten täglich die Commenta⸗ 
rien des Julius Cäſar vorleſen ließ, dies und Aehnliches ſind lite⸗ 
rariſche Hofgeſchichten, die vielleicht ſein Hofdichter erfunden haben 


) Leon. Bruni epist. VII, 2. 7. IX, 13. 


IV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel. 221 


dürfte,) aber in den Berichten von den wiffenſchaftlichen Beſprechungen 
und Disputationen, die es am Hofe Alfonſo's gab, ſind die Autoren 
jener Zeit einſtimmig. Der König war, und auch darin erinnert er 
an den Medici, ein beſonderer Freund der Dialektik, die dem ſchwär⸗ 
menden Humaniſten gegenüber die Rechte des ſcharfen Menſchenver⸗ 
ſtandes vertritt, er hatte die Bibel und dazu die Auslegung des Nico⸗ 
laus von Lyra, wie er ſich zu rühmen pflegte, vierzehn Male durchge⸗ 
leſen, er hörte gern über philoſophiſche und theologiſche Materien 
disputiren und miſchte ſich dann auch in das Geſpräch. An gewandten 
Begriffsfechtern, wie dem Theologen Sogliera, hatte er feine Luft. *) 
Aber auch den heidniſchen Claſſikern hatte ſich fein Sinn geöffnet und 
dieſe Neigung wurde von den Hofhumaniſten eifrig genährt. Daß er 
ſie indeß nicht wie ein tägliches Brod genießen konnte — ſeine Schmeich⸗ 
ler freilich reden in dieſem Tone — beweiſet wohl ſchon der Umſtand, 
daß er ſich Livius und Curtius in die Vulgärſprache überſetzen ließ“) 
und Auguſtinus' Gottesſtaat in einer franzöſiſchen Ueberſetzung las.“) 
Indeß hegte er vor Allem, was dem Alterthum entſtammte, eine faſt 
religiböſe Verehrung: römiſche Münzen bewahrte er in einem elfen⸗ 
beinernen Käſtchen und befchaute mit Gedanken an Tugend und Nach⸗ 
ruhm die Bilder der Imperatoren; als er Gaeta belagerte, ließ er es 
nicht zu, daß die Steine von Cicero's naher Villa für die Kriegs⸗ 
maſchinen verwendet würden.) Er liebte es, wenn ihm, wie großen 
Männern des Alterthums, geiſtreiche oder hochherzige Lakonismen nach⸗ 
gerühmt wurden; mancher edle Zug, manche ſchöne Handlung, die von 
ihm erzählt wird, läßt die Abſicht des Handelnden durchſchimmern, daß 
fie einft in den Annalen der Geſchichte fortleben möge. Er liebte es 
ferner, im Umgange mit Büchern und mit Gelehrten den König zu 
vergeſſen. Bisweilen ſah man ihn zu Fuß vor die Katheder der Pro⸗ 
feſſoren Neapels, zumal der Theologen, gehen. Wenn ein alter Autor 
vor ihm geleſen wurde, durften auch Andre als er ſelbſt die Leetüre 
durch eine kluge Frage oder eine gelehrte Erörterung unterbrechen; er 


) Anton. Pan ormita de dictis et factis Alphonsi N edit. stud. 
Dav. Chytraei. Witebergae, 1585. Lib. I. 43. II, 13. 

2) Vespasiano: Alfonso Re di Napoli $1. 13. Panormita l. c. II, 17. 
9 Tirabos chi T. VI. p. 1076 nach Paulus Cortesius de Cardinal. 
p. 7. f 
) Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. I, 6. 
) Panormita U, 12. 48. 


222 IV. Der Muſenhof Alfonſo's von Neapel. Valla. 


hörte gern zu, wenn die Hofphilologen Verbeſſerungen zum Texte des 
Livius aufſtellten und mit Hitze verfochten.) Wurde nach Tiſche die 
Aeneide geleſen, fo durften arme lerneifrige Knaben zuhören, die Hdf- 
linge aber wurden ausgeſchloſſen; dann reichte wohl der König mit 
eigener Hand dem Vorleſer Früchte oder Zuckerwerk zur Erfriſchung.“) 
Dieſe Vorleſungen und Disputationen waren eine regelmäßige Hoffitte, 
ſte fanden bald im Prunkzimmer des Königs, bald in der prachtvoll 
geſchmückten Bibliothek ſtatt und wurden auch, wenn der König außer⸗ 
halb Neapel reſidirte, oder ſelbſt während ſeiner Feldzüge nicht aus⸗ 
geſetzt. 

Nirgend ſonſt, ſelbſt nicht in den Republiken, durften die Literato⸗ 
ren ſo frei und rückſichtslos ihr Weſen treiben, wie unter der mächti⸗ 
gen Aegide dieſes Königs von Neapel. Selbſt vor dem langen Arme 
des römiſchen Hofes und vor mönchiſchem Glaubenseifer fanden ſie hier 
die ſicherſte Zuflucht. Zum erſten Male und allein hier gab es eine 
Freiheit des Wortes, die für keine Verletzung der Kirche, der Religion 
oder der Sittlichkeit eine Strafe zu fürchten hatte. Deshalb eben fanden 
ſich auch hier die ungebundenſten und kühnſten Geiſter zuſammen, hatte 
der Sturm und Drang gegen die Autorität hier feinen Mittelpunet. 

Zwei Namen erſten Ranges nannte dieſer Muſenhof die ſeinen, 
Lorenzo della Valle, gewöhnlich ſchlechthin Valla genannt, den Römer, 
wie er ſich am liebſten nannte, obwohl er zu Piacenza geboren war,“) 
und Antonio Beccadellt von Palermo. Valla hatte den König ſchon 
ſeit 1435 auf ſeinen Feldzügen begleitet, im Anfange des Jahres 1437 
trat er als Secretär in ſeinen Dienſt, ein Mann von etwa dreißig Jah⸗ 
ren, und wurde von ihm der Ehre des Dichterdiploms gewürdigt. Seit 
der Einnahme Neapels hielt er hier eine öffentliche Schule der Eloquenz, 
wie er zuvor in Genua, Pavia und Mailand gethan. Schon war er 
kein unbekannter Schriftſteller mehr. Seine Dialoge über die Wolluſt, 
deren Plan er wohl noch während feines Aufenthaltes in Rom ent⸗ 
worfen und die er dann zu Pavia ausgearbeitet, hatten kein geringes 


) Laur. Valla Invect. in Barth. Facium Lib. I (Opp. Basileae, 1540 
p. 464). 

) Panormita I, 39. IV, 18. Valla Recriminsationum in B. Facium 
Lib. IV (Opp. p. 593). Vergl. die Erzählung des Genueſen Jacopo Curlo bei 
Tiraboschi T. VI. p. 68. 

) ef. Jo. Ant. Vigerini Elogium Vallae bei Georgius Vita Nicolai 
V. Romae. 1742. p. 207. re 


IV. Valla und feine Dialoge tiber die Wolluſt. 223 


Aufſehen erregt. Sie wiegen die ſtoiſche und die epikuräiſche Lehre gegen 
einander ab; ſie enthalten eine Verherrlichung der Wolluſt, wenn auch 
nicht als letzte Moral. So vorſichtig ſich der Verfaſſer gleich in der 
Einleitung vor jeder übelwollenden Deutung verwahrt, ſo unleugbar 
ſeine Behauptung ſcheinen mochte, daß er den Epikuräer unmöglich mit 
dem würdigen Ernſte des Stoikers ſprechen laſſen könne, ſo entſchieden 
er ſchließlich die Lehre des Chriſtenthums triumphiren läßt, ſo wird 
doch immer das Recht der ſinnlichen Natur mit der verführeriſcheſten 
Geſchicklichkeit verfochten. Dieſe reizte den Leſer, ſchon weil ſie neu 
und kühn war; die chriſtliche Ethik hatte er von Predigern hundertmal 
gehört. Daß ein Menſch, der auf den Namen eines Chriſten Anſpruch 
machte, nur ſolche Sätze auszuſprechen wagte! Die Jungfräulichkeit, 
mit deren Entheiligung das Mönch⸗ und Nonnenweſen als ein Unding 
zuſammenfällt, wird als die naturwidrigſte und unerträglichſte Qual 
dargeſtellt. Wurden wir, ſo heißt es, nach dem Geſetze der Natur ge⸗ 
boren, ſo iſt es auch ein Geſetz der Natur, daß wir wieder zeugen 
ſollen. Wie lockend erſcheint überall dem natürlichen Menſchen die Li⸗ 
cenz! hier nun wird fie in einem wohlgerundeten Syſtem vorgetragen. 
Wie fügt er ſich nur mit Widerſtreben dem kategoriſchen Sittengeſetz, 
das ihm in der Religion als eine höhere, mit Strafen ausgerüſtete 
Macht vorgeſtellt wird! hier wird ſpielend die ſtrenge Autorität des 
ſtoiſchen und damit auch des chriftlichen Sittengeſetzes gelockert und 
darüber gelächelt, wie ſich der ſtoiſche Sinn auf ſeiner unerſchütterlichen 
Theorie wie auf angeklebten Flügeln zum Himmel zu ſchwingen meint 
und doch ſtets des Ikaros Schickſal unterliegt. Es iſt uns ſehr be⸗ 
greiflich, daß Valla durch dieſe Erörterungen in den Ruf kam, als 
habe er geradezu die Wolluſt für das höchſte Gut erklärt,) daß man 
die Form der Disputation für eine bloße Vorſicht, den Sieg der chriſt⸗ 
lichen Ethik für den bloßen Schein des Gerechten hielt. Die vergiftende 
Lebensanſicht war einmal ausgeſprochen und da blieb es ziemlich gleich⸗ 
gültig, ob ſie auch behauptet wurde. Ueberdies ſprach, was man vom 
Lebenswandel des Verfaſſers wußte, nicht für ſeine Moralität. Er 
aber war Schalk genug, um ſich des ſichern Rückzuges zu freuen, den 
er ſich vorbehalten, und um ſich über die Gährung zu beluſtigen, die 
er in die Gemüther geworfen. | 
Es fehlte ferner in feinem Werke nicht an Seitenhieben gegen die 


) Vergl. z. B. Fabi us de vir. illustr. p. 23. 


224 IV. Valla und feine Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung. 


Mönche und das Mönchthum; die ganze Führung der Streitfrage iſt 
ein ſteter Ankampf gegen ihre beſchränkte Auffaſſung der tiefen Lebens⸗ 
fragen. Wir gedenken den Leſer noch in die frivole Atmoſphäre ge⸗ 
wiſſer römiſcher Kreiſe zu führen, in welcher auch dieſes Werk entitand, 
Es zeigt jedenfalls einen Geiſt, der die hergebrachte Autorität von ſich 
geworfen hat oder zum mindeſten von ſich werfen kann. Wahrſchein⸗ 
lich kam eine perſönliche Gereiztheit Valla's hinzu. Er hatte als ein 
vierundzwanzigjähriger Jüngling bei Papſt Martin um eine Stelle in 
der apoſtoliſchen Cancelei angehalten und war abgewieſen worden.) 
Die Cardinäle, ſagte man ihm, ſeien ſeiner Bewerbung entgegen ge⸗ 
treten; ſofort rächte er ſich durch biſſige Epigramme, in welchen er ihre 
Eigenheiten und Laſter verhöhnte.) Man konnte ihn wie Poggio als 
einen unverſöhnlichen Feind der Pfaffen und Mönche anſehen, aber 
Poggio's Waffen waren die Schmähung und der Witz, Valla's wurden 
die Schmähung und die Kritik. Er war inzwiſchen durch ſeine „Ele⸗ 
gantien“ die erſte Autorität auf dem grammatiſchen Gebiete geworden; 
dadurch wuchs ſein Muth, die Achtung Alfonſo's vor ſeiner Gelehr⸗ 
ſamkeit und die Bedeutung ſeiner Perſon in der literariſchen Welt. 
Im Jahre 1440 erſchien Valla's Schrift gegen die conſtantiniſche 
Schenkung.) Der Augenblick war verhängnißvoll. König Alfonſo war 
der politiſche Gegner des Papſtes Eugen IV, deſſen rechte Hand, Car⸗ 
dinal Vitelleschi, einen Verſuch gemacht hatte, das neapolitaniſche Reich 
für den päpſtlichen Stuhl in Beſchlag zu nehmen. Begünſtigte der 
Papſt als Lehnsherr die Anjou, ſo ſtand Alfonſo natürlich auf Seiten 
des basler Concils, welches den Papſt gerade damals für entſetzt er⸗ 
klärte. So iſt es kaum zu bezweifeln, daß Valla im unmittelbaren Auf⸗ 
trage des Königs ſchrieb. Denn daß nicht der ernſte Geiſt der Wiſſen⸗ 
ſchaft ihn antrieb, zeigt ſchon der heftige Ton, mit dem er gleich in 
der Einleitung gegen die Päpſte im Allgemeinen losfährt, dann Papſt 
Eugen als Tyrannen und Cardinal Vitelleschi als einen Bluthund 
ſchmäht.) Die gelehrte Forſchung war ihm nicht der Zweck, ſondern 


) Vallae Opp. edit. s. cit. p. 352. 

2) P. Cortesius de Cardinal. L. II. p. 88 nach Ti ra boschi T. VI. p. 1561. 

) De falso credita et ementita Constantini donatione, öfters gedruckt, auch 
in feinen Opp. Nach p. 793. derſelben ſchrieb Valla das Buch ſechs Jahre ua der 
Flucht des Papſtes Eugen aus Rom. 

) p. 791 nennt er ihn monstrum atque portentum — — qui gladium — 
— in Christianorum sanguine lassavit, quo gladio et ipse periit (1. Apr. 1440). 


IV. Valla und feine Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung. 225 


nur das Kampfmittel. Und mehr als ſeine kritiſche Unterſuchung der 
alten Schenkungstradition reizte den Gegner die drohende Declamation 
gegen vas moderne ſimoniſtiſche und verweltlichte Papſtthum, dem er 
einen förmlichen Krieg ankündigt.) Damit ſtimmte er in den verhaßten 
Ton ein, mit dem die Concilredner im basler Dom den italieniſchen 
Papat angriffen. Es war ein Schlag, der von Italien aus und mit 
der blitzenden Waffe des Humanismus geführt wurde, die bis dahin 
mehr zum Schutze des Papſtthums gedient, die ihre Triumphe in die 
Klaſſen der beſten Geſellſchaft, an die Höfe, unter den gebildeten Adel, 
unter die Prälatur trug. Welche Gefahr, wenn auch in Italien die 
Sympathie für die gallicaniſchen Lehren erweckt wurde, die ſeither aus 
nationaler Abneigung nicht aufgekommen war! 

Der Papſt und die Cardinäle waren der Anſicht, daß gegen Valla 
ſchlechterdings eine Unterſuchung eingeleitet und daß er, wenn ſchuldig 
befunden, geſtraft werden müſſe. Er war in Rom, wo er ſich ver⸗ 
muthlich zum Beſuche ſeiner Verwandten aufhielt, nicht mehr ſicher, 
floh heimlich nach Oſtia, dann nach Neapel und endlich gar in einer 
Verkleivung nach Barcelona, wo er das ſchlimmſte Unwetter vorüber⸗ 
gehen ließ.) Nur Alfonſo's feſte Zuſicherungen können ihn vermocht 
haben, nach Neapel zurückzukehren. Man hielt dennoch ſeine Lage für 
gefährlich: Filelfo gab ihm den freundſchaftlichen Rath, den Sturm 
möglichft zu beſchwichtigen, die Pfaffen nicht zu reizen, ſich lieber ganz 
feiner Muſe und dem Dienſte des Königs zu widmen.“) 

Aber Valla fühlte ſich unter Alfonſo's Aegide ſicher genug, er 
ſetzte ſogar den Kampf gegen die verhaßten Mönche mit aller Freiheit 
fort. Sie wagten es nicht, den kritiſchen Streit über die Schenkung 
Conſtantins aufzunehmen, ſie verſuchten Vorpoſtengefechte über Mate⸗ 
rien, in denen ſie ſich heimiſcher fühlten. Valla erklärte den Brief 
Chriſti an Abgar von Edeſſa, den Euſebins ) mittheilt, für unterge⸗ 
ſchoben, er verhöhnte Fra Antonio da Bitonto, einen furioſen Mino⸗ 
ritenprediger, weil dieſer behauptet, jeder Artikel des apoſtoliſchen Sym⸗ 


) Am Schluſſe des Werkes heißt es: Wenn der Papſt ſich weigert, zur Armuth 
ſeiner Vorgänger Sylveſter und Leo zurückzukehren, tune ad alteram orationem 
multo truculentiorem accingeremur. 

) Tiraboschi T. VI. p. 1551 nach Antonio Corteſe. 

)Philelfi Satyr. Dec. II. hec. 4. Namque sacerdotum furor est insanus 
et ingens. 

) Histor. eoales. Lib. I. cap. 13. 


Voigt, Humanismus. 15 


226 IV. Balla und die Inquiſttion. 


bols ſei von einem der Apoſtel beſonders verfaßt, er ließ endlich die 
Meinung durchblicken, jenes Symbol rühre überhaupt nicht von den 
Apoſteln her. Das waren feinen Gegnern willkommene Ketzerejen, auf 
Grund deren ſich ſchon „verfahren“ ließ. Sie fanden in Valla's 
Schriften noch manche incriminirende Aeußerung. In den Tractaten 
über die Wolluſt und über den freien Willen ſollte er die Lehre Gpikurs 
in Schutz genommen und behauptet haben, die Tugenden ſeien nur die 
Dienerinnen der Voluptas, Klugheit und böſer Sinn lägen nahe hei 
einander, es gebe nur drei Elemente, nicht vier, nur drei innere Sinnt, 
nicht fünf, nur acht Syllogismen und die andern von den neunzehn 
ſeien Unſinn, aber auch ſchlimmere Dinge, wie daß die Mönche ſich 
mit Unrecht einbildeten, wegen ihrer Profeſſion mehr zen au 
haben als andre Menſchen, und dergleichen. 

Man hetzte zunächſt den Pöbel gegen den Ketzer auf. 80 Fra 
Antonio donnerte mehrere öffentliche Predigten gegen ihn. Daun kam 
es zur Disputation und endlich auf das Betreiben der Bettelmönche 
zur Inquiſition. Die Dominicaner, deren Amt die letztere war, ber 
langten Valla vor dem erzbiſchöflichen Vicariat. Sie wollten ihm uur 
die Wahl zwiſchen einer ſchmählichen Demüthigung oder einem ſchmäh⸗ 
lichen Tode laſſen. Darum verlangten ſie förmlichen Widerruf. Valla 
beſtritt ihre richterliche Competenz: fie, feine Feinde, feien zugleich An⸗ 
kläger, Richter und Zeugen. Wolle er ſich vertheidigen, ſo verbiete 
man ihm das Wort, und nehme er ſich das Wort, fo ſeien ſie bereit, 
ihn alsbald für einen hartnäckigen Ketzer zu erklären und vom Pöbel 
ſteinigen zu laſſen. In dieſer furchtbaren Geſtalt beliebte Valla fpäter 
dem Papſte Eugen das Glaubensgericht auszumalen. Daß aber bie 
Zuverſicht auf den Schutz des Königs viel größer war als die Furcht 
vor den Mönchen und dem Pöbel, zeigt fein Benehmen. Statt einer 
ausführlichen Verantwortung warf er nur mit ſichtbarer Perachtung 
die Erklärung hin, er glaube wie die Mutter Kirche. Als man ihn 
endlich durch eine in ſeiner Dialektik aufgeſtellte, dem dogmatiſchen Ge⸗ 
biete fremde Behauptung zu verſtricken ſuchte, antwortete er dem heili⸗ 
gen Tribunal mit der ſpottenden Bemerkung: die Mutter Kirche wiſſe 
zwar nichts davon, aber er glaube auch in dieſen Dingen ganz wie die 
Mutter Kirche. Kaum hatte er den Ort der Unterſuchung verlaſſen, 
jo wartete er nur, bis auch die Herren Inquiſitoren herauskamen, 
ſchmähte weidlich auf ſie, daß ſie es hören mußten, und ging dann 
ſtracks vor den König, um ſich zu beklagen. Alfonſo ließ die Inquiſi⸗ 


IV. Valla im Kampfe mit den Theologm. Hermaphroditus. 227 


toren tabelnd an: er wiſſe recht wohl, was fie gegen Valle antreibe; 
er nannte geradezu das Werk gegen die Schenkung Conſtantins. Valla 
behauptet ſogar, er habe zornig feine Gegner als Verſchworene, als 
falſche Ankläger und ungerechte Richter geſcholten. Kurz, der Proceß 
wurde fofort eingeſtellt und den Mönchen Ruhe geboten.) 

Ungeſtraft hatte der Kritiker die ehrwürdige Tradition angegriffen, 
der Grammatiker die Theologen gemeiſtert, der Hofdichter die heilige 
Inquiſition verhöhnt. Sein kühnes Buch gegen das Papſtthum wurde 
erſt recht verbreitet und geleſen, ſeitdem König Alfonſo es öffentlich 
und mit Billigung erwähnt und ſich gleichſam als Protector erklärt. 
Zum Aerger der Ketzermacher beſchäftigte ſich der gelehrte Philologe 
nun gar mit dem neuen Teſtament, rügte die ſprachlichen Mängel der 
Bulgata und ſoll ſogar ein Regiſter über die Irrthümer des heiligen 
Hieronvmus geführt und den heiligen Auguſtinus beſchuldigt haben, er 
hege irrige Anſichten über die Prädeftination.) Vor weiteren An⸗ 
griffen ſchützte ihn nicht nur Alfonſo's Gunſt, ſelbſt der Nachfolger 
Eugen s IV, des ſchwergekränkten — verzieh ihm. Er verzieh ihm 
nicht nur, wir ſehen mit Erſtaunen, wie der verketzerte Gelehrte nach 
Rom gerufen, zum apoſtoliſchen Scriptor ernannt, geehrt und reichlich 
beſchenkt wurde. Der tiefer Blickende wird nicht verkennen, welche Be⸗ 
deutung in dieſem Siege der humaniſtiſchen Gelehrſamkeit über die 
Vertreter der Tradition und der Orthodoxie liegt.) 

Viel mehr Aufſehen noch als Valla's Streitſchrift gegen den Pa⸗ 
pat erregte in den erſten Regierungsjahren Eugen's IV ein kleines 
Buch, welches unter dem Titel Hermaphroditus eine Sammlung 
von Epigrammen enthielt, die an genialer Keckheit und ſchmutziger Fri⸗ 
volität Alles übertraf, was die Humaniſten bisher etwa in Nachahmung 
der römiſchen Satiriker ſich herausgenommen.) Es war das Erſt⸗ 


) Den Vorfall erzählt Valla ſelbſt in ſeinem an Papſt Nicolaus V gerichteten 
Antidoton in Pogium lib. IV (Opp. p. 356 sq.) und in der Apologia pro se et 
contra calumniatores ad Eugenium IV (Opp. p. 795 8.) 

5) cf. Poggii epist. Alberto Parisio cancellario Bononiensi im Spicileg. 
Roman. T. IX. p. 642. 

%) C. G. Zumpt Leben und Verdienste des Laur. Valla (Zeitschrift für 
Gesahichts wissenschaft herausgeg. von W. Ad. Schmidt Bd. IV) giebt mit Be- 
nutzung von Poggia li's Biographie (Memorie intorao alla vita e agli soritti di 
Lor. Vals. 1790) eine treffliche Ueberſicht über das Leben und zumal die philologi⸗ 
ſchen Verdienſte Valla 8. 

) Antonii Panormitae Hermaphrodius. Frimus in Germanis edidit et 

15 * 


298 IV. Beecabeili's Hermaphroditus. 


lingswerk eines jugendlichen Dichters, der zu Siena den Studien ob⸗ 
lag und hier im Sitze der Liebe und der Lüſte — molles Senae nennt 
er es ſelbſt — mit Enea Silvio de! Piccolomini zuſammen das ge⸗ 
nießende Leben nach den Alten und die Dichter der Alten nach dem 
Leben ſtudirte), des Antonio degli Beccadelli, gewohnlich nach 
ſeiner Vaterſtadt Panormita beibenannt. Das Buch ließ in einen 
Abgrund von Laſterhaftigkeit ſehen, aber es umkränzte ihn mit den 
zierlichſten Blumen der Poeſie. Alſo nicht nur diejenige geſchlechtliche 
Sünde, in der das Weib zum Spiel der wiverlichſten Lüſternheit wird, 
auch die Päderaſtie, dieſe Schande, dieſer Fluch der alten Welt, über 
den die chriſtliche Religion einen ihrer vollſten Triumphe gefeiert, auch 
ſie lebte wieder auf und nicht nur im Dunkel des vereinzelten Ver⸗ 
brechens, ſie war bereits zur wohlbekannten Sitte geworden. Die 
leichtfüßigen Verſe des Dichters ſpielten mit dieſen Vorſtellungen, als 
ſeien ſie die natürlichſten und allverſtändlichſten Gegenſtände des Witzes 
und der heitern Laune. Und noch mehr: der Dichter bekannte ſich mit 
Freuden als Verfaſſer des Schandbuches, er vertheidigte es mit dem 
Vorgange der altrömiſchen Dichter, er ſah auf die ſtrengen Sittlich⸗ 
keitswächter wie auf dummes Volk herab, welches den Zauber der au⸗ 
tiken Lascivität nur nicht verſtehe. 

Das war nun die erſte erſchreckende Frucht des Glaubens an die 
Unfehlbarkeit der Alten, eine kühne Herausforderung der kirchlichen 
Moral, ungleich kühner als Valla's Dialoge über die Wolluft. Die 
Humaniſten fanden die Sache nicht einmal auffällig. Der alte Gnarino 
von Verona, der damals etwa 63 Jahre zählte und ehrlicher Vater 
von einem Dutzend Kinder war, bewunderte die ſüße Harmonie des 
Gedichtes, den heitern hüpfenden Vers, der wie mitten im Bordell 
herumbuhle, die Ungezwungenheit des Scherzes und ber Lascivttät. 
Er ſetzte ſich leicht über das Geſchrei der Ungebildeten hinweg, „die 
nur an Thränen, Faſten und Pſalmen ihr Behagen finden und nicht 


Apophoreta adjecit F. C. Forbergius. Coburgi, 1824. Den Titel des Buches 
erklärt der Dichter Lib. I, 3 offen genug: Cunnus et est nostro, simul est et 
mentula libro. | 

') Daß die Epigramme wohl ſämmtlich in Siena entſtanden find, geht aus 
ihrem Inhalt hervor. So wird darin, um nur ein Beiſpiel heranszuheben, der 
Grammatiker Matthias Lupius wiederholt als Pädicaut ſeiner Schüler gebrandmarkt 
(Epigr. Lib. I, 23. 26. 36. II, 16. 19. 24). Zum Ueberfluß jagt es auch Valla 
in Bart. Facium Lib. IV (Opp. p. 630). a N 


IV. Beccabeil’s Hermaphroditus. 229 


wiffen, daß ein andres Ziel das Leben, ein andres die Dichtkunſt hat.“ 
Den Dichter begrüßte er als einen neuen Theokritos.) Auch Poggio 
erklärte demſelben ſeine Freude an der Eleganz der Verſe und ſeine 
Bewunderung, daß er ſo unkeuſche, tolle Dinge ſo zierlich und lieblich 
geſagt. Zwar mahnte er ihn, in der Folge auf ernſtere Stoffe zu 
finnen, da chriſtlichen Dichtern nicht daſſelbe freiftehe wie den heidni⸗ 
ſchen, aber dieſen Vorwurf meinte er ſicher nicht allzu ernſtlich, ey der 
noch im ſiebzigſten Lebensjahre die Facetien ſchrieb, das würdigſte Sei⸗ 
tenſtück zum Hermaphroditus.) Antonio Loschi, der Grammatiker, 
der das Buch gleichfalls reizend fand, hatte es ihm geſchickt. Biſchof 
Bartolommeo von Mailand ließ dem Dichter fein unglaubliches Ver⸗ 
langen melden, es zu leſen.) Die Reize eines gewandten Verſes, der 
Neuheit und der Sinnlichkeit, von denen jeder für ſich ſtark genug 
wirkt, kamen der Verbreitung des Hermaphroditus alle vereinigt zu 
Statten. Als König Sigmund ſich 1433 zu Siena aufhielt, krönte er 
den jungen Mann mit dem Dichterlorbeer.) 

Aber dieſes Aufſehen weckte auch die Zionswächter der Sittlichkeit 
und wie gegen Valla, ſo traten auch gegen den jungen Palermitaner 
die Minoriten von der Obſervanz in die Schranken. Ihre berühmteſten 
Prediger, Bernardino von Siena, Roberto da Lecce und Alberto da 
Sarteano eiferten gegen den Verfaſſer und verbrannten das Buch zu 
Bologna, Ferrara und Mailand auf den öffentlichen Plätzen.) Die 
Feder ergriff zuerſt der genannte Alberto: er wollte die lüſterne Jugend 
vor dem anſteckenden Einfluſſe des „höchſt verbrecheriſchen Buches und 
des, wenn er nicht bereue, nicht minder verlorenen Verfaſſers“ retten, 
dieſen wollte er „erſt mit väterlicher Liebe mahnen, dann mit der 
Furchtbarkeit des gerecht zürnenden Richters ſchrecken.“ Ein andrer 
Franciscaner, Antonio da Rho, ſchrieb eine Invective gegen das Buch 


) Sein Brief an Giov. Lamola bei Lami Catal. cod. msc. Bibliothecae 
Biccard. p. 37, bei Ban dini Catal. cod. lat. Bibliothecae Mediceo-Laurent. T. 
II. p. 106, bei Forberg I. c. p. 16. 

2) Sein Brief an Panormita, d. Rom d. 5. April 4432 oder 1433) und ein 
zweiter Brief an denſelben o. D. in Poggii Opp. p. 349. 353, bei For berg p. 14. 

) Panormita's Brief an ihn in j. Epistolae. Venet., 1553. fol. 38, bei 
Forberg p. 1. 

) Aſchbach Geſch. K. Sigmund's Bd. IV. S. 403. 

) Albertus Sarthianensis epist. 3. 8. ap. Martene et Durand Vet. 
scriptt. et monum. ampliss. Collectio T. III. p. 775. 796, bei Forberg p. 20. 
Laur. Valla Antid. IV. in Poggium (Opp. p. 841. 364). 


230 | IV. Beecadelli. 


und den Verfaſſer, der fie nicht unbeantwortet ließ.) Der Earthänfer 
Mariano da Volterra trat mit einem Gegengevicht in die Schranken.) 
Es iſt bezeichnend genug, daß dieſe Mönche ſchon keine ſchärfere Waffe 
hatten als ihre Rede und ihre Feder, um vas ſcandalöſe Buch zu ver⸗ 
nichten. Zwar vermochten fie Papft Eugen, es zu verdammen und 
jeden mit der Excommunication zu belegen, der es leſen würde. Aber 
gewiß ging es oft wie in einem Falle, der uns erzählt wird, wo Car⸗ 
dinal Ceſarini einen ſeiner Secretäre bei der verſtohlenen Lectüre des 
verbotenen Buches betraf.) Valla, freilich der bitterſte Feind Bec⸗ 
cadelli's, erzählt uns, das auf Papier gemalte Bild des Dichters ſei 
ſowohl zu Ferrara während des Concils wie dann auch zu Mailand 
vor einer großen Menge Volkes verbrannt worden.“) Endlich hielt 
es der verketzerte Poet doch für zweckmäßig, nur im Stillen zu lachen 
und öffentlich ſeine Reue über die Unthat der frivolen Muſe zu be⸗ 
zeugen.) 

Es ſcheint, daß der beranſchende Beifall, mit welchem der Herm⸗ 
aphroditus begrüßt wurde und der weder mit der Mühe noch mit 
dem wirklichen Verdienſte im Verhältniſſe ſtand, den fungen Dichter 
früh an die Schranke ſeines Talentes führte. Er hatte eben nur glück⸗ 
liche Gaben, ein geiſtreiches Weſen und heitre Lebensluſt. Um ſeine 
Gelehrſamkeit ſcheint es ſehr dürftig geſtanden zu haben. Der eine 
glückliche Wurf, den er noch als Student gethan, blieb ſeine bedeu⸗ 
tendſte Leiſtung. Wir hören, daß er ſich zu Pavia, Piacenza, Bologna 
und Padua als Lehrer der Rhetorik verſuchte. Auf dieſe Laufbahn 
durch vier Univerſitäten kommen höchſtens zwei Jahre, er trieb fich 
umher, ſei es daß er wenig gelernt hatte und wenig lehren konnte oder 
daß die Machinationen ſeiner überall geſchäftigen Feinde, der Bettel⸗ 
mönche, ihm jedes Gedeihen verkümmerten. Gerade Talente ſeines⸗ 
gleichen ſind ſchon zu hunderten zu Grunde gegangen. Da rief ihn 
Alfonſo etwa 1435 zu ſich nach Neapel und hier fand er gerade die 
Stellung, die ihm allein angemeſſen war. Er wurde der literariſche 


) Facius de vir. illustr. p. 4. 
) Tiraboschi T. VI. p. 1106. 
)Vespasiano: Giuliano Cesarini $ 10. 
*) Valla Invect. in Barth. Facium Lib. II (Opp. p. 543). 
) Hic foeces varias Veneris moresque profanos, 
Quos natura fugit, me docuisse pudet. 
Quirini Diatriba ad Epistt, Franc. Barbari p. 60. 


IV. Beccabelli. Fazio. 231 


Kiebling des Königs, hatte nichts zu thun als demſelben nach der Mahl⸗ 
zeit ein Stück aus Livius, Seneca, Virgil oder Aehnliches vorzuleſen, 
geiſtwoll und witzig zu fein, als Geſandter umherzureiſen oder bei Hofe 
eine Feſtrede zu halten. Dafür war er mit dem Titel eines königlichen 
Rathes eine angeſehene Perſon bei Hofe, begleitete den König auf Rei⸗ 
ſen und Feldzügen, wurde dem neapolitaniſchen Adel zugeſchrieben, er⸗ 
hielt eine hübſche Billa zum Geſchenk, wurde ein reicher Mann und 
ift auch unter Fernando, Alfonſo's Sohn, in unangefochtener Gunſt ge⸗ 
blieben, bis am 6. Januar 1471 der Tod ſeinem behaglichen ſieben⸗ 
undſiebzigjährigen Leben ein Ende machte.) Vielleicht nur in Neapel 
konnte ein Mann von ſo anrüchigen Antecedentien eine ſo friedliche 
und leichte Exiſtenz genießen. 

Ein gründlicher Gelehrter wie Valla und ein ſchöngeiſtiger Hof⸗ 
mann wie Beccadelli hätten gewiß ohne Eiferſucht neben einander leben 
können. Aber in Folge jener Vorleſungen und literariſchen Unterhal⸗ 
tungen, die unter der perſönlichen Theilnahme des Königs ſtattfanden, 
wurde Valla neidiſch auf die Günſtlingsſtellung Beccadelli's, und dieſer 
hatte alle Urſache, auf das reelle und unleugbare Verdienſt Valla's 
ſcheel zu ſehen. Er ſelbſt, der geſchmeidige Höfling, wagte nicht gegen 
den ſcharfſinnigen Grammatiker ins Feuer zu gehen, der bereits mit 
andern literariſchen Gegnern gar unſäuberlich verfahren war. Er ſchob 
einen Dritten vor, Bartolommeo Fazio den Genueſen — er war 
aus Spezzia — den Hofhiſtoriographen, einen Schüler Guarino's. 
Dieſer wies in einem der Werke Valla's 500 Sprachfehler vor, aber 
Balla vergalt ſeine vier Bücher Invectiven mit vier Büchern Recri⸗ 
minationen, und wie bei allen dieſen Fehden blieb es nicht bei dem 
wiſſenſchaftlichen Thema, die bitterſten Perſönlichkeiten machten den 
Streit piquant.) 

Einen Punct gab es doch, in welchem die brei Hofgelehrten, fo 
verſchiedene Talente ſie übrigens waren, mit einander concurrirten. 
Es war die Verherrlichung ihres Fürſten und ſeines Hauſes, eben 
überall die Pflicht der Hofliteratoren und ihr lohnendſter Dienſt. Valla 
ſchrieb in Alfonſo's Auftrag das Leben Fernando's I von Aragon, ſei⸗ 


) Tiraboschi T. VI. p. 1100. 1108. 

) Von den Invectiven Fazio's ſind nur Fragmente, deren Tiraboschi T. 
VI. p. 1553 gedenkt und die ich nicht geſehen, in den bei Tomm. Bettinelli zu Ve⸗ 
8 gedruckten Miscellaneen T. VII. mitgetheilt; die Valla's finden ſich inf. 
Werken. Näheres bei Zumpt a. a. O. S. 422. 


232 IV. Neapel. Die höſiſche Geſchichtſchreibung. Porcello. 


nes Vaters. Beccadelli's Sammlung denkwürdiger Ausſprüche und Hand⸗ 
lungen Alfonſo's iſt ein echt hofmänniſches Buch, eine leichte und mühe⸗ 
loſe Aufreihung, auch wohl Erfindung von ſchönen Worten und ſchönen 
Charakterzügen des Königs, die raffinirteſte Schmeichelei, die mit 1000 
Ducaten belohnt wurde.) Der Sammlung ſchloß ſich eine pomphafte 
Beſchreibung des Triumphes an, mit dem Alfonſo bei ſeinem Einzuge 
in Neapel am 26. Februar 1443 empfangen wurde. Fazio beſchloß in 
ſeinem Buche „über die berühmten Männer ſeiner Zeit“ die Reihe der⸗ 
ſelben mit Alfonſo, weil nach Erwähnung eines ſolchen Mannes, dem 
an Tugenden die andern Fürſten ſeiner Zeit alle vereinigt kaum gleich⸗ 
kämen, der an Weisheit, Glück und Ruhm Alle überſtrahle, kein andrer 
mehr der Erwähnung würdig ſei.) Eine Reihe von Jahren wendete 
Fazio dann auf fein bedeutendſtes Werk, eine Geſchichte Alfonſo's in 
zehn Büchern, zu deren Abfaſſung er vom Könige ausdrücklich beauf⸗ 
tragt wurde.) Während der Arbeit erhielt er jährlich 500 Ducaten; 
und als er dem Könige das Buch überreichte und einen Abſchnitt dar⸗ 
aus vorlas, der die Erſtürmung eines Schloſſes lebhaft und glänzend 
ſchilderte, belohnte ihn der entzückte Fürſt mit einem Ehrengeſchenke 
von 1500 Goldgulden.“)) Fazio ſuchte im geſchichtlichen Stil den 
Julius Cäſar nachzuahmen, über deſſen Commentarien der König ein 
beſonderes Gefallen geäußert.) Den Stil der Schmeichelei hat er 
ungleich glücklicher getroffen. Er ſtellte ſich von vornherein die Auf⸗ 
gabe, „den um ihn hochverdienten König der Ewigkeit zu weihen.“ ) 
Wir haben noch der berühmteſten Männer zu gedenken, die nur 
vorübergehend oder gar nur bei flüchtigem Beſuche den parthenopäiſchen 
Muſenhof zierten. Da war ein junger Menſch, aus Neapel ſelbſt ge⸗ 
bürtig, Giantonio Porcello de' Pandoni, deſſen ungewöhnliches 
Formentalent für einige Zeit großes Aufſehen erregte. Als er im hoͤ⸗ 
heren Alter zu Rom lebte und lehrte, lachte man darüber, daß er ohne 
einen Begriff von Wiſſenſchaftlichkeit, Jahr aus Jahr ein daſſelbe von 


1) Jo. Jo v. Pontanus de liberalitate (Opp. Basileae, 1538. T. I) cp. 29. 

) Facius de vir. illustr. p. 76. 

) Barbaro's Brief an ihn v. 18. Aug. 1451 bei Facius de vir. ill. p. 90 
und in Barbari epist. 119. ed. Quirino. 

) Vespasiano: Alfonso Re di Napoli 5 7. 

) Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. II, 13. 

) S. epist. 8. an Barbaro v. 26. Sept. 1451 bei ſ. Werke de vir. ill. p. 93 
und in Franc. Barbari epist. 120. ed Quirino. 


IV. Neapel. Porcello. 233 


der Katheder herabſchwatzte und noch dazu in italieniſcher Sprache. 
Aber als Jüngling zeigte er eine ähnliche Gabe wie Beccadelli: latei⸗ 
niſche Verſe machte er ſo ſchnell, als er nur ſchreiben konnte, und ſo 
unzählige, daß die Druckerkunſt ſich nie abgemüht hat fie zu verewi⸗ 
gen; fie waren mindeſtens fo unfläthig und ſchmähſüchtig wie die feines 
ſiciliſchen Rivalen.) Er hatte in Rom gelebt, vielleicht um bei der 
Curie unterzukommen. 1434 wurde er eingekerkert und dann aus Rom 
vertrieben, entweder weil ſeine derben Verſtöße gegen die Ehrbarkeit 
Scandal erregt, oder weil er ſich an dem Volkstumult betheiligt hatte, 
durch welchen der Papſt verjagt und die geiſtliche Regierung in eine 
republicaniſche verwandelt worden war. Neapel war auch für ihn ein 
Aſyl, der König nahm ihn als Secretär in Dienſt.“) Es ſcheint, daß 
er ihn zum Geſchichtſchreiber heranbilden wollte. Er ſchickte ihn ins 
Heerlager der Venetianer, ſeiner Bundesgenoſſen: der junge Dichter 
theilte mit Giacomo Piccinino, dem Condottiere, während der Feld⸗ 
züge gegen Sforza von 1452 und 1453 Zelt und Tiſch. Er ſchrieb 
dann die Geſchichte dieſes Krieges und widmete fie dem König Alfonſo.“) 
Man mochte ſeine Sätze gefällig und ſeine Schreibart blühend nennen, 
die ſehr geringfügigen Ereigniſſe dieſes Krieges ſtehen doch gegen die 
Wendungen und Standreden, die Porcello aus Cäſars und Livius 
Werken gelernt, zu komiſch im Gegenſatze, zumal ſeit er auf den Ein⸗ 
fall gekommen iſt, Piccinino und Sforza ſtets als Scipio, den er Aemi⸗ 
lianus beibenennt, und Hannibal aufzuführen. Die Huldigungen, die 
immer inzwiſchen Alfonſo dargebracht werden, gelangen ihm noch am 
beiten. Als im April 1452 Kaiſer Friedrich in Neapel zum Beſuche 
war, hielt Porcello die Begrüßungsrede an ihn und wurde dafür als 
„Dichter, Redner und Geſchichtſchreiber“ — letzteres für zukünftige 
Verdienſte, denn damals hatte er ſein erwähntes Geſchichtswerk noch 
nicht geſchrieben — durch kaiſerliche Hand mit dem Lorbeer gekrönt.“ 
Mit dieſer Ehre ging Friedrich noch täppiſcher um als Sigmund, der 


) Ant. Coccius Sabellic us Rapsodiae Historiarum Ennead, X. Lib. 
VI p. 719. Raphael Volaterr! Lib. XXI. 

*) Tiraboschi T. VI. p. 1052 e seg. a 

) Commentarii Comitis Jac. Piceinini ap. Muratori Scriptt. T. XX et 
XXV. | 

) Das Diplom v. 9. April 1452 in Chmel Material, z. österr. Gesch. Bd, 
II. n. 7. N 


234 IV. Neapel. Filelfo. Piccolomini. Gaza. Manetti. 


vielleicht an Beccavelli's Obſcönitäten ein perſönliches Wohlgefallen 
gefunden. a 

Im Anguſt 1453 machte Filelfo in Neapel einen Beſuch. Er batte 
dem Könige feine Satiren gewidmet, überreichte fie ihm jetzt in Capua 
und trug Stucke daraus vor. Alfonſo erwies ihm unmäßige Ehren: 
er ſchlug ihn in Gegenwart des ganzen Hofes zum Ritter, verlieh ihm 
ſein eigenes königliches Geſchlechtswappen und krönte ihn am 21. Auguft 
eigenhändig mit dem Lorbeer, wobei er ihm eigenmündig eine lange 
Lobrede hielt. Auch wurde Filelfo ficher ſehr anfehnlich beſchenkt; denn 
ſeine Feder floß ſeitdem über vom Lobe . von der Unſterblichteit des 
großen Königs.“) 

Gedenken wir hier auch des Beſuches, den Biſchof Enea Silvio 
de' Piccolomini von Siena als Geſandter feiner Vaterſtadt dem 
Könige im März 1456 abſtattete. Er wurde als namhafter Schrift 
ſteller empfangen und den politiſchen Aerger des Königs gegen die Sa⸗ 
neſen überwand ſeine Hochachtung vor ihrem feingebildeten Geſandten, 
der Alfonſo ſofort ſchriftſtelleriſche Huldigungen zu Füßen legte. 

Als nach dem Tode Nicolaus’ V der literariſche Hof von Nom 
plotzlich feines Schutzherrn beraubt wurde, richteten nicht wenige der 
brodloſen Schriftſteller ihr ſehnſüchtiges Auge auf Neapel. Hier fand 
nun Theodoros Gaza eine ehrenvolle Aufnahme und ein Jahrgehalt, 
welches ihn der Noth enthob.) Die glänzendſte Stellung aber erwarb 
hier der Florentiner Manetti. Hatte ihm Papſt Nicolaus 600 Du- 
taten jährlichen Soldes bewilligt, jo ließ ihm Alfonſo 900 zahlen, er⸗ 
nannte ihn zum königlichen Rath, ſtellte ihm außerdem Pferde, Diener 
und Briefboten zur Verfügung und hielt ihm Schreiber, damit er ſeine 
Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und Hebräiſchen fördern könne. 
Er ſoll gejagt haben, mit Manetti wolle er fein letztes Brod theilen.) 
Dieſer überſetzte die Pſalmen aus dem Urtext ins Lateiniſche und wid⸗ 
mete die Arbeit dem Könige, der ſich um den Tadel Andrer nicht küm⸗ 
merte, als habe Manetti mit den Siebzig und mit Hieronymus wett⸗ 
eifern wollen. Auch ein Leben Alfonſo's hatte der Florentiner unter 
Händen, worin er ihn mit Philippos von Makedonien in Vergleich 
ſtellte. Doch erlebte der König die Beendigung dieſes Buches nicht 


1) Panormita de diet. et fact. Alphonsi III, 11. Fa eius de vir. ill. p. 5. 
) Facius J. c. p. 27. 
) Vespasiano: Alfonso $ 14. 


IV. Neapel. Alfonfo's Freigebigkeit. Fernando. 235 


mehr und bei Manetti erſturb ſtets die Luſt zu einer Arbeit mit dem 
Wohlthäter, auf den er ſie berechnet. Indeß fällt in die Jahre, die 
er zu Neapel verlebte, der Kern ſeiner ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit.) 
Selbſt als Redner bewunderte ihn der König, während man ihn zu 
Florenz richtiger für einen Extempore⸗Schwätzer gehalten. Man er⸗ 
zählte bei Hofe, daß ſich einſt, während Manetti zu reden begann, eine 
Fliege auf die königliche Naſe geſetzt, der aufmerkſame Fürſt ſie aber 
nicht eher verjagt habe, bis der Redner geendet.) 

Unter den gefeierten Gelehrten, die dem Könige Werke gewidmet, 
ohne je ſeinen Hof zu ſehen, nennen wir Lionardo Aretino und Pog⸗ 
gio, Decembrio und Georgios Trapezuntios. Auch dieſe Huldigungen 
aus der Ferne vergalt Alfonſo mit reichem Lohn. Um Lionardo Bruni 
an ſeinen Hof zu ziehen, forderte er ihn auf, die Bedingungen nach 
ſeinem Belieben zu ſtellen.) Poggio mahnte ihn unaufhörlich an die 
fürſtliche Tugend der Freigebigkeit und hat fie reichlich genoſſen.) 
Alfonſo ſoll für die Beſoldung und Unterſtützung von Gelehrten eine 
jährliche Summe von 120,000 Goldgulden ausgeſetzt haben.) Aber 
nicht nur das, wir wiederholen es, ſondern mehr noch die perſönliche 
und intereſſirte Theilnahme des Königs an der Literatur und der 
Schutz, den er den Literatoren gewährte, hat feinem Namen den mä- 
cenatiſchen Lorbeer verdient. 

Die Regierungszeit ſeines Sohnes Fernando reicht zu ſehr über 
die Jahrzehnte hinaus, deren Schilderung uns hier obliegt. Der Her⸗ 
zog don Calabrien war in der gelehrten Hofumgebung, als Schüler 
Valla's und Beccadelli's aufgewachſen, er hatte von ihnen dft genug 
gehört, wie ein Fürſt den ſchönſten Ruhm erlange, wenn er die Wiſſen⸗ 
ſchaft und ihre Pfleger ſchütze. So ſetzte er als König feines Vaters 
Weiſe fort. Beccadelli blieb im Genuß ſeiner Einkünfte und Ehren, 
nicht minder Manetti. Neue Sterne tauchten auf. Doch führen Gio⸗ 
viano Pontano, das Haupt der neapolitaniſchen Dichter⸗ und Philo⸗ 
ſophenakademie, und Pandolfo Collenucrio ſchon in jene ſpätere Periode 


) Naldi Vita Jann. Manetti l. s. c. p. 596. 

) Panormita I. c. I, 46. 

) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo 8 9. 

) S. oben S. 175. Poggio's Briefe im Spieileg. Roman. T. II. p. 621 an 
Matteo Malferito und an Alfonſo ibid. T. X. epist. 7. 8. 9. Panormita l. e. 
II, 61. 

) Vespasiano: Alfonso 8 14. 


236 IV. Mailand. Herzog Filippo Maria. 


hinüber, in welcher der antike Geiſt bereits ein triumphirender, nicht 
mehr ein ſich hervorarbeitender iſt. 


In Mailand herrſchten die Visconti, eine Familie, in der ſich 
viele jener unheimlichen Züge von Wolluſt, Herzloſigkeit und Tyrannen⸗ 
laune wiederfinden, durch welche dem Pſychologen die Charaktere der 
berüchtigten Cäſaren juliſchen Geſchlechtes zu ſo grauſigen Räthſeln werden. 
Zumal Filippo Maria, der letzte Visconti, unter gräuelvollen Erleb⸗ 
niſſen aufgewachſen, war ein erbärmlicher Tyrann, der Tag und Nacht 
vor Verrath, Gift und Meuchelmord zitterte, obwohl er am Leben wenig 
mehr zu verlieren hatte als das Vergnügen, welches er an ſeiner eige⸗ 
nen Falſchheit und Tücke fand. Er war ohne Zweifel viel ſchlimmer 
in ſeinem Herzen, als er die Möglichkeit hatte, ſich zu äußern. Denn 
er mußte ſeine Bosheit zügeln und den Schein der Güte und Gerech⸗ 
tigkeit heucheln, weil er den herzoglichen Thron wanken fühlte. Ohne 
Liebe und ohne Haß, nur mit Verachtung der Welt und ſeiner eigenen 
Exiſtenz ſpielte er mit Menſchen und mit der Politik als Einer, der 
wohl fühlte, daß nach ſeinem Tode doch all ſein Thun umſchlagen und 
zuſammenſtürzen müſſe. Er war als Herzog ohne Erben, für die er 
hätte vorſorgen mögen, und ſo war es ihm eine teufliſche Luſt zu den⸗ 
ken, daß ſein Tod, den er von Mörderhand erwartete, Unzählige ins 
Unglück mitreißen und das Staatsgebäude verderblich erſchüttern werde. 

Und doch hatte auch dieſer Nero ſeine poetiſchen Anwandlungen, 
wie denn die Natur ihre tiefſte Entartung dadurch brandmarkt, daß 
ſie die Extreme zuſammenſtellt. Schon als Jüngling hatte er an den 
Reimen Petrarca's ſeine Luſt gehabt und ſich Dante's großes Gedicht 
erklären oder auch wohl der Mode wegen etwas aus dem überſetzten 
Livius oder ſonſt einem Claſſiker, der die Thaten berühmter Männer 
erzählte, ferner aus franzöſiſchen Rittergeſchichten vorleſen laſſen. Aber 
das Alles geſchah ohne Ordnung, ſtückweiſe, wenn ihn gerade einmal 
das Gelüſte reizte. 

Seine dauernden Neigungen und Gewohnheiten lagen in einer 
ganz andern Sphäre. Er hielt auf koſtbare Pferde und trieb ſich 
gern in ſeinen prachtvollen Ställen umher, war ein Kenner von Sät⸗ 
teln und Zaumzeug. Obwohl er, ſeit er corpulent geworden, nicht 


IV. Mailand. Herzog Filippo Maria. 237 


mehr ritt, hatte er doch noch ſein Vergnügen daran, die widerſpänſtigen 

Roſſe zu züchtigen, denen, die den Zügel nicht vertragen wollten, einige 
Zähne ausreißen zu laſſen; Hengſte, die allzu muthig wieherten, brachte 
er durch Schnitte in die Zunge und gewiſſe andre empfindliche Theile 
zur Ruhe. Nach demſelben Geſchmack behandelte er Menſchen. Seine 
Hofleute, Beamten und Condottieri waren von beſtochenen Schreibern 
und Spionen umgeben, und dieſe hatten wiederum ihre Wächter. Ihm 
wurde Alles zugetragen und er war genial in elenden Künſten, mit 
denen er die Ehrlichkeit und die Ergebenheit ſeiner Diener auf die 
Probe ſtellte. Gedachte er jemand zu beſchenken, ſo ſchalt er ihn vor⸗ 
her nicht ſelten aus und erklärte ihn für einen unbrauchbaren Dumm⸗ 
kopf. Aber wenn er zürnte, ſah man ihn lachen; denn es machte ihm 
Vergnügen, ſeine Rache aufzuſparen und dann zu üben, wenn ſie am 
empfindlichſten traf. Die Unglücklichen wurden nicht ſelten in entfernte 
Kerker geſchleppt, wieder vor ihn gebracht und gemartert, dann wieder 
abgeführt, ohne zu wiſſen, weshalb ſie die Strafe erlitten. Am näch⸗ 
ſten ſtanden ihm noch die ſchönen Pagen, die unter Dienſten um ſeine 
Perſon zu Staatsmännern aufwuchſen. Sie nahmen nicht ſelten die 
Stelle von Maitreſſen ein; das war am visconti'ſchen Hofe längſt ein 
widerlicher Brauch. Einer der Lieblingsſpäße des Herzogs war, Schlan⸗ 
gen, denen die Giftzähne ausgezogen waren, in der Hand zu verbergen 
und Schüchterne damit zu erſchrecken. Es war das Amt weniger Be⸗ 
vorzugter, dem Herzoge die Gebete und Pſalmen zählen zu helfen, die 
er meiſtens im Spazierengehen mit großem Eifer herplapperte und 
deren Zahl er ſelbſt durch gewiſſe Stellungen der Finger ſich geſchickt 
zu merken wußte. Sein Geſpräch drehte ſich um kriegeriſche und po⸗ 
Btifche Unternehmungen, mehr aber noch um Pferde, Hunde, Vögel 
und um plumpe Späße. Es ging indeß nicht weiter, als daß man 
ſeine rauhe Stimme ſchimpfen oder höhniſch lachen hörte; denn jeder⸗ 
mann, ſelbſt feinen Beichtvater, hielt er mit bittern Witzen zum Beſten. 
ie trat er ſelbſtſtändig daher, gewöhnlich ſah man das widerliche Ge⸗ 
ſchöpf mit den überhangenden Brauen, gelblichen Augen, ſtumpfer 
Naſe, breitem Munde, kurzen dicken Fingern, ganz gekrümmten Beinen, 
auf einen ſeiner Pagen oder Poſſenreißer geſtützt einherwanken. 

Was konnten einem ſo armen und verwüſteten Gemüthe die Wiſſen⸗ 
ſchaften ſein! Man ſagt, er habe die Aſtrologen hochgehalten; allerdings 
huldigte er dem blindeſten Fatalismus, inſofern er ſtets vor der Mög⸗ 
lichkeit eines Unheils zitterte, ohne indeß irgend etwas zu verſäumen, 


9288 IV. Malland. Die Hofreuer Filippo Maria's. 


was die Gefahr abwenden konnte. Aerzte mußten ihn auf Schritt und 
Tritt begleiten und ihm über das geringſte Schmerzgefühl ſogleich Muh 
kunft ertheilen; dennoch verſpottete er ihre Kunſt. Muſik und mi⸗ 
miſche Künſte galten ihm für Narrheit; lieber vertrieb er die Zeit 
mit Karten und Würfelſpiel.) Von der lateiniſchen Sprache verſtand 
er ſehr wenig. Der humaniſtiſche Aufſchwung hatte ihn ganz unberührt 
gelaſſen, nicht aber die Sucht, durch berühmte Hofgelehrte glänzen zu 
wollen und vor der Welt als ein Mäcen zu erſcheinen. Und ſo iſt 
denn auch ihm der claſſiſche Weihrauch geſtreut worden wie andern 
Fürſten, ja wir könnten verſucht werden, ihn für einen edlen Freund 
der Muſen zu halten, nur daß er unglücklicherweiſe der letzte ſeiner 
Dynaſtie war und daß darum nach ſeinem Tode frei über ihn geſpro⸗ 
chen werden durfte. 

Schon ſein Vater Giangaleazzo hatte ſich des Antonio Loschi, 
der als Dichter, Grammatiker und beſonders als Ausleger Cicero's 
nicht geringen Rufes genoß, als eines Staatsſecretärs bedient. Ge 
hatte Filippo Maria feinen Hofredner, Canzler und Epiſtolographen 
in Gasparino da Barzizza (F 1431), an deſſen Stelle etwa zehn 
Jahre ſpäter ſein Sohn Guiniforte trat. Zwar war damals bereits 
der Franciscaner Antonio da Rho beſtellter Hofredner, aber Guiniforte 
wußte dem Herzog klar zu machen: »es giebt nichts, was deinen Ruhm 
mehr unſterblich machen könnte, als eine Menge tüchtiger Redner in 
deiner Refidenz.““) Beide hatten die Pflicht, den öffentlichen Ange⸗ 
legenheiten die Modeſchminke des Humanismus zu geben und in Hof⸗ 
und Feſtreden ihren Herrn zu feiern. Ob fie anbei auch Grammatik 
und Moral lehrten, war dieſem gleichgültig.) 

Gar zu gern hätte Filippo Maria einen Namen erſten Ranges 
für ſeinen Hof gewonnen, aber das gedrückte Leben an demſelben hatte 
wenig Anziehendes, und die hohen Geldſummen, die er bot, erſetzten 
nicht Jedem die Behaglichkeit des Lebens. So hielt es Antonio Bec⸗ 
cadelli trotz einem Solde von 800 Zecchinen nur kurze Zeit in Mai⸗ 
land aus, wo überdies die Umtriebe der Mönche ſeine Ruhe ſtörten; 


) Dieſe Schilderung meiſtens nach Decem brio Vita Philippi Mariae ap. 
Muratori Scriptt. T. XX, einem wahrhaft ſuetoniſchen Gemälde. 

2) Seine Rede an den Herzog in Gu inif. Bar zizii Orationes et t Epistolae 
ed. Furiettus. Romae, 1723. p. 15. 

) Deacembrio l. c. eap. 63. 


IV. Fileſfo am viscoutiſchen Hofe. 289 


er ging ungleich lieber nach Neapel.) Endlich wurde 1489 Flielfe 
gewonnen, der in der That viel beſſer für einen Hof als für die Hoch⸗ 
ſchule oder für das freiere Literaturleben der Republiken paßte. Hier 
hatte man ihn nirgend lange ertragen: überall war er wie ein Halb⸗ 
gott empfangen worden, wofür er dann die Städte und ihre Einwoh⸗ 
ner rühmte und pries; bald regten ſich die Eiferſüchtigen und Feinde 
gegen ihn oder er meinte doch ihre Machinationen zu empfinden, man 
wurde kühl, dann unzufrieden, und er mußte weiter ziehen. Beſſer ger 
lang es ihm, den Fürſten und Höflingen zu ſchmeicheln und auf ihre 
Gunſt geſtützt, die Nebenbuhler zu überwinden. Noch war ihm immer 
zu Muthe, als müſſe ſich die Erde um ihn bewegen, weil er Griechiſch 
ſprach und ein elegantes Latein ſchrieb, aber außer dem Goldklange 
des Ruhmes hatte fein Ohr auch den wirklichen Klang des Goldes 
ſchätzen gelernt. Seitdem er älter geworden, wünſchte er ſich ein be⸗ 
haglicheres, gefichertes Daſein, wie es etwa Aurispa in Ferrara führte 
und wie er ſelbſt es jetzt in Mailand fand.) Es gab ein herrliches 
Verhältniß zwiſchen dem Tyrannen und ſeinem Hofdichter. Dieſer durfte 
ſich rühmen, gleich bei der erſten Audienz am 2. Mai 1439 fo leut⸗ 
ſelig und ehrenvoll empfangen zu ſein, daß er ſeiner ſelbſt faſt ver⸗ 
geſſen habe,) er durfte mit Recht ſagen, er habe ſich aus den tusci⸗ 
ſchen Strudeln in einen ſichern Hafen zurückgezogen, wo ihm Alles in 
reichem Maße gewährt werde, was er ſich an Einkünften und Würden 
nur wünſchen könne.) Er erhielt 500 Zecchinen feſten Sold und für 
das zweite Jahr ſchon 700), ein ſchönes und wohleingerichtetes Haus; 
er wurde in die mailändiſche Bürgerſchaft aufgenommen und fand bei 
Hoffeſten feine Stelle unter den Erſten des Adels.) Geſchenke und 
Gnaden, erbetene und unerwartete, erhielten ſeine gute Laune. Er 
fühlte ſich überglücklich in der Liebe dieſes „göttlichen Fürſten“, er 
pries feine bewundernswerthen Tugenden, ſeine Leutſeligkeit und Güte, 
ſeine Religioſität und vor Allem ſeine Freigebigkeit, die in den Augen 
der Literaten immer als fürſtliche Cardinaltugend erſchien, er verkündete 


) Tiraboschi T. VI. p. 1101. 

) ef. Satyr. Dec. III. hee. 3. 

) Seine Briefe an Alberto Zancaria v. 2. Mai und 9. Juni 1439, v. 13. . 
1440. ; 

) Sein Brief an Onofrio Strogi v. 5. Decemb. 1439, 

) Das Document v. 8. Novemb. 1441 bei Rosmini l. s. . T. II. p. 278, 

) Sein Brief an Cato Sacco v. 1. Januar 1440. Rosmini l, d p. 6 


940 IV. Filelfo am visconti'ſchen Hofe. 


der Welt das Lob eines Herrſchers, deſſen Edelſtun, Glanz und Macht 
ſich über das menſchliche Maß erhebe und ihn einem Gotte gleich⸗ 
ſtelle.) 

In Mailand war kein Nebenbuhler, der Filelfo's Ruhm hätte 
gefährden oder durch ähnliche Gnade des Herzogs ſeinen Neid erregen 
können. Die unbedeutenden Gelehrten, die ſich hier fanden, hatten 
entweder nicht einmal Zutritt bei Hofe oder ſie hielten mit dem lite⸗ 
rariſchen Günſtling vorſichtigen Frieden. Der einzige, der es wagte, 
nicht vor ihm zu kriechen, der herzogliche Secretär Pier⸗Candido 
Decembrio, wurde in ſeinen Briefen verächtlich behandelt, in den 
Satiren zur Zielſcheibe des Spottes gemacht und zugleich der unfinnig⸗ 
ften und niederträchtigſten Dinge beſchuldigt; er hatte nicht das Talent, 
Gleiches mit Gleichem zu vergelten.) 

So lebte Filelfo am visconti'ſchen Hofe geehrt und gefürchtet, 
konnte von hier aus ungefährdet auf ſeine florentiniſchen Gegner los⸗ 
ziehen und ſich ſogar einbilden, in der hohen Politik eine Rolle zu 
ſpielen, wenn auch der Herzog mit ganz andern Mitteln operirte als 
mit Literatenfedern.) Ein paar Feſtreden zu halten und Weihrauch 
zu ſtreuen, war Filelfo ein Leichtes. Ueberall, ſelbſt wenn er, wie in 
den »mailändiſchen Gaſtmählern“ ſtrengwiſſenſchaftliche Gegenſtände be⸗ 
handelte, wußte er das Lob des Herzogs in Form von ſchmeichelhaften 
Vergleichen oder in eingelegten Hymnen anzubringen. Des einzigen 


) Sein Brief an die Balia und das Volk von Florenz v. 16. Juni 1440 und 
andre Briefe aus jenen Jahren. | 

) v. Rosmini T. III. p.156—161. In Filelfo's Satiren (Dec. VII. hec. 4.5.6. 
Dec. VIII. hec. 3. Dec. X. hec. 2) wird Decembrio unter dem ſtehenden Spottnamen 
Leucus angegriffen, ähnlich in Briefen; vergl. auch die Elegie b. Ros mini T. III. 
p. 154. Ich vermuthe, daß Decembrio den Filelfo meinte, wenn er in der Vita 
Philippi Mariae cap. 63. von einem Franciscus Barbula poeta Graeculus mit 
möglichſter Geringſchätzung ſpricht. Graeculus nennt er ihn entweder in der verächt⸗ 
lichen Bedeutung, welche die alten Römer in dieſen Ausdruck legten, oder weil Fi⸗ 
lelfo auf ſein Griechiſch ſo unmäßig ſtolz war und Decembrio in der erſten der er⸗ 
wähnten Satiren ſeine Unkunde dieſer Sprache vorgeworfen. Barbula bezieht ſich 
auf Filelfo's Bärtchen, welches er nach griechiſcher Sitte trug. Deutlicher iſt der 
Angriff, den Decembrio in der Vita Franc. Sfortiae cap. 3 (ap. Muratori Seriptt. 
T. XT) gegen Filelfo's Sforziade richtete. Ein Abriß feines Lebens b. Corniani 
i secoli d. letter. Ital. T. I. p. 161. 

) Von dieſem Geſichtspuncte glaube ich die Briefe Filelfo's an die Florentiner 
vom 16. Juni, an Rinaldo degli Albizzi v. 3. Inli und an Coſimo de Medici v. 
4. Juli 1440 anſehen zu müſſen. 


IV. Filelfo am visconti'ſchen Hofe. Die Republik. 241 


Kreuzes, das dieſer ihm auflegte, daß er nämlich ſeine Muſe auch zur 
Vulgärſprache erniedrigen mußte, entledigte er ſich mit der oberfläch⸗ 
lichſten Gleichgültigkeit und ohne ſeine unmuthige Laune darüber zu 
verhehlen. Obwohl er überzeugt war, daß ein italieniſches Werk ſeiner 
unwürdig und für die Nachwelt durchaus verloren ſei, mußte er doch 
auf Befehl ſeines Herrn einen italieniſchen Commentar über die Poeſien 
Petrarca's ſchreiben. Er that es, erklärte aber ſchon in der Vorrede, 
daß das Werk ihm „abgebettelt und abgeſchmeichelt“ ſei, und in dem⸗ 
ſelben ließ er ſeinen Groll an Petrarca und Madonna Laura, an den 
Medici und andern Feinden aus, ohne Rückſicht auf die Vorliebe des 
hohen Gönners für den behandelten Dichter.) Auch ein Gedicht über 
Johannes den Täufer, welches er auf Wunſch des Herzogs in Terzinen 
abfaßte, begann er gleich mit einem Vorwurf gegen denſelben, wie er 
ihm eine ſolche Arbeit nur zumuthen könne.“) Dergleichen durfte ſich 
nur ein Filelfo erlauben; ihm, der feine Anmaßung und fein Selbſt⸗ 
gefallen ſo lächerlich zur Schau trug, ſchien der Tyrann Alles hingehen 
zu laſſen, der Schwätzer war ihm unter allen Menſchen am wenigſten 
verdächtig. 

Die visconti'ſche Hofregierung zerſprang mit dem Tode des Her⸗ 
zogs wie ein Schaum in der Luft. Es folgte eine wirre Zeit der 
Republik und hielt die Bürger Mailand's durch Parteicabalen und 
Kriegsbedrängniſſe fortwährend im heftigſten Athem. Gleich manchem 
Andern, der zu den Höflingen Filippo Maria's gehört, finden wir 
auch Decembrio unter den Häuptern des Freiſtaates, weshalb er un⸗ 
ter der neuen Dynaſtie Mailand eine Reihe von Jahren hat meiden 
müſſen. | 
Ueberhaupt gelangten an die Spitze des republicaniſchen Regimen⸗ 
tes mehrere Männer, die am Hofe des Visconti für Literatoren oder 
doch für Freunde der Literatur gegolten, „Schreiber“, wie ſie der ſtolze 
Filelfo nannte. Ihr Werk war das im Namen „des Senates und 


1) Auch Guiniforte da Barzizza mußte auf Befehl des Herzogs die göttliche Comödie 
in italieniſcher Sprache auslegen. Vergl. |. Oratt. et Epistt. ed. Furietto p. 76. 168. 

2) Beide Werke im Druck ſehr ſelten. Ich entnehme dieſe Notizen aus Ros- 
mini T. II. p. 13 — 15. Die Vita di 8. Giovanni Batista, welche 48 Geſänge 
hat, beginnt: N 
O Philippo Maria Anglo possente, 
Perche me strengi a qual che non poss'io? 
Vuol tu ch’io sia ludibrio d'ogni gente? — — 


Voigt, Humanismus. 16 


242 IV. Filelfo in Mailand während der Republik. 


Volkes von Mailand erlaſſene Decret, durch welches in Mailand eine 
Hochſchule errichtet wurde. Zunächſt war vielleicht der Grund ein po⸗ 
litiſcher: man wollte dadurch die Univerſität von Pavia, welches ſich 
der Republik nicht fügte, vernichten. Aber auch das Gefühl kam hinzu, 
daß die Republik ſich den Wiſſenſchaften gegenüber würdig zeigen müſſe. 
Freilich konnte die neue mailändiſche Hochſchule während der dreißig⸗ 
monatlichen republicaniſchen Verwaltung wohl kaum wirklich eröffnet 
werden, geſchweige denn emporkommen.) 

Filelfo wußte mit jeder Strömung zu ſchiffen. Am liebſten hätte 
er Mailand, wo während des Freiheitstaumels allervings keine Stätte 
der Muſen war, gegen den Hof Alfonſo's von Neapel vertauſcht. Da 
man ihn aber nicht aus der Stadt ließ, ſuchte er ſich allen Parteien 
und Prätendenten angenehm zu erhalten, nur daß er den kriegeriſchen 
Feinden der Republik, den Franzoſen und Venetianern, nicht das Wort 
reden und die Pöbelherrſchaft nicht befürworten mochte, von welcher 
für den Dichter allerdings nichts zu erwarten ſtand. Bald ſang er dem 
verſtorbenen Tyrannen die zärtlichſten Nänien, wandte ſich an Alfonfo, 
dem dieſer das Herzogthum teſtamentariſch vermacht haben ſollte, und 
ſchmähte auf das undankbare Volk, welches die Burg des edlen Herr⸗ 
ſchers zerſtört habe und mit den Schmuckſachen, die es dem Hofe ent⸗ 
wendet, wie eine freche Diebsbande auf den Straßen prunke, ) bald 
ſang er den Kaiſer an für den Fall, daß deſſen Anſprüche auf das 
erledigte Reichslehen Erfolg haben ſollten, und den Canzler Kaspar 
Schlick, den er ſich als allmächtig am Kaiſerhofe vorſtellte, damit er 
ſeinen Herrn zum freigebigen Mäcen mache.) Bald mahnte er die 
Prioren, ſie möchten die Zwietracht des Freiſtaates erſticken und ein 
geordnetes Leben herſtellen, die Freiheit der Stadt aber mit Gut und 
Blut vertheidigen, wobei er an Kodros und Horatius Cocles erinnerte, 
dann ſchalt er wieder die Nobilität und Carlo Gonzaga, ſie ſollten 
nicht die verlaufenen Schreiber und Schenkwirthe aufkommen laſſen 
und den plebejiſchen Dieben das Feld räumen.“) Als aber blutige 
Gräuel die reicheren Bürger mit Furcht erfüllten, als die Belagerung 
durch das fforzeschiſche Heer immer enger und die Hungersnoth immer 


1) Saxius Histor. lit. typogr. Mediol. T. I. Prodr. p. 37. 
2) Satyr. IX, 1. X, 1. 2. 

) Satyr. IX, 2. 6. 7. 

) Satyr. X, 6—8. 


IV. Mailand. Francesco Sforza. 243 


druͤckender wurde, da empfahl Filelfo eine ſtarke Herrſchaft und ſetzte 
fortan feine ganze Hoffnung auf Sforza, dem eben das Glück am 
meiſten lächelte.) Daß er zur Zeit der Republik öffentliche Reden 
gehalten, wiſſen wir; daß er den republicaniſchen Machthabern ſo gut 
wie den Prätenventen geſchmeichelt, geht wohl zur Genüge daraus her⸗ 
vor, daß ihm confiscirte Landgüter im Werthe von 2000 Zecchinen 
angewieſen wurden, die freilich ſpäter wieder den alten Herren zufielen.*) 
Jetzt hielt er an der Spitze einer Deputation von zwölf Bürgern zu 
Monza die Rede an Sforza, in welcher er ihm das Herzogthum Mai⸗ 
land zu Füßen legte.) Der Condottiere beſtieg den Thron. 

Herzog Frances co Sforza war freilich ein ganz andrer Mann 
als fein Schwiegervater und auch ſeine Regierungsweiſe eine ganz andre: 
biefer das faulige Ende einer Dynaſtie, jener der Uſurpator und Stif- 
ter einer neuen. Im Heerlager und unter den Ränken der Politik 
war er groß geworden; ſeine Erhöhung verdankte er ſich ſelbſt. For⸗ 
muna hatte ihm ebenſo oft ihre finſtre Stirn als ihr Lächeln gezeigt; 
er zwang fie, weil er ihr nüchternen Muthes ins Auge ſah. Der Schwarm 
von Leibärzten, Sterndeutern, Köchen und Küchenſpionen, Pagen und 
Poſſenreißern, die unter Filippo Maria Perſonen von Bedeutung ge⸗ 
weſen, mochte nun anderswo ſein Brod ſuchen. Francesco vertraute 
feinem ſcharfen Verſtand, nicht den Sternen ), er ſah Leben und Men⸗ 
ſchen als Dinge an, mit denen ein männlicher Geiſt und eine ſtarke 
Hand fertig wird, das Weitere legte er in Gottes Willen. Ein ſolcher 
Mann wächſt an ſittlicher Größe, je höher er ſteigt: als Herzog konnte 
er mit kluger Ueberlegung handeln und war nicht mehr zur perfiden 
Schlauheit genöthigt, er konnte gnädiger und hochherziger werden, je 
ſicherer er ſich in der errungenen Würde fühlte. 

In ſeinem perſönlichen Geiſtesbedürfniſſe fand der neue Herzog 
nicht die mindeſte Aufforderung, unter die Mäcene zu treten. Was 
kümmerten ihn, den Soldaten, die Claſſiker, die Verſe und die latei⸗ 
niſche Eleganz? Selbſt wer ſeiner Bildung allen Ruhm geben wollte, 
konnte ihm nicht mehr nachſagen, als daß er eine natürliche, ſoldaten⸗ 


) Satyr. X, 9. 
) Filelfo's Brief an Cicco Simonetta v. 17. Febr. 
Philelfi Oratio parentalis de divi Francisci Sphortiae foelicitate, das 
erſte Stück in den Ansgaben der Reden. ö 
) Joh. Simoneta Historia de rebus gestis Francisci I. Sfortiae ap. Mu- 
ratori Scriptt. T. XXI. p. 779. 
16 * 


244 IV. Mailand unter Francesco Sforza. Simonetta. 


hafte Beredtſamkeit beſeſſen.) Auch war er nicht der Mann, um den 
Tönen der bezahlten Schmeichelei mit wollüſtiger Eitelkeit zu lauſchen. 
Aber er war der Emporkömmling, den die öffentliche Meinung hielt 
und trug, ſein Vater hatte den Karſt geführt, er war ein Baſtard und 
ſeine Gemahlin, auf welche ſeine Dynaſtie einen Schatten der Legiti⸗ 
mität gründete, eine Baſtardtochter des letzten Visconti. Um durch 
neue Kriegsthaten den mühſam errungenen Lohn der alten zu gefährden, 
war er zu überlegt. Selbſt ein glänzender Hof war für den Anfang 
unmöglich, denn an Geldkräften völlig erſchöpft wurde er Herr über die 
erſchöpfte Republik. Erpreſſungen konnte er ſich auch nicht erlauben. 
So war es immer noch das gelegenſte Mittel, um vor ſeinen Unter⸗ 
thanen und den Nachbarmächten den Schimmer zu entfalten, den eine 
neue Dynaſtie nicht entbehren kann, wenn er die Poſaune des Ruhmes 
in Sold nahm, ſich aus poetiſchen und rhetoriſchen Flicken einen an⸗ 
tiken Heldenmantel fertigen ließ und wenigſtens in der Weihrauchwolfe 
als ein großartiger Auguſtus erſchien. Keiner ſeiner Zeitgenoſſen hat ſo 
nüchtern und ſtaatsklug die Wirkung geiſtiger und moraliſcher Kräfte 
zu berechnen gewußt. Er erſcheint als eifriger Freund der Kunſt und 
Wiſſenſchaft, ohne von dem Vergnügen und der ein die ſie brin⸗ 
gen, eine Ahnung zu haben. 

Eine Stellung eigener Art nahm am f forzeschiſchen Hoſe der Cala⸗ 
breſe Cicco (d. i. Francesco) Simonetta ein, er wurde der Mäce⸗ 
nas bei dem neuen Auguſtus oder ungefähr was Niccoli bei Coſimo 
de Medici war. Da der Herzog ſelbſt ſich in literariſchen Dingen 
kein Urtheil beilegen konnte, bedurfte er eines Vertrauten, der auf die⸗ 
ſem Gebiete heimiſch war. Ihm iſt manches Werk gewidmet worden, 
Decembrio überſandte ihm der damals üblichen Höflichkeit gemäß ſeine 
Arbeiten zur Prüfung und Correctur, bevor er ſie veröffentlichte, ſelbſt 
Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen, obwohl der geehrte Patron dieſer 
Sprache ganz unkundig war. Daß Simonetta ſelbſt ſich als Schrift⸗ 
ſteller hervorgethan, wüßten wir nicht. In den literariſchen Feind⸗ 
ſchaften, die auch an dieſem Hofe nicht ausblieben, war er der Schieds⸗ 
richter und die Inſtanz. Sein Bruder Giovanni, der herzogliche 


) Simoneta l. c. In einem Briefe von 1477 bei Ros mini T. II. p. 329 
geſteht Filelfo offen: Et fait sane Franciscus Sphortia quam plurimis insignis vir- 
tutibus, caeterum litteraturae urbanioris et musarum ignarus. Pius II Com- 
mentar. p. 83 ſagt, daß er auf dem mantuaniſchen Congreß militari eloquentia 
et verbis patriis geſprochen. 


IV. Literariſches Treiben an Sforza's Hof. 245 


Secretär, ift es, dem wir die umfangreiche Geſchichte Francesco Sforza's 
verdanken.) 

Zunächſt wurde vom Herzoge Guiniforte da Barzizza, der 
nach dem Tode Filippo Maria's bei den Markgrafen von Montferrat 
und Eſte ein Unterkommen geſucht hatte, nach Mailand zurückgerufen 
und blieb hier bis an ſeinen Tod in der ehrenvollen Stelle eines her⸗ 
zoglichen Secretärs. Er war zugleich der Lehrer des Prinzen Galeazzo 
Maria und der kleinen Ippolita in der Grammatik und in den Zier⸗ 
lichkeiten der lateiniſchen Sprache, der Verfertiger der Reden, die ſie 
ſchon als Kinder vortragen lernten.) Ippolita wurde außerdem von 
Konſtantinos Laskaris im Griechiſchen unterrichtet.) Man ſieht, wie 
der neue Herzog darauf bedacht war, ſeine Kinder in beſſerer Weiſe 
auf das Hofleben vorzubereiten, als er ſelbſt dazu vorgebildet worden. 
Auch Battiſta Sforza, die Tochter ſeines Bruders Aleſſandro und jener 
Coſtanza da Varano, die italieniſch und lateiniſch dichtete und Reden 
hielt, wurde am mailändiſchen Hof erzogen. Als vierzehnjähriges Mäd⸗ 
chen ſprach ſie bereits ein elegantes Lateiniſch und führte ſo die Con⸗ 
verſation, wenn in der Burg ihres Vaters zu Peſaro ein Cardinal, 
ein fremder Fürſt oder Geſandter einkehrte. An Herzog Federigo von 
Urbino verheirathet, ſprach fie einſt vor Pius II mit ſolcher Eloquenz, 
daß der galante Papſt betheuerte, er könne ihr nicht in gleicher Weiſe 
antworten. *) 

Mehrere Griechen, die beim Hereinbrechen der Türkennoth ihr 
Vaterland verließen, wurden am mailändiſchen Hofe freigebig aufge⸗ 
nommen. Es wurden Lehrer der lateiniſchen Grammatik und Eloquenz 
berufen. Auch der Republicaner Decembrio kehrte etwa zehn Jahre 
nach feiner Flucht zurück und lernte die ſforzeschiſche Hofluft ganz wohl 
vertragen.) Wenn er nun den Charakter Filippo Maria's mit er⸗ 
ſchreckender Wahrheit zeichnete, ſo hob er dagegen die Waffenthaten 
Sforza's deſto glänzender heraus, pries ſeine Großherzigkeit und Güte, 
ſein Glück und ſeine illuſtre Familie.) Lodriſio Crivelli, ein 


) Tiraboschi T. VI p. 28. 29. 1083. 

) cf. Guinif. Barz iz ii Oratt. et Epistt. ed. Furietto. Romae, 1723 
p. 57. Pii II. Orationes ed. Mansi T. II. p. 192. 194. 

) Tirabos chi T. VI. p. 28. 

*) ibid. p. 1268. 

) Ros mini l. c. T. III. p. 33. 

e) Vita Franc. Sfortiae ad fin. ap. Muratori l. e. 


— 


246 5 IV. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe. \ 


junger Mailänder aus edlem Haufe, widmete fich gleichfalls dem dyna⸗ 
ſtiſchen Intereſſe, er ſchrieb das Leben des älteren Sforza, der den 
herzoglichen Sohn gezeugt, “) und hätte gern auch deſſen Geſchichte hin⸗ 
zugefügt, wenn nicht an höchſter Stelle eine ſchwungvollere Feder zu 
dieſem Unternehmen gewünſcht worden wäre, keine geringere als die 
Filelfo's. 

Mit Sforza's Thronbeſteigung begann für Filelfo gleichſam ein 
zweiter Lebensabſchnitt. Natürlich blieb er derſelbe, nur andre Seiten 
ſeines Charakters, der als ein wahrhaft repräſentativer angeſehen werden 
darf, traten unter den veränderten Umſtänden greller hervor. Er ver⸗ 
ließ das Feld der literariſchen Cabale und der Satire, auf welchem er 
dem Groll gegen ſeine Feinde gefröhnt, und wandte ſich ebenſo energiſch 
auf die höfiſche Gunſtbuhlerei und Schmeichelei. Der neue Herzog 
wurde von ihm ſofort in Briefen angegangen und in lateiniſchen Hexa⸗ 
metern verherrlicht. Der Plan eines großen Heldengedichtes, einer 
Sforziade, wurde entworfen, es ſollte ganz dem Ruhme des Herzogs 
und der neuen Dynaſtie gewidmet ſein und nach der Meinung des 
Dichters Virgils großes Epos in Schatten ſtellen. Es war ausge⸗ 
macht, daß Filelfo um einen feſten Sold, wie er ihn unter dem letzten 
Visconti gehabt, auch unter Sforza bei Hofe bleiben ſollte. Nun iſt 
es begreiflich, daß der Staatscaſſe, die in den traurigſten Umſtänden 
war, für's Erſte andre Bedürfniſſe oblagen oder ihrem Beamten wich⸗ 
tiger ſchienen als der Hofdichter. Filelfo aber, der ſich für das un⸗ 
entbehrlichſte Stück der neuen Regierung hielt, drang ſofort in den 
Herzog, daß ihm der verſprochene Sold und außerdem eine Anleihe, 
ihm allemal mit einem Geſchenke gleichbedeutend, von 250 Zecchinen 
ausgezahlt werde. Beides brauche er zu dem Gedichte, welches er zum 
Lobe des Herzogs begonnen; denn einmal müſſe der Dichter ein ſorgen⸗ 
freies Gemüth haben, und dann bedürfe er zur Arbeit gewiſſe Bücher, 
die er in ſeiner Noth verſetzen müſſen. Der Herzog befahl alsbald, den 
Wünſchen des Dichters zu genügen, doch war der leeren Caſſe ſchwer 
zu befehlen. „Mit der Wuth einer Furie ſchmähte Filelfo den Caſſen⸗ 
beamten, der dies geltend machte, aus und drohte dabei, er werde in 
wenigen Tagen zum Dienſte der venetianiſchen Republik übertreten, mit 
welcher Sforza im Kriege lag. Ohne Zweifel erlog er, daß der Doge 


j Muratori Seriptt. T. XIX. Vergl. die Präfatio des Herausgebers und die 
Einleitung Crivelli's ſelbſt. 


IV. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe. 247 


ihm bereits 700 Zecchinen jährlichen Soldes geboten. Es iſt bezeich⸗ 
nend, daß der Herzog ſich ein ſolches Betragen nicht nur ruhig gefal⸗ 
len ließ, ſondern auch noch von ſeinem „ſüßeſten und theuerſten Herrn 
Francesco Filelfo“ ſprach. Er ſchrieb dem Beamten: „Wir wollen ihn 
auf keinen Fall verlieren, was erfolgen würde, wenn er ſich für getäuſcht 
halten müßte; auch könnte er dann aus Mangel an den beſagten 250 
Gulden das herrlichſte Werk nicht fortſetzen, welches er zu Unſerm 
Ruhme begonnen.“) 

Filelfo kannte ſehr wohl die Schwerpuncte in des Herzogs Ueber⸗ 
legung: was werde die Welt dazu fagen, wenn der große Herzog Frau⸗ 
cesco entweder die Neigung oder die Mittel nicht habe, um ausgezeichnete 
Männer zu unterſtützen; er ſelbſt, Filelfo, werde ſich in Wohlthaten 
nicht übertreffen laſſen; denn er ſei gewohnt, denen, die ſich um ihn 
verdient gemacht, wenn ſonſt nichts, ſo doch die Unſterblichkeit ihres 
Namens als Gegengabe zu bieten.) 

Die Sforziade, welche in acht Büchern die Thaten Francesco's 
bis zu feinem Einzuge in Mailand beſang, ) wurde dem Dichter außer⸗ 
ordentlich leicht: der Stoff lag eben auf der Hand und die Erfindungen 
ſind platt genug, Hexameter aber ſchüttelte Filelfo ohne Mühe von 
ſich. Dennoch zog er die Arbeit Jahre lang hin und veröffentlichte 
fie in einzelnen Geſängen, um unterdeſſen den beſungenen Fürſten 
tüchtig zu preſſen. Er ſtellte ſich dabei, als bedürfe es zu dieſem Epos 
großer Vorſtudien und als fühle er ſich nur dann zur poetiſchen Arbeit 
aufgelegt und fähig, wenn es ihm ſehr wohl erging. Und wohl erging 
es ihm in der That, ſo lange Herzog Francesco lebte. Zwar wußte 
der Unerſättliche ſtets über Hunger und Mangel zu klagen und es mag 
wahr ſein, daß er noch oftmals die Caſſe ſchwieriger fand als den 
Herzog, aber hören wir nur, gegen welches Angebot er allenfalls bereit 
war, Mailand zu verlaſſen. Im Jahre 1463 wollten ihn die Vene 
tianer durch Beſſarion bewegen, bei ihnen ſein Domicil aufzuſchlagen, 
er antwortete: die Wiſſenſchaft könne zwar niemals mit Geld be⸗ 


) Die Actenſtücke und die herzoglichen Schreiben v. 23. Mai und 27. Juni 
1452 aus den Registri Ducali des mailändiſchen Staatsarchivs bei Ros mini T. 
II. p. 294 —300. 

) Philelfus Barth. 65218 d. 16. Octob. 1451. 

9) Sie iſt nicht gedruckt worden, doch giebt Ros mini T. II. p. 158 e seg. den 
ausführlichen Inhalt nach dem Exemplar der Trivulziana. 


248 IV. Filelſo am fforzeschiſchen Hofe, 


zahlt werden, doch wolle er kommen, wenn man ihm 1200 Zecchinen 
gebe.) 6 

Filelfo glaubte ſeinem großartigen Genie gemäß auch großartige 
Anſprüche an das Leben machen zu müſſen. Schon als er von Con⸗ 
ſtantinopel zurückkehrte und ſeine Familie nur aus der Gattin und 
einem Söhnchen beſtand, bedurfte er vier Mägde und zwei Diener.“ 
Zu einer Zeit, wo er unabläſſig über ſeine Bettelarmuth klagte, hielt 
er ſechs Roſſe.) Glänzend zu wohnen, auserleſen zu eſſen und zu 
trinken, erſchien ihm als ein Bedürfniß, ohne welches ein Mann ſeiner 
Art nicht leben könne; außerdem hielt er auf prächtige ſeidene Kleider 
und koſtbares Pelzwerk. Auch als ſeine Nachkommenſchaft ſehr zahl⸗ 
reich geworden war, erſchien es ihm als eine unauslöſchliche Schmach 
der Fürſten und des Zeitalters, wenn er genöthigt würde, ökonomiſch 
zu denken, und das Geld nicht als Dichter verachten dürfe. 

Filelfo ſchämte ſich zu darben, aber zu betteln ſchämte er ſich nicht. 
Das Wort Geld, welches ſonſt nicht gerade für poetiſch gilt und auch 
nicht zur poetiſchen Phraſeologie der Alten gehört, wurde ſeiner Muſe 
in Briefen und Verſen ganz geläufig. Mancher arme Dichter mag 
geſungen haben, um ein Geſchenk zu verdienen, dieſer aber machte die 
Geſchenk⸗ und Geldſache zum Hauptinhalt der Poeſie. Bald klagte er, 
daß Hunger und Durſt ihn umbrächten, daß er vor Gläubigern keine 
Ruhe habe, daß er ſeine Kleider und Bücher nicht vom Wucherer aus⸗ 
löſen und ſeine Töchter aus Mangel an Mitgift nicht an den Mann 
bringen könne, bald, wenn das bloße Bitten nicht fruchten wollte, drohte 
er auch, er wolle und müſſe Mailand verlaſſen, an einem andern Hofe 
oder gar bei den Türken ſein Unterkommen ſuchen, weil in Italien die 
„Tugend nicht geehrt werde. 

Es iſt unglaublich, wie weit Unverſchämtheit und Marktſchreierei 
gehen dürfen, wenn ſie auf gewiſſe allgemeine Schwächen der Menſchen 
ſpeculiren. Dazu rechnen wir jene närriſche Sucht, welche damals die 
Gemüther ergriff, nicht vergeſſen zu werden, ſeinen Namen der Nachwelt 
oder, wie man träumte, dem ewigen Fortleben im Munde der Menſchen 
übergeben zu wiſſen. Mit dieſem Drange haben die Humaniſten und 
Dichter denſelben ſchamloſen Mißbrauch getrieben wie die Kirche mit dem 


— 


) Sein Brief an Beſſarion v. 23. Decemb. 1463 bei Ros mini T. II. p. 318. 
) Sein Brief an Leonardo Giuſtiniani v. 11. Octob. 1427. 
) An Bernardo Giuſtiniani v. 23. Aug. 1454. 


Iv. Filelſo am fforzeschifhen Hofe. 249 


Ablaß; die Feder erſchloß in ihrer Hand den Tempel des Nachruhms, 
wie die Schlüſſel Petri in der Hand des Papſtes die Pforten der 
Seligkeit erſchloſſen. Filelfo war der frechſte Krämer mit dieſem Ar⸗ 
tikel, er hat den Handel mit Verewigung zum förmlichen Syſtem aus⸗ 
gebildet. Feſt überzeugt von der Unſterblichkeit ſeiner lateiniſchen Briefe 
und Verſe, glaubte er nicht minder zuverſichtlich, daß die lobende oder 
tadelnde Erwähnung in denſelben für das Urtheil der Nachwelt maß⸗ 
gebend ſein, ein ruhmvolles Andenken ſichern oder ewiger Verachtung 
preisgeben müſſe. Unaufhörlich verkündete er dieſe Lehre und man 
glaubte ſie ihm. Darum wurden ſeine unverſchämten Betteleien in der 
Regel nicht nur gewährt, ſondern noch mit ſchmeichelhaften Schreiben 
vergolten, die ihn natürlich wieder zu neuen Forderungen ermunterten. ‘) 

Wir heben aus Filelfo's Briefen eine Reihe von Facten heraus, 
die das Geſagte klar machen. Am meiſten wurden natürlich Herzog 
Francesco, die Herzogin Bianca und die reichen Männer des Hofes 
herangezogen. Kein Weihrauch iſt den Gefeierten ſo theuer zu ſtehen 
gekommen als der in der Sforziade ausgeftreute, keine Muſe hat fo 
gefüttert, gemäſtet werden müſſen. Filelfo ſchätzte an Fürſten vor allen 
Tugenden die Freigebigkeit, und wenn er es als Beruf des Dichters 
und Redners anſah, die Tugenden zu befördern, ſo hat er ſich um die 
Uebung gerade dieſer Tugend in der That ein glänzendes Verdienſt 
erworben. Selbſt Hofleute wie Cicco Simonetta und Niccolo d'Arzim⸗ 
boldi konnten nicht umhin, den Hofpoeten mit Geld, Wein, Victualien 
und Roſſen zu beehren. Aber auch andre Fürften, die für den Gedan⸗ 
ken der mäcenatiſchen Unſterblichkeit nur irgend empfänglich waren, 
wurden reichlich gebrandſchatzt. Lodovico Gonzaga, der Markgraf von 
Mantua, ſtand obenan. Nachdem er ſchon mehrmals und nicht ver⸗ 
gebens mit Bitten um dieſe oder jene Summe behelligt worden, er⸗ 


1) Nur wenige Beiſpiele, die ſich übrigens, zumal aus den Briefen, zu hunder⸗ 

ten vermehren ließen. So ſingt er an Gentile Simonetta: 
Non ingratus ero; nam qui mea vota fovebunt, 
Semper ego meritis prosequar hos titulis. 

An die Herzogin Bianca: N 
Non ingratus ero; nam me tua vate per omnes 
Cognita venturis gloria tempus erit. 

Ganz theoretiſch ſagt er einmal von ſich und den Dichtern überhaupt: 
— — Hique animas possunt Acheronta sub imum 
Trudere, quas etiam, si voluere, beant. 

Rosmini T. II. p. 287. 288. 317. 


250 IV. Filelfo am ſforzeschiſchen Hofe. 


öffnete ihm einmal der Dichter, er brauche 250 Ducaten, um eine ver⸗ 
lobte Tochter auszuſtatten, dieſe Summe aber wünſche er von ſeinen 
theuerſten Freunden zu empfangen, unter denen der Markgraf die erſte 
Stelle einnehme; deshalb werde er einen Vertrauten zu ihm ſenden, 
dem der Markgraf ſo gefällig ſein werde, 50 Ducaten zuzuweiſen, 
welche der Dichter mit ehrenden Verſen in ſeiner Sforziade zu vergel⸗ 
ten gedenke.) Wir ſehen, wie der Markgraf nicht nur dieſes Anliegen 
ſofort bewilligte, ſondern Jahre lang durch ſtets wiederholte Geſcheule 
die verewigende Feder erkaufte.) Zu jenen theuerſten Freunden des 
Dichters, denen die Ehre zu Theil wurde, ſeine Tochter auszuſtatten, 
gehörte auch Lodovico Scarampo, dieſer Räuber im Cardinalspurpur, 
der allerdings Urſache hatte, einen Theil ſeiner unermeßlichen Reich⸗ 
thümer, auf denen genug Aergerniß haftete, in unſterblichen Ruhm 
umzuſetzen. Ihm überließ Filelfo die Höhe der Summe, als er mit dem 
evangeliſchen Worte „Suchet, fo werdet ihr finden, bittet, fo wird euch 
gegeben werben" an feinen Geldkaſten klopfte.) Der Biſchof Galeazzo 
von Mantua ſollte ſich mit einem Anlehen — man kannte Filelfo's 
eigenthümliche Vorſtellung von dieſem Rechtsgeſchäft — von hundert 
Ducaten bei der Ausſtattung betheiligen; er war, wie man aus dem 
‚Bettelbriefe *) ſieht, Filelfo vorher ganz unbekannt geweſen. Aehnliche 
Contributionen wurden beigetrieben, wenn der Dichter eine Reiſe un⸗ 
ternahm oder ſonſt irgend ein beſonderes Geldbedürfuiß fühlte. Wie 
er ſich bei den freigebigſten Fürſten und Literaturfreunden, bei einem 
Nicolaus V und Alfonſo von Neapel, perſönlich die Beehrungen ab⸗ 
holte, wird in der Folge noch erzählt werden oder iſt bereits erzählt 
worden. Die kleineren Despoten, wie Ghismondo Pandolfo Malateſta, 
den Herrn von Rimini, oder Aleſſandro Sforza, den Herrn von Pe⸗ 
ſaro, belangte er brieflich von Mailand aus. Wenn letzterer ihm rothes 
Tuch zum Dichterkleide ſchenkte, erbat ſich Filelfo von ihm auch das 
zur Verbrämung nöthige Pelzwerk.“) 

Es iſt das wunderlichſte Verhältniß einer Gegenſeitigkeit von 
Wohlthaten, welches wir aus Filelfo's Bettelbriefen und aus ſeinen 


) Filelfo an den Markgrafen Lodovico von Mantua v. 22. Juni 1453. 
) An denſ. v. 8. Decemb. 1457. 
) Filelfo an den Cardinal⸗Patriarchen Lodovico von Aquileja vom 23. Juni 
1453. N 
) v. 22. Juni 1453. 
) Filelfo an Criſtoforo Marliano v. 17. Anguſt 1454. 


IV. Filelfo's Ende. Die kleineren Höfe. Mantua. 251 


ſchmeichelhaften Panegyriken herausleſen. Wir begreifen kaum, wie das 
Syſtem ſo lange vorhalten konnte. Und doch mußte Filelfo ſelbſt ſei⸗ 
nen Verfall erleben. Obwohl er noch als Greis überzeugt blieb, daß 
es nur einen Filelfo in der Welt gebe, obwohl er in ſeinen Anſprüchen 
eher unverſchämter als beſcheidener wurde, ging doch ſein Ruhm merk⸗ 
lich auf die Neige. Im Spätherbſte feines Lebens, als er aus drei 
Ehen einen großen Haufen von Kindern um ſich ſah, ſtellten ſich Noth 
und Sorge, mit denen er ſonſt geſpielt, bisweilen in ganzer Bitterkeit 
ein, er wurde nach dem Tode des Herzogs Francesco wieder heimath⸗ 
los und mußte umherziehen wie in den Tagen ſeiner Jugend. Da 
ſuchte er vergebens in Rom und Mailand, in Siena und Pavia ein 
Unterkommen auf die Dauer. Als Greis von 83 Jahren ſchätzte er ſich 
glücklich, noch einmal 1481 als Lehrer des Griechiſchen nach Florenz 
gerufen zu werden, ſtarb aber hier bald nach ſeiner Ankunft am 31. Juli 
in ärmlichen Umſtänden, hier wo er vor 42 Jahren als literariſcher 
Triumphator eingezogen war. | 


Wir haben uns nun zu den kleineren Höfen und Dynaſten zu 
wenden, die den Herrſchern von Neapel und Mailand als Mäcene 
nachſtrebten, ja ſie im Vergleich mit ihren engeren Verhältniſſen wohl 
überflügelten. Hier ſtellt ſich denn, eben weil Alles durchſchaulicher 
iſt, die Richtung und Liebhaberei des Zeitalters noch deutlicher heraus. 

An keinem Hofe haben Schule und Unterricht eine ſolche Rolle 
geſpielt wie in Mantua bei den Gonzaga, ſeitdem Gianfrancesco, 
der ſein Geſchlecht vom Range bloßer Signori zum markgräflichen er⸗ 
hob, den Bittorino Rambaldoni da Feltre zu ſich berief. Er 
iſt als das Ideal eines Schulhalters aufgeſtellt worden, und in der 
That bedarf es der glänzenden Lobreden nicht, die einige ſeiner Schü⸗ 
ler ihm und ſeiner Anſtalt gehalten. Jedermann im literariſchen Ita⸗ 
lien, felbft der peinliche Niccoli, der mit feinem Lobe wahrlich nicht 
freigebig verfuhr, ſprach von Vittorino's Leiſtungen mit der höchſten 
Achtung) Er iſt nicht als Schriftſteller aufgetreten, wenn man nicht 
von einzelnen Reden oder Briefen ſprechen will. Auch wüßten wir 


) Ambros. Travers. epist. VIII, 2. 


252 IV. Mantua. Vittorino da Feltre. 


nicht, daß er ſich in der mathematiſchen Disciplin weiter ausgezeichnet, 
obwohl er in jüngeren Jahren nach Padua ging, um den einzigen Leh⸗ 
rer der Geometrie, den es damals in Italien gab, den Biagio Pella⸗ 
cani, zu hören, und als dieſer zu keiner Mittheilung zu bewegen war, 
ſelber den Euklides zur Hand nahm. Die griechiſche Sprache lernte 
er erſt im höheren Alter und gleichfalls ohne Lehrer; doch konnte er, 
ohne ſich vorzubereiten, vor ſeinen Schülern den Homer auslegen. Zu⸗ 
erſt war er an der Hochſchule zu Padua als Lehrer der Rhetorik auf⸗ 
getreten, aber das zügelloſe Leben der Univerfitätsſtadt behagte ihm 
nicht. Auch das Treiben der Humaniſten, wie es in Florenz, Mailand 
und ſonſt herrſchte, war nicht nach ſeinem Geſchmack: gebe es doch un⸗ 
ter den Gelehrten Italiens kaum einen, der nicht andre mit läſternder 
Fever verfolge und wiederum von andern in Invectiven verfolgt werde. 
Seine Natur war die eines friedlichen, freundlichen, leicht bis zu Thrä⸗ 
nen gerührten Mannes, dem Neid und Cabalen innerlichſt zuwider ſind. 
Aus dieſem Grunde mochte er auch nicht ſchriftſtellern: das Beunruhi⸗ 
gende, was in der Jagd nach dem literariſchen Ruhme liegt, widerſtand 
ihm; auch meinte er, es ſei in allen Fächern von den Alten genug und 
überreichlich geſchrieben worden. Dagegen trieb es ihn, unmittelbar 
und mit Hingebung zu nützen. So wandte er fein Talent, feine Keunt⸗ 
niſſe, ja ſeine ganze Lebensbefriedigung auf das Unterrichten, auf die 
Pädagogik im weiteſten Sinne. Schon in Venedig hatte er eine kleine 
Schule errichtet, in welcher Knaben guter Abkunft ihre Ausbildung 
empfingen. Sein ſchönſter Ruhm aber lebte in ſeinem Alumnat zu 
Mantua und in ſeinen dortigen Schülern fort, zumal in denen aus 
dem fürſtlichen Hauſe Gonzaga ſelbſt. 

Gianfrancesco hatte das Schulhaus, das Seminarium, einrichten 
laſſen, in welchem Vittorino mit ſeinen Zöglingen wohnte. Es war 
mit Gallerien, Hallen und Spaziergängen, Höfen und Springbrunnen 
vergnüglich ausgeſtattet, die Wände mit ſpielenden Kindern und der⸗ 
gleichen bemalt. Nicht nur die elementaren Fertigkeiten, die lateiniſche 
und griechiſche Sprache wurden hier gelehrt, auch die Malerei und 
das Saitenſpiel, die Reitkunſt und der Tanz. Es ſollte keine öde und 
einförmige Kloſterſchule ſein, nicht die Zwingburg eines finſtern Orbi⸗ 
lius. Caſa Giocoſa nannte man die Anſtalt: mit dem jugendfriſchen 
Eifer, mit welchem der Humanismus ſich in das heitre Alterthum 
tauchte, ſollte hier gelehrt und gelernt werden. Es galt der von Pla⸗ 
ton ausgeſprochene Grundſatz, daß ein freier Menſch frei und ohne 


IV. Mantua. Vittorino da Feltre. 253 


zwingende Härte erzogen werden müſſe, das Bewußtſein, daß der Geiſt 
vielſeitig geweckt, nicht erdrückt werden ſolle. Dennoch herrſchte eine 
ernſte religiöſe Zucht: die Officien wurden ſtreng eingehalten, die älte⸗ 
ren Scholaren mußten faſten, alle Monat bei den eifrigen Obſervanz 
mönchen beichten, alle Morgen die Meſſe hören. 

Im Uebrigen ſind die Nachrichten von dem Plan und der Me⸗ 
thode, die in Vittorino's Schule herrſchten, ziemlich ſpärlich. Sprach⸗ 
liche Studien bildeten die Grundlage; hier genoſſen Virgilius und 
Cicero, Homeros und Demoſthenes den Vorrang. Dann folgten red⸗ 
neriſche Uebungen, die in der Weiſe der antiken Rhetorenſchulen ver⸗ 
anſtaltet wurden: die Knaben lernten fingirte Fälle behandeln, ſo daß 
ſie bald vor Gericht, bald vor einem Senat oder einer Volksverſamm⸗ 
lung ihre Reden hielten. Der eifrige Betrieb der mathematiſchen Dis⸗ 
ciplinen entſprang wohl zunächſt aus der privaten Liebhaberei Vittorino's, 
ſie ſollten ihm die Schulung des Verſtandes zu Wege bringen, die man 
bisher durch die dialektiſchen Klopffechtereien zu erreichen geſucht, ſie 
treten hier in der modernen Welt zuerſt als ein propädeutiſcher Lehr⸗ 
gegenſtand auf. Die Muſik wurde auch theoretiſch gelehrt und diente 
zugleich zur Erheiterung des Gemüthes. Wer den elementaren Curſus 
durchgemacht, wurde in Platon's und Ariſtoteles' Werke eingeführt, 
und ſo vorgebildet, meinte Vittorino, werde er mit Leichtigkeit die aka⸗ 
demiſchen Fachwiſſenſchaften begreifen und ſich zu eigen machen können. 

Vittorino war ein kleiner, hagerer, ſehr beweglicher Mann mit 
immer heiterem Geſicht, das nur die Thränen der Freude zu kennen 
ſchien, ein Muſter von keuſcher Sittlichkeit und Berufstreue. Noch im 
ſiebzigſten Lebensjahre waren ihm Geiſt und Körper ſo ungeſchwächt, 
daß er ohne Ermüdung ſechs Stunden hintereinander lehren konnte. 
Er kannte kein andres Glück als ſeine Schule, keinen ſchöneren Lohn, 
als fremden Beſuchern die fähigſten Kinder vorzuführen. Im Uebrigen 
lebte und ſtarb er (1447) als armer Schulmeiſter. Obwohl ſtets un⸗ 
verheirathet und von unglaublicher Genügſamkeit, reichte er doch mit 
den 300 Gulden, die er als Sold erhielt, niemals aus; denn er nahm 
viele arme Kinder um Gottes willen in ſein Haus auf, oft gegen vier⸗ 
zig, wo ſie außer dem Unterricht von ihm auch Bücher, Kleidung. und 
Nahrung erhielten. Dann trat er mit ſeinem herzlichen Lächeln vor 
den Markgrafen: er habe ſo und ſo viele hundert Gulden mehr aus⸗ 
gegeben und der Fürſt werde die Güte haben, ſie zuzulegen, was auch 
ſtets ohne Weiteres geſchah. 


3 Iv. Mantua. Bittorino ba Feltre. 


An Gianfrancesco hatte Vittorino einen Gönner, der gern in fel- 
nem Sinne wirkte, vielleicht mehr noch an der Markgräfin Paola aus 
dem Haufe der Malateſte. Die fünf Kinder des Markgrafen, Lodo⸗ 
vico, der ihm in der Herrſchaft folgte, Carlo, Gianlucido, Aleſſandre 
und Cecilia, die ſpäter den Schleier nahm, lernten mit einer Schaar 
von Edelknaben gleichen Alters im freudigen Wetteifer. Unter dieſen 
war Federigo di Montefeltro, der nachmalige Herzog von Urbino und 
Begründer des dortigen Muſenhofes, ferner der nachmalige Biſchof 
von Aleria, der erſte methodiſche Herausgeber claſſiſcher Autoren und 
mancher andre, der ſpäter ein namhafter Mann geworden.) Wir 
nennen hier nur noch den Venetianer Gregorio de' Coreri, der den 
Virgilius mit ſolcher Leidenſchaft las und nachahmte, daß Vittorino in 
ihm ſchon einen wiedergeborenen Maro zu ſehen meinte; in ſeinem 
achtzehnten Jahre dichtete er die Tragödie Prokne, die dem alten Leh⸗ 
rer die heftigſten Freudenthränen auspreßte.) Als Ambrogio, der 
Camaldulenſergeneral, 1433 in der Giocoſa zum Beſuch eintraf, zeigte 
ihm Vittorino die griechiſchen Buchſtaben, welche die kleinen Gonzaghen 
bereits zu Stande gebracht; die älteren Knaben überſetzten ſchon aus 
dem Griechiſchen, der eine Plutarch's Camillus, der andre Aeſopos 
Fabeln, der dritte eine Homilie des Chryſoſtomos. Und als Ambrogio 
nach einigen Jahren wiederkam, declamirte ihm der vierzehnjährige 
Gianlucido mit vielem Anſtand zweihundert von ihm ſelbſt verfaßte 
Verſe vor, in welchen er den pomphaften Einzug Kaiſer Sigmund's 
in Mantua beſchrieb. Sein zehnjähriges Schweſterchen zeigte ihre 
Uebungen in der Kunſt, griechiſche Buchſtaben zu ſchreiben, vor, die 
des Camaldulenſers Staunen erregten.) 

Unter den jüngeren Lehrern, die zur Anſtalt gehörten, befanden 
ſich zu jeder Zeit auch einige Griechen, die hier lateiniſch lernten, während 
ſie ihre Mutterſprache lehrten, oder zum Abſchreiben griechiſcher Bücher 
benutzt wurden. Die beiden namhafteſten Helleniſten der nächſten Ge⸗ 
neration haben dieſe Schule durchgemacht, Theodoros Gaza und Geor⸗ 
gios Trapezuntios. Vittorino's griechiſche Bibliothek beſtand aus etwa 


) v. Tiraboschi T. VI. p. 1486. 

2) Coreri's Brief an ſeine Mitſchülerin Cecilia Sie unter denen des 
Ambros. Travers. epist. XXV, 20. p. 1075 und bei Martene et Durand 
Collect. ampliss. T. III. p. 840. 

* Ambros. Travers. epist. III, 34. VII, 3. VIII, 49—51. xy, 38. IVI, 47. 


IV. Muſenhof der Efte in Ferrara. 255 


dreißig Bänden, für einen Privatmann kein geringer Schatz, aus dem 
er wiſſenſchaftlichen Forſchern freudig und zuvorkommend mittheilte.) 

Die Fürſtenſchule, die bald auch von vornehmen Kindern aus 
Venedig und Florenz, Padua und Verona, aus Frankreich, Deutſchland, 
ja aus Griechenland beſucht wurde, genoß während der 22 Jahre, da 
Bittorino ihr vorſtand, einen Ruf wie eine altberühmte Univerfität. 
Das Haus Gonzaga aber, ſo winzig in ſeiner politiſchen Macht, hat 
ſich in der Geſchichte der Bildung einen friedlichen Lorbeerzweig er⸗ 
worben.) 

Wir nennen die Eſte in Ferrara — und Dichterwort aus alter 
und neuer Zeit umklingt ſogleich mit den Schmeicheltönen der Verherr⸗ 
lichung unſer Ohr. 

Groß iſt Florenz und herrlich, doch der Werth 
Von allen feinen aufgehäuften Schätzen 
Reicht an Ferrara's Edelſteine nicht. 
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht, 
Ferrara ward durch ſeine Fürſten groß. 
Hier ward Petrarch bewirthet, hier gepflegt, 
Und Arioſt fand ſeine Muſter hier. 
Italien nennt keinen großen Namen, 
Den dieſes Haus nicht ſeinen Gaſt genannt. 
Und es iſt vortheilhaft, den Genius 
Bewirthen: giebſt du ihm ein Gaſtgeſchenk, 
So läßt er dir ein ſchöneres zurück. 

Doch ans den Lorbeer⸗ und Myrthenhainen, welche Poeſie und 


) id. epist. VIII, 50. 51. 

2) Von vier Schülern Vittorino's haben wir Nachrichten über ihn und die Gio⸗ 
coſa: von Franc. Prendilacqua Vita Victorini Feltrensis. Patav., 1774, be⸗ 
nutzt von Tiraboschi T. VI. p. 71. 1483 e seg.) von Franc. de' Caſtiglione 
(ſein Bericht bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 408), der acht Jahre lang, von 
Saſſolo Saſſoli da Prato (ſeine Erzählung bei Martene et Durand Collect. 
ampliss. T. III. p. 841 3. ), der ſechs Jahre lang in der Anſtalt war, und vom Bi⸗ 
ſchof Andreas von Aleria in einem Briefe an Papſt Paulus II, der ſich im Cod. msc. 
lat. 519. der münchener Hofbibl. findet und wohl die Widmung der erſten Druckaus⸗ 
gabe des Livius if. Vespasiano: Vitt. da Feltre. I. s. c. Renere Schriften: 
C. de’ Ros mini Idea dell' ottimo precettore nella vita e disciplina di V. da 
F. e de' suoi discepoli. Orelli V. da F. Zürich, 1812. Mehr populär: Jac. 
Bernardi V. da F. e suo metodo educativo. Pinerolo. 1856. Auszüge aus 
Prendilacqua und Rosmini bei Corniani i secoli d. lett. Ital. T. I. p. 132. 


256 IV. Muſenhof der Eſte zu Ferrara. 


Tradition um das Schloß van Belriguardo hergezaubert, müſſen wir 
unſre Phantaſje abrufen. Sie haben nie gegrünt, auch nicht als Mat- 
tep Bojardo vornehm vor feinem Fürſten ſtand, als Arioſto mit krie⸗ 
chender Schmeichelei den hölzernen Cardinal umbettelte, als der Sänger 
des befreiten Jeruſalem ſich verzweifelnden Herzens unter dem kalten 
Ceremoniell des Hofes und vor dem Idole feines Ruhmes wand. Ein 
richtiges Urtheil über den mäcenatiſchen Geiſt des Hauſes Eſte wird 
am leichteſten gewonnen, wenn wir die Ahnherren der gefeierten Fürſten 
kennen lernen und ihren Sinn für Wiſſenſchaft und Kunſt, der ſich 
gleichſam mit dem Blute fortpflanzend derſelbe geblieben iſt, in ſeinen 
Urſprüngen beobachten. 

Allerdings hatte zu Ferrara früher als an irgend einem andern 
Hofe, ſchon im 14. Jahrhundert, eine geiſtreiche Geſelligkeit Platz ge⸗ 
griffen, obwohl das kleine Fürſtenthum von Kriegen und inneren Un⸗ 
ruhen vielfach bedrängt war. Im Jahre 1392 ſtiftete Markgraf Al⸗ 
berto die Hochſchule zu Ferrara, alſo zu derſelben Zeit, wo Chryſoloras 
und Giovanni da Ravenna die Verehrung der alten Sprachen und die 
humaniſtiſche Denkweiſe in Schwung brachten. Schon damals war 
der eſtenſiſche Hof wegen ſeiner glänzenden Gaſtmähler, Jagden, Tur⸗ 
niere und Ringelrennen berühmt. Alles ſchloß ſich zuſammen: das 
Ländchen ſah auf den Hof, der Hof auf den Fürſten, und der Fürſt, von 
politiſchen Geſchäften wenig beläſtigt, ſann nur darauf, wie er ſich und 
den Hof angenehm unterhalten möchte. In dem engen Kreiſe, der ſich 
täglich um denſelben Mittelpunct bewegte, wurde jeder Schritt zum 
Compliment, Huldigung und Augendienerei zum gewohnten Ton. Zer⸗ 
ſtreuung und Prunk füllten die heiter hinfließenden Tage des Fürſten. 
Zu einem feinen Luxus aber gehörten bereits die humaniſtiſchen Zier⸗ 
lichkeiten, ein wenig claſſiſche Gelehrſamkeit und der Hofrhetor, der 
den Hofnarren früherer Zeiten und andrer Länder würdiger erſetzte. 
Er brachte ſeine Schmeicheleien nur geſuchter und mannigfaltiger dar 
als die einfältigen Schranzen, und ſein Weihrauch wurde gnädiger auf⸗ 
genommen: im Uebrigen hatte er Figur zu machen wie ſie. Feruer 
waren hier Darſtellungen und Feſtzüge beliebt, in denen bald Engel 
und Heilige, dann aber auch allegoriſche Figuren in antiker Gewan⸗ 
dung vorgeführt wurden, declamirten und endlich den Fürſten ver⸗ 
götterten. 

Unter Markgraf Niccolo III 8 das heitre Gedeihen der 
Landſchaften von Ferrara, Modena und Reggio. Während Filippo 


IV. Der Muſenhof der Eſte. Guarino. 257 


Maria von Mailand, der ruheloſe, boshafte Entwürfe ſchmiedete, um 
auch ſeinen Nachbaren keine Ruhe zu gönnen, während Venedig und 
Florenz beftändig auf der Lauer lagen und von ihren braccianiſchen 
und fforzeschiſchen Söldnerbanden gequält wurden, während der Kirchen⸗ 
ſtaat von einem Kriege zum andern hingeriſſen und von einer Empö⸗ 
rung nach der andern zerrüttet wurde, während das Königreich zwiſchen 
zwei Dynaſtien im Bürgerkriege ſchwankte, wußte ſich der eſtenſiſche 
Markgraf eine friedliche Neutralität zu wahren, ja als Schiedsrichter 
und Vermittler ein Anſehen zu erwerben. Er war ein fetter und hei⸗ 
terer Mann, der das Leben nach allen Seiten hin recht zu genießen 
verſtand, umſchwärmt von feinen vielen Concubinen.) Die Blutſchande 
ſeines jüngſten Baſtards Ugo mit ſeiner Stiefmutter Pariſina Mala⸗ 
teſta enthüllte die loſe Zucht, die an ſeinem Hofe herrſchte. 

Um Lionello, den älteſten Baſtard, zu erziehen, rief der Markgraf 
1429 den berühmten Guarino da Verona zu ſich, der als Lehrer 
des Griechiſchen und Lateiniſchen wohl der bedeutendſte genannt werden 
konnte. Als der Prinz erwachſen war, ſeit 1436 lehrte Guarino an 
der Hochſchule,) ſchon ein Greis von 66 Jahren, der ſich aber immer 
noch keine Zeit zum Eſſen und Schlafen gönnte und ſein Gedächtniß 
wie ſeine rüſtige Arbeitskraft ungelähmt bewahrte. Damals hat er 
noch eine griechiſche Grammatik geſchrieben, die freilich nur ein Auszug 
aus der größeren des Chryſoloras iſt, desgleichen eine lateiniſche; er 
hat ferner manches aus dem Griechiſchen überſetzt und als er zwei 
Jahre vor ſeinem Tode (4. December 1460) die Uebertragung des 
Strabon beendigte, war er ein Greis von 88 Jahren. Sein Ruf als 
Lehrer zog eine große Schaar von Schülern nach Ferrara, zumal Lom⸗ 
barden, doch auch Fremde bis aus Ungarn und England her. Antonio 
Loschi gab ihm ſeinen Sohn zur Erziehung und dieſer ſtrebte rühmlich 
dem Vater nach.) Selbſt Poggio mochte lieber ihm feinen vierzehn⸗ 
jährigen Sohn zur wiſſenſchaftlichen und ſittlichen Ausbildung anver⸗ 
trauen, als ihn den verführeriſchen Lüften von Florenz ausſetzen.“) 
Wie einſt von Iſokrates, ſagte man auch von Guarino, aus ſeiner 
Schule ſeien mehr gebildete Männer hervorgegangen als Gewappnete 


) Aeneas Sylvius de vir. clar. XI. 
) Bors etti Histor. Gymnas. Ferrar. T. I. p. 39. T. II. p. 19. 
) Poggii epist. 32. in Epistt. LVII. 
) Ejusd. epist. 87. in Spicil. Roman. T. X. 
Voigt, Humanismus - 17 


258 IV. Der Muſenhof der Eſte. Aurippa. Benzi. 


aus dem trojaniſchen Roſſe.) Daß Markgraf Nircoli ihn zu ſich 
rief und ehrenvoll hielt, wurde ihm in den gelehrten Kreiſen überall 
hoch angerechnet; denn der treffliche Alte hatte keine Feinde und fein 
Name wurde ſtets mit einer gewiſſen Ehrfurcht genannt. Selbſt Lio⸗ 
nardo d' Arezzo erklärte ihn für den einzig gelehrten Maun feiner 
Zeit) 

Ein wenig früher war auch Giovanni Auris pa nach Ferrara 
gezogen worden, aus Sicilien gebürtig. Ihn und Guarino muß man 
als literariſche Dioskuren betrachten. Aurispa war nur um ein Jahr 
älter, beide gingen nach Griechenland, um dort die helleniſche Sprache 
zu lernen und Bücher zu ſammeln, ſie lehrten nach ihrer Rückkehr die⸗ 
ſelben Disciplinen in faſt deuſelben Städten Italiens, beide Gramma⸗ 
tiker und Sammler alter Codices, beide fanden zu Ferrara ihre glück⸗ 
liche Heimath und auch Aurispa iſt hier als einundneunzigjähriger Greis 
geſtorben. Nur ſcheint ſeine Bedeutſamkeit als En ungleich geringer 
geweſen zu fein als die Guarino's.) 

Außer ihnen glänzte an der Hochſchule Ugo Benzi, 1 der 
erſte Arzt ſeiner Zeit, Leibarzt des Markgrafen und von ihm mit Län⸗ 
dereien und Häuſern beſchenkt. Enea Silvio kannte ihn ſehr wohl: 
niemand, ſagt er, ſprach gelehrter von der Katheder herab, niemand 
war liebenswürdiger im Kämmerchen des Kranken.) Man ſah ihm 
feine läſtige Geſchwätzigkeit ſchon nach; denn er überſchüttete feine Zu⸗ 
hörer und Beſucher mit Sentenzen aus Hippokrates, Galenos und Avi⸗ 
cenna, deren Werke er dann auch mit ausführlichen Commentaren ver⸗ 
ſehen hat.) Wir werden ſeiner noch gedenken, wie er als ſchlagfertiger 
Held der Dialektik die Griechen auf dem ferrareſiſchen Concil abfertigte 


) So fein Schüler Facius de vir. illustr. p. 18. 

2) Sein Leben von Vespaſiano im Spieil. Roman. T. I. p. 645 e seg., bei 
Maffei Verona illustr. P. II. p. 133 — 150, bei Tiraboschi T. VI. p. 1457 
bis 1465. Rosmini Vita e disciplina di Guarino Veronese e de' suoi disoe- 
poli habe ich nicht benutzen können. 

3) Notizen über ihn bei Faciusl.c. p. 18, Mazzuchelli Serittori d'Italia 
Vol. I. p. 1277, Tirabos chi T. VI. p. 1468. Ueber fein Leben zu Ferrara ſpricht 
Aeneas Sylvius de vir. clar. XI, Europa cap. 52. Treffend nennt ihn Fi⸗ 
lelfo Satyr. Dec. I. hec. 5: placidis Aurispa Camoenis deditus. 

*) de vir. clar. XI. 

) Aeneas Sylvius epist. ad. Joh. Campisium v. 1. Juni 1445; S 
in Anton. Panorm. I, 27; Pii II. Oratt. ed. Mansi T. II. p. 3. Blondus Ital. 
illustr. p. 307. e T. VI. 5. 667. | 


IV. Liondle ven Ee ımb Guarins. 259 


und über Platon und Ariſtoteles ſo fertig zu reden wußte wie über 
ſeine griechiſchen Aerzte. 

Daß ſich der Markgraf gegen dieſe Gelehrten nicht karg gezeigt, 
glauben wir gern; denn Aurispa und Benzi wurden reich unter ſeiner 
Gunſt und auch Guarino hätte es wohl werden können, wenn nicht 
mehr als ein Dutzend Kinder ſeinen Hausſtand bedingt hätten. Sonſt 
aber ſagt uns Flavio Biondo, ſo ſehr er den Markgrafen rühmt, doch 
im Vertrauen — daß er des Schmuckes der Wiſſenſchaften völlig ent⸗ 
behrt habe.) N N 

Lionello, ſein Nachfolger, war der erſte Fürſt Italiens, den ein 
Humaniſt erzogen, und wo er nur genannt und geprieſen wurde, ver⸗ 
gaß man nie, ihn als Schüler Guarino's zu bezeichnen. Wie leicht 
doch ein Fürſt zu literariſchem Rufe kommt, wenn er nur etwas ge⸗ 
lernt hat! Poggio rief ihm Beifall zu: er eile dem ſchönſten Lebensziel 
entgegen, ſeine herrlichen Thaten ſelber durch das claſſiſche Wort zu 
verherrlichen; es müſſe ein göttlicher Geiſt ſein, der bei den Sorgen 
und Arbeiten der Regierung noch einen ſolchen Eifer für die Studien 
hege.) Filelfo fand feine Tugend bewundernswerth und faſt göttlich: 
er ſei würdig, über ganz Italien zu herrſchen, er ſei durchaus zu Lob 
und Ruhm geboren.) Guarino ſelbſt ſagte ſeinem Schüler in der 
Leichenrede nach, daß er faſt die ſtiliſtiſche Eleganz der Alten erreicht. 
Wollen wir ſein Lob in allen Modulationen leſen, ſo dürfen wir nur 
die ferrareſiſchen Chroniſten jener Zeit aufſchlagen. 

Schon als Jüngling hatte Lionello von ſeinem Lehrer ſo unge⸗ 
meſſene Schmeicheleien genoſſen, daß er meinen mochte, ſein Genie ge⸗ 
nüge und es bedürfe nicht erſt der Anſtrengung, um zur literariſchen 
Größe aufzuſteigen. Er machte Verſe, und den fürſtlichen Verſen 
fehlte es natürlich nicht an Bewunderern. Er ſchrieb hin und wieder 
einen Brief im freien Stil; ſogleich fand Gnarino denſelben füßer denn 
Honig, weiſſagte dem trefflichen Schüler, er werde einſt der Fürſt der 
Fürſten ſein, und pries ſich ſelbſt glücklich, daß er der Gehülfe ſo 
fruchtreicher Studien geweſen.) Der Prinz liebte leidenſchaftlich die 


) Blondus Ital. illustr. p. 354. ö 

) Ein Brief Poggio's an ihn in ſ. Opp. p. 344; ein andrer epist. 36. in 
Poggii Epistt. LVII. 

) Filelfo's Brief an ihn v. 28. Juli 1449. 

) Eine Reihe von 13 Briefen Guarino's an Lionello iſt in Pes Thesaur. 
Anecdd. nov. T. V. P. III p. 154 8d. mitgetheilt. cf. epist. 3. 


17 * 


260 IV. Lionello von Eſte und Guarino. 


Jagd und wenn er ſeinem alten Lehrer, der das ſtrapazante Vergnügen 
nicht mitmachen konnte, ein paar Faſanen, Wachteln oder gar einen 
Rehbock verehrte, ſchrieb er wohl noch ein paar freundliche Zeilen da⸗ 
zu; dann war der Hofgelehrte vor Freuden außer ſich, dankte mit 
claſſiſchen Worten, die zum Lobe der Jagdluſt geſagt ſind, pries den 
Prinzen im ſcherzenden Ton als einen erhabenen Sieger und fühlte 
ſich ſchon unſterblich durch den herrlichen Brief, deſſen er ihn gewär- 
digt.) Hielt Lionello einſt eine Rede zum Lobe Cäſars, fo ſah Guarino 
in ihm ſchon einen zweiten Cäſar: „Ja, herrlicher Mann, eigne dir 
nur durch häufige Reden die Tugenden großer Menſchen zu, mache 
dich vertraut mit ihnen, lobpreiſe fie, liebe fie, ahme fie nach ln“) Als 
Kaiſer Sigmund den Prinzen im September 1433 zum Ritter geſchla⸗ 
gen, erwiederte dieſer die Gnade durch eine Dankrede, für die er von 
Guarino ein wahrhaftes Füllhorn voll der geſuchteſten Schmeicheleien 
erndtete.) Jene Dankrede iſt wohl das einzige Denkmal von Lionello's 
ſtiliſtiſcher Kunſt, das auf uns gekommen iſt; man wird es nicht auf⸗ 
fallend finden, daß neuere Literatoren bei allem guten Willen die Schön⸗ 
heiten derſelben nicht herausfinden konnten.“) Auch wird Lionello das 
Verdienſt zugeſchrieben, daß er zuerſt die zwiſchen S. Paulus und 
Seneca gewechſelten Briefe für untergeſchoben erkannt habe, °) aber 
wir vermögen nicht ganz die Muthmaßung abzuweiſen, daß dieſer kri⸗ 
tiſche Gedanke dem trefflichen Guarino zugehörte und Lionello nur aus 
Höflichkeit untergeſchoben wurde. Der gute Alte bekennt ſich offen zu 
dem horaziſchen Worte: Principibus placuisse viris non ultima laus 
est, er bringt es über ſein philologiſches e die Principes als 
Fürſten zu deuten. 

So mäßigt ſich denn unſre Vorſtellung von Lionelle's humanift⸗ 
ſcher Bildung. In den Forſten und Jagdgehegen ſich zu tummeln und 
bei den Hoffeſten ſich zu präſentiren, war doch wohl mehr nach ſei⸗ 
ner Neigung, als in alten Büchern nach der Weisheit vergangener 


) ibid. epist. 4. 6. 11. 13. 

) ibid. epist. 2. 

°) epist. 1. v. 13. Sept. 1433, auch in den von Hier. Donzelinus herausg. 
Epistolae Principum etc. Venet., 1574. p. 386. Die Rede ſelbſt bei Mittarelli 
Biblioth. codd. msc. Monast. S. Michaelis Venet. p. 665. 

) Selbſt Tiraboschi T. V. p. 38 urtheilt: Questa orazione ci fa conoscere 
che sono esagerate alquanto le lodi che d’agli scrittori di que’ tempi si danno 
all’ eleganza dello stilo di Leonello. 

) Tiraboschi T. II. p. 277. 


2 IV. Lionello und Borſo von Eſte. 261 


Zeiten zu forſchen. Daß er ſich gelehrig und gelehrt zeigen mochte, 
wenn eine geringe Anſtrengung mit ſo reichlichen Schmeicheleien ver⸗ 
gokten wurde, daß er allenfalls bei Tafel oder wenn er in ſeinen Parks 
ſpazierte, über ein antikes Modethema plaudern hörte und mitplauderte, 
wollen wir immerhin glauben.!) Uebrigens zeigte er als regierender 
Markgraf keinesweges die Tugenden, deren man ſich von Guarino's 
Schüler verſehen hatte: er war ein ſtrenger, hochmüthiger undbi s⸗ 
weilen recht unfreundlicher Herr, und wenn er auch den alten Lehrer 
in Ehren hielt, wollte man doch finden, daß er an der fürſtlichen Haupt⸗ 
tugend, der Freigebigkeit gegen Literaten, feinem Vater nachſtehe.) 
Dagegen war ſein Bruder und Nachfolger, Borſo von Eſte, der 
Sohn Niccolo's von einer ſaneſiſchen Concubine, wieder ganz der ge⸗ 
feierte Mann und Liebling der gelehrten Schmeichelzungen. Er war 
ſo ſchön und heiter, ſo liebenswürdig und witzig; die Ferrareſen, be⸗ 
ſonders die Frauen, verehrten ihn wie einen Gott. Im Reiten, Lan⸗ 
zenwerfen und Turnieren war er unvergleichlich, ferner ein gewandter 
Jäger wie ſein Bruder, und bei Hoffeſten nicht nur dem Range nach 
der Fürſt. An Pracht und Eleganz in ſeinen Paläſten konnte er ſich 
mit Königen meſſen. Man hätte ihn für einen geiſtreichen Tollkopf 
und für einen unſinnigen Verſchwender halten mögen, wenn er nicht 
auf der andern Seite als ein höchſt gewitzigter Politiker und als vor⸗ 
trefflicher Geldwirth bekannt geweſen wäre. Er konnte viel ausgeben, 
weil kr von ſeinen Vorgängern viel überkam und die Rechnungskammer 
in muſterhafter Ordnung hielt. Er wußte mit Aufſehen freigebig zu 
ſein. Seine Hofdichter und Hofgelehrten, aber auch berühmte Literato⸗ 
ren von auswärts erhielten zum Lohn ihrer Arbeiten und Huldigungen 
mitunter Geſchenke, wie kein andrer Fürſt ſie gab, bis zu 1000 Du⸗ 
katen.) Aber gar zu oft ſcheint das nicht geſchehen zu fein. Er ließ 
Bücher zuſammenkaufen, aber der alte Guarino, der hiebei fein Ge⸗ 
ſchäftsführer war, verſtand ſich durchaus nicht zu jedem geforderten 
Preiſe. 

Lodovico Carbone geſtand in der Leichenrede, die er Borſo hielt, 
er habe aus der Rede, die ſüßer denn Honig ſeinem fürſtlichen Munde 


') Joh. Ferrariensis ord. min. Excerpta ex Annalium Libris Ill. fami- 
liae Marchionum Estensium ap. Muratori SEID: T. X. p. 457. 

2) Aeneas Sylvius de vir. clar. XII. 

) Tiraboschi T. V. p. 40. 


262 IV. Berfo von G. 


entfloſſen, mehr gelernt als aus dem ganzen Cicero. Wir willen nich, 
was dieſer Hofredner überhaupt gelernt hat, aber es läßt ſich aus einem 
gleichzeitigen Schriftſteller, der auch in Borſo's Dienſten geſtanden hat, 
erweiſen, daß derſelbe von der lateiniſchen Sprache ebenſo wenig wußte 
als Francesco Sforza, wobei wir indeß die Gabe einer natürlichen 
Beredtſamkeit weder dieſem noch jenem beſtreiten wollen.) Auch 
Biondo fagt uns offen, Borſo habe wie fein Vater der Wiſſenſchaften 
entbehrt.) Der Genuß, den er den ſchönen Künſten abgewann, war 
ein beſchränkter: er ließ ſich vielleicht den Lancilotto vorleſen, beſah die 
Illuſtratisnen, die er von einem bologneſiſchen Künſtler dazu hatte fer⸗ 
tigen laſſen oder ergötzte ſich an den goldenen Beſchlägen und Minia⸗ 
turen ſeiner Bücher, die feine Bibliothek nicht weniger putzten wie ihn 
ein neues Hofkleid oder der herzogliche Titel, den er von Kaifer Fried⸗ 
rich kaufte.) Wie Sforza an dem obengenannten Cicco Simonetta, fo 
hatte Borſs an Lodovico Caſella, feinen Referendar, einen Hofrath 
für die literariſchen Dinge, die er ſelbſt nicht verſtand, und der war 
auch für die Schöngeiſter die Brücke zur fürſtlichen n der Refe⸗ 
rent über ihre feinlatmiſirten Schmeichelworte. 

Der Friede mit feinen Segnungen hat vie ferrareſiſche Dynaſtie 
befähigt, auch während des 16. Jahrhunderts in der Geſchichte der tus⸗ 
ciſchen Posſie eine hervorragende Rolls zu ſpielen, aber dieſer thaten⸗ 
loſe Friede hat hier auch jene höſiſche Stickluft erzeugt, die das freie 
Talent beengte und hemmte und manche von der fürſtlichen Gönner⸗ 
ſchaft hervorgelockte Blüthe wieder verkümmern ließ. 

Schon mehrmals iſt auf die eigenthümliche Verkettung des dyna⸗ 
ſtiſchen Jutereſſe mit dem literariſchen hingewieſen: wir fanden es 
bei den größeren Dynaſtien von Neapel und Mailand wie bei den 
Gonzaga und Eſte, dieſen Principi, die unter günſtigen Verhältniſſen 
zu Markgrafen und Herzogen herangewachſen. Ein ſolches Emporkommen 
von Dynaſtien, die Folge der ſtaatlichen Zerflüftung und des Condot⸗ 
tierenweſens, ging beſonders in den päpſtlichen Vicariaten immer noch 
vor ſich, und immer zeigt ſich dieſelbe Neigung, den unſicheren und 
hohlen Boden durch die mäcenatiſche Pflanzung zu befeſtigen. Manche 
der Aufſtrebenden ſind unterwegs verunglückt wie die Malateſta von 


1) ibid. p. 42. 
) Blondus Italia illustr. p. 354. 
°) Tiraboschi T. VI. p. 218. 


IV. Die Carrara. Federigo von Urbino. 263 


Amin! und Ceſena oder die Bentivogli in Bologna, andre ſtiegen 
Feücklicher empor wie zumal die Montefeltri von Urbino. Wie dieſe 
Geſchlechter zu den handgreiflichen Mitteln der Macht, zu Geld und 
Truppen, als drittes auch den literariſchen Schimmer hegten, wie auch 
fie der Hoſdichter und Verherrlicher nicht entrathen mochten, wollen 
wir in einigen beiſpielsweiſen Zügen zeigen. 

Am früheſten finden wir die Stelle eines Hofredners und Feſt⸗ 
poeten bei den Carrara zu Padua beſetzt und zwar durch Pier⸗ 
Paolo Vergerio, ven Schüler des Chryſoloras. Indem er zugleich 
das Amt eines Staatsſchreibers verſah, ſchrieb er feinen Fürſten zu 
Dank und Ruhm auch eine Geſchichte ihres Geſchlechts ) und forgte 
durch Feſt⸗ und Leichenreden für ihre Verherrlichung. 

Der nachmalige Fürſt und dann Herzog von Urbino, Federigo 
vi Montefeltro iſt ſchon als Schüler des trefflichen Vitterino er⸗ 
wähnt worden, damals noch ohne Ausficht auf die Nachfolge im Für⸗ 
ſtenmhum, zumal da feine legitime Geburt mehr als zweifelhaft war. 
Dann warf ihn fein Schickſal ins Kriegerleben: er war Rottenführer 
im Heere Francesco Sforza’s und hat auch Niccolo Piecinino gedient, 
noch als Fürſt war er über dreißig Jahre lang Condottiere der Könige 
Alfonſo und Fernando von Neapel ſo wie mehrerer Päpſte. Unter 
ſeinesgleichen galt er für den einzigen, der Treue hielt, und zugleich 
für einen Meiſter in feinen Kriegsplänen und in der Disciplin ſeiner 
Banden. Aber das Feldlager vermochte nicht in ihm die Liebe zu den 
Wiſſenſchaften zu erſticken, die ihm ſeine Schuljahre zu Mantua einge⸗ 
flößt. Als ein Mann von Kopf baute er auf der guten Grundlage, 
die er dort in der lateiniſchen Sprache gelegt, mit Leichtigkeit fort. 
Von einem gewiſſen Lazzaro, dem er ſpäter zum Episcopat von Urbino 
verholfen, ließ er ſich in philoſophiſche und geſchichtliche Studien ein⸗ 
führen. Er las ven Ariſtoteles, mit Vorliebe aber die Geſchichtſchreiber, 
die ſeinem Kriegerberufe näher zu ſtehen ſchienen, Livius und Sallu⸗ 
ftins, Curtius und Plutarchos.) Als er einſt Pius II, feinen Sold⸗ 
herrn, an der Spitze von zehn Reiterfähnlein nach Tivoli geleitete und 
im Sonnenſchein die Schwerter blitzten, die Schilde und Helme er⸗ 


) Vitae Principum Carrarensium ap. Muratori Scriptt. T. XVI. p. 114. 
) Vespasi ano: Federigo Duca d' Urbino 8 2. 22. Paulus Jovius Elo- 
gia virorum bellica virtute illustrium. Basileae, 1575. p. 167. 


964 IV. Federego von Urbino. Die Malateſta. 


glänzten, ſprach er mit dem gelehrten Papſte über die Waffen der Alten, 
über den trojaniſchen Krieg, der ihm nicht ſehr bedeutend erſcheinen 
wollte, und dann konnten die Beiden über die Ra des e 
Kleinaſien nicht einig werben. ') 

Ganz andern Neigungen als den kriegeriſchen gab ich Feperigo 
daheim in ſeinem Urbino hin, wenn er den Panzer abgelegt. Er baute 
nach dem Muſter der claſſiſchen Architectur. Seinem glänzenden Pa⸗ 
laſte fügte er eine ebenſo prächtige Bibliothek bei, auf die er 40,000 
Ducaten verwendet haben ſoll; dreißig bis vierzig Schreiber wurden 
in Urbino und in Florenz gehalten, um ſeinen Schatz von lateiniſchen, 
griechiſchen und tusciſchen Büchern zu vermehren, der ſpäterhin von 
Ceſare Borja nach Rom entführt worden iſt. Geſchickte Maler ließ 
er ſich aus Flandern kommen: die Wände ſeines Studirzimmers zierten 
die Bilder der alten Philoſophen und Dichter und kirchlicher Autoren. 
Mancher Gelehrte und Dichter, zumal in Rom und Neapel, fühlte 
feine Freigebigkeit in reichlichen Geſchenken.) Er hatte feine kleine 
Hofakademie, die ihn als Meiſter in allen Künſten des Krieges und 
des Friedens ausrühmte und von ſeinem kriegeriſchen Rufe verſicherte, 
daß er keine anderen Grenzen habe als den Lauf der Sonne.) Zum 
Geſchichtſchreiber ſeiner Thaten hatte er ſich den erwähnten Neapolita⸗ 
ner Porcello de' Pandoni auserſehen, der ihm als Secretär diente und 
allerdings kleine Begebenheiten mit altrömiſchen Farben zu einem Hel⸗ 
dengemälde aufzutünchen verſtand.“) ö 

Federigo's Nebenbuhler waren die Malateſta i in Rim ini und 
Ceſena, gleich ihm Vicare des apoſtoliſchen Stuhles, ein hartes, im 
Kriege aufgewachſenes Geſchlecht. Bei Carlo Malateſta von Ri⸗ 
mwini war einſt (1409) Lionardo Bruni zum Beſuch: er war verwun⸗ 
dert, in dem gefürchteten Condottiere zugleich einen Fürſten zu finden, 
der Bücher las, Verſe machte und eine ſo zierliche Hand ſchrieb, daß 


) Pii II. Comment. p. 131. 

) Vespasiano l. c. 5 24. 27. Jac. Phil. Bergomas Supplementum 
Chronicarum. Venetiis, 1513. p. 188. Tiraboschi T. VI. p. 224. Die Ab⸗ 
führung der urbinatiſchen Bibliothek nach Rom berichtet Jace. Ziegler Acta Papa- 
rum bei Ranke Deutſche Geſchichte im Z. d. Ref. Th. VI. S. 127. 

) Pyrrhus Perottus im Prodmium, mit dem er ihm die bekannte Cornu- 
copia ſeines Oheims Niccolo Perotti widmete. 

) Raphael Volaterr. Lib. XXI. Tiraboschi T. VI. p. 1054. 


IV. Die Malateſta. 265 


er hätte Copiſt werden können. Bruni wurde wohl Aufgenommen, er 
aß mit dem Fürſten, ging mit ihm auf die Jagd, und wenn ſie ſpät 
am Abend heimkehrten, vertrieben ſie die Zeit mit wiſſenſchaftlichen 
Disputationen, die oft mit hartnäckigem Schreien geführt wurden.) 
Uebrigens galten dieſe Malateſta als ungehorſame Vaſallen und Feinde 
der Kirche, gegen die Pius II einen Vernichtungskrieg führte. Damals 
war Ghismondo Pandolfo ihr Hanpt, der wilde, trotzige Herr von 
Rimini, einſt (1453) Obergeueral der florentiniſchen Armee; er leugnete 
die Unſterblichkeit der Seele, die Kirche brandmarkte ihn als Ketzer und 
nannte ihn einen verlorenen Sohn. Auch dieſer Herr hatte ſeine Hof⸗ 
gelehrten und Hofdichter, wenn auch nur Größen zweiten Ranges. In der 
Kirche S. Francesco zu Rimini ruhten ihrer mehrere, die er mit beſon⸗ 
derer Ehre hier beiſammen beſtatten ließ. Porcello verweilte eine Zeit 
lang bei ihm; er trieb ſich nämlich als ärmlicher Poet unſtät umher, ſeit⸗ 
dem er, wir wiſſen nicht warum, den neapolitanifchen Dienſt verlaſſen. 
Baſinio da Parma beſang in eleganten Hexametern die Kriegesthaten 
Ghismondo's und deſſen Concubine Iſotta, welche auch Porcello in 
ſeinen Verſen feierte.) Auch in Rimini erhob ſich eine Bibliothek 
und man trieb hier Künſte des Friedens, die zu dem rauhen Soldaten⸗ 
ſinne des Fürſten in wunderlichem, aber doch nicht unbegreiflichem Ver⸗ 
hältniß ſtanden.) 

Sein Bruder, der apoſtoliſche Vicar zu Ceſena, Malateſta No- 
vello de' Malateſti, ſtand auch nicht im Rufe der Frömmigkeit und 
Friedlichkeit. Doch war er den Schöngeiſtern gleichfalls zugänglich; 
wir ſehen, wie Poggio ihn umſchmeichelt und ihm einige ſeiner Werke 
zuſendet. ). Als er im Jahre 1448, durch eine Krankheit betroffen, 
für das Heil ſeiner Seele etwas thun zu müſſen meinte, erbaute er 
dem h. Franciscus zu Ehren bei deſſen Kloſter eine Bibliothek und 
zwar in Form einer Baſilika mit einer Doppelreihe korinthiſcher Säu⸗ 
len. Er ſorgte nicht nur für die nöthigen Bücher, ſondern ſetzte auch 
eine jährliche Summe von 300 Goldgulden aus, theils zur Erhaltung 
des Inſtituts, theils zur Unterſtützung der Magiſter und Doctoren, 


) Leon. Bruni epist. III, 9. VI, 7. ed Mehus. 

) Poggii epist. 91. Porcellio im Spicileg. Roman. T. X. 
) Tiraboschi T. VI. p. 224. 1341. | 
*) Poggii epist. 20. 21. I. c. 


266 IV. Eine Rundreiſe Filelfo's zu verſchiedenen Fürſten. 


der Pfleger der freien Künſte ſowohl wie der Theologen, dam fie in 
demſelben ihren Studien obliegen könnten.) 

Mit allen dieſen kleinen Tyrannen trieb ein Filetfo leinen Un⸗ 
ſterblichkeitshandel, bei ihnen allen vertauſchte er den durch felne Feder 
geſicherten Nachruhm gegen reellere Objecte. Im Jahre 1459 reifte 
er von Mailand nach Rom, um ſich und ein paar ſeiner Söhne dem 
neuen Papſte Pius vorzuſtellen. Er kam nach Mantua zu Markgraf 
Lovovico, der ihn „mit Frenden ſah und aufs reichkichſte aufnahm⸗ 
und dafür ein in feiner Perſönlichkeit und in ferner Humanitdt ganz 
ausgezeichneter Fürſt genannt wurde. Dann zu Herzog Beorfe von 
Ferrara, von welchem er „herrlich beſchenkt“ wurde; zum Danke ver⸗ 
kündete er der Welt in ſeinen ewigen Briefen, vieſer Fürſt ſei wahr⸗ 
lich werth, daß keine Nation und keine Nachwelt von ihm ſchweige, 
venn er ſei mit jeglicher Tugend begabt, vor allen aber mit Geiſtes⸗ 
poheit und Freigebigkeit, jenen beiden Eigenfchaften, die berühmte Für⸗ 
ſten durchaus beſitzen müßten. In Ceſena wurde er von Malateſta 
Novello micht minder königlich als philoſophiſch aufgenommen“; in 
Kimini empfing ihn Ghismondo Pandolfo Malateſta aufs. ehrenvollſte 
und freigebigſte und bewies ihm alle Liebes dienſte“, wofür er venn als 
ein Mann von ungeheurem und durch und durch humanem Geiſte, von 
großen und unzähligen Tugenden geprieſen wurde. Bei Foſſombrone 
traf er zufällig auf. Giacomo Piccinino, den Söldnerführer, dieſer 
ſchickte einen Vertrauten zu ihm ins Gaſthans, ließ ihn grüßen, wech⸗ 
felte am folgenden Tage mit ihm die freundlichſten Worte, „erwies ihm 
ein ausgezeichnetes Wohlwollen und verabſäumte keine Pflicht der Hr 
manität und Güte“. Filelfo, der ſich rühmte, an Dankbarkeit ſolle ihn 
wicht leicht jemand übertreffen, nannte ihn dafür einen Tydeus an 
Körperftärke, an Kraft und Klugheit des Geiſtes einen Aleiwen.) 

Wir dürfen wohl behaupten: es gab in Italien keinen Fürſten, 
dem ein Filelfo nicht mit Schmeicheleien und Huldigungen beizukommen 
wußte, von dem er nicht Gefälligkeiten und Geſcheuke empfing. Seloſt 
die Keinen Potentaten des Nordens, die von vem literariſchen Schwin⸗ 
del am meiſten verſchont blieben, ihm entgingen ſie nicht. Wir wüßten 
es nicht zu beweiſen, daß die Markgrafen von een ſich beſon⸗ 


’) Wadding Annal. Minor. T. Al Zu an 1648) p. 135. 136. Blonäns 
Ital. illustr. p. 344. 
) Nach Filelfo's Briefen vom 5— 22. ganuar 1459. 


IV. Die Humanißer als Poliker. 267 


ders um bie Wiſſenſchaften gekümmert hätten. Wenn aber Filelfo dem 
Markgrafen Giovanni IV feine Liebe und Ehrfurcht bezeugt, fo war 
damit die Angel ausgeworfen; wenn er ihm für bewieſene Wohlthaten 
dankt, ihm eines ſeiner Werke zuſendet und ihn den freigebigſten von 
Allen nennt, jo war folglich der Fiſch gefangen.) In Turin bei Her⸗ 
zog Lodovico von Savoyen, von dem wir gleichfalls keine mäcenatiſche 
Handlung zu berichten wüßten, brachte Filelfo feinen älteſten Sohn 
Gian⸗Mario als Verwaltungsbeamten unter, einen liederlichen Burſchen, 
der ſeinem Vater zwar nicht an Gelehrſamkeit, aber im Talent der 
Unverſchämtheit gleichkam; der Herzog von saugen hat ihm den Dich⸗ 
terlorbeer ertheilt.) 

Scheiden wir von der höfiſchen Sphäre die politiſche, ſo müſſen 
wir doch zugeſtehen, daß die Hofgelehrten und Hofdichter auf letztere 
wenig Einfluß geübt haben. Als Verehrer einer längſt entſchwundenen 
Zeit waren ſie im Grunde alle, was man zu unſerer Zeit mit dem 
Namen Doctrinärs bezeichnen würde. Wir dürfen uns nicht täuſchen 
laſſen, wenn einige von ihnen ſich einer beſtimmenden Autorität bei 
ihrem Fürſten rühmten, wenn ſie mehr mit dem Titel als mit dem 
Amte von Secretären und Staatsräthen geziert oder mit der Abfaſſung 
politiſcher Schriftſtücke beauftragt wurden, in denen der Kern der Sache 
niemals lag, die gewöhnlich nur ein prunkendes Manifeſt an die Mitwelt 
oder an die Nachwelt waren. Jene Politik, die wir mit dem Namen 
eines Humaniſten, des florentiniſchen Staatscanzlers, zu bezeichnen ge⸗ 
wohnt ſind, hat lange vor dem Auftauchen des Humanismus und zu 
allen Zeiten exiſtirt. Höchſtens mögen wir zugeſtehen, daß wo die 
Kunſt des Wortes eifriger gepflegt wird, auch der Gegenſatz zwiſchen 
Wort und Geſinnung greller hervortritt, daß wackere Offenheit da um 
ſo bitterer vermißt wird, wo die tönende Phraſe ſie zu erſetzen ſucht. 
Auch iſt unleugbar, daß mit den Höfen immer zugleich der ſtaatliche 
Verband demoraliſirt wird und eine Demoraliſation iſt es doch gewiß, 
wenn Schmeichelei und Heuchelei der Modeton werden, wenn ein fal⸗ 
ſcher Schimmer die Eitelkeiten des Herzens nährt. Aber trotz dieſen 
mittelbaren Zuſammenhängen dürfen wir behaupten, daß das reale Le⸗ 


1) Filelfo's Briefe an ihn v. 15. Mai 1454, v. 2. Juni 1459 u. a. 

) Rosmini Vita di Franc. Filelfo T. III. p. 91, wo Saſſi und Tira⸗ 
boſchi widerlegt werden, die Gian⸗Mario Filelfo durch König Rene von Anjon zum 
Dichter gekrönt werden laſſen. 


268 IV. Die Humaniſten als Politiker. 


ben des monarchiſchen Staates, der einmal auf dem täglichen Bedürf⸗ 
niß und auf der nüchternen Nothwendigkeit beruht, vom Humanismus, 
der eine ſpirituelle Richtung iſt, nicht allzu ſehr bedingt wurde. Hier 
bildet die florentiniſche Republik, in welcher Humanismus und Staats⸗ 
kunſt ſich ſo innig verbrüderten und ihre ſchroffen Forderungen durch 
einander ausglichen, den entſchiedenſten Gegenſatz, und ſchon dadurch 
ließe ſich erklären, warum in Florenz das gelehrte Treiben ein ungleich 
geſunderes war und ungleich reichere Früchte trug. 


Fünftes Buch. 


Der Humanismus an der päpſtlichen Curie. Das Zeitalter 
Nicolaus V. Die helleniſtiſchen Studien. 


Jetzt iſt darzulegen, wie ſich der Humanismus an der römi⸗ 
ſchen Curie eingebürgert hat. Wir dürfen nicht erſt ſagen, daß von 
den Herren des Kirchenſtaates hier die Rede nicht iſt, daß wir das 
Eindringen des neuen Geiſtes in die gewichenen Fugen der Hierarchie 
zu betonen und die endliche Zertrümmerung dieſes ſtolzen Gebäudes 
durch das neubelebte Alterthum wenigſtens in der Fernſicht zu zeigen 
wünſchen. f 

Die hierarchiſche Kirche beanſpruchte Geiſt und Gemüth wie die 
Wiſſenſchaft und wie ihre ſchöne Schweſter, die Kunſt: ſo bot ſie denn 
einen Kampfplatz, auf welchem ſich die Kräfte meſſen mochten, die 
Kräfte nämlich eines erkalteten, zum Formalismus ausgehöhlten Glau⸗ 
bens und eines jugendlichen, mit ſinnlichem Reiz und mit kritiſcher 
Schärfe gerüſteten Unglaubens, einer ſtarren ſyſtematiſchen Moral, wie 
ſie von der Canzel und von der ſcholaſtiſchen Katheder herab gelehrt, 
und einer ſpielenden üppigen Frivolität, wie ſie von den Dichtern des 
römiſchen Alterthums gelernt wurde. Der Hof von Rom war einmal 
das Centrum der Hierarchie und hatte neben der ſtaatlichen eine un⸗ 
gleich bedeutendere geiſtige Miſſion. Wenn hier das Alterthum und 
feine Verehrer eindrangen, blieben fie kein bloßer höfiſcher Ausputz. 
Hier mußte das neue Element in Mark und Bein dringen wie ein 
Gift, welches zwar für kurze Zeit ein ſcheinbar erregteres Leben erzeu⸗ 
gen kann, aber den Organismus doch in ſeiner koſtbarſten Lebenskraft 


I V. Das Schisma führt die Humaniſten an die Curie. 


verzehrt. Der Strenge ihrer Grundprincipien gemäß hätte die Hier⸗ 
archie das Heidenthum, in welcher Geſtalt es ſich auch zeigte, von ſich 
fern halten und verfolgen müſſen. Aber bald, wie wir ſehen werden, 
war es das Bedürfniß, bald die Sorgloſigkeit der Curie, die das heid⸗ 
niſche Ferment an ſie lockte und in ihren Schooß einführte. Durch 
Prieſter endlich, die ſelber das neue Studium eifriger liebten als die 
Kirche, hat ſich der ee als un auf den apoftolifchen 
Stuhl geſchwungen. 

Das große Schisma, welches auf den Glauben untergrabend ein⸗ 
wirkte, hat auch den Jüngern des neubelebten Alterthums zuerſt den 
Eintritt in die Curie und in die Kirche geöffnet. Es bedurfte der 
Kampfmittel, und die Päpſte waren in der Wahl derſelben nicht allzu 
gewiſſenhaft und peinlich. Im Streite gegen die weltliche Macht und 
noch gegen Ludwig den Bayern hatten ſie ſich ausſchließlich kirchlicher 
Geiſter, gelehrter Biſchöfe und Mönche bedient, um ihre Angriffs⸗ und 
Vertheidigungsſchriften abzufaſſen. Dieſe waren denn auch außerhalb 
der Kreiſe, die ſie zunächſt berührten, wenig verbreitet geweſen und für 
ein größeres Laien⸗Publieum nicht einmal von Intereſſe. Ein folches 
folgte blindlings dem Landesherrn oder wenn es Partei nahm, geſchah 
es ebenſo aus blindem Inftinet, ohne den Drang, mit Gründen für und 
wider ſtreiten zu können. In ganz andrer Art wirkte das Schisma 
auf die Gemüther: man wollte ſich klar werden über das Recht dieſes 
oder jenes Papftes, weil man von der Wahl das Heil der Seele ab⸗ 
hängig wähnte, und doch ſchwankte man zwiſchen ihnen oft ohne Leiden⸗ 
ſchaft und Vorurtheil, wenn dieſe nicht etwa durch nationale Sympathien 
hervorgerufen wurden. Darum treten ſeitdem die Magiſter und Doc- 
toren, die Chorführer der ſcholaſtiſchen Kathederweisheit lebhaft in den 
Kampf. Von den Hochſchulen gingen während des Schisma die mei⸗ 
ſten Streitſchriften aus, immer noch ſchwerfällige Conglomerate und 
nur dem Gelehrten verſtändlich. Je länger der Kampf zwiſchen den 
italieniſchen und franzöſiſchen Päpſten andauerte, je eifriger und ſcan⸗ 
dalöſer er geführt wurde, je ungeduldiger und erregter die andern Na⸗ 
tionen wurden, deſto mehr trat für die Kämpfenden das Bedürfniß 
hervor, energiſcher auf ein erweitertes Publicum einzuwirken, und das 
geſchah durch faßlichere, aus Herz greifende Parteiſchriften. Damals 
nun zeigte ſich zuerſt die Gewalt des ſtudirten Stils über die Gemüther 
der Leſenden: er wußte ihnen zu ſchmeicheln und ſie zu entzünden. 
Was natürlicher, als daß die Päpſte ſich nach den Humaniſten umſahen, 


1: V. Eintritt der Humanisten in die Kurs. F AL; 


die jene Künſte den alten Rednern abgelernt, die meiſtens brodlos und 
weil fie dem Alterthum anz ergeben, gegen die Zeitintereſſen gleich⸗ 
gültig waren, auch parteilos, ſich ohne Mühe und Widerſtreben in 
Sold und Dienſt nehmen ließen.) 

Den Humaniſten an der Curie zu ſituiren, hatten die Päpſte ein 
einfaches Mittel: fie gaben ihm ein Secretariat in der Cancelei. Das 
war ein Amt, welches ſonſt um guten Preis, wohl um 700 Gulden, 
gekauft wurde, es nährte den Mann und ſeine Familie, gab dem Flei⸗ 
ßigen und Geſchickten Gelegenheit zu erheblichen Nebeneinnahmen, es 
eröffnete ihm, wenn er ſich zum geiſtlichen Stande entſchloß, Ausſicht 
nicht nur auf die fetteſten Pfründen, ſondern auch auf die höheren 
kirchlichen Würden. Mancher Cardinal begann ſeine Laufbahn als be⸗ 
ſcheidener Scriptor in einer der apoſtoliſchen Curien. Indeß hatten 
die meiſten Secretäre, auch wenn ſie das Amt kauften, doch einige 
Jahre ſich mit dem kanoniſchen Recht abgegeben. Sie ſtanden ſich 
überhaupt nicht gleich: zu Anſehn und Wohlſtand gelangten gemeinhin 
uur die gewandten Juriſten, die ſich den Prälaten hier und dort nütz⸗ 
lich zu machen, die Breven ſelbſtſtändig abzufaſſen und allerlei Winkel⸗ 
advocaturen zu führen verſtanden. Der einfältige Copiſt, der nur 
gerade die gewöhnlichſten Formulirungen gelernt, blieb auch zeitlebens 
ein ſubalterner Beamter. 

Trat nun der Humaniſt in die Sende, jo ſtand ihm ein dop⸗ 
pelter Weg offen: entweder er arbeitete ſich ganz in die Geſchäfte hin⸗ 
ein und ſtand dann gewöhnlich an Einnahmen und Achtung hoch über 
feinen Collegen, oder er übernahm nur die Abfaſſung einzelner Schrift 
ſtücke, der bedeutenderen, an Fürſten oder hohe Prülaten gerichteten 
Breven, der Ausſchreiben und Streitſchriften, und zog ſich übrigens 
von den laufenden Geſchäften zurück. Der letztere Fall war gewöhn⸗ 
licher: der Schüler Cicero's entſchloß ſich ſchwer, ſeinen Geiſt, den er 
zu beſſeren Dingen berufen meinte, in dem eintönigen Formelkram ab⸗ 
zumüden und wie ein gemeiner Curiale Tag und Nacht in dem lang 
weiligen Verwaltungsmechanismus zu arbeiten. Aber je weniger Arbeit 
er übernahm, deſto ſchmaler war freilich auch ſein Verdienſt. Wir fin⸗ 


9 So ſchrieben, um nur zwei Beiſpiele anzuführen, Lionardo Bruni die erſte 
Eneyklika für Gregor XII (Bruni epist. II, 4. ed. Mehus), Poggie eine Reihe von 
Breven Eugen's IV gegen das base Coneil (P oggii epist. 93. im Bpicileg. Ro- 
man, T.X. 


272 v. Die erſten Humaniſten an der Curie. 


den manche unter ihnen, die wie freie Leute an der Curie lebten und 
mehr auf den Erwerb von Pfründen oder Lehrhonoraren bedacht wa⸗ 
ren, ja wohl ganz davongingen und in Florenz oder anderswo den 
Titel eines apoſtoliſchen Secretärs führten. Bis auf diejenigen Päpſte, 
die gleich den weltfürſtlichen Mäcenen vom Hofgelehrten wenig ver⸗ 
langten und ihn doch reichlich belohnten, war das Schreiberamt fur 
ein nothdürftiges eee der eee und e wenig un 
Freiheitsſinn. 

Schon Petrarca war ein Secretariat von n Päpſten an; 
getragen worden,) aber er mochte ſeinet Freiheit nicht die Flügel bin⸗ 
den, fein Sinn ſtrebte dahin, „ſich über das Volk zu erheben, er ſah 
mit Achſelzucken „auf die Heerde jener, die Schreiber des Papſtes ge 
nannt werden und von denen wir wiſſen, daß fie mehr u er 
beiter als geiſtvolle Menſchen find." *) 5 

Längere Zeit blieb die Stellung derjenigen Humanisten, die ſich 
zu einem Curlalamte bequemt, eine ſchwankende und zeitweiſe. Meiſt 
nur mit Widerſtreben beugten fie den Nacken unter das Joch und blie⸗ 
ben in demſelben nur, wenn die Sorge für Weib und Kind fie feffelte 
und bis ſich ihnen eine willkommenere Exiſtenz darbot. Dazu kam 
während des Schisma noch die Unſicherheit der Einkünfte, die mit den 
Ausſichten und der Obedienz eines jeden Papſtes ſtiegen und fielen. 
Selbſt die franzöſiſchen Päpſte ſuchten Secretäre aus dem ſchöngeiſtigen 
Italien nach Avignon zu ziehen, und der tusciſche Stamm galt für 
den fähigſten in der Wiſſenſchaft wie im Geſchäft, aber der Tuscier 
entfernte ſich auch am wenigſten gern von dem gebildeten Freundes⸗ 
umgange ſeiner Heimath. 

Zanobi da Strada, der gekrönte Dichter und Freund Petrar⸗ 
ca's, erſcheint als der erſte ſeinesgleichen, der als apoſtoliſcher Proko⸗ 
notar und Abbreviator Innocenz VI diente; fortan ließ er die Poeſie 
und wurde unter den Geſchäften ein reicher Mann.) Dann hören 
wir, daß Coluccio Salutatso eine Zeit lang unter Urban V, viel⸗ 
leicht auch noch unter Gregor XI als apoſtoliſcher Secretär arbeitete); 
wie anders ſtand er dann als florentiniſcher Canzler da! Einer ſeiner 


1) Epist. rer. senil. I, 1. 2. 3. 

2) Epist. rer. senil. XV, 6 (Opp. p. 1058). ö 

) Fil. Villani Vite d'uomini illustri Fiorentini ed. Mazzuchelli p. 8. 
) Petrarca cpist. rer. senil. XI, 4. e zu Fil. N Vite 


etc. Prefaz. p. 20. 


V. Poggio an der Curie. 273 


Jünger und Schüler des Chryſoloras, Giacomo d' Angelo da Scarparia 
trat unter Alexander V in die Cancelei, widmete dieſem Papſte feine 
Ueberſetzung der ptolemäiſchen Kosmographie, bekleidete ſein Amt auch 
noch unter Johannes XXIII, iſt aber im jungen Alter geſtorben.) 

Als Poggio 1452 nach ſeinem Florenz zurückging, um hier nun 
bis an ſein Ende zu bleiben, konnte er ſich rühmen, daß er der römi⸗ 
ſchen Curie faſt fünfzig Jahre lang gedient.) Schon ein Decennium 
früher hatte er mehr als fünfzig Cardinäle an der Curie hinſterben 
geſehen,) er durfte ſich den älteſten Curialen nennen, auch iſt fein 
Treiben an der Curie in mehr als einer Beziehung denkwürdig. Als 
ein junger Mann trat er unter Bonifacius IX in das Amt der Secre⸗ 
tarie, etwa 1402, und blieb in demſelben unter ſieben ſeiner Nachfolger, 
obwohl er nur periodenweiſe die Laſt der Geſchäfte auf ſich nahm. 
In der Geſchichte des Schisma ſtoßen wir auf ſo manches Curial⸗ 
ſchreiben, deſſen Signatur ſeinen Namen aufweiſt. Gerade eine ſo 
ſchnelle und gewandte Feder, eine fo lebhaft⸗ eindringliche Redeweiſe, 
ein ſolches Talent zu läſtern und lächerlich zu machen, wie er ſie beſaß, 
war jenen Päpſten höchſt willkommen. Als es Johannes XXIII, den 
er nach Coſtnitz begleitet, hier übel ging, reiſte er auf Bücherjagd in 
den benachbarten Klöſtern umher und ging dann für längere Zeit nach 
England hinüber. Es ſcheint überhaupt, daß er ſich an ſein Amt und 
an den Aufenthalt der Curie wenig gebunden fühlte, er verließ ſie und 
kam wieder, wie es ihm behagte. Als er aus England nach Italien 
zurückkehrte, nahm er unter Martin W fein Secretariat wieder auf, 
aber man ſieht, daß das Amt ſchon nicht nach ſeinem Geſchmacke war, 
daß er eine florentiniſche Profeſſur mit 600 Gulden Jahresgehalt vor⸗ 
gezogen hätte; denn er wollte »ein freier Mann fein, nicht ein öffent⸗ 
licher Sclave.“ ) Stets fand er zu klagen, daß man ihn nicht halte 
und belohne, wie ein ſo geſchickter Literat und ein ſo verdienter Veteran 
an der Curie es wohl erwarten könne.) 

Wir kennen Poggio bereits als wüthenden Kämpfer auf der lite⸗ 
rariſchen Arena, als pomphaften Lob⸗ und Leichenredner, als Bücher⸗ 


1) Mehus Vita Jacobi Angeli vor Leonardi Dathi Epistt. recens. Me- 
hus. Florentiae, 1743. 

2) De miseria conditionis humanae Liber I. in princip. (Opp. p. 88). 

) Orat. in funere Cardinalis S. Crucis ad. fin. (Opp. p. 269). 

) Seine Briefe an Niccoli unter denen des Ambr. Travers. XXV, 38. 39. 44. 

5) z. B. Opp. p. 5. 32. 292. | 


Voigt, Humanismus. 18 


274 V. Poggio unter den, Trünmmern Rom's. 


ſucher und Sammler alter Kunſtſchätze und als behaglichen florentini⸗ 
ſchen Canzler. An der Curie, in Rom: find: es wieder andre Seiten 
dieſes vielgeſtaltigen Mannes, die der Erwähnung werth ſcheinen. 
Zunächſt gedenken wir eines Verzeichniſſes der altrömiſchen Bauwerke, 
welches Poggio nach eigenen Anſchauungen und Unterſuchungen entworfen.“) 
Er war der Erſte, der ſie mit feurigem Intereſſe betrachtete und zu⸗ 
gleich als gelehrter Alterthumsforſcher zu deuten wußte; denn von Cola 
di Rienzo und Petrarca darf man behaupten, daß ſie auf dieſe Trüm⸗ 
mer der alten Römerwelt mehr mit verehrendem Staunen als mit ein⸗ 
dringendem Verſtändniſſe geſchaut. Die geiſtlichen Herrſcher der Welt⸗ 
ſtadt und ihr Stadtadel ſahen in den ehrwürdigen Monumenten wenig 
mehr als Steine, die ſich zu Bauten und Fortiſicationen brauchen lie⸗ 
ßen. Das gemeine Volk von Rom zeigte wenigſtens eine ſchwache 
Ahnung von der Bedeutung dieſer Kaiferbauten, wenn ſeine Meinung 
war, fie ſeien von böſen Geiſtern aufgeführt worden. Für Poggid 
aber ſprachen dieſe zertrümmerten Tempel und Halten, Thermen und 
Theater, Waſſerleitungen und Thore, Paläſte und Triumphbogen, ſte 
kündeten ihm daſſelbe wie die Schriftſteller der alten Römer. Eifrig 
ſammelte er in Rom ſelbſt und auf Ausflügen in die Umgegend, Gebüſch 
und Schutt durchſtöbernd, Inſchriften, Marmorbüſten und was er ſonſt 
von Alterthümern erreichen konnte. Die Inſchriften hat er in einem 
kleinen Buche zuſammengeſtellt, ) welches verloren ſcheint und doch der 
Wiſſenſchaft ungleich mehr nützen dürfte als die Sammlung Ciriaco's 
des Anconitaners. Obwohl er, ſagt Poggio, ſeit ſeinen jungen Jahren 
in Rom gelebt, komme hier doch Alles ſeiner Bewunderung täglich nen 
vor und er erhole ſeinen Geiſt bei dem Anblick dieſer Bauten.) Ka⸗ 
men gelehrte Freunde nach Rom, ſo führte er ſie herum und wies 
ihnen die ſtummen Zeugen der geſchwundenen Größe.“) Ein tiefes 
Gefühl und eine reiche Gedankenwelt gingen ihm auf, wenn er auf 
einem Marmorblocke der tarpejiſchen Burg zwiſchen zerbrochenen Säulen 


) Lib. I. Historiae de varietate fortunae ed. Dom. Georgio. Acc. ejusd. 
Poggii Epistolae LVII. Lutet. Paris., 1723. Ein Stück aus dem erſten Buche 
ſteht als Urbis Romae Descriptio auch in feinen Opp. edit. eit. p. 131. 

2) Hist. de variet. fort. p. 9. Vergl. . ud an a unter denen des 
Ambros. Travers. XXV, 42. u 

) Brief Poggio's an Bart. Fazis bei beffen Werk de vir. illustr. ed. Mehus 
p. 96 und als Poggii epist. 74. im Bpicileg. Roman. T. x. j 

) Ambr. Travers. epist. VIII, 42. e e 


V. Poggio und das Bugiale. 275 


ſaß und das Capitol anſchaute, das einſt von Virgilius beſungene, wie 
es. jetzt von Diſteln und Dornen umwachſen war, und wenn er ſich 
zurückrief, was einſt Gajus Marius auf den Trümmern von Karthago 
empfunden. Das ungeheure Rom zu ſeinen Füßen erſchien ihm wie 
der verweſende Leichnam eines Giganten, die Herrin der Welt als zu 
elender Kuechtſchaft herabgewürdigt.) 

Dieſes Gefühl, an ſich machtlos, hat doch ſeit jener Zeit der Zer⸗ 
ſtörung jener edlen Reſte Einhalt geboten. Man fing an ſich zu fra⸗ 
gen, wo einſt das alte Rom zu ſuchen ſein werde, wenn noch einige 
Jahrhunderte lang die gemeine Freibeuterei ihren barbariſchen Eigen⸗ 
nug an jenen Marmortrümmern üben dürfe. Ein nachmaliger Papſt, 
der alſo in die Lage kam, ſchonen und erhalten zu können, hat dieſem 
Gefühl im Anblicke Roms Worte zu geben verſucht.) 

Derſelbe Poggio war dann wieder die Seele der Geſellſchaft, wenn 
im vertrauten Freundeskreiſe der kecke Witz, die ausſchweifende Frivo⸗ 
lität ihr Spiel trieben. In einem abgelegenen Theile der Curie ſelbſt 
verſammelten ſich, lag die Arbeit des Tages hinter ihnen, die feinen 
und witzigen Köpfe, um ſich für die trockenen Canceleigeſchäfte in den 
freien Spielen des Genius zu entſchädigen. Dann wurde geſchwatzt 
und gelacht, auch wohl getrunken, Späße und Tollheiten wurden er⸗ 
zählt, niemand geſchont, ja Seine Heiligkeit Papſt Martin V mußte 
gewöhnlich als der erſte herhalten. Da waren Antonio Loschi, der 
hier die Grammatik und den Cicero vergaß und nur ſeinen köſtlichen 
Humor walten ließ, da war der Dichter Agapito Cenci be’ Ruſtici, 
ein junger Mann voll Scherz und Lebensluſt, der ſpäter Biſchof wurde 
und wohl noch den rothen Hut auf ſeinem Haupte getragen hätte, 
wäre a II, fein Gönner, nicht allzu früh geſtorben.) Als 


) Hist. de variet. fort. p. 5. 
) In mehreren Codicts, z. B. im Cod. lat. 215. fol. 53 der münchener Hof⸗ 
bibl. fand ich folgende Diſtichen des Aeneas Sylv ius: 
Oblectat me, Roma, tuas spectare ruinas, 
Ex cujus lapsu gloria prisca patet. 
Sed tuus hic populus muris defossa vetustis 
Calcis in obsequium marmora dura coquit. 
Impia ter centum si sic gens egerit annos, 
Nullum hic indicium nobilitatis erit. 

) Vergl. über ihn Campanus Vita Pii II ap. Muratori Seriptt. T. III. 
P. II. p. 984. Pii II Comment. p. 100. 196. 329. Ughelli Italia sacra T. I. 
p. 384. 610. Merkwürdig iſt, daß Vespaſiano in der kleinen ihm gewidmeten 

18 * 


276 v. Poggid und das Bugiale. 


Held aber im Erzählen ſchnurriger Geſchichten ilrd neben Pbgzio ein 

gewiſſer Razello von Bologna bezeichnet, ver uns übrigens unbekannt 
iſt. um welche Dinge fich das Geſpräch bewegte, lernen wir aus den 
„Facetien“ Pogglo's, der dieſe Anekdoten zu ſammeln und! in zierlichem 
Latein wiederzugeben für würdig hielt. Sie handeln alfo von lieder⸗ 
lichen Cardinälen und zudringlichen Beichtvätern, von hörnertragenden 
Ehemännern und Tüfternen Weibern, von dummen Pfaffen und geilen 
Franciscanern, von klugen und albernen Aerzten, von Dante und 
Filelfo, von Dirnen und unerfahrenen Mädchen, von dummen Bauern 
und witzigen Spaßvögeln. Es find feine Ausfprüche und unſchuldige 
Scherze darunter, aber es ſind der Mehrzahl nach Ehebruchſcandäle 
und plumpe Obſcönitäten, eine bunte Sammlung von Geſchichten, wie 
eben im Kreiſe lockerer Menſchen eine die andre hervorkuft, wie ſie 
bald aus der Tradition und dem gemeinen Leben gegriffen, bald bei 
heiterer Laune erfunden werden. Das war die Abendunterhaltung der 
apoſtoliſchen Secretäre, aus deren Feder die feierlichen Bullen und die 
ernften Breven hervorgingen. Bugiale, die Lügenfabrik, nannten fie 
ihre luſtige Geſellſchaft, die im Lateran ihr Weſen trieb und die Kirche 
wie die Welt in gleicher Weiſe zu Objecten des Humors machte. 9 

Hätte Poggio in dieſem Treiben etwas Anſtößiges gefunden, ſo 
hätte er es ſich leicht erſparen können, davon zu erzählen. Als Hu⸗ 
maniſt freute er ſich des Witzes und der leichten Genialität, ohne ſich 
um Kirche und Moral zu kümmern, gleichwie er beim Niederſchreiben 
der Facetien ſich freute, daß auch die Darſtellung ſolcher kleinen Leicht. 
fertigfeiten der lateiniſchen Eloquenz möglich ſei.) 

Das Beiſpiel Poggio's zeigt ferner, wie völlig ohnmächtig die 
vormaligen Beherrſcher der öffentlichen Meinung, die Bettelmönche, 
bereits gegen die modernen Literatoren waren. Gegen Lorenzo Valla 
machte die Inquiſition noch einen Verſuch. Poggio blieb in Rom un⸗ 
angefochten. Wie leicht hätte ſich eine Reihe von ketzeriſchen Sätzen 
aus ſeinen Schriften zuſammenſtellen laſſen, wie leicht wäre es geweſen, 
ſeinen durch und durch heidniſchen Sinn aufzudecken! Die Mönche, 
die er in faſt ie . a — wir kommen . eg ein⸗ 


1 


Vita (Spicileg. Roman. T. J. 12 ihn gerade als einen zatlbigen und fropige 
Menſchen ſchildert. 
) Poggius in Seele Libri e (Opp- p. ll “ ſelbſt er⸗ 
klärt Bugiale durch mendsciorum veluti officina. 
) ibid. Praefat. (Opp. p. 420). 


V. Poggio und die Hierarchie. 277 


mal zu ſprechen — mit galligem Humor verhöhnte, mußten ſich damit 
begnügen, vereinzelt und privatim auf ihn zu ſchmähen, während Poggio, 
der Meiſter in dieſer Kunſt, es ihnen wieder öffentlich und insgeſammt 
vergalt, Schrieen ſie ihn als einen Feind des Glaubens und Ver⸗ 
folger der Gläubigen aus, ſo ſprach er mit der tiefſten Verachtung 
von dem blinden täppiſchen Pöbel, der nur das Geſchrei beſchränkter 
Mönche verſtehe, nicht aber die erhabene Weisheit des Alterthums. 
Sich aber offen zur Partei dieſes „Pöbels« zu bekennen, hätte ſich jeder 
honette Mann an der Curie, jeder Prälat geſchämt. So dürfen wir 
uns auch nicht wundern, wenn Poggio ſelbſt mit Mönchen aller Art, 
vom Camaldulenſergeneral Traverſari bis auf einfache Minoritenbrüder 
herab, in freundſchaftlichſtem Verkehr blieb. 

Es mag auffallend erſcheinen, daß Poggio als ein Diener der 
Hierarchie ſo rückſichtslos gegen die treueſten Vorkämpfer der Hierarchie 
zu Felde zog. Das war aber eben ſein perſönliches Vergnügen, er 
fühlte ſich ihnen gegenüber nur als der gebildete Mann. Wie albern 
würde es ſein, ihn nach einem vielbeliebten und vielmißbrauchten Aus⸗ 
drucke zu den „Reformatoren vor der Reformation“ zu rechnen! Was 
kümmerte ihn die Kirche, die Religion? Das Amt, welches ihn nährte, 
war ihm ein zufälliges Nebending und hatte mit ſeinem humaniſtiſchen 
Berufe nichts gemein, als etwa daß er bier wie dort die Feder führte 
und an kirchlichen Schriftſtücken wie an weltlichen ſeinen Stil übte. 

So iſt denn Poggio, der erſte Humaniſt, der ſich zum dauernden Leben 
an der Curie bequemte, ſogleich ein lebendiges Bild des Widerſpruches, 
der zwiſchen dem claſſiſchen Alterthum und der Hierarchie unausgleich⸗ 
bar obwaltete und nur wegen der Gleichgültigkeit der Humaniſten gegen 
Religion und Kirche auf der einen und wegen der geſunkenen Energie 
der letzteren auf der andern Seite nicht zu feindlichem Ausbruche kam. 
Wir gehen weiter und beobachten in der Vermehrung des humaniſti⸗ 
ſchen Perſonals, welches ſich in Rom zuſammenfand, das vorſchreitende 
Eindringen des a in die Glieder und den Körper der Hie⸗ 
rarchie. 

Durch Salutato's, des ſlorentivischen Staatscanzlers, und Poggio's 
Vermittelung wurde der junge Lionardo Bruni nach Rom gerufen. 
Am 24. März 1405 traf er ein und erhielt durch Papſt Innocenz VII 
ein apoſtoliſches Seoretariat. ) Er . es dann unter Alerauder V 


) Leon. Bruni epist. I, 1. 8. rea. Mehas, Selutati, bre. I, 2. ed. 
Bigacci, | 


278 V. Bruni und Loschl an der Curie. Martin V. 


und Johannes XXIII verwaltet, weil er von Haufe arm war und 
ein Unterfoningen ſuchen mußte. So lange letzterer Papſt in Rom war, 
gab es für ſeine Beamten genug Gelegenheit, Pfründen und Geld zu 
erwerben. Aber ſeine traurige Lage zu Coſtnitz wirkte auch auf die 
Curialen zurück. Bruni wurde hier fein Amt, deſſen Arbeiten ihn 
längſt gelangweilt, völlig verleidet, er zog ſich zu ſeinen florentiniſchen 
Freunden zurück und war, als Papſt Martin V nach Florenz . nicht 
zu vermögen, ihm wieder nach Rom zu folgen. 9 ö 

Nicht ohne bleibende Bedeutung war der Eintritt des Antonie 
Loschi in die Cancelei unter Gregor XII. Er blieb bis zu ſeinem 
Tode, der erſt unter Nicolaus W zwiſchen 1447 und 1450 erfolgte,“) 
zugleich feinem Secretariat und ſelner Mufe getreu. Seine Briefe im 
heroiſchen Versmaß und ſeine Epigramme umfaſſen acht Bücher, am 
bekannteſten iſt er durch feinen vielgebrauchten Commentar zu eilf cice⸗ 
roniſchen Reden geworden. Lo schi nun verfaßte ein neues Formel⸗ 
buch für die curialen Geſchäfte und ſuchte in dieſe die tullianiſche 
Schreibart einzuführen, ) wie zur gleichen Zeit Salutato ſie wirklich 
von der florentiniſchen Cancelei aus in die Diplomatie einführte. Zwer 
hat Loschi's Unternehmen die Schwierigkeiten nicht überwinden önnen, 
welche der juriſtiſche Charakter der Canceleiformeln mit ſich brachte, 
aber unverkennbar it doch ein Aufſchwung der Latinität in denjenigen 
Documenten, die ſeit jenen Zeiten von der Curie ausgingen und die 
ihrer Natur nach an die alte Gerichtsform weniger gebunden waren. 
Mit Martin V, dem zu Coſtnitz erhobenen Colonna, waren feine 
Curialen inſofern zufrieden, als es unter ihm wieder reichliches Geld⸗ 
verdienen für ſie gab. Im Kirchenſtaat herrſchte endlich wieder Frieden 
und Gehorſam, in Rom Sicherheit, in der Kirche nach den Wirren 
des Schisma und den Stürmen des Concils Einheit und Obedienz. 
Nachdem ſie einige Zeit vergeblich ſich geſträubt, ließ die abendländiſche 
Chriſtenheit wieder ruhig ihre Säckel von den römiſchen Canceleien 


) Mehus Vita Leon. Bruni por ſeiner Ausgabe der Briefe P. I. p. XLIV. 
Ves pasiano: Lionardo d'Arezzo $1. Poggii Orat. in funere Leon. Arretini 
bei Meh us l. c. p. CXX. 

) v. Tiraboschi T. VI. p. 1333. 

) Fae ius de vir. illustr. p. 3: Seripsit item exemple quaedam et veluti 
formulas, quibus Romana Curia in scribendo uteretur, quae etiam ab eruditis- 
simis viris in usum recepta sunt. - 


v. Mertin V und der Humamismns. Die Seeretarie. 279 


krandſchatzen und für die Canceliſten war es „ein goldenes Zeitalter.“) 
Die Perſon des Papſtes war ihnen daher ziemlich gleichgültig. Man 
erzählte ſich! von feinem Geize die wunderlichſten Geſchichten, wie er 
jejner geiſtlichen Familie gewiſſe Lieferungen verkürzte, rohe Fiſche ſtatt 
breiteter gab, um das Oel zu ſparen, wie er in den Kirchen heimlich 
die Wachskerzen, die er für, unnütz hielt, ausblies, und Aehnliches.) 
Aber, wie Poggio bemerkt, fein Geiz hat ja niemand, das heißt dem 
Poggio nicht, geſchadet.) An Wiſſenſchaft und Kunſt ſcheint Mar⸗ 
tin, V wenig Geſchmack gefunden zu haben: feine Regierung war eine 
kurze Zeit der Reſtauration, in welcher das Papſtthum ſeine zerſtreuten 
Kräfte zu ſammeln ſuchte, um den Kriegesſtürmen Italiens und den 
Concilienunruhen der ultramontanen Völker die Spitze bieten zu kön⸗ 
nen. Unter den Cardinälen waren nur zwei, die für Gönner des Hu⸗ 
manismus gelten konnten, Branda und Ceſarini; jener aber war faſt 
immer in Legationen abweſend und dieſer war zu arm, als a ſich 
von ihm große Geſchenke erwarten ließen. | | 
Dennoch ſehen wir Schon unter dieſem Papſte, wie die beſcheidenen 
Aendter der Cancelei, Secretariat und Notariat, ſeitdem die bekannten 
Namen eines Poggio und Bruni fie ſchmückten, mit ſtolzeren Auſprüchen 
auftreten. Sie wollten über ihre ſubalterne Stellung hinaus. Vorerſt 
nahmen ſie gleich bei der Inthroniſation Martin's V, alſo noch zu 
Coſtnitz, und dann bei Meſſen und Proceſſionen, den Vorrang vor den 
Advocaten des Conſiſtoriums in Anſpruch, indem ſie der Perſon des 
Papſtes bei folchen Aufzügen näher ſchreiten wollten, und es ſcheint, 
daß ſie ihn erreichten. Poggio ergriff zur Ehre ſeines Standes die 
Feder und legte ſeine Streitſchrift den Cardinälen vor. Der Gedanke 
war ihm unerträglich, daß ein Mann wie er gegen die „Schreihälſe 
des Forums“, gegen die „Zöllner, die nur um des Gewinnes willen 
bellen, zurückſtehen ſollte.) Auch Bruni, obwohl er nicht mehr der 
Curie angehörte, vertheivigte doch, von Poggio aufgefordert, heftig die 
Ehre des Secretariats. Zählt doch dieſes Amt, ſchrieb er dem Papſte, 
was ich ohne Anmaßung geſagt zu haben wünſche, einige der durch 
Wiſſenſchaft und Beredtſamkeit ausgezeichnetſten Männer, deren ſich der 


y) Poggius de variet. fort. Lib. III. p. 85. 

2) Joh. Jo v. Pontanus de liberalitate 1. c. cap. 7. 
9 Poggius 1. c. p. 86. 

) Poggii epist. 3. inter Epistt. LVII. 


280 | V. Die Seeretarie, Engen IV., 


römiſche Stuhl rühmen dürfte. 1) Mit Poggie and Bxuni) erhoben 
auch Loschi, Biondo und Aurispa ihre Stimmen, Auf dem, Pagler 
Concil wollten die Protonotare ſogar den eee 
beriefen ſich dabei wiederum theils auf die Natur ihres, Amtes, wel 

ches ſie der Perſon des Papſtes nahe ſtelle, theils auf die Seltenheit 
des. Talentes, welches zu dieſem Amte berechtige.) „Sie drangen nicht 
durch, ließen ſich aber auch durch die -präjupicielfe. Entſcheidung des 
Concils nicht abſchrecken und erneuerten den Rangſtreit nuf dem Türken 
congreß zu Mantua. Hier entſchiep ſich Pius II, der ſelbſt einſt ihrem 
Stande angehört, im Ganzen zwar zu Gunſten der Biſchöfe, doch be⸗ 
hielten die vier ſogenannten numeraxiſchen Protouotare den Platz n 
der unmittelbaren Nähe des Papſtes, zu dem ſie ſich als Verfaſſer und 
Verleſer der apoſtoliſchen Bullen und Breven gedrängt hatten, doch 
ſollten auch ſie ihn nur im öffentlichen Conſiſtorjum, nicht m der 
Kirche und bei Feſtgängen einnehmen.) Seiner tieferen Natur nach 
war dieſer Streit, bei welchem es ſich ſcheinbar nur um die Etigneite 
handelte, ein Kampf der Humaniſten gegen bie: Dosteren. de Kanone. 
ſchen Rechts und gegen die klerikale Würde. ee 

Eugen IV, der Nachfolger Martin's auf dem Appſtelſuhle: ut 

aus einem venetianiſchen. Kloſter an die. Curie und bewahrte ſich hr 
manche Tugend des Mönches, zumal einen vorwurfsfrelen, mäßiges 
Lebenswandel. Er hatte in ſeinen jüngeren Jahren Pſalmen geſunten 
und Breviere geſchrieben und ungleich mehr für das Heil feiner Seele. 
als für feine Bildung geſorgt. Der humaniſtiſche Lufthauch war in. 
ſeine Zelle nicht gedrungen; ſelbſt von dem Verlangen nach min 
Nachruhm, welches damals ſo viele Herzen in Wallung brachte, blieb 

er völlig unberührt. Während ſeiner erſten Regierungsjahre hatte er 
Mühe, ſich auf dem apoſtoliſchen Stuhl zu erhalten; ſein Kampf mit 
den Colonneſen und die Kriege, in welche ſeine politiſche Unerfahren⸗ 
heit ihn geſtürzt und deren einer nun den andern erzeugte, vor Allem 
aber, die Erſchütterung ſeiner Schlüſſelgewalt durch die galliegniſche 
Doctrin und ihr Organ, das basler Concil, ließen ihn kaum auf⸗ 
athmen. Er wurde durch einen Volkstumult aus il verjagt, vom 


) Leon. Bruni . V, 5. 

) Aeneas Sylvius Comment. de eoncil. Basil. (in eure: ul « ca- 
lumniis vindicatus) ed. Fea p. 68. 2 

) Die Bulle v. 12. Juni 1459 im ı Bullar. e ed. Cherubini, Pii IL 
const. IV, auch bei Bzovius Annal. eccl, 1459 9. 24. af. Pii II. Comment. 5. 64. 


v. Engen IV. Humaniſtiſche Cardinäle. 281 


basler Esnctl entſetzt und durch einen Gegenpapſt geängſtigt. Oft 
king es ihm ſo dürftig, daß er feine Curie ohne die Unterſtützung der 
zunvesgenöſſiſchen Florentiner nicht hätte halten können. Während er 
nan die Wiedereroberung und Verwaltung des Kirchenſtaates in die 
Hände von Bandenführern und von kriegeriſchen Cardmnälen legen mußte, 
beſtand feine perſönliche Umgebung aus Mönchen. Die ſogenannte Re⸗ 
formation der Klöſter, der Obſervantismus, war die einzige Sache, 
für welche er einen lebhaften Eifer zeigte. Wie Ameifen, um einen 
Ausdruck Poggio's zu gebrauchen, umkrochen ſeinen Stuhl die Mino⸗ 
riten von der Obſervanz, ein betriebſames, ſcheinheiliges Geſchlecht. 
Von ſblchen Menſchen ließ er ſich ſtundenlang vorſchwatzen, in ihrem 
Kreiſe fühlte er ſich am friedlichſten und glücklichſten.“) 

Dennoch konnte ſich dieſer Papſt der humaniſtiſchen Zeitſtrömung, 
fü wenig fie ihn perſönlich erfaßte, nicht entziehen. Gerade feine diplo⸗ 
matiſchen und kirchlichen Kämpfe nöthigten ihn, gewandte Federn in 
Dienft zu nehmen, weil feine Widerſacher dieſe Waffe gegen ihn führ⸗ 
ten. Auch durch Empfehlung einflußreicher Cardinäle wurde mancher 
Humaniſt an die Curie gezogen. Denn ſchon finden wir im heiligen 
Cellegnum die Neigung zu den alterthümlichen Studien over doch die 
mücenatiſche Mode viel ſtärker im Gange als unter dem Vorgänger 
Euzen's. Plero Barbo, der Neffe des Papftes und Cardinal von 
Sam Marco, war wenigſtens inſofern ein Freund des Alterthums, als 
er antike Münzen und Gemmen mit großem Eifer fammelte, geſchah 
es gleich mehr aus Liebe zum Pretioſen.) Ein Freund geſchichtlicher 
und antiquariſcher Studien und Beſitzer einer Bibliothek war auch 
Prospero da Colonna; er wäre vielleicht ein berühmter Mäcen gewor⸗ 
den, hätten ihn nicht als Parteihaupt andre Intereſſen zu ſehr be⸗ 
ſchüftigt.) Giuliano de' Cefarini, der Abgott des basler Concils und 
dann nicht minder angeſehen am Hofe Eugen's, war zwar nicht Schrift⸗ 
ſteller von Beruf, doch zeugen ſeine Reden und Briefe, daß wir ihn 
geradezu den Humaniſten beizählen dürfen. Selbſt ein gelehrter Theo⸗ 
loge und! Rechtskenner wie Domenico da Capranica las auch den Se⸗ 
neca und zeigte wenigſtens den ernſteren unter den Literatoren ſich hold. 


2) Pöggius Dial. c. hypocrisim l. e. Vespasiano: Eugenio IV. Papa. 
9 Aeneas Sylvius Comment. in Anton. Panorm. II, 12. Card. Papiens · 

Comment. P. 371. Raphael Vokaterr. Lib. XXII. p. 817. b 
= Biondus Italia illustr. p. 325. ö 


282 V. Humaniſuſche Cardinale. * Das, Uniensconcil. 8 Trapani. 4. 7 


Mehr als ſte alle war Niccolo d' Albergati,⸗der treueſte Auhänger des 
Papſtes und ein Prälat von; wahrhaft heiligem Wandel, zugleich ein 
freundlicher Patron der Gelehrten und Schöngeiſter: nicht nur der 
nachmalige Papſt Nicolaus V, auch Eueg Silvio de' Piccolemint, der 
nachmalige Papft „Pius II, ferner Poggio, Filelfo und Manekti er; 
freuten ſich feiner Gunſt. Auch der Cardinal von Como, Ghexardo 
de Landriani, ſtand mit Bruni, Filelfo und Valla⸗ in brieflichen Ver⸗ 
bindung. Beſſarion, der griechiſche Cardinal, hatte zwar feinen ter 
rariſchen Hof noch nicht eröffnet, war aber bereits der Anwalt aller 
gelehrteren Griechen, die ſich irgendwie an die römiſche Eurie wendeten. 
Kurz, auch ohne Zuthun des Papſtes fand die humaniſtiſche Liebt 
haberei in den höheren Kreiſen der römiſchen Kirche bereits Eingang. 

Nicht wenig trugen dazu der Aufenthalt der Curie in Florenz und 
das Unionsconcil bei. Während der Berührung mit den florentiniſchen 
Gelehrtenkreiſen verpflanzte ſich ihr Geiſt auch auf die eurialen, und 
während der Verhandlungen mit den Griechen konnte man natürlich 
die Männer nicht entbehren, welche Griechiſch verſtanden gund ſprachen. 
So wurde Aurispa, weil man. feiner als Dolmetſch bedurfte, zum 
apoſtoliſchen Secretär ernannt und mehrfach zu Geſandtſchaften ver 
wendet. Selbſt Carlo Marſuppini wurde mit demſelben Titel: ge⸗ 
ſchmückt, obwohl er ſeinen Widerwillen gegen alles Kirchliche und ins 
beſondere gegen die Mönche nicht zu verhehlen pflegte und gerabehia 
für einen Heiden galt. Aber ſein gelehrter Ruhm ſtand gerade damals 
in poller Blüthe, Lorenzo de' Medici empfahl ihn dem Papſte; man 
ſah viele Ausländer, ſelbſt Cardinäle und die Nepoten des Papfteg 
vor ſeiner Katheder. Wenn Alles ihn ehrte, mußte auch der apoſtoliſche 
Stuhl dem Zuge folgen. Uebrigens gab ſich der ſtolze Marſuppini 
nicht dazu her, in der päpſtlichen. Cancelei zu arbeiten oder der Curie 
zu folgen, nur an: einem. — ließ er I. ee Secretür de 
fallen.) 

Der natürliche 8 1 55 dem florentiniſchen Gelehrten 
treiben und der Curie Eugen's war der Camaldulenſer, Anibr.o.gig 
Traverſari. Der Papft, wie wir oben ſahen, war ihm hold weil 
er auch die Obſervanten⸗ Reformation betrieb und weil er die basler 
Väter verabſcheute. Ambrogio dagegen wirkte den Griechen, die ſchon 
begannen, in größeren Schaaren nach Italien herüberzuwandern, Unter⸗ 


) Vespas ia no: Carlo d’Arezzo 82. 


* 


V. Humaniſten bei Eugen IV: Ermolao Barbaro, Decembrio, Tortello. 283 


ſtätzungen vom Papfte aus, weil ſonſt dieſe Umhertreiber dem Verhun⸗ 
gern preisgegeben waren.) Auch empfahl er junge Literatoren wie 
Libnardo Dati zur Aufnahme in den Dienſt der Curie. f) 

Während des basler Concils, als zwiſchen den Parteien außer 
den ernſten, ſchwerfälligen Streitſchriften auch die leichteren Libelle und 
Invectiven herüber und hinüber flogen, und dann während der Griechen⸗ 
ver handlungen, als die Union mit der Kirche von Byzanz zur Ehren⸗ 
ſache des römiſchen Primates geworden war, ſehen wir Eugen IV bes 
müht, gelehrte Männer und nicht nur Theologen und Juriſten an ſich 
zu ziehen. So ſuchte er den jungen Ermolao Barbaro zu gewin⸗ 
nen, den Neffen des obengenannten Venetianers Francesco Barbaro, 
einen Schüler Guarino's, der ſchon in ſeinem zwölften Jahre einige 
Fabeln des Aeſopos ins Lateiniſche überſetzt und ſpäter zu Padua auch 
ven juriſtiſchen Lorbeer erworben hatte. Daß er einer der erſten Fa⸗ 
milien Venedig's angehörte, empfahl ihn dem venetianiſchen Papfte noch 
mehr. Er wurde zum apoſtoliſchen Protonotar ernannt und mit Pfründen 
beſchenkt, frrebte aber nach einem höheren Ziele als nach dem eines Can⸗ 
teliſten. Das Bisthum Bergamo wurde ihm in Ausſicht geſtellt, dann 
aber einem andern gegeben. Gereizt verließ Ermolao die Curie, wurde 
aber ſchon 1443 von Eugen durch Ertheilung des Episcopats von 
Treviſo beruhigt und hat ſpäter als Biſchof von Verona einen gefeier⸗ 
ten Namen in der Literatur erworben, obwohl ſeine un nur A 
kleinſten Theile gedruckt worden find. °) 

Gern hätte Eugen ſeinem bitterſten politiſchen Gegner, vem Her. 
zoge Filippo Maria von Mailand, den Pier⸗Candido Decembrid 
abwendig gemacht und aus der mailändiſchen Cancelei, in welcher er 
Staatsſchriften ausarbeitete, in die apoſtoliſche hinübergelockt. Er hoffte 
wohl auf Erfolg, weil Decembrio in Mailand mit dem begünſtigteren 
Filelfo in Zwieſpalt lag, aber er hoffte vergebens; *) die römiſche Curie 
hatte noch wenig Anziehendes für die Literaten, weil ſie nur ein ar⸗ 
beitsvolles Amt im Bureau, nicht aber mäcenatiſche Gunſt in Ausſicht 
ſtellte. Dagegen wurde Giovanni Tortello der Aretmer ſchon unter 
Eugen e Ana. bes NUN ar und . N die . 


+ 3 


) Ambros. Travers. epist. I, 19. HI, 29 et al. 

) Ejusd. epist. II, 8. 

) Tiraboschi T. VI. p. 1074 nach P. degli Agostini Scritt. Venen. 2 
I. P. 229 e aeg. 8 

9 Tiraboschill e. ee, ET en en En 


984 V. Flavie Biondo. 


liche Gunſt des Papſtes, wie wir aus ſeiner Stellung als Subdiaconus 
der römiſchen Kirche und als Cubicularius des Papſtes wohl ſchließen 
dürfen. Er war ein tüchtiger Grammatiker und Kenner des Griechi⸗ 
ſchen; wir werden bald ſehen, wie viel beſſer Nicolaus V feine Talente 
zu nutzen verſtand.) 

Zwei Männer ſind es, die Papſt Eugen in der That näher ſtan⸗ 
den und deren Protection öfters zum Beweiſe ſeines literariſchen Inter⸗ 
eſſe herangezogen worden iſt, Flavio Biondo aus Forli und der Dichter 
Maffeo Vegio. Sehen wir indeß genauer zu, ſo war es bei beiden 
etwas Anderes, was dem Papſte ihre Perſönlichkeiten 1 machte, nicht 
ihre humaniſtiſchen Studien. 

Biondo war unter Martin V päpſtlicher Secretär Bear 
ein ernſter treuherziger Mann, ein ſtiller Gelehrter, der gründlichſte 
und gewiſſenhafteſte ſeiner Zeit, aber nur entfernt betheiligt bei den 
literariſchen Coterien, in welchen die Humaniſten einander zu berühmten 
Männern gemacht haben. Er war kein Stiliſt und konnte nicht prun⸗ 
ken. Er hat auch den Hofton der Schmeichelei niemals gelernt, weil 
er bei aller Gelehrſamkeit und Geſchäftstüchtigkeit eine einfältige Seele 
blieb. Dem Papſte und der Eurie war er mit Dienſteifer ergeben. 
Er hielt treu zu Eugen's Perſon, als dieſer aus Rom vertrieben und 
in der empfindlichſten Noth war, als mit ſeinem Glücksſtern, Cardinäle 
und Curialen jedes Ranges ihn ſchaarenweiſe verlaſſen hatten. Dem 
Biondo wurde während des mailändiſchen Krieges die Geſandtſchaft an 
die verbündete Republik von S. Marco anvertraut, wo er Geld für den 
pöpſtlichen Condottiere auswirken ſollte; er war es, der nach der Wie⸗ 
dereinnahme Roms den Bund mit Francesco Sforza abſchloß. ) Auch 
gegen die firchlichen Feinde vertheidigte er feinen Herrn mit dem war⸗ 
men Herzen, welches ſich ihm in den Zeiten gemeinſamer Noth zuge⸗ 
wendet. Wenige Schriftſteller haben Eugen IV ein Buch gewidmet 
und wenn es geſchah, war es eine Vertheidigung der apoſtoliſchen 
Autorität oder eine Streitſchrift gegen das Concil, kurz was auf augen⸗ 
blicklichen Lohn rechnen konnte. Biondo eignete ihm feine Roma 
'instaurata zu, eine Vergleichung des alten Rom mit dem neuen, und 
das war zu eben der dei als u m des N der Papſt 


— a 


) Blondus Italia en p. 309. Raphael Volaterr. Lib. XXL 


I. 


) Blondus Historiarum ab inclinatione m Dec. III. Lib. v (Opp. 
Basil., 1559. p. 479. 491). „ u 


. Maffeo Brgio. 285 


wieder in Rom eingezogen war und mit Vorliebe für den Ausbau der 
während der Revolution beſchädigten und verfallenen Kirchen und Klö⸗ 
ſter ſorgte, als mithin die Sonne des Glückes beiden wieder lächelte. 
Denn auch dem Secretär war es ärmlich gegangen, während der Papſt 
ſelber darbte. Zwar konnte er nun auch in den beſſeren Zeiten aus 
feiner Canceleiſtelle nicht herausrücken, weil Weib und Kinder ihn an 
den weltlichen Stand feſſelten, aber der treue Unglücksgenofſe blieb doch 
einer der angeſehenſten Männer an der Curie, fo lange Fa Eugen 
ne 

Maffeo Vegio, der zu Lodi e war und in Mailand ſtu⸗ 
it hatte, ſchrieb einen flüſſigen eleganten Stil und weil er mit gro⸗ 
ßer Leichtigkeit auch Verſe machte, hielt er fich für einen Dichter, der 
würdig ſei, Virgil's Aeneide fortzuſetzen.) Er wurde durch Eugen IV, 
wir ſehen nicht, auf welche Veranlaſſung, zur Stelle eines Abbreviators 
berufen. Seitdem verließ ſeine Muſe, wie ſein Freund Enea Silvio 
ſich ausdrückt,) den aganippiſchen Quell und wanderte in die Paläſte. 
Nur noch anbei betrieb er die freie Kunſt, er ſchrieb nun Heiligenleben 
wie das des h. Auguſtinns, deſſen Confeſſionen ihn entzückten und zu 
Thränen rührten '), und feiner Mutter Monica, des Niccolo da Tolentino 
und vor Allen des Bernardino von Siena, der als Herſteller und 
eigentlicher Begründer der Franciscaner⸗ Obſervanz bei Eugen IV in 
großer Guiift geſtanden hatte. Er ſchrieb ferner über die Alterthümer 
der Peterskirche, au der ihm ein Canonicat zu Theil geworden, und 
andre asketiſche oder moraliſche Bücher.“) Der ehemalige freie Dich⸗ 
ter widmete ſich der Kirche, warf endlich die Welt ganz von ſich und 
trat in den Orden der Auguftiner von der Obſervanz. In der Kirche 


) Sein 13. Buch derſelben hatte damals nicht geringen Nuhm, es findet ſich 
3. B. bei der von Sebaſt. Brant zu Straßburg 1502 beſorgten Ausgabe der Aeneide 
mit dem Commentar des Chriſtoforo Landino. 8 N 

2) Brief an Giov. Campiſio v. 25. Juni 1444, 5 

) Vergl. ſein Buch de educatione Lib. I. cap. 1, gedruckt als Anhang zu Vi- 
truvius Boscius de docendi studendlique modo. Basil., 1541. In einem 
Drucke Tubingae, 1513 wird das Buch fälſchlich dem Franc Sifelfo zugeſchrieben. 

) Vespasian’: Maffeo Vegio. Acta Sanctor. (Bolland.) Maji T. IV. Venet., 
1740. p. 720. Daß er, wie Raphael Volaterr. Lib. XXI berichtet, ſchon unter 
Martin V päpſtlicher Datarius geweſen, wird von Tiraboschi (T. VI. p. 1337). 
widerlegt. Daß er dieſe Stelle aber unter Eugen IV bekleidete, geht aus dem Briefe 
Campiſio's an Enea Silvio v. 7. Febr. 1444 hervor. — Ces. vign ati Elogio 
di Maffeo Vegio da Lodi. Lodi, 1855. kenne ich nur dem Titel nach. l 


7 


296 V. Georgios Trapezuntios an der Hochſchule zu Rom. 


des h. Auguſtinus und zwar in der Capelle der h. Monica, deren Neſte 
er aus Oſtia hatte herüberſchaffen und deren Grabmal er aus beſon⸗ 
derer Vorliebe prächtig hatte , laſſen, iſt er N auch bei⸗ 
geſetzt worden. ie 

Was Papſt Eugen dem Bionde wie ei Vegio . machte, | 
waren alſo bei jenem nicht die antiquariſchen Studien und bei dieſem 
nicht die Verſe. Wie ſehr der Papſt ohne Sinn dafür war, zeigt am 
deutlichſten die Vernachläſſigung der römiſchen Hochſchule. Nur ein ein⸗ 
ziges Beiſpiel findet ſich, daß er einen Gelehrten der modernen Rich⸗ 
tung an dieſelbe gerufen. Es war Georgios Trapezuntios der 
Kretenſer, der aber, um mit ſeiner Familie nicht Hunger zu leiden, 
ſeinen Ketzerglauben behend abſchwor, und um ſich die Wege der nahr⸗ 
haften Gunſt zu öffnen, während des Uniousconcils das Werk des h. 
Baſilios über die Gottheit des Sohnes und das Ausgehen des heiligen 
Geiſtes überſetzte, auch einen eigenen Tractat gegen die Glaubensirrthüä⸗ 
mer ſeines Volkes ſchrieb, wie vor ihm Chryſoloras, mit ihm zugleich 
Beſſarion und nach ihm Argyropulos. Er war der Erſte, der in Rom 
öffentlich die moderne Rhetorik, das heißt die Eloquenz lehrte, in der 
Philoſophie aber ſich beſonders durch ſeine galligen Ausfälle getzen 
Platon einen Namen machte. Männer aus den vornehmſten Ständen 
und auch Franzoſen, Spanier und Deutſche verſammelten ſich in ſeinem 
Gymnaſium, deſſen Eröffnung in der That für die römiſche Univerſität 
Epoche gemacht hat. Indeß dem Papſte ſelbſt gebührt dafür nicht der 
Dank; es war der Venetianer Francesco Barbaro, der ſich für die 
Anſtellung des Ariſtotelikers verwendete und zu dieſem Zwecke — be⸗ 
zeichnend genug — hinter den allmächtigen Scarampo, den Cardinal⸗ 
Patriarchen von Aquileja ſteckte, einen Mann, der ſonſt nur die Be⸗ 
redtſamkeit des Goldes und der Waffen zu ſchätzen wußte.) 

Für die Humaniſten war es ein ziemlich gleichgültiges Exeigniß, 
als man erfuhr, Papſt Eugen IV habe am 23. Februar 1447, von 
ſeinen Obſervanten⸗Brüdern auf dem letzten Wege getröſtet, das Zeit⸗ 
liche geſegnet. Aber wie ein elektriſcher Schlag traf jene Kreiſe die 
Botſchaft, am 6. März ſei aus dem Conclave zu S. Maria ſopra 
Minerva der Cardinal von Bologna als Papſt ausgerufen. Den Mei⸗ 
ſten war er bekannt, Viele hatten ihn ſchon Freund genannt, als er 
noch ein armer Magiſter war, Alle hatten jetzt das ſichere Vorgefühl, 


) Blon dus Italia illustr. p. 847. Pirabosch i T. VL p. 528. 


V. Nicolaas v. | 287 


mit einem Herrſcher, der ihnen einſt angehört, müſſe die Literatur in 
ein goldenes Zeitalter treten. N 

Wir haben des jungen Tommaſo Parentucelli, der jetzt als Ni⸗ 
colaus V auf dem apoſtoliſchen Stuhle ſaß, ſchon unter den floren⸗ 
tiniſchen Bücherfreunden gedacht, müſſen uns aber hier den Lauf ſeines 
bisherigen Lebens und ſeiner Bildung noch einmal vorführen. Seine 
Aeltern waren arm und unbedeutend geweſen. Er wurde, wie ver⸗ 
ſichert wird, eigentlich zu Piſa geboren; da aber die Familie längere 
Zeit in dem liguriſchen Sarſana, dem Geburtsorte ſeiner Mutter, ge⸗ 
lebt hatte, pflegte man ihn, ohne auf ſeine wahre Geburtsſtadt und 
feinen Vatersnamen ſonderlich zu achten, ſchlechthin Tommaſo von 
Sarſana zu nennen. Auf der Hochſchule zu Bologna, wo er, noch fehr 
jung, die Theologie ſtudirte, konnte er ſich nicht erhalten. Um weitere 
Mittel zu erwerben, ging er nach Florenz und unterrichtete hier zwei Jahre 
lang, das eine im Hauſe Rinaldo's degli Albizzi, das andre bei Palla 
de Strozzi, die Kinder. Der Aufenthalt in dieſen Adelshäuſern iſt 
auf ſein ganzes Leben und Denken von unberechenbarem Einfluß ge⸗ 
weſen. Er ging nach Bologna zurück und erwarb den Magiſtergrad 
in der Theologie, dann trat er in den Dienſt Niccolo d' Albergati's, 
des Biſchofs der Stadt, der bald darauf durch Papſt Martin zum 
Cardinal von S. Croce ernannt wurde. Das tft das zweite Haupt⸗ 
moment in ſeinem Lebensgange. Zwanzig Jahre lang, bis zum Tode 
dieſes Prälaten war er ſein ſteter Begleiter, ſein zuverläſſigſter Diener, 
der Gubernator ſeines Hauſes und ſeiner geiſtlichen Familie. Man 
darf Albergati, den die Kirche ſelig geſprochen hat, in der That ein 
Mufter der geiſtlichen und moͤnchiſchen Tugenden nennen, auf welches 
feine Carthäuſer⸗Brüder ſtolz fein mochten. Derſelbe Mann aber, der 
ein härenes Hemde trug und auf Reisholz ſchlief, war zugleich, was 
pſychologiſch nicht leicht zu erklären ſein möchte, ein Gönner der Schön⸗ 
geiſter und ſtand mit manchem der modernen Heiden, ſelbſt mit Poggio 
und Filelfo, in ſteter Verbindung. Parentucelli fand ſich zwiſchen die 
ſen Extremen gleichſam in der Mitte. Es kann für den frommen 
Wandel des Cardinals kein ſchöneres Zeugniß aufgeſtellt werden, als 
daß ein jo ehrenfeſter und aller Heuchelei ſo fremder Mann wie Pa⸗ 
rentucelli ſein langjähriges und unerſchüttertes Vertrauen genoß. Für 
dieſen dagegen ſpricht beredter als jeder Panegyrikus, wie er ſich ſo be⸗ 
ſcheiden dem Dienſte des Cardinals ganz widmete, den alternden und 
von Steinſchmerzen gepeinigten bis an ſeinen Tod gleich einem Sohne 


288 v. Nicolaus v. 


pflegte und in frommer Dankbarkeit, als ihn die Wahl auf den Thron 
der Kirche berief, ſeinen Namen gegen den des 1 Wohlthä⸗ 
ters vertauſchte. 

Wenn der Cardinal, deſſen eigene Bildung ganz eine mönchiſche 
war, ſich dennoch den Humaniſten hold zeigte, ſo war Parentucelli die 


Pforte zu ſeiner Gunſt und die Hand, durch welche Albergati ſeine 


Liberalität bezeugte. Dadurch zuerſt wurde er den Literaten eine be⸗ 
achtenswerthe Perſon. Schon im Jahre 1427 nannte Filelfo, der in 
ſolchen Dingen einen wunderbaren Inſtinct hatte, den jungen Tom⸗ 
maſo von Sarſano ſeinen Freund, er wußte recht wohl, daß der Car⸗ 
dinal es gern hörte, wenn ſein Secretär und Hausmeijter gelobt 
wurde.) 

Albergati lebte mit ſeiner Familie gleichfalls in Florenz, als Papſt 
Eugen aus dem rebelliſchen Rom hieher geflüchtet war (1434). So 
traf Parentucelli wiederum mit den florentiniſchen Gelehrten und Gön⸗ 
nern zuſammen und das hohe Anſehen ſeines Herrn verſchaffte ihm 
leicht Eingang in ihre Kreiſe. In der Nähe des Palaſtes bei S. Maria 
Novella, wo der Papſt wohnte, pflegten ſich des Morgens und dann 
wieder des Abends die Schöngeiſter der Curie, vor allen Poggio, und 
die von Florenz zu freundſchaftlichen und literariſchen Beſprechungen 
zu verſammeln. Da waren Bruni und Marſuppini, Traverſari, Ma⸗ 
netti, Aurispa und andre. In ihrer Geſellſchaft war Parentucelli 
wohlgelitten und nicht der letzte, wenn eifrig disputirt wurde.) Neun 
Jahre lang, kürzere Reſidenzen in Bologna und Ferrara mitgerechnet, 
war die Curie in Florenz, ihre Beamten wurden hier ganz heimiſch. 
Das war die Zeit, in welcher auch unſer Tommaſo mit den genannten 
Gelehrten, ferner mit den Medici und mit Niccoli innig vertraut und 
zum Theil befreundet wurde. Damals ſog er alle die Neigungen ein, 
welche die florentiniſche Gruppe belebten. Auch an der Curie wurde 
man auf ihn aufmerkſam. Er war bei dem Unionsconcil thätig und 
übte ſeine dialektiſche Theologie gegen die griechiſchen Ketzereien. Bis 
dahin hatte er kein einziges Beneficium gehabt, nun ernannte ihn Papſt 
Eugen zum apoſtoliſchen Subdiaconus mit 300 Ducaten jährlicher Ein⸗ 


) Filelfo's Briefe an Tommaſo v. 19. und 31. Decemb. 1427, v. 1. Octob. 
1432 und v. 20. März 1433. Im zweiten dieſer Briefe ſagt er zu Tommaſo: qui 
speculum es imagoque et probitatis et gravitatis, im letzteren nennt er ihn vor 
dem Cardinal einen vir perhumanus et eruditus. 

) Vespasiano: Nicola V Papa 35. 


v. Nicolaus v. 289 


künfte, außerdem erhielt er einen Archidiaconat, mit welchem keine 
Seelſorge verbunden war.!) Als fein Herr der quälenden Krankheit 
erlegen war (9. Mai 1443), mochte Parentucelli in keines andern Dienſt 
treten. In Folge der Legationen nach Deutſchland, die ihm der Papſt 
übertrug und deren Erfolg die Sprengung des gefährlichen Kurfürſten⸗ 
bundes war, ernannte ihn Eugen zum Biſchof von Bologna und bald 
darauf zum Cardinal. Immer noch gehörte er zu den Armen; denn 
aus Bologna, welches damals der Kirche nicht gehorſamte, bezog er 
keinen Heller. Um dem entſchiedenſten Mangel abzuhelfen, mußte ihn 
der Papſt zu ſeinem Vice⸗Kämmerer wählen.“) 

Gerade in dieſer Dürftigkeit, die ihn bis auf den apoſtoliſchen 
Stuhl geleitete, haben wir den Grund dafür zu ſuchen, daß er auf 
demſelben ein ſo überaus leutſeliger und freigebiger Mäcen wurde. In 
Florenz war ihm nichts ſo erhaben erſchienen als der Glanz, in den 
Wiſſenſchaft und Kunſt ſich hier kleideten, nichts erſchien ihm ſo klein 
und unwürdig, als wenn Literatoren und Künſtler darben ſollten. Für 
Bauten und Bücher, pflegte er ſchon damals zu ſagen, möchte er all 
ſein Geld ausgeben. Einen Mäcen, der ehrenvoll und freundlich zu 
unterſtützen wußte, fand er in Coſimo de' Medici, und nach dieſem 
Ideal gingen nun ſeine liebſten Gedanken und Träume. 

»Nur im Temperament waren die „Beiden völlig verſchieden. Co⸗ 
ſimo hatte die Geduld, ruhig den Schößling zu pflanzen, deſſen Blü⸗ 
then und Früchte er vielleicht nicht mehr erlebte. Das war die Sache 
unſers Papſtes nicht. Er wollte Alles ſchnell gedeihen und reifen ſehen. 
Das kleine, ſchmächtige Männchen mit der ſcharfen Naſe und den blitzen⸗ 
den kleinen Augen wurde ganz Leben und Leidenſchaft, wenn eines ſei⸗ 
ner Lieblingsthemata zur Sprache kam, wenn einer ſeiner Diener ihn 
nicht auf den erſten Wink verſtand oder wenn er im Disputiren auf 
Widerſpruch ſtieß. Denn Recht mußte er immer haben und eigenſinnig 
war er auch. Darum mochte er in feiner Dienerſchaft lieber Fran⸗ 
zoſen oder Deutſche als Italiener; jene hielt er für gefügiger. Wer 
nicht ruhig ſein konnte, wenn er aufbrauſte, paßte nicht für ihn. Die 
Römer wollten dieſe Wallungen mit der Wirkung des Weines zuſam⸗ 


) ibid. 5 6. 10. Der Archidiaconat war nach dem Drucke der Biographie bei 
Murat ori Seriptt. T. XXV. p. 275 in en mens ‚Rom. Iieſt, ee 
fälſchlich: in Francia. 8 „ 

) Vespasiano I. c. 8 11. 12. | 


Voigt, Humanismus. 19 


290 V. Nicolaus V. 


menbringen, den er allerdings ſeit ſeinem Pontificat wohl über das 
Maß hinaus liebte. Er war nicht er ſelbſt, wenn nicht Lebensluſt 
und Rührigkeit ihm in allen Adern zuckte. Ein haſtiges und eifriges 
Schwatzen war das deutliche Zeichen, daß er ſich frei und wohl fühlte, 
aber er ſprach fo gutmüthig und auch als Cardinal und Papſt fo her⸗ 
ablaſſend, daß niemand ihm gram ſein konnte. Noch als Biſchof war 
er ſo ſehr ein Feind alles beengenden Ceremoniells, daß wer zu ihm 
kam, weß Ranges er auch ſein mochte, ſich ſogleich neben ihn ſetzen 
mußte; er machte ſeinen Gaſt gleichſam feſt, um recht plandern zu 
können, und um ihn ſo lange als möglich zu genießen, begleitete er ihn 
beim Abſchiede wohl gar bis zur Hausthüre. Verſtellung und Heuchelei 
waren fremde Stoffe in feiner Seele“), er gab ſich immer von Herzen 
und ſah auch Andern, wenn fie nur offen waren, manches Bedenkliche 
nach; dagegen hatte er gegen Jeden, der ihm verſteckt und lauernd 
vorkam, auch ein ebenſo unüberwindliches Mißtrauen, ſolche Menſchen 
brachten ihn aus ſeiner Laune. Man hatte immer ſchon an ihm die 
Neigung bemerkt, ſchnell und mit Herzlichkeit zu geben, wenn er um 
etwas angegangen wurde. Er konnte in ſolchem Falle nicht überlegen 
und abwägen: die Freude des Beſchenkten war auch die ſeine. Er 
ſtand ſchon im Rufe der Freigebigkeit, bevor er noch hatte, womit er 
dieſen Ruf bewähren konnte. 

Um uns von den geiſtigen Anlagen und von der wiſſenſchaftlichen 
Bildung Parentucelli's eine Vorſtellung zu bilden, müſſen wir zunächſt 
von allen den Lobpreiſungen abſehen, die über ihn als Papſt ausge⸗ 
ſchüttet ſind. Darnach nämlich kannte ſein Genie und ſeine Gelehr⸗ 
ſamkeit keine Grenzen. Er galt in ſeinen jüngeren Jahren für einen 
wohlgeſchulten Theologen. Schnell und haſtig wie ſein Temperament 
war auch ſeine Auffaſſungsgabe: Bücher durchjagte er wie im Sturme 
und behielt Vieles, was ihm zumal beim Disputiren und beim Schwatzen 
ſehr zu Statten kam; denn er war eine jener lebhaften Naturen, denen 
das, was ſie lernend aufnehmen, nicht mit dem Eigenen ſich verbindet, 
die es nach ſchnellem Umlauf in irgend einer Weiſe wieder zu Tage 
fördern müſſen. Wenn er ſprach, wie auf dem florentiner Concil oder 
auf ſeinen Legationen, mochte man ſich über die Fülle ſeiner Kenntniſſe 


) Vespasiano $8 hebt das beſondert hervor: Era uno uomo aperto, largo, 
sanza sapere fingere o simulare, e nemico di tutti quegli che simulavano o fin- 
gevano. ö 


V. Nicolaus V. 291 


wundern; was er wußte, hatte er auch ſtets gegenwärtig, aber was er 
vorbrachte, war auch nur für das Bedürfniß des Augenblicks genügend. 
Daher kommt es, daß er ſeine theologiſchen Expoſitionen und Reden 
des Aufſchreibens ſelber nicht werth hielt, in ſchriftlichen Tractaten 
hätten ihn hundert Andre übertroffen. Er war überhaupt durchaus 
nur ein receptiver Kopf, der leicht an einer literariſchen Leiſtung große 
Freude hatte, ſelbſt aber nicht das Geringſte hervorbringen konnte. Ein 
einziger Brief von ihm liegt uns vor und merkwürdig iſt, daß uns 
gerade dieſer Brief darüber aufklärt, warum er der einzige oder doch 
einer unter wenigen iſt. Er iſt an Niccoli gerichtet.) Tommaſo entſchul⸗ 
digt ſich darin, daß er oft die Höflichkeit verletze und auf Briefe, die 
er empfangen, nicht antworte. Scherzend bekennt er ſich zu der Schaar 
derer, die gern für gebildet gehalten werden möchten, aber im Bewußt⸗ 
ſein ihrer Unfähigkeit ſich ihren guten Ruf lieber durch Schweigen be⸗ 
wahren, als durch keckes Hervortreten verderben. Man ſieht, daß er 
ſeiner Feder mißtraute, und wie weit er in der That von der Leichtig— 
keit des Ausdruckes und der gefälligen Eloquenz entfernt war, die ſonſt 
im florentiniſchen Kreiſe herrſchte, dafür genügt dieſer eine Brief als 
Beweis. Darin war er Niccoli ähnlich: welche Anforderungen man 
an eine humaniſtiſche Leiſtung zu ſtellen habe, wußte auch er zu gut, 
um ſich über fein eigenes Talent zu täuſchen. Nur ſuchte Niccoli vie- 
ſen Mangel ſorgfältig zu verhüllen, während Parentucelli auch hier 
ehrlich hervortrat. | 

Es ift nicht zu leugnen: das Beſte war bei Parentucelli, wie auch 
bei ſeinen Freunden Traverſari und Niccoli, der Geiſt des Sammelns, 
des Ordnens und Redigirens. Schon als junger Mann gab er ſein 
weniges Geld am liebſten für Bücher aus. Um Bücher zu kaufen, 
andre abſchreiben und mit Miniaturen auszieren zu laſſen, borgte er 
oft mehr, als er bezahlen konnte. So ſah man in der Bibliothek des 
armen Magiſters unter Andrem die Werke des Auguſtinus in zwölf 
ſchönen Bänden.) Von jeder Legation, die er mit feinem Cardinal 
unternahm, zumal aus Frankreich brachte er ſtets einige Werke heim, 
die man in der italieniſchen Gelehrtenrepublik noch nicht gekannt hatte, 
jo die Predigten Leo's. des Großen, die Poſtille des Thomas von Aquino 
über das Matthäus: Evangelium, einzelne Werke von Irenäus und 


) Er findet ſich unter den Briefen des Ambros. Travers. XXV, 3. 
) Ambros. Travers. epist. XIII, 18. Ves pasi ano 8 7. 


19* 


292 V. Der Pontiftcat Nicolaus’ V. 


Theophilus. Auch jener Brief zeigt ihn uns, wie er in den Kloſter⸗ 
bibliotheken nach den Werken der kirchlichen Väter ſtöbert und in allerlei 
Verbindungen tritt, um Abſchriften nehmen und Collationen veranſtalten 
zu können. Er ſchrieb ſelbſt eine ſchöne Hand und verſah die Codices, 
die ihm zugehörten, mit Randgloſſen und Capitelüberſchriften. Da ſieht 
man, daß es Männer wie Niccoli und Traverſari waren, deren Bei⸗ 
ſpiel ihn am meiſten angeregt, und was ſie für Florenz geweſen, war 
er in erhöhtem Grade für den apoſtoliſchen Thron. 

Nicolaus V trat zu einer Zeit in den Pontificat, die für feine 
Neigungen und Beſtrebungen nicht günſtiger hätte ſein können. Die 
basler Stürme hatten ausgetobt und der römiſche Stuhl ſtand wieder 
feſt. Der ſavoyiſche Gegenpapſt, des Sorgens und Treibens müde, 
von den Weltmächten getäuſcht und verlaſſen, legte ſeine Tiare dem 
römiſchen Oberhaupte zu Füßen, das Concil löſte ſich ſelber auf, die 
Reformſchreier waren ermattet. Wenn hin und wieder noch die fran⸗ 
zöſiſche Krone es aus politiſchen Gründen gerathen fand, die römiſchen 
Curialen mit dem Geſpenſt eines neuen Concils zu ängſtigen, wenn in 
Deutſchland die Prälaten und Kurfürſten ein wenig conſpirirten, ſo 
genügte zur Abwehr dieſer Drohungen die traditionelle Politik der 
Curie. Dort waren die Angriffe nicht ernſtlich gemeint, hier lähmte 
das Concordat und die Partei des päpſtlich geſinnten Kaiſers jede ver⸗ 
einigte Anſtrengung. Auf den halbhundertjährigen Kampf, auf all das 
Rufen und Drängen nach Reform der Kirche in Haupt und Gliedern 
folgte die Ermattung, die Reaction. Sie war ſo entſchieden und un⸗ 
widerſtehlich, daß ſie ſelbſt den Papſt, der den Thron mit wohlgemein⸗ 
ten Reformgedanken beſtieg, mit ſich fortriß.) 

Wenn die Anſtrengungen der Ideologen geſcheitert ſind, erſcheint 
als natürliches Widerſpiel, welches alle großen Weltbewegungen auf⸗ 
weiſen, ein haſtiges und frivoles Streben nach Beſitz und Genuß. So 
eifrig, wie man über die Mißbräuche der Curie geſchrieen, eilte man 
jetzt wieder zu ihr, um nach alter Weiſe eben auf den mißbräuchlichen 
Wegen nach Episcopaten und Dignitäten, Pfründen und Pfarren, Pri⸗ 
vilegien und Indulgenzen zu ſchnappen. Für die Cardinal⸗Protectoren, 


) Um manche Anſchauung und manches Urtheil, die auf den erſten Blick als 
vorſchnell hingeworfen erſcheinen möchten, eines Näheren zu begründen, beruft ſich 
der Verfaſſer auf feine Biographie des Enea Silvio de' Piccolomini. Ueber Papſt 
Nicolaus insbeſondre vergl. Bd. J. S. 83. 84. 402—408. 


V. Der Bontificat Nicolaus’ V. 293 


die Sachwalter, für das Heer der Cancelei⸗ und Kammerbeamten, für 
den päpſtlichen Schatz ſelbſt kam nach langer Ebbe wieder eine Zeit 
der Fluth. Statt den Sieg des Antichriſt und den Untergang der 
Kirche zu weiſſagen, ergab man ſich darin, ihr Schickſal einem Höheren 
zu überlaſſen und ſie zu nehmen, wie ſie eben war. 

Die Kriege Italiens währten freilich fort. Der Papſt aber hielt 
ſich ihnen fremde, er ſah mit Behagen zu, wie die Mächte durch ihre 
eigenen Söldnerheere erſchöpft wurden und ſich aufrieben, ohne zu irgend 
einem Zwecke zu gelangen. Ja er ſchürte und nährte den Zwiſt heim⸗ 
lich unter der Maske eines Schiedsrichters, nur um ſeinem Kirchen⸗ 
ſtaate die Segnungen des Friedens zu bewahren. So ehrlich und offen 
er als Privatmann war, trieb er dieſes politiſche Spiel doch mit einer 
Feinheit, die Jahre hindurch ſelbſt den klügſten Politikern, Coſimo de 
Medici und Francesco Sforza ſo wie den Rathsherren von S. Marco 
entging. Die Umſtände kamen ihm eutgegen und er ſelbſt beutete die 
Umſtände klüglich aus, um ſeinem Pontificat eine friedliche Muße zu 
ſchaffen, wie ſie ſeinen Lieblingsneigungen entſprach. Das war die 
Muße, in deren Genuß ihn ſelbſt der Sturz von Konſtantinopel nicht 
ſtörte. 

Das Jubeljahr der Stadt Rom von 1450, welches Papſt Nico⸗ 
laus mit ſorgfältiger Vorbereitung feierte, war wie ein Triumph des 
Papſtthums. War es auch nicht gerade immer der fromme Glaube, 
was fo viele Tauſende von nah und fern zu den Schwellen der Apo⸗ 
ſtel trieb, ſo erſchien Rom doch wieder als der Mittelpunct der Welt 
und man verehrte die Majeſtät ſeines geiſtlichen Beherrſchers. Frei⸗ 
willig und ohne Murren kam die Geldſpende aus allen Ländern und 
füllte die apoſtoliſche Kammer, die ſich noch nie in ſo blühendem Zu⸗ 
ſtande befunden. In der überraſchenden Höhe der Einnahmen ſtimmen 
alle Berichte überein, allein bei der mediceiſchen Bank wurde damals 
eine Summe von 100,000 Goldgulden deponirt.) f 

Der Papſt, mit dem Vorbilde des Medici in ſeinem Herzen, ſah 
ſich nun auch im Beſitze von Reichthümern wie ein Medici. Aber was 
in den Schooß der Kirche gefloſſen, ging durch ſeine Hand für künſtleriſche 
und wiſſenſchaftliche Unternehmungen wieder heraus. Luxus und Prunk 
ſtellten ſich an der Curie nach dem pfychologiſchen Geſetz ein, welchem 
gemäß man nach überſtandenen Gefahren des Lebens doppelt genießt. 


) Ves pas ia no l. o. 5 19. 


294 V. Nicolaus V. Seine Ruhmliebe. 


Aber ſie waren auch die perſönliche Neigung gerade dieſes Papſtes. 
Lange hatte er ärmlich und beſcheiden gelebt; in kürzeſter Friſt, inner⸗ 
halb zweier Jahre, wurde er Biſchof, Cardinal und Papſt. Es riß 
ſeinen lebhaften Geiſt fort, daß er ſich ſo plötzlich die Mittel zu einem 
großartigen Daſein zu Füßen gelegt ſah. Das ernſte Heiligenbild Al⸗ 
bergati's erblich in ihm, er wollte nun der Coſimo Rom's werden und 
Rom zu einem zweiten, erhabeneren Florenz emporheben. Was er der 
Kirche ſchuldig ſei und wie weit ein Papſt ſich feinen perſönlichen Nei⸗ 
gungen hingeben dürfe, unterſchied er in ſeinem raſchen Weſen nicht ſo 
genau, ja überlegte er wohl niemals. Er fühlte nur, daß ſein Ideal 
kein unedles ſei und gab ſich ihm mit vollem Genuſſe hin. 

Wenn jedermann diejenigen Fürſten doppelt pries, die Auguſtus 
und Mäcenas in einer Perſon waren, die für ihre achilleiſchen Thaten 
auch den Homeros zu finden wußten, der fie dem unſterblichen Nach⸗ 
ruhm überlieferte, warum ſollte nicht auch er, in deſſen Hand die 
Schlüſſel des Himmelreiches gelegt waren, neben die Unſterblichkeit im 
Jenſeits die dieſſeitige Ewigkeit im Tempel des Ruhmes ſtellen? Hier 
liegt der mächtigſte Hebel, der ein Zeitalter in ſein Grab geſtürzt und 
ein andres emporgerichtet hat: über die Sorge für das ewige Heil der 
Seele trug es der Cultus des unſterblichen Namens davon, den Pe⸗ 
trarca in die neue Welt gepflanzt. Dieſe Idee, die lockendſte und 
ſchönſte des claſſiſchen Heidenthums, welche die Tugendhelden des Alter⸗ 
thums durchglüht, ſie trat mit dem Alterthum wieder in die Gemüther 
ein und drängte die chriſtlichen Anſchauungen faſt unvermerkt und ohne 
mit ihnen in Kampf zu treten, in den Hintergrund. Daß ſie ſich auf 
den apoſtoliſchen Stuhl geſchwungen und auch dem Papſtthum für längere 
Zeit ihr Gepräge gegeben, iſt das glänzendſte Zeichen ihres Sieges. 

Im Verlangen des Nachruhmes alſo haben wir das treibende Rad 
gefunden, deſſen Thätigkeit uns jede Bewegung dieſes Papſtes erklärt, 
den Glanz ſeines Hofes, ſeine Bauten, ſeinen Mäcenat über Gelehrte 
und Künſtler, ſeine Bibliothek. Nicht im mindeſten auffallend fand 
man damals ſein Streben: er wollte ſich, geſteht einer ſeiner lobprei⸗ 
ſenden Biographen, langdauernde, ja ewige Denkmale ſetzen, weil er 
„nach ſeinem Ruhme ſehr begierig war.“) 

Gleich den weltlichen Höfen jener Zeit richtete Papſt Nicolaus 
auch den römiſchen mit Pracht und Luxus ein. Wer noch die mön⸗ 


* 


) Manetti Vita Nicolai V p. 925, 


V. Nicolaus V. Luxus der Curie. Bauten. 295 


chiſche Curie unter Eugen geſehen, merkte den Abſtand: damals, fagt 
der Florentiner Vespaſiano, gab es noch nicht den Pomp am Hofe von 
Rom, wie er jetzt iſt.) Die Prälaten und ihre Diener erſchienen 
vor dem Papſte fortan nur in ſeidenen und goldgeſtickten Gewändern, 
die Zimmer und die Tafel wurden mit prachtvollen Tapeten, mit gol⸗ 
denem Geräthe und kunſtvollem Schmucke jeder Art geziert. Er ſelbſt 
ließ ſeine Mitra von herrlichen Edelſteinen ſtrahlen und trat ungleich 
glänzender auf als ſeine Vorgänger. Die großen kirchlichen Feierlich⸗ 
keiten nahmen immer mehr den Charakter pomphafter Hoffeſte an. 
Die Kirchen und Altare Roms ſollten nicht mehr allein durch ehrwür⸗ 
dige Gräber und Reliquien die Gemüther, ſondern auch durch goldge⸗ 
wirkte Tapeten und Decken, durch ein ſchönes und koſtbares Meßgeräthe 
die Sinne feſſeln, damit die apoſtoliſche Majeſtät auch im Glanze der 
irdiſchen ſtrahle und die Kirche als triumphirende Macht erfcheine. *) 

Die römiſchen Kaiſer hatten den Stolz ihrer Weltherrſchaft durch 
Prachtbauten der Nachwelt verkündet, die noch ſtaunend vor den Trüm⸗ 
mern ſtand. So bauten denn, als die Zeit der Imperatoren in der 
Erinnerung wiederauflebte, in Mailand die Visconti und die Sforza, 
in Ferrara die Eſte, in Mantua die Gonzaga und großartiger als Alle 
in Florenz die Medici. Sie bauten in Wahrheit zur Ehre ihres Na⸗ 
mens, ſelbſt Kirchen und Klöſter, nicht mehr zur Ehre Gottes, der 
Jungfrau und der Heiligen. Die architektoniſche Ausſtattung des neuen 
Rom führt auf Nicolaus W zurück, feine Nachfolger beharrten faſt ein 
Jahrhundert hindurch auf der Bahn, die er vorgezeichnet und die zu 
jenem Blüthenzeitalter der plaſtiſchen Künſte unter Julius u und 
Leo X hinführte. 

Es wären rieſige Pläne, die Nicolaus entwarf und mit denen er 
die Medici ins Dunkel ſtellen wollte. Den ganzen Umkreis des Borgo 
gedachte er als päpſtlichen Stadttheil, als einen vicus curialis zu um⸗ 
ſchließen, der mit einer gewaltigen Mauer alle Räume von der Pforte 
der Engelsburg bis zu den Außenmauern von S. Peter umfaſſen ſollte, 
ſo daß der päpſtliche Palaſt, doppelt geſichert, wie eine Burg in einer 
Feſtung erſchienen wäre. Die ganze Curie mit allen Dienern, Hand⸗ 
werkern und Kaufleuten, die irgend zu ihr gehörten, ſollte hier bequem 


) Nicola V Papa $ 5. Vespaſiano ſchrieb die Worte unter Paulus II, der 
hierin der entſchiedenſte Nachfolger Nicolaus’ V war. 

) 8. Antoninus Chronieon P. III. tit. XXII. cap. 12 in princ. Aeneas 
Sylvius Europa ep. 68. Menetti l. o. p. 928. 


296 | V. Nicolaus V. Seine Bauten. 


und ſicher wohnen können. Die Fundamente wurden gelegt und die 
Stellen bezeichnet, an welchen ſich ſchützende Thürme erheben ſollten. 
Wenn die grenzenloſen Koften dieſes Rieſenbaues mit Unwillen beſpro⸗ 
chen und die übermäßige Prachtliebe des Papſtes angeſchuldigt wurde, 
hatte dieſer mancherlei Gründe vorzubringen, wenn er ſie auch nicht, 
wie Manetti ihn thun läßt), den Cardinälen auf ſeinem Sterbelager 
auseinandergeſetzt hat. S. Peter's Dom, mochte er ſagen, und der 
Palaſt des Papſtes müßten gegen äußere Feinde, vielleicht gar gegen 
die Türken, und gegen die rebelliſchen Römer geſichert werden; es werde 
das häusliche Leben der Curialen beſſern, wenn ihre Schlafzimmer ſo 
eingerichtet würden, daß »weder vernünftige noch unvernünftige Thiere 
außer den geflügelten“ hineinkönnten; den Völkern müſſe die Größe und 
geiſtliche Würde Rom's auf den erſten Blick anſchaulich gemacht werden, 
und dergleichen. N 

Im erſten Puncte liegt ein wahres Motiv: der Papſt, an ſich 
ängſtlich, wurde es doppelt ſeit der Verſchwörung des Stefano Porcari, 
der die „Herrſchaft der Glatzköpfe“ ſtürzen und in Rom die alte Re⸗ 
publik herſtellen wollte. Er der am liebſten mit ſtillen Büchern und 
mit den Männern der Feder verkehrte, bebte vor den Schrecken eines 
Volkstumultes und konnte das Schickſal ſeines Vorgängers nicht ver⸗ 
geſſen. In mehreren ſeiner Bauten ſieht man zugleich die Abſicht, ſich 
und ſeine friedlichen Beſchäftigungen vor den räuberiſchen Gelüſten des 
Römervolkes ſicher zu ſtellen. Die Engelsburg wurde ſtärker befeſtigt 
und die Brücke, die hineinführte, ganz zur Vertheidigung eingerichtet. 
Die Stadtmauern Rom's die an vielen Stellen völlig verwittert und 
zerfallen waren, wurden hergeſtellt. Der Papſt ließ eine Medaille 
ſchlagen, die ein Stück der neuen Stadtmauer ſehen ließ, mit der Um⸗ 
ſchrift: Felix Roma.) | 

Aber er begann auch vieles Andre, was nicht die Noth, nur bie 


) 1. c. p. 949 — 952. 

2) Bei Bonanni Numismata Pontificum T. I. p. 51. cf. Plati na Vita 
Nicolai V (edit. s. I., 1664) p. 613. Ranke die röm. Päpſte Bd. III. S. 227 
theilt Verſe aus einem auf die Verſchwörung Porcari's gefertigten Gedichte mit, deſſen 
Verfaſſer wahrſcheinlich der Römer Orazio iſt (V. Tir aboschi T. VI. p. 1218); 
es heißt hier vom Papſte: 

Arces fortificat muris turrimque superbam 
Extruit — — — ne quisque tyrannus ab alma 
Quemque armis valeat papam depellere Roma. 


V. Nicolaus V. Seine Bauten. | 297 


Neigung forderte, was, wie er ſelbſt ſagte, Rom durch den Adel 
der Kunſt zur imponirenden Weltſtadt erheben ſollte. So wurden die 
heiligen vierzig Stationen, die Gregor der Große gegründet, mit neuen 
und ſchöneren Bauten bezeichnet. So ſollte S. Peter vom Fundament 
aus neu aufgebaut werden und nach einem Plane, der, wie der Bio⸗ 
graph des Papſtes mit Bewunderung verſichert, die Kirche des Apoſtel⸗ 
fürſten, wäre ſie vollendet worden, über alle Wunderwerke der Welt 
erhoben hätte.) Der achtjährige Pontificat hat freilich nicht hinge⸗ 
reicht, um die großartigen Pläne des Papſtes ins Werk zu ſetzen. Aber 
ſchon die kleineren Unternehmungen, die man vollendet ſah, und die 
Vorarbeiten zu den größeren, die dann liegen blieben, erregten das 
Erſtaunen der Zeitgenoſſen. Gleich wie die Engelsburg die alten Kai⸗ 
ſerbauten überragt, läßt Enea Silvio de' Piccolomini ſeine Meinung 
hören, jo übertreffen die Bauwerke Nicolaus’ V Alles, was die neuere 
Zeit geleiſtet; hätten ſeine Werke, die jetzt wie ungeheure Mauertrüm⸗ 
mer daliegen, vollendet werden können, ſie dürften der Pracht keines 
der alten Imperatoren weichen.) . 

Wie entſchieden dieſe Leidenſchaft des Papſtes durch das mediceiſche 
Beiſpiel angefacht worden, zeigen am deutlichſten die geiſtigen Kräfte, 
die er dabei verwendete. Zwei Florentiner, Bernardo und Antonio 
Rofellini, waren bei allen baulichen Unternehmungen den Beamten und 
Arbeitern vorgeſetzt. Und Leo⸗Battiſta degli Alberti wurde auf einige 
Jahre nach Rom gerufen, um den Papſt zu berathen und die Pläne 
zu entwerfen, hier überreichte er ihm 1451 ſein berühmtes Werk über 
die Architectur.) 

Den Nachweis, inwiefern in dieſen Bauten und Entwürfen der 
Einfluß des von Poggio wiederaufgefundenen Vitruvius und der Alter⸗ 
thumsſtudien überhaupt zu erkennen ſein möchte, wünſchten wir von 
kundiger Seite zu ſehen. In der verwandten Kunſt des Prägens und 


) Manetti p. 930 — 940 ſpricht am ausführlichſten von dieſem Bau und den 
andern. Vergl. Papencordt Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter S. 482. 
499 ff. 

) Aeneas Sylvius Histor. Friderici III. edid. Kollar p. 138. 282; Europa 
cap. 58. Auch im Kirchenſtaat umher, in Spoleto, Orvieto, Civitavecchia und ſonſt 
find Villen, Brücken und Waſſerleitungen zum Theile noch die Zeugen feiner Bau⸗ 
luſt. In Viterbd ließ er die Heilquelle einfaſſen, deren Kraft ſchon Strabon gerühmt, 
und mit palaſtartigen Häuſern umgeben. Viterbo hieß ſeitdem das Papſtbad. 

) Staindelii Chronicon ap. Oef ele Scriptt. rer. Boicar. T. I. p. 537. 


298 V. Nicolaus V als Mäcen. 


Medaillirens iſt es ſchon bemerkbar, welche Frucht das Studium der 
Antike, die Muſeen eines Pizzicolli und Poggio, der Cardinäle Colonna 
und Barbo eingetragen. Nicolaus V ift der erſte Papſt, von dem 
wir aus der Hand des Andrea Guacialoti da Prato ein Medaillon 
mit ſprechendem Portrait beſitzen.) | 

Gleich in den erſten Wochen feines Pontificats zeigte Nicolaus, wie 
theuer ihm Florenz, wie er von ganzer Seele ein Florentiner war. Gegen 
Coſimo, der auch ihm einſt manches Gute gethan, erwies er ſich alsbald 
dankbar, indem er ihn zum Depoſitar der apoſtoliſchen Einkünfte er⸗ 
nannte. Den florentiniſchen Geſandten, unter denen Männer wie An⸗ 
giolo Acciajoli, Aleſſandro degl' Aleſſandri, Piero di Coſimo de' Me⸗ 
dici, Neri di Gino Capponi, Giannozzo Pitti waren, gab er, um ſie zu 
ehren, eine Audienz im öffentlichen Conſiſtorium, wo ſonſt nur die Re⸗ 
präſentanten von Kaiſern und Königen empfangen wurden. Bei einer 
andern Audienz bemerkte er unter den Wartenden den Buchhändler 
Vespaſiano, der ihm einſt geholfen, die Bibliothek von S. Marco zu 
ordnen und aufzuſtellen. Sofort ließ er die Audienz ſchließen und be⸗ 
fahl, daß man ihn mit dem alten Bekannten allein laſſe, dann ſagte 
er lachend: „Hat es nicht, Vespaſiano, gewiſſe ſtolze Herren betroffen 
gemacht, hat es das Volk von Florenz glauben mögen, daß ein Prie⸗ 
ſter, der vorher die Glocken geläutet, nun der höchite Biſchof gewor⸗ 
den iſt?“ ) | 

Kaum hatte fich die Kunde von der Erhebung Parentucelli's auf 
den päpſtlichen Stuhl durch Italien verbreitet, ſo kamen Gelehrte 
und Schöngeiſter von überall her nach Rom gewandert, ihm ihre 
Dienſte zu Füßen zu legen. Andre fragten doch vorher an. Es war 
wohl keiner, der nicht wenigſtens gratulirte und ſich tiefergebenſt dem 
Wohlwollen des Papſtes empfahl. In ſolchen Fällen wird die allzu 
hohe Erwartung oft bitter getäuſcht. Gelehrte, wenn ſie zu Einfluß 
und Macht erhöht wurden, ſind keinesweges immer die Mäcene für 
ihresgleichen geweſen. Aber Nicolaus war eben kein Fachgelehrter, er 
hatte keine Lieblingsdisciplin, er ging als vielwiſſender Dilettant mit 


) Eine vortreffliche kritiſche Arbeit über dieſen Künſtler mit Abbildungen ſeiner 
Werke verdanke ich Herrn Dr. Julius Friedländer, ohne angeben zu können, un⸗ 
ter welchem Geſammttitel derſelbe eine Reihe ähnlicher Studien zu veröffentlichen ge⸗ 
denkt. a 
) Manetti 515. Vespasiano l. c. 5 18. 19. 


V. Nicolaus V als Mäcen. N 299 


ſeiner Neigung ins Weite und Breite. Er iſt, ſagt Enea Silvio von 
ihm ), in alle liberalen Künſte eingeweiht, er kennt die Philoſophen, 
die Hiſtoriker, die Dichter, die Kosmographen und die Theologen; ſelbſt 
das bürgerliche und das päpſtliche Recht und die Mebicin find ihm 
nicht fremd. Das ſind panegyriſche Worte, aber ſo viel iſt wahr: 
Nicolaus hatte ein vielſeitiges Intereſſe, freilich ohne den Drang, 
irgendwo tiefer einzugehen, wie er im Grunde mehr ein Freund der Bücher 
als der Wiſſenſchaft war. Unter den Geiſtern wählte er nicht ſehr: 
im Gegentheil war ihm das Talent lieber als das Genie; denn Verſe 
und Reden oder ſelbſtſtändige Abhandlungen moralphiloſophiſchen und 
antiquariſchen Inhalts, in welchen ſich die Humaniſten gerade am mei⸗ 
ſten dünkten, ſchätzte er wenig. Er wollte kritiſche und grammatiſche 
Arbeiten, vor Allem aber Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen. Die 
Werke der Alten, gereinigte Texte, Commentare und erläuternde Ueber⸗ 
tragungen ſollten in ſtattlicher Geſtalt ſeine Bibliothek füllen und zieren. 
Dabei vernachläſſigte er auch die kirchlichen Autoren nicht. So war 
ihm Jeder willkommen, der ein genügendes Griechiſch verſtand und 
Bücher nach dem Sinne des Papſtes ſchreiben wollte. 

Da darf es uns nicht befremden, wenn wir die römiſche Univer⸗ 
ſität auch unter dieſem vielgeprieſenen Förderer der Wiſſenſchaft ein 
ziemlich unbedeutendes Daſein fortſpinnen ſehen. Sie war neben dem 
unzünftigen humaniſtiſchen Gelehrtenſtande hier wie anderswo das alt⸗ 
modiſche Inſtitut. Seit den Zeiten des Schisma hatte ſie ſich nicht 
erholen können oder vielmehr ſie hatte aufgehört zu exiſtiren. Wohl 
hören wir, daß Innocenz VII einen Verſuch zu ihrer Herſtellung machte 
und das Studium der Wiſſenſchaften und Künſte für den ſchönſten 
Schmuck einer Stadt erklärte; er verhieß ſogar einen Lehrer der grie⸗ 
chiſchen Sprache, der die griechiſchen Autoren erklären werde.) Wahr⸗ 
ſcheinlich dachte er dabei an Manuel Chryſoloras. Welchen Erfolg 
ſeine Ankündigung hatte, wiſſen wir nicht, unter ſeinen Nachfolgern 
jedoch verſchwindet wieder jede Erwähnung der Hochſchule und taucht 
erſt dann wieder auf, als unter Eugen IV die Ruhe der Stadt und 


) Im Geſandtſchaftsbericht von 1447 in Baluzii Miscell. VII und Mur a- 
tor i Seriptt. T. III. P. II. 

) Seine Bulle vom 1. Sept. 1406 bei Raynald Annal. ecel. 406. n. 2. 
Der Papſt ſpricht von hujusmodi studia per longissima spatia hactenus inter- 
missa. 


300 V. Nicolaus V als Mäcen. 


des Kirchenſtaates hergeſtellt wurde. Aber nicht in dieſem Inſti⸗ 
tute, ſondern um ſeine Perſon verſammelte Papſt Nicolaus alle die 
wiſſenſchaftlichen Kräfte, die er nach Rom zog, ja er ſah es ſogar 
ungern, wenn ſeine Ueberſetzer auf ſolche Beſchäftigungen Zeit verwen⸗ 
deten. | 
Dieſem Patron, der immer einen Beutel mit einigen hundert Zec⸗ 
chinen zur Seite hatte und unmittelbar mit eigener Hand lohnte ), 
fehlte es an fleißigen Arbeitern natürlich nicht. Gerade die Geiſter 
zweiten Ranges fanden ſich in Menge bei ſeiner Curie ein und manche 
ſtanden bei ihm hoch im Anſehen, die ſonſt in der Gelehrtenwelt kaum 
einen Namen hatten. Man rühmte ihm nach, er habe die Curienämter 
und Pfründen nicht, gleich ſeinen Vorgängern, ſimoniſtiſch verkauft“); 
mag ſein, aber er vergab ſie an Literaten, die mehr für die vaticaniſche 
Bibliothek als für die Cancelei und die Kirche arbeiteten.) Als man 
ihm einſt bemerklich machte, es gebe in Rom noch einige gute Schrift⸗ 
ſteller, die er nicht kenne, wollte er das nicht glauben: ſonſt würden 
ſie ja zu ihm kommen, da er auch die ſchlechten Dichter freundlich zu 
empfangen pflege.) | 
Es war im Vergleich mit dem Pontificat Eugen's der ſtärkſte 
Wechſel: unter dieſem hatten die ihn umgebenden Mönche insgeheim 
die Schlüſſel Petri gehandhabt, und nur einzelne Cardinäle ſtanden ſelbſt⸗ 
ſtändig und einflußreich da. Jetzt wurden auf einmal die Gelehrten 
der bevorzugte Stand an der Curie, es drehte ſich im Grunde Alles 
um die Ueberſetzer, deren Stil dem Papſte am beſten behagte. Ein 
Valla, Georgios von Trapezunt, Decembrio, Perotti erlangten nicht 
nur für ſich, was ſie wünſchten, ſie ſtanden Nicolaus' Ohr überhaupt 
am nächſten. Wenn er während der Seuche, die Rom im Jubeljahre 
heimſuchte und in den folgenden Sommern wiederkehrte, für ſein fro⸗ 
hes Leben beſorgt den Vatican verließ und zu San Fabriano ſeinen 
Aufenthalt nahm, gab er ſeine Bücherſchreiber und Ueberſetzer der Ge⸗ 
fahr nicht preis. Sie nahm er alle nach San Fabriano mit, während 
ſich ſonſt bei Todesſtrafe niemand, der aus Rom kam, dem Caſtell auf 


) Vespasiano I. c. 8 27. | 
2) Raphael Volaterr. Lib. XXII. p. 815. 
) Platin a l. c. p. 613. 
) Hermolaus Barbarus Praefat. in Castigationes Plinianas. Basileae, 
1534, Ä | 


V. Nicolaus V als Mäcen. 301 


fieben Miglien nähern und nur wenige bevorzugte Cardinäle hier wei⸗ 
len durften, doch auch ſie mit nicht mehr als vier Dienern.) 

Nur einen Mann gab es an der Curie, der als Günſtling bezeich⸗ 
net werden konnte, es war der Secretär Piero da Noceto. Mit 
keinem der Cardinäle ſtand der Papſt in einem irgend vertrauten Ver⸗ 
hältniß, er mochte ſich nicht lenken und hemmen laſſen, ihn hätte ſchon 
der Schein geärgert, als regiere er durch einen allmächtigen Miniſter. 
Jener Piero war mit ihm zuſammen im Hauſe Albergati's gealtert, 
ein beſcheidener Mann, dem als Gatten und Vater die höhere Laufbahn 
überdies abgeſchnitten war und der nun unter ſeinem ehemaligen Haus⸗ 
meiſter ungefähr die Stelle einnahm, welche dieſer bei Albergati inne⸗ 
gehabt. Er war des Papſtes rechte Hand und doch zugleich ſein treu⸗ 
herziger unterwürfiger Diener, weder ein Gelehrter noch ein Schöngeiſt, 
aber als alter Curiale an den Verkehr auch mit ſolchen Männern ge⸗ 
wöhnt. Wir ſehen hier den andern Fall wie ſonſt bei den mäcenatiſchen 
Fürſten: dieſe hatten ihre literariſchen Räthe, deren Urtheil das ihre 
erſetzte, Francesco Sforza feinen Simonetta, Borſo von Eſte feinen 
Caſella; zwiſchen dem gelehrten Papſte und den kirchlichen Geſchäften 
ſtand ein einfacher Secretär, um deſſen Gunſt ſich die Geſandten und 
Geſchäftsmänner bewarben, zwiſchen dem Papſte und den Hofliteraten 
ſtand niemand. Nicolaus hielt ſich für ſeinen perſönlichen und un⸗ 
mittelbaren Verkehr mit den Schriftſtellern freie Hand, und dieſe 
lebten glücklich und zufrieden, weil nicht leicht eine Wolke zwiſchen 
ſie und ihre Sonne trat. 

Auf welchem Fuße der Papſt mit ſeinen Hofgelehrten lebte und 
welches Daſein dieſe genoſſen, lernen wir am beſten kennen, wenn wir 
uns die bedeutenderen nach einander vorführen. Da wird uns ſo man⸗ 
cher entgegentreten, den wir anderswo ſchon ſahen, der nun aber ſeine 
bisherige Stellung gegen die lockendere unter dem apoſtoliſchen Schirm⸗ 
dach vertauſcht. 

Das alte Haupt unter den Humaniſten der Curie war Poggio, 
zugleich einer der älteſten unter den literariſchen Freunden des Papſtes, 
der ſchon bei Cardinal Albergati in Gunſt geſtanden. Gleich dem Papſte 
war er ſtets mit ſeinem Herzen in Florenz daheim geweſen und hier 
hatte ſich auch der Umgang zwiſchen ihnen entſponnen. Poggio konnte 


9 Nach zwei Berichten, die ein Deutſchordensprocurator an den Hochmeiſter ſandte, 
im Geh. Archiv zu Königsberg. ef. Manetti p. 928. nn 8 


302 V. Nicolaus V und Poggio. 


einen entſcheidenden Beweis führen, daß er Parentucelli ſchon vor ſei⸗ 
nem Cardinalat und Papat als Freund hochgeſchätzt: dieſer war noch 
Biſchof und arm geweſen, als Poggio ihm 1446 ſeinen Dialog über 
das unglückliche Leben der Fürſten widmete; “) wohl die erſte literariſche 
Huldigung, die jenem zu Theil geworden. 

Sobald nun der Freund auf den heiligen Thron erhoben war, 
richtete Poggio eine Gratulation an ihn, in welcher er gleichſam als 
Vertreter der ganzen Gelehrtenrepublik das Wort nahm, freilich auch 
ſeiner ſelbſt nicht vergaß. Nach manchem feinen Lobe und mancher 
elegant⸗philoſophiſchen Wendung kam er auf ſein eigentliches Thema. 
„Ich bitte dich, heiligſter Vater, mögen deinem Gedächtniſſe nicht jene 
alten Freunde entſchwinden, als deren einen ich mich nennen darf. 
Du weißt ja am beſten, wie die Gemeinſamkeit in den Studien und 
in den edlen Sitten das Band der Freundſchaft knüpft. — — Laß 
unter deinen ſonſtigen Sorgen dieſe nicht zurückſtehen, daß du der alten 
Freunde gedenkeſt, zu denen ja auch ich gehöre, daß du ihnen Hülfe 
ſeieſt, ſie nicht darben läſſeſt, daß du dich den ſchönen Geiſtern hold 
zeigeſt! Sorge, daß viele Menſchen ſich finden, die dir ähnlich ſind, 
damit du in dieſem deinem Herrſchergebiete gleichſam eine Pflanzſchule 
der Tugenden aufſtelleſt, damit in dieſem Zeitalter die freien Künſte 
emporblühen wie in einem ſaturniſchen (1), ſie, die durch die Schuld 
der Zeiten faſt erloſchen und erſtorben ſchienen. — — Denn von wem 
ſollen wir ihr Heil erflehen, wenn du uns nicht hilfſt, den ſie ſeither als 
ihr Lieblingskind an ihren Brüſten genährt! Ja, heiligſter Vater, das 
Studium der Wiſſenſchaften hat darniedergelegen und die ausgezeichneten 
Gelehrten ſind länger vernachläſſigt worden, als mit dem Gewiſſen 
und mit ihrem Werthe vereinbar war. Darum iſt auch die Freude an 
den Wiſſenſchaften erkaltet. Denn wo der Tugend Ehre und Lohn 
fehlen, da wird auch niemand zu ihrer Uebung angeſpornt. — — Von 
dir allein, heiligſter Vater, wird erwartet, was ſo Viele verſäumt ha⸗ 
ben. Andre mögen Andres leiſten: dir allein ſteht dieſe Ehre, dieſer 
Beruf zu, daß die wiſſenſchaftlichen Studien und die durch dich gehobe⸗ 
nen Gelehrten in ihre alte Würde und in ihr altes Anſehen wieder⸗ 


) In den Ausgaben iſt die Vorrede zu dieſem Tractat nur überſchrieben: ad 
clariss. virum Thomam, vollſtändiger im Cod. msc. lat. 70 der münchener Hof⸗ 
bibl. fol. 303: ad Thomam de Sarzano und mit der Widmung: Magnifico domino 
meo Cancellario pro tune existente in dieta frankfordensi a. domini 1446. Der 
Widmung gedenkt Poggio auch im Prooem. Historiae de varietate fortunae p. 3. 


V. Nicolaus V und Poggio. 303 


eingeſetzt werden. — — So mag denn unter deinen übrigen Sorgen, 
ich wiederhole es noch einmal, dieſe, heiligſter Vater, die erſte ſein, daß 
du die Gelehrten hebſt und erhöheſt, daß du die edelſten Künſte wieder⸗ 
aufleben machſt, daß du beweiſeſt, nur deine Würde ſei erhöhet, dein 
Sinn der alte geblieben. Das iſt deine eigenſte Aufgabe, das iſt die 
That deines Namens und deines Ruhmes, das wird die herrlichſte 
Frucht deines Pontificates ſein. Das wird dir vor Gott ewigen Lohn, 
unſterbliches Lob bei den Menſchen erwerben. Aber da dn dir, heilig⸗ 
ſter Vater, das Alles zu thun ſchon ſelber vorgeſetzt, ſo bitte ich dich 
nun insbeſondere: gedenke auch deines Poggio, der ſeit vielen langen 
Jahren deiner Tugend ſo innig ergeben war, der dich immer vor An⸗ 
dern geehrt und geliebt! Schon bin ich ein Veteran an der Curie, da 
ich ihr ſeit vierzig Jahren diene, und doch wahrlich mit geringerem 
Vortheil, als es für jemand ziemt, welcher der Tugend und den Hu⸗ 
manitätsſtudien nicht ganz fern geſtanden. Schon ſollte ich als aus⸗ 
gebtenter Soldat nach der Sitte der Alten auf die ländlichen Aecker 
geſchickt werden, um meinem Leibe Ruhe zu gönnen und nur den Geiſt 
zu beſchäftigen. Erreiche ich das nicht durch dein Wohlwollen, ſo weiß 
ich nicht, von weſſen Gunſt ich es ſonſt erbitten ſollte. ') 

Was Poggio von des Papſtes höchſtem Berufe geſagt, war dieſem 
ſelbſt aus dem Herzen geſprochen. Aber den gewünſchten Ruheſtand 
gönnte er ihm nicht, auch Poggio ſollte ihm Ueberſetzungen liefern, 
obwohl er ſich bei ſeiner mangelhaften Kenntniß des Griechiſchen nur 
dadurch zu helfen wußte, daß er entweder einen Griechen zu Rathe 
zog oder ſehr frei und mit genialen Umſchreibungen verfuhr. Indeß 
muß Nicolaus die geklagte Noth mit hülfreicher Hand gemildert haben; 
denn bald darauf bekennt der alte Curiale, die Freigebigkeit des Pap⸗ 
ſtes habe ihn ſo geſtellt, daß er die Noth der Zeiten allenfalls vergeſſen 
und ſich mit feinem Schickſal ausſöhnen könne.) 

Sein nächſtes Werk, einen moralphiloſophiſchen Tractat, widmete 
Poggio niemand anders als dem Papſte. Vor Allen aber haben wir. 
hier einer Streitſchrift zu gedenken, die er offenbar im Auftrage des 
apoſtoliſchen Stuhles verfaßt hat, ſeiner Invective gegen Felix, den 


) Poggii Orat. ad Summum Pont. Nicolaum V (Opp. p. 287 — 292). 
Ein Leipziger Codex datirt: 2. Mai 1447. Aehnlich iſt fen Gratulationsſchreiben epist. 
1. im Spicileg. Roman. T. X. und das Prooemium ſeines Werkes de variet. fort. 

) Prologus in Histor. discept. conviv. ad Prosperum Cardinalem de Co- 
lumna (Opp. p. 32). 


304 V. Nicolaus V und Poggio. 


basler Gegenpapſt. Er ſchrieb ſie zu der Zeit, als Nicolaus V die 
letzten Reſte der basler Bewegung wegzuräumen bemüht war, vielleicht 
gerade damals als der Papſt von Lauſanne ſich herausnahm, weinen 
gewiſſen Tommaſo Calandrini von Sarſana“ vor feinen Richterſtuhl 
zu laden, der es gewagt habe, den apoſtoliſchen Stuhl zu beſteigen und 
ſich Nicolaus V zu nennen. Der theologiſchen und canoniſtiſchen Trac⸗ 
tate gegen das Concil und ſeinen Papſt gab es genug, ihre Zahl ver⸗ 
mehrte Poggio nicht. Er ſchrieb eben eine Invective, das heißt ein 
Schand⸗ und Schimpfſtück. Ohne ſich über den Sachverhalt zu unter⸗ 
richten), begnügte er ſich mit läſternder Declamation, hat aber hierin 
Alles überboten, was von polemiſchen Schriften für oder gegen das 
Concil bekannt geworden iſt. Den Papſt Felix nannte er einen blut⸗ 
gierigen Wolf in Schafskleide, ein goldenes Kalb, welches zur Schmach 
des Glaubens von der Synagoge verlorener, ihm ähnlicher Menſchen 
errichtet ſei, einen zweiten Mahomet, der eine unerhörte, ſcheußliche 
Ketzerei ſchmiede, ein widriges Ungeheuer, einen Zögling des Satan, 
einen gefräßigen Drachen u. ſ. w. Die Väter des Concils werden als 
Apoſtaten, Hurenböcke, Blutſchänder, Räuber, Ausreißer, Religions⸗ 
läſterer, Rebellen gegen Gott und ihre Oberen, als eine Synagogula 
verbrecheriſcher und verlorener Phariſäer bezeichnet, ihre Decrete als 
Beſchlüſſe Trunkener und Träume von Träumern. 

Aehnliche Briefe hat Poggio auch gegen das basler Concil ver⸗ 
faßt; hier fand ſeine ängſtliche Religioſität, wie er ſie nennt, für gut, 
den ſchmähenden Ton ein wenig zu mildern. Daſſelbe geſchah auch 
bei dieſer Schrift gegen den lauſanner Papſt!); dann freilich können 
wir uns von ihrer urſprünglichen Faſſung keine Vorſtellung mehr ma⸗ 
chen. Dieſer Poggio war nichts weniger als ein religiöſer oder kirch⸗ 
licher Fanatiker, aber er war ein eingefleiſchter Curiale, der von der 
Curie lebte und reich wurde und dafür ihre Sache mit einer gewiſſen 
Wuth vertheidigte. Selbſt in einer Leichenrede, die er dem Cardinal 
Giuliano Ceſarini ſchrieb, der Jahre lang Präſident und geiſtiges Haupt 
des basler Concils geweſen, mußte er ſeinem Drange freien Lauf laſſen 
und in den Panegyrikus auf den Cardinal ſehr unpaſſend eine Invec⸗ 


1) Auf einige handgreifliche Verſtöße in dieſer Beziehung, die ſich in der Iavec⸗ 
tiva in Felicem Antipapam (Opp. p. 155 — 164) finden, habe ich in meinem Enea 
Silvio Bd. I. S. 172. Note 2. aufmerkſam gemacht. 

) Poggii epist. 29. 93. im Spicileg. Roman. T. X. 


V. Nicolaus V und Poggio. 2305 


tive gegen die basler Väter einweben, in welcher er ſie als Ehebrecher, 
Freſſer, Säufer, das Concil als einen Chorus von Nachteulen bezeich- 
nete und mit ſeiner wunderbaren Beredtſamkeit dieſes Stils eine Fluth 
ähnlicher Schmachworte ausſchüttete.) 

War Poggio einmal ein Diener der Curie, ſo war ein ſolcher 
Dienſt viel mehr nach ſeinem Sinne als die Abfaſſung einförmiger 
Bullen und Breven. Ueberhaupt konnte er jetzt ſeinen Neigungen freier 
den Zügel laſſen als an der beengenden Curie Eugen's. Denn mit 
der Erhebung des humaniſtiſchen Papſtes verſchwand auf einmal die 
Schaar der devoten Barfüßler, die Poggio immer geärgert, wenn ſie 
nach ſeinem Ausdrucke gleich Ameiſen umherwimmelten, um Gnaden und 
Privilegien bettelten und gegen einander Intriguen ſpannen. In ſeiner 
Schrift gegen die Heuchelei, auf welche wir noch einmal zu ſprechen 
kommen, durfte Poggio mit ungehemmter Laune die Curie Enugen's als 
ein Neſt der Heuchelei brandmarken und dem neuen Papſte das Com⸗ 
pliment machen, daß unter ihm dieſes Laſter ein Ende habe. Auch 
trug er kein Bedenken, in einem Werke, welches er Nicolaus V wid— 
mete, deſſen Vorgänger ſelbſt der Heuchelei ziemlich offen zu verdächti⸗ 
gen.) Gegen die Mönche, welche das Studium heidniſcher Autoren 
zu tadeln wagten, übrigens ſchon ein altmodiſches Geſchlecht, führte 
Timoteo Maffei aus Verona noch einen literariſchen Hieb; er war ſel⸗ 
ber Mönch, ein berühmter Prediger, und dieſes Buch widmete er Ni- 
colaus V'). Man wußte, daß der Papſt lieber die kecken Freigeiſter 
mochte als Menſchen, auf denen auch nur der leiſeſte Verdacht der Schein⸗ 
heiligkeit laſtete, daß er ſich der Bettelmönche nur bediente, um durch 
ihre Türkenpredigten die Gotteskaſten zu füllen, ſie aber nicht in ſeine 
perſönliche Umgebung zog, wie Eugen, der Obſervantenprotector, gethan. 

Poggio war an der Curie ein reicher Mann geworden, als er an 
die florentiniſche Staatscancelei berufen wurde und bald die Sorgen 
und Geſchäfte bei Seite legend, nur ſeiner literariſchen Muße lebte. 
Nicolaus entließ ihn ungern und ſtellte ihm frei, falls ihm das Leben 
in Florenz nicht behage, in feine alte Stellung an der Curie zurüdzu- 
kehren, ja der Papſt hoffte ſogar darauf und ſagte ihm beim Abſchiede 


1) Oratio in funere Juliani de Caesarinis $ 7. 8. im Spicileg. Roman. T. X. 
p. 378 sq. Aehnlich in feinem Werke de variet. fortunae Lib. III. p. 99. 

2) De var. fort. p. 88 fagt er von Eugen IV: Ego in eo plures virtutes 
fuisse cognovi, sive verae fuerint, sive, ut multi en fictae. 

3) Barth. Faci us de vir. illustr. p. 24. 


Voigt, Humanismus. 0 N 6 20 


306 V. Nicolaus V und Biondo. 


dreimal, er werde die Quälereien und Lüͤmpereien in Florenz nicht ein 
Jahr lang aushalten.) Poggio war Meiſter in der höfiſchen Kunſt, 
ſich immer ergeben zu zeigen und doch immer ein wenig ſelten zu ma⸗ 
chen. Er wußte ſich die Freundſchaft des Papſtes auch in der Ferne 
zu erhalten, von Zeit zu Zeit über Dürftigkeit zu klagen und die betteln⸗ 
den Hände auszuſtrecken.) 

Kein volleres Gegenbild zu ſeinem Charakter als das ſeines Col⸗ 
legen Flavio Biondo, weshalb denn auch ihre Schickſale die entgegen⸗ 
geſetzten waren, als die dreifache Tiare von Eugen auf Nicolaus über⸗ 
ging. Wir ſahen oben, daß Biondo's bevorzugte Stellung unter Eugen 
auf ganz perſönlichen Zügen beruhte. Biondo hielt wahrlich nicht zu 
den Heiligen des Tages, ſeine ſtille Ergebenheit in ſchweren Zeiten 
hatte ihn dem Papſte werth gemacht. Als ein ſtrenger und gewiſſen⸗ 
hafter Gelehrter genoß er die Achtung der humaniſtiſchen Literaten, 
ohne eigentlich in den Kreis ihrer Freundſchaften und Feindſchaften 
zu treten. Bruni begann einen Streit mit ihm über die Frage, ob 
die alten Römer neben der Schriftſprache auch eine Vulgärſprache ge⸗ 
habt, aber es war ein wiſſenſchaftlicher Streit und er wurde im wür⸗ 
digſten Tone geführt.) 

Warum hat nun Papſt Nicolaus den Biondo vernachläſſigt, ja 
mit entſchiedener Ungunſt behandelt? Niemand weiß uns den eigentlichen 
Grund anzugeben, ſelbſt Enea Silvio, der an der Curie recht wohl 
Beſcheid wußte, findet uns mit dem Gemeinplatz ab, daß ein Papſt 
ſelten den emporhebe, den fein Vorgänger geliebt.“) Es verlautet aber 
auch von entſchiedenen Gegnern, die Biondo in einer Weiſe verleumde⸗ 
ten, daß er aus Rom zu weichen gezwungen war; er fand damals für 
einige Jahre zu Ferrara ehrenvolle Aufnahme.) Doch können wir 
kaum glauben, daß nur eine perſönliche Laune des Papſtes ihm ent⸗ 
gegenſtand oder daß dieſer den Ohrenbläſern nur in dieſem einen Falle 
geneigtes Gehör ſchenkte. So ſcheint es denn, daß wir den Haupt⸗ 
grund der Nichtachtung Biondo's in ſeiner wiſſenſchaftlichen Richtung 
ſuchen müſſen. 


— 


) Poggii epist. 55. im Spicileg. Roman. T. X. 

) ibid. epist. 2. Z. 4. 68 an Nicolaus V. 

) Leon. Bruni epist. VI, 10. 

) Europa cap. 58. 

) Filelfo's Brief an ihn vom 25. Novemb. 1450. Poggii epist. 60.1. c. 
Franc. Barbari epist. 215. ed. Quirino vom 8. Novemb. 1453. 


V. Biondo. : 307 


Biondo war ein eigentlicher Geſchichtsforſcher von treuem Fleiße: 
es iſt bewundernswerth, wie er die beſten Quellen heranzuziehen weiß, 
wie er die zeitgenöſſiſchen von den ſpäteren ſondert, wie er mit kriti⸗ 
ſchem Tacte vergleicht und wägt, kleine Andeutungen benutzt und doch 
das Weſentliche heraushebt, wie er in ſeinen Stoffen ordnet und wal— 
tet. Das römiſche Alterthum verdankt ihm in topographiſcher und in der 
ſogenannten antiquariſchen Beziehung die erſten Strahlen ſeiner wirk— 
lichen Aufhellung. Er begnügte ſich nicht, wie Poggio und Bruni, mit 
der blinden Verehrung alles Claſſiſchen, als ſei das Zeitalter kei⸗ 
nen Heller mehr werth und eitel Entartung. Auch das neue chriſtliche 
Rom iſt ihm ein würdiger Gegenſtand der Forſchung; mit den Legio— 
nen und Conſuln, mit dem Senat und der Herrlichkeit des Capitols 
iſt ihm die Majeſtät Rom's keinesweges entſchwunden ), mit offenem 
Sinne nimmt er ſich auch des Gegenwärtigen an und forſcht nach ſei— 
nem Urſprung. Er hat ferner die erſte Univerſalgeſchichte des Mittel— 
alters geſchrieben, die dieſen Namen verdient, ein für jene Zeiten wahr— 
haft erſtaunliches Werk, das denn auch von Zeitgenoſſen und Nachfolgern, 
ſelbſt noch von Macchiavelli vorzugsweiſe benutzt und rüſtig ausge— 
ſchrieben worden iſt. Und doch haben die mitlebenden wie die nach— 
folgenden Literarhiſtoriker ſeinem Verdienſte nur gerade die halbe und 
oberflächliche Achtung gezollt, die dem armen biedern Canceliſten im 
Leben zu Theil wurde. Seine Briefe, die freilich weder Elegantien 
noch Piquanterien enthalten mögen, find nicht geſammelt und heraus⸗ 
gegeben worden), fein Leben hat keinen Biographen gefunden. 

Biondo geſteht ſelbſt, daß er im Erlernen der griechiſchen Sprache 
wenig glücklich geweſen.) Seine Jugend fiel noch in die Jahre, da 
es außerhalb Florenz und etwa Venedig kaum möglich war, einen Leh- 
rer des Griechiſchen oder griechiſche Bücher zu erhalten. Wo er als 
Geſchichtſchreiber der ſpäteren Kaiſerzeiten auf griechiſche Autoren ſtößt, 
muß er ſich dürftig mit ſchlechten Ueberſetzungen behelfen. Natürlich 
ſtand er in Papſt Nicolaus' Augen ſchon deshalb hinter jenen Abend⸗ 


) Roma instaurata in fine. 

) Mehus bat dieſe Abſicht, wie er in der Anmerkung zu Leonardi Bruni 
epist. VIII. 1. ſagt, zwar gehegt, aber nicht a I wahrſcheinlich weil Biondo 
kein Florentiner war. | 

) Historiarum ab inclinatione Romanorum Dec. I. Lib. IV. in princip. 
(Opp. edit. Basileae, 1559). Vespasiano: Biondo da Forli $1: ebbe qualche 
notizia delle lettere greche. 


20 * 


308 V. Biondo. 


ländern zurück, die ein wenig Griechiſch, und hinter den Griechen, die 
ein wenig Lateiniſch verſtanden. Er konnte nicht Ueberſetzungen ma⸗ 
chen, die dem Papſte einmal am meiſten zuſagten. Als im Beginn 
ſeines Jahrhunderts die alten römiſchen Autoren aus ihren ſtaubigen 
und moderigen Gräbern wieder zum Leben erweckt wurden, hat er daran 
nicht einen glänzenden wie Poggio, aber doch auch ſeinen beſcheidenen 
Antheil gehabt: es blieb ihm eine ſchöne Erinnerung, wie er zuerſt 
Cicero's Brutus aus dem alten lodeſiſchen Codex mit jugendlichem 
Eifer abgeſchrieben und Italien wiedergeſchenkt hatte.) Aber freilich 
von Cicero's Wohlredenheit war wenig auf ihn übergegangen. Viel⸗ 
leicht widerſtrebte ſeine einfache Natur dem Haſchen nach dem eleganten 
Scheine, vielleicht hemmten ſeine Berufsgeſchäfte und die Kärrnerarbeit, 
die jedes hiſtoriſche Studium mit ſich bringt, ſeine Ausbildung in der 
feineren Latinität, die einmal der Stolz ſeines Jahrhunderts war. Er 
war ſich des Vorſprunges, den Andre vor ihm hatten, ſehr wohl be- 
wußt. Während ſonſt bei alternden Leuten ihr Urtheil über das Neue 
nicht ſelten ſchroff und abſprechend wird, ſah er mit rührender Neid⸗ 
loſigkeit in Italien die Schulen immer mehr erblühen, »in welchen es 
ſüß und herrlich iſt zu ſehen, wie die Schüler, nicht nur wenn ſie ent⸗ 
laſſen ſind, ſondern während ſie noch unter der Ruthe declamiren und 
ſchreiben, ihre Lehrer an Wohlredenheit in Sprache und Schrift über⸗ 
treffen.“) Wie leicht pflückten ein Poggio und Filelfo die Kränze des 
Ruhmes, wie ſauer mußte ſich's Biondo werden laſſen, bis er ſich ſelbſt 
ein Wort der zufriedenen Anerkennung gönnte! Wie ſchön ſteht ihm aber 
auch der beſcheidene Stolz, wenn er auf das Reſultat mühevoller Jahre 
zurückblickt! Die Geſchichte, ſagt er, der erſten 132 Jahre ſeit dem 
Einzuge Alarich's in Rom ſei ihm recht ſchwer zu erforſchen geweſen, 
doch ſchmeichle er ſich, bei Weitem mehr aus dem Dunkel herausge⸗ 
bracht zu haben, als er ſelbſt und Andre, die von ſeinem Unternehmen 
wußten, gehofft und erwartet.) Später ſagte er einmal, indem er 
feiner Decaden gedachte: »Wir haben die dunkle Geſchichte von mehr 
als tauſend Jahren mit ſolchem Fleiße behandelt, daß wir nicht nur 
den Zuſtand von Italien deutlicher und ausführlicher, als es möglich 
ſchien, dargeſtellt haben, ſondern auch den der Provinzen und Länder 


) Vergl. oben S. 142. 
) Italia illustrata p. 347. 
) Histor. I. c. 


V. Biondo. 309 


des ganzen einſtigen römiſchen Reiches, wie es in die Hände verſchie⸗ 
dener Könige, Fürſten und Völker gekommen iſt.“ ) Ueber dieſes Werk 
hat ein Kritiker aus der Zeit Julius' II, Rafaele Maffei, nicht ohne 
Billigung des fleißigen Strebens geurtheilt, doch findet er, es gereiche 
dieſer Geſchichte zum beſonderſten Lobe, daß ein Papſt von anerkannter 
Schriftſtellergabe, Pius II, ſie in einem Auszuge au bearbeiten: und 
geſchickter zu ftilifiren geruhte! *) Ä 

Noch eines müſſen wir hervorheben: Biondo's Feder 1 
nicht zu ſchmeicheln. Er hatte auch Eugen IV nicht geſchmeichelt; er 
vertheidigte ſeine Sache mit Wärme und Eifer und zeigte den Gegnern, 
daß der Papſt durch Noth und Kränkungen zu den Schritten getrieben 
war, die ſie ihm als Trotz und Hartnäckigkeit auslegten. Seine Italia 
illustrata ſchrieb er während des Jubeljahres zu Rom, alſo gleichſam 
unter den Augen des Papſtes Nicolaus, aber er gedenkt deſſelben nicht 
einmal, wo er von Sarſana ſpricht, während er ſonſt ſo gern bei jedem 
Städtchen und Flecken die Männer erwähnt, deren ſie ſich rühmen 
dürfen. Dennoch hören wir, daß er dem Papſte dieſes Werk darreichte 
und in Folge deſſelben, freilich erſt gegen das Ende von Nicolaus' 
Pontificat (1453) nach Rom zurückkehren durfte und einigermaßen zu 
Gnaden angenommen wurde.“) Aber dieſe Gnade ließ ihn arm, wie 
er geweſen war, die ſonſt ſo freigebige Hand des Papſtes öffnete ſich 
ihm nicht. Nur mit Mühe verdiente er ſo viel, um ſeine fünf Söhne 
tüchtig in den Wiſſenſchaften unterrichten und ſeine Töchter mit einer 
kleinen Mitgift ausſtatten zu können. Er ſtarb am 4. Juni 1463 „arm, 
wie es einem Weiſen geziemt.“ Ihm, dem braven Menſchen, ſetzte Papſt 
Pius II in ſeinen Commentarien ein ehrendes Denkmal, desgleichen 
dem Werthe ſeiner Werke, wenn er auch ſeine Bedenklichkeiten über 
Stil und Inhalt nicht unterdrückte.“ ” 

Wie gern hätte Nicolaus den ganzen florentiniſchen Freundeskreis, 
der ihm ſo theuer geweſen war, jetzt zu ſich nach Rom gezogen! Aber 
Niccoli, Traverſari, Bruni waren nicht mehr unter den Lebenden; 
Marſuppini, jetzt Staatscanzler der Republik, wollte natürlich lieber 
in ſeiner ehrenvollen Stelle ſterben, als ſein Glück an einen Papſt 


« 


*) Italia illustr. p. 350. R 

?) Raphael Volaterr. Lib. XXI. 

) cf. Franc. Barbari epist. 194 Flavio Forliviensi suo ed. Quirino; 
Blondus Barbaro ibid. epist. 214. 

*) Pii II. Comment. p. 310. 


310 | V. Nicolaus V und Manetti. 


feſſeln, der doch auch nur ein ſterblicher Menſch war. So blieb denn von 
den florentiniſchen Freunden keiner als Alberti, der, wie es ſcheint, 
ſehr bald nach Rom überſiedelte, und Giannozzo Manetti, den 
der Papft für einen Aus bund von Gelehrſamkeit und Talenten hielt. 
Hatte er doch einſt als Biſchof von Bologna, als Manetti ſich eben 
bei ihm verabſchiedet, zu den Umſtehenden geſagt, das ſei ein Mann, 
wie die altrömiſche Republik keinen gleichen aufzuweiſen habe.) Ma⸗ 
netti verſtand Griechiſch und Hebräiſch, Philoſophie und Theologie: in 
den Augen des Papſtes war er auch ein ausgezeichneter Stiliſt und 
Redner. Die Republik konnte ihm zur Gratulation keinen Geſandten 
ſchicken, den er lieber geſehen hätte. Manetti hielt an ihn im öffent⸗ 
lichen Conſiſtorium und in Gegenwart einer kaum zählbaren Menſchen⸗ 
menge eine Anrede, die eine ganze und noch eine viertel Stunde dauerte.) 
Er ſprach im neuen Stil, das heißt er ſpendete nicht zierliches Lob in 
gemeſſenen Gaben, ſondern er goß es im panegyriſchen Schwall aus 
vollen Schalen über den Papſt aus. Dieſer war noch nie der Gegen⸗ 
ſtand einer ſolchen Kunſtleiſtung geweſen, nun ſprach vor ihm und über 
ihn ein Gelehrter, den er für den erſten unter den lebenden hielt, in 
ſtolzem hochfliegendem Latein. Nicolaus hörte mit geſchloſſenen Augen 
und mit ſolcher Andacht zu, daß einer der naheſtehenden Kämmerlinge 
es für gerathen hielt, ihn mehrmals ein wenig an den Arm zu ſtoßen, 
weil er nicht anders meinte, als daß Seine Heiligkeit entſchlummert 
ſei. Aber dieſe Beſorgniß wich dem Erſtaunen, als der Papſt jeden 
der drei Theile, in welche Manetti's Rede zerfiel, ſcharfſinnig beant⸗ 
wortete.) Die Rede des Florentiners oder vielmehr dieſe an der 
Curie noch neue Weiſe einer öffentlichen Prunkrede wurde das Tages⸗ 
geſpräch. Die auweſenden Florentiner drückten Manetti die Hand, 
dankbar für die Ehre, die er ihrer Vaterſtadt erworben. Die venetia⸗ 
niſchen Cardinäle, eiferſüchtig darüber, ſchrieben den Vorfall ſogleich 
an den Dogen, damit auch von Venedig aus den Geſandten ein Kunſt⸗ 
redner beigegeben werde.“) | 


) Vespasiano: Nicola V. $9. Auch Poggio (epist. 59. im Spicileg. Ro- 
man. T. X) empfahl ihn dem Papſte. 

) Bei Mittarelli Bibl. codd. msc. S. Michaelis Venet. p. 715. Vespa- 
siano: Giann. Manetti $ 15 ſpricht nach dem Zeugniſſe des Cardinal Beſſarion von 
150,000 Anweſenden und mehr. 

) Vespasiano: Nicola V. $ 20. 

) id.: Manetti $ 15. 


V. Nicolaus V und Manetti. Valla. 311 


Aber trotz der Bewunderung des Papſtes war Manetti nicht eher 
geneigt, ſein Florenz zu verlaſſen, bis eine Verbannung, deren Grund 
wir nicht wiſſen, ihn dazu nöthigte. Da nun fühlte er die Gunſt ſei⸗ 
nes päpftlichen Freundes: er erhielt eine Einladung, nach Rom zu 
kommen und hier ſeine Studien fortzutreiben, eine Stelle als apoſtoli⸗ 
ſcher Secretär und außerdem einen Jahresſold von 600 Scudi, für wel⸗ 
chen er zu nichts verpflichtet war.) Das war eine Stellung, mit 
der ſich vielleicht allein die Filelfo's am mailändiſchen Hofe meſſen 
konnte. Da Alles um ihn herum mit literariſchen Arbeiten beſchäftigt 
ſei und auch er ſeinen Sold nicht müßig verzehren wolle, ſo beſchloß 
er zwei große Unternehmungen, ein apologetiſches Werk gegen die Ju⸗ 
den und Heiden, welches in zwanzig Bücher getheilt werden ſollte, und 
eine neue Ueberſetzuug der ganzen Bibel aus den beiden Urſprachen. 
Leider ſtarb der Papſt ſchon ein Jahr nach Manetti's Berufung und 
mit ihm die Ausſicht auf einen glänzenden Lohn, die zu jenen Werken 
begeiſtert, weshalb ihr Verfaſſer es ganz natürlich fand, ſie liegen zu 
laſſen.) Doch hat er die Pflicht der Dankbarkeit gegen den freigebi⸗ 
gen Papſt treulich erfüllt: diefer war ſchon todt, als Manetti fein Le⸗ 
ben beſchrieb und ſein Andenken, allen fürſtlichen Perſonen zum leuch⸗ 
tenden Beiſpiel, mit reichlichem Weihrauch feierte. 

Der erſte Gelehrte von auswärts, den Nicolaus an ſeine Curie 
rief, war ſogleich ein ſprechender Beweis, daß nur das Talent in Be⸗ 
tracht gezogen wurde, nicht im mindeſten das Intereſſe der Kirche. 
Es war nämlich Lorenzo Valla, er der gegen die conſtantiniſche 
Schenkung zu Felde gezogen, der die Bettelmönche verhöhnt, der In⸗ 
quiſition gefpottet, der im dringendſten Verdachte ſtand, von der Glau⸗ 
benstradition und den Fundamenten der Kirche ſehr lockere und gering⸗ 
ſchätzige Anſichten zu hegen. 

Ein Fanatiker für ſeine Sache war Valla freilich auch nicht. Es 
hatte ihn wenig Ueberwindung gekoſtet, bei Papſt Eugen, dem ſchwer⸗ 


t) id.: Manetti $ 28, Nicola V. 8 25, Alfonso Re di Napoli $ 14. Naldi 
Vita Jann. Manetti ap. Muratori Seriptt. T. XX. p. 593. Facius de vir. 
illustr. p. 19. 

) So erzählt er ſelbſt in der Vita Nicolai V. ap. Muratori Scriptt. T. III. 
P. II. p. 927. Was von jenen Büchern zu Stande kam, wie die erſten zehn Bücher 
contra Judaeos et gentes, wie die Ueberſetzung des neuen Teſtamentes und des 
Pſalters (Vespasiano: Nicola V. $ 25) ift alſo am Hofe von Neapel gearbeitet 
worden. S. oben S. 234. 


312 V. Valla. f 


beleidigten, um Verzeihung zu bitten, weil ihn die Sehnſucht anwandelte, 
ſeine Freunde und Verwandten in Rom einmal beſuchen zu können. Was 
er verbrochen, bekannte er auf Anſtiftung oder aus literariſcher Ruhm⸗ 
ſucht gethan zu haben; man werde aber ſehen, daß er auch der Mann ſei, 
um der Kirche in Zukunft ebenſoſehr zu nützen, als er ſie bisher beleidigt. 
Bedürfe es eines Widerrufes oder einer Reinigung, erklärte er dem Papſte 
Eugen in der Zuverficht, daß dieſer großherzig fein werde, fo komme er 
demüthig mit entblößtem Nacken. Cardinal Landriani, der Gönner der 
Humaniſten, ſollte ſein Geſuch unterſtützen und auch an Scarampo 
wandte ſich Valla, an den mächtigen Cardinal-Kämmerer, dem der 
Angriff eines Literaten auf die Kirche ganz gleichgültig, der aber doch 
für literariſche Schmeicheleien nicht ganz unempfänglich war.) Wir 
wiſſen nicht, welcher Beſcheid auf dieſes Anerbieten erfolgte, doch wurde 
Valla ein Sicherheitsverſprechen gegeben.) Darauf hin wagte er ſich 
nach Rom. Aber ſeine Feinde, die Bettelmönche, konnten die Nieder⸗ 
lage, die ſie in Neapel durch ihn erfahren, noch nicht verſchmerzen, ſie 
brachten ihre Beſchuldigungen nun vor den Papſt und wußten es als 
die wirkſamſte der Ketzereien zu brandmarken, daß Valla gegen Eugen 
und zu Gunſten des basler Concils geſchrieben haben müſſe, weil er 
von dieſem Beneficien erhalten. In Rom mochte Valla den Sturm 
nicht abwarten, hier brachte die Inquiſition noch Lebensgefahr, da des 

Papſtes Sinn von den Mönchen ganz beherrſcht wurde. Nach zwei⸗ 
monatlichem Aufenthalt floh er über Oſtia wieder an den Hof Alfonſo's 
und richtete nun von hier aus eine Apologie an den Papſt, in welcher 
er ſich ſcharfſinnig vertheidigte und ſeine Gegner nicht ſchonte, doch ſich 
in Demuth vor der Autorität des römiſchen Stuhles beugte. Deine 
Heiligkeit, ſo ſchloß er ſie, wird hoffentlich von mir wenn auch nicht 
einen Nutzen, denn das iſt über meine Kräfte, wenn auch nicht Ruhm, 
denn dein Ruhm kann weder durch Lob vermehrt noch durch Tadel 
verringert werden, ſo doch ein Wohlgefallen an meinen Studien ent⸗ 
gegennehmen.) Das war nun nicht der Pfeil, der Papſt Eugen ge⸗ 
roffen hätte; ſo lange er lebte, blieb Valla in Ungnade und durfte 
nicht noch einmal wagen, ſich in Rom ſehen zu laſſen. 


) Die Briefe Valla's an die genannten beiden Cardinäle, ſo wie der an Papſt 
Eugen in Form einer Declamation in den Epistolae Principum etc. ed. Hier. 
Donzelinus. Venet., 1574. p. 346. 352. 416. 

) Er ſagt zu Eugen: me tua fide, quam dederas, tutum esse oportebat. 

) Apologia pro se ct contra calumniatores ad Eugenium IV (Opp. p. 795 sq.) 


V. Balla. - 313 


Sobald aber Nicolaus den päpſtlichen Stuhl beftieg, erging an 
Valla ein ehrenvoller und vortheilhafter Ruf, nach Rom zu kommen. 
Es war die Stadt, in der die Seinigen lebten und begraben lagen; 
am Hofe von Neapel mußte er mit neidiſchen Augen anſehen, wie er 
nur der Hochgeſchätzte, Beccadelli aber der eigentliche Günſtling des 
Königs war, in jedem Falle fand er hier immer noch eine Zuflucht. 
Schon 1447 kam er nach Rom, im Laufe des nächſten Jahres wurde 
der Verfaſſer der Schrift gegen die conſtantiniſche Schenkung zum apo⸗ 
ſtoliſchen Scriptor ernannt.) Sein eigentlicher Beruf aber war, den 
Thukydides zu überſetzen, gewiß ein ſchwieriges Werk, eine Aufgabe, 
an die ſich noch keiner gewagt, aber eben darum wollte ſie der Papſt 
von dem erſten Grammatiker und Latiniſten gelöſt haben. Die Arbeit 
rückte ſehr langſam vor, zumal da Valla ihr nicht, wie der Papſt es 
wohl gewünſcht hätte, Tag und Nacht ausſchließlich widmete. Den 
römiſchen Lehrſtuhl der Eloquenz hatte ſeit Eugen's Zeiten noch Geor⸗ 
gios Trapezuntios inne und mit nicht geringem Erfolg: ſeine Schüler 
waren zahlreich und eifrig, viele von ihnen kamen aus fernen Ländern, 


andre gehörten den edelſten Familien an. Das weckte Valla's Neid: 


neben ihm, dem Verfaſſer der Elegantien, ſollte kein andrer Rhetor ſich 
zeigen dürfen. Auch auf die Honorare, die der Grieche einnahm, ſah 
er mit Gier. Er beſchloß als Nebenbuhler aufzutreten und begann im 
Jahre 1450 wirklich feine Schule der Eloquenz. Sie hat jedoch nur 
ein Semeſter hindurch gedauert, wohl weil der Beifall nicht der war, 
den Valla ſich verſprochen. Wenn er uns wiederholt verſichert, er 
habe den Wettſtreit nur zur Ehre Quintilians begonnen, den Georgios 
aus übermäßiger Vorliebe für Cicero mit Geringſchätzung zu behandeln 
pflegte, ſo hatte wenigſtens das mit der Ehre Quintilians nichts zu thun, 
daß ſein Kämpe ſich bei einigen Cardinälen um einen ebenſo hohen Sold 
bemühte, wie ihn Georgios erhielt. Es iſt aber ſehr bezeichnend, daß 
er ſich nicht an den Papſt wendete, daß er jene Cardinäle ausdrücklich 
bat, die Sache insgeheim zu betreiben, damit Nicolaus von ſeiner Lehr⸗ 
thätigfert überhaupt nichts erfahre; denn dieſem, ſagt er, würde es nicht 


) Marini degli Archiatri pontif. T. I. p. 241. Tiraboschi erzählt uns 
nach Antonio Corteſe's Antivalla msc., Valla habe den Auftrag des Papſtes, 
die älteren Bullen zu ſammeln und zu ordnen, dazu benutzt, ſein Werk de donat. 
Constant. weiter auszuführen, indeß ſcheint uns die Stelle wenigſtens, die Tiraboschi 
wörtlich anſührt, noch kein vollgültiger Beweis und die Sache an ſich kaum haltbar. 


314 V. Valla. 


gefallen, wenn er ſich mit etwas Andrem beſchäftige als mit den ihm 
aufgetragenen Ueberſetzungen.“) ü 

Daß Valla in Rom von feinen mönchiſchen Feinden beunruhigt 
wäre, davon hören wir kein Wort. Nur Poggio, ſein alter literari⸗ 
ſcher Geguer, war wüthend über ſeine Anſtellung: er ſah das Amt der 
apoſtoliſchen Secretäre durch fie auf ewig geſchändet, ja er drohte ſogar, 
er wolle ſelbſt in dem Werke, welches er eben unter der Feder habe, 
auf Päpſte losziehen; denn durch Schmähungen und Satiren komme 
man bei ihnen zu Anſehen, wie Valla's und Filelfo's Beiſpiel zeige.“) 
Fazio, Valla's bitterſter Feind in Neapel, knüpfte von hier aus mit 
Poggio ein Freundſchaftsbündniß an und ſpornte ihn nach Kräften, die 
Bewerbung ſeines beneideten Nebenbuhlers um ein Curialamt zu ver⸗ 
eiteln.) Aber zu ihrem Aerger genoß Valla die Gunſt des Papſtes 
ohne Wanken. Als er ihm den lateiniſchen Thukydides endlich über⸗ 
reichte, ſchenkte ihm Nicolaus mit eigener Hand 500 Scudi als Lohn.“) 
Daß ſeine Stellung auch ſonſt eine glänzende war, das hören wir am 
Toue der Ruhmespoſaune, mit welcher er die Wohlthaten vergalt. 
Seine zweite Bearbeitung der Elegantien widmete er Tortello, der dem 
Papſte näher ſtand als irgend ein andrer der Literaten; was er in der 
Widmung an dieſen ſagte, war fo gut als dem Papſte ins Geſicht ge⸗ 
ſagt. Das heißt es nun: „Wo iſt ſeit vielen Jahrhunderten ein be⸗ 
lobterer und des Lobes würdigerer Mann erſtanden als unſer Aller 
Vater und höchſter Prieſter, als Nicolaus V! Könnte man doch eben⸗ 
ſowohl ſagen, er ſei durch das Urtheil der geiſtvollſten Männer zu jener 
Würde auserwählt, als er ſei für ſie geboren. Da Gott ihn uns gab, 
hat er dieſes Jahrhundert einer beſondern Wohlthat gewürdigt; bleibt 
er uns nur erhalten, ſo wird das Schickſal des kommenden Menſchen⸗ 
geſchlechts, ſoweit Menſchen darüber meinen dürfen, ein glückliches ſein. 
Man kann nicht ſagen, ob ſeine Tugend oder ob ſein Anſehen unter 
den Menſchen mehr hervorglänze. Und unter ſeinen Tugenden kann 
man nicht ſagen, welche vor der andern den Vorzug verdiene, wenn 
überhaupt eine hervorragt und wenn nicht eine jede von ihnen alle an⸗ 
dern in ſich ſchließt. Höchſtens könnte ein Jeder diejenige Tugend, 


) Vallae Antid. in Poggium Lib. IV (Opp. p. 335. 348). Joh. Ant. 
Vigerini Elogium Vallac bei Georgius Vita Nicolai V. p. 207. 

2) Poggii epist. 57. im Spicileg. Roman. T. X. 

) Sein Brief an Poggio bei Facius de vir. illustr. p. 81. 

) Vallae Antid. in Poggium I. c. p. 385. 


V. Valla. Tortello. | 315 


welche er ſelbſt am meisten verehrt, ihm im höchſten Maße zutheilen, 
wie du und ich etwa den Scharfſinn in allen Dingen, insbeſondere 
aber in der Wiſſenſchaft. — — Göttlich fürwahr iſt in ihm die Schnel⸗ 
ligkeit und die Kraft des Geiſtes. Wie oft hat er nicht mit uns oder 
mit andern Gelehrten, wenn er die Fluth der Geſchäfte abgeſchüttelt, 
über wiſſenſchaftliche Dinge geſprochen! Ich will davon ſchweigen, wie 
er durch Majeſtät und Anmuth der Rede, durch die Fülle der Kennt⸗ 
niſſe hervorleuchtet, wie er in allen Fächern heimiſch iſt, ſowohl in 
den humaniſtiſchen, in der Geſchichte, Grammatik, Rhetorik, Philoſophie, 
Poetik und Metrik, als in den göttlichen, in der Theologie, den Rech⸗ 
ten und jener Wiſſenſchaft, welche die Griechen Metaphyſik nennen. 
Nichts iſt ſo hoch erhaben oder ſo tief verborgen, daß es ihn täuſchte; 
nichts in den Wiſſenſchaften — und das iſt noch wunderbarer — iſt 
ſo kleinlich und peinlich, daß es ihm entginge. Darum wandelt mich 
niemals jo ſehr das Verlangen zu ſchweigen und nur aufzumerken an, 
als wenn ich ihn ſprechen höre.“ 

Valla ſpricht gegen Tortello den Wunſch aus, er möge dem Papſte 
dieſe Dedication nicht zeigen; denn nicht für dieſen ſelbſt, ſondern für 
andre Leſer ſei das Lob beſtimmt. Nur wie die Alten einen Triumph⸗ 
bogen oder eine Säule mit dem Bilde einer Gottheit ſchmückten, ſo 
habe er an die Spitze feines Werkes das Bild Nicolaus’ W ſtellen 
wollen, damit von dieſem Bilde Zier und Majeſtät auf das Werk 
ſelbſt herabſtrahle. Wie ernſtlich jener Wunſch gemeint war, das bezeugt 
im Eingange des Widmungsbriefes ein andrer Wunſch: diefes Buch 
möge in der Bibliothek des Papſtes feinen Platz finden und wenu die⸗ 
ſer es bisweilen aufſchlage, ſo werde das die ſchönſte Frucht des 
Fleißes, die höchſte Belohnung des Verfaſſers ſein.) 

Der genannte Giovanni Tortello, ein Aretiner von Geburt, 
war dem Papſte im Bücherweſen das, was Piers da Noceto in den 
Geſchäften war, der vertraute Diener, der immer zur Hand ſein mußte. 
Schon als apoſtoliſcher Cubicularius ſtand er ganz in der Nähe der 
päpſtlichen Perſon, ebenſoſehr aber als Präfect der päpſtlichen Biblio⸗ 
thek. Jene Stelle hatte er ſchon unter Eugen bekleidet, dieſe konnte 
man unter einem Nicolaus wohl als Hofamt erſten Ranges bezeichnen. 
Er war eine angeſehene Perſon, weil er die Liebhaberei des Papſtes 
verwaltete. Uebrigens war er auch wiſſenſchaftlich ein Mann nach Ni⸗ 


) Dedication der Elegantien an Tortello (Va lla e Opp. p. 1). 


— 


316 V. Tortello. Aurispa. 


colaus' Sinn: ſein Werk über Orthographie war ein herrliches Lexikon 
für Bücherabſchreiber und Textesverbeſſerer. In der That befand ſich 
die Rechtſchreibung der aus dem Griechiſchen abſtammenden Worte in 
der wildeſten Verwirrung. Hier nun konnte, auch wer des Griechiſchen 
nicht kundig war, ſich leicht nach der alphabetiſchen Ordnung zurecht⸗ 
finden und er hatte zugleich eine Encyklopädie, deren hiſtoriſche, mytho⸗ 
logiſche und geographiſche Notizen bequem zur Auslegung der alten 
Schriftſteller dienten.) Dieſes Buch hat Tortello auf den ausprüd- 
lichen Wunſch des Papſtes verfaßt. Im Uebrigen ſcheint er ſtill und 
anſpruchslos nur den ihm anvertrauten Büchern gelebt zu haben.) 
Giovanni Aurispa lernten wir oben als ein Glied des eſten⸗ 
ſiſchen Muſenhofes kennen. Nebenbei führte er den Titel eines apoſto⸗ 
liſchen Secretärs, hat dieſe Stelle vielleicht auch eine Zeit lang ver⸗ 
waltet. Doch müßte das unter Martin V geweſen fein, zu der Zeit, 
als in Rom Valla fein Schüler im Griechiſchen war.“) Als aber 
Nicolaus V den Stuhl Petri beſtieg, war Aurispa bereits ein Greis 
von 78 Jahren, freilich ein rüſtiger Greis, der es zu 91 Jahren ge⸗ 
bracht hat. Was hätte ihn bewegen ſollen, ſein ſicheres Aſyl bei den 
Eſte zu verlaſſen und gegen die römiſche Curie zu vertauſchen? Gewiß 
iſt, daß er im Jahre 1450 in Rom war, daß der Papſt ihn in ſeiner 
Würde als apoſtoliſchen Secretär beſtätigte und überdies mit einigen 
Beneficien beſchenkte.) Daraus folgt indeß noch nicht, daß er ſich an 


m 


) Tortellii Commentariorum grammaticorum de Orthographia dictionum 
e Graecis tractarum Opus. Die Ausgabe, die ich vor mir habe, erſchien Vicen- 
tiae, 1479. 
) Vespasiano: Giov. Tortello. Aeneas Sylvius Europa cap. 58. 
Blondus Italia illustr. p. 309. Sabellicus Ennead X. Lib. IV. p. 687. 


) Vallae Praefat. in Elegant. Lib. II (Opp. p. 42): uni mihi legebat. 


Oeffentlicher Lehrer ſcheint demnach Aurispa in Rom nicht geweſen zu fein. Tira- 
bos chi T. VI. p. 1469 vermuthet, er habe die Zeit von 1436 1450 ganz an der 
Curie zugebracht, weil er ihn als apoſtoliſchen Secretär genannt findet, was indeß 
oft ein bloßer Titel war. Als in Rom lebend wird er während jener Jahre nicht 
erwähnt. Die Schülerſchaft Valla's ſpricht nicht dagegen; denn die enge Verbindung, 
in welcher ihn dieſer a. a. O. mit Bruni nennt, der ſchon 1427 nach Florenz über⸗ 
ſiedelte, zeigt doch, daß hier von einer viel früheren Zeit die Rede iſt. Wohl im 
Herbſte 1427 wurde Aurispa nach Ferrara berufen. Von hier aus folgte er dem 
Griechenunionsconcil nach Florenz, ging aber nach Beendigung des Concils ſicher 
nach Ferrara zurück und hatte hier ſein Domicil bis zu ſeinem Tode. 

) Filelfo ſagt in einem Briefe an Aurispa v. 26. Novemb. 1450: fecit me 
certiorem, te modo e Romana curia Ferrariam revertisse. 


a ů —— — 


V. Decembrio. Filelfo. 317 


der Curie heimiſch machte. Er kam wohl nur, wie ſo viele andre, um 
der päpſtlichen Gnade und Freigebigkeit zu genießen. Vielleicht auch betrieb 
er an der Curie nur ein Geſchäft: er war einſt zum Prieſter geweiht 
und ſogar zum Pfarrer deſignirt worden, hatte aber von einer Magd 
einen Sohn und zwei Töchter, die er legitimirt wünſchte. Dieſe Bitte 
hat ihm Nicolaus, in ſolchen Dingen ſehr nachſichtig, auch erfüllt.“) 
Uebrigens war Aurispa nicht der Mann für den Papſt: ſein Verdienſt 
und ſein Ruf ruhten auf ſeiner Lehrthätigkeit, er war kein Ueberſetzer 
und wir hören auch nicht, daß Nicolaus ihm, wie er pflegte, einen 
griechiſchen Autor zu dieſem Zwecke zuwies. 

Dagegen wurde Pier-Candido Decembrio entſchieden ein 
Mitglied der Curie. Er hatte, wie wir oben ſahen, zu Mailand dem 
letzten Visconti in erträglicher Stellung gedient, die ihm nur durch 
Filelfo's Feindſchaft verbittert wurde. Dann aber that er ſich als 
hitziger Republicaner hervor und ſah ſich in der Folge genöthigt, den 
neuen ſforzeschiſchen Hof zu meiden. Nicolaus V nahm ihn freund⸗ 
lich auf, gab ihm ein Secretariat, dann die Oberaufſicht über die Ab⸗ 
breviatoren und beſchäftigte ihn mit Ueberſetzungen, obwohl Decembrio 
in keiner Weiſe zu den hohen Talenten zählte.“) 

Aber auch in Rom traf Decembrio das Schickſal, den ihm ver- 
haßten Filelfo wiederſehen zu müſſen. Dieſer hatte den Papſt gleich 
Poggio ſchon im Hauſe Albergati's gekaunt und ihm, wie jedem Men⸗ 
ſchen, der ihm mittelbar oder möglicherweiſe in der Zukunft ein⸗ 
mal nützlich ſein konnte, einige Artigkeiten geſagt. Als Parentucelli 
das beſcheidene Glück hatte, zum apoſtoliſchen Subdiakonus mit 300 
Ducaten Sold ernannt zu werden, ſah Filelfo in ihm ſchon einen 
Günſtling des Papſtes, der leicht zu einer angeſeheneren Stellung ge- 
langen könnte, ſchon da bat er ihn, in dieſem Falle der Freundſchaft 
nicht zu vergeſſen.) Wir wiſſen, wie nach wenigen Jahren Parentu⸗ 
celli Biſchof und Cardinal wurde, und dennoch leſen wir keine Gratu⸗ 
lationsbriefe Filelfo's an ihn. Die Verbindung war abgebrochen. Nach 
dem Grunde dürfen wir nicht weit ſuchen, wenn wir uns erinnern, daß 
jener damals mit der Curie in Florenz weilte, Filelfo aber im floren⸗ 


) Tiraboschi T. VI. p. 1479. 1457. 
) Vergl. ſ. Briefwechjel mit Franc. Barbaro in deſſen Epistt. 226. 227 ed. 
Quirino. 


) Vergl. |. Briefe an Thomas von Bologna v. 6. und 9. Octob. 1440. 


318 V. Nicolaus V und Filelfo. 


tiniſchen Kreiſe das ſchlechteſte Andenken hinterlaſſen hatte und durch 
ſeine Satiren fortwährend auffriſchte. Der Freund Niccoli's und Tra⸗ 
verſari's konnte die Schmähungen, die Filelfo auf dieſe gehäuft, ſo 
leicht nicht vergeſſen. Erſt als er den Stuhl Petri beſtiegen, wagte 
ſich ihm Filelfo mit einem Gratulationsſchreiben zu nähern. Er berief 
ſich nun auf ihre Freundſchaft von damals, als er ſelbſt vor etwa 
zwanzig Jahren in Bologna gelehrt und Parentucelli, mit ihm etwa 
gleichalterig, ebendaſelbſt ſtudirt hatte. Ob deshalb der Umgang zwi⸗ 
ſchen dem gefeierten Profeſſor der Rhetorik und dem blutarmen Theo⸗ 
logen ſehr innig geweſen? Er wies den Papſt ferner an ſein eigenes 
Herz, ob nicht ſeitdem die Liebe zu ihm, dem Filelfo, darin fortwäh⸗ 
rend gewachſen ſei; er verſicherte ſeinerſeits, daß ſein Vertrauen und 
ſeine Verehrung gegen Parentucelli täglich in unglaublichem Maße ge⸗ 
ſtiegen ſeien. Auch des frommen Albergati ward gedacht, dem Parentu⸗ 
celli wie ein Sohn geweſen und der den Filelfo zu ſeinen Theuren 
gezählt.) Es erfolgte auf dieſen Brief ſogleich ein Anerbieten des 
Papſtes: Filelfo möge nach Rom kommen und dort auf eine Stelle 
an der Curie und auf alle Gunſt rechnen. Ein Secretariat aber, für 
welches Andre ſich als für ein ſchönes Geſchenk bedankten, war für 
Filelfo's hohen Sinn allzu armſelig, er traͤumte bereits von ganz an⸗ 
dern Dingen. N 

In dieſer Zeit nämlich ging Filelfo ein ſonderbarer Gedanke, der 
ihn ſchon früher einmal heimgeſucht, von Neuem durch den Kopf. 
Schon als ſeine erſte Gemahlin Theodora, die Tochter des Byzanti⸗ 
ners Joannes Chryſoloras, geſtorben war, hatte er ſich überlegt, ob 
er nicht die Plagen und Eitelkeiten dieſer Welt von ſich werfen und 
in den geiſtlichen Stand treten ſolle. Er trug ſein Verlangen Papſt 
Eugen mit der Bitte vor, ihn „ſeiner Heerde anzuſchließen“. Damals 
hätte er auch ohne den Papſt ſeinem Drange Genüge thun können, wir 
ſehen aber wohl, daß er ſeine glänzende weltliche Stellung doch nur 
gegen eine nicht minder glänzende geiſtliche zu vertauſchen wünſchte. 
Eugen gab ihm keine Antwort, der Plan des Dichters erſchien ihm 
wohl ganz unſinnig und albern. Filelfo ließ ihn gleichfalls fahren 
und heirathete Orſina Osnaga, eine edle Mailänderin, die ihm im 
Laufe der Jahre, zu ſeiner ſchon anſehnlichen Schaar von Kindern der 


1) Filelfo's Brief an Papſt Nicolaus vom 8. April 1447. Am 6. März war 
Nicolaus' Erhebung aus dem Conclave verkündet worden. 


v. Nicolaus V und Filelfo. 319 


erſten Ehe und von unehelichen, noch drei Mädchen uud einen Sohn 
ſchenkte. 1 

Nun wollte es das Unglück, daß gerade zu der Zeit, als in Mailand 
die republicaniſchen Parteien am wildeſten tobten und alle Staatsord⸗ 
nung über den Haufen zu werfen drohten, auch jene Orſina ſterben 
mußte. Wiederum wandelte den verwittweten Dichter der fromme Ge— 
danke an. Jetzt aber war der Fall nicht mehr ſo einfach; eine zwei⸗ 
malige Ehe iſt nach dem kanoniſchen Recht ein Hinderniß der Weihe, 
welches nur eine apoſtoliſche Dispenſation wegräumen kann. Um eine 
ſolche bat Filelfo den Papſt Nicolaus, dem es eher zuzutrauen ſchien 
als feinem Vorgänger, daß er einem fo gefeierten Gelehrten die Wür- 
den der Kirche öffnete. Es dürfte unerhört ſein, daß eine Supplication 
der Art in Hexametern an den Papſt gebracht worden iſt: Filelfo reihte 
die beiden Gedichte, in denen er um Beſeitigung jener Irregularität 
bat, feinen Satiren an), in deren erſten Büchern wir die ſchandhafte⸗ 
ſten Ausfälle gegen ſeine Feinde, gegen Coſimo de' Medici, Niccoli, 
Poggio und andre leſen. Er verſicherte nun, daß ſeit feinen Knaben— 
jahren immer eine heftige Gluth ihn getrieben, der eitlen Welt zu ent— 
ſagen und ſich ganz Chriſto zu weihen, den er beiläufig als Lenker des 
Olympos bezeichnet. Dann werde feine Muſe, die bisher nur in dun— 
keln Thälern getändelt, von den höchſten Höhen herab ihre Stimme 
erſchallen laſſen und Nicolaus Mund den apoſtoliſchen Thron lobprei⸗ 
fen. Die Stacheln des Fleiſches habe er mit keuſcher Sorge durch 
Faſten gebändigt und das Alter habe ſie jetzt vollends von ihm genom⸗ 
men. Er wolle dem apoſtoliſchen Stuhle treu und gehorſam in jeden 
Kampf und Tod gehen, den man ihm anweiſen werde. Auch werde 
der Name Filelfo's den kommenden Geſchlechtern kein geringes Beiſpiel 
und Vorbild zur Ehre des Glaubens ſein. 

Wir haben von Filelfo in Florenz und in Mailand ſchon manche 
Aeußerung gehört, die ſein hohes Selbſtbewußtſein verkündet. Aber 
ſeinen kühnſten Gedanken deutet er doch in dieſen Satiren an. Er 
hatte ſich wahrhaftig in den Kopf geſetzt, der Papſt könne ihn zu nichts 
Geringerem als zum Cardinal machen, und dann ſtand ihm der Weg 


) Es find Satyr. Dec. IX, hec. 8. und Dec. X. hec. 4, beide an den Papft 
gerichtet. Die Zeit ſchließe ich aus der Reihenfolge der Satiren. Der äußerſte Ter⸗ 
min wird durch die Notiz beſtimmt, die ſich auch in den Drucken am Schluſſe der 
Satiren findet, Filelfo habe am 1. Decemb. 1448 die letzte Hand an ſie gelegt. 


390 V. Nicolaus V und Filelfo. 


zum apoſtoliſchen Thron offen, dann war für ihn und ſeine Kinder 
geſorgt. Wir dürfen nur die Zumuthungen, die er Nicolaus vorlegt, 
zuſammenhalten und ein wenig den Filelfo kennen, um aus ihnen den 
Purpurgedanken herauszuleſen. Als gemeinen Soldaten, ſagt er, werde 
ihn der Papſt nicht in die Reihen der Kirche ſtellen wollen. Was 
könne er da nützen? Gehorchen habe er längſt gelernt; die Leſung der 
heiligen Schrift und der edelſten Lehrer der Kirche in lateiniſcher und 
griechiſcher Sprache habe ihn in die Tiefen des Glaubens eingeweiht. 
Darum möge ihm der Papſt nur (damit Filelfo ſich darnach zu ent⸗ 
ſchließen wiſſe) den beſtimmten Rang bezeichnen, den er ihm anzu⸗ 
weiſen gedenke. Er wolle gern immer und täglich mit ihm vereinigt 
fein. ') | j 5 

Wahrſcheinlich hat Nicolaus über den humaniſtiſchen Cardinal mit 
den vielen Kindern gelacht und ihn keiner Antwort gewürdigt. Filelfo 
wartete vergebens, wurde ungeduldig, ſchlug ſich den rothen Hut aus 
dem Sinn und nahm eine dritte Gattin. 

Im Jahre 1453 gelang es Filelfo nicht ohne Mühe, ſich von ſei⸗ 
nem Herrn, dem mailändiſchen Herzog, einen Urlaub auszumitteln: er 
wollte den Band ſeiner Satiren, der jetzt in ſeiner Abrundung 10,000 
Verſe umfaßte, dem Könige Alfonſo von Neapel überreichen. Vor ſei⸗ 
ner Abreiſe erhob er von den mailändiſchen Freunden die Unfterblich- 
keitsſteuer, um ſich auszurüſten, dann ſammelte er ſie von den Fürſten 
ein, durch deren Gebiet er ritt und deren Reſidenzen er mit ſeinem 
Beſuche beehrte. Am 18. Juli, bald nach der Mittagszeit, traf er er⸗ 
müdet in Rom ein. Noch hatte er nie die Weltſtadt geſehen, dennoch 
widmete er ihr nur wenige Blicke und gedachte gleich in der Frühe des 
nächſten Morgens gen Neapel weiterzureiſen. Ohne Zweifel verſah er 
ſich vom Papſte nichts Gutes. Aber ſeine Ankunft war doch ſchon 
ruchbar geworden. Am Morgen, als er eben fein Pferd beſteigen wollte, 
kam Flavio Biondo, ihn zu begrüßen, er konnte ſich nicht genug wun⸗ 


) At postquam sanctae statuis me, maxime Praesul, 
Scribere militiae, scribas, precor, ordine certo. 
Nam quod grande potest obiisse gregarius ullum 
Miles opus, qui dicta modo imperiumque capessat? 
Da, Pater, ut toto tibi pectore jungar et om ne 
Tecum tempus agam. 
Schon Eugen IV hatte er gebeten: jungat gregi suo per florea prata. 


V. Nicolaus V und Filelfo. 321 


dern, daß Filelfo darauf beſtand, erſt auf der Rückreiſe ſich dem Papſte 
vorzuſtellen. Nicolaus hatte fchon am Abend vorher viel und gnädig 
von Filelfo geſprochen, ihn ſeinen alten Freund genannt. Dennoch 
traute Filelfo nicht. Erſt als Piero da Noceto kam und ihn ſcher⸗ 
zend am Arm davonführte, ließ er ſich williger vor Seine Heiligkeit 
führen. 

Nicolaus war in ſeiner beſten Laune. Was Filelfo ſeinen floren⸗ 
tiniſchen Freunden angethan, was er ihm ſelbſt für wunderliche Anträge 
gemacht, Alles vergaß er. Der Dichter hätte ſich keinen ehrenvolleren 
und freundlicheren Empfang wünſchen können. „Ei Meſſer Francesco, 
redete ihn der Papſt an, Wir haben Uns über Euch gewundert, daß 
Ihr hier in Rom ſeid und Uns nicht beſucht habt!“ Filelfo entſchul⸗ 
digte ſich, er habe ſeine Rückreiſe dazu benutzen wollen. Der Papſt 
aber fragte ſogleich nach ſeinen Arbeiten und als er von dem ſtarken 
Bande der Satiren hörte, wollte er ſie durchaus erſt leſen. Neun 
Tage lang mußte Filelfo in Rom verweilen, während ſich der Ober- 
hirt aller Gläubigen mit Behagen in die literariſchen Schandgeſchichten 
vertiefte.) Als der Papſt ihm das Buch zurückgab, überhäufte er ihn 
mit Lob, ſprach lange über die Zeit, wo ſie ſich zuerſt kennen gelernt, 
über ihre beiderſeitigen Schickſale und warf ihm dann mit milden Wor⸗ 
ten vor, warum er nicht eine Stelle an der Curie angenommen habe, 
die er ihm doch gleich nach ſeiner Stuhlbeſteigung anbieten laſſen. Als 
Filelfo einwendete, er ſei dem Herzoge von Mailand zu großer Dank⸗ 
barkeit verpflichtet, machte ihm der Papſt ſofort einen neuen Antrag: 
er hoffe ihn von dem befreundeten Fürſten als ein Geſchenk loszubitten, 
dann wolle er ihm das Amt eines apoſtoliſchen Schreibers ſchenken 
und 600 Ducaten jährlichen Soldes zuweiſen, wofür Filelfo nur die 
Verpflichtung übernehmen möge, in ſeinen Mußeſtunden irgend ein 
ſchönes Werk aus dem Griechiſchen zu überſetzen. Vom rothen Hut 
konnte natürlich keine Rede mehr ſein. Beim Abſchied aber drückte der 
Papſt dem überraſchten Dichter einen Beutel mit 500 Ducaten in die 
Hand: „Da, Meſſer Francesco, dies Geld will ich Euch geben, damit 
Ihr auf der Reife davon leben könnt!“ Filelfo bedankte ſich tauſend⸗ 
mal, der Papſt indeß fügte zu jenem Pfande der erneuten Freundſchaft 


— — — — 


) Filelfo's Brief an Niccolo d'Arzimboldi, den mailändiſchen Rath, d. Rom 
25. Juli 1453. Ves pasiano: Nicola V Papa $ 27, F. Filelfo 5 3. 


Voigt, Humanismus. 21 


322 V. Nicolaus V und Filelfo. 


noch hinzu, in drei Jahren gedenke er ſo für ihn zu ſorgen, daß weder 
er noch feine Nachkommen jemals Noth leiden ſollten.) 

Die Ernennung zum apoſtoliſchen Secretär erfolgte ſchon am 
1. September 1453. Der Plan aber, den Seine Heiligkeit noch im 
Buſen zurückbehielt, und über dem er dann geſtorben iſt, war eine 
glänzende Anwerbung Filelfo's zum Ueberſetzen der homeriſchen Ge⸗ 
ſänge, über welche wir ſpäter noch das Nähere mittheilen werden. 

Welches Aufſehen es unter den Literaten Rom's machte, daß der 
Papſt dem verhaßten Filelfo ſolche Gunſt erwieſen! Die 500 Ducaten 
gingen von Munde zu Munde, dazu die Ertheilung des Secretariates. 
Decembrio, der alte Nebenbuhler, brannte vor Neid, Poggio vor Aer⸗ 
ger.) Der glückliche Dichter aber, der ſich das Wohlwollen des frei⸗ 
gebigſten Mäcen ſo leicht auf der Durchreiſe erworben, war nun auch 
befliſſen, es ſich zu erhalten. Nach Mailand zurückgekehrt, ſchickte er 
dem Papſte zunächſt ſeine Ueberſetzung der lakoniſchen Apophthegmen 
Plutarchs mit einer Dedication voll wohlberechneter Schmeicheleien. 
„Alle tüchtigen Männer kommen zu dir. Was ſich immer durch 
Geiſt, Beredtſamkeit oder in irgend einer der eleganten Künſte aus⸗ 
zeichnet, ſtrömt zu dir. Du aber als ein Mann von großartigem und 
freigebigem Sinne vernachläſſigeſt keinen, du nimmſt alle gern auf, du 
zeigſt dich gegen alle höchſt freigebig. —. — Du nützeſt allen ſowohl 
durch das Vorbild deines Lebens als durch deine Großartigkeit im 
Schenken.“) Dann fing Filelfo gar an, ein Leben des Papſtes zu 
ſchreiben, und überſandte dieſem das erſte Buch. Zwar iſt uns dieſe 
Schrift nicht durch den Druck zugänglich geworden, aber wir kennen 
hinreichend den marktſchreieriſchen Ton, den Filelfo in ſolchen Fällen 
bis zum Unſinn zu ſteigern pflegt. Seine Feinde verſicherten ſpäter, 
der Papſt habe das Buch ſo albern gefunden, daß er es vor den Augen 
des Verfaſſers dem Feuer übergab, ihm verächtlich den Lohn hinwarf 
und verbot, weiter daran zu ſchreiben.) Das iſt nun zwar handgreif⸗ 


) Philelf i epist. XXVI, 1. an Lodriſio Crivelli. Ves pas iano II. cc. 

2) Vergl. den Brief des Pier⸗Candido (Decembrio) an Poggio v. 11. Auguſt 
1453 und Poggio's Antwort bei Ros mini l. c. T. III. p. 150, ferner Po ggii 
epist. 57. an Piero da Noceto im Spicileg. Roman. T. X. 

) Dieſe Praefatio iſt den Ausgaben der Reden Filelfo's beigefügt. 

)Es iſt dies eine Invectiven⸗Nachricht, die wir im Briefe des Goro Lolli 
an den Cardinal von Pavia leſen und zwar in den Werken des letzteren, die mit 
Pii II Comment. etc. Francofurti, 1614 gedruckt find, p. 493. Vergl. File lfo's 
Brief an Crivelli a. a. O. 


V. Der Hellenismus. 328 


lich erlogen, da Filelfo das Werk erſt nach feiner Rückkehr und in 
Mailand ſchrieb, den Papſt aber ſeitdem nicht wiederſah. Indeß glau⸗ 
ben wir, daß Nicolaus ſtatt der plumpen filelfiſchen Schmeicheleien 
lieber eine Ueberſetzung gehabt hätte. Wenn Filelfo zu jenem erſten 
Buche das zweite nicht ſchrieb, ſo lag der Grund offenbar im Tode des 
Papſtes, der in Filelfo's Buſen das ſtürmiſche Gefühl der Dankbarkeit 
ſchnell erkalten machte.) Doch iſt ihm Nicolaus V immer das Ideal 


eines Papſtes geweſen und vieren feiner apoſtoliſchen Nachfolger nal er 
es als Muſter en, 


Haben wir nun aus der Schaar der italieniſchen Gelehrten, die 
der Hof Nicolaus’ V verſammelte, nur die berühmteren Namen her⸗ 
vorgehoben, ſo wird das noch nothwendiger ſein, wenn wir von den 
Griechen ſprechen, die hier ein Aſyl fanden. Doch iſt zuvor ein Ver⸗ 
ſäumtes nachzuholen. Wir haben bisher nur beiläufig Gelegenheit ge⸗ 
funden, der helleniſchen Literatur zu gedenken, wie auch ſie aus 
ihrem Schlummer erweckt und von Neuem den Geiſtern zugeführt 
wurde. Der Einfluß, den die neuentdeckte Griechenwelt während des 
erſten Jahrhunderts, alſo etwa von der Zeit Petrarca's bis zu der 
Nicolaus’ V, auf das Abendland übte, iſt auch gar zu gering. Nur 
ſchwach und aus der Ferne begann der helleniſche Geiſt auf den latei⸗ 
niſch⸗humaniſtiſchen zu wirken, mühſam mußte hier jeder Schritt der 
Kenntniß und Erkenntniß errungen werden, weil das Medium, welches 
zur Vermittelung berufen war, ein ſo mattes und trübes, weil die By⸗ 
zantinerwelt eine ſo entgeiſterte und abgelebte war. Es würde uns auf 
ein entlegenes Gebiet führen, wollten wir das an den einzelnen Glie⸗ 
dern jenes alternden Organismus nachweiſen, ſo mögen uns denn die 
literariſchen Repräſentanten deſſelben, die ſich im Abendlande ſehen lie- 
ßen, als beweiſende Beiſpiele dienen. 

Die Kenntniß der griechiſchen Sprache iſt in Italien zu keiner 
Zeit völlig ausgeſtorben geweſen, gleichwie ſich immer einer fand, der 
Cicero und Livius las oder der Hebräiſch verſtand. Hier aber kaun 


) Vergl. zwei Briefe Filelfo's an Blaſio Ghilini aus den Jahren 1462 
und 1464 in Domin. Georgii Vita Nicolai V. Praefat. p. XIX. 


21 * 


324 V. Der Hellenismus. 


es nicht darauf ankommen, von den in Unteritalien hauſenden Griechen, 
von den Ueberſetzungen des Ariſtoteles und Galenos, die das Bedürf⸗ 
niß der Schulen, oder einzelner Werke des h. Chryſoſtomos und Ma⸗ 
karios, die das Bedürfniß der Kirche erzeugte, oder von einzelnen Ken⸗ 
nern der griechiſchen Grammatik zu reden.) Unſer Intereſſe beginnt 
erſt da, wo die Begeiſterung für die Werke der griechiſchen Literatur 
wenigſtens dunkel aufſteigt, wo ſehnſüchtige Geiſter eine Ahnung von 
ihrer Würde empfinden. Das aber iſt erſt geſchehen, ſeitdem Italien 
die neue Pflegeſtätte auch des Hellenismus wurde. 

Barlaam und Leontius Pilatus, fo lieſt man wohl in alten Bü⸗ 
chern, waren die erſten Griechen, welche nach Jahrhunderten wieder die 
griechiſche Sprache im Abendlande lehrten, Petrarca und Boccaccio ihre 
Schüler. Wir prüfen das Verhältniß dieſer Männer zu einander, es 
iſt gleichſam ein vorbildliches. Wie damals, ſo ſtellte es ſich in der 
ganzen Entwickelung heraus, daß der neuerſtandene Hellenismus dem 
griechiſchen Volksſtamme nicht mehr verdankt als der kräftige, ſtattliche 
Baum dem fauligen Stoffe, der einſt zu ſeiner Ernährung beigetragen. 

Auch iſt es ein vielverbreiteter Irrthum, als habe ſich in Calabrien 
mit dem griechiſchen Blute und mit den Reſten des griechiſchen Cultus 
noch ſo viel Kenntniß der griechiſchen Sprache erhalten, daß von hier 
die Neubelebung der helleniſchen Literatur hätte ausgehen können. Bar⸗ 
laamo und Pilato hatten ihre Weisheit zuverläſſig aus Byzanz geholt 
und die griechiſche Sprache erſt auf griechiſchem Boden gelernt. 

Barlaamo nämlich wie Pilato waren keine Griechen, nur Schwind⸗ 
ler, die ſich gern für Griechen ausgaben. Jener ſtammte gewiß aus 
dem calabriſchen Seminara und auch dieſen bezeichnet Petrarca als 
einen Calabrefen”), obwohl Boccaccio ſich von ihm einreden ließ, er 
ſei in Theſſalonike geboren.) Wie dieſe Menſchen ihr Vaterland ver⸗ 
leugneten, ſo zeigt auch der bloße Umriß ihres Lebens und die Miß⸗ 
achtung derer, die als ihre Schüler von vornherein eher zur . 
rung geneigt hätten, welche elenden Charaktere ſie waren. 


) Darüber mag im Allgemeinen auf Tiraboschi T. V. p. 674 verwieſen 
werden. Auch findet man eine brauchbare Ueberſicht (Della letteratura greca in 
Italia etc.) bei Baldelli Vita di Giov. Boccacci. IIlustraz. I. p. 221 e seg. 

) Epist. rer. senil. III, 6 (Opp. p. 857) an Boccaccio v. 1. März (1364). 

) Geneal. Deor. XV, 6. Es könnte leicht fein, daß Boccaccio von einem 
Theſſalier ſprechen will; denn auch Petrarca jagt, er habe ſich für einen Thessalus 
ausgegeben. ö 


v. Barlaamo und Petrarca. 325 


Der Name Barlaamo's würde ohne ſeine flüchtige Berührung 
mit Petrarca kaum der Erwähnung werth ſein. Um Glück und Ehre 
zu ſuchen, als ein Abenteurer, ſicher aber nicht in der Abſicht, die 
griechiſche Sprache zu lernen, trat er noch jung in den Orden des h. 
Baſilius, ging nach Konſtantinopel und machte ſich hier auf einem 
theologiſchen Lehrſtuhl breit. Zu den Unterhandlungen gezogen, die 
Kaiſer Andronikos 1339 mit Papſt Johannes XXII über die Reunion 
der griechiſchen Kirche mit der lateiniſchen anknüpfte, um gegen den 
drohenden Türkenſturm eine Hülfe zu finden, trat Barlaamo als ge⸗ 
lehrter Vertheidiger der griechiſchen Dogmen gegen die lateiniſchen Ge⸗ 
ſandten auf. Dann zankte er, ſich Jahre lang mit den Mönchen vom 
Athos über die große Streitfrage der byzantiniſchen Theologenwelt, 
über das Licht vom Thabor, ob es ein göttliches oder nur ein gottge⸗ 
ſchaffenes geweſen, machte aber durch dieſe Parteinahme ſeinen ferneren 
Aufenthalt in Konſtantinopel unmöglich. Nun verſuchte er ſein weiteres 
Glück in Italien, ausgerüſtet mit Zeugniſſen des Kaiſers und andrer 
griechiſcher Fürſten über ſeine Gelehrſamkeit, Zeugniſſen, die uns wenig 
bedeuten würden, wollten wir ſie auch für echt halten. Um ſich zum 
Biſchofe zu eignen, widerrief er ſeine griechiſchen Ketzereien und ſchrieb 
ſogar gelehrte Werke zur Vertheidigung der lateiniſchen Kirche gegen 
ſeine angeblichen Landsleute, das erſte, dann oft genug wiederholte Bei⸗ 
ſpiel einer verächtlichen Apoſtaſie.) So traf er 1342 in Avignon mit 
Petrarca zuſammen. An Barlaamo's theologiſchem Kram, an ſeinen 
mathematiſchen und philoſophiſchen Schuldisciplinen konnte dem begei⸗ 
ſterten Jünger des Alterthums nichts liegen, der aufgeblaſene Halb⸗ 
grieche war ihm zuwider. Er wollte Griechiſch von ihm lernen, der 
Lehrer aber konnte es nicht dahin bringen, ſich in der lateiniſchen 
Sprache mit erträglicher Leichtigkeit auszudrücken. Dennoch hätte Petrar⸗ 
ca's Feuereifer dieſe Hemmniſſe wohl überwunden, wenn nicht, nachdem 
er kaum die Elemente gelernt, der Lehrer geſtorben wäre.) Wahrlich 
nicht dieſer, Petrarca ſelbſt mit ſeiner tiefen Sehnſucht nach der Sprache 
Homers war unter den Neueren der erſte Freund des ehrwürdigſten 


1) Tiraboschi T. V. p. 681. 687. 

2) S. oben S. 29. Petrarca de contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 390). 
Auch in einem ungedruckten Briefe an Boccaccio bedauert er 1361, daß er nicht 
mehr gelernt und nur ein elementarius Grajus geblieben. Tirabos chi l. e 
p. 696. 


326 v. Pilato und Boeeaccio. 


Sängers, der eigentliche Wiedererwecker der griechiſchen Literatur über⸗ 
haupt. 

Boccaccio, durch ſeinen großen Freund angeregt und fortwährend 
geſpornt, war im Erlernen des Griechiſchen ein wenig glücklicher. Wohl 
ſchon zu Neapel hatte er ſich die Elemente dieſer Sprache angeeignet. 
Dann kam Leonzio Pilato, der nach ſeiner eigenen Ausſage ein 
Schüler Barlaamo's war, 1360 nach Venedig, um gen Avignon zur 
päpſtlichen Curie weiterzureiſen. Boccaccio wußte ihn nach Florenz zu 
ziehen, beherbergte ihn hier in ſeinem eigenen Hauſe und ſetzte es mit 
vieler Mühe durch, daß Pilato unter die Doctoren der Hochſchule auf⸗ 
genommen und mit einem Staatsſold als Lehrer der griechiſchen Sprache 
und insbeſondre als Erklärer Homers angeſtellt wurde. Boccaccio war 
nun, wie er mit einem ihm ſonſt nicht geläufigen Stolze ſagt, der Erſte 
unter den Italienern, dem privatim die Iliade erklärt wurde, der 
nun aus dem Quell ſchöpfen konnte ſtatt aus dem Bache, der ſeine 
Werke mit Citaten aus einem griechiſchen Autor zu ſchmücken wußte, 
der erſte Begründer eines öffentlichen Lehrſtuhls für griechiſche Sprache, 
der erſte Gaſtfreund der griechiſchen Muſe in Italien. Er verſchaffte 
ſich ein Exemplar der homeriſchen Geſänge und gab ſich ihnen drei 
Jahre lang mit dem ängſtlichen Fleiße des Schülers und doch mit 
wahrhafter Andacht hin. Sorgſam ſchrieb er ſich alle die Notizen auf, 
die aus dem Munde des griechiſchen Lehrers floſſen.). Von welcher Art 
ſie waren und mit welcher Dreiſtigkeit der unwiſſende Grieche die Wiß⸗ 
begierde des Schülers befriedigte, ſehen wir aus den Albernheiten in 
Boccaccio's Mythologie, als deren Autorität eben Pilato angeführt 
wird. Fragte der Schüler zum Beiſpiel, woher der Name des Achil⸗ 
lens komme, fo erwiederte ihm der weiſe Grieche: von -u ns, fo 
daß Achilleus einen bedeute, der ohne Futter aufgewachſen iſt. 

Der Pfſeudo⸗Grieche hatte in Florenz nicht lange Ruhe, er ging 
nach Venedig, wo er mit Petrarca zuſammentraf, und dann nach Kon⸗ 
ſtantinopel zurück. Petrarca wollte es mit ihm verſuchen, aber es ge⸗ 
hörte Boccaccio's Geduld dazu, um die widerhaarige Perſönlichkeit zu 
ertragen. Den reizbaren Petrarca ärgerte es ſchon, daß ſich der Ca⸗ 
labreſe für einen Theſſaler ausgab, „als ſei es edler, ein Grieche zu 
ſein als ein Italiener.“ In Griechenland, meinte er, wird ſich dieſer 
Menſch wohl als Italiener gebärden. Auch hörte man ſpäter ee 
— | 


\ 
! 


) Boccatii de Geneal, Deor. XV, 6. 7. 


V. Pilato. N 327 


daß Pilato, der in Italien, um den echten Griechen vorzuſtellen, weid⸗ 
lich auf das Abendland und auf die Lateiner geſchimpft!), in Konſtan⸗ 
tinopel auf dieſe Stadt leszog und Italien als ein Paradis rühmte. 
Petrarca ſchildert ihn als einen mürriſchen, trübſinnigen Cyniker mit 
wildem Haar und unreinlichem Bart. Dieſer Leo, ſagt er wortſpielend, 
iſt doch wirklich in jeder Hinſicht ein großes Vieh.) 

Wir müſſen immerhin von dieſer Schilderung einen Theil auf 
Petrarca's üble Laune rechnen, weil Pilato bei dem Erlernen der la⸗ 
teiniſchen Sprache einen harten Kopf und für die römiſche Literatur 
lein Intereſſe zeigte, weil höchſtens die Scherze des Terentius ihm ein 
plumpes Lächeln abnöthigten. Er hatte doch unter Boccaccio's milde⸗ 
rer Anregung eine nützliche, wenn auch wahrlich nicht geiſtvolle Thätig⸗ 
keit entfaltet. Damals überſetzte er in Florenz den ganzen Homer. 
Zwar gab es ſchon früher einen lateiniſchen Homer, deſſen Verfaſſer 
wir nicht kennen und den man damals tollerweiſe einem Pindar von 
Theben zuſchrieb, aber er wollte den Bewunderern nicht genügen. Die 
Uebertragung Pilato's war ſchülerhaft wörtlich und offenbar auf Ler⸗ 
nende berechnet; ſie zeigt aber doch, wie elend er im lateiniſchen Aus⸗ 
drucke ſtümperte.) Boccaccio ſchrieb fie ſich mit eigener Hand ab und 
Petrarca, der zu ſeinem griechiſchen Homer auch einen lateiniſchen zu 
beſitzen wünſchte, borgte das Exemplar vom Freunde, um für ſich eine 
Copie nehmen zu laſſen.) Jener las den griechiſchen Homer mit 


) Wahrſcheinlich war er es, der in Petrarca's Gegenwart die Meſſe hörte und 
verächtlich ſagte: ich kann dieſe Poſſen der Lateiner nicht ausſtehen! Petrarca epist. 
rer senil. VII. 1 (Opp. p. 912.) N 

) Petrarca an Boccaccio v. 1. März (1364) a. a. O. cf. epist. rer. senil. 
V, 4 (Opp. p. 886). Aehnlich ſchildert ihn Boccaccio a. a. O. cap. 6. 

) Zur Probe mag aus dem Wenigen, was Mehus Vita Ambr. Travers. 
p. 273. und Baldelli vita di Giov. Boccacei p. 264 mittheilen, der Anfang der 
Iliade dienen: 

Iram cane Dea Pelidae Achillis 
Corruptibilem, quae innumerabiles Graecis dolores posuit. 
Multas autem robustas animas Inferno antea misit 
Heroum: Ipsorum autem cadavera ordinavit canibus 
Avibusque omnibus. Jovis autem perficiebatur consilium, 
Ex quo jam primitus separatim litigaverunt 

Atridesque Rex Virorum et Divus Achilles. 

) Petrarca epist. rer. senil. III, 6. V, 1. VI, 1. 2 (Opp. p. 857. 876. 
892. 893). Wenn in dieſen Briefen nur von der Ilias und einem Theile der 
Odyſſee in Pilato's Ueberſetzung die Rede iſt, jo hat Hodius de Graecis illustr. 


398 V. Der Hellenismus zur Zeit Petrarca’s. 


Hülfe des lateiniſchen und auch dann noch mit kämpfender Anſtrengung, 
Petrarca allein in dieſer erbärmlichen Ueberſetzung. Schon daraus iſt 
erklärlich, daß ſie die Schönheit des Dichters mehr auf Treue und 
Glauben Cicero's hinnehmen mußten als wirklich empfinden konnten. 
Als greifbares Reſultat ſtellt ſich uns nicht viel mehr heraus als der 
Zuwachs von mythologiſchen und antiquariſchen Kenntniſſen. Aber ein 
Reſultat iſt auch die geſteigerte Anregung, der begehrende Drang nach 
der Literatur und Kunſt der Hellenen. Wenn Petrarca einen ſeiner 
ſehnſüchtigen Briefe an Homeros richtete, wenn er ſich durch Pilato 
und Sigeros um die Werke des Heſiodos, Sophokles und Euripides 
bemühte, wenn Boccaccio den kühnen Plan faßte, auch Werke Platon’s, 
die Petrarca ſich zu verſchaffen gewußt, ins Lateiniſche zu überſetzen !), 
ſo iſt zwar aus dem Allen keine unmittelbare Frucht erwachſen, aber 
doch ein fruchtbarer Same in den Schooß der Zukunft geſtreut. 
Petrarca rechnete in dem an Homeros gerichteten Briefe vom Jahre 
1360, wie viele Freunde der Dichter wohl damals in Italien haben 
mochte: es waren drei, höchſtens fünf in Florenz, zwei in Verona, einer 
in Bologna, der Mutter der Studien, in Mantua vielleicht einer, in 
Rom kein einziger!) Zu den »Freunden“ rechnet er dabei auch ſolche 
Verehrer, die vom Griechiſchen ſo wenig verſtanden wie er ſelber. 
Ja es ging mit den griechiſchen Studien nur langſam und ſchwer⸗ 
fällig vorwärts, nicht entfernt mit den Schwingen des Eifers, auf 
welchen die lateiniſche Eloquenz ihren Flug durch die apenniniſche Halb⸗ 
inſel nahm. Wäre nicht das Lob, welches die alten Römer den Grie⸗ 
chen ſo reichlich gezollt, ein immer neuer Sporn geweſen, die Exem⸗ 
plare, die man in Italien zuerſt zu Geſicht bekam, waren wahrlich nicht 
geeignet, das alte Vorurtheil gegen dieſe Schismatiker zu widerlegen. 
Es ging wie im alten Rom: man verachtete dieſe Graeculi, aber man 
verehrte ihre großen Ahnen. Schon Petrarca gebraucht wieder jenen 


p. 10 doch erwieſen, daß Pilato auch die ganze Odyſſee überſetzt. — Es iſt von Pe 
trarca wohl ein wenig Ruhmrednerei, wenn er epist. rer. senil. XV, 1 (Opp. 
p. 1048) kurzweg von Homer ſagt: mea ope et impensa factus est latinus. 

„) Nach einem ungedr. Briefe Petrarca's an Boccaccio bei Ti raboschi 1. 
V. p. 696. 

2) Der Brief bei de Sade Mémoires T. III p. 627. Wer jene Männer ge 
weſen find, überlegt de Sade p. 501, gründlicher Tir a bosch i T. V. p. 690 und 
Baldelli p. 258 e seg. N 


V. Die Griechen und die Lateiner. 329 


Spottnamen und hielt die Byzantiner für ein ſtabiles und verdumpftes, 
aber deſto anmaßenderes Volk.) 

Der griechiſche Lehrſtuhl zu Florenz ſtand ſeit Pilato's Abreiſe 
(1364) unbeſetzt, bis 1396 Chryſoloras berufen wurde. Wir treten 
nun in den Zeitraum, deſſen Erſcheinungen wir oben ſchon geſchildert, 
und dürfen daher nur andeutungsweiſe die wichtigſten Momente wieder⸗ 
holen. Des Chryſoloras Perſönlichkeit erſchien ungleich achtungswerther 
als die der Calabreſen und die der ihm nachfolgenden Landsleute, aber 
auch auf ihr haftet der widerliche Fleck der Apoſtaſie: um ſich als ge⸗ 
treuen Anhänger der römiſchen Kirche zu beweiſen, verfaßte auch er 
eine Streitſchrift in ihrem Sinn über das Ausgehen des heiligen 
Geiſtes.) 

Etwa zur Zeit des piſaniſchen Concils erſchien an der Curie zu 
Bologna ein griechiſcher Geſandter, Namens Joannes: er ſtolzirte in 
prachtvollen und immer wechſelnden Kleidern umher und diente den 
Curialen nur zum Geſpött. Als Lionardo Bruni ſich erkundigte, ob 
er wohl auch griechiſche Bücher mitgebracht, hieß es, die ſeien als zu 
ſchwere Waare daheim gelaſſen. Dagegen erregte ebendaſelbſt der junge 
Guarino von Verona Aufſehen, der mit jenem Geſandten aus Byzanz 
gekommen war und ſich dort Bücher wie Sprachkenntniſſe in Fülle er⸗ 
worben hatte.) So ungefähr iſt das Verhältniß, zwiſchen den gebore⸗ 
nen Griechen und den griechiſch-lernenden Lateinern geblieben. Immer 
haftete an jenen der Fluch der Lächerlichkeit: wer ſie nur ſah, machte 
ſich über ihre langen Bärte, ihr verwildertes Haupthaar, ihre gemalten 
Augenbrauen, ihren Kopfputz, ihre langen bauſchigen Gewande, über 
die komiſche Tonſur ihrer Mönche und dergleichen luſtig. Man fand 
immer, daß ihre aufgeblaſene Würde gar zu ſehr mit ihrer Beſchränkt⸗ 
heit contraſtire.) 

Das Unionsconcil, welches 1438 zu Ferrara eröffnet wurde, hat 
für die literariſche Verbindung Italiens mit Griechenland Epoche ge⸗ 
macht. Es fiel genau in die Zeit, in welcher der Humanismus Ita⸗ 
liens ſich in ſeiner jugendlichſten Kraft fühlte. Die byzantiniſche Kirche 
hatte zum bevorſtehenden Glaubenskampfe ihre trefflichſten Gelehrten 


N ) Petrarca epist. rer, senil. VII. 1 (Opp. p. 912.) 


) Hodius J. c. p., 20 erwähnt dieſes in Paris handſchriftlich vorhandene Werk. 
) Leon. Bruni epist. III, 14. 15. 


) Vergl. Lapo da Caſtiglionchio bei Hodius de Graecis illustr. p. 31. 


330 V. Die Griechen und die Lateiner. 


herübergeſendet. Auch Papſt Eugen zog eine Anzahl der tüchtigſten 
Humaniſten als Dolmetſcher zur Synode, Männer wie Traverſari, 
Guarino, Aurispa. So trafen hier die Geiſter aufeinander. Wir wol⸗ 
len davon abſehen, welche Motive bei den dogmatiſchen Disputationen 
über das Ausgehen des heiligen Geiſtes vom Sohne und über den rö⸗ 
miſchen Primat mitſpielten und den Ausſchlag gaben. Die Byzantiner 
zeigten hier jene Hartnäckigkeit, die dünkelvollen Dummköpfen eigen 
iſt,) ihre Ueberzeugungen wichen endlich dem Gelde, verſprochenen Eh⸗ 
ren und dem Befehl ihres Kaiſers. Ungleich anziehender und auch 
fruchtbarer war der nebenhergehende Wettſtreit der Gelehrten, und da 
die Griechen ſich mit ihrer Philoſophie am meiſten dünkten, wurden 
Ariſtoteles und Platon die beiden, Parteifahnen. 

Man führt die Verehrung Platon's gewöhnlich auf jene Griechen 
zurück, die aus dem belagerten und dann von den Türken eroberten 
Konſtantinopel ins Abendland flüchteten. Sie waren, wie wir ſehen 
werden, in keiner Weiſe die Männer, von denen eine tiefgreifende Be⸗ 
wegung hätte ausgehen können. In der That wurde der Anſtoß ſchon 
bedeutend früher durch Chryſoloras und ſeine Schüler gegeben, unter 
beuen wir die rüſtigſten Förderer beider Literaturen finden, und auf 
dem Unionsconcil wurde der Funke zur Flamme. Bekanntlich wurde 
es zu Florenz fortgeſetzt, zugleich der Gelehrtencongreß in den Brenn⸗ 
punct der lateiniſchen Bildung verlegt; denn in der Kirche S. Maria 
Novella disputirte man nicht minder über Platon und Ariſtoteles als 
über das Filioque und das ungeſäuerte Abendmahlsbrod. Hier nun 
lernte Coſimo de' Medici den Georgios Gemiſthos Plethon kennen, 
den Fürſten griechiſcher Weisheit, der für Platon ſchwärmte und Ari⸗ 
ſtoteles in demſelben Maße verachtete. Der Mediceer hörte von den 
erhabenen Myſterien der platoniſchen Philoſophie ſprechen und es wollte 
ihn dünken, als ſei das Abendland noch nicht reif, ſie aufzunehmen. 
Er faßte den Plan, dereinſt eine platoniſche Akademie zu ſtiften. Und 
doch lag es ihm fern, Plethon ſelbſt oder andre Griechen heranzuziehen, 
er beſtimmte vielmehr einen fähigen Knaben, Marſiglio Ficino, den 
Sohn ſeines Arztes, zum Philoſophen der Zukunft, weshalb er ihn 
ſorgfältigſt erziehen und vorbilden ließ. Dann ſchenkte er ihm ein 
Haus in Florenz, in welchem er leben, und ein Gütchen bei Carreggi, 


) ef. Ambros. Travers. .epist. XIII, 20. 


V. Die Griechen und die Lateiner. 331 


von deſſen Einkünften er ſich nähren könnte.) Man weiß, welche 
Frucht dieſe Fürſorge zur Zeit Lorenzo's des Erlauchten getragen hat. 

So lange die Sprache, in der Platon geſchrieben, im Abendlande 
Wenigen und unvollkommen bekannt war, konnten ſich die Griechen 
gleich den ägyptiſchen Prieſtern die Miene tiefer Weisheit geben: ſie 
ſprachen in dunkeln Bildern, mit einer unverſtändlichen Terminologie, 
und das nannten ſie Platoniſiren. Aber ſchon in Ferrara und Florenz 
trat ihnen der lateiniſche Geiſt mit der Zuverſicht entgegen, daß er ſich 
die Schätze der alten Hellenenwelt ebenſo wohl, ja beſſer aneignen könne 
als dieſe Spottbilder der alten Hellenen, die ſich gebärdeten, als kämen 
ſie geradesweges aus der Metropole aller Weisheit, aus Platon's Aka⸗ 
demie ſelber. Zu Ferrara erlitt der philoſophiſche Ruhm der Griechen 
eine glänzende Niederlage, wenigſtens nach dem Urtheil eines Italie⸗ 
ners — man weiß freilich, wie es mit Disputationsſiegen ſteht. Ugo 
Benzi nämlich aus Siena, der berühmte Arzt, zugleich aber auch ein 
gewandter Dialektiker, lud die gelehrteſten unter den griechiſchen Gäſten 
zu einer heitern Mahlzeit, bei welcher auch italieniſche Humaniſten und 
Markgraf Niccolo von Eſte zugegen waren. Als das Mahl geendigt 
und die Tiſche weggeräumt waren, wußte der kluge Wirth das Ge— 
ſpräch gerade auf diejenigen Sätze zu lenken, in welchen Platon und 
Ariſtoteles am meiſten auseinanderzugehen ſchienen; er erklärte ſich 
dann bereit, jede Partei vertheidigen zu wollen, welche die Griechen l 
angreifen würden, möchte es nun die Akademie oder die peripatetiſche 
Schule ſein. Jene nahmen den Wettkampf an. Mehrere Stunden lang 
wurde hitzig disputirt. Als endlich Benzi die griechiſchen Philoſophen 
einen nach dem andern durch Gründe und Beredtſamkeit zum Schwei— 
gen gezwungen, da war es offenbar geworden, ſagt unſer italieniſcher 
Berichterſtatter, „daß die Lateiner, von welchen die Griechen durch die 
Künſte des Krieges und den Ruhm der Waffen längſt beſiegt waren, 
ſie in unſerm Jahrhundert auch in den Wiſſenſchaften und in allen 
Zweigen der Gelehrſamkeit übertreffen.“) 

Wahrſcheinlich hat Benzi weder Griechiſch verſtanden noch von 
Platon's Philoſophie mehr gewußt, als er etwa aus Cicero's Schrif⸗ 
ten lernen konnte. Es war eben ein dialektiſches Turnier. In Flo⸗ 
renz dagegen gab es Männer, die Platon wirklich leſen konnten und 


) Marsil. Ficinus Prooemium ad Laurentium Medicum ante Plotini vers. 
Vespasiano: Cosimo de’ Medici 5 27. 
) Aeneas Sylvius Europa cap. 52. 


332 V. Die Griechen und die Lateiner. 


verſtanden, zumal Bruni und Marſuppini; hier ſanken die Griechen 
noch tiefer in der Achtung. N 

Wie viel mehr Erfolg hatten jene drei Italiener gehabt, die ihre 
Kenntniß der griechiſchen Sprache, der Literatur und einen Schatz von 
Büchern aus Byzanz ſelber holten, Guarino, Aurispa und Filelfo! 
Die Zahl ihrer Schüler und die zweite Generation, die das Griechiſche 
von ihren Schülern gelernt, entzieht ſich ſchon jeder Berechnung. Was 
im Beginn des Jahrhunderts noch auf wenige Glückliche beſchränkt ge⸗ 
weſen, war um die Mitte deſſelben ſchon ein nothwendiges Element in 


der Bildung eines Gelehrten. 


Mit den herüberwandernden Griechen ging es in demſelben Grade 


abwärts, in welchem die Kenntniß ihrer Sprache und Literatur unter 


0 


den Italienern emporſtieg. Als ſie in immer größeren Schaaren und 
meiſtens als Bettler kamen, ſchlug die Ehrfurcht, mit der man anfangs 
dieſe Sprößlinge der homeriſchen Heldengeſchlechter und der alten Athe- 
ner angeſtaunt, völlig um. Sie konnten, wie man ſah, den byzantini⸗ 
ſchen Dünkel nicht laſſen, auch wenn ſie von Wohlthaten lebten, ſie 
waren mürriſch und launiſch, weil ſie nun die gewohnte Behaglichkeit 
des Lebens entbehren, umherziehen, lehren und den Großen ſchmeicheln 
mußten; man meinte aber, ſie hätten eher Urſache, ſich freundlich den 
Sitten ihrer neuen Heimath zu fügen, ihre albernen Bärte zu ſcheeren 
und ihr ſtupides Vornehmthun zu laſſen. Dazu zeigten ſie eine merk⸗ 
würdige Unbeholfenheit im Erlernen der lateiniſchen oder der italiſchen 
Vulgärſprache. In erſterer brachten es nur Wenige und erſt nach lan⸗ 
gen Jahren zur Fertigkeit, kaum drei oder vier zum flüſſigen, elegan⸗ 
ten Ausdruck. So erſchienen ſie dem Lateiner, der doch ihre Sprache 
mit lebhaftem Eifer lernte und mit Haſt zu den verſchiedenartigſten 
Schätzen der griechiſchen Literatur ſtürzte, als bornirte und träge Men⸗ 
ſchen. Das ſtockige byzantiniſche Blut paßte einmal nicht zu dem leicht⸗ 
rollenden der Italiener. Schon zur Zeit des Papſtes Eugen minderte 
ſich ſehr merklich die Luſt, dieſe griechiſchen Auswanderer, die ſich be⸗ 
ſonders zu Florenz anhäuften, meiſtens ganz unbrauchbare Menſchen, 
zu unterſtützen. | 

Unter Papſt Nicolaus kam noch einmal auch für die griechiſchen 
Flüchtlinge ein glücklicher, wenn auch kurzer Spätſommer. Die nur 
erträglich ſchreiben konnten, waren doch als Büchercopiſten zu brauchen. 
Das Haupt und der Protector aller Griechen in Italien wurde der 
Cardinal Beſſarion. Sein Name prangt in den Geſchichtsb üch ern 


V. Beſſarion. 33 


mit einem ganz ungewöhnlichen Nimbus, ohne daß man im Näheren 
zu ſagen wüßte, worin ſein entſprechendes Verdienſt beſtanden.) Da 
wir von ſeinen jüngeren Jahren, die er in Griechenland verlebte, ſonſt 
wenig mehr hören, als daß er ſich zur Regel des h. Baſilius bekannt 
und — obx old 671, ſagte er ſelbſt — Erzbiſchof von Nicäa gewor⸗ 
den war, müſſen wir einſtweilen ſchon ſeine eigene Ausſage hinnehmen. 
Darnach galt er immer für ein Wunderkind. Schon als Jüngling, 
behauptet er, bevor der erſte Bart ihm gekeimt, ſei er ein Name ge⸗ 
weſen, Allen bekannt, welche die griechiſche Sprache verſtanden; kaum 
24 Jahre alt, ſei er von den Erſten ſeiner Nation allen ſeinen Alters⸗ 
genoſſen und auch älteren Leuten vorgezogen worden.) Er war theo⸗ 
logiſcher Philoſoph und philoſophiſcher Theolog wie die griechiſchen 
Gelehrten alle. Als ſolcher wurde er mitgenommen, als im Frühling 
1438 der paläologiſche Kaiſer und der Patriarch von Konſtantinopel 
zur Unionsſynode nach Italien ſchifften. Sie kamen und ſuchten Hülfe; 
ſchon in dieſer einfachen Situation war es ſtillſchweigend ausgeſprochen, 
daß ſie bereit waren, ſich um guten Preis den Dogmen der lateiniſchen 
Kirche zu fügen. Dennoch wurden erſt lange gelehrte Scheingefechte 
eröffnet, mochte nun der griechiſche Klerus nicht ganz ſo glaubensbereit 
ſein wie der Kaiſer oder mochte man auch nur den Schein retten 
wollen. Endlich ging Beſſarion ſeinen Landsleuten mit dem guten Bei⸗ 
ſpiel voran: er war der erſte, der ſich vom Ausgehen des heiligen Gei- 
ſtes auch vom Sohne überzeugte, zuerſt in der feierlichen Sitzung des 
Concils ein feuriges Glaubensbekenntniß ablegte und den religisſen 
Eifer, der die lateiniſche Kirche belebe, zur Erbauung feiner Landsleute 
nicht genug zu rühmen wußte.“) Seinen früheren Mitdisputanten, den 
Erzbiſchof Markos von Epheſos, nannte er nun einen wahnſinnigen 
und von unreinen Geiſtern getriebenen Kakodämon. Der redneriſche 
Pomp machte den neuen Glaubenseifer noch anſtößiger. Zuerſt lohnte 
ihn eine päpſtliche Penſion von 600 Scudi. Als es dann paſſend 
ſchien, nach Abſchluß der Union die neuen Glaubensbrüder auch im 


) Die Biographie von Aloiſ. Bandini (de vita et rebus gestis Bessario- 
nis Cardinalis Nicaeni Commentarius. Romae, 1774) iſt mir nicht zur Hand. 

) Aus dem Hirtenbriefe, den er am 27. Mai 1463, von Papſt Pius mit dem 
Titel eines Patriarchen von Konſtantinopel beehrt, an ſeine griechiſche Gemeinde rich⸗ 
tete. Wir leſen ihn in der lateiniſchen Ueberſetzung des Petros Arkudios in Ra y- 
naldi Annal. eccles. ad a. 1463 n. 58— 71. 

3) Ambros. Travers. epist. U, 19. 


334 | v. Beſſarion. 


heiligen Collegium vertreten zu ſehen, wurden Beſſarion und der noch 
viel unbedeutendere Erzbiſchof von Kiew zu Cardinälen erhoben.) Je⸗ 
nen bezeichnete man immer noch als Cardinal von Nicäa, obwohl er 
ſeine dortige Gemeinde niemals geſehen hatte und obwohl ſelbſt Papſt 
Pius von ihr nicht zu ne wußte, ob fie ſehr klein oder garnicht 
vorhanden fei.”) 

Jene beiden reine waren bald das Einzige, was von der zu 
Florenz geſchloſſenen Glaubensunion übrig geblieben war, und ſpielten 
mit ihren griechiſchen Bärten an der Curie eine ſeltſame Rolle. Iſi⸗ 
doros von Kiew begab ſich mehrmals in die Gefahr, die Märtyrer⸗ 
palme zu verdienen, wußte ihr aber jedesmal durch geſchickte Flucht 
wieder zu entgehen, bis er endlich altersſchwach wurde und ſich nun 
in ſeine Unbedeutendheit ergab. Gleich ihm blieb auch Beſſarion der 
unermüdliche Anwalt der griechiſchen Sache und beſchäftigte ſeine Phan⸗ 
taſie mit der Vorſtellung großer Kreuzzüge und mächtiger Türken⸗ 
ſchlachten. Aber waren die Fürſten und Völker zu unempfänglich und 
ſtumpf für dieſe Gedanken oder lag es an dem ungeſchickten Benehmen 
des Cardinals ſelber, es ſchlug Alles, was er begann, zum Nichtigen 
und gewöhnlich auch zum Lächerlichen um. Allmählig ſah er dann 
immer mehr ein, daß ſein Beruf allein auf dem literariſchen Ge⸗ 
biete liege. 

Während ſeine Landsleute ſich im kümmerlichen Kampfe mit den 
Bedürfniſſen des Lebens abmühten, war Beſſarion ſo glücklich, das Ge⸗ 
ſpenſt der Nahrungsſorge ſelber nicht fürchten zu dürfen und auch die 
Exiſtenz Andrer erleichtern zu können. Er verſammelte einen Kreis 
von griechiſchen und lateiniſchen Gelehrten um ſich her, die ihn als 
gehorſame Clienten geleiteten, wenn er morgens von ſeinem Palaſte 
am Quirinal nach dem Vatican ging. Im Umgange lernte er leichter 
als andre Griechen, ſich frei und geläufig, wenn auch nicht beſonders 
elegant, in der lateiniſchen Sprache auszudrücken. Die Griechen feſſelte 
er durch ſeine patriotiſche Mildthätigkeit an ſich und war ſtets ihr Für⸗ 
bitter vor dem apoſtoliſchen Stuhle. Auch die hypochondriſche Gedrückt⸗ 
heit, die man ſonſt an den Byzantinern zu tadeln hatte, wich von dem 


— 


) Näheres in Raynaldi Annal. eccles. 1438 n. 17. 1439 n. 12. 1462 n. 72. 
73. Die Schrift de processione Spiritus sancti, von Arkudios überſetzt, iſt mehr⸗ 
mals gedruckt, auch bei Bzovius Annal. eccles. 1440 8 1—15. 

) Pii II Asia cap. 60. 


V. Beſſarion. Perotti. 335 


glücklicheren Cardinal, die griechiſche Hoffahrt machte hier freundlicheren 
und höflicheren Sitten Platz und einer Eitelkeit, die man um Vieles 
erträglicher fand. Dieſer zu ſchmeicheln, wurde den Literaten nicht 
ſchwer; denn ihre Huldigungen wurden reichlich durch Gunſt und 
Gnaden vergolten. Einen beſonderen Ruhm genoſſen Beſſarion's gelehrte 
Banquets.)) Sein Literatenhof entſprach zur Zeit Eugen's IV freilich 
noch ſeinen beſchränkten Einkünften, unter Nicolaus wurde er durch 
den päpſtlichen in Schatten geſtellt, unter Pius II und Paulus II aber 
darf man ihn als den Mittelpunct des römiſchen Literaturtreibens be⸗ 
trachten. | 

Unter den Lateinern war Niccolo Perotti Beſſarion's Liebling, 
aus Saſſoferrato gebürtig. Als ein blutarmer junger Menſch machte 
er unter Guarino's, nach einer andern Nachricht *) unter des Vittorino 
da Feltre Leitung ſeine lateiniſchen Studien und wurde dann im Alter 
von zwanzig Jahren durch Zufall und gute Fürſprache in das Haus 
des Cardinals aufgenommen. Hier lebte er als Gubernator der Fa⸗ 
milie, und im gelehrten Weſen war er Beſſarion, was Tortello dem 
Papſte war. Während er Tag und Nacht Griechiſch ſtudirte, verſorgte 
ihn der Cardinal mit Beneficien und kleinen Aemtern. Seine Ueber⸗ 
ſetzung des Polybios machte Papſt Nicolaus auf ihn aufmerkſam, er 
wurde zum päpſtlichen Secretär ernannt und ſpäter (1458) zum Erz⸗ 
biſchof von Siponto (Manfredonia). Unter dieſem Namen iſt er als 
Grammatiker, zumal auf dem Felde der Metrik und Lexikographie, be⸗ 
rühmt geworden.“) 

Sonſt nennen wir von bekannten Männern, die Beſſarion um ſich 
zu ſehen pflegte, vorläufig nur Theodoros Gaza den Theſſaloniker, 
Andronikos und Platina, den Verfaſſer der Lebensbeſchreibungen der 
Päpſte. Doch iſt zu bemerken, daß in der früheren Zeit es mehr eine 
Schaar kleinerer Geiſter war, die ſich mit der Gunſt des Cardinals 
begnügten, während die bedeutenderen ſich lieber unter der päpſtlichen 
ſonnten. Außerdem ſtand Beſſarion ſehr bald mit ganz Italien in 


‘ 


) Gas par Veronensis de gestis tempore Pauli II. ap. Muratori 
Scriptt. T. III. P. II. p. 1032. 

) Facius de vir. illustr. p. 14. 

) Ves pas ian o: Vescovo Sipontino $1. 4. Facius l. c. In der Lebens⸗ 
beſchreibung, die W. Hoffmann für die „Allg. Eneyklopädie der Wiſſ. und Künſte“ 
lieferte, findet man viel Gutes und viel Unweſentliches. 


336 5 V. Beſſarion. 


literariſcher Verknüpfung. Seine Günſtlinge nun, vor Allen Platina, 
und ſeine vielfachen Verbindungen haben ihn zum berühmten Manne 
gemacht, im Weſentlichen alſo ſeine hohe und einflußreiche Stellung. 
Das Beiwort des „gelehrten“, das feinem Namen faſt gewohnheits⸗ 
mäßig anhaftet, verdient er nur inſofern, als außerhalb der gelehrten 
Sphäre nichts an ihm zu rühmen war. 

Er hat theologiſche Tractate geſchrieben. Aber auch als Theologe 
zeigt er ſich beſchränkt auf die Apologie des lateiniſchen Dogma gegen 
die Griechen, auf die Lehre vom Ausgehen des heiligen Geiſtes, das 
heißt eigentlich auf die Vertheidigung ſeiner Apoſtaſie. Als er zehn 
Jahre nach der Eroberung von Konſtantinopel zum Nominal⸗Patriarchen 
dieſes Sprengels erhoben wurde, erließ er ein Rundſchreiben an ſeine 
griechiſchen Gemeinden,) durch welches er fie in den Schooß der la⸗ 
teiniſchen Kirche zurückrief, an die Beſchlüſſe der ökumeniſchen Synode 
von Florenz mahnte und ihre Knechtung unter den Halbmond als die 
gerechte Strafe ihrer Widerſpänſtigkeit bezeichnete. Zur Belehrung ver⸗ 
wies er ſeine griechiſchen Landsleute auf ſeine eigenen Schriften und 
auf ſeine Perſon. Er ſprach von den Nächten, die er ſchlaflos zuge⸗ 
bracht, um über die Proceſſion des heiligen Geiſtes zu denken und zu 
forſchen, und wie er endlich feine Augen vor der Wahrheit nicht habe 
verſchließen können. Er ſprach ferner von den Ehren, deren er in 
Griechenland nicht wenige und nicht geringe genoſſen und die ihn den 
Erſten ſeiner Nation gleichgeſtellt hätten, wie er ſie dann um des er⸗ 
leuchtenden Glaubens willen aufgegeben und verachtet. Man ſollte 
glauben, er habe mit dem römiſchen Cardinalat ein freiwilliges Mar⸗ 
tyrium auf ſich genommen. Und doch muthet er den Griechen zu, daß 
ſie aus Stolz auf ſeine Perſon ſeinen Hirtenſtab verehren und ihren 
alten Glauben laſſen ſollen. So kam denn ſeine ganze Theologie immer 
auf dieſes eine Dogma hinaus, das ihm in Florenz aufgegangen war 
und ſein Glück begründet hatte. 

Auch in der Philoſophie verfolgte er eine beſtimmte Aufgabe: er 
wollte Platon und Ariſtoteles zu gleicher Ehre bringen und mit ein⸗ 
ander verſöhnen. Damit trat er in das Gezänke ein, welches Abend⸗ 
länder und Griechen über die Superiorität der beiden Philoſophen 
führten. Seine Schriften über fie waren nicht unfehlbarer wie die 
Andrer, aber ſeine kirchliche Würde und ſein verträgliches Weſen 


— 


) Vom 27. Mai 1463 a. a. O. 


V. Beſſarion. | 337 


ſchützten ihn vor den hämiſchen Angriffen, mit denen jener Streit "ge- 
führt wurde. Nur einer der Philoſophen in Rom, ein wüthender 
Peripatetiker, trat mit dem Cardinal in offene Feindſchaft; ſonderbar, 
daß es gerade jener Georgios war, der ſich den Trapezuntier zu nen⸗ 
nen pflegte — aus Trapezunt war auch Beſſarion gebürtig — der in 
Florenz ziemlich zu derſelben Zeit wie er für das Ausgehen des Geiſtes 
auch vom Sohne geeifert. 

Der Cardinal hat aus dem Griechiſchen überſetzt, zumal Werke 
des Ariſtoteles. An ſeinem Verſtändniß der Originale erlaubte ſich 
niemand zu zweifeln, man vermißte aber an ſeinem Latein die Glätte 
und Feinheit, die manche weniger getreue Ueberſetzung der Italiener 
auszeichnete. Wollte er ſich zur Eloquenz erheben, ſo wurde er ſchwatz⸗ 
haft; wollte er ſich zierlich ausdrücken, ſo gerieth er in eine lächerliche 
Ziererei. Er war einmal kein hervorragendes Genie und doch ließ er 
ſich von seiner Eitelkeit und von Schmeichlern zu dieſem Glauben ver⸗ 
leiten. a 

Trotzdem wäre er in einer andern Beziehung ganz der Mann für 
den Hof Nicolaus' V geweſen, wenn nicht in ſolchen Fällen aus dem 
gleichen Streben öfter eine trennende Rivalität als eine Vereinigung 
entſpränge. Auch Beſſarion war der eifrigſte Bücherſammler und ver⸗ 
brauchte einen großen Theil ſeiner Einkünfte, um griechiſche und latei⸗ 
niſche Codices abſchreiben zu laſſen. Er verfolgte denſelben Plan wie 
der Papſt: auch er wollte einſt ſeine Bücherſammlung zur öffentlichen 
machen. Dennoch blieben die beiden Gelehrtenpatrone und Bibliotheken⸗ 
ſtifter einander fern. Wir irren wohl nicht, wenn wir eine Eifer⸗ 
ſüchtelei des Papſtes darin ſehen, daß er während feines ganzen Ponti⸗ 
ficats Beſſarion mit der Verwaltung der Legation Bologna betraute 
und dadurch von ſich und von Rom entfernt hielt. In Bologna fand 
der griechiſche Cardinal nur deshalb Sicherheit und Ehrerbietung, weil 
er die apoſtoliſchen Rechte nicht geltend machte, das Volk und ſeine 
Parteiführer nach Belieben ſchalten ließ und den Frieden bei ſeinen 
Büchern ſuchte und bei ſeinem Perotti, der bei ihm blieb, zugleich auch 
an der Hochſchule die Rhetorik und Poeſie lehrte.) Vielleicht war 
jene Concurrenz mit dem Papſte auch der Grund, weshalb Beſſarion 
ſeine Bibliothek einſt nicht in denſelben Mauern mit der päpſtlichen 
wiſſen wollte. Er vermachte ſie der venetianiſchen Republik, die ihn 


) Aeneas Sylvius Europa cap. 53. 
Voigt. Humanismus. | u 22 


338 | V. Georgios Trapezuntios. 


bei einer Geſandtſchaft ehrenvoll aufgenommen und die er überdies 
wohl als die natürliche Vermittlerin zwiſchen Orient und Oceident an⸗ 
ſah. Als man nach ſeinem Tode das Teſtament ausführte, fand man 
über 600 Bände und berechnete, daß ſie dem. Cardinal 30,000 Gold⸗ 
ſcudi gekoſtet; in dreißig Kiſten verpackt gingen dieſe Schätze zum Aer⸗ 
ger der römiſchen Gelehrten auf See und nach S. Marco hinüber.) 

Wir nennen unter den Griechen, deren viele an Nicolaus’ Literaten⸗ 
curie ein Unterkommen fanden, nur die beiden hervorragendſten. Ge⸗ 


orgios Trapezuntios der Kretenſer war einſt von dem Venetianer 


Barbaro nach Italien gerufen worden und hatte dann in der Schule 


des Vittorino die lateiniſche Sprache gelernt.) Das Schickſal, wan⸗ 


- 


dern zu müſſen und nirgend eine dauernde Heimath zu finden, traf 
ihn um io ſchwerer, da er Vater einer ziemlich zahlreichen Familie war. 
In Venedig, Padua, Vicenza und Florenz, dann zu Rom, wohin ihn 
Papſt Eugen rief, hatte er nicht ohne Erfolg gelehrt, doch nimmer ſich 
glücklich und zufrieden gefühlt. Der Grund lag wohl in ſeinem an⸗ 
maßenden Weſen und in ſeiner choleriſchen Biſſigkeit. In Nicolaus 
ſchien ihm endlich ein ſtätigeres Glück zu lächeln. Seine erſte Ueber⸗ 
ſetzung, es war die von Euſebios' evangeliſcher Vorbereitung, nahm 
der Papſt ſehr wohlgefällig auf. „Nimm nur, nimm! Du wirft nicht 
immer einen Nicolaus haben“, ſagte er ihm, indem er ihm unverhofft 
eine große Summe Geldes ſchenkte, die Georgios ganz ſchüchtern machte. 
Er wurde zum apoſtoliſchen Schreiber ernannt und erhielt auch außer⸗ 
dem als Lehrer einen anſehnlichen Sold.) Aber fein gutes Geſchick 
ging auch ſchnell wieder abwärts. Er hatte in jener Ueberſetzung des 
Euſebios ausgelaſſen, was ihm der orthodoxen Dreieinigkeitslehre zu 
widerſprechen ſchien, Andres eingeſchoben, ganze Abſchnitte umgeſtellt. 
Beſſarion und Perotti machten den Papſt auf dieſe Pfuſcherei aufmerk⸗ 


ſam. Es war ſchon ein deutliches Zeichen von der Unzufriedenheit 


deſſelben, daß er das Buch einem andern Literator zur Emendation 
gab. Georgios hatte den weiteren Auftrag erhalten, den ptolemäiſchen 


. Amageft zu überſetzen und einen Commentar dazu zu liefern. Beide 


Arbeiten machte er in neun Monaten fertig, natürlich mit der gewiſſen⸗ 


) Vespasiano: Card. Niceno Greco. Platina Panegyr. in Bessar. Ho- 
dius de Graeecis illustr. Lib. I. cap. 5. 

2) Hodi us p. 116. S. oben S. 254. 

) Raphael Volaterr. Lib. XXI. 


V. Georgios Trapezuntios. Gaza. 339 


loſeſten Flüchtigkeit.) Auch die vielen Feindſchaften, die er ſich zuge⸗ 
zogen, mögen auf das Urtheil des Papſtes von Einfluß geweſen ſein. 
Er erhielt 1452 den Befehl, Rom zu verlaſſen; Nicolaus wollte ihm 
weder Audienz geben, noch die Befürwortung Andrer hören. Ein 
kleines Vermögen, welches der unglückliche Grieche bereits geſammelt, 
und was ſeine Söhne durch den Verkauf ihrer Curialämter löſten, 
ging ihm durch Falliſſements gewiſſer Kaufleute verloren. Er zog mit 
den beiden Söhnen und fünf Töchtern nach Neapel, die traurige Noth 
zog mit ihm.) Später lud ihn Nicolaus auf die perſönliche Fürbitte 
Filelfo's und des Venetianers Barbaro, der immer der Gönner des 
armen Griechen geweſen und ſeinen edlen Sinn auch hier bethätigte, 
zur Rückkehr ein. Aber unter Papſt Calixtus III mußte er 1458 
Rom zum zweiten Male verlaſſen, weil er in ſeiner „Vergleichung der 
Philoſophen Ariſtoteles und Platon“ wieder allen Platonikern vor den 
Kopf ſtieß und Beſſarion verſpottete. Beſonders fürchterlich fand man 
ſeine Behauptung, ſelbſt Mohammed ſei ein le Geſetzgeber ge 
weſen als der Stifter der Akademie.“) 

Des Trapezuntios Nebenbuhler und darum natürlich auch einer 
ſeiner vielen Feinde war Theodoros Gaza aus Theſſalonike. Als 
er 1430 nach Italien kam, empfing auch er zu Mantua in Vittorino's 
Schule ſeine lateiniſche Bildung und zwar eine ſo gründliche, daß er 
unter den Griechen wohl für den erſten Latiniſten gelten konnte und 
daß ſeine Ueberſetzungen ihren Ruf bis heute behauptet haben. So 
lange Beſſarion in Rom weilte, lebte, er in deſſen Familie, aber auch 
Papſt Nicolaus hielt ihn in Ehren. Doch hat er ſein Haupt nicht 
lange auf ruhigem Lager gebettet. Obwohl er geiſtlichen Standes war 
und nur für ſich zu ſorgen hatte, mußte er ſpäter, nach dem Tode 
jener Gönner, Rom verlaſſen und iſt als ein dürftiger Greis im apu⸗ 
liſchen Reiche geſtorben. Nie fühlte er ſich glücklich unter den La⸗ 
teinern, immer quälte ihn die Sehnſucht nach ſeiner griechiſchen Hei⸗ 
math.) Es war, als ob ein Fluch auf dieſen Griechen, ſelbſt auf 


) Vergl. ſeinen Brief an Francesco Barbaro unter deſſen Epistt. ed. Qui- 
rino 198. 

) Vergl. feine Correspondenz mit Barbaro ibid. epist. 201 — 210. 

) Ein ſehr gründliches und ausführliches Leben des Trapezuntios lieferte Bã hr 
in der „Allg. Encyklopädie der Wiſſ. und Künſte.“ Die Acten dazu bei Hodius I. e. 
Lib. I. cap. 4. 

) Raphael Volaterr. Lib. XXI. Hodius Lib. I. cap. 3. Ueber fein 
Leben und ſeine Schriften Bähr a. a. O. s. v. Gaza. 

22 * 


340 V. Die literariſchen Fehden am Hofe Nicolaus’ V. 


den beſſeren, laſtete: Bald wurden fie geehrt und bewundert, dann 
wieder beſchimpft und verläſtert, Vertrauen erwarben ſie niemals und 
das Flüchtlingsloos fühlten ſie meiſtens bis an ihren Tod. 


Stellen wir uns nun die obengenannten Italiener, einen Valla, 
Perotti, Poggio, Decembrio, ſtellen wir uns die ebengenannten und 
andre Griechen an einem Hofe vereinigt vor, jeden wieder von Schülern 
und Anhängern umgeben, faſt alle in derſelben Situation, nämlich als 
Curialbeamte und beſoldete Hofgelehrte, alle auf dieſelbe Beſchäftigung 
gerichtet, nämlich auf Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen, alle zu den 
vollen Geldſäckeln und Gnaden des Papſtes aufſchauend — was natür⸗ 
licher, als daß Eiferſucht und Zänkereien, boshafte Verleumdung und 
widerlicher Schimpf der Umgangston dieſes Kreiſes wurden. Lateiner 
und Griechen gegen einander, die Griechen unter ſich und die Lateiner 
unter ſich führten Jahre lang bittere Fehden. Wie zu Niccoli's Zeit 
Florenz, ſo wurde jetzt in erhöhtem Maße Rom der Schauplatz 
der ſcandalöſen Gelehrtenchronik, gleichſam als hätte Papſt 
Nicolaus mit den „großen Geiftern« auch allen Schmutz des literari⸗ 
ſchen Lebens zuſammengebracht. Florenz hatte neben den erhitzten 
Kämpferpaaren auch edle und dauernde Freundſchaften geſehen: Niccoli 
und Traverſari, Poggio und Marſuppini, Manetti und Bruni, ſie alle 
hatte der Sinn für Kunſt und Alterthum zu einem ſchönen Bunde zu⸗ 
ſammengeſchloſſen, und die kleinen Vorfälle, die dieſen Umgang mit⸗ 
unter ſtörten, glichen ſich immer wieder aus. Sie waren alle Floren⸗ 
tiner oder wollten es doch ſein. Um den eigentlichen Haß wachzurufen, 
mußte erſt Filelfo, der Fremde, kommen. Dagegen war der literariſche 
Hof von Rom ein unverbundenes Conglomerat aus allen Landſchaften 
Italiens und Griechenlands, ein wüſtes Durcheinanderlaufen, in wel⸗ 
chem doch Jeder für ſich allein lebte. Die Huld des freigebigen Papſtes 
war hier das Motiv jeder Rivalität, den Ueberſetzerſtand reizte ſchon 
mehr das Geld als der Ruhm, mehr der ſcheele Neid als die Ehre 
der Feder. | 

»Ein allgemeines Intereſſe hatten ſolche Gelehrtenkämpfe, wenn 
Männer wie Poggio und Valla zuſammenſtießen. Dieſer kam aus 
Neapel, wo er mit Beccadelli und Fazio in beſtändigem Kampfe ge⸗ 


V. Die Fehde zwiſchen Poggio und Valla. 341 


legen; jener hatte außer einer Menge von Fehden die Kriege gegen 
Guarino und Filelfo hinter ſich und konnte einmal nicht ſein, ohne 
neue anzuknüpfen. Valla war in jeder Beziehung ſein bedeutendſter 
Rival, der ihn in der Gründlichkeit des grammatiſchen Studiums bei 
Weitem übertraf, dagegen in Federfertigkeit und Witz ihm vielleicht 
nachſtand. Ein Anlaß, den Kampf zu eröffnen, war bald gefunden. 
Poggio hatte einen Band ſeiner Briefe herausgegeben. Nun kam ihm 
ein Exemplar derſelben zu Geſicht, welches einem jungen Catalonier, 
einem Schüler Valla's, zugehörte und mit kritiſchen Randbemerkungen 
ausgeſtattet war, in denen allerlei ſtiliſtiſche Fehler und Barbarismen 
gerügt wurden. Mochte auch Valla nicht ſelbſt der Kritiker ſein, ſo 
war der Schüler doch ſicher von ihm angeſtiftet. Poggio aber fuhr 
ſogleich auf den los, den er nicht mit Unrecht für den eigentlichen 
Gegner hielt: zu der ſchon anſehnlichen Zahl ſeiner Invectiven kam 
eine neue gegen Valla. Dieſer antwartete in einem Antidoton, Poggio 
aber in einer zweiten, dritten, vierten und fünften Invective, auf welche 
Valla die Entgegnung nicht ſchuldig blieb. Der grammatiſche Streit 
wurde zur Nebenſache, das Intereſſe haftete bald an den gehäſſigen 
perſönlichen Angriffen, an denen es beiderſeits nicht fehlte. Das war 
Poggio's eigentliches Feld. Ging derjenige als Sieger hervor, der die 
infamſten Verleumdungen über den Gegner ausſchüttete, ſo darf ſich 
Poggio des Sieges rühmen. Kleine anrüchige Vorkommniſſe, die ihm 
ſchon in ſehr entſtellender Erzählung kund geworden, wußte er meiſter⸗ 
haft auszubeuten und zu Verbrechen zu ſtempeln, und wo es daran 
fehlte, ſie zu erfinden. Betrug und Diebſtahl, Fälſchung und Ketzerei, 
Trunk und Wolluſt jeder Art giebt er dem Gegner mit Beifügung 
piquanter Geſchichtchen und derber Schimpfworte in Fülle Schuld, 
wüthend und unerſättlich, wie er einſt gegen Filelfo geſtritten.) 

Den vierundzwanzigjährigen Perotti, einen Schüler Valla's, ge⸗ 
lüſtete es, zur Vertheidigung ſeines Meiſters die erſte Lanze zu brechen. 


) Dieſe Streitſchriften der Beiden findet man leicht in ihren Werken. Auffal- 
lend iſt, daß Poggio's vierte Invective gegen Valla verloren oder doch nicht zum 
Druck gekommen if. Daß ſchon die erſte von Florenz aus geſchrieben ſei, wie 
Zuupt c. a. O. S. 428 anzunehmen geneigt iſt, widerlegt ſich einfach, wenn man 
die bald zu erwähnenden Briefe Filelfo's und Barbaro's mit der Thatſache zuſam⸗ 
menhält, daß Poggio erſt nach dem Tode Marſuppini's (24. April 1453) an die flo⸗ 
rentiniſche Staatscancelei berufen wurde. Auch zeigt der Schluß von Valla's erſtem 
Buche des Antidoton, daß es in Rom geſchrieben wurde und daß auch Poggio damals 
in Rom war. N 


342 Vi. Fehde zwiſchen Poggio und Vallck. Filelfo als Friedensſtifter. 


Er griff Poggio in einer Invective an, wurde dafür aber in deſſen 
Antwort ebenſo rückſichtslos und derb mißhandelt wie Valla ſelbſt. Na⸗ 
türlich befand er, „der junge Poet ohne alle Poeſie“, ſich ſtark im 
Nachtheile gegen den unter Zank und Schmähſchriften ergrauten Poggio. 
Erſt als dieſer bereits nach Florenz abgezogen war, gelang es dem 
Cardinal Beſſarion, Frieden zwiſchen beiden zu ſtiften. Perotti, ſein 
Schützling, mußte zuerſt die freundliche Hand reichen und den Gegner 
bitten, er möge ihn als Sohn und Freund an ſein Herz ſchließen. 
Dafür verſicherte ihm denn auch Poggio, der die Gunſt des Prälaten 
nicht verſcherzen wollte, er habe das Geſchehene vergeſſen und werde 
ihm fortan Vater und Freund fein. ') 

Die Fehde gegen Valla indeß dauerte unausgeſetzt fort. Wir 
wundern uns, daß der Papſt die Streitenden nicht zur Ruhe brachte. 
Es ſcheint aber eher, daß er an dem Scandal ſein ſtilles Vergnügen 
hatte, wie er ja auch die Satiren Filelfo's, in denen ſeine alten floren⸗ 
tiniſchen Freunde verhöhnt wurden, mit Behagen las. Valla widmete 
ihm ſogar die Bücher ſeines Antidoton. Als der wüthende Kampf aber 
Jahre lang fortdauerte und auch noch, nachdem Poggio ſich bereits 
nach Florenz überſiedelt, fand ſich ein andrer Friedensſtifter, von dem 
ſich wohl niemand dieſer Rolle verſehen hätte. Es war Filelfo. In 
feinem Kriege mit Poggio war gerade damals ein kurzer Waffenftill- 
ſtand eingetreten, den der Dichter Cenci vermittelt.) Während des⸗ 
ſelben richtet Filelfo einen Brief an Poggio und Valla zugleich,) er 
ermahnt beide zur Mäßigung und ſtellt ihnen vor, wie ſie ſich durch 
ihr Schimpfen vor den Menſchen nur lächerlich und verächtlich machen. 
Er deutet auf des Ageſilaos Wort: man bilde ſich aus ſolchen Schmach⸗ 
reden ein Urtheil über den Schmähenden wie über den Geſchmähten. 
Dieſer ſtolze unfehlbare Filelfo wirft ſogar auf ſeine eigene Vergangen⸗ 
heit einen reuigen Seitenblick und geſteht, er könne ſeine Satiren jetzt 
nicht ohne Erröthen leſen, ja es berühre ihn in ſeiner friedlichen Stim⸗ 
mung unangenehm, wenn er des Demoſthenes Reden gegen Timarchos 
und Philippos, des Cicero Reden gegen Antonius, ſelbſt wenn er des 
heiligen Hieronymus Angriffe gegen Rufinus leſe. Ein erröthender 


) Perotti's Invective von 1454 iſt nach Tiraboschi T. VI. p. 1651 in 
den Miscell. Lazzaroni T. VIII. mitgetheilt. Vergl. die Reihe von Poggio's Brie⸗ 
Yen im Spicileg. Roman. T. IX. p. 628 —641. 

) Poggii epist. ad Petrum Thomasium ibid. p. 629. 

) Vom J. März 1453. 


V. Fehde zwiſchen Poggio und Valla. 343 


Filelfo wäre in der That ein unerklärliches Phänomen. Aber wir 
müſſen wohl ſeine Worte nicht auf die genaue Wage legen. Warum 
ſollte er, der Lehrer und Meiſter des Epiſtolarſtils, nicht auch einmal 
eine litera reconciliatoria ſo gut wie eine Invective ſchreiben? Selbſt 
Poggio trat gelegentlich als Friedensvermittler auf. Als er mit Bar⸗ 
baro zuſammen bemüht war, das Zerwürfniß zwiſchen Niccoli und 
Bruni wiederauszugleichen, wußte er Bruni mit ſanftem Vorwurf zu 
erinnern, daß es das Kennzeichen einer größeren Seele ſei, wenn ſie 
Beleidigungen vergeſſe, als wenn ſie dieſelben räche, daß die Pflichten 
der alten Freundſchaft über Alles gehen, daß das Geklätſche der Welt 
den Ruf beider Streitenden beflecke, daß nach der Lehre des Apoſtels 
einer den andern in Liebe tragen müſſe.) 

Auf Poggio wie auf Valla ſcheint es nicht den mindeſten Eindruck 
gemacht zu haben, wenn Filelfo ſie, die beiden Greiſe, an das jüngſte 
Gericht mahnte. Selbſt Barbaro's Sühneverſuch blieb ohne Folgen.“) 
Da mochte Filelfo ſich zum Propheten gratuliren, als Valla im Auguſt 
1457, ſchon im November ſein alter Gegner Fazio und am 30. Octo⸗ 
ber 1459 auch der alte Poggio ins Jenſeits abgerufen wurden. Poggio 
und Valla, die alten Fechter auf der literariſchen Arena, nahmen ihre 
Feindſchaften mit ins Grab. Abgeſehen von dem edleren Falle mit 
Guarino und dem beſonderen mit Perotti, hören wir nicht, daß Poggio 
ſich mit einem feiner Gegner verſöhnt hätte.) Valla wurden Diſtichen 
nachgerufen wie folgendes: 

Ne vel in Elysiis sine vindice Valla susurret, 

Facius haud multos post obit ipse dies. 
Oder ein anderes: 
Ohe ut Valla silet, solitus qui parcere nulli est. 
Si quaeris, quid agat: nunc quoque mordet humum. 

Unter den Griechen war Georgios Trapezuntios der berüchtigte 

Händelmacher und überall der Stein des Anſtoßes, zumal bei den La⸗ 


) Die Briefe an Bruni in feinen Opp. p. 306. 347. 

) Franc. Barbar i epist. 234. 

) Wohl ließen ſich noch manche literariſche Feindſchaften Poggio's aufführen, 
die von geringerer Bedeutung ſind. So verfolgte er den Bücherſucher Enoche da 
Ascoli als einen hinterliſtigen Verleumder (ſeine epist. 24. 51. im Spicileg. Roman. 
T. X); gegen ihn vermuthlich hat er die „Invective gegen Verleumder“ losgelaſſen 
Gbid. T. IX. p. 622 sq.), in welcher er den Gegner vielleicht nur deshalb nicht 
nannte, weil derſelbe ein Schützling des Papſtes war. 


344 V. Fehde zwiſchen Poggio und Trapezuntios. 


teinern, denen die ruhmredige Anmaßung des geborenen Griechen un⸗ 
ausſtehlich war. Gleich als er zu Venedig ſeine erſte Schule eröffnet, 
hatte er in ſeinem Handbuche der Rhetorik von der Methode des alten 
Guarino mit Geringſchätzung geſprochen, obwohl dieſer, wenn auch nur 
kurze Zeit, fein Lehrer geweſen war. Guarino vertheidigte ſich und 
es entſtand nun ein Federkrieg, in welchem natürlich die Italiener für 
ihren Landsmann Partei nahmen. Daß jetzt Georgios mit Poggio 
zuſammengerathen müſſe, war vorauszuſehen, da beide ſich als apoſtoliſche 
Secretäre täglich trafen. 

Es circulirte in Rom ein gegen Georgios gerichtetes Libell, wel⸗ 
ches dieſer ohne weiteres dem Guarino zuſchrieb und mit einer Invec⸗ 
tive gegen denſelben beantwortete. Poggio, der mit Guarino befreun⸗ 
det war und in dem Verfaſſer des Libells nur einen Schüler oder 
Freund Guarino's vermuthete, fand die Annahme des Griechen zum 
mindeſten unüberlegt und voreilig, er bediente ſich in einem Briefe, 
den er nach Venedig ſchickte, darüber eines allerdings zweideutigen Aus⸗ 
drucks.) Der griechiſche Prahler war ihm im Herzen zuwider, aber 
er bedurfte ſeiner noch: der Papſt nämlich, der ſehr wohl wußte, daß 
das Griechiſche Poggio's ſchwächſte Seite war, dem Trapezuntios da⸗ 
gegen wenig Gewandtheit im lateiniſchen Stil zutraute, hatte die bei⸗ 
den auf einander angewieſen. Poggio überſetzte Xenophon's Cyropädie 
und die geſchichtliche Bibliothek des Diodoros, Georgios half ihm bei 
den ſchwierigeren Stellen.) Der Friede wurde zuerſt geſtört, als Geor⸗ 
gios aus Venedig von jener Aeußerung Poggio's Kunde erhielt, er 
meinte nicht anders, als Poggio habe, wie man es von ihm gewohnt 
war, eine Invective voll Spott und Gift gegen ihn gerichtet. Dies⸗ 
mal entſchuldigte ſich Poggio noch und ſuchte die Freundſchaft, die ihm 
ſehr nützlich war, zu erhalten. Bald aber gab es neue Reibungen. 
Der Grieche leugnete den Empfang einer Geldſumme aus dem päpſt⸗ 
lichen Aerar ab, die ihm wahrſcheinlich eben für die mit Poggio ge⸗ 
meinſamen Arbeiten angewieſen war. Er beſchuldigte dieſen ferner 
beim Papſte, als habe er ihm durch Meuchelmörder nach dem Leben 
geſtellt. Sie führten ſchon einen gereizten Briefwechſel. Poggio fand 


— 


) Non recte eonsulti hominis esse videtur. Poggii epist. 73. im Spici- 
leg. Roman. T. X. 

5) Poggio ſelbſt geſteht ihm: debeo enim tibi plurimum, qui mihi adjutor 
praecipuus fueris in traductionibus meis. Die Ausſage des Trapezuntios bei 
Georgius Vita Nicolai V. Romae, 1742. p. 177. 


V. Fehde zwiſchen Poggio und Trapezuntios. 345 


die Briefe des Griechen voll Schmähungen und Unverſchämtheiten. Er 
gab ihm feine volle Verachtung zurück. „Ich kann dir auf das Hei- 
ligſte ſchwören: ich habe nicht nur keinen Plan gehegt, dich aus dem 
Wege zu räumen, ſondern du biſt vielmehr meinem Gedächtniſſe fo 
ſehr entfallen, daß ich kaum zu ſagen wüßte, ob du noch lebſt oder 
todt biſt. Ich müßte wahrlich viel Muße übrig haben, wenn ich an 
den Trapezuntios denken ſollte. So hat mir jenes Verbrechen nie in 
den Gedanken gelegen und liegt mir auch jetzt fern, ja ich muß ſogar 
aus vielen Urſachen wünſchen, du möchteſt noch länger leben, beſonders 
da du dein Geld, welches dich ſo übermüthig machte, durch Wucherei 
verloren haſt. ) 

Einſt waren die Beiden mit Vielen ihrer Collegen in der päpſt⸗ 
lichen Cancelei zuſammen. Um Poggio zu ärgern, rühmte Georgios 
ſich offen, er habe an ſeinen Ueberſetzungen den beſten Theil, der Un⸗ 
dankbare aber habe zur Beluſtigung ſeiner Freunde eine Invective ge⸗ 
gen ihn geſchrieben und nach Venedig geſchickt. Das lügſt du, in dei⸗ 
nen Hals! ſchrie Poggio. Der wüthende Grieche aber ſprang auf ihn 
los und verſetzte dem alten Manne zwei derbe Ohrfeigen, dann rauften 
fie ſich mit ſolchem Ingrimm, daß ihre Collegen fie nur mit Mühe 
trennen konnten. Diesmal aber legte ſich doch der Papſt ins Mittel. 
Wohl mit in Folge dieſes Vorfalles mußte Trapezuntios Rom ver⸗ 
laſſen.) | 

So viel wir fehen, ſtanden die Italiener alle auf Poggio's Seite 
und gegen den Griechen. Selbſt Valla mochte mit dieſem nicht ge⸗ 
meinſchaftliche Sache haben und ſein Knappe, der junge Perotti, ſchrieb 
ſogar eine Invective gegen Georgios. Dieſe Verachtung der Griechen 
war faſt das Einzige, was den italieniſchen Gelehrten an Nicolaus’ 
Curie gemeinſam war. Wenn Poggio feine Gegner wie Valla ! und 
Perotti recht ſchimpfen wollte, jo nannte er fie semigracculi.“) 

Die Griechen ihrerſeits hielten nicht zufammen. Bald gab es 
unter ihnen Privatfehden, wie die des Georgios gegen Gaza, der 
ſeine grammatiſchen Definitionen öffentlich getadelt, dann aber ſpaltete 


) Zwei Briefe Poggio's an Trap., d. Rom 18. Febr. (1452) und 12. Febr. 
1453 im Spicileg. Roman. T. IX. p. 648651. Georgius l. e. 

) Valla e Antid. in Pogium Lib. I. ad fin. (Opp. p. 273). 

) Poggii epist. ad Franc. Marescalcum im Spieileg. Roman. T. IX. p. 631. 


346 V. Fehden der Griechen unter einander. 


fie der Streit über den Vorzug des Ariſtoteles oder Platon in zwei 
Heerlager, die einander unaufhörlich befeindeten. Gemiſthos Plethon 
hatte die Lehren der beiden Philoſophen als durchaus unvereinbar dar⸗ 
geſtellt, Platon in den Himmel erhoben, dagegen Ariſtoteles und ſeine 
Anhänger bitter verſpottet. Ihm zur Seite ſtand auf dem florentini⸗ 
ſchen Concil Nikolaos Sagundinos, aus dem eubziſchen Chalkis gebür⸗ 
tig: er machte Ariſtoteles zum Vorwurf, daß er mehr aus Neid als 
aus Liebe zur Wahrheit Platon's Verdienſt herabgeſetzt.) Den Fehde⸗ 
handſchuh hatte Georgios Skolarios, auch Gennadios genannt, der 
ſpätere Patriarch von Konſtantinopel aufgenommen und in demſelben 
Tone geantwortet, den Plethon in ſeiner Replik natürlich noch ſteigerte. 
Dieſer Kampf nun fand in Rom ſeine Fortſetzung. Theodoros Gaza 
trat gegen Plethon und Platon auf, Beſſarion als Vertheidiger des 
Plethon, ſeines Lehrers, und des Platon, deſſen Anſicht er oft dem 
chriſtlichen Dogma nahe fand. Ihr Streit blieb noch in ziemlichen 
Grenzen. Als einer von Beſſarion's Schützlingen, der geflüchtete Grieche 
Michael Apoſtolios, ſeinem Brodherrn recht zu gefallen meinte, wenn 
er von Gaza und von Ariſtoteles mit tiefer Verachtung ſprach, meinte 
der Cardinal doch, das ſei nicht die rechte Art, eine gute Sache zu 
vertheidigen. Obwohl ein perſönlicher Gegner Gaza's, mit dem er in 
den ariſtoteliſchen Ueberſetzungen rivaliſirte, warf ſich Trapezuntios zum 
Anwalt des Ariſtoteles auf und ſchrieb heftig gegen Beſſarion, der 
Streit zwiſchen dieſen beiden wurde der ärgerlichſte.) 

Der ſyſtemſüchtige Charakter des Streites, den die Byzantiner 
unter ſich führten, iſt ſehr bezeichnend gegenüber den perſönlichen Mo⸗ 
tiven, durch welche die Abendländer gegen einander aufgeſtachelt wur⸗ 
den. Dieſe nahmen an dem Kampfe der Akademiker und Peripatetiker 
kaum einen Antheil, doch ſtand bei ihnen Ariſtoteles, obwohl er nie 
in Mißachtung kam, gegen die geheimniß⸗ und ſchwungvollere Lehre 
Platon's bereits merklich zurück. Die platoniſchen Akademien, die rö⸗ 
miſche wie die um Lorenzo de' Medici gruppirte und die neapolita⸗ 


) Facius de vir. illustr. p. 21. 


) Boivin in den Mémoires de littérature de l’Acad. Roy. des Inseript. 
et Belles Lettres T. II. III (hier der bezeichnete Brief Beſſarion's). Paris, 1717. 
1723. J. G. Buhle Geſch. der neuern Philoſophie ſeit der Epoche der Wiederherſt. 
d. Wiſſ. Bd. II. Göttingen, 1800. Hier eine ausführliche und treffliche Darſtellung 
der beſtrittenen Theoreme. Tiraboschi T. VI. p. 518—54g. 


v. Vergleich der romiſchen Literateneurie mit der florent. Gruppe. 347 


niſche, führten zwar zu wunderlichen Ausſchweifungen, waren aber ein 
Binde- und Förderungsmittel des gelehrten Strebens, nicht Ringplätze 
des Kampfes. 


So ging es an der Literatencurie von Rom her, die ſich um die 
Mitte des Jahrhunderts um einen Kirchenfürſten verſammelte, der 
reiche Einkünfte, politiſche und kirchliche, moraliſche und religiöſe Rück⸗ 
ſichten dem humaniſtiſchen Treiben gern zum Opfer brachte. Wiederum 
fühlt man ſich zu einer Vergleichung mit dem florentiniſchen Gelehrten⸗ 
kreiſe gedrängt, der im Beginn dieſes Jahrhunderts den humaniſtiſchen 
Zug geführt hatte. Hier ſahen wir Perſönlichkeiten von ſcharfer Aus⸗ 
prägung, die an ſich, auch abgeſehen von ihren ſammelnden und ſchrift⸗ 
ſtelleriſchen Leiſtungen, als die Vorboten einer neuen Zeit und einer 
andern Bildung gelten konnten. In Rom werden Menſchen zufammen- 
geworben, wie fie ſich eben werben laſſen. Die Freunde und Schüg- 
linge des mediceiſchen Hauſes lebten in einer gemeinſamen Richtung 
hin, eine Tendenz vereinigte ſie, ſo ſehr auch die Individualitäten 
auseinanderwichen: ſie bildeten unausgeſprochen einen großartigen Bund 
im Namen der Wiſſenſchaft. Unter den Gunſtbuhlern des Papſtes 
denkt ein Jeder nur an ſich und ſeinen Vortheil, ein ärmlicher Brod⸗ 
neid erzeugt ihre Zwiſte. Die Perſon eines nicht unwürdigen, aber 
auch nicht hoheitlichen Sterblichen wird umſchmeichelt: von ihr em- 
pfängt ein Jeder den Arbeitsauftrag und den Lohn. Gemeinſam 
iſt ihnen keine Idee, nur der Hofdienſt. Den Papſt ſelber bezeichnet 
es ganz, daß er die ihm gewidmeten und von ihm bezahlten Werke 
nicht oder ſehr ungern abſchreiben ließ; er wollte den Beſitz und den 
Ruhm für ſich allein haben.) 

Den Beweggründen entſpricht der Erfolg, die Leiſtung. Welch' 
ein anregender und treibender Geiſt geht von den florentiniſchen Freun⸗ 
den aus! Sie ſind ſich der Miſſion bewußt, das Vergangene wach⸗ 
zurufen und für ewig der Vergeſſenheit zu entreißen: ſie ſpüren und 
ſammeln mit jugendlicher Luſt, das Neugefundene reizt zu neuen An⸗ 
ſtrengungen, ſie gehen in die Ferne und concentriren dann wieder die 


) Vergl. den Brief des Georgios Trapezuntios an N Barbaro ım- 
ter deſſen Briefen epist. 198. f 


348 V. Die Leiſtungen der Literatencurie unter Nicolaus V. 


zerſtreuten Schätze einer entſchwundenen Zeit in ihrem Florenz. Das 
Alterthum liegt vor ihnen noch wie eine dunkle Maſſe mit geheimniß⸗ 
voll ſchimmerndem Kern. In ſie einzudringen, ſie zu beleuchten, zu 
durchleuchten, ihr Weſen zu enthüllen, dahin geht ihr raſtloſes Streben. 
In ihren Briefwechſeln pulſirt dieſe Fülle eines friſchen Lebens. 

Das literariſche Rom Nicolaus’ V iſt nur eine erkünſtelte und er⸗ 
mattete Fortſetzung des literariſchen Florenz, nicht mehr eine originelle 
Schöpfung, ſein Beruf iſt nicht mehr die Wiedererweckung und Neu⸗ 
belebung, ſondern ſchon die Verarbeitung des Errungenen in die Breite 
und die ſichernde Aufbewahrung. Für den Augenblick mochte die Menge 
der Gelehrten, die Nicolaus' kurzer Pontificat zuſammenführte, mochte 
die Zahl ihrer Arbeiten wohl täuſchen. Wer aber zu wägen und zu 
prüfen verſtand, mußte ſein Urtheil bald ernüchtern. Beobachten wir 
doch den Gedankengang, mit dem Pius II, wenige Jahre nachdem ſeines 
Vorgängers literariſche Curie auseinandergelaufen war, ſie betrachtet. 
„So ſehr erweckte und nährte Nicolaus die Geiſter, daß man kaum ein 
Zeitalter finden dürfte, in welchem die Studien der Humanität und 
der Eloquenz und der andern ſchönen Künſte mehr als unter ihm ge⸗ 
blüht hätten. Das wenigſtens dürfte niemand leugnen, daß ihm von 
den gelehrteſten Männern fo viele Bücher gewidmet find, wie weder 
einem ſeiner Vorgänger noch einem der Kaiſer.“) Und nach einem 
halben Jahrhundert, als die Generation ausgeſtorben war, als der dem 
Papſte geſpendete Weihrauchduft ſich verzogen, da ſagt ein ſcharfſichtiger 
Literarhiſtoriker von dieſer Periode Nicolaus’ V: „Viele über- 
ſetzten unter ihm, durch die Ausſicht auf Belohnung ge— 
trieben.“ 

So iſt es in der That. Im Weſentlichen war der gefeierte Ge⸗ 
lehrtenhof Nicolaus' V nicht mehr als eine große Ueberſetzungsanſtalt. 
Aber allzu geringſchätzig dürfen wir auch dieſes Verdienſt nicht anſehen. 
Die Kenntniß der griechiſchen Sprache iſt dadurch ſehr weſentlich und 
die Kenntniß des Alterthums nicht unbedeutend gefördert, erweitert und 
zumal verbreitet worden. 

Nur Wenige waren ſo glücklich geweſen, die griecifce Sprache 
in Griechenland ſelbſt oder aus erſter Hand von einem Griechen zu 
lernen, der ſie wirklich verſtand und die Werke ihrer alten Literatur 


) Europa cap. 58. 
) Coccius Sabellicus Ennead. X. Lib. VI. p. 719. 


\ 


V. Kenntniß des Griechiſchen. Die Ueberſetzungsliteratur. 349 


zu ſchätzen wußte. Noch Wenigere beſaßen eine erträgliche Zahl grie⸗ 
chiſcher Claſſiker; es wird jedesmal als etwas Beſonderes bemerkt, 
wenn jemand unter ſeinen Büchern auch griechiſche hatte. Bei Vielen, 
die als Kenner der griechiſchen Sprache geprieſen wurden, reichte dieſe 
Kenntniß nicht viel über das hinaus, was bei uns der Schulunterricht 
zu Wege bringt, und dabei entbehrte ſie noch der Fundamente. Män⸗ 
ner wie Poggio und Valla fühlten ſich in einem helleniſchen Schrift⸗ 
ſteller durchaus nicht ſicher; ein angeſehener Helleniſt wie Francesco 
Barbaro las die Schriften des Ariſtoteles doch lieber in einer lateini⸗ 
ſchen Ueberſetzung.) Ein griechiſches Buch fertig leſen, griechiſch ſchrei⸗ 
ben und ſprechen zu können, zugleich auch des eleganten Latein völlig 
mächtig zu ſein, das war eigentlich nur dem Filelfo gegeben; darum 
fühlte er ſich auch in unmäßigem Stolz als den König der Literatoren 
und ſah mit tiefer Verachtung auf die Ungebildeten herab, die kein 
Griechiſch verſtanden oder doch nur ſchülerhaft aus dem Griechiſchen 
überſetzten.) Selbſt die Druckerkunſt hat der helleniſchen Bildung nicht 
die ſchnellen Flügel geben können, mit denen die lateiniſche ſich, ſobald 
jene Kunſt in Italien verbreitet war, über die civiliſirte Erde ſchwang. 

So bedurfte die griechiſche Literatur durchaus noch eines Mediums, 
um in die humane Bildung übergehen zu können. Im 13. und 14. Jahr⸗ 
hundert, als die claſſiſche Latinität erſt von Neuem gelernt werden 
mußte, waren Ueberſetzungen aus ihr in die Vulgärſprache ein Bedürf⸗ 
niß; ) noch in den letzten Jahrzehnten des 14. und in den erſten des 
15. Jahrhunderts ſind ſie beſonders den italiſchen Fürſten, die der la⸗ 
teiniſchen Sprache nicht mächtig, doch auch für die alten Römer inter⸗ 
eſſirt werden ſollten, vielfach dargebracht worden. Jetzt übertrug man 
auch für die lateiniſch⸗ gebildeten Fürſten und Mäcene aus dem Grie⸗ 
chiſchen. Männer wie Coſimo de' Medici und Alfonſo von Neapel 
waren der griechiſchen Sprache ganz unkundig, und trotz den entgegen⸗ 
ſtehenden Verſicherungen einiger Hofſchmeichler glauben wir uns zu der 
Annahme berechtigt, auch Papſt Nicolaus habe vom Griechiſchen ſehr 
wenig oder nichts verſtanden. Aber auch unzählige Andre wünſchten 


1) cf. epist. 122. ed. Quirino. 

2) Vergl. ſein an Tommaſo Tebaldo gerichtetes und fein In eloquii Graeci de- 
„pravatores liberfchriebenes Epigramm bei Rosmini Vita di F. Filelfo T. III, 
p. 163. 164. 

) ef. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 157 sq., wo zumal von den Ueber⸗ 
ſetzungen des Brunetto Latini gehandelt wird. 


350 f V. Die Ueberſetzungsliteratur. 


die griechiſchen Autoren leichter und überſichtlicher zu genießen, als 
wenn ſie ſich erſt durch Wortformen und Unverſtändlichkeiten, durch 
fehlerhafte Handſchriften und mangelhafte Hülfsmittel hindurchkämpfen 
mußten. Darum der ſonſt unbegreifliche Werth, der auf die Arbeit 
des Ueberſetzens gelegt wurde.) Es lag ein gewiſſer Stolz in dem 
Gefühl, den geiſtigen Schatz der untergehenden Griechenwelt der latei⸗ 
niſchen Bildung, einzuimpfen, man nannte das Ueberſetzen bezeichnend 
„der Latinität ſchenken “ oder „mit der Latinität beſchenken.“ 
N Mit den alten Ueberſetzungen einzelner Werke konnte man ſich 
nicht mehr begnügen, ſie waren kaum verſtändlich und die der Dichter 
ganz ungenießbar. Man wollte den Ariſtoteles nun kennen, nicht mehr 
bloß verehren, nicht mehr Geheimlehren aus ihm heraus- und in ihn 
hineinleſen. In den lateiniſchen Ueberſetzungen griechiſcher Werke — 
ſagt einmal Pius II, dem es in ſeiner Jugend nicht geworden war, 
Griechiſch zu lernen, und der während ſeines Lebens jenſeits der Alpen 
von dem literariſchen Treiben Italiens ein wenig abgeſchloſſen blieb — 
zumal in den älteren, muß man errathen, was der Autor will; wenn 
Ariſtoteles wieder auflebte, würde er Vieles, was wir ihm zuſchreiben, 
nicht mehr als das ſeinige erkennen.) 

Dazu kam ein recht wunderlicher Irrthum, der den Eifer des Ueber⸗ 
ſetzens nicht wenig angeregt hat. Man hatte von Eloquenz, die einmal 
als die vornehmſte Schönheit der alten Literatur erſchien, den Begriff, 
den man haben mußte, wenn Cicero als das Muſter galt. Nun 
las man, wie er und die Römer überhaupt unaufhörlich auf Hellas 
als das Mutterland der Schönheit hinwieſen; man zog den Schluß, 
jene Eloquenz müſſe den Hellenen im höchſten Maße zu Eigen geweſen 
ſein. Selbſt die Kenner des Griechiſchen hegten ſolche Pietät und Ehr⸗ 
furcht vor dem römiſchen Urtheil, daß ſie es nicht zu geſtehen wagten, 
wenn ſie ſich in ihrer Erwartung getäuſcht fanden. Andre Leſer ſtanden 
natürlich vor jeder Ueberſetzung, auch vor den beſſeren, unbefriedigt da: 
ſie fanden nicht, was ſie geſucht hatten, und weil ſie die Schuld nicht 
auf die verehrten Griechen ſelber zu ſchieben wagten, mußte jedesmal 
der Ueberſetzer ſie tragen. Man blieb überzeugt, Homeros müſſe durch⸗ 
aus hinreißender und glühender geſungen, Thukydides anmuthiger er⸗ 


9 Darüber ſpricht ſich z. B. Frane. Barbaro opist. 127. ed. Quirino 
p. 185 sq. in bedeutſamer Weiſe aus. 
) Asia cap. 71. 


V. Die Ueberſetzungsliteratur. 351 


zählt, Demoſthenes herzergreifender geſprochen, Platon klarer und in 
leichteren Sätzen, Ariſtoteles lebhafter und piquanter geſchrieben haben. 
Es war gewiſſermaßen eine Naivetät, wenn jener Papſt Pius ſich er⸗ 
laubte zu ſagen, er finde den Ariſtoteles, deſſen Politik er ſich einſt in 
Bruni's Uebertragung gekauft und deſſen Rhetorik er in des Trapezuntios 
Bearbeitung las, „aller Eloquenz baar“, wenn er hinzuſetzt, dieſe Be⸗ 
merkung hätten eigentlich Viele gemacht und nicht begreifen können, 
wie Ariſtoteles nach dem Berichte der Alten eloquente Schüler gebildet 
haben ſolle.) Ueber Xenophon's Denkwürdigkeiten des Sokrates wollte 
er ſich des Urtheils beſcheiden, weil er das Original nicht leſen könne; 
in der lateiniſchen Ueberſetzung aber wollten ſie ihm wenig gefallen. 
Des Arrhianos Beſchreibung der Feldzüge Alexanders fand er begreif⸗ 
licherweiſe ſehr trocken. Solcher Urtheile wüßten wir uns bei italieni⸗ 
ſchen Schulgelehrten nicht zu erinnern. Viel eher erlaubt ſich zum 
Beiſpiel ein Filelfo, von Quintilianus' Beredtſamkeit zu bekennen, ſie 
ſchmecke ihm nach einer gewiſſen Hispanität oder, offener geſagt, Bar⸗ 
barei, ſei ohne Glanz und Eleganz, ergötze und rühre nicht; Quinti⸗ 
lianus habe die Regeln der Kunſt, die er lehre, offenbar ſelbſt nicht 
anzuwenden gewußt.) In dieſer Weiſe von einem Griechen zu ſprechen, 
hätte ſelbſt Filelfo nicht übers Herz gebracht. Lieber gingen manche 
Ueberſetzer darauf aus, mit ihrer lateiniſchen Eloquenz der griechiſchen 
ein wenig nachzuhelfen, was die Leſer wieder noch mehr zu dem Glau⸗ 
ben verleitete, einſt müſſe die Zeit kommen, in welcher die volle, hohe 
Redekunſt der Griechen auch aus den Ueberſetzungen hervorſtrahlen 
werde. | 

Florenz war die Mutter auch der Ueberſetzungsliteratur, in ihrer 
Beförderung erſcheint Papſt Nicolaus wiederum nur als der Zögling 
der florentiniſchen Kreiſe. Nur wurde bei ihm zur einſeitigen Lieb⸗ 
haberei, was dort nur ein Zweig unter vielen geweſen war. Während 
der Unionsverhandlungen mit den Griechen wurden Ueberſetzungen grie⸗ 
chiſcher Kirchenväter geradezu ein praktiſches Bedürfniß, von den kirch⸗ 
lichen Autoren ging man dann zu den Claſſikern über. Lionardo Bruni 
widmete ſich vorzugsweiſe dieſer Beſchäftigung. Sein Erſtlingswerk 
war eine Homilie des h. Baſilios, die er aus Dankbarkeit Salutato 
darbrachte, der ihm zum Erlernen der griechiſchen Sprache verholfen. 


j 1) Pii II. Comment. p. 244. Ä 
) Filelfo's Brief an Giov. Tuscanella v. 10. Juli 1440. 


— 


352 V. Brunt’s Weber] etzungen. 


Es folgten acht Lebensbeſchreibungen Plutarch's, ein paar Reden von 
Aeſchines und Demoſthenes, des Prokopios Geſchichte der Gothen und 
die Geſchichte des erſten puniſchen Krieges aus Polybios, Platon's 
Phädon, Gorgias, Phädros, Kriton und die Apologie des . 
des Ariſtoteles Ethik, Oekonomik und Politik.) 

Die letztgenannten Werke waren für dieſe Literatur epochemachend. 
Den Platon in würdiger Geſtalt den Lateinern zu geben, hatte Bruni 
ſein Patron Salutato als eine heilige Pflicht auf die Seele gebunden, 
er ſelbſt betrachtete dieſe Arbeit als die ſchönſte Frucht, die der Unter⸗ 


richt des Chryſoloras, der mit einer Ueberſetzung der Republik voran⸗ 


gegangen, tragen konnte. Die Hoheit und Grazie des dichteriſchen 


Philoſophen ging ihm immer heller auf, je mehr er als Ueberſetzer 


gezwungen war, das Einzelne zu beachten und zu durchdenken. Die 
Klarheit war ihm das erſte Gebot: man ſollte den Autor ohne Mühe 
leſen können, als hätte er urſprünglich lateiniſch geſchrieben. Vom 
Sinne erlaubte er ſich keine Abweichung; wo Wort für Wort leicht⸗ 
verſtändlich übertragen werden konnte, that er es, wo aber bei ſolchem 


Verfahren der Sinn dunkel geblieben wäre, zog er die Umſchreibung 


der Wörtlichkeit vor.) Den urſprünglichen Plan, alle Werke Platon's 
zu übertragen, führte er freilich nicht aus; es blieb bei den obenge⸗ 
nannten Dialogen. 

Ungleich mehr Ruhm haben ihm ſeine Ueberſetzungen ariſtoteliſcher 
Werke eingebracht. Man nannte ihn ſelbſt wohl den modernen Ariſto⸗ 
teles. Er war der erſte, dürfen wir ſagen, der dem Abendlande den 
wirklichen Ariſtoteles wieder zuführte. Die Politik übertrug er ſogar 
nach dem erſten Exemplar des Buches, welches durch Vermittelung 
Palla's de' Strozzi nach Italien gekommen war. Er verſichert, er habe 
uͤber drei Jahre daran gearbeitet und Wort für Wort, Satz für Satz 
erwogen. Jetzt erſt, ſagte man, könne man die Werke des Ariſtoteles 
leſen und verſtehen, jetzt erſt könne man es glauben, daß er den Ruhm 
des eleganten Ausdruckes, den ihm gewichtige Zeugniſſe der Alten zu⸗ 
ſchreiben, zumal Cicero, der ſeine Schriften einem goldenen Fluſſe ver⸗ 
gleicht, wirklich verdiene. Bruni's Arbeiten verbreiteten ſich ſchnell über 


—— 


) Poggius Orat. in funere Leon. Aretini in Baluzii Miscell. Lib. III. 
p- 248. Genaue Angaben bei Mehus Vita Leon. Bruni vor N Ausgabe der 
Briefe deſſelben p. LXX sq. | 

) Leon. Bruni epist. I, 8. 


V. Bruni's Ueberſetzungen. Der neue Ariftoteles. 353 


ganz Italien und über die Alpen hinaus: der Herzog von Glocefter 
erbat ſich von ihm ein Exemplar ſeiner überſetzten ariſtoteliſchen Po⸗ 
litik, und ein anderes ſchickte Bruni dem Könige von Aragon nach 
Spanien. Selbſt die Katheder⸗Philoſophen legten hier und da den 
neuen Ariſtoteles ihren Vorträgen zu Grunde. Männer wie der Erz⸗ 
biſchof Antoninus von Florenz, die ſich um die Eleganz wenig küm⸗ 
merten, freuten ſich doch der Klarheit des Stils und der Schärfe des 
Ausdrucks. Sogar ein gelehrter Grieche der ſpäteren Zeit, Andronikos 
aus Theſſalonike, der die andern Ueberſetzer für gewiſſenloſe Para⸗ 
phraſten erklärte, rühmte Bruni's glaubwürdige Treue.“) 

Dagegen gab es auch einige Anhänger des alten ſcholaſtiſchen Ari⸗ 
ſtoteles, die nach Kräften bemüht waren, an der neuen Uebertragung 
Einzelnes auszuſetzen, und Bruni den Vorwurf machten, ihm fehle die 
Vertrautheit mit der philoſophiſchen Discipflin. Wir nennen unter 
dieſen nur Ugo Benzi von Siena, der gegen Bruni's Ueberſetzung Miß⸗ 
trauen faßte, weil 1 9 des Ariſtoteles darin nicht einfach durch 
bonum, ſondern durch zummum bonum wiedergegeben war, und einen 
gelehrten Juriſten Namens Alfonſo de S. Maria, einen Spanier aus 
Cartagena und nachmaligen Biſchof von Burgos, der in der modernen 
Ueberſetzung etwas wie Ketzerei witterte, die griechiſch⸗gebliebenen Aus⸗ 
drücke der alten Verſion beibehalten und den Text des Ariſtoteles um 
jeden Preis mit den Forderungen der Moralphiloſophie in Einklang 
gebracht wiſſen wollte, übrigens weder von der griechiſchen Sprache 
noch von dem, was eine Ueberſetzung zu leiſten habe, eine Vorſtellung 
beſaß.) 

Die florentiniſchen Freunde, ſoweit ſie Griechiſch verſtanden, folgten 
Bruni's Beiſpiel. Marſuppini überſetzte die Batrachomyomachie. Tra⸗ 
verſari pflegte mehr das Gebiet der kirchlichen Autoren, er übertrug 
Werke des Baſilios und Chryſoſtomos, die Lebensbeſchreibung des 
letztern von Palladios und die des Gregorios von Nazianz, welche 
Gregorios Presbyter geſchrieben, Predigten Ephraem's des Syrers und 


') Raphael Volaterr. Lib. XXI. — Manetti in Orat. funebr. ap. Me- 
hus J. c. p. CI: haec Aristotelica vitio priorum interpretum corrupta atque 
depravata nunc primum latina effecta fuisse intelligimus ete. Cf. Leon. Bruni 
epist. IV, 19. 22. VIII, 1. 7. IX, 1. X, 10. Franc. Barbari epist. 127 ed. 
Quirino p. 188. Facius de vir. illustr. p. 10. 

) Leon. Bruni epist. V, 1. ef. IV, 22. VII, 4. 7. IX, 11. X, 24. 26. 


Voigt, Humanismus. 23 


354 V. Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus' V. 


dergleichen.) Von ſeiner profanen Beſchäftigung mit Diogenes von 
Laerte wurde oben ſchon geſprochen. 

Was ſonſt von Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus’ V geliefert 
wurde, ſteht entweder im Zuſammenhange mit den florentiniſchen Be⸗ 
ſtrebungen oder es ſind vereinzelte Verſuche. Erſteres gilt ohne Zweifel 
von den Uebungen, welche die Venetianer Leonardo Giuſtiniani und 
Francesco Barbaro mit Plutarchos anſtellten; denn die Lebensbeſchrei⸗ 
bungen und die ſogenannten moraliſchen Schriften deſſelben waren eben 
eine Aufgabe, in die ſich Viele theilen mochten. Bei Filelfo's und 
Guarino's Uebertragungen iſt die Zeit ſchwer zu beſtimmen, doch ſcheim 
es, daß erſt der Wetteifer mit den Florentinern ſie anſpornte. Der 
von Pier⸗Paolo Vergerio überſetzte Arrhianos, der in die früheſte Zeit 
des Hellenismus gehört, hat ſich niemals zur Geltung bringen können, 
aber merkwürdig iſt das Schickſal dieſes Buches. Vergerio hatte es 
Kaiſer Sigmund dem Luxemburger gewidmet und mit dieſem war es 
aus dem literariſchen Verkehr in das ferne Ungarnland verſchlagen. 
Es kam dann in die Hand des Enea Silvio de' Piccolomini, der es 
im Jahre 1454 dem Könige Alfonſo von Neapel verehrte.) Bei 
dieſem erweckten die Thaten Alexander's des Großen keine geringe Nen- 
gier. Als man aber begann, in Gegenwart der Hofgelehrten aus dem 
Buche vorzuleſen, fand man die Sprache ſo ungeſchickt und ungenieß⸗ 
bar, daß jedermann der Entſchuldigung des Piccolomini beipflichtete, 
als habe Vergerio eben dem Verſtändniſſe des kaiſerlichen Barbaren 
angemeſſen geſchrieben. Alfonſo gab dem Bartolommeo Fazio den Auf⸗ 
trag, die Ueberſetzung zu revidiren, zu ſtiliſiren und zu feilen, bis fie 
des großen Makedoners und der königlichen Ohren würdig fei. Wir 
wagen zu behaupten, daß Fazio durchaus nichts von der griechiſchen 
Sprache verſtand. Aber das machte ihn nicht verlegen, er ſollte ja 
nur ein lesbares Buch herſtellen. Hier und dort zog er zwei Griechen 
zu Rathe, den Nikolaos Sagundinos und Theodoros von Theſſalonile, 
ſonſt aber ließ er weg, was ihm nicht paßte, ſetzte zu und änderte, wo 
es ihm gut ſchien, kurz er verfuhr mit dem Arrhianos, um mit der 
Indignation eines ſpäteren Herausgebers dieſes Autors zu ſprechen, 


) Die Epistolae nuncupatoriae dieſer Ueberſetzungen find unter Traverſari's 
Briefen in Lib. XXIII. recens. Canneto abgedruckt. 

) Die Briefe des Aeneas Sylvius an den König und an Beccadelli v. 26. Ja- 
nuar und an letzteren v. 29. Juni 1454 im Cod. msc. 3389. fol. der wiener Hof⸗ 
bibliothek. 


V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V 355 


wie ein Eſel, wenn man die Albernheiten, wie ein Räuber, wenn man 
die unverſchämten Willkürlichkeiten in Betracht zieht. Dennoch hat 
man den Arrhianos lange Zeit in dieſer „ſehr angenehmen“ Ueber⸗ 
ſetzung geleſen und ſogar gedruckt.) Aehnliche Arbeiten dürften in 
nicht geringer Zahl zum Vorſchein kommen, wenn man die für Fürſten 
und Mäcene geſchriebenen Bücher genauer zu prüfen ſich die Mühe 
nähme. 

Papſt Nicolaus verfolgte jede literariſche Beſtrebung, die er einſt 
in Florenz kennen gelernt, mit ſeinem ganzen Eifer, aber auch mit 
ſeinem ganzen Eigenſinn. Gerade die Ueberſetzer, Bruni und Traver⸗ 
ſari, die nun beide todt waren, hatten ihm beſonders behagt. Vespa⸗ 
fiano hörte ihn einſt jagen, er verſtehe nun jene kirchlichen Autoren in 
Traverſari's Ueberſetzung beſſer, als Andere ſie mit unendlichen Com⸗ 
mentaren verſtänden.) Jetzt ſollten ihm alle feine Hofliteraten Ueber⸗ 
ſetzungen machen, weil er immer leſen und claſſiſche Bücher aufſam⸗ 
meln wollte, zuletzt nur weil er einmal ſeine Luſt daran hatte. Die 
Aufgaben theilte er ſelbſt aus, oft mit geſchickter Wahl, oft auch nach 
Laune; den Lohn gab er mit dem freundlichſten Geſicht, meiſtens mit 
eigener Hand. Führen wir uns, ohne um die Vollſtändigkeit verlegen 
zu ſein, die anſehnlicheren Producte der päpſtlichen Ueberſetzungs⸗ 
fabrik vor. 

Für Ariſtoteles war auch nach Bruni noch gewaltig viel zu thun 
und der Papſt ſcheint der Meinung geweſen zu fein, daß dieſe Arbeit 
vorzugsweiſe den geborenen Griechen zukomme. Georgios Trapezuntios 
überſetzte die Phyſik und die Problemata, ferner die Metaphyſik, letztere 
vielleicht aus Rivalität gegen Beſſarion, wie denn auch beide ſchon vor⸗ 
her die größere Rhetorik übertragen hatten. Nur zwei Werke übertrug 
Theodoros Gaza, die Problemata und ſpäter die Bücher über die Natur 
der Thiere, dieſe Arbeiten galten für beſonders gelungen. Die an 
Nikomachos und die an Eudemos gerichtete Ethik übernahm Gregorius 
Tifernas. Freilich iſt ihr Verdienſt ſo wie das Bruni's in der Folge 
durch Argyropulos verdunkelt worden, und für ewige Zeiten haben ſie 
alle nicht gearbeitet. Aber man las nun doch wirklich die Werke des 


) Facius de vir. illustr. p. 8 und Mehus B. Facii Scripta vor der Aus⸗ 
gabe dieſes Werkes p. XXXXIV sq., meiſtens nach einem Briefe des Zeitgenoſſen 
Sacopo Curlo. 

1) Vespasiano: Nicola V Papa 8 26. 

23 * 


356 V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V. 


Hellenen, wobei wir ihre Echtheit dahingeſtellt ſein laſſen, nicht mehr 
jene dunkeln Machwerke, wie ſie auf Veranlaſſung Kaiſer Friedrich's II, 
Manfred's und des Papſtes Urban IV im 13. Jahrhundert entſtanden 
waren, man ließ die Subtilitäten fallen, welche die Araber in das 
Syſtem hineingebracht, und man bedurfte nun nicht mehr des großen 
Commentators, der ebenſo wenig Griechiſch verſtanden hatte wie ſeine 
und des Ariſtoteles zahlloſe Bewunderer in Frankreich und Italien. 
Die kirchliche Autorität des Stagiriten war für immer geſtürzt, an 

ihre Stelle trat das Verſtändniß. j 

Die größeren Werke Platon's waren noch immer faft unbekannt. 
Wenn ſelbſt von Männern wie Guarino und Filelfo erzählt wird, ſie 
hätten die platoniſchen Schriften aus Konſtantinopel herübergebracht, 
ſo ſcheint es doch, daß dieſe Bücher gleich mumiſirten Leichen in ihren 
Bibliotheken ſtanden. Die Meiſten wußten von Platon nicht mehr, 
als was Cicero von ſeinem idealen Staate mittheilt, von der Austrei⸗ 
bung der Dichter, der Gemeinſchaft der Weiber u. ſ. w. Von einem 
und dem andern der Humaniſten hören wir dann, daß er Bruni's Bei⸗ 
ſpiel folgte und ſich an einzelne Dialoge machte. Sie wurden wenig 
verbreitet, man verſtand ſie nicht. Jetzt übertrugen Decembrio und 
Trapezuntios die Republik, wie ſchon Chryſoloras gethan; dieſes Buch, 
zu welchem man einige Vorbegriffe mitbrachte, zog am meiſten an. 
Trapezuntios fügte das Werk von den Geſetzen hinzu. Um ſeine Mühe 
oder vielmehr den Auftrag des Papſtes zu rechtfertigen, ſprach der 
Elende nun wieder mit entzücktem Lobe von Platon, deſſen Ruhm er 
vorher nach Kräften verkleinert hatte. Im Ganzen war der Stifter 
der Akademie immer noch ein geheimnißvoller Mann, mit dem wenige 
Auserwählte prunkten, ohne doch wirklich viel mehr zu verſtehen als 
andre. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts feierte Platon in den 
Akademien ſeine Auferſtehung, aber eine Geheimlehre blieb ſeine Phi⸗ 
loſophie auch da noch. 

Sein vorzügliches Augenmerk richtete Papſt Nicolaus auf die 
Geſchichtſchreiber der Griechen. Sie erſchloſſen eben die Kenntniß des 
Hellenenthums von allen Seiten, ſie boten die anziehendſte und leichteſte 
Lectüre. Die Vergangenheit des helleniſchen Volkes hatte lange, lange 
eine tiefe Nacht bedeckt. Wir begegnen ſelbſt bei den gelehrteſten Hu⸗ 
maniſten den gröbſten Verſtößen auf dieſem Gebiete. Wiederum war 
Lionardo Bruni der erſte, der das Dunkel durchbrach, der erſte mo⸗ 
derne Bearbeiter der griechiſchen Geſchichte und der erſte, der griechiſche 


V. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V. | 357 


Hiſtoriker „der Latinität geſchenkt hat.“ Um nun die Heroen der grie- 
chiſchen Geſchichtſchreibung in ein würdiges Latein zu bringen, erſah 
ſich der Papſt auch die Heroen unter ſeinen Hofüberſetzern. Den Thu⸗ 
kydides mußte Valla übernehmen, eine Arbeit, der er wenig gewachſen 
war;) wir erinnern uns, wie ihn Nicolaus dafür eigenhändig mit 
500 Ducaten belohnte. Auch Herodotos war ihm zugetheilt, doch hat 
er ihn erſt fpäter in Neapel vollendet. Den Diodoros von Sicilien, 
der erſt kürzlich aus Griechenland herübergekommen war, übertrug 
Poggio.) Auch Decembrio wird als Ueberſetzer des Diodoros ge⸗ 
nannt; vielleicht vertheilte der Papſt in Erwägung, daß beide mittel⸗ 
mäßige Gräciſten waren, dieſe leichtere Arbeit unter ſie. Decembrio 
lieferte außerdem eine Uebertragung des Appianos. Den Polybios wies 
der Papſt dem jungen Perotti zu, deſſen Arbeit ihm dann ſo gelungen 
erſchien, daß er dem glücklichen Ueberſetzer 500 neugeprägte päpſtliche 
Ducaten in einer Börſe überreichte und freundſchaftlich hinzufügte, er 
ſei ihm eigentlich zu weit mehr verpflichtet und gedenke ſich dieſer 
Schuld ſchon noch zu entledigen.) Kleinere Aufgaben fanden ſich 
reichlich in des Plutarchos Schriften und wir haben bereits erwähnt, 
wie vielfältig ſich die Ueberſetzer in dieſen Schriftſteller theilten. 

Die Kosmographie gehörte auch zu den Lieblingsfächern des Papſtes. 
So hatte er für Strabon den Guarino auserſehen und ihm für jeden 
der drei Theile, für die Aſia, Africa und Europa, je 500 Goldgulden 
verſprochen. Mit zwei Theilen wurde der gelehrte Achtziger noch bei 
Lebzeiten des Papſtes fertig und 1000 Goldgulden hat er erhalten, 
aber ug Nicolaus Tode wurde es ihm ſchwer, auch für den dritten 


9 ef. E. J. Golisch de Thucydidis interpretatione a Laur. Valla latine 
facta Disquisitionis Specimen. Olsnae, 1842. 

) Die Nachricht bei Recanati Vita Poggii ap. Muratori Scriptt. T. XX. 
cap. 11, als habe Poggio dieſer Ueberſetzung wie der von Lukianos' Eſel in trügeri⸗ 
ſcher Abſicht ſeinen eigenen Namen vorgeſetzt, iſt ebenſo unſinnig (vergl. Poggii 
epist. 58. im Spicileg. Roman. T. X. und Mai's Note dazu) wie die Fabel, als 
habe Bruni bei ſeiner Bearbeitung von Prokopios' gothiſchem Kriege dieſen Autor 
verleugnen wollen. In beiden Fällen bediente ſich der Ueberſetzerſtolz nur etwas hoch⸗ 
trabender Ausdrücke. Auch daß Poggio eine frühere Ueberſetzung des Diodoros für 
die ſeinige ausgegeben, iſt unwahrſcheinlich, da dieſer Autor erſt unter Eugen IV von 
Garatone da Trevigi, Biſchof vom peloponneſiſchen Korone, nach Italien gebracht war 
(Marini degli Archiatri Pontif. T. I, p. 153). Poggio's Ueberſetzung der Cyropädie 
nennen wir hier nicht, da ſie auf Anregung des Königs Alfonſo von Neapel entſtand. 

) Vespasiano: Nicola V Papa 5 26; Vescovo Sipontino $2 (hier find es 
600 Ducaten). Zwei Dankbriefe des Papſtes an Perotti bei Georgius Vita Ni- 
colsi V p. 206. 207. 


358 v. Homeros 1 letzte Wunſch Nieolaus '. 


Theil einen ſo freigebigen Lohnherrn zu finden. Wohl in der Meinung, 
des alten Guarino Leben dürfte für den ganzen Umfang des Werks 
nicht ausreichen, hatte Nicolaus die letzten fieben Bücher jener Erdb 
ſchreibung gleichzeitig dem Gregorius Tifernas aufgetragen, und 
folgt in den Ausgaben die Arbeit des letzteren hinter den erſten zehn 
Büchern, die Guarino geliefert hat, welchen übrigens mehr die ehr⸗ 
würdige Perſönlichkeit als die ſprachliche Kunſt auszeichnete.) 

Wir übergehen billig die kleineren Ueberſetzungsarbeiten, auch wenn 
Werke darunter ſind wie des Theophraſtos Botanik aus Gaza's Feder, 
in welcher man Genauigkeit und Eleganz in ſeltener Weiſe verbunden 
fand, wir wenden uns nur noch zu der Aufgabe, die dem Papſte als 
die höchſte der Ueberſetzerkunſt erſchien, die ſein ſehnlichſter Wunſch bis 
an den Tod war. Er wollte die homeriſchen Geſänge lateiniſch im 
heroiſchen Versmaße leſen. Natürlich konnten ihn die alten Ueber⸗ 
ſetzungen des Leonzio Pilato oder gar des ſogenannten Pindar von 
Theben nicht befriedigen. Nach ihnen hatte Chryſoloras die Odyſſee 
übertragen, aber gleichfalls in Proſa. Jedermann wußte, daß die 
höchſte Gunſt des Papſtes hier zu verdienen ſei, und es wurden ihm 
Verſuche eingereicht, die aber ſeinem ſcharfen Urtheile nicht genügen 
wollten. Wahrſcheinlich gehörte dazu Valla's Ueberſetzung der Iliade,) 
Decembrio überſetzte die zwölf erſten Bücher derſelben, ), aber beide 
wagten es nicht, den homeriſchen Vers nachzubilden. Guarino wurde 
aufgefordert, wir hören indeß nicht, daß er die ſchwierige Arbeit unter⸗ 
nommen.) 

Endlich ging dem ſehnſüchtigen Bapfte eine Hoffnung auf: 
junger Römer Namens Orazio überreichte eine Probe, die den e 
Anforderungen wirklich entſprach. Er. erhielt alsbald das Amt eines 
apoſtoliſchen Scriptors und wurde durch glänzende Verheißungen zur 
Fortſetzung der Arbeit angeſpornt. Dennoch iſt ſie, wir wiſſen nicht 
aus welchem Grunde, liegen geblieben. Ueberhaupt haben wir von der 
Perſon jenes Orazio nur geringe Kunde. Auch ſein Werk ſcheint ver⸗ 
ſchollen. Ein Codex der Vaticana enthält etwa das erſte Buch der 


5 ) Vespasiano: Nicola V I. c.; Guerino Veronese 32. Georgius l. c. 
p. 186. Tirabos chi T. VI. p. 1221. 1463. 

) Sie iſt Brixiae 1474 im Druck erſchienen. Es wäre immerhin intereſſant 
zu wiſſen, ob er wirklich, wie Fazio ihm vorwarf, die Uebertragung Pilato's ausge 
beutet hat. Letztere iſt leider nur handſchriftlich vorhanden. 

) Nach Facius de vir. illustr. p. 24 nur fünf Bücher. 

) Vespasiano: Nicola VI. c. 


V. Homeros und der letzte Wunſch Nicolaus’ V, 359 


Iliade in lateiniſchen Verſen und mit einer Widmung an Papſt Nico⸗ 
laus, indeß ohne den Namen des Ueberſetzers. Man hat vermuthet, 
daß es Orazio's Arbeit ſei.) Papſt Pius II erwähnt aber »einige 
Bücher“ dieſer Ueberſetzung und daß er fie kannte, geht doch wohl 
daraus hervor, daß er ein Urtheil fällte.) Mit mehr Wahrſchein⸗ 
lichkeit glauben wir den Verfaſſer jenes vaticaniſchen Fragmentes in 
Carlo d' Arezzo zu finden. Er hatte vorher die Batrachomyomachie 
mit entſchiedenem Beifall bearbeitet und ſandte nun dem Papſte einen 
Verſuch der Iliade ein.) Nicolaus war ſogleich wieder in vollem Feuer: 
Marſuppini ſollte ſich nach Rom überſiedeln und ganz dem Homeros 

widmen. Poggio mußte an die Prioren und den Gonfaloniere der Re⸗ 
publik ſchreiben und fie im Namen der Wiſſenſchaft bitten, ihren Canz⸗ 
ler zu entlaſſen. Ihm ſelbſt ließ der Papſt ſeine Bewunderung be⸗ 
zeugen, wie er die homeriſchen Verſe ſo treu übertragen, ihre Anmuth 
wie ihre Majeſtät ſo glücklich nachgebildet. Da er aber während der 
amtlichen Beſchäftigungen unmöglich die Muße finden könne, die zu 
einer ſolchen Arbeit nöthig, möge er nach Rom kommen. Hier ſolle 
er ſo geſtellt werden, daß er, ohne für etwas anderes ſorgen zu dürfen, 
nur für dieſe Ueberſetzung leben könne.) 

Auch dieſe Hoffnung wurde dem Papſte geraubt; in einem halben 
Jahre rief der Tod den Staatscanzler und lateiniſchen Homeros ab. 
Jetzt lebte nur noch Einer, dem Nicolaus eine würdige Ueberſetzung 
der Jliade und der Odyſſee zutraute. Es war Filelfo. Die Aner⸗ 
bietungen, die ihm gemacht wurden, zeigen ein Verlangen des Papſtes, 
das wir kaum anders als ein krankhaftes nennen können. Auch Filelfo 
ſollte vom mailändiſchen Hofe losgebeten werden und um ſorgenfrei zu 
arbeiten, in Rom ein ſchönes und eingerichtetes Haus nebſt einem er⸗ 
giebigen Landgute als Geſchenk erhalten. Ferner wollte der Papſt bei 
einem beliebigen Banquier 10,000 Zecchinen niederlegen, die Filelfo zu⸗ 
fallen ſollten, ſobald er die beiden Gedichte Homers vollendet vor⸗ 
legte.) Dieſer Plan aber wurde, wohl um des Herzogs von Mai⸗ 


) Georgius l. c. p. 193. 210. 

) Europa cap. 58. 

) Aeneas Sylvius de vir. elar. XVI. Hieron. Aliottus (Epistt. et 
Opusc. T. II. Arretii 1769) p. 330: Carolus Arretinus — latinum facere Home- 
rum est adgressus et praegustionem quandam ingenii sui nobis reliquit, librum 
unum aut item alterum transferens, eleganti quidem carmine ac terso etc. 


) Die beiden Breven v. 24. October 1452 theilt Mai im Spicileg. Roman. 
T. I. p. 574 mit. | 


) Philelfi epist, XXVI, 1 an Lobriſio Crivelli. Rosmini Vita di Filelfo 


360 | V. Uebertragungen kirchlicher Autoren. 


land willen, ganz geheim gehalten. Wenige Tage vor ſeinem Tode 
theilte ihn der Papſt wie ein ſchweres Geheimniß dem vertrauten Tor⸗ 
tello mit. Seinen ſchönſten literariſchen Traum hat er mit ſich ins 
Grab nehmen müſſen. Die leichten Verſe des Niccolo della Valle, 
eines römiſchen Jünglings, der zwei Decennien ſpäter die homeriſche 
Aufgabe zur Bewunderung ſeiner Zeitgenoſſen löſte, fanden nicht mehr 
den glänzenden Lohn, den Nicolaus für dieſe herzlichſte Sorge ſeines 
Pontificats mit Freuden geſpendet hätte. 

Auch die Ueberſetzungen kirchlicher Autoren verdienen hier wohl 
Erwähnung, ) war doch Traverſari, der Florentiner, das Vorbild. 
Gleich ihm hegte Papſt Nicolaus beſonders für die ältere Theologie 
ein Intereſſe. Manetti übernahm eine neue Ueberſetzung der ganzen 
Bibel, zunächſt des neuen Teſtamentes und des Pſalters, aus den Ur⸗ 
terten. Weder ihm noch dem Papſte war es anſtößig, daß darin ein 
gewiſſes Mißtrauen gegen die Autorität des h. Hieronymus lag. Wie 
weit Manetti in ſeiner Arbeit noch bei des Papſtes Lebzeiten kam, 
wiſſen wir nicht genau, doch der ungeahnten Myſterien, welche er in 
Folge dieſer neuen Bibelüberſetzung zu enthüllen verſprach, iſt die Welt 
nicht gewürdigt worden. Tortello und Trapezuntios überſetzten das 
Leben des Athanaſios von Gregor von Nazianz, letzterer auch einige 
Werke des Kyrillos und Baſilios und das Leben des Moſes von Gre⸗ 
gorios von Nyſſa, mit denen er gerade ſo leichtfertig und willkürlich 
ſchaltete wie mit des Euſebios evangeliſcher Vorbereitung. Als die 
wünſchenswertheſte Leiſtung auf dieſem Gebiete erſchien dem Papſte eine 
Ueberſetzung der achtzig Homilien des Joannes Chryſoſtomos über das 
Matthäus⸗Evangelium; man wiederholte ſich die Erzählung, daß einſt 
Thomas von Aquino, als ihm die bisher bekannten 25 Homilien in 
der Ueberſetzung des Orontius zu Paris gezeigt wurden, geſagt haben 
ſolle, er wolle lieber dieſes Buch als ganz Paris. Der Papſt hatte 
dieſe Arbeit einſt dem Trapezuntios übertragen, der vor andern den 
Vorzug hatte, mit Allem bald fertig zu ſein, hier indeß ſein Vertrauen ſo 
wenig rechtfertigte, daß er ſpäter den Theodoros Gaza dafür gewann.) 


T. II. p. 95 beſpricht auch die Frage, ob die unter Filelfo's Namen gedruckte Ueber⸗ 
ſetzung der Odyſſee von ihm verfaßt oder von ſeinem Sohne Mario oder überhaupt 
untergeſchoben ſei. 

) Ueber ältere Ueberſetzungen . derſelben cf. Mehus Vita Ambros. 
Travers. p. 218. 

) Vespasiano: Nicola V $ 26 ee Trabisonda 8 2. e 
J. c. p. 180. Bähr a. a. O. 


v. Nicolaus V als Bücherfammler. 361 


Auch das Forſchen nach den etwa noch verborgenen Schriften der 
alten Römer und der Kirchenlehrer, welches ſo eifrig, wie wir ſahen, 
von Florenz aus betrieben wurde, hat Papſt Nicolaus mit demſelben 
Eifer fortgeſetzt. Er bediente ſich dazu eines gewiſſen Alberto Enoche 
aus Ascoli, der ihm von Florenz her bekannt war, wo er im Hauſe 
der Medici Kinder unterrichtet.) Dieſer Menſch galt als geſchickter 
Aufſpürer und Entführer alter Codices. Mit päpſtlichen Empfehlungs⸗ 
ſchreiben ausgerüſtet durchmuſterte er die Kirchen- und Kloſterbiblio⸗ 
theken von Italien bis in den ſcandinaviſchen Norden, von England 
bis nach den Ufern der Weichſel und des Pregels.) Den Mönchen 
befahl ein apoſtoliſches Breve bei Strafe der Excommunication, dieſem 
Bücherſpürer die Bibliotheken zu öffnen. Der Papſt hatte ihm den 
beſondern Auftrag gegeben, nach den vollſtändigen Dekaden des Livius 
zu ſuchen, deren Exiſtenz irgendwo im Norden immer noch ſeit den 
Tagen Martin's V und Niccoli's ſpukte.) Poggio ſchüttelte bereits 
ungläubig den Kopf: als ſich wieder ein Menſch fand, der den ganzen 
Livius geſehen haben wollte, bot er kühn für jede Dekade hundert 
Ducaten, meinte aber gewiß ſehr richtig, jener wolle nur Geld er⸗ 
ſchleichen, um in fein nordiſches Vaterland heimkehren zu können.“) 


) Ambros. Travers. epist. VII, 5. 

2) Ich theile hier aus dem Geh. Archiv zu Königsberg das Breve Nicolaus’ V an 
den Hochmeiſter Ludwig von Erlichshauſen mit. Es datirt v. 30. Apr. 1451 und iſt von 
Poggio verfaßt. Dilecte fili. Salutem et apostolicam benedictionem. Jamdiu decre- 
vimus atque ad id omni studio operam damus ut pro communi doctorum virorum 
- comodo habeamus librorum omnium tum latinorum tum grecorum bibliothecam 
condecentem pontificis et sedis apostolice dignitati, et jam ex iis qui reperiun- 
tur omnis generis scriptorum majorem partem habemus. Sed cum multi libri 
ex antiquis deficiant, qui culpa superiorum temporum sunt deperditi ad inqui- 
rendum et transscribendum si reperiantur cjusmodi libros mittimus Dilectum fi- 
lium Enoch Esculanum virum doctum grecis et latinis litteris familiarem no- 
strum, qui diversa loca et Monasteria inquirat si quis ex ipsis deperditis apud 
vos libris reperiretur. Idcireo nostri contemplatione velis omnes tui Territorii 
libros sibi ostendere antiquos presertim et prisce scripture, et simul permittere 
ut in tuo Territorio seribi possit expensis nostris. Nolumus enim ut aliquis 
liber surripiatur, sed tantummodo ut fiat copia transcribendi super quibus ipse 
Enoch tecum loquetur latius ex parte nostra. Datum Rome apud Sanctum Pe- 
trum sub anulo piscatoris die Ultima Mensis Aprilis Pontificatus nostri Anno 
quinto etc. a. C.1451. Insuper quia ad diversas mundi partes iturus est: hortamur 
te, ut in omni sua necessitate nostri contemplatione sibi subvenias. — Poggius. 

) S. oben S. 139. | 

9) Poggii epist. 51. 52. im Spieileg. Roman. T. X. Mai hat dieſen Men⸗ 
ſchen offenbar irrig mit Enoche identificirt, der ja in Ascoli heimiſch war. 


362 | V. Nicolaus V als Bücherſammler. 


Den Enoche hielt er gleichfalls für einen beſchränkten und unwiſſenden 
Menſchen, und allerdings ziemte es keinem ſo wohl wie dem alten 
Poggio, darüber zu lachen, daß er nun ſeit zwei Jahren unterwegs 
ſei und noch von keinem Funde Nachricht gegeben habe. Er und ſeine 
Freunde hatten nicht mehr viel zu finden übrig gelaſſen. Mag Enoche 
manches treffliche Exemplar aufgeſtöbert und über die Alpen gebracht 
haben, was er von noch unbekannten Werken fand, iſt allerdings eine 
ſehr ärmliche Ausbeute. Nur das Werk über die Kochkunſt der Alten, 
welches dem Cölius Apicius zugeſchrieben wird, und der Commentar 
des Pomponius Porphyrio zum Horatius werden uns genannt.“) 
Bedeutender wohl war der Erwerb griechiſcher Bücher, die Nico⸗ 
laus vor und nach der Eroberung von Konſtantinopel, in Griechenland 
und im türkiſchen Aſien zuſammenkaufen ließ. Geheime Agenten führten 
das Geſchäft; denn man ſchämte ſich dieſer friedlichen Verbindung mit 
dem Erzfeinde des chriſtlichen Namens, weil die Unthätigkeit des Papſtes 
dem erſchütternden Sturze von Byzanz gegenüber ſchon Aergerniß ge⸗ 
nug gab. Der verrufene griechiſche Schmutz und Staub auf den per⸗ 
gamentenen Bänden, die aus dem Türkenlande herüberkamen, war dem 
Papſte ein froherer Anblick als die griechiſchen Geſandten, die mit der 
Bitte um Geld und Hülfe vor ihn traten. Griechenland, tröſtete ſich 
der Humaniſt, geht nicht unter, es wandert nur nach Italien herüber. 
Die griechiſchen Bücher blieben trotzdem noch lange Zeit ſehr ſelten 
und koſtbar, weil der Copiſt ein Gelehrter ſein mußte und ein Ge⸗ 
lehrter ſich ungern zum Copiren bequemte. Guarino, der ſeit den 
Tagen des Chryſoloras griechiſche Werke geſammelt, konnte die Proble⸗ 
mata des Ariſtoteles und die Aphorismen des Hippokrates nicht er⸗ 
langen, er wandte ſich nach Florenz an Poggio; auch dieſer wußte nur 
von einem Exemplar der Problemata, welches Papſt Nicolaus beſaß 
und aus welchem Gaza überſetzte, wegen der Aphorismen wußte auch 
er keinen Rath.) Auch hebräiſche Bücher begann man nun zu ſam⸗ 
meln, beſonders war der Papſt nach dem hebräiſchen Matthäus⸗Evan⸗ 
gelium begierig, für deſſen Auffindung er 5000 Ducaten ausſetzte.) 
Man ſieht aus dem Allen wieder, daß Nicolaus mehr das Bücher⸗ 


) Platin a p. 613. Vespasiano Enoche d' Ascoli: trovò poche degne 
cose di memoria. 

) Poggii epist. 84. im Spicileg. Roman. T. X., 

) Platina l. c. Manetti l. c. p. 926. Filelfo's Brief an Papſt Calix⸗ 
tus III vom 19. Februar 1456. 


* 


V. Nicolaus V als Begründer der Vaticana. 363 


ſammeln und das Büchermachen liebte als unmittelbar die Förderung 
der Geiſter, und ſo war auch der Endzweck ſeiner Beſtrebungen einfach 
die päpſtliche Bibliothek. Sein Name ſollte einſt neben denen 
eines Ptolemäos Philadelphos und eines Trajanus glänzen. Vielleicht 
war er ſelbſt damals, als er Niccoli's Bibliothek zu S. Marco nach 
dem von ihm ſelbſt entworfenen Syſtem aufſtellte, der Meinung ge⸗ 
weſen, Florenz ſei zum Archiv der alten Welt vorzugsweiſe berufen, 
aber es iſt auch natürlich, daß auf dem apoſtoliſchen Stuhle Rom ihm 
als der würdigſte Ort erſchien. Hier gedachte er mit großartigen 
Mitteln in der begrenzten Zeit eines Pontificates zu Stande zu brin⸗ 
gen, was in Florenz die Energie eines einzigen Mannes, der freilich 
ſein Leben darauf verwendete, ſo glücklich geſchaffen, eine dem öffent⸗ 
lichen Nutzen gewidmete Centralſtelle der Bücherwelt. Sie ſollte den 
Prälaten der Curie und den Gelehrten Rom's zu bereitem Gebrauche 
dienen, dem vaticaniſchen Palaſt zur ſchönſten Zierde gereichen und 
Rom für ewige Zeiten zum Mittelpunct der Wiſſenſchaft erheben. 

Man darf Nicolaus V immerhin als den Stifter der vaticaniſchen 
Bibliothek bezeichnen, obwohl ſie vor ihm beſtanden hat und erſt nach 
ihm eine öffentliche geworden iſt. Jene Bücherſammlung, die Martin V 
von Avignon nach Rom ſchaffen ließ, war ohne Zweifel nicht mehr 
als der zum Geſchäftsleben nothwendige Apparat. Noch zu den Zeiten 
Eugen's IV waren die römiſchen Bibliotheken unbedeutender und ver⸗ 
wahrloſeter, als Städte und Höfe zweiten oder dritten Ranges ſie auf⸗ 
weiſen konnten. Traverſari hat ſie durchmuſtert: von der päpſtlichen 
und der zu S. Peter gehörigen ſagt er ausdrücklich, daß er nichts von 
erheblichem Werthe darin gefunden.) Der Ruhm der Vaticana ruht 
auf ihrem claſſiſchen Charakter und dieſen erlangte ſie entſchieden durch 
Nicolaus V. Bekanntlich hat hier erſt Sixtus IV die öffentliche Biblio⸗ 
thek begründet, mit regelmäßigen Fonds ausgeſtattet und an Stelle der 
Auguſtinermönche, die bisher ein Privilegium auf dieſes Amt gehabt, 
Gelehrte zur Präfectur ernannt, zuerſt den in der Geſchichte der claſſi⸗ 
ſchen Editionen wohlbekannten Biſchof von Aleria, dann ſeit 1475 den 
nicht minder berühmten Platina. Und doch hat Sixtus nur die An⸗ 
ordnungen getroffen, die Nicolaus ausgedacht und angebahnt, ſo wie 
er wiederum den Grundgedanken von Niccoli, dem florentiniſchen Pri⸗ 
vatmanne, überkommen. 


) Ambros. Travers. Hodoeporicon und epist. VIII, 42. 48, XI, 21 


364 v. Nicolaus V als Begründer der Baticane. 


Dieſes Inſtitut war in den letzten fünf Regierungsjahren, alſo 
ſeit dem Jubiläum der Stadt, die Lieblingsſorge des Papſtes. Den 
financiellen Zuſammenhang der päpſtlichen Liebhabereien mit dem Jubel⸗ 
jahre legten wir oben dar. Seit jener Zeit begann der Papſt mit 
rückſichtsloſer Vorliebe Bücher ſuchen zu laſſen und um jeden Preis zu 
kaufen. An allen wichtigen Stapelplätzen der Literatur hatte er ſeine 
Schreiber und eine Schaar derſelben umgab ihn in Rom.) Und wie 
er in Allem den ſtattlichen Prunk liebte, ſo auch in der glänzenden 
Ausſtattung der Bände, deren goldene oder ſilberne Spangen noch jetzt 
davon zeugen.) Das Alles war des unermüdlichen Tortello Sorge 
anheimgegeben, aber dieſer hatte auch in financieller Rückſicht die freieſte 
Hand. 40,000 Scudi etwa hat nach einer Berechnung der Aſſemani “) 
dieſer Papſt für Bücher ausgegeben. Doch ſind in Betreff der Bände⸗ 
zahl, die er zuſammengebracht, die Nachrichten auffallend verſchieden, 
auch wenn wir nur ſolche Zeugen hören, die ihrer Lage nach genau 
unterrichtet fein konnten. Tortello felbft, der das Verzeichniß der päpft⸗ 
lichen Bibliothek angefertigt, gab 9000 Bände an.) Papſt Pius II 
ſchätzte die Sammlung dagegen auf nur etwa 3000 Bände) und der 
Erzbiſchof Antoninus von Florenz gar nur auf 1000). So mögen 
denn wohl Manetti und der Buchhändler Vespaſiano der Wahrheit 
am nächſten kommen, wenn ſie mit Beſtimmtheit angeben, daß der Ka⸗ 
talog bei dem Tode des Papſtes 5000 Bände aufgewieſen habe.) Das 
war nun die Freude des Papſtes: unter dieſen Büchern umherzuwan⸗ 
deln, ſie zu ordnen und zu ſtellen, ſich dieſes oder jenes reichen zu 
laſſen und zu durchblättern, die ſchönen Bände zu beſchauen, ſein Wap⸗ 
pen auf denjenigen zu ſehen, die ihm gewidmet und überreicht waren 
und zum voraus den Dank zu genießen, den einſt die Männer der 
Wiſſenſchaft nach Jahrhunderten ihrem Förderer darbringen würden. 
So iſt er, Bücher ordnend, in einem Saale der Vaticana dargeſtellt 


zu ſehen. 


) Ves pasiano: Nicola V. 5 25. 26. 

) Aeneas Sylvius de rebus Basileae gestis stante vel dissoluto Con- 
cilio Commentarius ed. Fea p. 109 ſtellt ſehr bezeichnend zuſammen: Libros nitidos 
et vestes ornatas amavit. N 

) Praefat. ad Vol. I. Catal. Cod. msc. Bibl. Vatic. p. XXI. 

*) Ves pas iano: Giov. Tortello 5 1. Hier iſt ausdrücklich von volumi die Rede. 

) Europa cap. 58. 

) Chronicon hist. P. III. tit. XXII cap. 12 in princ. 

) Manetti Vita Nicolai V. I. e. p. 926. Vespasiano: Nicola V 5 B. 


V. Nicolaus V als Begründer der Vaticana. 365 


Der unermüdliche Geiſt des Sammelns, der das Haus Niccoli's 
zum Herde des literariſchen Lebens gemacht, verbunden mit dem um⸗ 
faſſenden Blick und den reichen Hülfsquellen eines Kirchenfürſten, der 
vom apoſtoliſchen Stuhle aus mehr vielleicht die literariſche als die 
kirchliche Welt zu feinen Füßen ſah, das giebt der Geſtalt Nicolaus’ V 
ihre Bedeutung. Aber wir fühlen es doch wohl: die Jugendzeit des 
Humanismus iſt vorüber, er iſt kein Rauſch der Geiſter mehr, wird 
nicht mehr mit jünglinghaftem Staunen als eine neue Welt betreten, 
in welcher der abenteuernde Geiſt mit kühner Eroberungsſucht umher⸗ 
ſchweift. Die Humaniſten haben an den Höfen und Univerſitäten, in 
Canceleien und Aemtern feſten Platz gewonnen und zeigen das ent⸗ 
ſchiedene Streben, ihren Stand gleichſam zu fixiren. Die Trümmer 
des Alterthums werden in Inſtituten geſammelt und geſichert, endlich 
gar unter dem Schutze des Statthalters Chriſti. Man gewinnt die 
Ueberzeugung, daß keine neue Barbarei ſie mehr in Vergeſſenheit und 
Vernichtung reißen kann, daß ſie ein eiſernes und langſam wachſendes 
Capital der Menſchheit geworden ſinz. 


366 VI. Propaganda des Humanismus durch die Koneilien des 15. Jahrh. 


Sechstes Buch. 
Propaganda des Humanismus jenjeits der Alpen. 


Wie man auch urtheilen mag über den Betrieb und die Erfolge 
der Studien, die unter Papſt Nicolaus’ Mäcenat eine Schaar von 
Geiſtern beſchäftigt, ſchon die bloße Erſcheinung, für ſich betrachtet, iſt 
von unberechenbarer Wirkung geweſen. Rom und der Papſt waren 
eben nicht nur Hauptſtadt und Haupt des Kirchenſtaates, ſondern zu⸗ 
gleich die Mittelpuncte des kirchlichen Weſens, welches die geſammte 
europäiſche Civiliſation umſpannte. 

Die kirchlichen Ereigniſſe, wie wir ſahen, hatten ſeit dem Beginn 
des 15. Jahrhunderts immer ſchon einen Beigeſchmack von der neuen 
Wiſſenſchaft gehabt. Auf den beiden großen Reformconcilien zu Coſt⸗ 
nitz und zu Baſel betrat der Humanismus, der bis dahin lediglich 
italieniſch geweſen, zuerſt die Weltbühne, und wie hier die Berührung 
mannigfacher Nationen auf ihn einwirkte, ſo ſind desgleichen auch ſeine 
erſten, oft noch feinen und matten Ausſtrahlungen auf die ultra⸗ 
montanen Völker bemerkbar.) Während des päpſtlichen Schisma, 
welches aus dem basler Concil entſprang, miſchten ſich die humaniſti⸗ 
ſchen Federn mehr als einmal durch Streit- und Schmähſchriften in 
die Sache des heiligen Geiſtes, deren Entſcheidung ſonſt den Theologen 
und Canoniſten zuſtand. Von dem Griechenunionsconcil darf man be⸗ 
haupten, daß ſeine literariſchen Tendenzen ungleich wirkungsreicher ge⸗ 
weſen ſind als . dogmatiſchen und kirchlich⸗politiſchen. 


) Ich mag hier nicht wiederholen, was ich in meiner ebenem des 
Enea Silvio de' Piccolomini Buch I. Cap. 11 darüber beigebracht. 


7 


VI. Der Humanismus als weltbürgerliches Element. 367 


Es lag im Humanismus, ſchon weil ſeine Kunſtſprache die latei⸗ 
niſche und weil ſein eigentliches Vaterland im Schooße der Vergangen⸗ 
heit begraben war, von vorn herein ein weltbürgerliches Element, nicht 
gar anders wie in der Kirche. Und gleichwie in dieſer die italieniſche 
Bildung einen Principat errang, ſo hat ſie auch das ganze Mittelalter 
hindurch in Wiſſenſchaft und Kunſt den Weltbürgerſinn am meiſten 
vertreten. Gedenken wir hier zum Beiſpiel eines Mannes wie Bru⸗ 
netto Latini, den Dante als väterlichen Freund ehrte. Er übertrug 
aus der lateiniſchen Sprache in die Vulgärſprache ſeiner Heimath, er 
dichtete in dieſer wie in jener, er liebte die provencalifche Liederdichtung 
und ſchrieb eine gelehrte Encyklopädie, ſeinen Tréſor, in der Sprache 
von Oil, den Teſoretto, moraliſchen Inhalts, wieder in der mütter⸗ 
lichen Mundart. Aber ſchon Dante, Petrarca und Boccaccio haben 
fich hierin mehr nur aneignend verhalten, ſie benutzten allenfalls das 
Fremdländiſche, ſchrieben ſelbſt aber nur in der alten oder in der neuen 
Sprache Italiens. So auch der auftauchende Humanismus. Ein volles 
Jahrhundert lang finden wir ihn ſo ausſchließlich auf Italien beſchränkt, 
daß ſeine Spuren in andern Ländern höchſtens wie einzelne losgeriſſene 
und ſchnell erlöſchende Funken erſcheinen. Es war in der That, als 
mußte er ſeine Leuchtekraft erſt recht concentriren, bevor er ſie über 
die chriftliche Welt ausſtrahlen ließ. In Italien beherrſchte er be⸗ 
reits die gebildeten Kreiſe, die das geiſtige Erbtheil der Menſch⸗ 
heit verwalten, hier war er eingebürgert an den Hochſchulen und unter 
den reichen Kaufherren, unter Adel und Prälatur, in den Republiken 
wie an den Höfen, ja an der apoſtoliſchen Curie ſelbſt — und doch 
iſt es erſt die Zeit Nicolaus’ V, die uns die erſten deutlichen Spuren 
einer Propaganda jenſeits der Alpen erkennen läßt. Während es mit 
der kirchlichen Autorität und der politiſchen Größe Italiens ſchon be⸗ 
denklich genug ſtand, wurde dieſe Halbinſel noch einmal, wenn auch 
nur für kurze Zeit, die Lehrmeiſterin der Völker. Ein freier Gelehr⸗ 
tenſtand als neue Form, das claſſiſche Alterthum als neuer Bildungs⸗ 
ſtoff, das waren Dinge, die für die Ultramontanen noch ganz zu ler⸗ 
nen blieben, aber ſchnell gelernt wurden. | 

Mit der Verbreitung der kirchlichen Ideen und hierarchiſchen Formen, 
die doch auch einſt von Italien über einen Theil Europa's gekommen, 
ließe ſich die des Claſſicismus nur ſehr zwangsweiſe vergleichen. Dort 
bedurfte es einer jahrhundertelangen Miſſionsthätigkeit, eines ſyſtemati⸗ 
ſchen Organiſirens und Centraliſirens, der nachdrücklichen Kraft und 


368 VI. Propaganda des Humanismus von Italien aus. 


zähen Ausdauer. Hier ſprangen die Funken wie von ſelbſt herüber, 
der Zündſtoff lag in den Geiſtern bereit. Waren nur erſt die wichtig⸗ 
ſten Literaturwerke der Römer und Griechen eingeführt, ſo pflanzte 
ſich ihr Cultus von ſelber fort und der Schüler bedurfte ſehr bald des 
Lehrers nicht mehr. Das Altclaſſiſche gehörte eben ſeiner Natur nach 
keiner Nation insbeſondre an, ſeine weſentlichſten Reliquien waren leicht 
transportabel, für ſeine Schönheit war der Norden und Weſten kaum 
weniger empfänglich als der Süden und Oſten, auf dem es einſt empor⸗ 
gewachſen. Auch entſtand unter den Schülern des Alterthums nicht 
das mindeſte Bedürfniß nach einer zuſammenfaſſenden Autorität oder 
nach einem Einigungspuncte, wie unter den Anhängern eines religiöſen 
Glaubens; ihnen bot beide das weltbürgerliche Alterthum ſelber. 

Nur das Beiſpiel durfte Italien geben, nur Anregungen durften 
von hier ausgehen, um die Verehrung des Alterthums den andern 
Nationen zuzuführen. Italieniſche Lehrer oder Geſchäftsmänner ſuchen 
in Verlegenheit ein Unterkommen bei fremden Fürſten, die Humaniſten 
ſchreiben an dieſe und an die Großen ihres Hofes elegante Briefe, 
widmen ihnen Bücher, oft nur in Erwartung eines deſto reicheren Loh⸗ 
nes. Der feingebildete Geſandte tritt mit einer Rede im Stile Cice- 
ro's vor ſie. In Italien ſelbſt empfängt man fremde Potentaten mit 
einem Hofſtaate, in welchem die neue claſſiſche Mode ſchon ein weſent⸗ 
liches Element iſt: der Hofdichter begrüßt ſie mit einer Prunkrede im 
Tone der alten Panegyriken, Feſte werden ihnen gegeben, in welchen 
die Geſtalten der helleniſchen Mythologie und der altrömiſchen Geſchichte 
eine Hauptrolle ſpielen. Ueberdies iſt ja Italien das Ziel der Reiſen⸗ 
den, die feine Sitte, die das, was man Welt zu nennen pflegt, kennen 
lernen wollen; andre kommen um des Handels willen nach Venedig 
und Florenz, oder nach Rom, um an den Gräbern der Apoſtel zu 
beten, vielleicht auch irgend ein Rechtsgeſchäft zu betreiben. Nun hört 
der Fremde die gefeierten Namen jener Männer, die allgemeine Ehre 
genießen und auch eines ewigen Nachruhmes gewiß zu ſein ſcheinen. 
Vielleicht ſieht er nur auf der Straße die feierlichen Geſtalten eines 
Bruni oder Marſuppini, der großen Staatscanzler, vorüberwandeln, oder 
er iſt ſo glücklich, ſich ihrer Bekanntſchaft, ihres Geſpräches rühmen zu 
dürfen. Ein gekrönter Dichter, ein Lehrer des Griechiſchen oder der 
modernen Rhetorik, vor deſſen Lehrſtuhl ſich Hunderte von begeiſterten 
Schülern verſammeln, ſind neue Dinge für ihn, auch er findet ſich im 
Hörſaal ein und ſtaunt den genialen Profeſſor an, dem die Dichter 


VI. Propaganda des Humanismus von Italien aus. 369 


und Redner, die Geſchichtſchreiber und Philoſophen einer längſtverſcholle⸗ 
nen Zeit alle bekannt und wie ſein eigen Fleiſch und Blut ſind. Iſt 
die Zeit des Lernens für ihn vorüber, ſo ſchickt er wenigſtens den Sohn, 
daß er ſich der neuen Bildung theilhaftig mache. Oder er ſieht Nic⸗ 
coli's Muſeum und Poggio's Villa: hier lernt er mit einem Blick, daß 
zerbrochene Statuen und Gefäße von Marmor noch Gegenſtände der 
Verehrung ſein, daß Münzen, die nicht mehr im Handel gelten, noch 
einen andern Werth haben können, und daß Pergament, welches vor 
einer Reihe von Jahrhunderten beſchrieben wurde, werthvoller ſei als 
unbeſchriebenes. Hier ſieht er, wie gewiſſen Büchern eine faſt andäch⸗ 
tige Ehrfurcht gezollt wird, und dieſe Büchermänner ſind doch nicht 
Kloſterbrüder oder Juriſten, ſie jagen nicht nur nach Gewinn in dieſem 
und nach der Seligkeit in jenem Leben, ſie ſind begeiſterte Schwärmer 
und doch ihres Lebens froh, heiter und liebenswürdig im Umgang. 
Er kauft Bücher der Art oder giebt Abſchreibern Aufträge und führt 
die Quellen der neuen Bildung mit ſich in ſeine Heimath. 

Man merkt wohl, daß es ſchwer iſt, die erſte Ueberſiedelung des 
Humanismus in die transalpiniſchen Länder zu verfolgen. Dieſe kön⸗ 
nen natürlich nicht ſogleich große Gelehrte aufweiſen oder epochemachende 
Bücher; um derlei zu finden, müßten wir ſchon an die Grenze des 
Jahrhunderts treten oder ſie überſchreiten. Es ſind eben nur die An⸗ 
fänge, auf die hier hingedeutet werden ſoll, die erſten Anregungen und, 
Eindrücke, die an ſich unbedeutend und unſcheinbar, erſt in der dritten 
und vierten Generation Frucht bringen. 

Dieſe Anfänge ſind aber nicht immer dieſelben: bald finden wir 
ein allmähliges Hinübergleiten der neuen Bildung auf die andre Na⸗ 
tion, bald einen heftigeren Uebergang mit Reibungen, ja mit Kampf. 
Der Grund dieſer Verſchiedenheit lag alſo, um es zu wiederholen, nicht 
in dem humaniſtiſchen Stoffe ſelber, der überall ziemlich derſelben Auf- 
nahme gewärtig ſein konnte, ſondern in der nationalen Stellung, welche 
zu den einzelnen Völkern die Italiener einnahmen, die einmal die Ver⸗ 
künder und Vertreter des Humanismus waren. Man beurtheilte zuerſt 
natürlich das neue Evangelium vom claſſiſchen Alterthum nach den 
Apoſteln, die es predigten. So fand es bei den romaniſchen Völkern 
ein allmähliges, freundliches Entgegenkommen, einen gleichſam geräufch- 
loſen Eingang. Die natürliche Stammverwandtſchaft, das römiſche 

Blut machte ſich geltend, wie denn auch während der hierarchiſchen 
Zeit die höheren Kreiſe der italieniſchen Prälatur immer ſtark mit 
Voigt, Humanismus. 24 


370 VI. Der Humanismus in England. Cardinal Beaufort. 


franzöſiſchen und ſpaniſchen Elementen verſetzt waren. Die Germanen 
dagegen nahmen bereits Alles mit Mißtrauen auf, was von jenſeits 
der Alpen kam, als müſſe die welſche Liſt, Anmaßung und Ververbt⸗ 
heit dahinter lauern. Demgemäß hat die Ausſäung des humaniſtiſchen 
Geiſtes über Frankreich und Spanien nicht entfernt das Intereſſe wie 
ſein Eindringen in Britannien und beſonders in das eigentliche Deutſch⸗ 
land, wo ſichtbar mit der Hingabe an das Lockend⸗Neue ein Geiſt des 
Widerſpruches ringt. Unter den andern Nationen treten die Ungarn 
und die Polen hier auffällig hervor; beide ſtehen dem italieniſchen 
Stamme nahe, weil ſie die Lieblingsſöhne des apoſtoliſchen Stuhles 
waren und in der Peripherie des abendländiſchen Kirchenſprengels ge⸗ 
legen, auf deſſen Mittelpunct mit deſto anſchließenderer Verehrung 
blickten. 

England war in den Augen des ſchöngeiſtigen Italieners eine 
kymmeriſche Ecke der bewohnten Welt, in welcher craffe Unwiſſenheit 
und ſinnverwirrende Scholaſtik miteinander um den Preis der Verfin⸗ 
ſterung kämpften. Bei dem großen Anſehen, welches hier die einhei⸗ 
miſchen Univerſitäten genoſſen, war es faſt unerhört, daß ein junger 
Engländer auf eine italieniſche Hochſchule geſchickt oder daß ein italie⸗ 
niſcher Lehrer an eine engliſche berufen wäre. Dieſe Verknüpfung der 
wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen verſchiedener Nationen, welche im Mittel⸗ 
alter neben der kirchlichen Autorität ſo ausgleichend und weltbürgerlich 
gewirkt hat wie in ſpäterer Zeit das Bücherweſen, kam alſo dem Hu⸗ 
manismus nicht zu Statten. An ihre Stelle traten die Reformconci⸗ 
lien des 15. Jahrhunderts und das Band, welches die Prälaten Eng⸗ 
land's an Italien feſſelte. 

Auf dem coftniger Concil war Henry Beaufort anweſend, der 
Biſchof von Wincheſter, ein Oheim König Heinrichs V. Als ein Kir⸗ 
chenfürſt von königlichem Blute, der zugleich Doctor in beiden Rechten 
war und den Beinamen des Reichen führte, war er der Hauptvertreter 
der engliſchen Nation und nach dem Schluſſe des Concils ernannte ihn 
Papſt Martin V zum Cardinal. Als Freund des apoſtoliſchen Stuhles 
von Rom hatte er immer gegolten. Dieſer hohe Herr nahm an dem 
Treiben der päpſtlichen Secretäre, die in der näheren und ferneren 
Umgebung von Coſtnitz nach alten Codices jtöberten, einigen Antheil 
und hörte ſich gern einen Freund der ſchönen Wiſſenſchaften nennen. 
Er vermochte Poggio, ihm nach der Entſetzung Johann's XXIII nach 
England zu folgen. Der Humaniſt erging ſich in großen Hoffnungen, 


- 


VI. Cardinal Beaufort und Poggio. 371 


theils auf dem britiſchen Boden noch manchen verlorenen Claſſiker wie⸗ 
derzufinden, theils unter dem Schutze des königlichen Prälaten ſein 
Glück zu machen. Aber vornehme Herren haben wandelbare Inter⸗ 
eſſen. Poggio ſpielte die Rolle nicht, anf die er gehofft, mußte warten 
und erhielt nach wiederholten Mahnungen endlich eine mit Seelſorge 
verbundene Pfarre, die ihm 120 Gulden Einkommen gewähren und 
ihn dafür wahrſcheinlich an den geiſtlichen Stand feſſeln ſollte. Das 
war nicht nach ſeinem Geſchmack; er wendet auf die Art, wie der Car⸗ 
dinal ſeine Verſprechungen erfüllt, das Sprichwort von dem kreiſenden 
Berge und der Maus an.) Er war froh, aus dem Barbarenlande 
wieder unter die Sonnenſtrahlen der feineren Bildung zurückzukehren, 
die nur in Italien leuchteten. Der Cardinal ſcheint ſeine claſſiſchen 
Gelüſte vergeſſen zu haben, obgleich wir hören, daß er die Dombiblio⸗ 
thek zu Canterbury ausgebaut und mit Büchern verſorgt hat.) Poggio 
behielt ihn und England überhaupt im ſchlechteſten Andenken. Er ſprach 
nicht leicht von dieſem Volke, ohne über ſeine Völlerei im Eſſen und 
Trinken zu witzeln; gern erzählte er, wie er mehrmals von Prälaten 
und Edelleuten geladen worden, wie man vier Stunden bei Tafel ge⸗ 
ſeſſen und wie er dann öfters habe aufſtehen und ſich die Augen mit 
friſchem Waſſer netzen müſſen, um nur nicht einzufchlafen. °) 

Das basler Concil hätte neue Anregungen gegeben, wäre es von 
engliſchen Biſchöfen ſtärker beſucht worden. In ſeinem Beginne kam 
Enea Silvio de' Piccolomini, der zu Baſel ungefähr das war, was 
Poggio zu Coſtnitz, auf einer diplomatiſchen Sendung nach England. 
Obwohl er nur durchreiſte, nahm er doch die Gelegenheit wahr, im 
Sacrarium der Paulskirche ein wenig nach alten Büchern zu ſuchen: 
man zeigte ihm einen Codex, der wer weiß was enthielt, hier indeß 
für eine lateiniſche Ueberſetzung der thukydideiſchen Geſchichte ausge⸗ 
geben wurde.) Auch er nahm von England ziemlich unluſtige Be⸗ 
griffe mit, machte aber, wohl bald darauf zu Baſel, die Bekanntſchaft 


1) Seine Briefe an Niccoli aus London unter denen des Ambros. Travers. XXV, 


38. 39. 

2) Er ſtarb erſt 1447. Ciaconius Vitae et res gestae Pontificum Roman. 
et Cardinalium etc. T. II (Romae, 1677) p. 845. Shepherd the life of Pog- 
gio p. 123—129. 186. 

) Vespasiano: Poggio Fiorentino $ 1. 

9) Sein Brief an Joh. Hinderbach v. 1. Juni 1451. Die Sendung fällt in das 
Jahr 1435. | 

245 


979 VI. Adam Mulin. Humphrey von Gloeeſter. 


eines Engländers Adam Mulin, der wahrſcheinlich ein demüthiger 
Canceliſt war wie er ſelber, aber mit Lebhaftigkeit auf die humaniſti⸗ 
ſchen Studien des Italieners einging. Dieſer Mulin wurde in der 
Folge Staatsſecretär König Heinrich's VI und Bewahrer des könig⸗ 
lichen Geheimſiegels; ſein Haupt fiel auf dem Schaffot, da er in die 
Verhängniſſe der Lancaſter⸗Partei verwickelt ward. Er iſt vielleicht 
der erſte Engländer, der einen feinen, mit claſſiſchen Sentenzen ge⸗ 
zierten Brief zu ſchreiben verſtand, und mit Enea Silvio ſtand er 
längere Zeit im brieflichen Verkehr.) 

Zu derſelben Zeit galt Herzog Humphrey von Glocefter, 
ein Sohn König Heinrich's IV und in den Intriguen des Hofes der 
Nebenbuhler des Cardinal Beaufort, dem man 1447 auch ſeine Er⸗ 
mordung zurechnete, für einen nach italieniſcher Weiſe modern⸗gebildeten 
Fürſten. Es heißt, er habe ſich italieniſche Lehrer zur Erklärung der 
lateiniſchen Dichter und Redner kommen laſſen,') doch wüßten wir für 
dieſe vereinzelte Behauptung keinen näheren Beleg anzugeben. Auch die 
Fürſorge für Bibliotheken in England wird ihm zugeſchrieben. Gewiß 


iſtt aber, daß die italieniſchen Gelehrten ihn als einen freigebigen Maͤ⸗ 


cenas kannten, elegante Briefe an ihn richteten und ihm Bücher wid⸗ 
meten. °) Auch beſitzen wir ein Schreiben von ihm ſelbſt, worin er 
ſich für die Ueberſetzung der platoniſchen Republik, die ihm Decembrio 
darbrachte, bedankt.) Wir müſſen hier nicht die erlangten Kenntniſſe, 
ſondern zunächſt den humaniſtiſchen Sinn in Anſchlag bringen: er zeigt 
ſich doch empfänglich für den Ruhm, den ihm der Italiener durch eine 
ſolche Widmung bereitet, er hat ein deutliches Gefühl von der neuen 
Bildung, die aus der Wiederbelebung der lateiniſchen Eloquenz und 
der helleniſchen Weisheit entſpringen wird. Wie das Beiſpiel eines 
Mannes von ſo hervorragender Stellung anregend und entzündend auf 
ſeine Nation wirken mußte, ſtellen wir uns leicht vor, wenn wir es 
auch in dieſem Falle nicht gerade nachzuweiſen wüßten. Der literariſche 


) Des Enea Silvio Briefe an ihn v. 18. Juli 1443, v. 30. Mai und vom 
26. October 1444. Ein Brief Mulin's ſelbſt, offenbar die Antwort auf den erſten 
der Briefe Enea's, ſteht unter deſſen Briefen edit. Basil. epist. 186. Seines ſpä⸗ 
teren Schickſals gedenkt Aeneas Sylvius Europa cap. 45. 

) Brief des En ea Silvio an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decem⸗ 
ber 1443. \ 

) Hume the history of England chapt. XX end. 

) Bei Saxius Histor. lit. typogr. Mediol. T. I. Prodr. p. 36. 


VI. Humphrey von Gloceſter. William Gray. 373 


Verkehr zwiſchen England und Italien war ſeitdem für alle Zeiten 
angeknüpft und der Kenner der engliſchen Literatur wird wiſſen, welche 
Früchte er getragen hat. Wir hören, daß Lionardo d' Arezzo, zumal 
ſeit er in Florenz Staatscanzler wurde, in England eine beſondre Ver⸗ 
ehrung genoß, aber wir erkennen auch gleich wieder den Stolz, den er 
den Halbbarbaren gegenüber fühlte. Der Herzog von Gloeeſter hatte 
ihn einſt um ein Exemplar ſeiner Ueberſetzung der ariſtoteliſchen Ethik 
gebeten und ſie dann ſo vortrefflich gefunden, daß er ihn dringend er⸗ 
mahnte, zum Nutzen der ſtudirenden Welt auch die Politik in dieſer 
Weiſe zu übertragen.) Bruni, dadurch angeſpornt, widmet ihm letztere, 
ſobald er die Arbeit vollendet, und ſandte ſie nach England. Als der 
Herzog aber mit der Antwort und dem Danke fäumte, ließ er un⸗ 
muthig die Widmung des Buches wieder vernichten und eine andre an 
Papſt Eugen in Stelle ſetzen.) 

Bald hören wir auch von einzelnen Beiſpielen, daß junge Eng⸗ 
länder ausdrücklich deshalb nach Italien kamen, um unter einem der 
gefeierten Lehrer die claſſiſchen Sprachen zu lernen und um Exemplare 
der claſſiſchen Autoren zu erwerben. Schon zur Zeit Niccoli's ließ 
ſich ein junger Britte Thomas bei ihm durch Lionardo Bruni empfeh⸗ 
len. Er war, ſagt Bruni, »ein glühender Verehrer der 1 
ſtudien, ſoweit es einem Menſchen feiner Nation möglich iſt. . 
wollte in Florenz Bücher zuſammenkaufen.“) Die italieniſchen > 
giſter fühlten ſich durch vornehme Zöglinge aus dem hohen Norden 
nicht wenig geſchmeichelt, ſie ſahen im Geiſte ihre Lehre und ihren 
Ruf bis zum Ende der bewohnten Welt getragen. Ein beſonderes 
Aufſehen erregte der junge William Gray, ausgezeichnet durch 
Reichthum und durch ſein mit dem königlichen verwandtes Blut. Nach⸗ 
dem er zu Cöln dem Studium der Philoſophie und Theologie ſich 
hingegeben, kam er nur deshalb nach Ferrara, um den Unterricht des 
alten Guarino zu genießen, der überhaupt im Auslande für den vor⸗ 
züglichſten Lehrer ſeines Faches galt und dieſen Ruf ſogar auf ſeinen 
Sohn vererbte. Um ſchneller zu lernen, nahm der Gray einen armen 
jungen Mann in ſein Haus, der aber bereits ein fertiger Latiniſt war, 


1) Leon. Bruni epist. VIII, 6. rec. Mehus. 

) Vespasiano: Lionardo d' Arezzo 5 9. Wenn hier von einem Herzog von 
Worceſter die Rede iſt, verbeſſert ſich der Irrthum leicht. 

) Leon, Bruni epist. II, 18. 


374 VI. Deutſchland und der Humanismus. 


Niccolo Perotti, den ſpäter berühmten Grammatiker. Die Gelchrigm 
keit, die ſich der Engländer ſo erwarb, war keine geringe. Er begab 
ſich dann nach Florenz und kaufte hier eine Menge Bücher, vorzugs⸗ 
weiſe Claſſiker, deren mancher durch ihn zum erſten Male den Weg 
über den Canal gefunden. In Rom war er eine Zeit lang Procurator 
des Königs von England, Nicolaus V ernannte ihn 1454 zum Biſchof 
von Ely, worauf er mit ſeinen Wiſſensſchätzen und Büchern in die 
Heimath zurückkehrte.) 

Die Roſenkriege und ſpäter die religiöſen Spannungen haben das 
Gedeihen der humaniſtiſchen Ausſaat ſtark zurückgehalten. Erſt unter 
Eliſabeth iſt das antike Weſen der Modeton des Hofes und der Ari⸗ 
ſtokratie geworden und Manches, was im Charakter und im Hofleben 
der gefeierten Königin wie eine Wunderlichkeit erſcheint, findet hierin 
ſeine Erklärung und an den Höfen Italiens ſeine Parallele. 

Die erſte höchſt merkwürdige Berührung des deutſchen Geiſtes 
mit dem des claſſiſchen Alterthums führt uns in das Zeitalter der 
Carolinger und Ottonen zurück. Schon die Literatur, die jener Epoche 
entſprungen, zeigt die bekannte Erſcheinung, daß der Deutſche jeden 
Bildungsſtoff, der ihm nahe tritt, mit Willigkeit aufnimmt, immer aber 
in ſeiner eigenen Weiſe verarbeitet und als ein Gut von allgemeinerem, 
weltbürgerlichem Charakter zurückgiebt. Italien und den deutſchen Stamm 
in allen ihren Wechſeleinflüſſen zu verfolgen, würde uns weit abwärts 
führen. Wir gedenken daher nur im Allgemeinen der Thatſache, wie 
dieſe beiden Nationalitäten einander unaufhörlich angezogen und abge⸗ 
ſtoßen haben, wie viele Bande zwiſchen ihnen geknüpft wurden und wie 
doch in Sitte und Denkart ein immer ſchrofferer Abſtand ſie trennte. 
In der Feinheit und Glätte des Italieners ſah der Deutſche nur List 
und Verderbtheit; dennoch imponirten ihm jene Eigenſchaften. Die 
ungehobelte Natürlichkeit und Derbheit des Deutſchen erſchien dem 
Italiener als ein plumpes Barbarenthum und doch empfand er mehr 
als einmal die Schläge dieſer Naturkraft und ahnte wenigſtens, daß 
in jener vierſchrötigen Biederkeit etwas Sittliches verborgen liege. 
Dieſer Antagonismus ſtellte ſich am ſchärfſten in den Kämpfen heraus, 
die um die welſche Hierarchie geführt wurden. Dem Geiſte nach war 


— nern 


) Vespasiano: Guglielmo Graim, Vescovo d'Ely. Poggii epist. 39 epi- 
scopo Eliensi im Spicilegium Romgn. T. X. Henr. Wharton Anglia aacıa P. 
I. Londin., 1691. p. 672. 


VI. Dentſchland und der Humanismus. 375 


der Italiener unbeſtritten der überlegene. Mochte der Deutſche in 
jedem Einzelnen, vom Cardinallegaten bis zum unterſten Schreiber der 
Curie herab, nur einen Geld⸗ und Blutſauger ſehen, der ſeine Er⸗ 
preſfungen noch dazu mit Stolz und Verachtung übte, mochte er auch 
oft anf dem Sprunge fein, den kirchlichen Verband, der ihn vornehm⸗ 
lich an Italien knüpfte, zu zerreißen, immer war es als ſagte ihm ein 
tiefes Bedürfniß in ſeinem Innern, er habe von dieſer Nation noch 
zu lernen. Mehr als einem Volke hat ſich das deutſche ſo mit einer 
Verehrung und Unterwürfigkeit hingegeben, die oft den Schein der 
geiſtigen Knechtſchaft trug, bis es ausgelernt, bis es durchgeſchaut und 
ſich das edelſte Gut jenes Nachbarn zu Eigen gemacht. Die Anregung 
zur modernen Wiſſenſchaft und Kunſt iſt ihm unbeſtreitbar am meiſten 
durch italienifche Hand überliefert. Hier ſollen nur die erſten Anſtöße 
und Zuſammenſtöße angedeutet werden. 

Man hört wohl die Meinung, ſchon die Brüder der Deventer⸗ 
Schule bätten ſich mit der claſſiſchen Literatur beſchäftigt und ein Nico⸗ 
laus von Cues verrathe in ſeinen Schriften eine claſſiſche Beleſenheit, 
die recht wohl mit der eines italieniſchen Humaniſten wetteifern könne. 
Aber man beachte nur, wie die alten Autoren hier noch ganz im Dienſte 
der Theologie und in die Formen der Scholaſtik gepreßt erſcheinen. 
Die bloße Beleſenheit iſt noch lange nicht jene einſeitige Begeiſterung 
der Humaniſten, die allein die Kraft hat, einer neuen Wiſſenſchaft Bahn 
zu brechen. An Kenntnißnahme und ſelbſt Intereſſe für das Alterthum 
hat es zu keiner Zeit ganz gefehlt. Kämen nur ſie in Betracht, ſo 
könnte man mit mindeſtens demſelben Recht wie die Bruderhäuſer und 
den Cuſaner auch etwa Abailard und Johannes von Salisbury an⸗ 
führen. | 

Da der Humanismus in Italien ſehr bald zum Ton der Höfe 
und der beſten Geſellſchaft wurde, ſollte man vermuthen, er müßte ſich, 
mie wir das in England auch ſahen, auf die höfiſchen und vornehmen 
Kreiſe Deutſchlands am leichteſten verpflanzt haben. Im Ganzen aber 
finden wir in Deutſchland's Fürſten und Adel gerade den ſchroffſten 
Gegenſatz gegen die Fürſten und den Adel Italiens. Wie indeß die 
mindeſte und noch ſo tief ſchlummernde Empfänglichkeit durch Friction 
alsbald geweckt wird, das zeigt Sigmund's Beiſpiel, des römiſchen 
Königs. Er iſt vielleicht der erſte Deutſche, der vom humaniſtiſchen 
Geiſte angehaucht wurde und der erſte Anhauch traf ihn wahrſcheinlich 
auf dem coſtnitzer Concil, deſſen Bedeutung für die humaniſtiſche Propa⸗ 


316 VI. König Sigmund. Vergerio. 


ganda wir ſchon mehrmals hervorgehoben haben. Unter den Huma⸗ 
niſten, die ſich zu Coſtnitz eingefunden, war auch Pier⸗Paolo Vergerio, 
der einſt die Rechte ſtudirt, dann aber unter Chryſoloras die griechiſche 
Sprache erlernt und in der lateiniſchen eine gewiſſe Eleganz erworben 
hatte. Er war auch ein Philoſoph alten Stils und hat in Florenz 
einmal die Dialektik, in Padua, wo er Hofdichter und Feſtredner der 
Carrara war, das kanoniſche Recht vorgetragen. Nach längerem Um⸗ 
hertreiben ging er mit Cardinal Zabarella, ſeinem einſtigen Lehrer in 
den Rechten, zur coſtnitzer Synode. Hier lenkte er die Aufmerkſamkeit 
Sigmund's auf ſich, vielleicht behagte er dem König eben deshalb, weil 
er zugleich ein Gelehrter der alten und ein Schöngeiſt der neuen Schule 
war. Sigmund nahm ihn mit ſich, und an ſeinem Hofe in Ungarn 
iſt Vergerio, man weiß nicht genau wann, geſtorben.) Wir gedachten 
oben ſeiner Ueberſetzung des Arrhianos, die er auf des Königs Wunſch 
arbeitete und ihm widmete; er ſchrieb ſie, wie man zu bemerken glaubte, 
abſichtlich in einfachem und kunſtloſem Stil, weil der König einen fei⸗ 
neren nicht verſtanden hätte.) | 
Während der erften Jahre des basler Concils trieb ſich Sigmund, 
um ſeine Kaiſerkrönung zu betreiben, längere Zeit in Italien, zumal 
in Tuscien umher. Zwar hinterließ hier ſeine politiſche Thätigkeit 
kaum ein anderes Andenken als das königlicher Schulden, dafür aber 
war ſeine Perſönlichkeit den Italienern und mehr noch den Italiene⸗ 
rinnen eine ſehr angenehme geworden. Er war ein Mann von ſehr 
vielſeitiger, wenn auch nicht großartiger Regſamkeit: in Italien ſchien 
er es recht darauf abzuſehen, wie er ſeine Statur und ſeine blühenden 
Züge im ſchönſten Lichte zeige und den Abend ſeines Lebens mit Lieb⸗ 
ſchaften ſchmücke. Feine Sitte hatte er mit Leichtigkeit gelernt, hier 
wurde er ihrer Meiſter. Immer vergnügt und leutſelig gegen jeder⸗ 
mann, erſchien er um ſo liebenswürdiger, da er als König und Kaiſer 
auch das Schickſal, in ſteter Geldverlegenheit zu ſein, mit Vielen theilte. 
So haben ihm die Italiener immer nachgerühmt, daß er auch am hu⸗ 
maniſtiſchen Treiben ihres Landes Geſchmack gefunden und ſein Inter⸗ 
eſſe dafür bekundet habe. Wenn er Dichter wie Beccadelli, den etwas 


Sn 


) Obiit aetate nostra, ſagt Pius II Europa cap. 2. Näheres über ihn bei 
Muratori Scriptt. T. XVI. p. 111 sd. und bei Tir abos chi T. VI. p. 1056 
bis 1062. 

2) Neque enim sermonis capax sublimioris erat Sigismundus, meint Enea 
Silvio in dem oben erwähnten Briefe an Antonio Panormita v. 26. Januar 1454. 


VI. Die Könige Sigmund, Albrecht II u. Friedrich III. Enea in Deutſchland. 377 


anrüchigen Sänger des Hermaphroditus, und Cambiatore krönte, ſo 
war das zwar nicht mehr eine pomphafte und Aufſehen erregende Hands 
lung wie die Krönung Petrarca's oder der Florentiner, aber man rech- 
nete es ihm als feine Bildung zu, daß er an den Modedichtern Ita⸗ 
liens eine Freude hatte. Er ſprach ſogar fertig lateiniſch, was ſelbſt 
unter den italieniſchen Fürſten nicht gewöhnlich war. Kaspar Schlick, 
ſein Canzler, Banquier und der Vertraute der kaiſerlichen Liebeshändel, 
ſtammte mütterlicherſeits aus italieniſchem Blut, war den Humaniſten 
nicht unbekannt und las ſelbſt bisweilen den Livius.) Aber der Kai⸗ 
ſer wurde jedesmal ein andrer, wenn er in eine andre Atmoſphäre 
kam; ſeit ſeiner Rückkehr aus Italien ſcheint er ſeine en Liebha⸗ 
bereien vergeſſen zu haben. 

Sein Nachfolger Albrecht war wieder eine kernhafte deutſche 
Natur, auf Jagd und Krieg gerichtet; der lateiniſchen Sprache war 
er völlig unkundig. Es folgte Friedrich III, ein Phlegma, das ſich 
durch nichts aus ſeinen ſtillen Beſchäftigungen mit Gartenzucht und 
Hausthieren, mit Geld und Edelſteinen, mit ökonomiſchen Berechnun⸗ 
gen und Finanzjuden, mit Aſtrologie und Alchymie heraustreiben ließ. 
Etwas Neues in ſich aufzunehmen, dazu war er völlig unfähig: der Sinn 
für eigentliche Wiſſenſchaft hat ihn niemals angewandelt. Wenn trotzdem 
gerade ſein Hof und zwar gleich im erſten Jahrzehent ſeiner Regierung 
der Boden war, auf welchen die früheſten Saatkörner des deutſchen 
Humanismus ausgeſtreut wurden, ſo hat er ſelbſt daran nicht den min⸗ 
deſten Antheil. Nicht auf ſeinen Ruf, ſondern auf Veranſtaltung Andrer 
und als halber Abenteurer trat im Jahre 1442 Enea Silvio de' 
Piccolomini in feine Reichscancelei, dieſer aber iſt unter den Deut⸗ 
ſchen der eigentliche Apoſtel des Humanismus geworden. 

Der neue italieniſche Cancelei⸗Secretär, der in Baſel verſchiedenen 
Prälaten mit ſeiner ſtiliſtiſchen Kunſt hofirt hatte, ließ es an dem Be⸗ 
mühen wahrlich nicht fehlen, deutſche Fürſten für dieſelbe anzuregen. 
Mag es ſein, daß er dabei vornehmlich die Abſicht hatte, ſeine Perſön⸗ 
lichkeit, deren Schätzung damals noch allein auf der Feder beruhte, zur 
Geltung zu bringen; doch iſt es auch natürlich, daß ein Jeder den Be⸗ 
ftrebungen, die ihm recht am Herzen liegen, Achtung und Anhang zu 
ſchaffen ſucht. Aber an Friedrich, dem Könige und Kaiſer, ſcheiterten 
alle ſeine Werbungen. Er widmete ihm einen politiſchen Tractat, aber 


) Enea Silvio an Kaspar Schlick v. 12. Januar 1444. 


378 VI. Friedrich Inn und Enea Silvio. 


es ging demſelben wie den poetiſchen Verſuchen des tiroler Grafen 
Francesco d' Arco, der auch den Einfall gehabt, feine Verſe dem Kö⸗ 
nige zu überſenden und durch Enea hören mußte, feine ſüße Muſe be⸗ 
wohne den königlichen Bücherſchrank und werde hier wohl gut bewahrt 
hleiben. Die humaniſtiſchen Studien, ſo äußerte dabei vertraulich der 
Dichter zum Dichter, haben hier keine Heimath, nescit toga barbara 
versus.) Nicht als Schöngeiſt und Schriftſteller ſtieg der Piccolomini 
in Friedrich's Gunſt empor, ſondern als geſchickter Diplomat, der ihm 
ohne Koſten manchen Vortheil einzubringen und ihn aus mancher Ver⸗ 
legenheit gewandt zu retten wußte. Auch in Italien, wohin Friedrich 
zwei friedliche Züge unternahm, einen zur Kaiſerkrönung, den andern 
angeblich eines Gelübdes wegen, blieb er vom humaniſtiſchen Geiſte 
ganz unberührt. Er verſtand ein wenig Lateiniſch, aber ſtatt kühn und 
frei zu ſprechen wie Sigmund, ließ er ſich, wenn Empfangs⸗ und Feſt⸗ 
reden erwiedert werden mußten, überall bevormunden. Daß unter ſei⸗ 
nen Tugenden die fürſtliche Freigebigkeit die ſchwächſte war, wurde von 
den Literaten ſchnell erkannt. Poggio, damals Secretär an der Curie, 
hatte eine Rede verfertigt, die ſein Söhnchen vortragen ſollte. Als er 
aber während der Krönungszeit „dieſe kaiſerliche Statue“ ſah, „dieſen 
Dleivütchen, der nur Sinn hatte für das Geldzuſammenſcharren“, er⸗ 
ſparte er ihm die Ungelegenheit und ſich die Mühe.) Auch Friedrich 
hat Dichter gekrönt, ſo 1442 zu Frankfurt den Enea Silvio, 1452 
auf ſeinem Kaiſerkrönungszuge Perotti und Porcello, und ſeitdem wohl 
noch ein Dutzend, aber dieſe Krönungen durch ein Patent waren eben⸗ 
ſowenig ein mäcenatiſcher Act, als es ein politiſcher war, wenn der 
Kaiſer Pfalzgrafentitel verlieh; beides war um Verwendung oder Geld 
zu haben. Alle dieſe Ehren hat Friedrich ſo völlig entwürdigt, daß 
gegen Ende des Jahrhunderts Giammario Filelfo, der Sohn des be⸗ 
rühmten Francesco, ſelbſt ein gekrönter Dichter und Sohn eines ge⸗ 
krönten Dichters, ſich in einer Satire über alle die Ritter, Dichter 
und Pfalzgrafen luſtig machte, die Friedrich ernannt. Von Männern 
wie Agnolo Poliziano oder Gioviano Pontano hören wir nicht, daß 
fie ſich um den Lorbeer bemüht hätten.“) 

Dem noch jugendlichen Herzog Sigmund von Tirol ſchrieb Eno 


) Enea Silvio an den Graſen Galeazzo d' Arce v. 15. Novemb. 1448, 
) Poggii epist. 80. im Spicileg. Roman. T. X. 
) Tiraboschi I. VI. p. 1438 — 1448. 


VI. Enea Silvio und Deulſchland's Fürſten und Adel. 379 


Silvio Briefe voll blinkender Gelehrſamkeit und redneriſcher Zier. Er 
mahnte ihn, ſich ſtatt der Güter dieſes Lebens ewige zu erwerben, und 
dieſe ewigen ſah er lediglich dem humaniſtiſchen Studium entſprießen. 
Er empfahl ihm, ſich elegante Gelehrte zum Unterricht kommen zu 
laſſen, er rühmte ihm die Fürſten, die ihre Ehre nicht in goldgeſtickten 
Kleidern, in zierlicher Haartracht und im Pferdeluxus ſuchten, ſondern 
mit den Geſchäften der Regierung die Grazien der Wiſſenſchaft zu ver⸗ 
binden wüßten. Den Markgrafen Lionello von Eſte und den König 
Alfonſo von Neapel ſtellte er ihm als Muſterfürſten vor.) Doch 
trotz den herrlichſten Ermahnungen zeigte der junge Herzog nur Sinn 
für Liebeshändel und Jagden. 

Es liegt an den Fürſten, ſagt Enea Silvio, daß in Deutſchland 
die Poeſie gering geachtet wird; wenn ſie lieber Pferde und Hunde 
halten wollen als Dichter, werden ſie auch ruhmlos wie Pferde und 
Hunde hinſterben.) Er hätte ihnen etwas von jener reizbaren Eitel- 
keit gewünſcht, welche die Fürſten Italiens insgeſammt einem Filelfo 
tributär machte. Sein Eifern war umſonſt: auch die andern deutſchen 
Fürſten hatten von dem, was er eigentlich wollte, ſo wenig eine Vor⸗ 
ſtellung wie jene Habsburger. Als einſt Herzog Ludwig von Bayern 
in Neuſtadt mit ihm, dem damaligen Biſchofe von Siena zuſammen⸗ 
traf und ſich mit dem Manne bekannt zu machen wünſchte, der im 
Rufe ſo hoher Gelehrſamkeit ſtand, fragte er ihn — nach dem Steine 
der Unſichtbarkeit.) 

Den deutſchen Adel, ſoweit er ihn am Kaiſerhof und ſonſt kennen 
lernte, fand unſer Italiener in Rohheit und Völlerei verſunken, ohne 
eine Ahnung von jener feinen Bildung, die der Stolz des italieniſchen 
und zumal des tusciſchen Adels war. Der Marſtall und Weinkeller 
genoſſen bei jenem das Anſehen wie bei dieſem Muſeen und Biblio⸗ 
thefen. Zumal von der deutſchen Trunkſucht liebte Enea ſpaßhafte 
Geſchichten zu erzählen, wie vom. Grafen Heinrich von Görz, der feine 
Knaben in der Vorausſetzung, ſie müßten durſten, des Nachts aus ih⸗ 
rem tiefen Schlummer weckte, ihnen mit Gewalt Wein einpreßte und 
wenn ſie denſelben wieder von ſich gaben, die Gattin beſchuldigte, ſie 


) So in einem Briefe an den jungen Herzog v. 5. Decemb. 1443. Aehnlich 
im Tractatus de liberorum educatione an den jungen Ladislav von Böhmen und 
Ungarn v. Febr. 1450. 

) Brief an Wilhelm von Stein v. 1. Juni 1444. 

) Enea Silvio's Brief an ihn v. 5. Juli 1457. 


380 VI. Enen Silvio und feine Cancelei- Collegen. 


müſſe dieſe durſtloſen Geſchöpfe von einem Andern, nicht von ihm em⸗ 
pfangen haben. Nicht höher war Enea's Meinung von dem Adel der 
deutſchen Wiſſenſchaft, den Profeſſoren und Magiſtern der Hochſchule. 
Er fand ſie tief in die Labyrinthe der Scholaſtik vergraben, unfrucht⸗ 
baren Träumereien und dürrer Speculation hingegeben. Mit den wie⸗ 
ner Gelehrten hatte er nicht den geringſten Umgang. Und der Typus 
eines deutſchen Scholaren iſt ihm jener leipziger Student, den ſein Com⸗ 
militone glücklich pries, weil er unter 1500 andern die Palme des 
Saufens davongetragen.) 

An den Fürſten, dem Ritteradel und der Prälatur Deutſchlands, 
an denjenigen Kreiſen alſo, die er ebenſowohl zum Mäcenatenthum als 
zum Studium der Humaniora anzuregen verſuchte, ſind alle Bemühun⸗ 
gen Enea Silvio's durchaus geſcheitert. Er verzweifelte an der wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Reformation Deutſchlands, weil er immer nur den einen 
Weg dazu ſah, auf welchem nämlich Italien zu ihr gelangt war. Das 
Senfkorn, welches auf einen andern unſcheinbaren Boden, aber doch 
aus ſeiner eignen Hand gefallen war, hat er merkwürdigerweiſe nicht 
beachtet, er hat keine Ahnung davon gehabt, daß es zur kräftigen Pflanze 
erwachſen könne. Ein andrer Stand als in Italien, Frankreich und 
England ſollte in Deutſchland der Träger des Humanismus werden. 

In den beiden Canceleien, deren Mitglied Enea Silvio war, der 
Reichscancelei und der öſterreichiſchen, ſammelte ſich ſehr langſam und 
allmählig ein kleiner Kreis von Secretären, Advocaten, Hofaſtronomen 
und auch Geiſtlichen, die an dem ſchöngelehrten Treiben ihres italieni⸗ 
ſchen Collegen Geſchmack fanden. Kein einziger von ihnen war mehr 
als ein mittelmäßiger Menſch, kein einziger war einer ſolchen Begeiſte⸗ 
rung fähig, daß er alle Nützlichkeitsrückſichten bei Seite geworfen und 
ſich ganz dem Dichterberufe gewidmet hätte. Anfangs hatte der Picco⸗ 
lomini durch den Neid, das Mißtrauen und den Spott der Cancelei⸗ 
collegen ſogar recht ſchwere Tage gehabt: er war der Eindringling, der 
Liebling des Canzlers, und obwohl ſie ſelbſt keinesweges Spiegelbilder 
der Tugend zu ſein meinten, erregte ihnen doch ſein geiſtreicher Liber⸗ 
tinismus mehr Anſtoß als ihre eigenen Völlereien. Dann traten ſie ihm 

einzeln und mit Vorſicht näher; es zeigte ſich bald, wie das Lüſterne 
und Frivole den ſtärkſten Reiz und die ſchnellſte Anſteckung übt. Die 


) Dieſe und die obige Anekdote erzählt Aeneas Sylvius Comment. in 
Anton. Panorm. I, 41. 


VI. Enea Silvio und feine Caneelei⸗Collegen. 381 


Briefe und die philoſophiſchen Tractätchen des Enea Silvio, beſonders 
aber die erotiſchen und witzigen, wurden bald von ſeinen deutſchen 
Freunden mit Luſt geleſen und auch nachgeahmt; ähnliche Dinge des 
piquanten Poggio, von denen Enea Silvio Copien mitgebracht, kamen 
hinzu. Von der Verbreitung dieſer Werkchen zeugt die Menge von 
Abſchriften, deren faſt jede größere deutſche Bibliothek aufzuweiſen hat. 
Man denke ſich ferner, wie dieſe Canceleifreunde in verſchiedene Theile 
Deutſchlands zerſtreut wurden: den einen finden wir als Stadtſchreiber 
zu Cöln wieder, den andern als Stadtſchreiber des huſſitiſchen Prag, 
den dritten als Rathsſchreiber von Nürnberg, den vierten als Canzler 
Georg's von Böhmen, den fünften als Biſchof an der Oder. Und 
gerade im Puncte der Freigeiſterei, der dieſe Deutſchen anfangs zurück⸗ 
geſtoßen, hatten ſie nach einem Jahrzehent ſchon recht ſichtbare Fort⸗ 
ſchritte gemacht. Wir beſitzen ein merkwürdiges Schriftchen aus jener 
Zeit (1454), worin einer der Schüler Enea's, Johann Tröſter, die 
erotiſchen Erzeugniſſe feines Meiſters zum Vorbilde genommen hat.“) 
Es iſt ein Dialog zum Beweiſe des Sprichwortes Initium amoris est 
principium doloris. Gegen die Liebe, das heißt die ſinnliche Begier, 
wird hier nicht mit dem moſaiſchen Gebote, ſondern mit philoſophiſchen 
Gründen polemiſirt, wobei Cicero und Seneca, Virgilius und Ovidius, 
recht wunderlich mit chriſtlichen Vorſtellungen untermiſcht, herangezogen 
werden. Der erſte frivole Schritt iſt wie immer, daß die einfachen 
Sittengeſetze des Chriſtenthums nicht geleugnet werden, aber als ein⸗ 
fältig und altmodiſch erſcheinen. Die helleniſche Mythologie dient noch 
als ſtiliſtiſches Spielzeug, aber die Spielerei ſteht ſchon vor dem Heili⸗ 
gen nicht mehr ſtill und wird unvermerkt zur Frivolität, während ſie 
nur geiſtreich ſein möchte. Was wir meinen, wird ein Beiſpiel zeigen: 
der Verfaſſer jenes Dialogs vergleicht gelegentlich Chriſtus mit He⸗ 
rakles und die Jungfrau Maria mit Alkmene, die den Sohn nicht von 
Amphitryon, dem Zimmermann Joſeph der Schrift, ſondern von Zeus, 
dem heiligen Geiſte der Chriſten, empfing. 

Indeß verſchwand noch die kleine Zahl von Jüngern, die ſich um 
Enea Silvio ſammelten, unter der Schaar derer, die ſeine Beſtrebungen 


) In Duelli i Miscellan. Lib. I. p. 228 8d. Der Herausgeber hat fälſchlich 
die Jahrzahl 1450 beigefügt. In einem Briefe vom 9. Juli 1454 ſchulmeiſtert Enea 
Silvio die ihm von Tröſter zugeſendete Schrift in einer Weiſe, die uns das Verhält⸗ 
niß zwiſchen Lehrer und Schüler recht anſchaulich macht. 


382 VI. Enea Silvio als Verfechter des Humanismus in Deutſchland. 


mit entſchiedener Feindſeligkeit anſahen. In vielen ſeiner Briefe und 
Abhandlungen fand er es nöthig und es wurde dann eines ſeiner Lieb⸗ 
lingsthemata, die alten Dichter und Redner gegen die Einwürfe der 
Juriſten und Theologen zu vertheidigen. Mit Solchen, welche die 
Poeſie für eine unnütze Kunſt erklärten, weil ſie kein Brod ſchaffe und 
nicht zu Anſehen bringe, wurde er noch am leichteſten fertig. Er 
ſchlägt dann den Ton Poggio's an: „Du Eſel ſchätzeſt die Poeſie ge⸗ 
ring, du Ochs verachteſt die Muſen, du Schwein fliehſt die Humani⸗ 
tätsſtudien?“ ) Viel anziehender werden aber feine Vertheidigungs⸗ 
ſchriften, wenn den Einwürfen ein ſittliches und wahres Moment zu 
Grunde liegt. Der Redner, der Sophiſt ſetzt dann alle Kampfmittel 
ſeiner Kunſt in Bewegung. 

Enea Silvio hört den Einwurf der nüchternen Verſtändigkeit: 
„Du willſt mir da von den Thaten längſtverſchollener Männer erzählen 
und mir dann zureden, ich ſolle fie nachahmen!“ — Dieſe Nachahmung 
iſt recht das Centrum der Moral, welche die Verehrer der alten Ge⸗ 
ſchichte und Philoſophie, der alten Redner und Dichter unabläſſig zu 
predigen pflegten. Für den moraliſchen Nutzen der Poeſie und Rede⸗ 
kunſt nimmt Enea den Fehdehandſchuh auf. Der Dichter, behauptet 
er, lehrt, wie man leben, was man lieben, was haſſen ſoll. Der 
Dichter ſchreibt dem Geiſte viel beſſer einen angemeſſenen Lebenslauf 
vor als der Beichtvater; denn die Laſter flieht man nur aus Ueberzen⸗ 
gung, Ueberzeugen aber iſt der Beruf des Dichters und Redners. 
„Wenn wir der Sache auf den Kern kommen wollen, wer ſind die, 
welche die Tugend preiſen? Die Dichter! Wer find die, welche gegen 
das Laſter donnern? Die Dichter! Wer ſind die, welche die Thaten der 
Könige ſo herrlich beſchreiben? Die Dichter! Wer ſind die, welche groß⸗ 
artigen Männern den Ruhm und gleichſam die Unſterblichkeit gewähren? 
Die Dichter! Wer alſo die Dichter verdammt, mag zuſehen, daß er 
nicht auch die Tugenden verdamme und ſeinen Ruhm vernachläſſige.“) 

Enea hörte ſich ferner die Frage entgegenſtellen: Was bringſt du 
uns aus Italien die Dichter, was eilſt du, die heiligen Sitten Deutſch⸗ 


) Enea Silvio an Wilhelm von Stein v. 1. Juni 1444. Die Worte ſind 
aber nicht an den Adreſſaten, ſondern an einen aufgeblähten u gerichtet, deſſen 


Name nicht genannt wird. 
2) Aus dem Pentalogus de rebus ecclesiae et imperil bei Pez Thessur. 


Anecd. noviss. T. IV. P. III p. 645. 646. Aehnliches iſt in vielen andern Schrif: 
ten Enea's zu finden. | 


VI. Euea Silvio als Verfechter des Humanismus in Dentſchland. 383 


lands durch die entnervte Schlüpfrigkeit der Dichter zu verderben bu 
Man wird glauben, daß es ihm an Antworten nicht fehlte. Er wei⸗ 
fet auf die Dichter des alten Bundes hin und auf die Väter der Kirche, 
einen Hieronymus, Lactantius, Augustinus, Ambrofius, Cyprianus und 
andre, deren Schriften ihr Studium der poetiſchen Kunſt bezeugen und 
voll alter Dichterworte find. Was man an den römifchen Dichtern 
als thöricht oder verführeriſch tadle, finde man in ähnlicher Weiſe auch 
in der heiligen Schrift, die dennoch mit Nutzen geleſen werde. Man 
könne ja die Dornen vermeiden, wenn man die Roſen ſammle u. ſ. w. 
Der verdiene Schläge, welcher ſich an der Schlüpfrigkeit der Dichter 
ergötze. 

Die Dichter, ſagte man in Dentſchland ferner, ſprechen von meh⸗ 
reren Göttern, ſie feiern im Geſange, wie dieſe Götter ſich unter ein⸗ 
ander zanken, die Ehe brechen und dergleichen. Nun, zu ihrer Zeit, 
entgegnet Enea, ſei unter den Heiden die Lehre von einem Gotte eben 
noch unbekannt geweſen. Jetzt werde niemand den Einfall haben, Ju⸗ 
piter oder Hercules zu opfern, weil er in einem alten Dichter davon 
geleſen. Wenn bei den Dichtern auch die Laſter und Verbrechen der 
Sötter erzählt werden, fo geſchehe es nur, um die Leſer davon abzuſchrecken, 
dieſes Kunſtgriffes bedienten ſich ja auch die Theologen.) 

Gegen wen Enea dieſe Feldzüge zur Ehre der Poeſie und des 
Humanismus eigentlich führte, ſehen wir allerdings nicht. Perſönlich⸗ 
keiten von einiger Bedeutung traten ihm damals noch nicht entgegen, 
aber er hat doch beſtändig zu klagen, wie die Poeſie in Deutſchland 
mißachtet, verachtet, ja angegriffen werde. Es war eben die allgemeine, 
hingemurrte, oft vielleicht kaum bewußte Stimmung, die der welſchen 
Schöngeiſterei entgegentrat. Erſt als er Deutſchland verlaſſen und den 
apoſtoliſchen Stuhl beſtiegen hatte, fand dieſe dumpfe Oppoſition ein 
energiſches Organ in Gregor Heimburg, einem kerndeutſchen Cha⸗ 
rakter, auf den das volle Licht erſt durch den Gegenſatz zum Piccolo⸗ 
mini, dem Vertreter des modern⸗italieniſchen Geiſtes, fällt. Die Colli⸗ 
ſion der Beiden in den kirchlichen Tagesfragen, in denen es ſich um 


) Die erſte und ausführlichſte Vertheidigung der Dichter und der Dichtkunſt, 
die Enea in Deutſchland verfaßte, iſt nächſt dem angeführten Pentalogus eine Rede 
in der Aula zu Wien (1445), die in der basler Ausgabe ſeiner Werke als epist. 
1041 gedruckt iſt. Vergl. dann den Tractat de liberor. educat. p. 282 sq. und den 
Brief an Sbignew Olsnicki, Cardinal und Biſchof von Krakau, vom 27. October 
1453. 


384 | VI. Gregor Heimburg. 


römiſchen Supremat und deutſchen Territorialismus handelte, laſſen 
wir hier unberührt; ebenſo denkwürdig zum mindeſten iſt der Wider⸗ 
ſtreit der Bildung, in welchem dieſe beiden Naturen als Typen ihrer 
Nationalität gegen einander ſtehen. f 

Heimburg war als Juriſt und fürſtlicher Geſandter in Baſel ge⸗ 
weſen und zwar zu derſelben Zeit, als Enea Silvio, der vielgewandte, 
dort um die Gunſt der Concilienväter und einzelner Cardinäle buhlte. 
Wir dürfen wohl annehmen, daß dieſer Aufenthalt am zeitweiligen 
Tummelplatze der Oekumene, daß die Reden, die er dort hörte, die 
Schriften, die er im Intereſſe des obſchwebenden Kirchenſtreites las, 
daß Perſönlichkeiten wie Cardinal Ceſarini auch in Heimburg's Seele 
den humaniſtiſchen Funken geworfen haben. Er war auf der Hoch 
ſchule zu Würzburg gebildet, zunächſt als Juriſt, aber auch den Studien 
der Phyſik, Metaphyſik und Ethik hat er hier obgelegen, das heißt 
denjenigen Disciplinen, die ſich in damaliger Weiſe an den mißverſtan⸗ 
denen und in hundert abgeleiteten Bächen unkenntlich gewordenen Ari⸗ 
ſtoteles anlehnten.) So fern hier in Würzburg, ſo nahe lag ihm die 
moderne Schöngeiſterei in Baſel. Er war damals immer noch jung 
und einer jener Geiſter, die ſchnell lernen und denen mehr als ein 
Gebiet der Wiſſenſchaft offen ſteht, bei denen aber das praktiſche Leben 
und ein feſter Wirkungskreis gar bald dem Heißhunger des Wiſſen⸗ 
wollens Zügel anlegt. Daß er, wie die Fähigkeit dazu in ihm lag, 
von den humaniſtiſchen Feinheiten genaſcht, zeigen ſeine Schriften. Er 
weiß recht wohl Beiſpiele aus der alten Geſchichte einzuflechten, Cicero, 
Terentius, Virgilius oder einen der eleganten Kirchenväter zu citiren, 
er iſt inne geworden, wie viel ſüßer dem Ohre die ſchmucke oder pomp⸗ 
hafte Rede klingt als das ſchlichte Wort, er war gelegentlich ein eifri⸗ 
ger Vertheidiger der Poeſie gegen ihre Verächter. 

In Baſel hat Heimburg mit Enea Silvio keine Gemeinſchaft ge⸗ 
habt. Wahrſcheinlich lernten ſich die Beiden erſt zu Neuſtadt, am Hofe 
des römiſchen Königs kennen. Als hier einſt Heimburg öffentlich, ob- 
wohl ein Deutſcher und ein Juriſt, mit eifriger Hingabe vom Studium 


) Die Sammlung jeiner Schriften, die u. d. T.: Scripta nervosa justitiaeque 
plena etc. ex. mss. nunc primum eruta etc. Francofurti 1608 erſchien, enthält 
nicht mehr als was dann auch Goldaſt in den beiden erſten Bänden der Monarchiae 
mitgetheilt hat. Nur letztere Ausgabe iſt mir zur Hand. — Die Studien ſeines 
Jünglingsalters erwähnt Heimburg in ſeiner Apologia ap. Goldast I. c. T. II. 
p. 1608. 


VI. Gregor Heimburg. 385 


der Humaniora ſprach, hörte ihn niemand mit dem Entzücken wie der 
Italiener, der in ſeinem Geiſte ſchon ſah, wie jenes Studium in Deutſch⸗ 
land durch ſolche Männer zu Ehren kommen werde. Er gratulirte 
Heimburg noch an demſelben Tage in einem Schreiben: er übertreffe 
den gewöhnlichen Legiſten und nähere ſich der italieniſchen Eloquenz.) 

Keine Spur leitet zu der Annahme, daß Heimburg ſich durch das 
Lob des Italieners geſchmeichelt gefühlt und ſeinen humaniſtiſchen Stu⸗ 
dien deſto eifriger ergeben habe. Wohl aber wiſſen wir, daß die Bei⸗ 
den im Kampfe um die deutſche Kirchenneutralität den entgegenſtehen⸗ 
den Parteien angehörten und in Rom ſo wie dann im Jahre 1446 zu 
Frankfurt heftig aufeinandertrafen. Dieſe Reibung entwickelte erſt recht 
die Polarität der beiden Naturen. Heimburg war ein ſtämmiger Mann, 
ein offener, frei⸗ und ſcharfſinniger Kopf. Zum Winden und Krüm⸗ 
men taugte er nicht, er konnte rechtſchaffen haſſen und wenn ihm ein 
Aerger zu Herzen ſtieg, platzte er entweder derb mit ſeiner Meinung 
heraus oder er machte ſich durch Spötteln und hämiſche Ironie Luft. 
Wen er lobte, pflegte man zu ſagen, der müſſe wohl des Lobes wür⸗ 
dig ſein. Er wußte, daß man ihn gemeinhin für ſtolz, ſchmähſüchtig 
und neidiſch hielt, weil er weder ſchmeichelte noch geſchmeichelt ſein 
wollte.) Seit jenem Zuſammentreffen lag er mit dem Papſtthum 
und mit allem welſchen Weſen im Kriege. Eleganz und feine Schmieg⸗ 
ſamkeit waren ihm innerlichſt zuwider, ſchon in Kleidung und Beneh⸗ 
men trug er ſeine trotzige Verachtung gegen dieſen welſchen Flitter 
gerade vor Welſchen recht abſichtlich zur Schau. Zumal der Piccolo⸗ 
mini blieb ihm ein ſtetes Aergerniß, als Cardinal und Papſt der ver⸗ 
haßteſte Feind. Den Bannfluch Pius' II wehrte Heimburg mit De⸗ 
fenſions⸗ und Schmähſchriften ab, in denen es ihm recht . that, 
ſeinem Groll rückſichtslos die Zügel zu laſſen. 

Damals nun brach er mit ſeinen humaniſtiſchen Gelüſten,, Juriſt 
wollte er fortan ſein mit Leib und Seele. Es iſt der tiefſte und zu⸗ 
kunftreichſte Zug des deutſchen Charakters, der hier zur Erſcheinung 
kommt. Die Humaniſten Italiens müſſen aus ihrer eigenſten Natur, 


1) Aeneas Sylvius epist. 120 edit. Basil. Ich glaube den Brief trotz der 
Ueberſchrift episcopus Tergestinus in das Jahr 1444 oder 1445 ſetzen zu müſſen. 

) Heimburg ſagt in der bald zu erwähnenden ungedruckten Schrift von ſich: 
Ego ab illo artificio (adulationis) tam abhorreo ut a plerisque vel invidus pu- 
ter vel superbus, et de me jam ortum est proverbium; ut quos ego laudem hii 
digni sunt laudari. 


Voigt, Humanismus. 25 


386 VI, Gregor Heimburg. 


aus ihren realen Zuſtänden heraustreten und phantaſtiſch in einer Welt 
leben, deren Anſchauungen ſie erſt erlernt haben und die niemals ganz 
‚in ihr Selbſt aufgehen kann. Ihre Perſon und das claſſiſche Ideal 
bleiben ſtets in einem unlösbaren Widerſpruch, ihr Wort iſt eine 
rhetoriſche Lüge. Einem Heimburg kann die Beſchäftigung mit der 
feinen Stiliſtik und mit den Zierrathen des Alterthums nur ein vor⸗ 
übergehendes Spiel jüngerer Jahre und müßiger Stunden ſein. Die 
eitle Nachahmungsſucht der Italiener erfaßt ihn nicht, den Sprung 
von der nüchternen Wirklichkeit zum blendenden Scheine kann er nicht über 
ſich bringen. Seine kräftige Originalnatur ſondert das Ungeſunde von 
ſich aus. Das iſt es, was den Italienern als Unbeholfenheit erſchien, 
während es gerade die Naturwahrheit, die Richtigkeit des Herzens war, 
auf welcher die Zukunft des deutſchen Geiſtes ruhte. 

Man ſieht nun wohl den tieferen Grund, weshalb Heimburg und 
Piccolomini in Kampf mit einander treten mußten, ſobald ſie auf ihren 
Lebenspfaden zuſammengeriethen, das . e und der ita⸗ 
lieniſche Schöngeiſt. 

Im Jahre 1453 hörte Enea Silvio eine Rede, die Heimburg vor 
einem Reichsgericht als Anwalt der Nürnberger gegen den brandenbur⸗ 
giſchen Markgrafen Albrecht Achilles hielt. Er hat ſie in ſeiner Ma⸗ 
nier, künſtelnd und glättend bearbeitet und in eines ſeiner Geſchichts⸗ 
werke aufgenommen.!) Doch fühlen wir immer noch das volle Herz 
und die Keulenſchläge des deutſchen Juriſten durch. Wie er auf den 
Rechtsſatz und das Document mit ſchlagender Schärfe hinweiſet, wie 
er die Gründe des Gegners packt und mit bitterer Satire durch die 
Zähne zieht, wie er dann ſeinem vollen Buſen Luft macht und den 
Strom der Worte ungedämmt, wie über Felſen und rechts und links 
an den Ufern reißend, einherrollen läßt! Die ihn hörten, ihnen ſchlug 
das Herz, nicht aus Bewunderung für den Redner, ſondern aus Eifer 
für die Sache, die er verfocht. Obwohl er in deutſcher Sprache re⸗ 
dete, konnte ſich doch auch Enea Silvio jenem Eindrucke nicht entziehen. 
Er ſtaunt das natürliche Talent an, aber in der Redekunſt fühlt er 
ſich ſogleich als Rival, die Wohlredenheit ſteht ihm doch höher als jene 
Beredtſamkeit. Wir hören ſein Urtheil: er hütet ſich wohl, Heimburg 
das Lob der Eloquenz zu ertheilen, das bleibt den Poggio, Filelfo, 


) In die Historia Frideriei III in Kollari i Analecta Monum. Vindob. 
T. II. p. 428 8d. 


VI. Gregor Heimburg. 387 


Valla und ihm ſelbſt vorbehalten; er ſpricht mit halber Anerkennung 
und halber Mißachtung von einer „deutſchen Eloquenz“, von einer 
„natürlichen Beredtſamkeit.“) 

Heimburg dagegen macht entſchiedene Oppoſition gegen die Kunſt, 
der er in jüngeren Jahren ſelbſt zugethan geweſen, er geſteht es wie 
eine thörichte Jugendſünde ein, daß er ſich einſt um hohlen Wortkram 
bemüht. Auch hier tritt die Energie ſeines geraden Weſens hervor; 
überdies urtheilen wir meiſtens über eine Beſchäftigung oder Richtung 
um fo ſchonungsloſer, wenn wir ſelbſt ihr einmal mit Hingabe gehul⸗ 
digt haben und davon zurückgekommen ſind. 

Einer von Heimburg's Freunden, Johann Rhode (oder vielleicht N 
Rott) war durch Enea Silvio für die humaniſtiſche Kunſt begeiſtert 
worden und dann nach Rom gegangen, um im Kreiſe der Schöngeiſter, 
die Nicolaus V um ſich verſammelte, feine rhetoriſchen Studien zu be⸗ 
treiben. Es war gerade zur Zeit, als Lorenzo Valla ſeine Schule der 
Eloquenz eröffnete, im Jahre 1454. Er wurde Rhode's Lehrer. In 
den Briefen, die dieſer an Freunde in der Heimath richtete, ließ er 
nun ſein Licht leuchten, warf mit bunten Fetzen aus den alten Dichtern, 
Philoſophen und Rednern um ſich, verſchwendete üppige Schmeichel⸗ 
worte in Valla's Weiſe und erhob die neue Kunſt, der er ſich gewid⸗ 
met, gen Himmel. Ein Brief der Art, den er an Heimburg nach 
Nürnberg richtete, iſt uns nicht erhalten, aber er wird darin ohne Zwei⸗ 
fel, ähnlich wie er in einem ſpäteren Schreiben thut, ſeine „ſehr ge⸗ 
ſchmückten Briefe“ gelobt, ihn den „ausgezeichnetſten und ſehr eloquen⸗ 
ten Gregor Heimburg“ genannt und als „Zier und Schmuck Deutſchlands“ 
geprieſen haben. Heimburg weiſet dieſe Höflichkeiten zurück, aber er 
thut es nicht mit den Beſcheidenheitsphraſen, wie ſie bei den welſchen 
Schöngeiſtern im Schwange waren, ſondern mit jenem männlichen 
Selbſtgefühl, welches ſich des verdienten Lobes nicht begeben, das un⸗ 
verdiente aber nicht haben will. Eine gewiſſe Gabe der Rede meine 
er allerdings zu beſitzen, ſie ſei wohl ein Erbtheil von ſeinem Vater 
her; ihrer habe er ſich bisweilen ſo wacker bedient, daß ſelbſt gelehrte 
Männer ſich gewundert hätten, wie die rohe deutſche Sprache es ſo 


— 


) Er ſagt von Heimburg in der Histor. Frid. III. I. e.: tam facundia 
quam juris seientia praestans; iu den Comment. in Anton. Panorm. III, 6: scien- 
tig juris ac facundia inter omnes Germanos facile princeps; Pii II Comment. 
p. 90: juris interpres celebratus et eloquentia Theutonica insignis. 


25 * 


388 | VI. Gregor Heimburg. 


weit bringen könne. Dabei wende er wohl auch fein Weniges von 
Gelehrſamkeit an. Weiter aber verdiene er kein Lob und müſſe es für 
Schmeichelei nehmen. Vor dieſem Laſter warnt er den Freund. Es 
ſei ein ſpitzfindiger Kunſtgriff, jemand zu loben, ihn vielleicht zu täu⸗ 
ſchen und dadurch ſeine Gunſt zu gewinnen. Leider ſei es ein ſo ſüßes 
Gift, daß man nur ſchwer die Begierde nach Lob und Ruhm bekämpfe. 
Er erinnert an diejenigen, die in ihren Büchern die Verachtung des 
Ruhmes predigen und doch dieſelben Bücher nur ſchreiben und unter 
ihrem Namen veröffentlichen, um Ruhm zu erlangen, um dafür gelobt 
zu werden, daß ſie die Nichtigkeit des Lobes dargethan. 

Zugleich bekämpft er die ſtiliſtiſche Kunſt in ihrem Kerne. Der 
Freund dünke ſich damit, daß er die Schlagworte der alten Autoren 
geſchickt anzuwenden wiſſe. „Doch iſt es das Zeichen eines erhabene⸗ 
ren Geiſtes, wenn wir uns nicht den Stil dieſes oder jenes Autors 
aneignen, ſondern als Reſultat der Beſchäftigung mit ihnen gleichſam 
unſern eigenthümlichen Geiſt für uns haben. Das Glücklichſte aber 
iſt, nicht nach Weiſe der Bienen Zerſtreutes zu ſammeln, ſondern nach 
dem Vorbilde jener Würmer, aus deren Eingeweiden die Seide kommt, 
aus ſich ſelbſt heraus zu reden wiſſen.“ So hebt er gegen die Kunſt 
der Eloquenz ſeine ſolide Wiſſenſchaft des bürgerlichen Rechtes hervor. 
Dazu wolle er jetzt, wie ſein höheres Alter erfordere, das Studium 
der göttlichen Dinge betreiben. „Sie bedürfen nicht der Bewäſſerung 
durch die Fluthen der tullianiſchen Eloquenz, nicht der Redeblümchen 
Quintilians. Hier genügt die Rede, welche die Sache erläutert, den 
Sinn kennen lehrt, Dunkles aufhellt. Was ſoll hier die Rede, welche 
in künſtlichen Worten üppig ſprießt? O wie oft ſagt dein Lactantius, 
daß die Wahrheit der Schminke nicht bedürfe, und daſſelbe bezeugt 
mehrmals Auguſtinus in feinem- Buche der Confeſſionen. Und doch 
leiten Beide eben in jenen Büchern den Quell der Wohlredenheit, aus 
dem ſie als Jünglinge geſchöpft, durch Bäche in ihre Geiſteswerke, um 
nach dem verſchiedenen Geſchmacke der Leſer Würze auf Würze zu häu⸗ 
fen und ſie zu ergötzen“. 

Solche Worte ſprechen für ſich ſelbſt. Jener Rhode verſtand ſie 
jo wenig und war bereits fo durchdrungen von dem welſchen Gifte, 
daß er mit einer gelehrten Abhandlung antwortete, die den Vorzug der 
Eloquenz vor der Juriſterei darthun und Heimburg's Anſicht durch 
claſſiſche Autoritäten widerlegen ſollte. Er wiederholte darin ungefähr, 
was Enea Silvio und Valla, ſeine Lehrer, gegen die Geſchmackloſigkeit 


VI. Gregor Heimburg. 389 


der Juriſten, die Unfähigkeit der alten Rechtscompilatoren und die Wiſſen⸗ 
ſchaft des bürgerlichen Rechts im Allgemeinen vorzubringen pflegten.) 

In den Streitſchriften, die Heimburg gegen den Piccolomini auf 
dem apoſtoliſchen Stuhle und ſeine papiſtiſchen Anhänger gerichtet hat, 
ſagt er dann unverhohlen das letzte Wort heraus. Sie ſind überhaupt 
der leibhafteſte Ausdruck ſeiner Perſönlichkeit. Dieſer ſelbſtſtändige Stolz, 
dieſe Kraft, die ſich bald im derben Worte, bald in der launigen Bit⸗ 
terkeit des Angriffes ſpiegelt! Nur gleichſam um den Italienern zu 
zeigen, daß auch ein Deutſcher die alte Geſchichte kennen könne, um 
den Streitſchriften der päpſtlichen Nuntien und des Papſtes ſelber auch 
in der Gelehrſamkeit nichts nachzugeben, ſtreut er wie mit verachtender 
Miene einige Brocken davon ein. Im Uebrigen ſchreibt er ſo ungenirt, 
wie er ſich kleidet und wie er ſpricht, ja er trotzt wohl gar auf ſei⸗ 
nen domesticus stilus — ſo nennt er ſeine Schreibweiſe im Gegen⸗ 
ſatze zu der blumigen und zierlichen des Papſtes. Wenn du „Glanz der 
Rede“ (nitor sermonis) die Wahrheit reden nennſt, ſagt er dem Bi⸗ 
ſchofe von Feltre, Pius' Schildträger, ſo bekenne ich, daß ich darin 
ſehr erfahren bin.) Beſpöttelt Heimburg wieder diejenigen, welche 
Demuth heucheln, über die Verachtung des Ruhmes ſchreiben und ihm 
doch gerade am meiſten nachjagen, wer anders iſt gemeint als der hu⸗ 
maniſtiſche Papſt, der ſo oft über den Ruhm in Cicero's Weiſe ge⸗ 
ſchwatzt? Denſelben Enea Silvio, von dem er als der aufgehende Stern 
des deutſchen Humanismus begrüßt worden, nennt Heimburg jetzt »ge⸗ 
ſchwätziger als die ſchlimmſte Elſter“, „einen Mann, der zufrieden mit 
ſeiner Wortmacherei (verbositas) von den Rechtswiſſenſchaften frei⸗ 
lich nie einen Vorgeſchmack gehabt, der da meine, ſie ſeien in den 
Kunſtgriffen des Rhetors enthalten, einen Beweisſtellenredner (orator 
topicus) und Windmacher.“ — „Mächtig iſt die Gewalt der Beredt⸗ 
ſamkeit; nimm ſie vom Papſte und es bleibt wenig an ihm zu loben.“) 

Das iſt die Oppoſition des geſunden deutſchen Geiſtes gegen die 
Kunſt des Redens und Schreibens, die in Italien zu einem unnatür⸗ 
lichen Anſehen gekommen war. Man kann nicht leugnen, daß Heim⸗ 


) Beide Briefe, den Heimburg's, d. Nürnberg 16. März 1454, und die Ant⸗ 
wort Rhode's, d. Rom 16. Mai 1454, enthält der Cod. msc. lat. 519. 40. der 
münchener Hofbibliothek fol. 46—64. 

2) Seine Apologia gegen den Biſchof von Feltre bei Goldast I. c. T. II. 
p. 1607. 

) Aus der Apologia I. c. 


390 VI. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbarei. 


burg die wunde Stelle traf. Der Streit zwiſchen ihm und ſeinem 
päpſtlichen Gegner iſt wie ein bedeutungsreiches Vorſpiel zu dem ge⸗ 
waltigen Kampfe, der zwiſchen den beiden Nationen noch geführt wer⸗ 
den ſollte, ſo wie Heimburg ſchon ſtark an Ulrich von Hutten erinnert. 

Da iſt es leicht zu begreifen, wie die Italiener dieſe Sprödigkeit 
der Deutſchen gegen ihre moderne Bildung aufnahmen. Der Deutſche 
war in ihren Augen immer der rohe Barbar geweſen; dieſes Gefühl 
der geiſtigen Ueberlegenheit wurde natürlich noch genährt, ſeitdem das 
claſſiſche Studium der italieniſchen Bildung einen erhöhten Schwung 
gab. Es erſchien noch wie ein nationales Eigenthum, für welches der 
Germane völlig unempfänglich ſei. Verächtlich auf ihn herabzuſehen, 
war ſeit Petrarca Modeton. Dieſer hielt mit ſeinem Unwillen nicht 
zurück, als Zanobi da Strada aus der Hand Karl's IV zu Piſa den 
Dichterlorbeer empfing: ein barbariſcher Lorbeer hat den Zögling der 
auſoniſchen Muſe geſchmückt, ein deutſcher Richter hat ſich erkühnt, 
über unſre Geiſter ein Urtheil zu fällen!) Er war erſtaunt, zu Cöln, 
„mitten im Barbarenlande,“ eine wohlgebaute Stadt, ein anſtändiges 
Weſen, würdige Männer und hübſche reinliche Frauen zu finden!), aber 
er kann dieſe Stadt, ſelbſt beiläufig, nicht erwähnen, ohne ihr in derber 
Weiſe vorzurücken, wie man hier nicht um Poeſie, nur um Geld und 
Schlaf, um den Bauch und die Kehle ſich kümmere.) Seitdem er⸗ 
gingen ſich alle die Humaniſten, die ihr Schickſal einmal nach Deutſch⸗ 
land verſchlagen, mit beſonderem Wohlgefallen in Schimpf- und Witz⸗ 
reden über das Barbarenvolk. Selbſt der ernſte und wortkarge Bruni 
wurde launig und aufgeräumt, wenn er Geſchichtchen aus Deutſchland 
erzählte, wo er während des coſtnitzer Concils geweſen.) Und welch 
eine Fülle des Stoffes war hier für Poggio's Laune! So oft er von 
den Jahren ſpricht, in denen er auf deutſchem Boden nach alten Hand⸗ 


) Praefat. in libros Invectivarum c. medicum quendam (Opp. p. 1199): 
Ante alios coenobius (Zanobius) noster, vir doctus et quem Ausoniis armatum 
Musis, barbarica nuper laurus ornavit, deque nostris ingeniis, mirum 
dictu, judex censorque Germanicus ferre sententiam non expavit. 

) Epist. rer. famil. I, 4. 

) Epist. metr. II, 11: — — — — Quid inepta Colonia tantis 

Una nocet titulis, fulvi cui gratia nummi, 
Ventris amor studiumque gulae sommusque quiesque 
Esse solet potior sacrae quam cura poesis. | 


) Vespasiano: Lionardo d’Arezzo $ 10. 


VI. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbar. 391 


ſchriften geſucht, vergißt er nie, den Deutſchen für die Schätze, die er 
aus ihren Klöſtern entwendet,“) kräftige Schmähworte in den Kauf zu 
geben. Die Deutſchen, ſagt er in einem Briefe an den Cardinal Ce⸗ 
ſarini,) waren einſt ein kriegeriſches Volk, jetzt find fie nur ſtark im. 
Eſſen und Trinken und tüchtig je nach dem Maße des Weines, den 
ſie zu verſchlucken haben. Er ſchiebt die Schuld der ſchmählichen Flucht 
vor den Huſſiten bei Tauß ſcherzend darauf, daß der Cardinallegat 
ſeinen Kämpfern nicht genug Wein geſpendet und gehofft habe, mit 
nüchternen Deutſchen zu ſiegen. — „Sind das Menſchen! ruft er ein 
andermal aus. Gute Götter, ſchlaftrunkene, blöde, ſchnarchende Ge⸗ 
ſchöpfe ſind es, niemals nüchtern, den Menſchen und Gott verhaßt! 
Ob ſie leben oder todt ſind, kann man nicht unterſcheiden, wenn ſie 
von Wein und Speiſe überwältigt daliegen.“) 

Enea Silvio, jo lange er ein untergeordneter Secretär war, hatte 
ſeinen Aerger am deutſchen Weſen oft bekämpfen müſſen oder ihm 
doch nur in Briefen an italieniſche Freunde Luft machen können. 
Deutſchland und ſeinem Kaiſer verdankte er dann ſein erſtes Bisthum 
und den Cardinalat, überhaupt ſein Emporkommen. Da er ferner mit 
den kirchlichen Beſtrebungen der deutſchen Fürſten und Prälaten in be⸗ 
ſtändigem Kampfe lag, war er gezwungen, mit der Nation in jeder 
Weiſe behutſam zu verfahren. Trotzdem, wo er den Diplomaten ver⸗ 
geſſen darf, kehrt er den Italiener ſo übermüthig heraus wie Poggio 
und Bruni. f 

Den gründlichſten Verächter aber fanden die Deutſchen in dem 
lebensluſtigen Giantonio Campano, der ſeine Laufbahn als Hofdichter 
Pius' II begonnen. Er wurde einſt (1471) zu einem regensburger 
Reichstage geſchickt, um die Deutſchen durch die Gewalt ſeiner Rede 
zum Türkenkriege anzufeuern. Dieſe Miſſion glückte ihm ſchlecht, er 
fror in dem kalten Lande und mußte viel Langeweile erdulden; denn 
er verſtand niemand und wurde nicht verſtanden. Dafür rächte er ſich 
in Briefen und Gedichten durch ein Schimpfeu gegen das deutſche Volk, 
welches ſelbſt Poggio Achtung vor ſeinem Talent eingeflößt hätte. 


) Wem dieſer Ausdruck zu ſcharf erſcheint, der höre Poggio's (epist. 52. im 
Spieileg. Roman. T. X.) naives Geſtändniß über ein Bändchen mit Epitaphien: 
unicus parvus est quinternio, quem inter pulverem repertum in manicam con- 
jeci, cum libros quaererem apud Alamannos, 

2) Opp. edit. Basil. p. 309. 310. 

) Invectiva in Felicem Antipapam (Opp. p. 163). 


392 VI. Der Humanismus und die Preſſe. 


Das ganze Land, ſagt er, iſt eine Räuberhöhle, der Edelſte vom Adel 
iſt der fertigſte Räuber. Leben iſt hier gleichbedeutend mit Saufen. 
Die Barbarei der Geiſter iſt eine ganz unglaubliche: Freunde der Wiſſen⸗ 
ſchaft ſind äußerſt ſelten, Freunde der Eleganz nicht vorhanden, für 
die Studien der Humanität fehlt alle Faſſungsgabe. Bei dieſen Bar⸗ 
baren wohnt keine Muſe. Alle Menſchen ſtinken in Deutſchland; ihm 
werde übel, wenn er Deutſchland nennen höre.) 

Aber die Völker bedürfen einander, mögen ſie ſich lieben oder 
haſſen, eine höhere Hand leitet ihre Berührungen und Reibungen zu 
einem höheren Zwecke, den ſie ſelbſt vielleicht erſt nach Jahrhunderten 
zu erkennen vermögen. Der Büchereifer Italiens und deutſcher Ge⸗ 
werbfleiß ſollten ſehr bald einen Bund eingehen, deſſen Frucht nichts 
geringeres war als eine gemeinſame Bildung aller Völker, eine Welt⸗ 
literatur. 

Italien hatte einen ſeiner Humaniſten, den Piccolomini, wie einen 
Miſſionär zu den deutſchen Barbaren geſendet; Deutſchland ſandte ihm 
dagegen zwei gewerbtüchtige Männer, Konrad Schweinheim und Arnold 
Pannartz, die zu Subiaco die erſte Preſſe aufſtellten. Jener Enea 
Silvio ſchrieb für einen deutſchen Fürſtenſohn die Elemente der latei⸗ 
niſchen Grammatik nieder; jene beiden förderten als das erſte gedruckte 
Buch, welches Italien ſah, die Grammatik des Donatus ans Licht. 
Enea Silvio warnte den Herzog Sigmund von Tirol vor den Erzeug⸗ 
niſſen der dumpfen Scholaſtik: willſt du über Religion und über das 
Heil deiner Seele nachdenken, ſchrieb er ihm am 5. December 1443, 
jo ſchlage die Bücher des Hieronymus, Auguſtinus, Ambroſius, Lactan⸗ 
tius, kurz der guten Stiliſten auf. Jene Männer druckten 1465, gleich 
nach dem Donatus, die Werke des Lactantius und Auguſtinus' Buch 
vom Gottesſtaat. Enea Silvio hatte dem Erzbiſchof von Trier, einem 
Markgrafen von Baden, ſeine Rhetorik gewidmet und den Deutſchen 


) Jo. Ant. Campani Epistolae et Poemata recens. Jo. Burch. Mencke- 
nius. Lipsiae, 1707. ef. epist. VI, 1. 2. 6. IX, 45 et al. Der Herausgeber 
der Briefe hat p. 554 sq. eine Declamatiuncula de Campani odio in Germanos 
hinzugefügt und die Kraftftellen darin geſammelt. Von der Laune des Dichters mö⸗ 
gen folgende Diſtichen Zeugniß ablegen (Carm. VIII, 1), die er bei ſeiner Rückkehr 
aus Deutſchland fang: 

Accipe Campani, sterilis Germania, terga, 
Accipe nudatas, Barbara terra, nates! 
Ille dies, iterum qui te mihi forte videndum 
Offeret, extremus sit mihi et ille dies. 


VI. Der Humanismus und die Preſſe. 393 


manche Rede im Tone Cicero's gehalten; Schweinheim und Pannartz 
ließen Cicero's Werk vom Redner folgen. Und als fie ihr Geſchäft 
von Subiaco nach Rom überſiedelten, waren die familiären Briefe Ci⸗ 
cero's das erſte im Rom gedruckte Buch, gleichwie ſich Enea Silvio 
in Wien zuerſt durch feine Briefe Bahn gebrochen hatte.) Die Hu- 
maniſten Italiens hatten die ehrwürdigen Schriftſteller des Alterthums 
aus ihren Gräbern wach- und ins Leben zurückgerufen; die deutſche 
Erfindung ſtellte ſie vor neuem Untergange ſicher und ſtreute ihre Werke 
durch die ganze gebildete Welt aus. Jene mochten ſich rühmen, die 
Nacht der Barbarei durchbrochen zu haben, indem ſie die leuchtende 
Fackel des Alterthums emporhoben; die Preſſe ſchützt die Welt für 
ewige Zeiten vor der Wiederkehr der Barbarei. Jene brachten die 
Kunſt des Wortes zu hohem Anſehen bei Fürſten und Höfen; die 
Druckerkunſt gab dem Worte Flügel und Ewigkeit und erhob es zur 
erſten Weltmacht, deren Reich keine Grenzen hat und kein Ende fürch⸗ 
ten darf. 

Der Piccolomini ſah als Greis die Menſchheit tiefverderbt und 
einem großen Gottesgericht entgegeneilen, in den Türken meinte er ſchon 
die ſtrafende Hand des Herrn zu erkennen, welche dieſe Völkergeißel 
über die Culturwelt herſchicken werde wie einſt die Hunnen und Van⸗ 
dalen. Die mühſam erworbene Bildung Italiens, ſelbſt ein Ariſtoteles 
ſchienen ihm vor dem Untergange nicht ſicher. „Es iſt nicht wahr, 
was Manche ſich einreden, daß die Denkmäler der Wiſſenſchaft nicht 
untergehen. Auch ſie haben ihren Tod, leben gleich einige von ihnen 
länger als andre. Die Zeit rafft Alles dahin und es giebt kein Men⸗ 
ſchenwerk, welches mit der Zeit nicht wieder hinſchwände. “') So der 
finſterdenkende Papſt, der ſeinen Anſpruch auf Nachruhm nicht weniger 
auf die Erzeugniſſe ſeiner Feder gründete als auf ſeine Würde und 
ſeine Thaten. Er ahnte nicht, daß die Wiſſenſchaft ſich einer gewalti⸗ 
gen Kriſis nahte und daß die Kunſt bereits im Gange war, die mit 
des Ariſtoteles Werken auch die ſeinigen verewigte. Und hätte er es 
gewußt — ſah er doch wiederum als Wächter des Glaubens, wie ſchon 
Menſchenhände und Gänſekiele emſig die Fundamente unterwühlten, 


) Auf einzelne Controverſen über die Geſchichte der italienischen Buchdruckerei 
einzugehen, iſt hier natürlich nicht der Ort. So entnehme ich dieſe Notizen ohne 
Weiteres aus den Studien Tiraboschi's T. VI. p. 239 8. 

) Pius II Asia cap. 71. | 


394 VI. Durchbruch des Humanismus in Deutſchland. 


auf denen ſeine Kirche ſtand. „Des Bücherſchreibens, ſpricht er im 
Geiſte der zukünftigen Inquiſition, iſt nun kein Ende und Vieler Sinn 
iſt verderbt, die in verkehrte Dogmen verfallen ſind. Deshalb handeln 
diejenigen verſtändig, welche verdammte Bücher verbrennen und nicht 
Allen die Erlaubniß zum Schreiben geben.“!) Hätte er gar die furcht⸗ 
bare Waffe gekannt, die den entfeſſelten Geiſtern ſchon wenige Jahre 
nach ſeinem Tode zu Gebote ſtand! 

Wir ſehen noch einmal nach Deutſchland zurück. Erſt gegen den 
Schluß des Jahrhunderts ſchoß die Saat des Humanismus hier, trotz 
der ungläubigen Verachtung der Italiener und trotz der Oppoſition eines 
Heimburg, in vollen Aehren empor. Nur des erſten Anſtoßes hatte 
es von Italien aus bedurft, die Entwicklung war dann eine andre und 
ſelbſtſtändige. Die gedruckten Exemplare der Claſſiker erſparten dem 
jungen deutſchen Humaniſten das mühſame Abſchreiben, das Vergleichen 
der Codices, die hohen Bücherpreiſe, kurz Vieles von dem, was den 
Humaniſten Italiens ihre Wiſſenſchaft ſo anſtrengend und koſtbar, da⸗ 
für aber auch ſo köſtlich gemacht. Sich in den Beſitz einer Bibliothek 
zu ſetzen, war nun die Sache eines mäßigen Aufwandes, nicht mehr 
eines Menſchenlebens.) Bücher machten den Lehrer entbehrlich: wer 
ſich die Elemente der beiden claſſiſchen Sprachen erworben, half ſich, 
wenn ihm überhaupt zu helfen war, auch unter ärmlichen Umſtänden 
allenfalls ſelber fort. Man bedurfte alſo nicht etwa italieniſcher Leh⸗ 
rer oder des Beſuches einer italieniſchen Hochſchule; die Alten ſelber 
waren die beſten und billigſten Lehrer, in Deutſchland dieſelben wie in 
Italien. | 

Kaiſer Maximilian iſt der erſte deutſche Fürſt, in deſſen Bildung 
der Anhauch des Alterthums bemerkbar iſt, am deutlichſten in ſeinem 
lebhaften Intereſſe für Geſchichte und Kosmographie. Hier könnte leicht 
der dreiundzwanzigjährige Aufenthalt des Enea Silvio am Kaiſerhofe 
ſeine Frucht getragen haben. Aber bei den Gelehrten und Epiſtolo⸗ 
graphen des elſaſſer Kreiſes, einem Peter Schott, Johann Geiler von 
Kaiſersberg, Jakob Wimpfeling, oder bei den Nürnbergern vermögen 
wir die Einwirkung des italieniſchen Geiſtes ſchon nicht mehr zu er⸗ 


—— — — — 


1) Asia I. c. — 

) Gleich der Erſte, der uns von den in Rom gedruckten Büchern berichtet, 
Gaspar Veronensis (ap. Muratori Scriptt. T. III. P. II. p. 1046) wunderte 
ſich über die billigen Preiſe der gedruckten Bücher. 


VI. Der Humanismus in Ungarn. 395 


kennen. Sie ſtehen ſchon ganz auf eigenen Füßen, daß heißt auf einem 
ſelbſtſtändigen Studium des Alterthums. Noch eine Generation weiter 
und es treten uns Namen entgegen, die neben den gefeiertſten Namen 
italieniſcher Humaniſten nicht mehr erbleichen, Rudolf Agricola, Johann 
Reuchlin, Konrad Celtes. Der deutſche Humanismus und der italie⸗ 
niſche haben Vieles gemeinſam, aber in einem Puncte weichen ſie auf⸗ 
fällig auseinander: die Frucht der claſſiſchen Studien war in Italien 
ein religiöfer Indifferentismus, ja ein heimlicher Krieg der Ungläubig⸗ 
keit gegen Glauben und Kirche, in Deutſchland dagegen erwecken ſie 
gerade eine neue Regſamkeit auf den Gebieten der Theologie und des 
kirchlichen Lebens. In der Oppoſition gegen das römiſche Papſtthum 
und gegen die hergebrachte Formalgläubigkeit bildet der deutſche Hu⸗ 
manismus kein unweſentliches, wenn auch nicht das tiefſte Moment.“) 

In Ungarn bildete die Prälatur gleichſam eine Brücke zwiſchen 
den Eingeborenen des Landes und Italien. Ferner kamen hier die 
Hochſchulen wohl deshalb nicht auf, weil, wer irgend konnte, doch lie⸗ 
ber zu Cöln oder Leipzig, Prag oder Wien, ja in Frankreich und Eng⸗ 
land, ſeit geraumer Zeit aber am liebſten wieder in Italien ſeinen 
Studien oblag. Die Neigung der beiden Völker, der Magyaren und 
der Italiener, war eine gegenſeitige, obwohl es nicht leicht ſein möchte, 
die verbindenden Elemente herauszufinden. Vielleicht lagen die Natio⸗ 
nen einander örtlich und politiſch fern genug, um Collifionen zu ver⸗ 
meiden, während doch der Ungar ſtets mit Frömmigkeit und Ehrfurcht 
nach den Gräbern der Apoſtelfürſten blickte und nach dem Lande über⸗ 
haupt, in welchem einſt die Sprache ſeiner Geſchäftsführung und ſei⸗ 
ner Landtage als Mutterſprache geredet worden, der Italiener dagegen 
mit freudiger Zuverſicht auf die öſtliche Glaubensmauer gegen den 
Halbmond und die griechiſchen Schismatiker ſah. 

Gerade im Zeitalter des Humanismus war die Türkengefahr eine 
immer drohende und aufregende. Faſt jährlich gingen ungariſche Ge⸗ 
ſandte nach Rom, und römiſche Legaten weilten faſt unausgeſetzt in 
Ungarn. So fand die italieniſche Bildung leicht Eingang. Schon der 


) Ueber die ſpätere Geſchichte des deutſchen Humanismus findet man allenfalls 
Belehrung bei Meiners Lebensbeſchreibungen ber. Männer u. ſ. w. 3 Bde. Zürich, 
1795 — 97, bei H. A. Erhard, Geſchichte des Wiederaufblühens wiſſenſchaſtlicher 
Bildung vornehmlich in Teutſchland bis zum Anfange der Reformation. 3 Bde. Magde⸗ 
burg, 1827 — 32, und am beſten bei K. Hagen, Deutſchlands literar. und relig. 
Verh. im Reformationszeitalter. 3. Bde. Erlangen, 1841—44. 


396 VI. Der Humanismus in Ungarn. Vitsz. 


große Joannes Huniady war von ihr berührt: ſo ſehr ihn auch Staat 
und Krieg in Anſpruch nahmen, hatte er doch für die Schriften eines 
Poggio Zeit und Neigung, und der Florentiner fand ſich wiederum 
nicht wenig geſchmeichelt, dem ruhmvollen Glaubensvertheidiger elegante 
Briefe ſchreiben und feine neueſten Werke überſenden zu können.“) 
Dionys Szechhn, der 24 Jahre lang die Würde eines Erzbiſchofs von 
Gran bekleidete, zum Cardinal ernannt wurde und drei Könige von 
Ungarn krönte, hatte einſt (1426) zu Padua ſeine Bildung vollendet.) 
Er war vor Allem ein gelehrter Kenner der Rechte, aber zugleich ein 
Freund der Italiener und ihrer Sitte. Daß er ſich indeß auch dem 
Humanismus genähert, wüßten wir nicht zu beweiſen. 

Der eigentliche Begründer der claſſiſchen Studien in Ungarn war 
Joannes Vitéz von Zredna, ein Mann von außerordentlicher Rüh⸗ 
rigkeit und Vielſeitigkeit, der von Jugend an zugleich mit der Feder 
und mit dem politiſchen Leben vertraut, Alles, was er wurde und war, 
ſich ſelbſt verdankte und ſeine eigene raſtloſe Thätigkeit noch durch den 
Eifer krönte, mit dem er Andere zu fördern ſuchte. Obwohl von Hauſe 
arm, hatte auch er ſeine Studien in Italien gemacht, nicht nur die 
philoſophiſchen und theologiſchen, die ihn zum geiſtlichen Stande vor⸗ 
bereiteten, ſondern mehr noch die humaniſtiſchen. Er wurde Schreiber 
bei Joannes Huniady, dann (1447) Biſchof von Großwardein, er lei⸗ 
tete die Reichscancelei unter König Matthias und behielt die Functio⸗ 
nen des Canzlers bei, auch als er 1464 zum Nachfolger Szécſhy's 
im graner Erzbisthum ernannt wurde. Man darf nur ſeine Staats⸗ 
ſchriften und Briefe leſen, um das Vorbild der florentiniſchen Cancelei 
herauszuerkennen. Er war mit den politiſchen Mächten Italiens wie 
mit ſeinen literariſchen Größen gleich bekannt und genoß bei letzteren 
hohe Achtung, zumal da er ſie nicht ſelten mit Roſſen, edlem Pelzwerk 
und Aehnlichem beſchenkte. Mit Florenz unterhielt er ſtete Verbindung, 
hier ließ er emendirte Exemplare der Claſſiker, aber auch Ueberſetzungen 
aus dem Griechiſchen und die Werke der Humaniſten ſelber abſchreiben. 
Sein Lieblingsgedanke war die Errichtung einer Hochſchule in Ungarn, 
die zugleich ein großes Nationalinſtitut ſein und alle Zweige der wiſſen⸗ 
ſchaftlichen und künſtleriſchen Bildung, wie man nur ſie in Italien be⸗ 
trieb, in ſich vereinigen ſollte. Er war es, der König Matthias zu allen 


) Poggio's Briefe an ihn im Spicileg. Roman. T. X epist. 10. 11. 
) Behmitth Archiepiscopi Strigon. T. I. p. 251. 


VI. Janus Pannonius. 397 


den Unternehmungen angeregt hat, die dieſem Fürſten den Lorbeerkranz 
mäcenatiſchen Ruhmes eingetragen haben. Ihm alſo gehörte die Idee 
zur ofener Nationalſchule, in der großen Bibliothek auf der Burg zu 
Ofen bildeten die von Vitéz geſammelten Bücher die Grundlage, und 
auch in der Vorliebe für italieniſche Gelehrte und Dichter, Architecten, 
Maler, Bildhauer und Holzſchnitzer ging er dem Könige voran.) 
Unter den Jünglingen, die Vitéz auf ſeine Koſten nach Italien 
ſchickte, um auf dem claſſiſchen Boden das feinere Latein und die grie⸗ 
chiſche Sprache zu erlernen, war fein Neffe, Joannes Ceſinge, be- 
kannter unter dem Namen Janus Pannonius als der geiſtreichſte 
Dichter Ungarns in lateiniſcher Sprache. Als zarter Knabe wurde er 
von feinem Oheim nach Ferrara in die Schule des alten Guarino ge- 
geben, der mit Vitéz von früher her befreundet war und unter ſeinen 
Zöglingen mehr als einen jungen Magyaren hatte. Dieſer Joannes 
war der Stolz ſeines Lehrers, das Genie unter ſeinen Landsleuten. 
Man ſtaunte, daß ein Nicht⸗Italiener es ſoweit bringen könne wie die⸗ 
fer Knabe“); nach vierjährigem Unterricht ſagte der alte Guarino von 
ihm, er ſpreche Griechiſch, als wäre er im alten Athen, und Lateiniſch, 
als wäre er im alten Rom geboren. Im ſechszehnten Lebensjahre zog 
er die Aufmerkſamkeit durch beißende Epigramme auf ſich. Die Mark⸗ 
grafen von Ferrara und Mantua ließen ſich wohlgefällig von ihm an⸗ 
ſingen; bei einem Beſuche in Florenz wurde er von Coſimo de' Me⸗ 
dici, Poggio und Argyropulos freundſchaftlich aufgenommen. Noch 
nicht 25 Jahre alt, ſehen wir ihn durch den Einfluß ſeines Oheims 
zum Biſchof von Fünfkirchen gewählt und von Papſt Pius II zwar un⸗ 
gern, aber doch mit Rückſicht auf ſeine ungewöhnlichen Talente beſtätigt 
(1459). So kehrte der dichteriſche Biſchof nun, mit griechiſchen und 
lateiniſchen Büchern, die er in Italien zuſammengekauft, beladen und 
von ſeinen italieniſchen Freunden als ein Wunder geprieſen, nach ſeiner 
Heimath zurück. Aber mit ſeiner glänzenden Bildung brachte er auch 


) Pius II Europa cap. 2; Comment. in Anton. Panorm. III, 8; Aeneae 
Sylvii epist. Nicolao Hungaro v. 17. April 1453 im Cod. msc. 3389 der wiener 
Hofbibl. Vespasiano: Arcivescovo di Strigonia (Gran). Von Vitéz, Staats⸗ 
briefen, die er im Namen Huniady's und des Königs Matthias verfaßte, ſind ſehr 
viele bei Pray Annal. Reg. Hungar. gedruckt und bald, auch wenn ſie die Cancelei⸗ 
Signatur nicht führen, herauszuerkennen. Vergl. Fessler die Geschichten der 
Ungarn und ihrer Landsassen Th. IV. Bd. II. S. 1076. 1262. Th. V. S. 654 ff. 

) Denn Sogliono il più di questi oltramontani avere poco ingegno, fo 
ſpricht der beſcheidene Vespaſiano nach, was eigentlich jedes Italieners Meinung war. 


398 VI. König Matthias von Ungarn. Polen. Cardinal Olesnicky. 


all die Leichtfertigkeit, Eitelkeit und Frivolität, kurz all den moraliſchen 
Schmutz des italieniſchen Humanismus nach Ungarn herüber. Seine 
Landsleute wußten die zierlichen Verſe des Dichters nicht zu ſchätzen, 
aber an den Schlüpfrigkeiten des Biſchofs nahmen fie lebhaften Anſtoß, 
und dieſen entſchädigten für ſolche Mißachtung nur ſeine Muſe, ſein 
Stolz und ſein Anſehen am Hofe des Königs. Er hegte übrigens den 
guten Vorſatz, einſt, wenn er alt ſein würde, dem frivolen Spiel der 
Verſe zu entſagen und ernſtlicher an ſein Seelenheil zu denken, doch 
war ihm ein höheres Alter nicht beſchieden.“) 

Bekanntlich hat König Matthias eifrigſt dazu beigetragen, die 
italieniſche Bildung nach dem Norden und Oſten Europa's zu ver⸗ 
pflanzen. Sein Muſenhof beſtand faſt ausſchließlich aus Fremden, zu⸗ 
mal aus Italienern. Sie lehrten die freien Künſte auf ſeinen Hoch⸗ 
ſchulen, waren die geehrten und reichbeſchenkten Schöngeiſter an ſeinem 
Hofe, ſtanden ſeinen Bibliotheken vor, übten die Künſte der Architectur 
und der Malerei, beſangen ihn und ſchrieben ſeine Geſchichte. Die 
Eingeborenen fühlten ſich zurückgeſetzt und um ſo weniger zum Nach⸗ 
eifer geneigt. Der Humanismus in Ungarn erſcheint als ein fremdes 
Gewächs, das ſchnell eine künſtliche Blüthe getrieben und dann ſeine 
Blätter abgeworfen hat. 

Sporadiſch und ſchwer nachzuweiſen ſind auch die erſten Anregun⸗ 
gen, die der Humanismus in Polen geübt. Auch hier iſt ſein erſter 
Jünger der erſte Prälat des Königreichs, der Cardinal und Biſchof 
von Krakau Zbignew Olesnicky. Aber auf welchem Wege war 
dieſer Geſchmack an ihn gekommen? Hatte er in Italien ſtudirt, hatte 
er vielleicht dem coſtnitzer Concil beigewohnt, oder begeiſterte ihn Fi⸗ 
lelfo's Beredtſamkeit, der 1424 mit Cardinal Branda zu Krakau er⸗ 
ſchien, um das Hochzeitfeſt des Königs Wladislaw durch glänzende 
Reden zu verherrlichen? Oder empfing er von Wien aus, durch Enea 
Silvio, den erſten Anſtoß? Er ſtand mit dieſem in einem Freund⸗ 
ſchaftsverhältniß eigener Art: brieflich war es angeſponnen und wurde 
brieflich ein Jahrzehent lang unterhalten, geſehen haben ſie ſich nie. 
Die erſte Widmung eines wohlgeſchriebenen Briefes, die Enea Silvio 
im Juli 1442 dem Cardinal darbrachte, fand bei dieſem eine freund⸗ 


) Da mir die betreffende Literatur, insbeſondre die Werke des Janus Pan⸗ 
nonius ſelbſt, die 1734 zu Utrecht geſammelt erſchienen ſind, nicht zugänglich waren, 
verweiſe ich auf Vespasiano: Vescovo di Cinque Chiese und beſonders auf 
Fessler a. a. O. Th. V, S. 669 —679. 


VI. Cardinal Olesnidy. 399 


liche Aufnahme. Daß nun der Italiener die Gunſt eines ſo reichen 
Prälaten nicht außer Augen ließ, daß er ihm eine politiſche Denkſchrift 
widmete und ſpäter einen ganzen Band ſeiner Briefe zuſchickte, daß er 
ihn mit reichlicher Schmeichelei köderte und außer Gegenſchmeicheleien 
auch einen ſchönen Marderpelz dankbar in Empfang nahm, das Alles 
wundert uns nicht.) Aber wir hören, daß der polniſche Prälat, von 
Geſchäften überhäuft, verſtohlene Stunden der Nacht dazu verwendet, 
um dieſe Briefe zu ſtudiren, deren Verfaſſer er einen neuen Cicero 
nennt, daß er ſeine Freude an der klaren und wohlklingenden Schreib⸗ 
weiſe hat, wir ſehen, wie auch er nach feinen Gedanken haſcht und als 
ein Schüler der claſſiſchen Beredtſamkeit erſcheinen möchte.) Wir be⸗ 
ſitzen von ihm mehrere Briefe politiſchen Inhalts, in welchen er in 
der That als ein gebildeter Mann und guter Stiliſt erſcheint, ſein 
Secretär Dlugoſſ theilt ſie im dreizehnten Buche ſeiner polniſchen Ge⸗ 
ſchichte mit. Man könnte argwöhnen, der Secretär möchte den beſten 
Antheil an dieſen Briefen haben, aber man darf nur ſein Geſchichts⸗ 
werk ſelber leſen, um ſich zu überzeugen, daß Dlugoſſ höchſtens einige 
claſſiſche Broſamen, die vom Tiſche feines Herrn abfielen, geſammelt 
hat und im Uebrigen der ſtiliſtiſche Barbar geblieben iſt. Ueberhaupt 
ſchritt die humaniſtiſche Bildung in Polen ſehr langſam vorwärts und 
hat, wie wir daſſelbe von Ungarn bemerkten, der anfriſchenden Verbin⸗ 
dung mit Italien noch lange nicht und niemals ganz entrathen können. 


) Enea's Briefe an den Cardinal von Krakau v. April oder Mai 1443, vom 
13. Septemb. 1445, vom 27. Octob. 1453. cf. Aeneas Sy lvius de ritu, situ 
etc. Germaniae (Opp. edit. Basil., 1571. p. 1043). 

) Seine Antwort an Enea Silvio, dat. Krakau 10. Sept. 1453, handſchriftlich 
im Cod. msc. 3389 (olim Salisb. 32 B) der k. k. Hofbibl. zu Wien fol. 181. Ich 
hebe einige die ſtiliſtiſchen Beſtrebungen des Cardinals bezeichnende Worte heraus: 
Equidem si verba epistolarum illarum (von denen des Enea Silvio iſt die Rede) 
ipsarumque contextum attendo, purgata ab omni umbrosa nodositate in morem 
laetis candidi nitent et placido claroque sensu in audientium aures fluunt etc. — 
Ego sane ex quo aliquid litterarum intelligere coepi, detestatus sum morem il- 
lorum, qui nescio qua persuasione ducti eam in dicendo et sententiarum suspen- 
sionem et verborum obscuritatem imitantur ut nonnisi ab attentissima mente 
quid velint intelligantur ete. — Novellum quemdam Ciceronem te dixerim etc, — 
Enea Silvio erwähnt (Europa cap. 25) vom Cardinal epistolas multo sale et Ro- 
mans elegantia conditas. Olesnicky ſtarb am 1. April 1455. 


— . — — 


400 


Siebentes Buch. 


Die Erſcheinungsformen und Tendenzen des italieniſchen 
Humanismus im Allgemeinen. 


Es giebt wohl Geiſterbewegungen, die ein Maß von Zeit durch⸗ 
laufen oder auch räumlich ihre Grenze finden. Andre dagegen ge⸗ 
hören, ſo weit unſer Blick reicht, der Allgemeinheit an und ſcheinen 
berufen, ins Unabſehbare fortzuwirken, bald ſtarke Erſcheinungen zu 
zeugen, bald wieder in ſtiller Propaganda ſich auszudehnen und in im⸗ 
mer weiteren Kreiſen ein Band um die Menſchen zu ſchlingen. Sie 
werden gleichſam ein Eigenthum der menſchlichen Geſammtbildung, der 
geſchichtlichen Menſchheit. So dürfen wir ſagen, mit dem Zeitalter 
Nicolaus’ V ſei das claſſiſche Alterthum, das lange vergeſſene, wieder 
ein unverlierbares Gut geworden, welches keine Barbarei der Zeiten 
ins Grab zurückſtoßen konnte. Selbſt wenn Italien einer chaotifchen 
Verwirrung anheimfiel, wie einzelne Peſſimiſten ſie vorauszuſehen mein⸗ 
ten, ſo hatte bereits der Wind geweht, der die Saatkörner ſeiner hu⸗ 
maniſtiſchen Bildung in andre Länder übertrug und ihre Fortdauer 
ſicherte. Darum glauben wir mit dieſer Epoche unſere Schilderung 
abſchließen zu dürfen. 

Mannigfache Perſönlichkeiten und Gruppen ſind bald geſondert, 
bald in ihren Verknüpfungen vorgeführt worden. Gingen wir bisher 
willig auf die Eigenthümlichkeit der Geſtalten und Geſtaltungen ein, 
ſo ſuchen wir jetzt die gemeinſamen Richtungen zuſammenzufaſſen. Lern⸗ 
ten wir bisher vorzugsweiſe die Humaniſten jener Zeit kennen, ſo haben 
wir jetzt den ſie alle belebenden Humanismus zu analyſiren. Dabei 
müſſen wir freilich vorausſetzen, daß eine Anſchauung bereits aus dem 


VII. Der nationale Stolz ber italienischen Humaniſten. 401 


Vorigen gewonnen iſt und daß wir jetzt auf einer Höhe ſtehen, von 
welcher aus wir die Grenzen, die Beſchränktheiten jenes Zeitalters er⸗ 
kennen können. Denn eine begeiſterte Bewegung taucht jedesmal mit 
dem Schein einer unendlichen Perſpective auf; erſt wenn ſie ſich ganz 
entfaltet und bereits einer neuen Zeitwelle Platz gemacht hat, erreichen 
wir die nöthige Ferne, um ſie als etwas Abgeſchloſſenes betrachten zu 
können. Dann freilich weicht von ihr der Zauber des Unermeßlichen, 
aber doch iſt es einmal ſo: wir erkennen nur ganz, was wir eigentlich 
ſchon überſehen. ü 

In verſchiedenen Ländern trafen wir Männer an, die ein Inter⸗ 
eſſe für die Studien des Alterthums, die Geſchmack an den formellen 
Feinheiten des italiſchen Humanismus empfanden. Aber ſie ergaben 
ſich dieſem Studium, dieſer Bildung nicht als einem Lebensberufe, ſie 
widmeten ihnen nicht ihre ganze Perſönlichkeit, ſie waren vom Huma⸗ 
nismus mehr nur berührt und gefärbt. Eigentliche Humaniſten, einen 
gemeinſamen Typus dieſer Menſchenclaſſe, einen humaniſtiſchen Stand 
mit gewiſſen geſellſchaftlichen Formen gab es zu der Zeit, die wir be- 
leuchtet, nur in Italien. Als die Schlüſſel Petri bereits über die Al⸗ 
pen getragen waren und die Völker ſtrebten, ſich von der Einheit des 
hierarchiſchen Verbandes loszuringen, als die geiſtliche Weltherrſchaft 
nur noch wie ein Echo fortlebte, da tritt Italien trotzdem noch einmal 
in den Vordergrund des geiſtigen Lebens und zwar mit der Erbſchaft 
jener Zeiten, in welchen ſeine Imperatoren die Welt beherrſcht. Es 
hat den Zugang zum Alterthum gefunden, es hat in dieſer alten 
Welt eine neue entdeckt und durchforſcht, es kann den andern Völkern 
wieder mit dem Bewußtſein eines mehrwiſſenden Lehrers entgegentreten. 
Was Wunder, wenn den Chorführern dieſer Bildung Italien immer 
noch als das „Haupt Europa's und der kaiſerlichen Monarchie“, als 
die „Königin der Provinzen,“ als die „Lehrmeiſterin der Völker“ er⸗ 
ſcheint, wenn ſie von den alten Römern als „unſern Ahnen“ ſprechen, 
wenn ihr Stolz gegen die „transalpiniſchen Barbaren“ von Neuem 
die kräftigſte Nahrung erhält. Petrarca hatte Paris, das gewerbthä⸗ 
tige Flandern und einen Theil von Deutſchland geſehen, in Frankreich 
erſchien ihm die Barbarei noch in der gelindeſten Form, aber je weiter 
er reife, ſagt er, deſto mehr bewundere er Italien, feine Heimath. ') 
Sobald er an den Norden denkt, iſt ihm der Vergleich mit ſcythiſcher 


) Epist. rer. famil. I, 3. 
Voigt, Humanismus. 26 


402 VII. Der nationale Stolz der italieniſchen Humaniſten. 


Barbarei geläufig. Italien aber, das vielgeſpaltene, erſcheint ihm durch 
ſeine edlere Bildung und durch das Andenken ſeines hehren Alterthums 
wieder als ein Ganzes, ein allgemeines Vaterland, gegen deſſen Feinde 
er freilich nur die Klage und die Entrüſtung, die Tage eines Marius 
und Cäſar aufzurufen weiß.) Welches andre Volk könnte ſich an 
geiſtiger Begabung mit dieſem meſſen! Was Ausländer geleiſtet, iſt 
entweder in Italien zu Stande gebracht oder fie haben es in Italien 
gelernt. Iſt hier doch die Grundlage aller Bildung, die lateiniſche 
Sprache, heimiſch; ſo findet ſich denn auch Hoheit des Geiſtes und 
wahrhafte Moralität allein in Italien.) . 
Wir erinnern uns aus dem Vorigen manches Schlagwortes gegen 
die aufgeblaſenen, windigen Griechen, die gefräßigen Engländer, die 
trunkvölleriſchen Deutſchen. So äußerte ſich der ſpöttelnde Stolz der 
Italiener. Aber ſie haben für dieſen Stolz auch einen großſprecheriſchen 
Ton, in welchem ſie ſich wie im Rauſche ergehen. Weil ſich der Strom 
ihrer Beredtſamkeit aus dem alten Quell des cäſariſchen Zeitalters 
nährte und ihn im majeſtätiſchen Schwalle ſogar überbot, war den 
Rednern oft, als müßte auch die Macht und Kraft der alten Zeiten 
wiederkehren und Italien wieder einer Welt gebieten. Und ließ ſich 
die Gegenwart wenig darnach an, ſo hofften ſie auf eine Zukunft, in 
welcher die von ihnen erzogenen und mit dem Geiſte des Alterthums 
großgenährten Fürſten ein neues Heldenzeitalter der Nation heraufbe⸗ 
ſchwören würden. Hätte man nur, wie es uns jetzt vergönnt iſt, von 
der Pforte des Jahrhunderts bis zu ſeinem Ausgange ſehen können! 
In ſeiner Mitte brach die Herrſchaft von Byzanz, dem griechiſchen 
Rom, zuſammen und das alte Hellas mußte zur Schmach der Chriſten⸗ 
heit unter dem Joche der Barbaren ſeufzen. Gegen den Schluß des 
Jahrhunderts verlor Italien den letzten Schimmer ſeiner Macht und 
zum großen Theil auch ſeine nationale Freiheit an Völker, die es ſchon 
nicht mehr Barbaren nennen durfte. Und dieſen Fremden hat nicht 
jene „alte Tapferkeit“ Widerſtand geleiſtet, von welcher Petrarca in der 
berühmten Canzone Italia mia geſungen. Doch iſt gerade in den ab⸗ 
wärtslaufenden Zeiten einer Nation nicht ſelten ein wehmüthiges Ge⸗ 


) Epist. rer. famil. VII, 1. 

) Petrarca epist. rer. senil. IX, 1 (Opp. p. 937); Apologia c. cujusd. 
Galli calumnias (Opp. p. 1179 s.); epist. metr. III, 24, einen Hymnus, der fei- 
nem italieniſchen Vaterlande dei ſeiner Rückkehr aus Frankreich widmete. 


VII. Das perſönliche Selbſtgefühl der Humaniſten. 403 


fühl für ihre ruhmvolle Vergangenheit vorherrſchend, eine gleichſam 
träumeriſche Vaterlandsliebe, die im ohnmächtigen Schlummer ſich die 
Heldentugend und den Schlachtenmuth der Ahnen zurückruft. Als die 
Unkraft Italiens ſchon die fremden Heere über die Alpen lockte, ſpielte 
ſein kindiſcher Stolz noch mit Coſtüm und Maske der alten Römer⸗ 
helden. 

Dem nationalen Stolze entſprach das perſönliche Selbſtgefühl 
derer, die in ſich die Wiedererwecker der glorreichen Vergangenheit, die 
Leuchten ihrer Zeit und die Propheten der Zukunft ſahen. Wir ſpra⸗ 
chen oben von Petrarca's grenzenloſem Hochmuthe, wir wieſen den 
moraliſchen Gefichtspunct ſeitwärts und betrachteten jene Eigenſchaft 
als Phänomen, welches faſt nothwendig zur Geſtalt des Mannes ge⸗ 
hört. Von dem, was bei Petrarca im geheimnißvollen Widerſtreit der 
Gefühle aus dem Grunde des Herzens gährend emporquoll, haben feine 
Nachfolger nur einige Tropfen aufgehaſcht, mit denen ſie wie mit Sei⸗ 
fenblafen ſpielend umherwarfen. Seine heiße Sehnſucht nach dem Ruhme 
haben ſie nie als ein wühlendes und bohrendes Gefühl empfunden, ſo 
blieben ihnen nur ſeine kleinen Eitelkeiten und Dünkelhaftigkeiten. Le⸗ 
ben und Schreiben, die er zur Eintracht bringen wollte, gingen bei 
ihnen immer mehr auseinander; das „Erkenne dich ſelbſt“, ihm der 
Inbegriff einer neuen und tiefen Weisheit, wurde bei ihnen wieder zur 
geringen Phraſe. Sie glaubten bereits heimiſch zu ſein in dem Ge⸗ 
biete, das er entdeckt, aber ſie hauſten darin wie in dem neuen Welt⸗ 
theile, den Columbus gefunden, die ſpaniſchen Räuber. So erſcheint 
denn, was an Petrarca immer noch groß und erſtaunlich genannt wer⸗ 
den mag, an ihnen oft kleinlich und lächerlich. Bald wuchs ihr Selbſt⸗ 
gefühl unter den Reibungen und literarifchen Kämpfen, die ſie gegen 
einander führten, bald durch die Schmeicheleien, die ſie einander als 
Freunde darbrachten. Am meiſten aber verzog ſie die Bewunderung, 
die ihnen ihr Zeitalter ſo willig und ſo ungemeſſen entgegenbrachte. 
Staatsämter und Geſandtſchaften gaben ihnen geſellſchaftlichen Rang, 
Hofleute beugten ſich vor ihnen, Fürſten und Cardinäle drückten ihnen 
freundſchaftlich die Hand. Sie waren die Zier des Ortes, in dem ſie 
geboren, die Merkwürdigkeit der Stadt, in der ſie lebten. Man erkaufte 
ihr Wort und ihre Feder durch Protection und Geſchenke; denn ihre 
Schriften waren die Herolde des Ruhmes oder des Tadels und be⸗ 
ſtimmten das Urtheil der Nachwelt. Sie fühlten ſich als die Herren 
der öffentlichen Meinung. N 

26 * 


404 VII. Die Humaniſten als Herren der öffentlichen Meinung. 


Im Jahre 1392 hatte Carlo Malateſta, Herr von Rimini, die 
Statue Virgils vom Marktplatze zu Mantua entfernen laſſen, als er 
die Stadt erobert und gerade übler Laune war. Er meinte, Heiligen 
gebührten Statuen, nicht heidniſchen Dichtern, nicht Männern wie Vir⸗ 
gilius, der ein Poſſenreißer geweſen wie alle Poeten, nicht Männern 
wie Cicero, der ein windiger Rechtsanwalt geweſen. Niemand wagte 
dem harten Kriegsführer zu widerſprechen, nur Pier⸗Paolo Vergerio, 
der Humaniſt, richtete eine ſcharfe Invective gegen dieſe Rohheit, die 
mit rechter Luſt geleſen und verbreitet wurde und den Condottiere bitterer 
brandmarkte, als eine Niederlage oder ein Verrath es hätte thun kön⸗ 
nen. Die Statue wurde wieder aufgeſtellt; der Malateſta ſchämte ſich, 
lernte ſelbſt Verſe machen und hielt darauf, für einen Mann von Bil- 
dung zu gelten.) 

Selbſt Päpſte fühlten ſich unter dieſem Einfluß, ja mehr als 
andre Fürſten, weil ihre Herrſchaft vom öffentlichen Urtheil am meiſten 
bedroht war. Eugen IV, der Bullen und Heere oft mit eigenſinniger 
Kühnheit ausſandte, ſoll geſagt haben, man müſſe an dieſen Humani⸗ 
ſten nicht nur ihre Gelehrſamkeit lieben, ſondern auch ihren Zorn 
fürchten; denn man beleidige ſie ſelten ungeſtraft.) Sein Nachfolger 
Nicolaus Wiſt durch den Weihrauch der Huldigungen über die Maßen 
verklärt worden, weil er mit immer voller Hand Aemter, Geld und 
Gnaden unter jene Männer auswarf. Und wie lange hat Paulus II 
nur deshalb im Rufe eines Barbaren geſtanden, weil er den Platina 
einkerkern und foltern ließ und weil dieſer dafür in der Lebensbeſchrei⸗ 
bung des Papſtes Rache nahm. 

Iſt es ein Wunder, wenn die Repräſentanten der ſchönwiſſen⸗ 
ſchaftlichen Bildung mit dem Gefühl einhergingen, als müßten noth⸗ 
wendig alle Augen auf ſie gerichtet ſein, wenn ſie mit einer Zuverſicht 
von ſich ſelber, von der Ewigkeit ihres Namens und ihrer Werke 
ſprachen, als ſei ein Zweifel daran ein Frevel? Man denke an Bruni 
und Marſuppini, an Poggio und Valla. Wahrhaft groß aber in ſeiner 


) S. oben S. 264. Facius de vir. illustr. p. 9. Mehus Vita Leon. 
Bruni p. XXXVIII. Die Invective ſelbſt, fälſchlich dem Guarino zugeſchrieben, b. 
Martene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. 868 sq., unter Vergerio's Na⸗ 
men bei Muratori Scriptt. T. XVI p. 215. In einem Codex der Ambroſiana iſt 
fie datirt: Boneniae XIV. Kal. Octobris 1392 (ibid. p. 112). 

) Aegidius Viterbiens is bei Ciaconius Vitae et res gestae Pontif. 
Roman. T. II. p. 885. 


VII. Die Selbſtüberſchätzung der Humaniſten. 405 


Selbſtgefälligkeit, der leibhaftige Typus aller Ruhmrednerei iſt der un⸗ 
ſterbliche Francesco Filelfo. Als ein junger Mann von kaum dreißig 
Jahren, wie er zu Vorleſungen über Redekunſt und Moral nach Flo⸗ 
renz gerufen und mit großen Ehren empfangen war, meinte er in freu⸗ 
digem Stolze, ſelbſt die Steine in Florenz, wenn ſie nur reden könnten, 
müßten ſein Lob verkünden.) Und als Greis von achtzig Jahren, in 
der That durch andre Talente längſt überflügelt, ſagte er immer noch 
mit derſelben Würde, es gebe einmal in der Welt nur einen Filelfo. 
Sollte ihn wirklich Virgilius in der Kunſt des Verſes übertreffen, ſo 
war Virgilius doch kein oder ein mittelmäßiger Redner; ſollte Cicero 
ihm ja in der Schönheit der Proſa vorgezogen werden, ſo war Cicero 
doch kein Dichter in Verſen. Zugleich in griechiſcher wie in lateiniſcher 
Sprache zu ſchreiben und zu dichten vermochte weder Virgilius noch 
Cicero; das kann allein der Filelfo.) 

Mancher der damaligen Gelehrten und Dichter hat ſterbend, wie 
ein guter Chriſt an das Jenſeits glaubt, ebenſo freudig und feſt an 
die Ewigkeit ſeines Nachruhmes geglaubt. Und doch ſpielt ſein Name 
jetzt in der Literaturgeſchichte eine gar kleine Rolle: der Forſcher ſieht 
und überſchlägt ihn; im Munde der Welt, auch der gelehrten, iſt er 
längſt nicht mehr. Seine Briefe und Reden werden vielleicht noch ein⸗ 
mal von gleichgültiger Hand durchblättert, ob ſich nicht Notizen darin 
finden, zu andern Zwecken brauchbar, ſeine Gedichte, ſo ſchwungvoll er 
gleich im erſten den kaſtaliſchen Quell und alle Neun anrief, verrotten 
unbeachtet in irgend einem Bücherſaal. Filelfo's Epigramme, ja ſogar 
ſeine Sforziade, in welcher er ſich und ſo viele gute Freunde, die ihn 
beſchenkt, unſterblich wähnte, hat die undankbare Nachwelt nicht einmal 
der Veröffentlichung durch den Druck werth gehalten, und wenn ſich 
Einer hinter das ſtaubige Papier machte, ſo ſagte er nur den Andern, 
wie ſchaal und trivial, wie gemein und unfläthig und welch' ein eitler 
Narr der Dichter geweſen ſei. 


) Sein Brief an Niccoli v. 13. April 1433. 
2) So beſingt er ſich in Lib. IX de jocis et seriis bei Rosmini Vita di 
Filelfo T. III. p. 149: 
Quod si Virgilius superat_me carminis ullis 
Laudibus, orator illo ego sum melior. 
Sin Tulli eloquio praestat facundia nostro, 
Versibus ille meis cedit ubique minor. 
Adde quod et lingua possum haec praestare Pelasga 
Et Latia. Talem quem mihi des alium? 


406 VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums. 


Wo liegt der Grund dieſes Widerſpruches? Zu allen Zeiten haben 
Schriftſteller die Bedeutung ihrer Geiſteswerke überſchätzt, aber wohl 
zu keiner Zeit ſonſt ſind literariſche Namen ſo hoch gefeiert worden, 
die ſchon nach einem Jahrhundert ſo tief in Mißachtung und Ver⸗ 
geſſenheit ſinken ſollten. Das Mißverhältniß liegt offenbar mehr in 
der Sache als in den Perſönlichkeiten. 

Die einſeitige Beſchäftigung mit dem Alterthum machte die Jünger 
deſſelben in gewiſſem Sinne alle zu Idealiſten und Schwärmern. Sie 
maßen die Größe ihres Geiſtes nach dem Großen, welches er aufzuneh⸗ 
men und zu hegen im Stande war, nicht nach ſeinen Leiſtungen. In 
dieſen leitete ſie ganz der Trieb der Nachahmung. Er iſt immer ein 
beſchränkter und kindiſcher, das aber läßt die Begeiſterung den Nach⸗ 
ahmenden nicht empfinden. In der That konnte das Alterthum doch 
nur ein Bildungsſtoff, nicht ein Lebenselement werden, ſeine Kenntniß 
konnte die Geiſter in vielſeitigerer Weiſe erziehen, als ſie bisher er⸗ 
zogen worden, aber ſie konnte die modernen Herzen nicht ſchlagen machen, 
wie das Herz eines plutarchiſchen Helden oder eines livianiſchen Alt⸗ 
römers geſchlagen haben mochte. Das Studium und das wirkliche 
Leben dieſer Alterthumsverehrer mußten in einen wunderlichen Conflict 
gerathen. | 

Das Alterthum wie das Chriſtenthum bringt eine richtige Er⸗ 
ziehung dem kindlichen Gemüthe von ihren Urſprüngen her bei, jenes 
von den Zeiten der grauen Sage, dieſes in ſeiner einfachſten Geſtalt, 
in dem naiven Berichte vom Leben und Sterben des Erlöſers. Für 
das Kind ſind die Thaten und Leiden der Helden Homer's und der 
tragiſchen Geſtalten des helleniſchen Mythus eine geſunde Nahrung, 
gleichwie die Evangelien uns dem Chriſtenthum am unmittelbarſten zu⸗ 
führen, nicht die lehrhaften Schriften der Apoſtel. Nun aber hat die 
Neubelebung des Alterthums in ihrem Verlaufe faſt gerade den umge⸗ 
kehrten Weg eingeſchlagen. Man begann mit dem gealterten Römerthum, 
vor Allem mit ſeiner Philoſophie, mit der markloſen Geſchmeidigkeit 
Cicero's, mit Seneca's prunkenden Sentenzen. Kamen dazu noch Stücke 
aus Boethius und den Schriftſtellern der Kirche, ſo wurde der Miſch⸗ 
teig der Lebensweisheit dadurch zwar mit etwas Chriſtenthum verſetzt, 
aber an jugendlicher Gährungskraft gewann er nicht. Der moralphi⸗ 
loſophiſche Tractat wurde zuerſt und blieb für lange Zeit die Lieb⸗ 
lingsgattung, in welcher ſich die Humaniſten ſeit Petrarca bewegten. 
In Reden und Briefen tönten immer die alten Schlagworte durch von 


VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums. 407 


der Tugend und vom höchſten Gut, von der Hinfälligkeit alles Irdi⸗ 
ſchen und vom Ruhm, von Freundſchaft und Haß, von Krankheit und 
Alter. Die Philoſophie der Römer hatte ſchon zu den Zeiten Cicero's 
und Seneca's ſelber keinen erfriſchenden Einfluß auf das Leben geübt, 
ſie war doch immer nur eine Populariſirung griechiſcher Syſteme, ſollte 
ſie nun in ihrer aufgewärmten Geſtalt große Staatsmänner und würde⸗ 
volle Märtyrer der Wahrheit heranbilden? Mit der beliebten Rede⸗ 
kunſt ging es ähnlich: über Cicero hinaus gelangte man bald zu den 
panegyriſchen Reden der Kaiſerzeit, in denen das grellſte Pathos, 
Schmeichelei und Unſinn wetteifern. Die helleniſche Literatur, die 
Mutter der römiſchen, lag noch lange in tiefem Dunkel, auch als ihre 
Sprache bereits Tauſenden bekannt war. Homer und die Tragöden 
Athen's, Demoſthenes und Lyſias waren verehrte Namen, in ihre 
Werke aber drang noch niemand mit einer Spur von Gefühl oder 
Verſtändniß ein. 

So ſtanden das Gold und die Schlacken des Alterthums ziemlich 
in gleicher Schätzung. Wenige ſcharfe Geiſter ausgenommen, verfuhr 
man meiſtens nicht kritiſcher und geſchmackvoller als die Theologen und 
Juriſten, denen man doch das Aufthürmen eines wüſten Krames zum 
Vorwurf machte. Der Ausſpruch irgend eines helleniſchen Naturphi⸗ 
loſophen, deſſen Cicero gedenkt, wurde unter demſelben Geſichtspuncte 
betrachtet wie etwa eine Sentenz des Boethius; Moſes und Kyros 
mußten ſo gut als Vorbilder der Tugend dienen wie Alexander von 
Makedonien oder der Kaiſer Trajanus. Dieſelben Männer, die ſich 
mit ſtolzem Bewußtſein von der bisherigen Autorität der Kirche und 
per Scholaſtik losrangen, huldigten der des Alterthums nicht minder 
befangen und knechtiſch. 

Wie kindiſch iſt ferner das Beſtreben, die politiſche und die mo⸗ 
raliſche Welt nach dem Muſter des Alterthums zu reformiren. Es be- 
gann wie eine Spielerei, indem man die alten Namen und Bezeichnungen 
hervorſuchte. Rom wurde wieder zur Urbs, ſeine Engelsburg zum 
Grabmal Hadrians. Den Papſt nannte man am liebſten Pontifex ma⸗ 
ximus, das Cardinalcollegium den heiligen Senat; die Gonfalonieri 
und Rettori der Städte wurden zu Conſuln und Prätoren. In den 
Provinzen des Kirchenſtaates tauchten die Sabiner, Umbrer und Picen⸗ 
ter wieder auf, der Ackerbauer der Campagna wurde zum Marſer oder 
Herniker, in Savoyen hauſten wieder Allobroger und am genueſiſchen 
Buſen Ligurer. Der gelehrte und ein wenig pedantiſche Flavio Biondo 


408 VII. Schiefe Auffaſſung des Alterthums. 


geräth oft nicht wenig in Verlegenheit, wie er die barbariſchen Aus⸗ 
drücke feiner Zeit in Cäſar's und. Livius' Sprache übertragen ſoll. 
Manche Umtaufe, ſagt er, würde man ſelbſt bei Wiederleſen der eige⸗ 
nen Schrift nicht mehr verſtehen, und doch erregten die modernen Aus⸗ 
drücke Aerger und Ueberdruß, ſo daß man ſich ihrer nicht gut bedie⸗ 
nen könne.!) Andre verfuhren bei dieſer Namengebung mit genialer 
Willkür. | 

Auch die Menſchen follten andre werden, beſonders die Fürſten 
und Staatsmänner, von welchen die alte Geſchichte am meiſten zu er⸗ 
zählen weiß. Blieben ſie, wie ſie waren, ſo phantaſirte ſie ſich der 
Alterthümler mit heroiſchen Zügen aus, die er aus Plutarchos und 
Valerius Maximus gelernt. Von einem Markgrafen von Mantua ſagt 
er, das Glück habe ihn nicht zu frevelhaftem Uebermuthe verleitet und 
das Unglück nicht gebeugt, von einem Papſte rühmt er, er habe Hun⸗ 
ger und Durſt mit Gleichmuth ertragen. Wenn zwei Condottieri gegen 
einander im Felde liegen und nichts weiter geſchieht, als daß der Bauer 
den Soldaten füttern muß, werden die Führer dem Geſchichtſchreiber 
dieſes Krieges zu Hannibal und Scipio. Das war nicht etwa ein 
jugendliches Weſen, welches nur den Anfang des Humanismus gezeich⸗ 
net hätte. Selbſt Macchiavelli, der kein bloßer Stubengelehrter war 
und die Politik eines Ceſare Borja zu ſchätzen wußte, findet es doch 
im Fürſtenſpiegel wie in den Discurſen über Livius ganz natürlich, 
den Dynaſten ſeiner Zeit Theſeus und Romulus als Vorbilder hinzu⸗ 
ſtellen. Im vollen Ernſte empfiehlt er die Nachahmung großer Män⸗ 
ner; erreiche man auch nicht ihre ganze Hoheit, ſo doch wenigſtens 
einen Duft derſelben.) Von den großen Männern ſelbſt aber hat er 
ſich aus ſeinen Claſſikern ziemlich ſchülerhafte Vorſtellungen gemacht. 
Die Wenigen, die thöricht genug waren, mit der claſſiſchen Schwär⸗ 
merei Ernſt zu machen, ſind traurig daran geſcheitert. Cola di Rienzo, 
der anfangs auf dem Capitol ein Volk von alten und freien Römern 
um ſich zu ſehen meinte und einen Brutus in ſich fühlte, wurde dar⸗ 
über zum Theaterhelden und da er von der Rolle nicht laſſen kounte, 
zum Narren. Sein Nachfolger, der nach hundert Jahren den römiſchen 
Freiheitstraum träumte, Stefano de Porcari, war an Schulden und 
Wüſtheit allerdings ein Catilina, aber nicht an Energie und Muth; 


) Fl. Blondi Historiarum ab inelinat. Roman. Dec. III. Lib. I. in princ. 
) Principe cap. VI. 


VII. Schein und Sein. | 409 


auch er nahm ein elendes und feiges Ende. Noch manche Geſtalt in 
der Weltgeſchichte, die ſo nach einem heroiſchen Muſter ihr Leben ein⸗ 
richtete, iſt zur Caricatur geworden. Aber die damaligen Fürſten Ita⸗ 
liens gingen damit nicht ſo aufrichtig zu Werke: ſie nahmen den alter⸗ 
thümlichen Weihrauch hin und blieben dabei doch ſehr vernünftig und 
nüchtern, der eine als guter Geldwirth, der andre als Liebhaber einer 
gefahrloſen Jagd, dieſer ein kleinlich berechnender Politiker, jener der 
galanteſte Cavalier ſeines Hofes; ſie ließen ſich von den Hofpoeten be⸗ 
ſingen und beſchmeicheln und blieben gegen die Poeſie meiſtens doch ſo 
kalt wie Auguſtus, ihr Vorbild. 

Ungleich tiefer wurzelten die claſſiſchen Phantome bei denen, die 
ſich berufsmäßig und unausgeſetzt mit ihnen beſchäftigten, bei den Hu⸗ 
manſſten ſelber. Wort und Wirklichkeit, Schein und Sein ſtanden hier 
im eigenthümlichſten Widerſpruch. Es liegt ein Zug von Donquixoterie 
in dieſen Männern; die Aehnlichkeit iſt auch Cervantes, zu deſſen Zeit 
Spanien derſelben Bildung huldigte, wie Italien etwa in der erſten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts, am wenigſten entgangen, man vergleiche 
nur die Vorrede zu ſeinem unſterblichen Werke. 

Der Widerſpruch drang am tiefſten in die ſittliche Sphäre ein; 
denn in ihr giebt ſich der Menſch am leichteſten den Selbſttäuſchungen 
hin und ſucht auch am meiſten den Schein vor Andern. Eine neue 
Welt war in der Lebensphiloſophie der Alten aufgegangen, ungleich 
vielſeitiger und bequemer als die unerbittliche Moral der Theologen 
und Asketen, geiſtreicher und reizender als die ſchwerfälligen Syſteme 
der Doctrinale, Summen und Spiegel. Und das war eine Weisheit, 
von welcher das unliterariſche Volk keine Ahnung hatte, eine neue Re⸗ 
ligion ausſchließlich für die geiſtige Ariſtokratie. In ihren Schriften 
haben ſich faſt alle Humaniſten zur ſtoiſchen Lehre bekannt. Sie hatte 
den großen Vorzug, ſich den chriſtlichen Sittenforderungen gar leicht 
anzuſchließen und mithin keinen Anſtoß zu erregen wie jene beiden 
Sätze, in denen man Epikur's Syſtem zu erſchöpfen meinte, daß näm⸗ 
lich die Luſt das höchſte Gut ſei und daß es keine Unſterblichkeit der 
Seele gebe. Die gefeierten Tugendhelden des Alterthums hatten nach 
damaliger Meinung alle am Scheidewege des Hercules geſtanden und 
waren dann an Zenon's Hand der Unſterblichkeit zugewandelt. Auch 
hatte die Stoa den Zauber einer großen Geſchichte für ſich, am meiſten 
aber gefiel es, daß in ihr die Blumen der Redekunſt ſo berauſchend 
dufteten und der Donner der Worte ſo prächtig wiederhallte. Sie 


410 VII. Schein und Sein. 


war recht der Ort für die ſtolze Phraſe, und die rhetoriſche Kunſt war 
ja wieder der erſte Liebling der neueren Humaniſten, wie ſie der letzte 
Liebling der Völker des Alterthums geweſen. 

Ueberall wird man finden, daß Menſchen, welche die Kunſt des 
Wortes als Beruf und erſte Beſchäftigung üben, gar leicht verwechſeln 
und durcheinanderwirren, was ihrer Perſönlichkeit zu Eigen gehört und 
was ſie nur als angelernten Stoff beſitzen. Sie reden ſich, wie man 
ſagt, ins Zeug. Der Prediger meint bald ſo gottſelig zu ſein als feine 
Worte. Der politiſche Redner oder Schriftſteller glaubt begeiſtert für 
ſeine Sache zu ſein, weil er begeiſtert ſprechen kann. Der Schauſpieler 
fühlt ein edles Künſtlerherz in ſich ſchlagen, weil ſein Mund der He⸗ 
rold des Kunſtwerkes iſt. Der Muſiker dünkt ſich ein Held in der 
Empfindungskraft, weil er dem Anempfundenen Ausdruck zu geben 
weiß. Und doch iſt noch lange nicht unſer ſittliches Eigen, was unſer 
Geiſt zu faſſen und in Worten zu geſtalten vermag. So unerbittlich 
prüfen Wenige ihr Herz, ihr liebes verzogenes Kind, daß ſie ihm nicht 
dieſe oder jene Selbſttäuſchung hingehen ließen und die beſſere Einſicht 
auch für den beſſeren Willen nähmen. Auch vergleicht ſich die eigene 
Geſinnung ſchwer mit den eigenen Gedanken: nur am Beiſpiel Andrer 
können wir lernen, wie ſie zu ſondern ſind. Unſre Gelehrten nun 
waren wie geblendet von der Hoheit und Schönheit der neuen Welt, 
in der ſie ſich bewegten und deren Eſſenz ſie in Wort und Schrift von 
Neuem darzuſtellen wähnten. Die neue Anſchauung konnte unmöglich 
ſogleich eine nüchterne, der neue Genuß ſogleich ein verſtändiger fein. 
Sie griffen zuerſt nach dem Flittergolde der Rhetorik, welches ſie im 
Grunde ſo wenig glücklicher machte wie das Gold von Peru und Me⸗ 
rico die ſpaniſchen Abenteurer. Sie fühlten die Tugend, die Virtus 
als ein hohes Ideal und die verſchiedenen Tugenden auch ſchon tief in 
ihren Buſen gepflanzt, weil ſie mit Cicero's Geläufigkeit und Seneca's 
feierlichem Ernſte darüber zu reden gelernt. Dieſen Irrthum gewahren 
wir mit Verwunderung auf jeder Seite ihrer Schriften. Der Lefer, 
der ſich von der Möglichkeit ſolcher Selbſttäuſchungen ſchwer überzeugen 
kann, ſei zumal auf die Werke Poggio's, Filelfo's und Valla's hinge⸗ 
wieſen, die überhaupt die ausgeprägteſten Typen des Humanismus ſein 
dürften. In vollem Ernſte meinten dieſe Philoſophen die Güter der 
Welt gering und die des Geiſtes und des Jenſeits deſto höher zu ach⸗ 
ten, wenn ſie ein Dutzend Gemeinplätze ſolches Inhalts aus den Claſ⸗ 
ſikern und der Bibel mit einem Dutzend Beiſpielen aus der profanen 


VII. Schein und Sein. 411 


und heiligen Geſchichte aufzureihen wußten. Sie glaubten das Lob 
der Beſcheidenheit im vollſten Maße zu verdienen, wenn ſie einmal 
von ſich in den wegwerfendſten Ausdrücken ſprachen und keine Ehre zu 
verdienen behaupteten. Sie fühlten ſich durchaus demüthig, fromm und 
gottergeben, wenn ſie bei Gelegenheit auch reden konnten wie der heilige 
Auguſtinus. Ja ſie wähnten in der That recht ehrliche und aufrichtige 
Naturen zu ſein, wenn ſie dem Geſchmeichelten ihre Aufrichtigkeit zu 
verſichern und die Heuchelei als ein abſcheuliches Laſter darzuſtellen 
verſtanden. | 

So war denn in dieſen ſchöngeiſtigen Kreiſen die Sittlichkeit dem 
einfachen Gewiſſen völlig entrückt und in eine Welt des Scheines ver- 
ſetzt. Wohl kam es, daß Einzelnen in lichten Augenblicken einmal halb 
die Beſinnung wiederkehrte und daß wir dann wenigſtens in der Form 
allgemeiner Beobachtungen Geſtändniſſe hören, wie ſie mit wenig Gewinn 
aber mit höherem Muthe ſchon Petrarca zu machen verſucht. Da 
heißt es denn: „Mit dem Worte philoſophiren Viele, im Leben ſelbſt 
äußerſt Wenige.“ — „Obwohl die Menſchen ſelten ſo leben wie ſie 
ſchreiben, wiſſen ſie doch, daß ſie ſo leben ſollten.“ — „Die Meiſten 
wollen lieber ſcheinen als ſein. Sie begehren nicht die Frucht der 
Tugend, ſondern die Schmeichelei für ihre vorgeſtellte Tugend.“ — 
„Die Mehrzahl der Menſchen hat ein gemachtes und geſchmücktes We⸗ 
ſen, die Meiſten wollen lieber gut erſcheinen als ſein.“ — Aber das 
Sein ift dürftig und unvollkommen, der Schein ſchillernd und in ſüße 
Irrniſſe verlockend; wer ſich einmal wohl gefühlt in ſeinen Wellen, 
ſtürzt ſich immer wieder hinein. 

Macchiavelli ſtellt fünf Tugenden auf, die ein Fürſt immer im 
Munde führen, deren Schein er ſorgfältig wahren ſoll: er möge liebe- 
voll, treu, leutſelig, religiös und aufrichtig erſcheinen.) Ein Jeder, 
fügt er hinzu, ſieht, was du ſcheinſt, Wenige merken, was dn biſt, und 
dieſe Wenigen kommen gegen die Menge nicht auf. Wir erſchrecken 
über dieſe Moral, mehr noch über die Schaamloſigkeit, mit der ſie aus⸗ 
geſprochen wird. Dennoch war unter den Humaniſten, auf denen eben 
Macchiavelli's Bildung ſteht, der Schein längſt ein Axiom der Sitten⸗ 
übung und einzelne Aeußerungen, wie ſie uns im „Fürſten“ frappiren, 
finden wir bei den Vorgängern ſeines Verfaſſers unzählig; nur treten 
ſie hier noch verſchleiert und ohne volles Bewußtſein auf, während der 


— — 


) Principe cap. XVIII: pietoso, fedele, umano, religioso, intero. 


412 VII. Schein und Sein. — Die Gelehrtenrepublil. 


ordnende Kopf des Florentiners ſie zu einem ſyſtematiſchen Ganzen 
fügt. In die Denkweiſe dieſer Blüthe der italieniſchen Geſellſchaft muß 
man eingeweiht ſein, um die weltgeſchichtliche Bedeutung zu verſtehen, 
welche die Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben, aus deut⸗ 
ſchem Gemüthe wiedergeboren, erlangt hat. 

Um den Mundphiloſophen und Federſtoikern ihr würlliches Leben 
gegenüberzuſtellen, dürften wir eigentlich nur auf die Züge hinweiſen, 
die im Obigen von ihnen erzählt ſind. Wir gedenken hier auch nicht 
ein Regiſter einzelner Sünden hinzuzufügen, wollen uns aber doch bei 
den obigen drei Repräſentanten des Humanismus gerade jene Eigen⸗ 
heiten kleinlicher und gemeiner Geiſter zurückrufen, die gegen ihre glän⸗ 
zenden Tiraden am grellſten abſtehen. Poggio, der einen Tractat über 
den Geiz ſchrieb, war ſelber geizig, zugleich neidiſch und biſſig: beides 
war Valla in demſelben Grade, zugleich ein elender Schmeichler. Filelfo, 
der von der Katheder die Moralphiloſophie zu lehren pflegte, war ein 
Wüſtling, ein unverſchämter Bettler; im hündiſchen Schmeicheln fand 
er nur in Valla, im niederträchtigen Verleumden nur in Poggio ſei⸗ 
nen Meiſter. 

Was hatten alſo dieſe Lehrer der Menſchheit, dieſe Prieſter einer 
neuen Moral an ſich ſelber erzogen? Wozu führte all jenes Schönthun 
mit antiker Tugend? Durch den blendendſten Schein iſt nie Tüchtiges 
und Dauerndes entſtanden, gleichwie ein nachgeahmtes Strahlenlicht, 
vom Chemiker erzeugt, nimmer die treibenden Kräfte der Erde wachruft. 


Wie eine Verbindung unter den Humaniſten, eine Gelehrten⸗ 
republik durch das Verhältniß der Lehrer zu ihren Schülern und der 
Schüler unter einander, mehr aber noch durch ihre Gruppirung in den 
republicaniſchen Hauptſtädten und an den Höfen entſtand, dürfen wir 
hier um ſo weniger darlegen, da dieſer Geſichtspunct in den obigen 
Schilderungen gerade der leitende war. Mit wie ſtolzem Gefühl der 
Selbſtſtändigkeit traten dieſe Schöngeiſter aus der Schule in das Leben 
hinaus, wie erhoben ſie ſich über diejenigen, die dem Brodſtudium der 
Rechte oder der Heilkunſt obgelegen! Sie dienten der freien Wiſſen⸗ 
ſchaft und dieſe konnte ihnen Rang und Stand neben den Großen der 
Welt erwerben. Nach der Geburt, ob ſie eine niedre oder gar unehren⸗ 


VII. Ariſtokratie des Taleutes. Entfernung von der Kirche. 413 


hafte geweſen, fragte den Gelehrten niemand. Von den meiſten, deren 
Lebensumſtände wir ſonſt ziemlich genau kennen, wiſſen wir doch nicht, 
wer und was ihre Aeltern waren. Bei andern deckt es der ſchmäh⸗ 
ſüchtige Gegner auf und lügt wohl noch dazu. Valla warf dem Bar⸗ 
tolommeo Fazio vor, ſein Vater ſei Schuhmacher geweſen und habe am 
liguriſchen Ufer die Fiſcher bedient.) Filelfo's Vater verdiente ſein 
Brod, wenn wir Poggio Glauben ſchenken dürfen, im Schweiße des 
Angeſichts als Tagelöhner, die Mutter empfing den Sohn im Ehebruche 
und noch dazu von einem Prieſter.) Mochte das wahr fein oder 
nicht, Fazio und Filelfo bewegten ſich an ihren Höfen wie geborene 
Edelleute, kein Nobile trug das geringſte Bedenken, mit ihnen auf glei⸗ 
chem Fuße zu verkehren. Je mehr die Kirche, überall ſchon auf welt⸗ 
liche Stützen bedacht, bei ihren höheren Würdenträgern auf edle Geburt 
und vornehme Verbindungen zu ſehen begann, deſto mehr flüchtete ſich 
das Princip der Geburtsgleichheit und der Ariſtokratie des Talentes 
in die Kreiſe der Wiſſenſchaft. 

Die Lehrer an den Univerſitäten gehörten zum guten Theile dem 
Stande der Religioſen oder des Klerus an; die theologiſchen, kanoniſti⸗ 
ſchen und philoſophiſchen Lehrſtühle waren gewöhnlich im Beſitze von 
Dominicanern oder Minoriten. Unter den bedeutenderen Humaniſten 
wüßten wir nur zwei Ordensmänner zu nennen, den Camaldulenſer 
Traverſari und den Minoriten Antonio da Rho; vom Uebertritt eines 
Humaniſten ins Kloſter iſt uus nur ein einziges Beiſpiel bekannt, das 
des Maffeo Vegio. Sehr viele dagegen haben eine Prieſterweihe auf 
ſich genommen, die einen nur vorläufig und in früher Jugend, die 
andern, um ſich zur Uebernahme von Pfründen und Canonicaten, auch 
allenfalls zur höheren geiſtlichen Laufbahn zu eignen, manche auch, um 
nach genoſſener Jugend im geiſtlichen Stande eine bequemere Zuflucht | 
zu finden. Nicht wenige ftreiften den geiftlichen Charakter wieder ab, 
ſobald ſie die Luſt zu heirathen anwandelte oder wenn ſie durch ein 
bürgerliches Amt wohl verſorgt wurden. Es gehörte dazu eine Dis⸗ 
penſation; die Humaniſten erlangten ſie leicht, theils durch gute Freunde 
an der Curie, theils weil man ihrem Stande an ſich einige Nachſicht 
ſchuldig zu ſein glaubte. Poggio ſteht ſogar in dem Verdacht, daß er 


) Valla Invect. in Bart. Facium Lib. I (Opp. p. 460). 


) Poggii Invect. III in Philelphum (Opp. p. 176) et in Facet. (Opp. 
p- 470. 


414 VII. Entfernung von den Hochſchulen. Die Epiſtolographie. 


ſich um eine Dispenſation nicht einmal bemühte, als er die Buondel⸗ 
monti freite; denn Prieſter war auch er. 

Wir haben mehrere der angeſehenſten Humaniſten als Univerſitäts⸗ 
lehrer angetroffen. Doch unterſchieden ſie ſich noch ſehr von den eigent⸗ 
lichen Magiſtern. Sie lehrten nur vorübergehend, um Geld zu er⸗ 
werben, verpflichteten ſich auch gewöhnlich nur auf ein oder ein paar 
Jahre und zogen dann weiter, wenn ſie die ſchönſten Früchte ihrer 
literariſchen Berühmtheit eingeerndtet. Eine langjährige Wirkſamkeit 
an einer Hochſchule hat vielleicht nur Guarino aufzuweiſen. Immer 
von Neuem die Regeln ihrer rhetoriſchen Kunſt vorzutragen und mit 
den Schülern zu üben oder ihnen die Elemente der griechiſchen Sprache 
beizubringen, war wenig nach ihrem Sinn. Das Verlangen nach einer 
möglichſt freien und unabhängigen Stellung, die ſchon Petrarca ſo hoch 
geſchätzt hatte, blieb auch ſeinen Nachfolgern eigen. Da ſie indeß der 
Mehrzahl nach arm waren und ſich auch oft einer zahlreichen Familie 
erfreuten, mußten ſie doch wieder an ein geſichertes Unterkommen 
denken. Beneidenswerth war das Amt eines Hofdichters und Feſt⸗ 
redners, der nebenbei den Fürſten unterhielt und vielleicht auch die 
fürſtlichen Kinder unterrichtete. Aber dieſes glückliche Loos war nur 
Wenigen beſchieden. Die Andern mußten ſich mit Canceleiſtellen be⸗ 
gnügen, die zwar an ſich beſchwerlich ſein mochten, aber in der Staats⸗ 
verwaltung einen angeſehenen Rang, in Rom für den Unverehelichten 
auch gute Ausſichten etwa auf ein Bisthum gewährten. 

Ein umſchlingendes Band, welches die Humaniſten, lebten ſie gleich 
räumlich von Venedig und Genua bis nach Neapel hin zerſtreut und 
waren einzeln auch ins Ausland verſprengt, doch wieder vereinigte und 
das Bewußtſein einer gemeinſamen Gelehrtenrepublik unter ihnen wach 
erhielt, war ihre Epiſtolographie. Hier gewann ſich die Subjecti- 
vität der Schriftſteller, in ihren Compoſitionen und Ueberſetzungen 
mehr zurückgedrängt, Spielraum und Recht. Wer aus dem ſtillen 
Studirzimmer kaum das Tageslicht ſah, trat doch, eine Fülle von 
Briefen ausſendend und empfangend, mit ſeinesgleichen und mit dem 
Treiben der Welt in unausgeſetzte Verbindung. Doch wurde der Brief, 
das natürliche Bindemittel, welches zunächſt den perſönlichen Umgang 
erſetzen ſoll, unter den Händen der Wortkünſtler zum Kunſtwerk und 
ging ſomit weit über ſeine eigentliche Beſtimmung hinaus. Von ver⸗ 
traulicher Mittheilung war nun bald wenig mehr zu ſpüren; denn man 
adreſſirte den Brief zwar an eine Perſon, richtete ihn aber an das 


VII. Die Epiſtolographie. 415 


literariſche Publicum. Man ſchrieb ihn mit dem Bewußtſein, daß er 
Freunden vorgeleſen, copirt, kritiſirt und ſorgfältig bewahrt werden 
würde, ja man behielt wohl ſelber den Entwurf oder ließ die Schrei⸗ 
ben vor der Abſendung copiren, um ſie einſt leichter ſammeln und 
herausgeben zu können. Waren Cicero's Briefe für die Nachwelt der 
Gegenſtand eines eifrigen Studiums und der Bewunderung geworden, 
warum ſollte man nicht einſt auch unter Filelfo's und Poggio's Werken 
die Epiftolä aufzählen. Sie wurden für die Ewigkeit geſchrieben und 
für alle Völker weithin, wo nur die Sprache des alten Latium bekannt 
war. Bei Dingen, die man nicht verbreitet, nicht, um Filelfo's Wort 
zu gebrauchen, der Nachwelt überliefert wiſſen wollte, gab es noch einen 
Ausweg: man ſchrieb fie in der „Pöbelſprache“, in der tuscifchen. ') 

Für uns iſt dieſe Briefliteratur wie ein Spiegel, der uns die 
Denk⸗ und Lebensweiſe jener Literaten offenbart. Nicht gerade daß 
die Falten des Herzens ſich offen darlegten, wie es ſonſt wohl in einer 
vertraulichen Correspondenz geſchieht, wir ſehen dieſe Menſchen aber 
Jahre, Jahrzehnte lang mit einander verkehren, wir vergleichen, wie 
ſie ſich zu dieſem, wie zu jenem, wie zum Fürſten oder Cardinal, wie 
zum demüthigen Schüler benehmen, wir belauſchen wohl auch manchen 
unbewachten Augenblick, in dem ſich der Vorſichtigſte bloßſtellt. „Wer 
viel ſchreibt, wird dabei nothwendig ſeine Geſinnung verrathen,“ ſagt 
einer der Humaniſten ſelbſt. Man bildet ſich, ſagt Bruni, aus Briefen 
ein Urtheil, ähnlich wie aus den Augen eines Sprechenven. ?) 

Der geſellſchaftliche Umgangston unterliegt der Entwickelung und 
der Mode, ſo auch die Kunſt der Briefſchreibung. Daß Cicero's Briefe 
die Vorbilder der Gattung waren, darf kaum erſt geſagt werden, doch 
entnahm man zuerſt aus ihnen wenig mehr als die epiſtolare Form. 
Petrarca führte das römiſche Datum, die einfache Anrede mit Du, die 
Grußformeln und dergleichen wieder ein, nicht ohne anfangs Geſpötte 


) Filelfo an Cicco Simonetta v. Decemb. 1453 bei Rosmini Vita di Fi- 
lelfo T. II. p. 304: le cose che non voglio sieno copiate, le scrivo sempre alla 
grossolana. An Marcaurelio v. 30. Januar 1477 ibid. p. 282 und 448: Hoc 
autem scribendi more (lingua Ethrusca) utimur iis in rebus, quarum memoriam 
nolumus trans ferre ad posteros. Et ethrusca quidem lingua vix toti Ita- 
liae nota est, at latina oratio longe ac late per universum orbem est diffusa. 

) L. Bruni epist. VII, 3: In bono scriptore (epistolarum) praeter verba 
et sonum inest profecto aliquid repositum et tacitum judieium animi, quod ut 
in loquente ex oculorum motu, sie in scribente ex vibratione ipsa orationis 
deprehendas. 


416 VII. Die Epiſtolographie. 


zu erregen.) Doch ließen ſich bald Cardinäle, Fürſten und Päpſte 
das tullianiſche Du gefallen und Salutato bediente ſich ſeiner ſogar in 
den Geſchäftsbriefen. Enea Silvio wirft es den Deutſchen als eine 
ihrer barbariſchen Sitten vor, daß es bei ihnen noch für ehrenvoller 
gelte, im Pluralis der Majeſtät angeredet zu werden; für die edlere 
alte Sitte führt er das Beiſpiel nicht nur Cicero's, ſondern auch des 
Sokrates, Demoſthenes und Mäcenas an und beruft ſich auf Hierony⸗ 
mus und Auguftinus. ) 

Schon Petrarca entfremdete den Brief ganz ſeinem erſten und 
nächſten Zweck. Wie es ihn immer drängte, die Fülle der Kenntniſſe 
und Anſchauungen, die er durch Lectüre in ſich aufnahm, in verſchiede⸗ 
nen Formen und Verbindungen der Welt wiederzugeben, wurde ihm 
auch der Brief ein willkommenes Gefäß, um ungebunden durch Plan 
und Ordnung dieſem Drange genug zu thun.) So ſehr ſich ein Je⸗ 
der geehrt fühlte, einen Brief von Petrarca aufweiſen zu können, ſo 
gern ſchrieb er. Briefſchreiben war ihm eine Erholung von ſtrengerer 
Arbeit, er ſchrieb oft ohne beſtimmte Abſicht, wie ſich jemand ſorglos 
in mannigfacher Natur ergeht, hier vom Wege abſpringend, dort dem 
Gelüſte durch Grün und Wald nachfolgend, bald in ernſtes Sinnen 
über Leben und Tod verloren, bald in eine Polemik vertieft, bald weh⸗ 
klagend, bald ſcherzend, einmal wie ein Lehrer, der zum Schüler ſpricht, 
dann wieder wie ein ſchwärmender Freund, meiſtens aber wie einer, 
der im Selbſtgeſpräche ſeine Seele entwickelt.) Immer wird er von 
einem Satze zum andern fortgezogen, immer iſt er wie umlagert von 
einer Menge von Gedanken und Empfindungen, Notizen und geſchicht⸗ 
lichen Beiſpielen, die alle nach der Feder drängen. Wir ſehen ihn in 
ſeinem Lehnſtuhle ſitzen und eifrig ſchreiben, bis das Tageslicht matt 
wird und die Buchſtaben, immer enger zuſammengedrängt, endlich den 
Rand des Blattes erreichen, oder bis tief in der Nacht die ſchweren 


—— nn nn nn 


) Epist. rer. senil. XV, 1: Styli hujus per Italiam non auctor quidem, 
sed instaurator ipse mihi videor, quo cum uti inciperem, adolescens a coeta- 
neis irridebar, qui in hoc ipso certatim me postea sunt secuti. 

) Vergl. feine Briefe an Herzog Sigmund von Oeſterreich v. 5. Decemb. 1443, 
an Capiſtrano v. Anf. Januar 1455 u. a. 

) Epist. rer. famil. I, 4: ostendemus nos in libris, in epistolis collo- 
quamur. : 

) Praefat. in Epistt. famil. (Opp. p. 634): Nihil quasi aliud egi (in epi- 
stolis), nisi ut animi mei status, vel si quid aliud nossem, notum fieret amicis. 


VII. Die Epiſtolographie. 417 


Augenlider und die müde Hand dringend an den Schlummer mahnen.) 
Er beſaß als Greis in Arqua zwei ſtarke Bände ſeiner Briefe, die über 
400 der längeren und wichtigeren enthielten. Tauſend andre ſtanden nicht 
darin, weil das Copiren ihm zu umſtändlich erſchien. Auf das Brief⸗ 
ſchreiben, ſagt er, habe er unſinniger Weiſe einen großen Theil des 
kurzen Lebens verwendet.!) Seine Verehrer freilich dachten nicht fo. 
Zu denjenigen Werken, durch welche Petrarca den Dichterlorbeer ver⸗ 
dient, rechnete ſchon Boccaccio die beiden Bände proſaiſcher Briefe, die 
ſo voll Wiſſen und Weisheit, dazu in ſo glänzender Faſſung geſchrieben 
ſeien, daß ein billiger Leſer ſie in nichts den Briefen Cicero's nach⸗ 
ſetzen könne.), 

Die Briefe des Coluccio Salutato ſind zum Theil politiſche Ge⸗ 
ſchäftsſchreiben; welchen Einfluß dieſe auf die Form der Diplomatie 
geübt, wie ſie einen edleren Canceleiſtil angebahnt, davon haben wir 
bereits oben geſprochen. In ſeinen privaten Briefen liebte auch er es 
noch, mit dem ſchweren Geſchütz philoſophiſcher Sentenzen und anti- 
quariſcher Gelehrſamkeit vorzurücken, machte alſo wie Petrarca den 
Brief zum gelehrten Tractat. Indeß ſcheint es, daß man dieſer ſchwer⸗ 
fälligen Weiſe bald überdrüſſig wurde. 

Eine neue Schreibweiſe brachte Gasparino da Barzizza in Gang. 
Er ſelbſt arbeitete nach dem theoretiſchen Modell, welches er vorzugs⸗ 
weiſe aus Cicero's Briefen abſtrahirt. Unbedeutenderen Inhalts iſt 
kaum eine Briefſammlung als die ſeine: ſie bewegt ſich in den engen 
Verhältniſſen eines Univerſitätsgelehrten und unter einem kleinen Kreiſe 
von Freunden, die abgeſehen vielleicht von dem nachmaligen Cardinal 
Zabarella und einigen venetianiſchen Nobili, lauter dunkle Männer ſind.“) 
Erſt ſeine Schüler und die des Giovanni da Ravenna wußten die neue 
Form mit geiſtvollem Gehalte auszuſtatten. Der Brief ſollte jetzt nicht 
die Gelehrſamkeit, nur das Genie bezeugen. Lebhaftigkeit, Leichtigkeit und 
Eleganz wurden die Haupterforderniſſe: das Beſte ſollte nur als glück⸗ 
liche Eingebung des Augenblicks erſcheinen, die Spuren des Studiums 
unter der Feile verſchwinden. Wie ſich der Weltmann vor dem Stuben⸗ 
gelehrten durch ein bequemes und leichtes Betragen auszeichnet, ſo war 


1) Epist. rer. senil. II, 3. XII, 1 in fin. Vergl. auch den Schluß der Praefat. 
in Epistt. famil. und den Anfang der epist. famil. VIII, 5. 

2) Epist. rer. senil. XV, 3. 

) De geneal. deor. XV, 6. 

) Seine Briefe in ſ. Opp. ed. Furietto p. 93—219. 


Voigt, Humanismus. 27 


418 VII. Die Epiſtolographie. 


man jetzt bemüht, einfach und ungezwungen zu ſchreiben und die Funken 
des Geiſtes wie zufällig in das liebenswürdige Geſchwätz einzuſtreuen. 
Das nannte man familiariter scribere. Die Meiſter dieſes Stils konnten 
ſich ihr Lob recht unbefangen ſelbſt ſprechen, indem ſie ſich darüber zu 
wundern ſchienen, daß jemand an ihren Briefen etwas zu bewundern 
finde. Poggio verſichert, er bilde ſich auf ſeine Briefe nichts ein, er 
ſchreibe fie ſchnell und oft mitten unter den Gefchäften; ') ja er ge- 
ſteht ſogar ein, daß er den ſtiliſtiſchen Schmuck abſichtlich vermeide, 
um nicht pedantiſch zu erſcheinen.) Filelfo war von der Schönheit 
feines Genius noch inniger überzeugt: »Meine Freunde halten meine 
Briefe ſehr hoch. Ich wundre mich eigentlich darüber, da ich bei ihrer 
Abfaſſung weder irgend welche Sorgfalt noch Fleiß anwende, ſondern 
ſie aus dem Stegreif dictire, ohne viel Nachdenken und Ordnen. Ich 
ſpreche auch, wie ich ſchreibe. Es mag daher wahr ſein, daß mein 
Stil zwar nicht künſtlich und polirt, aber dafür leicht und gefällig 
iſt.““) Dem Enea Silvio, Filelfo's Schüler, wird erzählt, daß jemand, 
der ihn perſönlich nicht kannte, an ſeinen Briefen eine beſondre Freude 
gefunden; er ſpielt den Naiven: wie könne das ſein! ſeien doch ſeine 
Briefe ſo einfach aus der Feder gefloſſen und ganz im Stil der ge⸗ 
wöhnlichen Sprache, ſei doch kein Schmuck, keine Würde darin.) Ein 
andermal ſagt er im ähnlichen Falle: „Ich mühe mich nicht ab, wenn 
ich ſchreibe, ich berühre nicht zu hohe und mir unbekannte Dinge, ich 
gebe, was ich gelernt. Der macht ſich den Andern leicht verſtändlich, 
wer ſich ſelbſt klar iſt; wer ſich dunkel iſt, kann natürlich auch dem 
Andern kein Licht geben. Ich fliehe die Verknotung und den Kunſtbau 
langer Sätze. Wenn mir elegante Worte gerade zu Gebote ſtehen, nehme 
ich keinen Anſtand ſie zu gebrauchen, wenn nicht, ſo ſuche ich ſie nicht 
weiter und bediene mich der naheliegenden. Ich bin nur bemüht, verſtanden 


) Poggii epist. Alberto Parisio cancellario Bononiensi im Spicileg. Roman. 
T.1X p. 641. Vespasiano: Poggio Fiorent. $3: Furono e sono molto accette 
le sua epistole per la facilità dello iscrivere, che le s sanza ignuna 
fatica. 

) Poggii epist. 12 in Epistt. LVII: Ego quoque consulto multa dicendi 
ornamenta omisi, ne viderer nimis curiosus fuisse in scribendo. 

) Sein Brief an Ludovico Pedroni bei Rosmini T. III p- 72, ähnlich der 
an Traverſari unter deſſen Epistt. XXIV, 31. 


) Sein Brief an den Aſtronomen Hans Schindel v. 20. November 1445. 


VII. Die Epiſtolographie. 419 


zu werden.“) — Mag nnn dieſe geiſtreiche Nachläſſigkeit eine natür⸗ 
liche oder ſtudirte ſein, in der That giebt ſie beſonders den Briefen 
Poggio's und Enea's einen Reiz, den ſie weder durch Gelehrſamkeit 
noch durch tullianiſche Glätte jemals erreicht hätten. 

Der Inhalt der Humaniſtenbriefe gehört dem politiſchen oder dem 
kirchlichen Leben am wenigſten an, das waren im Gegentheil Materien, 
deren Behandlung man faſt ängſtlich vermied, nicht etwa aus Beſorg⸗ 
niß anzuſtoßen, ſondern lediglich aus Verachtung der nüchternen und 
elenden Gegenwart, welche die Aufmerkſamkeit des Alterthumsfreundes 
nicht verdiente. Eine Ausnahme machen hier die Briefe eines Staats⸗ 
mannes wie Francesco Barbaro, eines Enea Silvio, der in Deutſchland 
eine ganz andre Stellung einnahm als ſeine Federcollegen in Italien, 
die Schreiben der Staatscanzler, die indeß in den Briefcodices zu feh⸗ 
len pflegen, weil ſie nicht in den öffentlichen literariſchen Verkehr ka⸗ 
men, und etwa die Briefe eines Traverſari, inſofern ſie die Geſchäfte 
ſeines Ordens betreffen. Bei den andern nehmen die Fürſten und ihre 
Räthe, Cardinäle und reiche Adlige eine Menge von Adreſſen für ſich 
in Anſpruch, aber als Mäcene. Wenn man die Aufſchriften der Briefe 
Filelfo's durchmuſtert, kann man ſo ziemlich überſehen, welche Männer 
von Stellung ſich in Italien für die humaniſtiſche Kunſt anregen lie⸗ 
ßen. Die Briefe an ſie zerfallen einfach in ſolche, die mehr oder min⸗ 
der offen betteln, und ſolche, die danken, das heißt eine künftige Bet⸗ 
telei vorbereiten. Die Kunſt zu ſchmeicheln, fein zu ſchmeicheln, in 
immer neuen Variationen zu ſchmeicheln, wird hier in einer Weiſe ge⸗ 
übt, die nur da noch täuſchen und blenden kann, wo die mäcenatiſche 
Eitelkeit und die ſchriftſtelleriſche ſich gegenſeitig bereits blind gemacht 
haben. Briefe von einem Bruni ließ ſich ein Prälat wie der Erz⸗ 
biſchof von Mailand ſorgfältig abſchreiben, wo er ihrer nur habhaft 
werden konnte, und jeden, der an ihn gerichtet war, ſchätzte er ſich zur 
beſondern Ehre, ja er ſuchte wohl dem gefeierten Autor Briefe abzu⸗ 
locken, nur um ihre Zahl zu mehren.) Ein Filelfo war nicht nur über⸗ 
zeugt, ſelber durch ſeine Briefe unſterblichen Nachruhm zu erwerben, ſon⸗ 
dern er betrachtete dieſelben wie eine Ruhmeshalle, in welcher er die 
Namen ſeiner Gönner nur aufzuſtellen brauchte, um auch ſie der Unſterb⸗ 


1) Sein Brief an den Cardinal und Biſchof von Krakau Zbignew v. 27. Oeto⸗ 

ber 1453. 
) ef. Leon. Bruni epist. V, 3 rec. Mehus. 
| 27* 


420 VII. Die Epiſtolographie. 


lichkeit theilhaftig zu machen.) Die Erfolge ſeiner Briefe waren wirklich 
oft der Art, daß ſie ihm den Kopf verrücken mußten. Hier nur noch ein 
Beiſpiel. Seine Schwiegermutter Manfredina war bei der Eroberung 
von Byzanz mit zwei Töchtern in türkiſche Gefangenſchaft gerathen. 
Sogleich richtete Filelfo einen Brief an den Sultan in griechiſcher 
Sprache, ſtellte ſich ihm als einen vor, der durch ſein Wort über Ruhm 
und Unſterblichkeit gebiete, *) legte eine verherrlichende Ode bei und bat 
ſeine Verwandten los. Seine Bitte ward gewährt, ſelbſt der Eroberer 
von Byzanz ſchien ein Gefühl für die Ehren und Schmeicheleien zu 
haben, die ihm ein abendländiſcher Gelehrter darbrachte. 
Unbedeutenden Gehaltes ſind im Ganzen auch die Briefe, welche 
die Humaniſten unter ſich wechſelten; oft waren ſie nur ein Zeichen 
freundlicher Erinnerung, wenn gerade ein Bote ſich fand. Sonſt be⸗ 
handeln ſie die kleinen Geſchäfte und Verbindlichkeiten der Gelehrten⸗ 
republik: man bittet um ein Buch, mahnt um ein dargeliehenes, ſchickt 
es mit Dank zurück, man empfiehlt einen Schüler oder Verwandten, 
bezeugt ſeine Theilnahme an einem Familienereigniß, gratulirt zu einer 
Standeserhöhung, berichtet über Studien oder literariſche Funde, dankt 
für dargebrachte Schmeichelei und erwiedert ſie, wehrt einen literari⸗ 
ſchen Angriff ab, hetzt auf einen Gegner, bittet um Belehrung über 
irgend einen Punct und dergleichen. Dennoch geben uns gerade dieſe 
Geringfügigkeiten das lebhafteſte Bild von dem Umgangstone, der un⸗ 
ter den Humaniſten herrſchte, wir ſehen ihre „gute Geſellſchaft“, wie 
ſie ſich mit höflichen Worten und im feinen Kleide hin und her bewegt. 
Valla hat treffend herausgefunden, daß die Briefe Cicero's und ſeiner 
verſchiedenen Freunde einander ſo ähnlich ſähen, als ſeien ſie alle einer 
Feder entfloſſen.) Ziemlich daſſelbe könnte man ſagen, wenn man die 
Briefe von Poggio und Filelfo, Bruni und Traverſari, Guarino und 
Aurispa, Valla und Enea Silvio, kurz aller derer, die ihre Kunſt von 
der Schule des Gasparino da Barzizza herleiteten, mit einander ver⸗ 
gleicht. Den Grund aber müßte man hier wie dort nicht allzuweit 
ſuchen: der ſchriftliche Umgang ſchafft ſeine Formen aus ſeiner Natur 


) Vergl. feinen Brief an Nice. Ceba v. 15. Febr. 1451. 

) or rob xcrd Yvoıw gονπνõοο α⁰õl ονο,⅝!qiò Tas xcldg noakeıs KIavarovs 
1 OE mv more, 6 168. Der Brief v. 11. März 1454 bei Ros mini T. II. 
p. 305. N | j 

) Elegant. lib. III in princ.: Ita verba et sententiae characterque ipse di- 
cendi ubique sui est similis. 


vn. Die Epiſtolographie. 421 


heraus fo gut wie der perjönliche, und im Formellen bildet ſich unter 
Menſchen deſſelben Standes und Berufes leicht ein Hergebrachtes, in 
welchem ſich ſogar oft ein überraſchender Einklang der Denkweiſe zeigt. 

Während der einfache Umgangsbrief ſich des gelehrten Wuſtes und 
der gekünſtelten Abfaſſung zu entledigen ſuchte, traten dieſe in einer 
verwandten Gattung wieder hervor, in ſolchen Briefen nämlich, die vielmehr 
Tractate oder Schauſtücke andrer Art waren und deren Adreſſe eigent⸗ 
lich nur eine Widmung iſt. Galt ſchon der freundſchaftliche Brief als 
eine Ehre für den, an den er gerichtet wurde, wievielmehr die Dar⸗ 
bringung ſolch' eines kleinen Kunſtwerkes. Unter dieſem Geſichtspuncte 
haben wir die Türkenbriefe zu betrachten, die Filelfo an verſchiedene 
Fürſten ſchrieb '), rhetoriſche Compoſitionen, die er ebenſo wirkſam einem 
eleganten Hofpublicum hätte vortragen können. Noch ein Beiſpiel. 
Als Coſimo de' Medici nach kaum einjähriger Verbannung wieder in 
Florenz eingezogen war, begrüßte ihn Poggio mit einem Kunſtbriefe: 
er geſteht darin ſogleich, daß er dem Verehrten dieſen Glückwunſch aller⸗ 
dings auch in perſönlicher Anſprache darbringen könnte, doch ziehe er 
die briefliche Form vor, da dieſe zu weiterer Verbreitung unter den 
Freunden feines Genius komme.) 

Vom Umfange der humaniſtiſchen Briefliteratur macht man ſich 
nicht leicht die richtige Vorſtellung, wenn man außer den gedruckten 
Sammlungen nicht auch in Betracht zieht, was noch handſchriftlich in 
den italieniſchen Bibliotheken ruht. Es ſind lange nicht alle Briefe 
Bruni's, die wir in der Mehus'ſchen Ausgabe leſen; er ſelbſt fing erſt 
in ſpäteren Jahren an, wenigſtens diejenigen zu ſammeln, die ihm von 
dauerndem Werthe ſchienen.) Von Poggio's Briefen fehlt trotz dem 
Intereſſe, das ſie erregt, und trotz den wiederholten Veröffentlichungen, 
noch weit über die Hälfte, wie ſich ungefähr, aus den Jahren erſehen 
läßt, in welche die publicirten Reihenfolgen gehören. Als er ſie zu 
ſammeln begann, konnte er ſelbſt die an die florentiniſchen Freunde, 
zumal an Niccoli gerichteten kaum noch zuſammenbringen; dennoch wur⸗ 


) Der berühmteſte iſt der an Karl VII von Frankreich v. 17. Febr. 1451. Nach 
dem Falle von Konſtantinopel ſchrieb er ähnliche Briefe an Kaiſer Friedrich und Kö— 
nig Matthias von Ungarn, zweimal an den Herzog von Burgund, an Herzog Fede⸗ 
rigo von Urbino, an drei Dogen von S. Marco u. a. Rosmini T. III. p. 76. 

) Der Brief in Poggii Opp. Basileae, 1538. p. 339, 

) Leon. Bruni epist. VII, 10 ad fin. 


422 vIl. Die Epiſtolographie. 


den es 18 Bücher.!) Traverſari's Briefe in 23 Büchern füllen in der 
Canneti⸗Mehus'ſchen Ausgabe faſt tauſend Folioſeiten, und doch fagt 
Traverſari ſelber, er habe „faſt unzählige“ Briefe geſchrieben, von de⸗ 
nen ihm bei der Sammlung verhältnißmäßig nur wenige zu Gebote 
geſtanden.) Die vom Cardinal Quirino veranſtaltete Ausgabe der 
Briefe des Francesco Barbaro enthält 284 Briefe des Venetianers 
ſelbſt und 94 von andern namhaften Männern, die an ihn gerichtet 
ſind; doch haben wir hier nur die Briefe weniger Jahre, die den Her⸗ 
ausgeber gerade der Zufall auffinden ließ. Die Briefe Filelfo's, wie 
ſie ſeit der erſten 1485 zu Brescia gedruckten Ausgabe in ſiebzehn Ab⸗ 
drücken verbreitet ſind, bilden einen recht anſehnlichen Band. Doch 
enthält dieſe Ausgabe nur 16 Bücher, während in der vollſtändigeren, 
die zuerſt in Venedig 1502 gedruckt wurde, 37 Bücher enthalten ſind. 
Trotzdem fand der Biograph Filelfo's, Carlo de' Rosmini, in der Fa⸗ 
milienbibliothek der Trivulzi einen Codex, der alle Briefe der vollſtän⸗ 
digſten Ausgabe, außerdem aber noch 11 weitere Bücher unedirter Briefe, 
90 einzelne noch ungedruckte und 110 gleichfalls neue griechiſche Briefe 
Filelfo's enthielt.) Ihm freilich dürfte auch in der Ausdehnung der 
Correspondenz kein andrer gleichkommen. Von den Briefen Gasparino's 
da Barzizza, Guarino's, Decembrio's und andrer giebt es ſtarke hand⸗ 
ſchriftliche Bände, während nur einzelne Briefe durch den Druck bekannt 
geworden ſind.) Diejenigen unter den Humaniſten bilden die Aus⸗ 
nahme, welche der Eleganz ihres Epiſtolarſtils nicht Werth genug bei⸗ 
legten, um für die Sammlung und Verbreitung ihrer Briefe Sorge 
zu tragen. Von Carlo Marſuppini wird es als etwas Seltſames er⸗ 
wähnt, daß er nur wenige Briefe geſchrieben und hinterlaſſen. ) Uebri⸗ 


) So corrigirt Angelo Mai die Angabe des Vespaſiano (Poggio Piorent. 
$ 9): Epistolarum libri decem. Während er noch in Rom war, hatte er bereits 
ein Volumen von 10 Büchern zuſammengeſtellt und ein zweites von 3 Büchern be⸗ 
gonnen. ef. Poggii epist. 49. d. im Spicileg. Roman. T. X. Wie er die Briefe 
an Niccoli in einem eigenen Bande ſammelte, vergl. Po ggii epist. 38. 39. in 
Epistt. LVII. Mehus (Praefat. in Vitam Ambr. Travers. p. 33) gedachte etwa 
500 Briefe Poggio's in 18 Büchern herauszugeben, doch iſt er nicht dazu gekommen. 

) Epist. IV, 26. rec. Canneto. nn: 

) Rosmini T. I. Prefaz. p. XV. XVI. T. II. p. 266. 

) Ueber die Briefe des Enea Silvio habe ich im XVI. Bande des Archivs 
für Kunde öſterreichiſcher Geſchichtsquellen geſprochen, über das Verhältniß der ge⸗ 
druckten zu den noch ungedruckten p. 324 ff. 

) Facius de vir. illustr. p. 12. 


VII. Die Epiſtolographie. Der Freundſchaftscultus. 423 


gens war es guter Ton, von ſeinen Briefen mit ſcheinbarer Gleich⸗ 
gültigkeit zu ſprechen und ſich erſt durch Wande zu ihrer Veröffentlichung 
drängen zu laſſen. 

Indeß ſchwindet unſer Intereſſe an dieſen Briefen, je mehr die 
Kunſt, fie zu ſchreiben, verbreitet und zum Mechanismus wurde. Schon 
Gasparino ſchrieb Muſterbriefe, bloße Schemata, die zur Belehrung 
ſeiner Schüler dienen ſollten.) Auch Giammario Filelfo, der Sohn 
des berühmten Francesco, gab ein Epiſtolarium heraus, eine Samm⸗ 
lung zum Schulgebrauche, die von ſeinen familiären Briefen wohl zu 
unterſcheiden iſt. Dieſe verhalten ſich zu jenen Schablonen, wie eine 
geſellſchaftliche Converſation zu einem Complimentirbuche. Bald hatte 
man auch Lehrbücher der Epiſtolographie, wie ähnliche Anleitungen zur 
Redekunſt längſt verbreitet waren: der elegante Briefſtil wurde ſyſte⸗ 
matiſch vorgetragen, die Adreſſen, Anreden, Titulaturen, der vömifche 
Calender, Höflichkeiten, Schmeicheleien, Empfehlungen, Entſchuldigungen, 
aufgetragene Grüße u. ſ. w. Salutato's Buch de arte dietandi ent- 
hielt vermuthlich derartige Anleitungen, wie fie beſonders zu Staats⸗ 
ſchreiben benutzt werden konnten. Ein ähnliches Lehrbuch, doch mehr 
für familiäre Briefe, ſchrieb Agoſtino Dati, der ſaneſiſche Staatsſecre⸗ 
tär; dazu paſſen als Beiſpiele ſeine eigenen Briefe, lebhaft, fein und 
glatt geſchrieben, aber in demſelben Grade nichtsſagend.) Man ſieht, 
wie im eifrigen Betriebe der briefſchreibenden Kunſt ganz vergeſſen 
wurde, was ein Brief eigentlich iſt und ſein ſoll. 

In den Humaniſtenkreiſen herrſchte, den friedlichen Umgang regelnd, 
der Cultus der Freundſchaft nach Cicero. Petrarca hatte ihn auf⸗ 
genommen; ſchon in ihm war dieſe Idee zur fixen geworden, nicht gar 
anders als die der romantiſchen Liebe. So ſehr dann die Freundſchaft 
in den Schriften der Humaniſten ein Lieblingsthema wurde, wüßten 
wir ihrer doch kaum zwei, deren Verhältniß als Freundſchaft in einem 
irgend idealen Sinne bezeichnet werden könnte. Petrarca noch hat wohl 
an das Idol geglaubt, und doch gehörte es ſchon bei ihm zu den hoh⸗ 
len Götzen, die er aus den philoſophiſchen Theorien des Alterthums 
herüberbrachte. Nach und nach aber wurden Freundſchaft und Liebe, 


) Dieſe Epistolae ad exercitationem accommodatae in ſ. Opp. ed. Furietto 
p. 220— 336. 
9 Seinen Isagogicus libellus pro conficiendis epistolis ſah ich im Cod. lat. 
4393 der münchener Hofbibl., feine Briefe ſtehen in feinen Opp. Senis, 1503. 


424 VII. Der Freundſchaftscultus. Die Inveetiven. 


mit den herrlichſten Worten verſichert und geprieſen, unter den Huma⸗ 
niſten zur hergebrachten Umgangsform, zur Höflichkeit, bei der man 
ſich in der That nicht mehr dachte als wir, wenn wir vor jemand den 
Hut abnehmen. Wiederum ſind die Briefe der Tummelplatz, auf wel⸗ 
chem das alte Thema mit neuen und zierlichen Wendungen eingeübt 
wird. Wünſchte man von einem fremden, nie geſehenen Menſchen eine 
Gefälligkeit, ſo modelte man Cicero's Satz, daß Freundſchaft nur unter 
guten Menſchen beſtehen könne, dahin um, daß alle guten Menſchen 
natürliche Freunde ſeien und einander lieben müßten, die Tugend aber 
war man ſo höflich bei dem Fremden vorauszuſetzen. War auch er 
ein Mann der Wiſſenſchaft, ſo wurde er wie ein geliebter Bruder be⸗ 
handelt; wußte man, daß er ſchriftſtellerte, ſo wurde er gar als genia⸗ 
ler Meiſter verehrt. Enea Silvio, der, obwohl ganz in das humani⸗ 
ſtiſche Treiben verſenkt, doch auch ſeine kühlen und nüchternen Momente 
hatte, ſtellt einmal folgende Betrachtung an: „Eigentlich gilt heutzutage 
die Freundſchaft, mit welcher ein reeller Nutzen verbunden iſt; jene 
ſtoiſche Freundſchaft, die ſich lediglich an der Tugend erfreut, iſt längſt 
erloſchen. — — Es iſt einmal fo: wir find Schmeichler, nicht 
Freunde. — Ich denke, du verſtehſt mich ganz. Aber man muß ſchon 
heucheln, da Alle heucheln. Nehmen wir die Menſchen, wie ſie ein⸗ 
mal find. ')" | 

Dagegen waren die Feindſchaften unter den Humaniſten gewiß 
ehrlich. Wenn ihre Schmähſchriften dafür nicht genügendes Zeugniß 
ablegten, dürften wir nur auf die Fälle hinweiſen, wo auf die Spitzen 
in Filelfo's Satiren ein gedungener Bravo mit der Dolchſpitze ant⸗ 
wortete oder wo Poggio und Trapezuntios ihren literariſchen Kampf 
mit den Fäuſten fortſetzten. Wieder war Petrarca der Erſte, welcher 
die Kunſt des Wortes gebrauchte, um ſeine Händel zu verfechten. Wir 
gedachten ſchon oben der Veranlaſſung, die ihm zur erſten modernen 
Streitſchrift oder Invective die Feder in die Hand drückte. Er fuhr 
gegen einen unbekannten Arzt los, der ſeine Kunſt der Poeſie mißachtet, 
und gab dieſe Mißachtung durch reichliche Ausfälle gegen die ärztliche 
Praxis zurück. Schon er ließ, im Gegenſatz zu den Streitſchriften frü⸗ 
herer Jahrhunderte, den perſönlichen Charakter vorwalten. Was ſein 
Gegner zur Unehre der Poeſie geſagt, nimmt er als einen Angriff auf 


) Enea Silvio's Briefe an den Canzler Kaspar Schlick v. 1. Novemb. und 
28. Decemb. 1443. 5 


VI. Die Invectiven. 425 


ſeine Perſon, ja ſogar ein ſcharfes Wort gegen Plinius erſcheint ihm 
als eine perſönliche Beleidigung, weil er ſich zum Anwalt aller alten 
Autoren berufen fühlt. Nachdem er den Feind, der ſich ſeinerſeits, 
wie es ſcheint, nicht ungeſchickt vertheidigte, in vier Feldzügen zuſam⸗ 
mengehauen, erklärt er ihn als „für alle Ewigkeiten zerfleiſcht“ und 
nur dadurch der Nachwelt aufbehalten, daß er einen Platz in ſeinen, 
Petrarca's, Werken gefunden.) Dennoch iſt es nicht fo ſehr der Haß 
gegen einen einzelnen Menſchen oder einen Stand, der Petrarca reizte, 
als vielmehr das Verlangen, ſich als rüſtigen Kämpfer zu zeigen. Da⸗ 
her vergleicht er ſich mit Cicero, wenn dieſer den Verres, Catilina 
oder Antonius angreift.) Nicht mit mönchiſchem Fanatismus fährt 
er auf den Gegner los, nicht des Unglaubens, der Ketzerei oder ſitt⸗ 
licher Verworfenheit ſchuldigt er ihn an, ſondern es iſt ein Ringkampf 
um die Superiorität des Talentes und des Berufes; Sieger bleibt, 
wem es gelingt, den Gegner als unwiſſend, dumm und albern darzu⸗ 
ſtellen. Kein Tribunal wird angerufen als das Urtheil des literari⸗ 
ſchen Publieums. Da Petrarca im Grunde fo wenig von der Medicin 
verſteht wie ſein Gegner von der Poeſie, ſo ſind die Waffen lediglich 
dialektiſcher und rhetoriſcher Gattung, und derbe Schimpfworte, im 
triumphirenden Tone losgeſchleudert, erſetzen die ſachliche Disputation. 
Die Schmähungen Petrarca's leſen wir unmittelbar, aber auch ſein 
Gegner hatte ihn nicht geſchont, als ehrgeizig, anmaßend und aufgeblaſen 
bezeichnet. Es ſcheint, daß ſich Petrarca dieſer Schrift in der Folge ein 
wenig ſchämte, er entſchuldigt ſie öfter mit ſeiner jugendlichen Reizbar⸗ 
keit. Doch hat er ſich, um von ſeinen Kämpfen gegen die Aſtrologen 
und Averroiſten nicht zu reden, noch im hohen Alter, wie man meint 
um 1371, in eine Fehde ähnlicher Natur eingelaſſen. Als es ſich näm⸗ 
lich um die Rückverlegung der päpſtlichen Reſidenz nach Rom handelte, 
erſchien von einem Franzoſen eine Flugſchrift gegen Italien, welche die 
Päpſte vor dieſer „Räuberhöhle“ warnte. Als Antwort ſchrieb Pe⸗ 
trarca eine Apologie feines Vaterlandes“), eine Verherrlichung Italiens 
als des Mutterlandes aller Bildung. Gewiß kein unedler Kampf. Aber 
die Nachfolger Petrarca's waren im Gegenſtande nicht ſo wähleriſch, 


) Petrarchae Libri IV Invectivarum contra medicum quendam (Opp. 
p. 1200 — 1233). 

2) ibid. p. 1224. 

) Apologia contra Galli cujusdam anonymi calumnias (Opp. p. 1178-1189). 


426 VII. Die Juvectiven. 


in der gemeinen und hochmüthigen Schmähung ließen ſie ihn weit hin⸗ 
ter ſich. 

Salutato hatte ſich bis zu ſeinem ſiebzigſten Jahre vor ſolchen 
Fehden gehütet, da forderte ihn eine Schrift des Antonio Loschi von 
Vicenza heraus, der im mailändiſchen Solde die Republik Florenz an⸗ 
gegriffen. Er vergalt ſie mit einer Invective, die ſein Vaterland in 
Schutz nahm und zugleich den Gegner, mit dem er bisher befreundet 
geweſen, ziemlich ſcharf zurechtwies.) 

Seitdem ſich die Männer der Feder nach den Höfen und Paläſten 
drängten, ſeitdem ſie mit Schmeicheleien um die Gunſt der Großen 
und Reichen buhlten, ſtellten ſich unter ihnen auch die Klatſcherei, der 
literariſche Neid und der Brodneid in den widerlichſten Geſtalten ein. 
Man weiß ja überhaupt, wie tief im politiſchen wie im privaten Leben 
der Italiener Neid und Eiferſucht wurzeln. Kleinſtädtereien waren in 
der Gelehrtenrepublik noch unvermeidlicher: bedenken wir daß dieſe Li⸗ 
teraten für ihre ſchriftſtelleriſchen Leiſtungen kein andres Publicum hat⸗ 
ten als ihren eigenen kleinen Kreis, iu welchem ein jedes Glied ein 
Nebenbuhler war, als wenige hochgeborene Mäcene und einige Dilet⸗ 
tanten. Das Urtheil eines einzigen unter ihnen war ein wichtiges 
Ding, wurde im Stillen herumgetragen, mit Zuſätzen ausgeſtattet und 
endlich durch geſchäftige Freunde doch dem Autor hinterbracht. Dieſer 
begann ſofort den Kampf und vertheidigte ſeine literariſche Ehre auf 
die ehrloſeſte Weiſe. So entſtand die Gattung der In vectiven, die 
halb als Reden halb als Briefe erſcheinen. Natürlich blieben ſie nicht 
unerwiedert und ſo erwuchs ein literariſcher Krieg oder eine Paukerei, 
deren Thaten von den Mäcenen und vom ganzen humaniſtiſchen Pu⸗ 
blicum mit der höchſten Geſpanntheit verfolgt wurden. Sehr richtig 
iſt der Vergleich mit Fechtern der Arena, den die zankenden Literatoren 
ſelbſt ohne Scheu durchzuführen pflegen: ſie fühlen ſich gleich Helden 
in der Kraft und Gewandtheit des Angriffs, in der Geſchicklichkeit der 
Abwehr, ſie weiſen prahlend auf ihre Siege, um den Gegner zu ſchrecken, 
fie ſpreizen ſich in dem ſtolzen Gedanken, daß fo viele. Augen auf fie 
gerichtet und ſo viele Hände bereit ſind, den Beifall auszutheilen. 
Alles, was nur dazu dienen kann, den Gegner herabzuwürdigen, wird 


2) Er ſchrieb fie im September 1404. Auszüge bei Mehus Vita Ambr. Tra- 
vers. p. 298 sg. Manetti ibid. p. 288. Mazzuchelli zu Fil. Villani 
Vite etc. Prefaz. p. 19 e p. XXVI nota 18. 


— 


vn. Die Invectiven. | 427 


zur willkommenen Waffe: der gemeinſte Schimpf, die ſchaamloſeſte In⸗ 
discretion, die lügenhafteſte Verleumdung. Auch dieſe Kunſt zählte zu 
den freien und humaniſtiſchen, auch ſie war eine Frucht der rhetoriſchen 
Studien, ganz wie die hündiſche Schmeichelei in den Lob⸗ und Leichen⸗ 
reden, ihr Widerſpiel. Schenkten wir den Invectiven Glauben, ſo 
müßten uns die Angegriffenen als Scheuſale erſcheinen, gleichwie wir 
verſucht wären, vor einem Alfonſo von Neapel, Sforza von Mailand 
oder Nicolaus V verehrend auf die Kniee zu fallen, trauten wir den 
Lobpreiſungen ihrer literariſchen Schranzen. Alle Kritik iſt hier ver⸗ 
ſchwendet; ſelbſt das bekannte Wort, daß immer etwas haften bleibe, 
darf nicht Anwendung finden. Für einen ſolchen humaniſtiſchen Gla⸗ 
diator iſt nicht der Schimpf, der auf ihn gehäuft, ſondern allein der, 
welcher von ihm ausgeſchleudert wird, das Denkmal ſeiner Schande. 
Und ſie rühmten ſich dieſer Hahnenkämpfe noch. Valla's Wahlſpruch 
war: „der Streit mag ſchändlich ſein, aber dem Gegner zu weichen 
erſcheint noch ſchändlicher.““) Als Filelfo dem Papſte Pius ſeine Sa⸗ 
tiren überſandte, kam er ſich wie ein in Ehrenkämpfen ergrauter Vete⸗ 
ran vor.) Man ſage hier nicht, daß die Sitte die Unſittlichkeit ent⸗ 
ſchuldige. Der edle Francesco Barbaro mahnte oft genug daran, wie 
unwürdig dieſer pöbelhafte Ton gebildeter Männer ſei. Poggio hatte 
recht wohl ein Gefühl davon, daß ſein Streit mit Guarino ein honet⸗ 
terer war, weil er um einen wiſſenſchaftlichen Gegenſtand und in ſcho⸗ 
nender Weiſe geführt wurde. Auch Bruni wußte Andern zum Frieden 
zu rathen“) und vergalt doch ſelber die geringſte Mißachtung feiner 
literariſchen Hoheit mit höhnenden Schmähungen. Konnte doch ſelbſt 
Filelfo gelegentlich zum Friedensapoſtel werden. So gab es wohl Man⸗ 
chen, der den Klatſch und Scandal mißbilligte und doch ſeine geheime 
Freude an ihm hatte. Auch iſt nicht zu leugnen, daß dieſe Läſterkriege 
der Förderung der Wiſſenſchaft haben dienen müſſen: ſie lenkten den 
Blick immer größerer Kreiſe auf das humaniſtiſche Treiben und erzeug⸗ 


ten unter den Schriftſtellern ſelbſt einen fruchtbaren Wetteifer. 


) Laur. Vallae Opp. p. 460. A 
) Ecce dedi Satyras ad te, Pater optime, centum, 

Quis modo non uno praelia Marte tuli. 

Intrepidus miles, cui mens sit conscia recti, 

Vulnera nulla fugit invidiasve timet, — Ros mini T. II. p. 313. 
) Epist. IX, 10. 11. rec. Mehus. 


428 VII. Die Stiliſtik. 


Wir haben nun, während wir eigentlich vom Verkehr der Huma⸗ 
niſten unter einander ſprechen wollten, unvermerkt zwei Gattungen ihrer 
literariſchen Production, ihre Epiſtolographie und ihre Polemik, geſchil⸗ 
dert. Vervollſtändigen wir das Bild ihrer ſchriftſtelleriſchen Thätigkeit. 
Daß bisher faft weniger von ihr als von dem Leben und den Perſön⸗ 
lichkeiten der Schriftſteller die Rede geweſen, erſcheint vielleicht für ein 
literargeſchichtliches Buch befremdend. Nicht der Menſch, könnte man 
ſagen, iſt das Kennenswerthe, ſondern das, was er geleiſtet, nicht der 
Autor, ſein Werk hat nach Jahrhunderten noch Anſpruch auf ein ein⸗ 
gehendes Gedenken. Aber ſein Werk iſt nicht bloß, was ſeine Feder 
niedergeſchrieben hat. Die lehrhafte Thätigkeit, das anregende Beiſpiel 
der Humaniſten iſt mindeſtens ſo hoch anzuſchlagen als ihre Schriften. 
Und dann iſt ſeine Perſönlichkeit gewiſſermaßen auch eine Leiſtung des 
Menſchen. Ferner ſind wir hier in dem beſondern Falle, daß Schrif⸗ 
ten, die einſt als geniale Kunſtwerke geprieſen wurden, jetzt von nie⸗ 
mand mehr um der Form oder um des eigentlichen Inhaltes willen 
geleſen werden, daß nur der kalte Blick des Forſchers das Phänomenon 
an ihnen zu ergründen ſucht oder auch gar nur nach einzelnen beiläu⸗ 
figen Notizen ſpürt. Darum haben wir weder im Obigen auf eine 
ſpecielle Aufzählung der Werke den Ton gelegt, noch gedenken wir hier 
mehr zu thun, als die Tendenz der Autoren im Allgemeinen und den 
Ausdruck dieſer Tendenz in den vorzüglichſten Gattungen der Schrift⸗ 
ſtellerei zu kennzeichnen. 

Ein weſentlicher Punct, von dem aus alle andern beleuchtet wer⸗ 
den, jſt die überwiegende Sorgfalt, welche die Humaniſten auf die Form, 
die Stiliſtik verwendeten. Wir begreifen, daß der ſüße Klang der 
Verſe und Worte eher dem Ohre ſchmeichelte und die Ahnung der 
Schönheit erzeugte, bevor eine verſtändige Hingabe an den Inhalt der 
claſſiſchen Autoren möglich war. Auch läßt ſich das Formelle ſtudiren, 
zerlegen, ablernen und nachahmen, während der künſtleriſche Geiſt mit 
tieferen Kräften als ein Ganzes aufgefaßt ſein will. 

Das erſte und nächſte Ziel war die klare und durchſchauliche 
Schreibweiſe des goldenen Zeitalters, die Einfachheit der Sätze, die ab⸗ 
ſolute Verſtändlichkeit alles deſſen, was geſagt werden ſollte. Man 
lernte lachen über die künſtliche Complication, in welcher ſich die Scho- 
laſtik, und über die geheimnißvolle Verwirrung, in welcher ſich die 
Myſtik gefallen hatte. Gegen jene ſollte der Gedanke aus den Feſſeln 
der Pedanterie befreit, gegen dieſe ſollte er vom Gebiete des dunkeln 


VII. Die Stiliſtik. 429 


Gefühls und der Ahnung geſondert werden. Dieſes Streben ſtand 
ſchon hell vor Petrarca's Seele, er ſpricht es wiederholt und entſchie⸗ 
den aus, es leitete ihn in ſeinen Schriften. Auch ging er einen Schritt 
weiter: er ſuchte die einförmige Trockenheit des mönchiſchen Stils durch 
die Lebhaftigkeit, Mannigfaltigkeit und Eleganz zu überwinden, er übte 
auch im Briefe oder Tractate die Kunſt des Rhetors. Wie aber die 
Nachfolger immer zu potenziren ſtreben, was ein tonangebender Geiſt 
aufgeſtellt, ſo kam auch bald nach Petrarca der ſogenannte geſchmückte 
Stil in die Mode, eine mit Redeblumen und claſſiſchen Feinheiten 
aller Art geſpickte Schreibweiſe, die in jedem Satze das nächtliche Stu⸗ 
dium und die unermüdliche Feile ſehen ließ. Cicero hatte in der Vor⸗ 
rede zu ſeinen Paradoxen geſagt, nichts ſei ſo gemein und häßlich, was 
nicht durch die Wohlredenheit Glanz empfangen könne. Das wurde 
nun das Wahrzeichen dieſer Schule. Die Grammatik galt ihr nur 
als eine vorbereitende Disciplin von geringer Würde, erſt das Stu⸗ 
dium der rhetoriſchen Figuren und die Nachbildung der beſten Muſter 
führten zu den Künſten des Stils. Auch das Gewöhnliche ſollte un⸗ 
gewöhnlich geſagt werden, Gelehrſamkeit und Alterthum aus jeder Zeile 
ſprechen. Cicero blieb „die Quelle, aus welcher aller Schmuck und 
Reichthum der Rede für die nachfolgenden Geſchlechter gefloſſen.“ Fi⸗ 
lippo Villani meint Salutato in Betreff ſeines Proſaſtils eine Ehre 
anzuthun, wenn er ihn einen Affen Cicero's nennt.) Dieſer ſtutzer⸗ 
hafte Latinismus iſt niemals untergegangen, wohl aber von andern 
Schulen in den Schatten geſtellt worden. 

Der Einfluß des Gasparino da Barzizza, den wir bei Gelegen- 
heit der Briefſchreibung erwähnten, ging natürlich auf die geſammte 
Stiliſtik über. Man behielt die feine Leichtigkeit und Natürlichkeit 
ſeiner Sprache bei, ohne ſich deshalb an ſeinen leeren Schematismus 
zu binden. Leicht, nachläſſig, genial ſollte man nun ſchreiben. Pog⸗ 
gio und Filelfo repräſentiren den neuen Stil am glänzendſten, ſie 
ſtehen, wie an Geſinnung, ſo in ihrem Latein, dem Kloſter am 
ſchroffſten gegenüber. Filelfo's Unterricht und Poggio's Beiſpiel zo⸗ 
gen den Dritten heran, der ſich ihnen an natürlichem Genie zur 
Seite ſtellen darf und berühmter wurde als beide, den Enea Silvio 
de' Piccolomini. Zu derſelben Schule gehörten aber auch Lorenzo Valla 
und Lionardo d' Arezzo, Guarino und Aurispa huldigten ihr, wenn auch 


) In ſeinem Leben Salutato's bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 286. 


430 VII. Die Stiliſtit 


mit weniger Glück, und mancher andre hätte ſich ihrer Weiſe gern er⸗ 
geben, hätte ſie nicht beſtimmte Fähigkeiten durchaus erfordert, die blo⸗ 
ßer Fleiß nicht erwerben konnte, einen lebhaften und vielſeitigen Geiſt, 
raſchen Witz und eine gewiſſe Kühnheit, die ſich über Rückſichten 
aller Art ſchnell hinwegſetzte. Durch dieſe Vorzüge erwarben ſich die 
genannten Männer bei weitem den größten Leſerkreis und wurden die 
bewunderten Koryphäen der damaligen Literatur. Im kecken Walten 
der Laune und im lebhaften Fluſſe des Stils war Poggio der erſte, 
obwohl man ihm mit Recht vorwarf, daß er der grammatiſchen Sprach⸗ 
kenntniß doch gar zu ſehr entbehre ); in der anmuthigen Schlender⸗ 
haftigkeit übertraf ihn Filelfo, der ſich nicht einmal die Mühe nahm, 
ſeine Werke vor der Veröffentlichung noch einmal zu revidiren und zu 
feilen. | 

Eine neue Epoche in der humaniſtiſchen Schreibekunſt begründeten 
Valla's Elegantien, ein Buch von eigenem Schickſal. Es war ſeinen 
Zeitgenoſſen wenig bekannt und entſprach noch weniger ihrem literari⸗ 
ſchen Geſchmack. Erſt ſeit der Verbreitung der Buchdruckerkunſt in 
Italien, alſo ſeit dem Ende des Jahrhunderts hat es ſeine volle Wir⸗ 
kung geübt, und noch heutzutage wird es von den Fachgelehrten mit 
hoher Achtung genannt. Es begründet mit glänzendem Scharfſinn die 
moderne Grammatik, es ſetzt der Eleganz und der Genialität des Stils 
die Correctheit entgegen und klemmt den leichten, jugendlichen Schritt 
in den claſſiſchen Zwangsſtiefel.) Valla ſelbſt ſprach es offen aus, 
daß er ſich für den Vater der „reinen Latinität“ halte.) Dieſe aber 
widerſprach dem Modeſtil, der eben durch ſeine freie Bewegung anzog 
und ſich grammatiſche Fehler oder Barbarismen wenig zu Gewiſſen 
nahm. Filelfo, Guarino, Poggio und ihre Schüler waren überzeugt, 
daß die lateiniſche Wohlredenheit durch ſie ihren Gipfel erreicht habe 


) Treffend urtheilt über ihn fein Bewunderer Aeneas Sylvius de vir. clar. 
XVI: qui licet lingua ignarus fuerit, nulli tamen in dicendo fuit inferior. 
Anton. Coccius Sabellicus Ennead. X. Lib. I in fine nennt ihn vir et 
ipse non illepida Minerva, sed elocutionis minus diligens observator. Aehnlich 
Timoteo Maffei (bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 395): quem mirandum 
reddit incredibilis dicendi facilitas, und Fazio's Complimente in lu Briefe 
an Poggio (de vir. illustr. p. 81). 

) Raphael Valaterr. Lib. XXI: Laurentius Valla primus fere nostro 
seculo, qui orationem Latinam nulla observatione fluentem in compedes quasi 
redegerit ac in nervos (normas 7) observationis antiquae constrinxerit etc. — 
Vergl. C. G. Zumpt a. a. O. 8.413. 

) Vigerini Elogium Vallae bei Dom. Georgius Vita Nicolai V p. 207. 


VII. Die Stiliſtik. Die Poeſie. 431 


und derjenigen gleichſtehe, welche zu Octavianus Auguſtus' Zeiten ge⸗ 
blüht. Warf dem Enea Silvio jemand vor, daß er in ſeinen Verſen 
turpis für deformis gebraucht habe, ſo antwortet er: „Mag das ein 
pedantiſcher Ariſtoteles tadeln, lieber als ſeine dunkle Genauigkeit will 
ich die feine Nachläſſigkeit eines Naſo und Maro nachahmen.“ ) Fi⸗ 
lelfo ſah mit grenzenloſer Verachtung auf die „Schulmeiſter“ herab, 
die ihre hundertjährigen Irrthümer und ihre trockene Compendienweis⸗ 
heit wieder auf hunderte von Schülern verpflanzten. Am bezeichnend⸗ 
ſten iſt wohl, daß Valla ſelbſt gegen die feinen Regeln und Diſtinctio⸗ 
nen, die er aufgeſtellt, in feinen Schriften fortwährend fündigte und 
ſeinen Schülern öfters zu ſagen pflegte, er wolle ſeine Schriften nicht 
als Belege für feine Grammatik angeſehen haben.“) Auch er nämlich 
ſetzte einen höheren Ruhm darin, mit ſorgloſer Leichtigkeit zu ſchreiben. 
So erklärt es ſich leicht, daß an der Grenzſcheide des Jahrhun⸗ 
derts, als die tullianiſche Pedanterie einen correcten Ausdruck gebot, 
als Piero Bembo und Jacopo Sadoleti die Muſter waren, der Stil 
Poggio's einer ähnlichen Beurtheilung unterlag, wie ſie zu Poggio's 
Zeit über Petrarca ergangen war. Man ſah auf ihn und ſeinesgleichen 
aus vornehmer Höhe herab, erkannte die natürliche Begabung an und 
entſchuldigte die Mängel mit der noch geringen Bildung des Zeitalters. 
Uns aber feſſelt die eigenthümliche und freie Aeußerung des Geiſtes 
durchaus mehr als ſeine Verknöcherung in Form und Regel, und den 
Soldcismen zum Trotz, vielleicht gerade um ihretwillen ſetzen wir die 
Blüthe der humaniſtiſchen Stiliſtik in die Mitte des 15. Jahrhunderts. 
Die Wiederaufnahme einer edleren lateiniſchen Sprache und die 
genauere Bekanntſchaft mit würdigen Muftern wirkten auch auf die 
lateiniſche Poeſie unmittelbar ein. Während des Mittelalters wurde 
ſie vorzugsweiſe von geiſtlicher Hand gepflegt, in Form und Inhalt 
aber dem Alterthum ſehr entfremdet. Petrarca's Eclogen und ſeine 
Africa gingen wieder ganz auf Virgilius zurück und erhoben den Poe⸗ 
ten, das heißt den claſſiſch⸗lateiniſchen Dichter, hoch über den Reim⸗ 
ſänger. Trotzdem übten auch Petrarca's tusciſche Reime ihren Zauber 
fort, und das ganze 15. Jahrhundert hindurch verſuchten ſich die beſten 
Geiſter auch der humaniſtiſchen Schule in ihrer Nachahmung. Lionardo 
Bruni und Leo⸗Battiſta degli Alberti, die Florentiner, haben in Pe⸗ 


1) Sein Brief an Giov. Campiſio etwa vom Jahre 1443. 
) Sabellicus Ennead. X. Lib. IV p. 687. 


432 VII. Die Poeſie. 


trarca's Weiſe geſungen. Leonardo Giuſtiniani, der edle Venetianer, 
und Enea Silvio, der ſpätere Papſt, begannen ihre Laufbahn mit 
Liebesreimen. Mariano de' Sozzini, der gelehrte Profeſſor der Rechte, 
und Domenico da Capranica, der ernſte Cardinal, haben mit Sonet⸗ 
ten und Canzonen geſpielt. Unter den Fürſten trieben Lionello von Eſte 
und Malateſta von Rimini die heitre Kunſt. Weil Filippo Maria 
von Mailand ein Verehrer der petrarchiſchen Muſe war, mußten auch 
ſeine Hofdichter ihr huldigen, Decembrio und ſelbſt Filelfo, der nur 
mit Widerwillen zur „Pöbelſprache“ herabſtieg. Aber noch behauptete 
die Sprache des alten Rom und die antike Poeſie ſo entſchieden den 
Vorrang, daß die Zeitgenoſſen jener Männer es kaum der Mühe werth 
halten, von ihren tusciſchen Tändeleien beiläufig einmal zu ſprechen. 
Sie waren eben nur eine ſpielende Beſchäftigung, die jüngeren Jahren 
wohl nachgeſehen und ernſten Männern. zur Erholung wohl gegönnt 
werden mochte, keine Leiter zum Ruhme, ſie wurden weder unter Freunde 
verbreitet noch ſpäter gedruckt. Erſt gegen das Ende des Jahrhunderts, 
als die Nationalität von den fremden Eindringlingen am tiefſten ge⸗ 
kränkt und getreten wurde, erwachte die Liebe zur Mutterſprache von 
Neuem und trieb, in zwei Vergangenheiten NT die claſſiſch⸗ 
romantiſche Blüthe der italieniſchen Poeſie. 

Was ſoll man von der lateiniſchen Poeſie ſagen in einem Zeit⸗ 
alter, wo es der Poeten ſo viele gab, wo ihrer etwa ein Dutzend ſich 
der Lorbeerkrönung rühmen durfte, wo in Filelfo der moderne Virgi⸗ 
(ins gefunden ſchien! Nicht die Unfähigkeit, nur die Genügſamkeit in 
den Anſprüchen an die Kunſt und das erhabene Selbſtbewußtſein jener 
Poeten erregt unſre Bewunderung. Wer den Fall des Hexameters und 
des Pentameters glücklich herausgehört und ſo viel Gewandtheit in 
der Sprache erworben hatte, daß die Worte ſich zwanglos und ver⸗ 
ſtändlich dem Tacte fügten, wer dann etwa noch von den alten Dich⸗ 
tern das gelernt, was man ihren Apparat nennen dürfte, der mochte 
kühn unter die Schaar der Muſenjünger treten. Mit den Geſetzen der 
Metrik nahm man es nicht genauer wie mit denen der Grammatik, 
gegen den Inhalt war man faſt noch gleichgültiger. Doch ſonderten 
„ſich auch auf dieſem Gebiete die beiden Schulen, deren wir ſchon mehr⸗ 
mals gedacht. Während die Einen nach Petrarca's Vorbild die Ge⸗ 
lehrſamkeit unmittelbar in die Poeſie trugen und möglichſt viel Alter⸗ 
thum in ihre Verſe packten, ließen Andre dem leichten Genius die 
Zügel oder ſuchten durch Frivolität und Witz zu feſſeln. Unter letzte⸗ 


VII. Die Poeſte. Die Nedekunſt. 433 


ren ragen Beccadelli und Campano hervor, neben welche vielleicht Por⸗ 
cello und Euea Silvio geſtellt werden könnten, hätten wir mehr Proben 
ihres Talentes vor uns. Auf dieſem Gebiete durchbrach die natürliche 
Anlage des Italieners zum Scherz und zur Zote noch am leichteſten 
die Hemmniſſe einer fremden Sprache. Das kleine Epigramm war 
hier die willkommenſte Form. Auch zum Feſtcarmen und zu den be⸗ 
liebten Epitaphien bediente man ſich der Diſtichen. Um den Gedanken 
eines großen Epos zu verfolgen, fehlte es den beweglichen Humaniſten 
zunächſt an Ausdauer. Petrarca's Africa blieb ohne Nachfolger, bald 
auch ohne Bewunderer und Leſer. Wir würden von Salutato's oben 
(S. 124) erwähntem Epos ſprechen, doch wiſſen wir nicht einmal ſeinen 
Titel. Filelfo's Sforziade iſt ſchon ihrer Tendenz nach eine Caricatur 
von Petrarca's Rieſenplan. Hatte dieſer ahnungsvoll von der höchſten 
Palme geträumt, die ein Dichter für ſeine Nation erringen könne, ſo 
glaubte Filelfo der Muſe zu genügen, wenn er Mars, Pallas und 
Venus zur Erde herabſteigen ließ und die Plattheiten ſeiner gereimten 
Chronik hin und wieder mit einer Phraſe vom Helikon oder den Pie⸗ 
riden würzte; im Uebrigen war ihm ſein Heldengedicht wie ein Wech⸗ 
ſelcomptoir, in welchem er ſein auf die Unſterblichkeit ausgeſtelltes 
Papier um klingende Münze eintauſchte. Andre Zweige der vers⸗ 
machenden Kunſt ſind entweder der Erwähnung nicht werth, wie einzelne 
Nachbildungen terenziſcher Luſtſpiele, oder es iſt ihrer, wie der poeti⸗ 
ſchen Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen und der filelfiſchen Satiren, 
bereits gedacht worden. 

Die Lieblingstochter der Wohlredenheit iſt die eigentliche Rede⸗ 
kunſt. Erſt das tönende Wort macht alle die Künſte lebendig, welche 
das Gefühl und den Schönheitsſinn durch die Mittel einer verfeinerten 
Sprache anzuregen, ſie zu erſchüttern oder ihnen zu ſchmeicheln ſtreben. 
Doch bedarf der Redner eines Publicums, auf welches er einwirken 
könnte, er bedarf eines Stoffes, der ihn mit einem ſolchen Publicum 
verknüpfte. Die Redekunſt der Alten war eine republicaniſche. Als 
ihre literariſchen Denkmale wieder erweckt wurden, war es gerade um 
die Zeit, da in den meiſten Staaten Italiens die Tyrannis und in 
den Republiken die geſchloſſene Ariſtokratie ihre Anwendung im politi⸗ 
ſchen Leben vereitelte. Wir hören die Klage, daß den Humaniſten die 
öffentliche Rede ſo gut wie genommen ſei. Vor einer Staatsverſamm⸗ 
lung oder vor einem Fürſten müſſe man in der Volksſprache reden 
und ſich nicht zur Kunſt, ſondern zur Sache halten. In die Gerichts⸗ 

Voigt, Humanismus. 28 ö 


434 | VII. Die Nedekunſt. 


höfe finde ver Kunſtredner nicht einmal Zutritt.) So blieben nur 
vie ſeltenen Fälle übrig, wo einmal ein claſſiſch⸗ gebildeter Geſandter 
Gelegenheit fand, ſein Licht leuchten zu laſſen. Auf den beiden großen 
Refermconcilien des 15. Jahrhunderts nahm die humaniſtiſche eve 
kunſt wirklich einen Anlauf, mit denſelben wurde ihr auch im lirch⸗ 
lichen Leben die Wirkſamkeit abgeſchnitten. Der geiſtlichen Beredtſam⸗ 
keit ſtanden wiederum die Humaniſten fern. Auf dieſem Felde herrſchten 
faſt ausſchließlich die Minoriten von der Obſervanz, die mit mächtigen 
Lungen die Volksmaſſen überſchrieen, die Gewiſſen aus dem Schlum⸗ 
mer poſaunten, mit Händen und Füßen gleich Wahnwitzigen geſtien⸗ 
lirten, ſich gegenſeitig in den Ruf der Wundergabe brachten, auf 
Thränen und Erſchütterung losarbeiteten und endgültig auf vie Mild⸗ 
thätigkeit der Gerührten. Man darf nicht glauben, daß Predigten, wie 
wir fie etwa vom heiligen Bernardino oder von Alberto da Sarteano 
leſen, jemals gehalten ſind. Dieſe trockenen Moralitäten, voll ſchola⸗ 
ſtiſcher Spielereien und geſuchter Citationen, konnten auf die Menge 
den Eindruck nicht hervorbringen, von dem uns ſo oft berichtet wird. 
Da beſtand ihre Kunſt, wie die ihrer Nachfolger bis auf den heutigen 
Tag, in donnernden Exclamationen, in Höllenmalerei und in luſtigen 
Intermezzo 's. Wie verächtlich den Schülern Cicero's ſolche Gaſſen⸗ 
rebuerei erſchien, werden wir ſpäter noch von ihnen ſelber hören. Der 
Bolksredner aber konnte zu feinem Zwecke wiederum den elaſſiſchen 
Schmuck nicht brauchen, wenn er ihn nicht gar um des heidniſchen 
Urſprungs willen verachtete. Im Ganzen alſo, wir wiederholen es, 
entbehrte vie humaniſtiſche Beredtſamkeit, ſchon weil ſie von der latei⸗ 
niſchen Sprache unzertrennlich war, jede praktiſche Anwendung. 

Bei dieſem Mißverhältniß lernte die Redekunſt dem Luxus dienen. 
In Florenz gelang es ihr zuerſt. Der junge Bruno Eaſini, fo hören 
wir, ein Florentiner, der 1348 ſtarb, alſo noch ganz Petrarca's Zeit⸗ 
genoſſe war, lehrte nicht nur öffentlich in feiner Vaterſtadt die Rheto⸗ 
ril, ſondern er ließ ſeine Schüler auch Declamationen halten und gab 
ihnen Anleitung ebenſowohl zu einer gefälligen Haltung und Bewegung 
des Körpers wie zu paſſenden und eindrucksvollen Worten.) Petrarca 
ſelbſt hat weber rhetoriſche Werke noch Reden geſchrieben, doch in allen 
ſelnen Werlen drängt es ihn gleichſam dazu hin; fo iſt, um nur ein 


1) ef. Facius de vir. illustr. p. 7. 
) Filippo Villani Vite d' uomini illustri Fiorentini p. 60. 


VII. Die Rebelumf. 435 


Beiſpiel zu erwähnen, fein Schreiben an Cola di Rienzo vielmehr eine 
Freiheitsrede im livianiſchen Stil, an die Bewohner der Siebenhügel⸗ 
ſtadt gerichtet, wo ſie denn auch wirklich auf dem Capitol verleſen 
wurde.) Salntato hat Declamationen und Reden hinterlaſſen, die 
man indeß nur aus den in Florenz befindlichen Handſchriften kennen 
lernen könnte. Wirklich gehaltene Staatsreden ſind es ſicher nicht, 
vielleicht auch bloße Uebungsſtücke, wie wir deren ein paar von ihm 
beſitzen. Da ſehen wir, wie man ſich ſchülerartig in fingirten Fällen, 
in Stoffen aus der alten Geſchichte verſucht. In der einen Rede 
ſuchen Vater und Gatte die von Sextus Tarquinius geſchändete Lu⸗ 
eretia vom Gedanken des Selbſtmordes abzubringen, in der andern ver⸗ 
theidigt ſie die Nothwendigkeit ihres Todes.) 

Einen neuen Schwung gab der Kunſt die Auffindung vieler Reden 
Cicero's und feiner rhetoriſchen Werke, fo wie auch die Textesverbeſſe⸗ 
rung von Quintilians Inſtitutionen. Antonio Loschi aus Vicenza ſetzte 
zuerſt bei eilf Reden Cicero's auseinander, wie dieſer, was er in ſeinen 
rhetoriſchen Werken gelehrt, in der Praxis angewendet. Er erklärte 
die Veranlaſſung der Reden, wies ihre Theile und überhaupt die Geſetze 
der Compoſition nach, zeigte die redneriſchen Figuren, kurz er behandelte 
die Reden als Kunſtwerke. Sein Buch erſchien im Jahre 1413.) 
Keine andre Arbeit hat nach Biondo's Urtheil der Beredtſamkeit eine 
ſolche Frucht eingetragen.) Wir müſſen dieſe Meinung wenigſtens 
inſofern beſtätigen, als die Redewuth im zweiten und dritten Jahrzehnt 
des Jahrhunderts wirklich in überraſchender Weiſe losbrach und ſich 
auf alle Felder warf, die nur irgend der ee durch prunkende 
Worte offen ſtanden. 

Von Gasparino da Barzizza haben wir 27 Reden, die er theils 
bei höfiſchen, theils bei akademiſchen Gelegenheiten, der Mehrzahl nach 
aber für andre verfaßt hat.) Obwohl ſämmtlich von regelmäßiger 
Langweiligkeit, zeigen ſie uns doch am deutlichſten, wie man die aus 


) Ad Nicolaum Laurentii de capessenda libertate hortatoria (Opp. p. 595 80). 

2) Beide Reden finden ſich in Codices und Drucken unter die Briefe des Aeneas 
Sylvius gemiſcht (edit. Basil. epist. 411); daß ſie aber Salutato eee wiſſen 
wir durch Mehus Vita Ambr. Travers. p. 302. 

) Antonii Luschi Vicentini Inquisitio super XI orationes Ciceronis. 
Die Ausgabe, die vor mir liegt, iſt ohne Druckort und Jahrzahl. 

) Italia illustr. p. 379. Facius de vir. illustr. p. 3: opus utile ac vel 
doctis probatum. ö 

°), In feinen Opp. ed. Furietto gedruckt. 


28* 


436 VII. Die Redekunſt. 


Cicero und Quintilianus erworbenen Theorien in die Praxis umſetzte. 
Jeder Satz erinnerte an die Schule. Es ſind eben Erzeugniſſe eines 
Profeſſors der Beredtſamkeit. 

Zur Uebung der Schüler trieb man es wie in den alten Rhetor⸗ 
ſchulen von Athen, Rhodos und Rom: man überlieferte die Theorie 
und veranſtaltete praktiſche Uebungen. Gasparino und Guarino von 
Verona waren die Verfaſſer der beliebteſten Lehrbücher.) Andre liefer⸗ 
ten compendiöſe Bearbeitungen dieſer Werke oder es war auch nicht 
ſchwer, einige Zuſätze aus Cicero und Quintilianus zu entnehmen. 
Eine Fülle von Beiſpielen, aus den alten Autoren zuſammengeſtellt, 
erläuterte die Regeln, unter welchen die von den rhetoriſchen Farben, 
vom Hiatus, von Vermeidung des Gleichklangs oder ſprachlicher Härten, 
von der Klimax u. |. w. recht pedantiſch abgehandelt wurden. 

Wie nun die Humaniſten ſelbſt meiſtens an den Höfen und in 
den Staatscanceleien eine Unterkunft ſuchten, ſo drängte ſich auch ihre 
Redekunſt zu den feſtlichen Gelegenheiten und wurde eine Modeſache. 
Bei fürſtlichen Beſuchen und Friedensſchlüſſen, bei Hochzeiten und Todten⸗ 
feiern, kurz wo ſich nur ein Anlaß fand, wurde die Kunſt des Hof⸗ 
redners zur Verherrlichung aufgeboten. In Neapel bekleidete Beccadelli 
dieſes Amt, in Mailand nach einander Gasparino, Decembrio und 
Filelfo, bei den Eſte Guarino. Florenz hatte die beiden Staatscanzler 
aus Arezzo, ferner Poggio und Manetti, Venedig ſeinen Giuſtiniani 
und Barbaro, Siena den Agoſtino Dati. Die reichen Familien ahmten 
die Sitte der Höfe nach: ihre Hochzeiten und Todesfälle wenigſtens 
mußten mit Feſtreden ausgeſchmückt werden. Daß dabei überall der 
panegyriſche Ton der herrſchende wurde, liegt in der Natur der Sache, 
beſonders aber gingen die Leichenreden über die Grenzen der Laudationes 
hinaus und wurden. zu Apotheoſen. Indeß find bei weitem die meiſten 
nur redneriſche Schauſtücke und wurden niemals gehalten. So war 
Poggio in Bologna, als er von Niccoli's zu Florenz erfolgtem Tode 
hörte und ſeinen Freund durch eine Oratio funebris ehrte; in der⸗ 
ſelben aber nimmt er an, als ſtehe er vor der Bahre und die Bürger 
von Florenz um ihn her. Er galt überhaupt für den Meiſter der 
Gattung, denn er ſprach ganz wie ein Anwalt der Canoniſation. Seine 


) Aeneas Sylvius erwähnt im Prolog feiner Artis rhetoricae Praecepta 
(Opp. edit. Basil., 1551. p. 992 — 1034) auch das Werk eines Stephanus Fliscus 
Sancinensis als berühmt. 


VII. Die Nedekunſt. 437 


Leichenreden auf die Cardinäle Zabarella und Albergati, auf Lorenzo 
de' Medici und Papſt Nicolaus V, auf Niccoli und Bruni waren die 
Muſterwerke glänzender Beredtſamkeit, aber geſprochen wurde wohl 
keine von ihnen. Daſſelbe ſcheint von Filelfo's Gelegenheitsreden zu 
gelten,) von denen die meiſten ſchon wegen des gelehrten Krames, 
den er wie von der Katheder vorzutragen liebt, für den ungelehrten 
Zuhörer ungenießbar ſein müßten; er trieb mit ihnen ſicher denſelben 
Verewigungshandel wie mit feinen andern Schriften. Valla's Reden 
ſind ungedruckt geblieben. Als er einſt zu Rom in der Kirche S. Maria 
ſopra Minerva eine Feſtrede auf den heiligen Thomas von Aquino 
hielt, meinte der Cardinal d'Eſtonteville, ein Franzoſe von feinem Ge⸗ 
ſchmack, der Menſch müſſe verrückt geworden ſein; der Cardinal hatte 
Recht, ſagt unſer Berichterſtatter, denn Valla war in ſeinem Lobe über⸗ 
ſchwänglich bis zur Narrheit und ſeine ganze Rede war wie ein aus 
bunten Fetzen zuſammengeflickter Lappen.) So erſcheint es denn als 
bewundernswerthe Einſicht, wenn Papſt Pius II, ſelbſt ein gefeierter 
Kunſtrevner, einmal fagte, eine künſtliche Rede wirke nur auf dumme, 
nicht auf geſcheidte Menſchen.) 

Uebrigens geben die Reden der Humaniſten, die wir in den Aus⸗ 
gaben ihrer Werke leſen, noch lange keinen Begriff von der Fülle der 
Leichen⸗ und Hochzeitsreden, die in verdientes Vergeſſen zurückgeſunken 
ſind. Ludovico Carbone, der Hofredner des Herzogs Borſo von Fer⸗ 
rara, bezeichnete in einer Rede an Kaiſer Friedrich (1469) die Ver⸗ 
dienſte, auf welche geſtützt er um den Dichterlorbeer bat: er habe gegen 
200 Reden verfaßt und bei feſtlichen Gelegenheiten gegen 10,000 Verſe 
geſprochen; alle namhaften Männer ſeiner Vaterſtadt, deren Tod er 
erlebt, habe er mit Leichenreden geehrt, vornehme Damen hätten ſelten 
ohne Feſtgedichte aus feinem Munde Hochzeit gemacht.) | 

In den philoſophiſchen Tractaten der Humaniſten dürfen 
wir weder eine philoſophiſche Behandlungsweiſe erwarten noch eine eigen⸗ 
thümliche Lebensweisheit. Am wenigſten freilich war für ſie die mittel⸗ 
alterliche Kathederphiloſophie zu brauchen. Was war ſie im 13. und 
14. Jahrhundert geworden? „nichts anders als ein myſteriöſes und 


) Ich habe die zu Paris 1515 gedruckte Ausgabe von mir. 

) Gas par Veronens is ap. Muratori Seriptt. T. III. P. II. p. 1032. 
Platin in Vita Pii II. 

) Anton. Panormitae Hermaphroditus ed. Forberg p. VIII. 


438 VII. Die philoſophiſchen Tractate. 


dunkles Reden um die Runde, welches meiſtens ſelbſt diejenigen nicht 
verſtanden, die fo redeten“) Im Gegenſatze zu den Scholaſtikern 
rühmten ſich die Humaniſten, die Philoſophie aus der Schule ins Leben 
zu führen, in Wahrheit aber führten ſie ſie nur in eine andre Schule. 
Ihre thatſächliche Lebensweisheit war, wie wir oben zeigten, nicht mehr 
als jene gemeine Klugheit, die ſich ſchlecht oder recht mit dem Leben 
abfindet, ihre Schulweisheit aber der Stoicismus mit chriſtlichem An- 
putz und mit einem bunten Ansputz, der allen Schriftſtellern des Alter⸗ 
thums entlehnt wurde. Was ſie Philoſophiren nennen, iſt nicht viel 
mehr als die Wiederholung und Variation der claſſiſchen Gemeinplätze 
über die Unbeſtimmtheit und Unabwendbarkeit des Todes und über bie 
Hinfälligkeit alles Irdiſchen, über Tugend und Laſter, über das Glück 
und das höchſte Gut, über Jugend und Alter, Freundſchaft und Dank⸗ 
barkeit, Reichthümer und Genügſamkeit, Stolz und Demuth, Ruhm 
und Beſcheidenheit und dergleichen mehr. Oft tritt es deutlich hervor, 
daß der Autor philoſophiſche Florilegien beſaß und ſich aus ihnen leicht 
unterrichtete, was Terentius oder Virgilius, Cicero oder Boethius, 
Horatius oder Auguſtinus über dieſes und jenes Thema geſagt hatte. 
Die einzelnen Blumen der Weisheit ließen ſich dann mit einiger ſtili⸗ 
ſiſcher Kunſt zu einem Kranze ordnen und verbinden. Auch in der 
Form bleibt Cicero das Muſter: der Tractat wird eingeleitet wie bei 
ihm, er entſpinnt ſich dann entweder nach einem disponirenden Ent 
wurfe, lieber aber in der ſchon von N aufgenommenen Weife 
des Dialogs. 

Indeß müſſen wir hier noch einmal Petrarca's Tractate von dem 
großen Haufen der ſpäteren abſondern. Nur ein völliges Unverſtänd⸗ 
niß hat fie ſchlechthin für wüfte Compilationen von allerlei Gelehrſam⸗ 
keit und Geſchwätze erklärt. Einige und zwar die kleineren mögen 
allerdings als geringfügig überſchlagen werden, ſo die Abhandlungen 
über Staatsregierung, über das Amt und die Tugenden eines Feld⸗ 
herrn, über den Geiz. Aber die großen Werke über die Gegenmittel 
gegen Glück und Unglück, über die Ein ſamkeit, über die Muße der Re 
ligioſen, über die wahre Weisheit, über feine eigene und Anderer Ur 
wiſſenheit, der merkwürdigen Dialoge über die Verachtung der Welt 
zu geſchweigen, das ſind ihrem tiefſten Gehalte nach Erlebniſſe aus 
dem Herzen eines kämpfenden Menſchen, bei welchen wir das Anti⸗ 


) Tiraboschi T. V. p. 276. 


VII. Die philoſophiſchen Tractate. 439 


quariſche und Ciceronianiſche immerhin als müßigen Beiſchmuck be⸗ 
trachten mögen. 

Bald nach Petrarca zeigt ſich der Abfall und zwar zunächſt darin, 
daß das ſubjective Intereſſe der Schriftſteller, der Trieb nach Wahr⸗ 
heit völlig zurückſchwindet und der ſchulmäßigen Behandlung weicht. 
Hierhin gehören gleich Salutato's Tractate über Schickſal und Glück, 
über Weltleben und Mönchthum, über die Ehrfurcht, ferner die politi⸗ 
ſchen über den Tyrannen, über Wahl⸗ und erbliches Fürſtenthum, über 
die Königskrönung, inſofern wir auf ſie alle aus ſeinen philoſophiren⸗ 
den Briefen einen Schluß ziehen dürfen. Auch von der ſpäteren 
Tractatenliteratur dürfen wir nur eine Reihe von Titeln namhaft 
machen, um auf den Inhalt ſchließen zu laſſen. Poggis's Werke ſtehen 
als die geleſenſten obenan, er wußte ihnen einen beſondern Reiz zu 
geben, indem er nebenbei Späße erzählte, auf ſeine literariſchen Geg⸗ 
ner oder auf die Mönche und Juriſten loszog oder ſeiner frivolen Laune 
den Zügel ließ. Seine moraliſchen Schriften über die Pflicht des 
Fürſten, über den unglücklichen Stand der Fürſten, über den wahren 
Adel, über die Veränderlichkeit des Glücks, über das menſchliche Elend, 
über den Geiz zeigen trotz allen muntern und intereſſanten Beigaben 
doch den antiken Stoiker. Der Dialog gegen die Heuchler iſt aber 
ſchon eine Kriegserklärung gegen die Bettelmönche, gewürzt durch per⸗ 
ſönliche Angriffe und Anspielungen, und die ſchalkhafte Behandlung der 
Frage, ob ein Greis noch heirathen ſolle, war um ſo piquanter, da 
der Verfaſſer darin ſeine eigene Ehe vertheidigte. Auch das ernſtere 
Werk des Francesco Barbaro über die Ehe wurde noch in ſpäteren 
Zeiten gern geleſen. Des Enea Silvio Tractate ſchließen ſich an die 
Poggio's geradezu als die eines Schülers an. Valla's Abhandlungen 
über die Wolluſt oder das wahre Gut und ſein Dialog über die Willens⸗ 
freiheit ſind in einer andern Beziehung ſchon erwähnt worden. Und 
wenn wir hören, daß Manetti vier Bücher über die Würde und Hoheit 
des Menſchen, daß Bartolommeo Fazio gleichfalls über die Würde und 
den Vorrantz des Menſchen oder über das menſchliche Lebensglück ge⸗ 
ſchrieben, fo ſpüren wir wenig Verlangen nach dieſen und ähnlichen 
Werken, welche die bekannten und beliebten Themata immer nur von 
Nenem vartiren. 

Mit einem beſondern Stolz haben die Humaniſten ſelbſt auf ihre 
Geſchichtſchreibung geſehen und die Italiener ſind bis auf den heu⸗ 
tigen Tag von der Trefflichkeit ihrer Leiſtungen überzeugt. In der 


440 VII. Die Geſchichtſchreibung. 


That liegt hier für die Nachwelt die ſchmackhafteſte Frucht ihrer Studien, 
doch dürfen wir ſie nicht ohne Prüfung hinnehmen. Es erfolgte aller⸗ 
dings ein entſchiedener Umſchwung der hiſtoriſchen Kunſt zunächſt Ita⸗ 
liens, als die Chroniken der Mönche und Stadtſchreiber durch die Werke 
der Humaniſten in den Hintergrund gedrängt wurden. Jene hatten 
geſucht, den Stoff, der ihnen denkwürdig erſchien, in irgend welcher 
Form zu geben, nur damit das Geſchehene nicht in Vergeſſenheit ge⸗ 
rathe. Dieſe ſchrieben Geſchichte um der Kunſt der Hiſtoriographie 
willen, wobei der Stoff zum Momente zweiten Ranges wurde, ſie 
ſchriftſtellerten für ein Publicum, welches durch lebhafte und angenehme 
Darſtellung unterhalten fein wollte. Sie wünfſchten Autorruhm einzu⸗ 
legen und ihren eigenen Namen nicht minder als die Thaten derer, 
von denen ſie erzählen, auf die Nachwelt zu bringen. 

Cicero hat einmal über den Werth und die Hoheit der Geſchichte 
eine Reihe von ſtolzen Worten in die Welt geſchickt: die Geſchichte ſei 
die Zeugin der Zeiten, das Licht der Wahrheit, das Leben der Ver⸗ 
gangenheit, die Lehrmeiſterin des Lebens, die Verkünderin des Schönen.) 
Seine modernen Schüler von Petrarca an ſprachen dieſe Phraſen mit 
Wohlgefallen nach, zumal da die Würde der Geſchichte billig auch die 
der Geſchichtſchreiber in ſich zu ſchließen ſchien. Gern betonten ſie den 
moraliſchen Nutzen der Geſchichte. Dieſe hat nach ihrer Meinung vor⸗ 
zugsweiſe den Beruf, zu allen Tugenden anzufpornen, die das Alterthum 
preiſet und deren erhabene Vorbilder es aufweiſet, zur Tapferkeit und 
Beſcheidenheit, zur Vaterlandsliebe und Großherzigkeit, auch wohl zu 
den Tugenden des Chriſtenthums und ſogar zu jenen Zierden der Per- 
ſönlichkeit, die dem Italiener als Tugenden erſchienen, zur Urbanität 
des Umgangs, zur Gewandtheit in allen Geſchäften des politiſchen und 
ſocialen Lebens und vor Allem — zur Beredtſamkeit. In der Vor⸗ 
ausſetzung ferner, daß der Geſchichtſchreiber auch das zu üben verſtehe, 
was er zu rühmen und mit glänzenden Beiſpielen aus dem Alterthum 
zu belegen weiß, fühlte er ſich vor Andern zum politiſchen Beurtheiler 
und Rathgeber, zu Ehrenſtellen und zum Gebieten berechtigt. Schon 
Petrarca war dieſes wunderlichen Wahnes voll. Er hat Lebensbeſchrei⸗ 
bungen großer Männer des Alterthums verfaßt, ferner Beiſpiele von 
Tugend und Weisheit aus der älteren Geſchichte in der beliebten Weiſe 
des Valerius Maximus geſammelt (die vier Bücher rerum memoran- 


) De oratore II, 9, 36. 


VII. Die Geſchichtſchreibung. 441 


darum), er hat endlich eine großartige allgemeine Geſchichte, die von 
Nomulus bis auf die Zeiten des Kaiſers Titus reichen follte, wenig⸗ 
ftend entworfen und begonnen.) Seine Kenntniß des Alterthums er⸗ 
regte mit Recht das Staunen der Zeitgenoſſen. Kein Wunder, wenn er, 
der nur im Studirzimmer und unter ſeinen Büchern wahrhaft lebte, doch 
die ganze politiſche Weisheit des alten Rom in ſich fühlte und ſich be⸗ 
rufen glaubte, Kaiſern und Königen Rath zu ertheilen, Feldherren und 
friedlich⸗waltenden Fürſten einen Idealſpiegel ihrer Thätigkeit vorzuhalten, 
ſelber Geſandtſchaften zu übernehmen und ſein Wort überall in die 
Waagſchale zu legen, wo es ſich um die Geſchicke Italiens handelte. 
Unterſcheiden wir den zeitgendffifchen Ueberlieferer, den Verfaſſer 
von Denkwürdigkeiten vom wiſſenſchaftlichen Geſchichtsforſcher, ſo wün⸗ 
ſchen wir dem erſteren eine unterrichtende Stellung, ein treues Auge 
Hund eine naive, offene Weiſe zu erzählen. Gerade dieſe Eigenſchaften 
find es, die den Humaniſten gar oft abgehen. Die wenigſten lebten 
in einer Sitnation, die ihnen den Einblick in größere Staaten⸗ und 
Weltverhältniſſe geöffnet hätte. Lionardo Bruni und Flavio Biondo, 
vie uns Ereigniſſe aus ihrer Zeit erzählen, waren, als ſie dieſelben 
erlebten, päpſtliche Secretäre. Des erſteren Blick reicht wenig über 
das Intereſſe und Geſchwätze der Curie hinaus, er ſchreibt, was er 
ſich erinnert in früheren Jahren gehört zu haben, und das Wenige, 
was er feldft mitangeſehen; auf den klaren Stil legt er höheren Werth 
als auf die Berichte.) Der wackere Biondo kennt eigentlich nur die 
Kriege im Kirchenſtaat, über welche bei Papſt Engen tägliche Nachricht 
einlief und in denen er ſelbſt mehrmals als Geſandter thätig war; die 
gleichzeitigen Vorgänge am basler Concil, die nicht minder zu des Pap⸗ 
ſtes Noth beitrugen, verflüchtigen ſich ihm ſchon zu allgemeinen Klagen 
und Phraſen, wie man fie eben an der Curie zu hören gewohnt war.“) 


) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 411), er nennt es ein opus im- 
mensum temporisque et laboris capacissimum. 

2) So ſagt er ſelbſt in der Vorrede ſeines Rerum suo tempore gestarum 
(1378 — 1440) Commentarius (ap. Muratori Scriptt. T. XIX): Leider ſeien die 
Zeiten des Demoſthenes und Cicero bekannter als die vor etwa ſechszig Jahren. 
Der Grund liege bei letzteren im Mangel an würdiger Ueberlieferung. Literae qui- 
dem, nisi sint illustres atque disertae, claritatem rebus afferre non possunt h 
memoriam earum in longum extendere. 

) Das Selbſterlebte erzählt er in ſeinen Historiarum ab else Roma- 
norum Libri XXI. Basileae, 1559 im 2—10. Buche der dritten und im 1. Buche 
ber vierten Decabe. 


442 VII. Die Geſchichtſchreibung. 


Die Humaniſten waren meiſtens an den Höfen ober in republiea⸗ 
niſchen Staatsämtern verſorgt, fie mußten daher den fürſtlichen ober 
patriotiſchen Eitelkeiten ſchmeicheln. Daher wieder der lobfingende Ton, 
der faſt in allen ihren Geſchichtswerken herrſcht, inſofern ſie ihr Ob⸗ 
jert der Gegenwart, der Geſchichte einer beſtimmten Stadt oder Dy⸗ 
naſtie entnehmen. Die blaſſen Thaten eines dürftigen Zeitalters wer⸗ 
den mit künſtlicher Schminke herausgeputzt, unbedeutende Menſchen und 
Begebniſſe ſchwellen durch claſſiſche Streiflichter zu heldenhafter Größe 
an. Der Hiſtoriograph ſelbſt des kleinſten und nüchternſten Fürſten, 
irgend eines Condottiere oder der armſeligſten Provincialſt dt bedient 
fich des antiken Apparates. Gedenken wir hier noch einmal jenes Por⸗ 
cello, der den erbärmlichen Söldnerkrieg von 1452 und 1453 als einen 
puniſchen beſchrieb. Wenn Giacomo Zeno, ein venetianiſcher Nobile, 
das Leben ſeines Großvaters Carlo ſchrieb, der einſt Truppen geführt, 
ſchildert er ihn ganz wie einen livianiſchen Tonſul und läßt ihn lange 
Reden mit Commilitones und Patres conscripti halten, als habe er 
die Legion und den Senat des alten Rom vor ſich.) Ein ferrareſi⸗ 
ſcher Chronift, der eben auch nicht viel Großes zu erzählen hat, hebt 
alſo an: „Es iſt erhabenen Gemüthern von der Natur eingepflanzt, 
daß fie nach dem Ruhme der Unſterblichkeit trachten. Auf dieſem Wege 
wandelten alle die edlen Römer, die Geiſt und Leib dem Freiſtaate 
weiheten.“ Marmor und Erz, jo fährt er dann fort, ſchwinden be 
hin; Redner, Dichter und Geſchichtſchreiber allein führen den, den ſie 
feiern, ſicher der Unſterblichkeit zu. Daß der begeiſterte Autor dabei 
auch ſeiner ſelbſt nicht vergißt, ſieht man aus ſeiner Aeußerung: „Was 
find Julius Cäſar's Siege gegen die Feinheit und Eleganz feiner Con⸗ 
mentarien?“) 

Eine Sitte der antiken Hiſtoriographie, die von den Humaniſten 
mit großem Eifer aufgenommen wurde, war die Einlegung von Reden. 
Man weiß, daß Thukydides ſie zur Ausmalung der Situation und zur 
Charakteriſtik verwendete. Schon Salluſtius und Livius machten red⸗ 
neriſche Schauſtücke daraus und die Reden ihrer Nachahmer, der Hu⸗ 
maniſten, find vollends eher geeignet, auf das Erzählte ein falſches 


) Seine Vita Caroli Zeni bei Murat ori Seriptt. T. XIX. In dieſem Sinne 
äußert er ſich auch Praefat. p. 204 theoretiſch über die Aufgabe des Geſchichtfchreibers: 
effingit cogitationes hominum, sermones conventionesque; temporum rationes, 
motus, figuras corporum ef fert etc. 1 


2) Bei Muratori Seriptt. T. XX. p. 442. 458. 


VII. Die Geſchichtſchreibung. 443 


Licht zu werfen als es deutlicher erkennen zu laſſen. Das Kunſtmittel 
ſollte unn die nüchternen Ereigniſſe voller und hochherziger, die Dar⸗ 
ſtellung wärmer und lebhafter machen. In der Wirklichkeit gab es 
nicht viel zu reden, ſeitdem die Adminiſtration und die Diplomatie 
ſich immer mehr der Actenform ergaben. Nach den Geſchichtswerken 
aber ſollte man glauben, in jedem kleinen Rathhauſe habe eine attiſche 
Ekkleſia oder ein capiteliniſcher Senat getagt, ein Demoſthenes gegen 
den Staatsfeind oder ein Cicero gegen den Verſchwörer gedonnert, die 
Throne und militäriſchen Commando's term mit m Rhetoren 
beſetzt geweſen. 

Obwohl manche dieſer Mängel theilend, ragt doch er über bie 
Mamoiriſten feiner Zeit hinaus Enea Silvio de’ Piccolomini, der fat 
zwei Drittheile ſeiner männlichen Jahre auf deutſchem Boden, am bas⸗ 
ler Concil und am Hofe des Kaiſers zugebracht, den Italien erſt als 
Cardinal und Papſt kennen lernte. Hier konnte er über ſeine Erleb⸗ 
niſſe in Deutſchland ſchreiben, was ihm beliebte, und dann überhob 
ihn ſeine kirchliche Würde wenigſtens derjenigen Feſſeln, die den Höf⸗ 
ling beſchränkten. Er war als Geſchichtſchreiber ein wenig ruhmredig 
und oft der Anwalt ſeiner Partei, aber ein Mann, der wirklich viel 
erlebt und meiſtens an der Stelle, wo die Fäden des politiſchen Ge⸗ 
webes ausgingen und wohin ſie wieder gelangten, der zu ſehen und zu 
erzählen verſtand, wenn er auch nicht ſelten mehr ausplauderte, als er 
ſollte, und in andern Fällen mehr, als er wußte. 

Nicht viel beſſer ſtand es auf dem Gebiete der Geſchichtsforſchung, 
inſofern ſie vergangene Zeiten ergründet und beleuchtet. Die Periode 
ſeit dem Verfall des römiſchen Reichs wurde wenig beachtet, ja von 
Vielen gleich den Geſchichtſchreibern jener Zeit völlig verachtet. Poggio, 
Bruni und Biondo konnten mit vollem Recht ſagen, daß die Zeiten 
der Griechen und Römer ungleich genauer bekannt ſeien als die nächſt⸗ 
vergangenen, weil jene durch geſchickte Geſchichtſchreiber verherrlicht 
wurden. Darum ſchilt ein Literat wie Poggio ſolche Fürſten, die es 
verſäumen, ſich mit gelehrten und eloquenten Männern zu umgeben; 
ſie verdienen, meint er, daß ihr Ruf mit dem Körper ſtirbt und ihr 
Name der Ewigkeit verloren geht. Denn an würdigem Stoffe ſcheint 
es ihm auch in der modernen Geſchichte nicht zu fehlen: warum ſollten 
zum Beiſpiel die Thaten Tamerlan's nicht ebenſo gern geleſen werden 
wie die des makedoniſchen Alexander? nur am Herold hat jener es 
fehlen laſſen. Auch macht Poggio die Bemerkung, daß Lipius ja oft 


444 VII. Die Geſchichtſchreibung. 


recht winzige Dinge von den alten Römern erzähle, die nur durch ſeine 
Darſtellung großartig und würdig erſcheinen, und daraus ſchließt er, 
daß es niemals an Geſchichte fehle, wo nur tüchtige Geſchichtſchreiber 
da ſind.) Um dieſes Mangels willen gaben die Humaniſten das 
Mittelalter faſt ganz verloren. Die dürren Chroniken nahm höchſtens 
einmal der ſtädtiſche oder fürſtliche Hiſtoriograph zur Hand, um den 
Stoff durch ſchönen Stil und Reden auszuzieren und ſo zum neuen 
Kunſtwerk umzugeſtalten. Selbſt die großen florentiniſchen Annaliſten 
traten ins Dunkel zurück, ſeitdem Bruni und Poggio das Beſte ant 
ihren Werken in elegantem Latein vorgetragen. Die allgemeine Ge⸗ 
ſchichte des Mittelalters beſchäftigte höchſt ſelten die Federn der Hu⸗ 
naniſten. Außer Biondo's oben beſprochener Arbeit wüßten wir nur 
noch die Geſchichte des erſten Kreuzzuges von Benedetto Accolti und 
des Bartolommeo Sacchi aus Piadena, des ſogenannten Platina, Ge⸗ 
ſchichte der Päpſte als Werke von einiger Bedentung aufzuführen. 
Dürftige Ueberſichten wie die des Erzbiſchofs Antoninus von Florenz 
und des Donato Boſſi kommen hier nicht in Betracht als nicht zur 
humaniſtiſchen Schule gehörig. 

Die alte Geſchichte war natürlich das Lieblingsfach der Humani⸗ 
ſten, aber auch ſie, zumal die nicht⸗römiſche, blieb den meiſten ein zer⸗ 
riſſenes Stückwerk, ein bunter Kram von Notizen, Schlagworten und 
Anekdoten, wie er eben aus der planloſen Lectüre dieſes und jenes 
Autors gewonnen und dann von einem Buch ins andre vertragen wurde. 
Petrarca's Gedanken einer Univerſalgeſchichte des Alterthums, des rö⸗ 
miſchen mindeſtens, hat noch lange niemand aufzunehmen gewagt. Der 
einzige Biondo hätte zugleich das Talent und die Beſtändigkeit zu einem 
ſolchen Unternehmen gehabt, ihm fehlte die Aufmunterung und mehr 
noch die Kenntniß des Griechiſchen. Mit beſſerem Erfolge wurde da⸗ 
gegen das Studium der römiſchen Alterthümer angebahnt: hier ift 
Biondo in erſter Reihe zu nennen, neben ihm beherrſchten Filelfo, Pog⸗ 
gio und Bruni weitere Gebiete, und manches Beſondere ward von Ein⸗ 
zelnen geleiſtet. Dieſe Bemühungen haben, mag man auf ihren wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Werth jetzt herabſehen, an ſich einen kaum zu ermeſſenden. 
In ihnen erwuchs durch den Widerſtreit der Autoritäten, durch die 
Nothwendigkeit, zu vergleichen und zu prüfen, zu ſichten und zu ſondern, 
die Kritik, eine Kraft, deren ſich die naive Glaubenswelt nicht bewußt 


) De variet. fort. Lib. I. p. 34 8d. 77. 


vll. Die deſtructiven Tendenzen. | 445 


geworden war. Man belauſche nur die kecken Flügelſchläge die⸗ 
fer Kraft in den Alterthumsſorſchungen eines Biondo, Valla und 
Filelfo, man wird ſie dann in verſchiedenem Grade bei allen ihren 
Vorgängern von Petrarca an, bei allen ihren Zeitgenoſſen und Nach⸗ 
folgern wiederzufinden wiſſen und die ungeheure Wirkung ahnen, welche 
ſie gegen die Throne der Tradition und Autorität geübt hat. Im 
Alterthum erhielt man ein Gebiet, welches den Glauben nicht in An⸗ 
ſpruch nahm, den Trieb der wahren Wiſſenſchaft aber berausforberte. 
Wie nahe lag es, die hier geſchmiedete Waffe, die hier geſchulte Geſchick⸗ 
lichkeit auf andre. Gebiete der Ueberlieferung zu tragen! Die Kritik 
hat dem Kampfe der Geiſter nicht minder eine neue Geſtalt gegeben 
als das Feuergewehr dem Kampfe der körperlichen Kräfte. 

Soviel von den poſitiven Leiſtungen dieſer Wiedergeburtsliteratur. 
Geſtehen wir, jie iſt an ſich nicht entfernt das, was die Literatoren 
ſelber wähnten. Sie hat kaum etwas Selbſtſtändiges und Nichts auf⸗ 
zuweifen, was nicht im nächſten Jahrhundert ſchon überflügelt worden 
wäre. Die Humaniſten glaubten ein neues auguſteiſches Zeitalter be⸗ 
reits darzuſtellen, ſie haben in Wahrheit nur den Acker bereitet und 
Keime für die Zukunft gepflanzt. Mindeſtens ebenſo bedeutſam find 
ihre deſtruetiven Tendenzen, ihr Kampf gegen die beſtehende 
Wiſſenſchaft. Dieſer Kampf nahm in dem Zeitraum, den wir hier 
beſprechen, mehr den Charakter einer einſeitigen ſiegreichen Polemik an, 
vurch welche die Humaniſten ihre Gegner, die Verfechter der überliefer⸗ 
ten Syſteme, aus dem Felde ſchlugen. Erſt nach den empfindlichſten 
Niederlagen brachte es der Feind zu energiſchen Reactionen. 

Es iſt ein fördernder und nothwendiger Gegenſatz, den die genie⸗ 
ßende Schöngeiſterei gegen ein zuſammenhängliches, oft trockenes und 
mühſames Studium, den eine gleißende Univerſalbildung gegen die be⸗ 
ſchränkte und pedantiſche Stubengelehrſamkeit, den der künſtleriſche Trieb 
gegen die dürre eingelernte Methode bildet. Reine Menſchenbildung 
iſt ſelten aus der einförmigen Kloſterzelle, aus dem dumpfen Hörſaal 
und bei der nächtlichen Lampe ans Tageslicht gefördert. Auf der andern 
Seite wird ſie auch von den Glücklichſt⸗Begabten nicht ohne Mühe und 
Kampf gewonnen. Der Gelehrte wühlt oft in den Hüllen, ohne den 
Kern zu finden; der Schöngeiſt giebt die bunteſten Fetzen der Hülle 
für den Kern ſelber aus. Jener zuckt die Achſeln, wenn er ſieht, wie 
geſchäftig dieſer die flüchtig⸗ erworbenen Schätze auf den Markt trägt; 
dieſer beſtiehlt den Fleiß der ſtillen Nächte und lacht über den Pedan⸗ 


448 vil. Der Kampf gegen bie Weisheit der Hochſchulen. 


ten, ver ihn nicht zu verwerthen wußte. Denn die ſtrenge Wiſſenſchaft 
hat immer geſtrebt, ihre überkommenen und erworbenen Gäter in enge 
ren, kaſtenhaften Kreiſen zu ſichern und zu hegen; dagegen iſt es das 
Beſtreben aller Schöngeiſter, ihr Publicum zu erweitern und ihm mit 
eitler Prätenſion Alles darzubieten, was ſie ſelbſt nur gerade ſo weit 
verſtanden, um es zugeſtutzt und aufgeputzt in weitere Circulation ſetzen 
zu können. Während ſo die ausſchließende Wiſſenſchaft Maſſen von 
unfruchtbarem Stoff anſammelt, führt ihre leichtfertige Nebenbuhlerin 
eine Fülle von unreifen Kenntniſſen, von mißverſtandener Wahrheit 
und flüchtig⸗erfaßter Halbwahrheit tändelnd in die Welt aus. 

In dieſem Sinne begann der jugendliche Humanismus feinen Kampf 
gegen die Weisheit der Hochſchulen. Wir fahen, wie ſchon Petrarcn 
ihn auf allen Gebieten zugleich entzündete. Bewundernswerth iſt feine 
Stegesgewißheit: er war feſt überzeugt, daß die Scholaſtik ſtürzen müſſe 
und daß feinem chriſtlichen Humanismus die ganze Zukunft gehöre. 
„Siehe jene an, die ihr ganzes Leben mit dialektiſchen Klopffechtereien 
und Sophiſtereien zubringen und ſich beſtändig in eitlen Fragen ab⸗ 
mühen, und höre meine Wahrſagung über ſie alle: All ihr Ruhm wird 
mit ihnen zuſammenſtürzen, für ihren un und ihre Gebeine win 
ein Grab genügen!“ ') 

Es waren nicht die Wiſſenſchaften ſelbſt, die von den Humaniſten 
angegriffen wurden, es war die ſcholaſtiſche Methode und die Weisheit 
der Kathedermänner, die ſich mit ihr breit machte. Wie hätte man die 
einzelnen Disciplinen an ſich mißachten können, die Rechte und die 
Medicin, deren ja das tägliche Leben bedurfte, die Philoſophie und die 
Grammatik, auf deren ſchulender Kraft ja auch die Bildung des Schön⸗ 
geiſtes ruhte. Ferner waren alle dieſe Fächer aus dem Alterthum 
überkommen und beriefen fich auf die Werke der Griechen und Römer, 
ſo verfälſcht und unkenntlich dieſe durch die ſpäteren Zuthaten auch 
geworden. Wer noch ſo keck gegen die aufgeblaſenen Lehrer der Arzenei⸗ 
kunde und gegen die gauneriſchen Aerzte loszog, blieb doch mit Ehr⸗ 
erbietung vor dem Namen eines Hippokrates ſtehen. Wer noch ſo ver⸗ 
ächtlich von den dialektiſchen Künſten ſprach, wagte doch nicht leicht 
Ariſtoteles anzutaſten. Die Theologie befand ſich, wie wir ſehen wer⸗ 
den, in einem beſonderen Falle, aber auch ihr waren ehrwürdige Na⸗ 
men wie Hieronymus und Auguſtinus nicht überflüſſig. Den andern 


) Petrarea epist. rer. famil. I, 1. 


VI. Humaniſten und Juriſten. 447 


Diselplinen muthete man eine Reform, zunächſt eine Rückkehr zu ihren 
antiken Grundlagen an. Bei einigen meinte man den beſſeren Weg 
ſchou gefunven: die Schulphiloſophie zum Beiſpiel ſollte zur Lebens⸗ 
moral, die Grammatik zur Eloquenz heranwachſen und heranziehen. 
In der Medicin und den Rechten überließ man es den Fachgelehrten, 
die neue Bahn zu ent und ſetzte ihnen unterdeß mit deſto biſſigeren 
Angriffen zu. 

Bald find es die Hochſchulmeiſter, bald die Praktiker, die dem 
freien Humaniſten lächerlich erſcheinen. In beiden Fällen hatte der 
Neiv an ihrem Haſſe keinen geringen Antheil. Im bürgerlichen Leben 
ſpielten die Juriſten die erſte Rolle: „fie ſaßen an der Seite der Für⸗ 
ſten und waren das Orakel der Höfe.“ Auf den Univerfitäten ſtanden 
fie obenan, fie waren hier oft auf Lebenszeit ſichergeſtellt und wurden 
durch ihre Eonfilien reiche Männer. Ein Niccolo de' Tudeschi, der 
Held der canoniſtiſchen Gelehrſamkeit und bekannter unter dem Namen 
des Abbas Siculus, bezog während ſeines Aufenthaltes in Bologna 
einen Sole von 800 Scudi, ſpäter trat er in neapolitaniſchen Dienſt 
und wurde Erzbiſchof von Palermo. Zu Padua gab man dem berühm⸗ 
ten Giovanni da Imola (1406) und dann auch dem Paolo da Caſtro 
(1480) Gehalte von 800 Ducaten.) Dagegen klagt Lauro Quirino, 
der um 1453 ebendaſelbſt Rhetorik und Moral lehrte, daß man ihn 
mit einem Solve von 40 Ducaten abfinde, während den Männern des 
bürgerlichen Rechts glänzender Lehn würde.) Man nehme dazu, daß 
Lorenzo Valla einmal um 50 Zecchinen zu Pavia die Eloquenz lehrte 
und daß ſeine beiden Nachfolger, unter denen der nicht mehr unbe⸗ 
kannte Becradelli war, ſich in dieſen Sold gar theilen mußten.) Auch 
Bologna wurde noch ganz von den Juriſten beherrſcht und war den 
Humaniſten faſt unzugänglich. Hier galten Männer wie Antonio Bu⸗ 
trio, Flaviano, Niccolo della Jaba, die heutzutage völlig vergeſſen ſind, 
und der Stolz der Hochſchule war Giovanni da Imola, der das ganze 
Corpus juris commentirte. Dagegen verſuchte Aurispa als Lehrer des 
Griechiſchen vergebens ſein Glück: „Ich bin hier verpflichtet, ſagt er, 
die griechiſche Sprache zu lehren, aber ich finde nicht nur keine Ge⸗ 


) v. Savigny Geſch. des röm. Rechts im Mittelalter. Bd. VI (2. Ausgabe) 
S. 278. 288. 

2) Sein Schreiben an Francesco Barbaro unter deſſen Briefen epist. 216. 

) Zumpt Leben und Verdienste des L. Valla a. a. O. p. 411. 


448 VII. Humaniſten und Jnriſten. 


legenheit dazu, ſondern alle Humanitätsſtudien liegen den Geiſtern ſo 
fern, daß ich nicht ohne Ekel hier verweile.“) Auch Filelfo lehrte 
nur ſehr vorübergehend in Bologna, ein halbes Jahr lang und indem 
ihn Cardinal d' Allemand, der päpſtliche Legat, aus feiner Privateaſſe 
bezahlte.) Keiner der Humaniſten hat ſich an dieſer Hochſchule halten 
können. ä 

Allerdings war der belebende und bewegende Geiſt aus den Rechte 
ſtudien in demſelben Maße entflohen, als er in den humaniſtiſchen er⸗ 
wachte. Die alten Quellen des römiſchen Rechts hatte man durch die 
Stoffe mehr verſchüttet als aufgedeckt, zur Gloſſe aber geſellte ſich noch 
die Auslegung einer Reihe von berühmten Rechtslehrern und ſo rollte 
ſich ein immer wachſender, unentwirrbarer Knäuel zuſammen von Ci⸗ 
taten und Autoritäten, von Definitionen, Diviſionen und Diſtinctionen, 
von Exceptionen, Replicationen und Duplicationen. Die Zeiten eines 
Cinus, Bartolus und Baldus waren nicht mehr, wohl aber lag ihr 
Erbe wie eine drückende Laſt auf der Wiſſenſchaft. Die Wenigen, die 
ſich mit unermüdlichem Fleiße durch den Wuſt durcharbeiteten und 
einige Ordnung hineinzubringen wußten, galten als die großen Juriſten 
des Zeitalters. Ihre Namen werden uns genannt und ihre Gelehr⸗ 
ſamkeit gerühmt, aber man ſprach von ihnen wie von Perſonen, die in 
dunkler Ferne oder vor Jahrhunderten lebten, und über ihre Schriſt⸗ 
werke wußte der Laie nur unbeſtimmt und von Hörenfagen zu reden. 

Männer, die zeitlebens unter Titeln, Capiteln und Gloſſen kram⸗ 
ten, mußten wohl Pedanten werden. Erzählte man ſich doch von dem 
großen Bartolus, er habe ſich die tägliche Speiſe jedesmal abwiegen laſſen, 
um auch feine Denkmaſchine in gleichem Gange zu erhalten. Den 
Giovanni da Imola beſuchte einer der Humaniſten und fand ein ganz 
‚unter Büchern vergrabenes Männchen, das ohne feine Bücher ein 
völliges Nichts war.) Die neue, aus dem Alterthum geſchöpfte Bil⸗ 
dung blieb ihnen fremde. Wenn aber einzelne von ihnen, wie ſchon 
Cino, dann Mariano de’ Sozzini aus Siena, Francesco d Accolti, ein 
Schüler, Cato Sacco, ein Freund Filelfo's, Silano Negri, wirklich 
Geſchmack an elegantem Latein und ciceronianiſcher Philoſophie gefunden 


) Sein Brief unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 55. 

) Filelfo's Brief an Aurispa v. 23. Febr. und an Traverſari v. 17. März 
1428, letzterer unter denen des Ambros. Travers. XXIV, 30. 

) Aeneas Sylvius de vir. clar. XIX. 


VII. Humaniſten und Juriſten. 449 


oder wenn fie ſich in tusciſchen Liebesreimen verſuchten, fo blieb dieſe 
Beſchäftigung ein Spiel der Erholungsſtunden und ohne jede Einwir⸗ 
kung auf ihre Fachwiſſenſchaft. Der Humaniſt in ihnen war gleichſam 
ein andrer Menſch als der Juriſt. 

Eine Reihe der namhafteſten Humaniſten hatte in jüngeren Jah⸗ 
ren, meiſtens gezwungen und widerwillig, den Rechtsſtudien obgelegen, 
Petrarca, Boccaccio und Salutato, Bruni und Filelfo, Beceadelli, 
Piccolomini und Vegio. Von den Muſen gelockt, waren ſie dann der 
Rechtsſchule entlaufen und behielten nun mehr oder weniger vom Haſſe 
der Apoſtaten gegen die ihnen aufgedrungene Juriſterei. Wen einmal 
die ſriſche Genialität des Humanismus berührt, dem widerſtand dieſes 
Spiel mit trockenen Formen und Formeln, deren Zuſammenhang mit 
Menſchenthum und Leben dem Bewußtſein völlig entſchwunden war. 

Seit Petrarca die Axt an den Baum gelegt, war kaum einer ſei⸗ 
ner Nachfolger, der ſich nicht in Hieben gegen die Juriſterei verſucht 
hätte. Boccaccio, der immer nur die nachträglichen Streiche austheilt, 
wo ſein Herr und Meiſter voran in den Kampf gegangen, ärgert ſich 
beſonders an dem prunkvollen Auftreten der Juriſten, die freilich in 
ihrem purpurnen Ornat und gefolgt von einer Schaar Clienten, auf 
den armen Dichter wie auf einen erbärmlichen Hungerleider herab⸗ 
ſchauten. Aber an einem Laſter, ſagt Boccaccio, kranken ſie alle, dieſe 
ſtolzen Lehrer der Rechte und Vorſitzenden der Gerichtshöfe, an niedri⸗ 
ger Geldgier. Kleben nicht an ihrem Erwerbe die Thränen der Armen 
und Elenden, die ſie mit ihrer käuflichen Zunge ins Verderben geſtürzt? 
Doch ihr Name, tröſtet er ſich, wird trotz den reichen Kleidern, die 
ihren Körper umhüllen, mit dieſem ſterben, während des Dichters Name 
mit feinen Gedichten unſterblich fortlebt.') 

Von Coluccio Salutato wiſſen wir, daß er Tractate geſchrieben 
hat de nobilitate legum et medicinae und Quod medici eloquen- 
tiae studeant; beide liegen ungedruckt in einer florentiniſchen Biblio⸗ 
thek. Nur ſoviel hören wir, daß er gegen die ärztliche Quackſalberei 
und gegen den aſtrologiſchen Spuk energiſch zu Felde zog, darin ein 
echter Jünger Petrarca's. Die Rechte hat er vergleichungsweiſe in 
Ehren gehalten und wenigſtens in ihren antiken Grundlagen als Wiſſen⸗ 
ſchaſt anerkannt. Der Stein des Anſtoßes wird ihm als eifrigem Ci⸗ 
ceronianer die ſtiliſtiſche Unbeholfenheit der neueren Juriſten geweſen 


1) De geneal. Deor. Lib. XIV. cap. 4. 
Voigt, Humanismus. 29 


450 VII. Humaniſten und Juriſten. 


fein, während auf der andern Seite die knappe Kürze, die klare Schärfe 
der Juriſten des alten Rom ihn wieder mit ihrer Wiſſenſchaft aus⸗ 
ſöhnte. 

Salutato's Zögling Lionardo Bruni ſprach von den Rechtswiſſen⸗ 
ſchaften, die ihm einſt aufgedrungen worden, mit Verachtung. Die 
Studien der Humanität, ſagt er, vervollkommnen und ſchmücken den 
Menſchen. Dazu kann die Rechtskenntniß nichts beitragen. Mag er 
nun wiſſen, was bei der Ableitung des Regenwaſſers Rechtens iſt, 
ob das Kind einer Sclavin zu den Früchten gerechnet wird, ob zur 
Errichtung eines Teſtamentes durchaus ſieben Zeugen gehören, oder 
mag er es nicht wiſſen, das iſt für ſeine menſchliche Bildung ganz 
gleichgültig. Ihm mache alle dieſe Weisheit der Cino und Dino nur 
Langeweile. Ganz andern Ruhm dürfe erwarten, wer Ariſtoteles und 
Cicero ſtudirt, und auch im Leben könne er ſich eine hohe Stellung 
erwerben — jo meint der wohlhabende Staatscanzler.') 

Maffeo Vegio hat in jener erſten Periode ſeines Lebens, in wel⸗ 
cher er ſich noch ganz als Dichter fühlte, ein juriſtiſches Lexikon (de 
verborum significatione) geſchrieben. Die Poeſie und die Rechts⸗ 
wiſſenſchaft ſind ihm wie Licht und Finſterniß. Er geſteht, daß er zu⸗ 
vor einen Abſcheu gegen die Leges gehabt, er ſpricht mit Verachtung 
von den Roffredus, Matarellus und Rainerius Forolivienſis, auch von 
Cinus und Bartolus, ſelbſt von Tribonianus, dem Günſtlinge Juſti⸗ 
nians, welcher die Schriften der alten Juriſten entſtellt und dadurch 
der lateiniſchen Sprache einen unendlichen Schaden zugefügt habe. Nun 
aber leſe er die Digeſten in ganz anderm Sinne, nicht um unendliche 
Tractate und Commentarien daraus zu ſpinnen, ſondern um die Fein⸗ 
heit und Eleganz der alten Legislatoren zu bewundern.) Man ſollte 
ſich indeß hüten, wegen ſolcher Aeußerungen Männer wie Vegio und 
Traverſari als „Vorboten“ der Jurisprudenz eines Alciatus, Zaſtus, 
Cujacius zu bezeichnen. Von der philologiſch⸗geſchichtlichen Methode, 
welche das Studium des römiſchen Rechtes in eine neue Bahn geführt 
hat, hatten ſie ſo wenig eine Ahnung als ihre Gegner. Ihre Bewun⸗ 
derung bleibt lediglich vor der „Eleganz, gefeilten Rede, Anmuth des 


> 


) Leon. Bruni epist. VI, 6. cf. epist. X, 24. pag. 197. 200. 


) Die Zueignung des Werkes an den Erzbiſchof von Mailand Bartolommeo 
della Capra v. 15. März 1433 bei Saxius Hist. liter. typogr. Mediol. p. 405 
bis 408. ö 


vll. Humaniſten und Juriſten. 451 


Stils, Energie des Ausdrucks“, vor dem „Schmuck und Glanz der 
Worte“ und der „Majeſtät der Sentenzen“ ſtehen, in denen ſie die 
ehrwürdige Hand eines Mucius Scävola, Servius Sulpicius oder An⸗ 
tiſtius Labeo herauszuerkennen meinen.) 

Das alles waren noch beſcheidene Meinungsäußerungen im Ver⸗ 
gleich zu dem Anſtoß, dem Valla's Kühnheit gab. Er lehrte die Rhetorik 
zu Pavia, wo wie zu Bologna und Padua die Juriſten das große 
Wort führten. Sie waren vielleicht ſchon deshalb gegen ihn gereizt, 
weil er in ſeinen „Elegantien“ die Sprache der alten wie der neuen 
Juriſten einer ſchonungsloſen Kritik unterworfen.) Ein angeſehener 
Juriſt ſprach einſt gegen ihn die Anſicht aus, daß Bartolus dem Ci⸗ 
cero bei weitem vorzuziehen ſei; keine Schrift Cicero's könne ſich auch 
nur mit dem kleinſten Buche des Bartolus, etwa dem de insigniis et 
armis, meſſen. Ihr Redekünſtler, ſagte er, kümmert euch mehr um 
die Worte als um den Inhalt, mehr um das Laub der Bäume als 
um die Früchte. Cicero erklärte er für einen unwiſſenden Schwätzer. 
Wir kennen Valla genügend, um uns vorzuſtellen, wie ihm die Galle 
ſchwoll, er beſchloß, die Beleidigung ſeiner Kunſt glänzend zu rächen. 
Er borgte jenes Buch von Cato Sacco, in einer Nacht verfaßte er die 
Streitſchrift dagegen, zugleich gegen Bartolus und die Juriſten über⸗ 
haupt. Er ſelbſt hat es zwar ſpäter beſtreiten wollen, daß dieſe Schrift 
eine Invective gegen Bartolus ſei, weil eine Invective nicht gegen Todte 
gerichtet ſein könne. Indeß verfährt er mit ihm genau wie mit ſeinen 
andern Gegnern, mit Fazio oder Poggio, und warum ſollte man nicht 
gegen Todte ebenſowohl Angriffe richten können, wie Petrarca bewun⸗ 
dernde Briefe an ſie ſchrieb? Auch thut der Name nichts zur Sache. 
Valla's Urtheil über das Buch von den Wappen war von vorn herein 
fertig: „Unſterbliche Götter, wie iſt hier Alles ohne Würde, ohne Ge⸗ 
wicht, wie albern! Man ſollte glauben, ein Eſel ſpreche, nicht ein 
Menſch.“ Bartolus wird mit Schimpfworten wie Dummkopf und Pin⸗ 
ſel behandelt, ihn und ſeinesgleichen, das heißt einen Accurſius, Bal⸗ 
dus und Dinus nennt Valla Gänſe, die nicht die römiſche ſondern 
eine barbariſche Sprache geſprochen oder vielmehr auf allen Gaſſen 
zum W der Menſchen geſchnattert. Den Vorwurf, den Vegio dem 


1) Vergl. b Travers. epist. V, 18, ein Brief, den auch v. Savigny im 
angebeuteten Sinne herangezogen bat. 8 
) z. B. Lib. IV. cap. 48. 


29 * 


452 VII. Humaniſten und Juriſten. 


Tribonianus gemacht, richtet Valla ſchon kecker gegen Kaiſer Juſtinia⸗ 
nus ſelbſt, in den Augen der Juriſten eine frevelhafte Majeſtätsbelei⸗ 
digung. Den neueren Juriſten, den Männern der Gloſſe, konnte Valla 
nicht deutlicher ſeine Meinung ſagen als gleich im Anfange der Schrift: 
„Von den Rechtsgelehrten iſt kaum einer, der nicht als völlig verächt⸗ 
lich und lächerlich erſcheine. Sie ſind ungebildet in allen Zweigen der 
Wiſſenſchaft, die einem freien Menſchen ziemen, und zumal in der 
Wohlredenheit, deren ſich doch die alten Jurisconſulti eifrigſt befleißig⸗ 
ten und ohne welche die Bücher derſelben unverſtändlich bleiben, ſie 
ſind ſo armſeligen Geiſtes, ſo gedankenloſen und thörichten Sinnes, 
daß ich das Mißgeſchick des bürgerlichen Rechts beklage, weil es der 
Ausleger faſt ganz ermangelt oder vielmehr diejenigen, welche es jetzt 
hat, nicht loswerden kann.“) 

Valla betrieb die Verbreitung dieſer Invective recht gefliſſentlich. 
Gleich am nächſten Tage ſandte er ſie Cato Sacco zu, dann dem alten 
Guarino nach Ferrara, der ihm mit freudiger Beiſtimmung dankte; 
Decembrio, dem Valla ſie widmete, las ſie in Mailand. Die Juriſten 
waren nicht nur in ihrem verehrten Bartolus ſondern auch unmittelbar 
und insgeſammt beleidigt. In Pavia hatte die juriſtiſche Facultät mit 
der philoſophiſchen ſchon vorher im Streite gelegen, darum betrachtete 
letztere Valla als ihren Bundesgenoſſen. Es kam zum Straßenſcandal 
und dürfen wir einem Feinde Valla's Glauben ſchenken, ſo mußte die⸗ 
ſer in eine Kirche flüchten und wäre ohne die Vermittelung Beccadelli's 
von den Studenten der Rechte zerriſſen worden.“) 

Auch Poggio finden wir, wo es einen ſolchen literariſchen Krieg 
gilt, allemal auf dem Kampfplatze. In jüngeren Jahren hatte er zwei 
Reden verfaßt, die eine zum Lobe der Rechtswiſſenſchaft, die andre zum 
Lobe der Medicin. Ob es bloße Exercitien waren oder ob er jene 
beiden Disciplinen inſofern vertheidigte, als ſie ſich auf alte Autoren 
ftügen, können wir nicht entſcheiden. Auch in feinen „gaſtlichen Dis⸗ 
putationen“ läßt er beide angreifen und in Schutz nehmen, aber leicht 
fühlt man heraus, auf welcher Seite ſein Herz iſt. Valla, der auf 
Hochſchulen lehrte, ging mehr den Männern der Katheder zu Leibe; 


) Dieſer Libellus iſt mit der Widmung an Decembrio in Vallae Opp. 
p. 633643 gedruckt. 

) Valla leugnet dieſen Vorgang im Weſentlichen ab; vergl. ſeine Invectiva in 
Bart. Facium IV (Opp. p. 629. 630). 


VII. Humaniſten. — Juriſten und Aerzte. 453 


Poggio, der Curialbeamte, ärgert ſich an den Praktikern und hält bald 
ſeine Eloquenz bald ſeinen ciceronianiſchen Tugendbegriff als Maßſtab 
an ihre Thätigkeit. Das römiſche Recht, meint er, werde lediglich 
noch betrieben, um geldſchneideriſche Advocaten zu nähren. Nur in 
Italien, ja nur in einem Theile Italiens gelte es und auch da gebe 
es ſo viel Anlaß zu Händeln und Zank, daß man es lieber entbehren 
möchte. Den aufgeblaſenen Menſchen, die mit ihren Bartoli und Baldi 
gelehrt thun, komme es nicht darauf an, die Wahrheit zu ermitteln, 
ſondern nur ſie durch allerlei Formalitäten zu verwickeln. Dieſe Ad⸗ 
vocaten thun Alles um des Geldes willen: ſie verdrehen Recht und 
Geſetz durch kleinliche Diſtinctionen und Spitzfindigkeiten, ziehen ihre 
Clienten Jahre lang mit eitlen Hoffnungen hin, verrathen ſie auch 
wohl für Geld an die Gegenpartei. Zu ihren Entſcheidungen bedürfe 
es keines ſcharfen Geiſtes, nur des Gedächtniſſes und des Herumkramens 
in den unentwirrbaren Commentaren, die einander oft widerſprechen. 
Weit entfernt, von der Rundung und Schärfe oder von der Eleganz 
der alten Juriſten etwas gelernt zu haben, ſeien ſie oft nicht im Stande, 
ſich in lateiniſcher Sprache auszudrücken. Die Kanoniſten gar ſprechen 
oft noch pomphafter wie die Civiliſten und thun, als ob ſie göttliche 
Geheimniſſe zu enthüllen hätten. Dieſe ſogenannten kanoniſchen Sane⸗ 
tionen ſcheinen überhaupt nur erlaſſen, um Zank unter die Kleriker zu 
bringen. Die ganze Wiſſenſchaft, die im Grunde auf dem Belieben 
der Päpſte beruhe, ſei eine „neue Erfindung“, wenig über dreihun⸗ 
dert Jahre alt, nur brauchbar, um ewig über Beneficien ſtreiten zu 
können. er 

Die Aerzte ſieht Poggio mit den Advocaten in würdiger Parallele. 
„Es iſt lächerlich zu ſehen, wie ganz bäuriſche Tölpel, die nichts geleſen 
und nichts gelernt haben, die nur auf ihre Unverſchämtheit vertrauen, 
ſich zur Heilkunde bekennen. Das dumme Volk ſchenkt ihren Worten 
Vertrauen und ruft ſie zu den Kranken, deren Uebel ſie nicht heben, 
ſondern nur verſchlimmern. Wohl uns, wären ſolche Menſchen niemals 
geboren; denn ſie ſcheinen nur zum Verderben des Volkes geboren zu 
ſein.“ — „Ihr ſeht den Kranken, ſeinen Harn und ſeinen Auswurf 
mit gekniffenen Augen und mit gerunzelter Stirn an, als ob ſeine 
ſchwere Krankheit einer großartigen Cur bedürfe. Dann wird der Puls 
befühlt, in welchem ihr die Kräfte der Natur erkennt. Darauf wird 
Conſilium gehalten und nach vielem Streit zu den Heilmitteln geſchrit⸗ 
ten, wie ihr euch ausdrückt. Darin aber ſeid ihr oft ſo uneinig, daß 


454 VII. Staud der Theologie. 


man recht ſieht, wie leichtfertig, nichtig und vieldeutig eure Wiſſenſchaft 
iſt. Wenn euer Tränkchen durch guten Zufall genützt hat, ſo erhebt 
ihr eure Cur in den Himmel; hat es geſchadet, ſo trägt der Kranke 
alle Schuld.“ 

Später noch griff Poggio durch eine Fülle von Späßchen und 
Anekdötchen, wie er ſie immer bei der Hand hat, die nichtsnutzigen 
Advocaten und Quackſalber an. Es erſcheint ihm lächerlich, daß er 
ſolche Menſchen als Gelehrte anerkennen ſoll, die „irgend ein Colle⸗ 
gium“ zu Doctoren ernannt. Sie ſeien oft jo dumm und unwiſſend, 
daß man ihnen nicht das Prädicat von Menſchen zugeſtehen möchte.) 
Die Theologie war im Grunde in daſſelbe Stadium getreten wie 
die Jurisprudenz. Wie die Gloſſe zu den juſtinianiſchen Rechtsbüchern 
und die Bartoli und Baldi zur Gloſſe, ſo ſtanden die alten Lehrer der 
Kirche zur heiligen Schrift, und Thomas von Aquino oder Nicolaus 
von Lyra zu den Kirchenvätern. Man ſchrieb Erläuterungen zu den 
Erläuterungen, Umſchreibungen zu den Umſchreibungen. Man philoſo⸗ 
phirte über Gott und die Verträglichkeit ſeiner diverſen Eigenſchaften, 
über das Blut Chriſti und die heilige Dreieinigkeit und ähnliche Dinge, 
welche die grübelnde Vernunft nimmer ergründet. Ferner ſchloß ſich 
während der ſogenannten Reformconcilien die Theologie mit dem kano⸗ 
niſchen Recht enge zuſammen, es handelte ſich hier eben mehr um 
kirchliche Formen als um Dogmen, die Dogmatik und die Exegeſe 
mußten ſich mißbrauchen laſſen, um die Rechts⸗ oder Verwaltungsinſti⸗ 
tute der Kirche als göttlichen und unabänderlichen oder als menſchlichen 
und verwerflichen Urſprungs zu erweiſen. Stellte man die Bibel und 
die alten Traditionen nicht höher als den Magister sententiarum 
oder die Summa des heiligen Thomas, als die Canones und Decre⸗ 
talen, ſo traf jede Autoritätserſchütterung dieſer auch ſie und ſie muß⸗ 
ten getheiltes Schickſal leiden.) 

Wir ſahen oben, wie zen ng beſtimmte Veranlaſſung ge 


) Poggii Histor. discept. conviv. II. (Opp. p. 37 — 51). Ejusd. epist. ad 
Benedictum Aretinum a. 1436 in Poggii Epistt. LVII. epist. 47. Die Späße 
meiſtens in den Facetien. 

) Die gewöhnliche Anſicht der Humaniſten über die damalige Philoſophie und 
Theologie, wie über Mediein und Jurisprudenz lernen wir am beſten aus den Aeuße⸗ 
rungen eines unbedeutenderen Menſchen kennen, wie des Saſſolo Saſſoli da 
Prato, der eben nur nachredet, was man bei den Humaniſten überall hörte. Vergl. 
jeinen Brief bei Martene et Durand Collect, ampliss. T. III p. 849 8d. 


VII. Humaniſten und Theologen. 455 


reizt wurde, den Chriſten mit gefliſſentlicher Energie herauszukehren. 
Aber auch abgeſehen von der ſcharfen Betonung, zu welcher ihn die 
Polemik führte, ſtand in der That das Evangelium ihm perſönlich 
näher als feinen Nachfolgern. Da er nicht nur als Schriftſteller, ſon⸗ 
dern auch als Weltweiſer hoch über der Maſſe ſtehen wollte, bedurfte 
er des chriſtlichen Elementes zur Vollendung ſeiner Perſönlichkeit. Aber 
er legte ſich im Hochgefühl ſeiner ſingulären Stellung diejenigen Leh⸗ 
ren des Chriſtenthums ſelber zurecht, die ihm paßten, wählte ſich unter 
den Lehrern der Kirche einen Liebling, den heiligen Auguſtinus, und 
behandelte die moderne Theologie mit unverhohlener Mißachtung. Die 
Humaniſten nach ihm begnügten ſich mit dem ſchriftſtelleriſchen Ehrgeiz 
und wurden gegen das Chriſtenthum mehr und mehr gleichgültig; auch 
lag ihrer Zeit die religiöſe Erregung ungleich ferner als der kritiſchen 
Epoche, in welche Petrarca's Leben fiel. 

Boccaccio konnte der Verſuchung nicht widerſtehen, den Stoß, den 
ſein Meiſter gegen die neueren Theologen geführt, nachdrücklicher zu 
wiederholen. Sie hatten von ſeiner verehrten Poeſie geringſchätzig oder 
gar feindſelig geſprochen, dafür rächt er ſich an ihrer Wiſſenſchaft. 
Sie wollen ſich, ſagt er, ein Anſehen geben, wenn ſie ſich mit erhabe⸗ 
nen und dunkeln Worten in erhabenen und dunkeln Materien bewegen, 
als zum Beiſpiel wie einer Gottheit drei Perſonen beigelegt werden 
können, ob Gott einen ſich Aehnlichen ſchaffen könne, warum er die 
Welt nicht viele tauſend Jahre früher geſchaffen als er gethan, und 
dergleichen. Was ein Andrer darüber ſagt, nehmen ſie mit Achſelzucken, 
vornehmem Lächeln und einigen leichtfertigen Bemerkungen hin, dann 
aber laſſen ſie ſich ſelbſt in langer verwirrter Rede aus und mit die⸗ 
ſem Unſinn glauben fie die Höhen der Theologie erſtiegen zu haben.!) 

Boccaccio iſt ein guter Chriſt, wenn es für genügend ange⸗ 
nommen wird, daß er von der chriſtlichen Lehre nie ohne Ehrer⸗ 
bietung geſprochen. Er iſt noch unſicher, vorſichtig und vermeidet den 
Conflict. Selbſt gegen die Theologen hat er ſich, ſo viel wir ſehen, 
nur dieſen einen Ausfall erlaubt. Aber ein eifriger Chriſt iſt er wahr⸗ 
lich nicht. Die heilige Geſchichte intereſſirt ihn eigentlich nur in der⸗ 
ſelben Weiſe wie die profane, ſie iſt vor ſeiner Luſt an allegoriſchen 
Spielereien ebenſowenig ſicher als die helleniſchen Mythen. Seine 
Ehrfurcht iſt eine hergebrachte, aber keine herzliche. 


) De geneal. Deor. Lib. XIV cap. 8. 


456 VII. Humaniſten und Theologen. 


Zu Petrarca's und Boccaccio's Zeit ließ ſich noch hin und wieder 
eine Stimme hören, die im Namen des Glaubens vor der humaniſtiſchen 
Schwärmerei warnte. Boccaccio hielt es ſchon für nöthig, die Poeſie 
und das Alterthum gegen die Vorwürfe des Heidenthums und der 
Lascivität zu vertheidigen. Er erzählt von einem greiſen, durch Ge⸗ 
lehrſamkeit und heiligen Wandel ausgezeichneten Theologen, der von 
ſeiner Katheder zu Florenz vor vielen Zuhörern das Evangelium Jo⸗ 
hannis auslegte, dabei aus freien Stücken auf die Dichter zu ſprechen 
kam und nun ſo ſehr ins Feuer gerieth, daß ſein Geſicht erglühte, die 
Augen blitzten und die Stimme donnerte. Er betheuerte hoch und hei⸗ 
lig, daß er nie eines von den Werken der Dichter geſehen habe und 
auch keines ſehen wolle.) Solche Eiferer aber wurden in demſelben 
Maße ſeltener, in welchem die Humaniſten kühner wurden. Die Hoch⸗ 
ſchulen haben den Kampf gegen ſie niemals mit einiger Energie aufge⸗ 
nommen. Auch das Haupt und die Prälatur der Kirche ſah ihrem 
Treiben über ein Jahrhundert lang ſorglos zu. Die großen Herren 
der Kirche wandten ihren Eifer gegen die Episcopaliſten des basler 
Concils, gegen die Unabhängigkeitsgelüſte der gallicaniſchen Biſchöfe 
und der deutſchen Reichstage, während ſie zu den Jüngern Cicero's und 
Platon's im freundſchaftlichſten Verhältniß ſtanden. Der Gleichgültige 
und Ungläubige iſt der Kirche zu allen Zeiten minder gefährlich er⸗ 
ſchienen als der vorlaute Ketzer, der eine Partikel des Glaubens beſſer 
verſtehen will und an einem Steine des äußeren Kirchenbaues zu rüt⸗ 
teln wagt. Die Mönche allein witterten mit feiner Naſe, daß die Liebe 
zum Heidenthum einen gefährlichen Funken in ſich trage und daß auch 
dem nicht ganz zu trauen ſei, der über bedenkliche Materien salva fide 
"und dann deſto kühner disputirte. Aber auch die Mönche haben ſich 
mit Gegenſchriften und kleinen Verfolgungen begnügen müſſen, der 
Scheiterhaufen iſt für keinen der Humaniſten gerichtet worden. 

Salutato war ein ſo blinder Ciceronianer, daß in ſeinem Herzen 
für Chriſtenthum und Kirche ſchwerlich viel Platz blieb. An ihm rie⸗ 
ben ſich die Mönche zuerſt. Der Dominicaner Fra Giovanni di Do⸗ 
menico fand in ſeiner Abhandlung de fato et fortuna eine Reihe von 
Sätzen, die dem katholiſchen Glauben zuwider ſchienen, er ſchrieb feine 
Lucula noctis dagegen. Noch eifriger wollte der Camaldulenſer Gio⸗ 
vanni da San Miniato die Lectüre der profanen Dichter überhaupt 


) Boccatii de geneal. Deor. Lib. XIV cap. 15. 


VII. Das frivole Spiel mit dem Heidenthum. 457 


verboten wiſſen, weil ſie die Gemüther mit eitlen und heidniſchen Vor⸗ 
ſtellungen füllten und wie eine Peſt die guten Sitten zerſtörten. Der 
florentiniſche Staatscanzler fürchtete ſich ſo wenig, daß er den Streit 
noch ſchürte, einige Briefe gegen den Mönch ſchrieb und ihn einen Ein⸗ 
fältigen ſchalt (1406). Wie heftig aber die Meinungen ſchon damals 
auseinanderwichen, zeigt der Fanatismus einiger Frennde jenes Mönchs, 
die ſelbſt von Auguſtinus' „Gottes ſtaat“ mit Unwillen ſprachen, weil 
alte Dichter darin allegirt würden.) 

Aber fanatiſche Ausfälle der Art erſchienen ſehr bald als bornirt 
und abgelebt. Der ernſte Kampf ſchlief immer mehr ein. Auch zeigten 
die modernen Dichter und Philoſophen als gewandte Hof- und Welt⸗ 
männer keine Anwandlung von hartnäckigen Meinungen und ketzeriſcher 
Verſtocktheit. In ihrem Verkehr unter einander waren kirchliche und 
religiöſe Themata eher gemieden als geſucht. Sie traten zum Theil in 
den Dienſt der Kirche, ſchmeichelten den Päpſten, Cardinälen und Bi⸗ 
ſchöfen, ſprachen vom Glauben mitunter ſogar wie Begeiſterte. Warum 
ſollte man ihnen nicht ihre claſſiſchen Tummelplätze laſſen, drängten 
ſie ſich doch nicht auf das Gebiet der Kirche. Man gewöhnte ſich, ihr 
Spielen mit dem Heidenthum als eine unſchuldige Liebhaberei zu be⸗ 
trachten, die man, ohne ſich lächerlich zu machen, nicht mit ernſter Rüge 
verfolgen könne. Wer wollte einen Lärm daraus machen, wenn der 
lebhafte Redner einmal eine claffifche Betheuerungsformel einflocht, wer 
ihn der Vielgötterei beſchuldigen, wenn er, ſtatt den einen Gott anzu⸗ 
rufen, einmal ſagte: ihr Götter! Wer wollte den Dichter, wenn er die 
Begier des ſündlichen Fleiſches als Amor perſonificirte und ſtatt der 
göttlichen Gnade die Huld Apollon's und der Muſen anflehte, deshalb 
der Abgötterei zeihen? Wer den Philoſophen vor die Ingquiſition zie⸗ 
hen, weil er vom Fatum und von der Fortuna ſtatt von der göttlichen 
Vorſehung geſprochen und eine Sentenz Cicero's neben eine des Apo⸗ 
ſtels Paulus geſtellt? Allerdings ſchritt dieſe geiſtreiche Leichtfertigkeit 
oft bis nahe zur Grenze vor, wo das Heidenthum ſich mit der chriſt⸗ 
lichen Lehre nicht mehr wohl vertragen wollte und nur noch die dichte⸗ 
riſche Licenz als Entſchuldigung dienen konnte. Filelfo ſprach in einem 
Gedichte Papſt Nicolaus als denjenigen an, der „den Thron des olym⸗ 


) Leander Albertus de vir. illustr. Ord. Praedic. Lib. III. Salutati 
Epistolae ed. Rigacci P. I. p. XVI. XX. Auszüge aus den Streitſchriften bei 
Mehus Vita Ambr. Travers. p. 292. 302. 


458 VII. Das frivole Spiel mit dem Heidenthum, 


piſchen Jupiter hüte.“ Als er einem Freunde brieflich zur Hochzeit 
gratulirte, behauptete er mit naiver Dreiſtigkeit, alle übrigen Sacra⸗ 
mente gründeten ſich auf menſchliche Geſetze und Sitten, nur die Ehe 
ſei von Gott und im Paradiſe als Sacrament eingeſetzt.) Filelfo's 
Schüler, Enea Silvio, war bereits Biſchof von Siena, als er von 
einem Verſtorbenen mit Salbung ſchrieb: „Nicht mit jenem Jupiter, 
den das blinde Alterthum für den Höchſten hielt, ſondern mit Chriſtus 
und Gott leert er die Nektarbecher und trinkt vom Gewächſe des Wein⸗ 
ſtocks im Reiche des Vaters“. In demſelben Briefe bezeichnet er Gott 
als den oberſten Arzt in allen Krankheiten, „und Gott iſt, wenn wir 
dem Seneca glauben, ein Jeder ſich ſelbſt.“ ) 

Es liegt allerdings ein tiefer Sinn in dieſen dichteriſchen Spiele⸗ 
reien. Wer mit den helleniſchen Göttern und mit den römiſchen Dich⸗ 
tern und Philoſophen tändeln gelernt, verlor natürlich den Sinn für 
ſtarre Glaubensformeln und für gewiſſenhafte Religioſität. Mit wel⸗ 
chen Augen betrachtete ein Poggio den Märtyrertod des Hieronymus 
von Prag! Der Begriff eines Glaubenshelden und der eines Ketzers, 
beide liegen ihm gleich fern. Er fieht in Hieronymus den Stoiker, 
der gleichmüthig, ja verachtend dem Tode entgegengeht, er vergleicht 
ihn mit Sokrates, Mucius Scävola und dem jüngeren Cato, er be⸗ 
wundert ſeine Beredtſamkeit vor den Vätern des Concils und findet, 
daß ſie ſich der antiken nähere. Ob dieſer Mann wirklich ein Ketzer 
war und den Tod verdient, will er nicht entſcheiden, er überläßt das 
Urtheil denen, „die für weiſer gehalten werden“, den Theologen, ver⸗ 
hehlt aber ſeinen Zweifel nicht.) So ſchrieb er darüber ſeinen Freun⸗ 
den in Italien, einem Francesco Barbaro und Lionardo Bruni, und 
dieſe bewunderten — die Eleganz ſeines Briefes, obwohl Bruni meinte, 
er verrathe doch eine zu große Vorliebe für den Ketzer und möge in 
Zukunft vorſichtiger über ſolche Dinge ſchreiben.) Aber Männer wie 
Poggio hatten die geiſtliche Gewalt zu fürchten verlernt. Waren auch 
die Wächter der Orthodoxie einmal geneigt, den Uebermuth irgend eines 
Verhaßten zu ſtrafen, ſo entwanden ſich die leichten Humaniſten dem 


y Philelphus Friderico Cornelio v. 15. Octob. 1439. Erſt der neueſte Her⸗ 
ausgeber feiner Briefe Meucei eitirt dagegen ernſthaft den Canon der 7. Sitzung 
des Tridentinums. 

) Brief an Piero da Noceto v. 7. Mai 1456. 
) Der Brief iſt oft gedruckt, auch in Poggii Opp. p. 201. 
.) Leon. Bruni epist. IV, 9 rec. Mehus. 


VII. Frivolität der Sitte. 459 


Arme der Inquiſition wie unfaßbare Neckgeiſter. Ein Beccadelli nahm 
mit leichtem Herzen Alles zurück, was er Anſtößiges geſagt, ein Valla 
verſicherte ſeine feſte Anhänglichkeit an die Mutter Kirche, und beide 
lachten hinterdrein. N 

Es wuchs unter dem humaniſtiſchen Treiben eine üppige Frivolität 
heran, das Gegenſtück zu Petrarca's ernſtem Tugendſtreben. Sie zeigte 
ſich in den Schriften, aber ſie zeigte ſich auch recht bedenklich im Le⸗ 
benswandel und in der vornehmen Indifferenz, mit welcher den ein⸗ 
fachen Geboten der Sittlichkeit Hohn geſprochen wurde. Die Prieſter⸗ 
weihe war ein Punct, um welchen jeder dieſer Schöngeiſter in feiner 
Weiſe herumzukommen ſuchte. Meiſtens waren ſie arm, hatten aber 
gute Freunde an der Curie und gute Protectionen bei den Großen der 
Kirche und der Welt. Die Kirche als Verſorgungsanſtalt zu benutzen, 
nach ihren Pfründen zu jagen, lag ihnen beſonders nahe; dazu aber 
war die Uebernahme des geiſtlichen Charakters oft eine unerläßliche 
Bedingung, der ſich die meiſten ohne Bedenken fügten. Die Einen 
wurden nun Prieſter, wenn der Kelch der Lebensfreuden erſchöpft war 
und fie ſich ein behagliches Alter zu ſchaffen wünfchten, Andre nahmen 
die Weihe, kümmerten ſich aber nicht um die Pflichten, welche ſie auf⸗ 
legte, und wußten ſie wieder von ſich zu ſchaffen, wenn es ihnen ge⸗ 
legen war. Sehen wir bei einer Reihe der namhafteſten Humaniſten 
zu, wie ſie es mit Weihe oder Ehe, Cölibat oder Concubinat hielten. 

Bruni handelte nach damaligen Begriffen ohne Fehl: ſo lange er 
ſich der römiſchen Curie anſchloß und hier zu ſteigen hoffte, war er 
Kleriker; als man ihn nach Florenz an die Staatscancelei rief, ließ er 
ſich dispenſiren und nahm eine Gattin. Filelfo war zwar ſchon jung 
und dreimal vermählt, wir haben auch ſeine prieſterlichen Gedanken 
erwähnt, die ihn jedesmal in den Intervallen nach dem Tode einer 
Frau heimſuchten; dennoch gedenkt er in ſeinem Teſtament noch zweier 
natürlicher Kinder und hatte ihrer wahrſcheinlich bedeutend mehr.“) 
Dem Valla war von Poggio vorgeworfen worden, daß er die Magd 
ſeines Schwagers geſchwängert. In der niedrigen Magd lag das be⸗ 
laſtende Moment, im Uebrigen will das Vergehen Poggio ſelbſt, indem 
er die Wirkungen der Nacht und des Weines erwägt, verzeihlich ſchei⸗ 
nen. Valla's keckes Geſtändniß geht indeß noch weit über den Vor⸗ 
wurf des Gegners hinaus. Er habe nicht heirathen wollen, wozu ſeine 


) Saxius Histor. liter. typogr. Mediol. p. 222. 


460 VII. Frivolität der Sitte. 


Verwandten ihn oft ermahnt, weil es ihm immer noch im Sinne ge⸗ 
legen, Kleriker zu werden. Sein Schwager aber und Andre hätten 
ihn mit ſeiner jungfräulichen und froſtigen Natur geneckt und ſeine 
Ehetüchtigkeit bezweifelt. Um ihnen nun zu beweiſen, daß ſeine Ent⸗ 
haltſamkeit vielmehr aus der Tugend entſprungen, zugleich aber auch, 
um ſein dem Ausſterben nahes Geſchlecht irgendwie fortzupflanzen, habe 
er mit jener Magd in zwei Jahren drei Kinder gezeugt.) Uebrigens 
wird außerdem einer Concubine gedacht, von der er einen Sohn hin⸗ 
.terließ.”) 

Poggio hatte die vorläufige Weihe genommen, weil ohne fie das 
Fortkommen an der Curie zu dürftig ſchien. Deshalb aber fand er 
keine Urſache zu leugnen, daß in Rom drei feiner Baſtarde umherliefen. 
Cardinal Ceſarini, der den Literaten hold war, machte ihm darüber 
Vorwürfe: er ſolle entweder die vollgültige Weihe oder ein Weib neh⸗ 
men. Poggio antwortete ihm ſcherzend. Die Tonſur wolle er nicht, 
ſie nehme mit dem Haupthaar auch Gewiſſen und Tugend hinweg. 
Auch fühle er ſeine allerdings ſehr ſchwankende Sittlichkeit der Würde 
des geiſtlichen Amtes nicht gewachſen.) In allen Ländern ſei es Sitte, 
daß Mönche und Aebte, Biſchöfe und höhere Würdenträger Kinder 
hätten, auch von Wittwen, verheiratheten Frauen und ſogar von gott⸗ 
geweihten Jungfrauen. So müſſe er oft mit Lachen an einen gewiſſen 
italieniſchen Abt denken, der in Begleitung eines erwachſenen Sohnes 
vor Papſt Martin V trat; darüber zur Rede geſtellt, bekannte er frei⸗ 
müthig zur großen Beluſtigung des Papſtes und der ganzen Curie, er 
habe noch vier andre Söhne, welche die Waffen tragen könnten, und 
ſie alle ſtänden zu Seiner Heiligkeit Dienſten. Gewiß, wenn ein Abt 
jo ſprechen durfte, warum ſollte ein junger Canceliſt, der auf Heilig: 
keit des Wandels keinen Anſpruch machte, ſich ſeiner Nachkommenſchaft 
nicht rühmen? Der Cardinal hatte ihm vorgeworfen, er habe nun ſchon 
drei Kinder, was doch einem Kleriker zum Vorwurf gereiche, und er 
lebe als Vater ohne Gattin, was ſelbſt einem Laien nicht zieme. Pog⸗ 
gio entſchuldigte ſich mit einer feinen Wendung: er habe Kinder, was 


) Valla Antid, in Poggium Lib. IV (Opp. p. 362). Auch Enea Silvio de 
Piccolomini könnte hier als Beiſpiel aufgeführt werden; vergl. meine Biographie 
Bd. 1 S. 285 ff. 

) Jo. Ant. Vigerini Elogium Vallae bei Georgius Vita Nicolai V. p. 208. 

) Aehnlich reflectirt er in einem Briefe an Niccoli unter denen des Am br. 
Travers. XXV, 39. 


VII. Frivolität der Sitte. 461 


einem Laien gut anſtehe, und er lebe ohne Gattin, der hergebrachten 
Sitte des Klerus gemäß.) — Dieſe drei erſten Söhne hat Poggio 
Soldaten werden, das will ungefähr ſagen, verkommen laſſen. Außer⸗ 
dem hatte er eine Tochter. Dann war er einer Concubine Namens 
Lucia ſo wunderbar treu, daß er zwölf Knaben und zwei Mädchen 
mit ihr erzeugte. Davon waren vier noch am Leben, als es ihm im 
Jahre 1435 zum Erſtaunen ſeiner Freunde beifiel, zu heirathen. Die 
Concubine erhielt nun den Laufpaß und auch die Legitimation feiner 
noch übrigen Baſtarde wurde wiederaufgehoben.) Poggio war damals 
ein Mann von 54 Jahren und die Erwählte war eine achtzehnjährige 
Florentinerin Vaggia degli Buondelmonti. Freudig zeigte er ſeine Hoch⸗ 
zeit dem Cardinal Ceſarini an. Vor dem geiſtlichen Stande habe er 
immer einen unüberwindlichen Abſcheu gehabt, weil er das Alleinleben 
nicht gemocht. Darum habe er lieber ein ehrenhaftes Weib genommen. 
„Da Gott mir gnädig war, als ich vom rechten Pfade abirrte, wird 
er jetzt, nun ich ihn betreten, mit noch reicherer Hand ſeine Barmher⸗ 
zigkeit auf mich herniederſchütten.““) An Segen ſcheint es ihm in der 
That nicht gefehlt zu haben: er war ſelbſt ein wohlhabender Mann und 
Vaggia brachte ihm noch 600 Gulden Mitgift; an Kinderſegen auch 
nicht, wenigſtens verkündete Poggio noch in ſeinem ſiebzigſten Lebens⸗ 
jahre dem Carlo d' Arezzo, Gott habe ihm fo eben ein Söhnchen ge- 
ſchenkt, ſchöner und größer als die übrigen.) Der Papſt zwar meinte 
lachend, als er von Poggio's Ehe erfuhr, dieſer werde ſeiner Frau 
nach einem halben Jahre überdrüſſig ſein, und die florentiniſchen 
Freunde lachten gleichfalls, den alten Sünder, der ſich bis dahin viel⸗ 
leicht mit der Hoffnung geſchmeichelt, an der Curie noch ein Bisthum 


) Poggii epist. 27. in Epistt. LVII. 

) Valla Antid. in Poggium Lib. IV (Opp. p. 349. 363). Obwohl dieſe letz⸗ 
teren Nachrichten alſo von dem heftigſten Gegner Poggio's kommen, ſcheinen es doch 
Facten, die nicht leicht erfunden fein dürften. Au die Verſtoßung der Concubine, 
deren Namen Filelfo Conviv. Mediol. Lib. II nennt, knüpft Shepherd, der Biograph, 
folgende fromme Bemerkung: It is to be hoped, however, that he experienced 
the keenest remorse of self-accusation for his former licentiousness (p. 301), 
doch zeigen einige Briefe, die er in dieſer Zeit ſchrieb, keine Anwandlung von Reue, 
im Gegentheil die ganze Seligkeit der Flitterwochen. 

) Poggii epist. 37. in Epistt. LVII an den Cardinal von S. Angelo vom 
26. Mai 1435. \ 

) Die Stelle des Briefes theilt aus der Handſchrift Mai mit im Spicileg. 
Roman. T. X p. 293. 


462 VII. Frivolität der Sitte. 


zu erjagen, in den Hafen des ehelichen Lebens einlaufen zu ſehen. 
Gewiß hat Niccoli, der alte Hageſtolz, ſo ſpöttelnd dreingeſehen, wie 
es ihm Poggio in dem Werkchen unterlegt, welches er vamals ſcherzend 
zu ſeiner Vertheidigung über die Frage ſchrieb, ob ein Greis noch hei⸗ 
rathen ſolle.) Es iſt ein Dialog zwiſchen Niccoli, der jede Ehe für 
eine Laſt und die Ehe eines älteren Mannes für baare Thorheit er⸗ 
klärt, und Carlo von Arezzo, der Poggio's Sache vertheidigt, obwohl 
im Leben auch er Junggeſelle blieb. Nebenher geht die Frage, ob der 
ältere Mann beſſer thue, eine gleichaltrige Dame oder eine Wittwe 
oder ein junges Mädchen zu ehelichen; ſie wird natuͤrlich auch im 
Sinne Poggio's entſchieden. 

Es iſt kein Zweifel, daß auch jene geſchlechtliche Verirrung, zu 
deren Bezeichnung das Volk der Griechen feinen Namen leiht, in Sta 
lien während des 15. Jahrhunderts nicht nur in einzelnen Fällen und 
im ſcheuen Dunkel ſich regte, ſondern hier und dort wie eine mora⸗ 
liſche Peſt herrſchte. Die Kirche und die Geſetzgebung, die mit ihr 
und unter ihrem Einfluß entſtanden, hatte dieſes Laſter mit furchtbarem 
Ernſte bedroht, mit der Schande gebrandmarkt und nahezu ausgerottet. 
Mit den helleniſchen Mythen, die es im reizenden Gewande vorführen, 
und mit den römiſchen Dichtern, die es im leichtfertigen und üppigen 
Tone behandeln, ſchlich es ſich in die moderne Welt wieder ein. Nea⸗ 
pel, Florenz und Siena werden als die Hauptſitze aller Schwelgerei 
und der unnatürlichen Lüſte bezeichnet.) Neapel war es wohl, wo 
der heilige Bernardino gegen das griechiſche Laſter ſeine öffentlichen 
Predigten richtete und den Sündern den Zorn des Herrn verkündete, 
der ſie mit Feuer und Schwefel wie Sodom und Gomorrha von der 


1) An seni sit uxor ducenda. Von dieſem Dialog, der Coſimo de' Medici ge⸗ 
widmet iſt, befaß Apoſtolo Zeno (Dissert. Voss. T. I p. 48) eine Abſchrift, mehr 
aber wußte auch Shepherd von ihm nicht zu ſagen. Unter ſolchen Umſtänden müſſen 
wir zufrieden fein, eine vollſtändige Ueberſetzung im VI. Stück der „Tranßlation oder 
tütſchungen des Nicolai uon wyle: den zyten Statſchreiber der Stat Eſſelingen“ 
(Straßburg, 1510 fol. und fpäter) zu leſen. Sie lieſt ſich, iſt gleich Poggio's Latein 
unnachahmlich, doch mit viel Intereſfe. Poggio gedenkt des Werkes in epist. 29. im 
Spicil. Roman. T. X, auch Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. 

) Anton. Panorm. Hermaphr. Epigr. I, 13. — Ueber die zu Florenz 
herrſchende Sittenloſigkeit klagen ſelbſt Florentiner, z. B. Poggio epist. 87. im 
Spicileg. Roman. T. X: Nulla alibi tanta peccandi licentia pueris adolesoenti- 
bus quam apud nos permittitur, nullo in loco tanta ejus aetatis est virtutis 
incuria. Ueber Siena vergl. Filelphi Satyr. Dec. V. hec. 10. 


VII. Die Zote als Literaturzweig. 463 


Erde tilgen werde.) Unter den Schändlichkeiten, welche die Humani⸗ 
ſten einander vorwerfen, nimmt die Pädication gemeinhin die erſte 
Stelle ein. Filelfo richtete dieſe Beſchuldigung gegen Porcello,) Bec⸗ 
cadelli gegen den ſaneſiſchen Profeſſor Mattia Lupi, der nicht etwa 
irgend ein dunkler Grammatiker war, ſondern zugleich ein berühmter 
Rechtslehrer und ein gekrönter Dichter, der Stolz der Republik,“) 
Poggio gegen Valla, Valla gegen Poggio u. ſ. w. Wir ſind auch hier 
weit entfernt, den Juvectiven Glauben zu ſchenken, aber ſchon daß in 
dieſer Weiſe mit einem Schein von Glaubwürdigkeit geſprochen werden 
durfte, daß überhaupt jenes Laſter als ein durchaus nicht ungewöhn⸗ 
liches behandelt wird, ſcheint uns ein unwiderlegliches Symptom der 
Entſittlichung. 

Die Zote und der frivole Witz wurden von den Humaniſten als 
ein eigener Literaturzweig gepflegt. Darin kam den Italienern eine 
unverkennbare nationale Anlage zu Hülfe, das Widerſpiel ihrer Nei⸗ 
gung zur ſtumpfen Bigotterie. Dieſe Literatur hat dem gemeinen Leben 
immer am nächſten geſtanden und die höchſte Popularität genoffen. 
Gleich der erſte Meiſter der tusciſchen Proſa und des erzählenden Stils 
iſt der Schöpfer der Zote geworden, Franco Sacchetti ſtand ihm zur 
Seite und dieſe Schule ſtarb in Italien nicht mehr aus. Die gemeine, 
derbe oder ſchlüpfrige Sinnlichkeit blieb das Lieblingsmotiv; meiſtens 
wurden Geiſtliche, Mönche und Nonnen die Träger der Handlung, die 
Zielſcheibe des Witzes. Es bedurfte für die Humaniſten alſo nicht erſt 
der reichen Erfahrungen, welche die Römer in ihre Dichtungen nieder⸗ 
gelegt, um dieſes Talent zu wecken, wohl aber erhielt es durch ſie eine 
veränderte, gleichſam claſſiſche Richtung. Die namhafteſten Humaniſten 
haben es nicht verſchmäht, die Gewandtheit ihrer Feder auch auf die⸗ 
ſem Felde zu erproben, durch leichte Darſtellung und feines Latein das 


) Vespasiano: Vita di S. Bernardino 5 1. im Spicileg. Roman. T. I. 
Die 15. Predigt des 2. Bandes der Werke Bernardino's handelt de peccato Gomor- 
rhoeorum. Mit dieſem Namen oder dem der Sodomie ſcheinen die Bettelmönche 
vorzugsweiſe die Knabenliebe zu bezeichnen. 

) Er lehre feine Schüler ſtatt der Grammatik paedicandi leges — furis in 
pueros — paedico unicus etc. Vergl. Filelfo's Werk de jocis et seriis bei 
Rosmini T. III p. 161—163. Vielleicht ift es wiederum Porcello, der in Filel- 
Phi Satyr. Dec. II. hec. 5. unter dem Namen Hypocritus als knabenſchänderiſcher 
Schulmeiſter verſpottet wird. 

)Mehus Vita Ambr. Travers. p. 379. 


464 VII. Die Zote als Literaturzweig. 


zu erreichen, was ſie bei den antiken Vorbildern als Urbanität be⸗ 
wunderten. 

Von Beccadelli’s Fermaphroditus iſt bereits geſprochen wor⸗ 
den. Wir wiſſen, daß dieſes Buch zwar von den Mönchen angefein- 
det und auf den Scheiterhaufen gebracht wurde, bei den Humaniſten 
aber faſt ungetheilten Beifall errang.) Hier wollen wir hören, 
wie der Dichter ſelbſt es vertheidigte; denn auch er fühlte ſehr wohl, 
welch einen kühnen Sturm gegen das Moralſyſtem er gewagt, ob⸗ 
wohl er Religion und Kirche unmittelbar ganz unberührt gelaſſen. 
Er bezeichnet die Feinde ſeines lasciven Buches entweder als Neider 
oder als ungebildeten Pöbel, der keine Ahnung von den ehrwürdi⸗ 
gen claſſiſchen Muſtern habe, denen er als Dichter gefolgt ſei. Der 
Gebildete werde wiſſen, daß „gelehrte, ernſte und heilige Männer“ 
Aehnliches geſchrieben, ſo Catullus, Tibullus, Propertius, Juvenalis, 
in jüngeren Jahren auch Virgilius. Und Ovidius ſage doch oft ſcheuß⸗ 
liche, nur ins Bordell gehörige Dinge. Auch Solon, der Cyniker 
Diogenes und der Stoiker Zenon hätten Verſe der Art gedichtet, vor 
Allen aber die lesbiſche Sappho. Selbſt von Platon, der doch an 
einen Gott geglaubt, beſitze man ein ſolches Epigramm.“) „Wer zwei⸗ 
felt, daß Annäus Seneca Chriſtum gekannt habe, ein Freund des Apo⸗ 
ſtels Paulus geweſen und in das Verzeichniß der Heiligen aufgenom⸗ 
men ſei? ) Und doch hat er, wenn wir Plinius Secundus“) Glauben 
ſchenken dürfen, nicht nur ernſte Dinge, ſondern auch ſcherzhafte und 
witzige geſchrieben.“ — Wir ſehen den claſſiſchen Autoritätsglauben, 
wie er den kirchlichen verdrängt und an ſeine Stelle tritt. Dabei 
meint Beccadelli, man könne recht wohl ein obſcöner Dichter und doch 
ein reiner und keuſcher Menſch fein.) Er beruft ſich auf einen be⸗ 


1) Beccadelli bezeichnet es in einem Briefe an Guarino (in Forberg's 
Ausg. des Hermaphroditus p. 2) als plurimorum judicio probatum e 
magnifice. 

) A. Gellius ſelbſt, der es anführt (Noct. Attic. Lib. XIX, 11) 85 ſeine 
Echtheit dahingeſtellt ſein. 

) An den Verkehr zwiſchen Paulus und Seneca und an die Echtheit des Brieſ⸗ 
wechſels zwiſchen ihnen hat man bekanntlich noch bis in die neueſten Zeiten geglaubt. 

) Plinii epist. V, 3. 

) Hermaphr. Epigr. I, 1: 

Hac quoque parte sequor doctos veteresque poetas, 
Quos etiam lusus composuisse liquet, 
Quos et perspicuum est vitam vixisse pudicam etc. 


VI. Die Zote als Literaturzweig. 465 


redten und berühmten Mönch, deſſen Predigten er oſt beigewohnt, wahr⸗ 
ſcheinlich den heiligen Bernardino von Siena: der habe in ſeinem Eifer 
oft ſo nackte Dinge geſagt, daß man ſich nicht in der Kirche, ja nicht 
einmal auf offenem Marktplatze zu befinden gemeint; deshalb werde 
man ihn nicht für einen ſchaamloſen Menſchen halten wollen. Den⸗ 
ſelben Sinn und dieſelbe Abſicht verfolge auch er in Witz und Scherz; 
ſeine Verſe ſeien um ſo heiliger, weil ſie oſfen ſind.) 

Zum Hermaphroditus bilden allein Poggio's Facetien ein würdiges 
Seitenſtück. Als er ſie zuſammenſtellte und veröffentlichte, ſtand er in 
ſeinem ſiebzigſten Lebensjahre. Der alte Curiale trug nicht die min⸗ 
deſte Scheu, Kleriker und Mönche, ja die heiligen Ceremonien der 
Kirche in ſeine obſcönen Späßchen zu verflechten. Die Mehrzahl der⸗ 
ſelben ſtammte aus jenem Bugiale zu Rom, wo die apoſtoliſchen Se⸗ 
cretäre ihren Witz übten.) Poggio nimmt ſich nicht mehr die Mühe, 
die Berechtigung ſolcher Schriften erſt aus dem Beiſpiel würdiger Vor⸗ 
gänger zu erweiſen. Die Rigoriſten, ſagt er kurz, mögen immerhin 
aufhören, das Buch zu leſen, er habe es zur Erheiterung ſeines Ge⸗ 
müths und zur Uebung ſeines Geiſtes, für lachluſtige und humane Leſer 
geſchrieben; denn der Geiſt müſſe eine Erholung von ſeinen Arbeiten 
und Sorgen haben, und die Gewandtheit des lateiniſchen Ausdrucks 
müſſe auch in der niedern Sphäre geübt werden.) Bemerkenswerth 
iſt auch, daß Poggio von den Verfechtern des Heiligen nicht die ge⸗ 


Und Epigr. II, 1: 
Crede velim nostra vitam distare papyro. 
Si mea charta procax, mens sine labe mea est. 
Er beruft ſich auf Catullus (Carm. XVI): 
Nam castum esse decet pium poetam 
Ipsum; versiculos nihil necesse est, 
Qui tum denique habent salem ac leporem, 
Si sunt molliculi ac parum pudieci 
Et, quod pruriat, incitare possunt. 
) Anton. Panormita Poggio, abgedruckt in Forberg's Ausg. des Herma⸗ 
phroditus p. 5. 
) Vergl. oben S. 275. i 
) Praefat. in Facet. Lib. — Gegen die verſuchte Nechtfertigung Recanati's, 
als dürften viele der frivolſten Geſchichten erſt ſpäter und alſo nicht von Poggio der 
Sammlung einverleibt fein, weil fie in zwei Handſchriften fehlen, hat Shepherd 
Life of Poggio p. 443 mit Recht geltend gemacht, daß ſchon Valla (Antid. in 
Pogg. Lib. IV) etwa 1452 einige der ſchlimmſten Geſchichten erwähnt, die wir in 
der Sammlung wirllich finden. ö 
Voigt, Humanismus. 30 


466 VII. Die Zote als Literaturzweig. 


ringſte Beläſtigung wegen ſeines Buches erfuhr. Noch vor etwa zwanzig 
Jahren war Beccadelli's Werk wüthend verfolgt und bis auf wenige 
Exemplare ausgerottet worden; die Facetien wurden in Frankreich, 
Deutſchland, Spanien und Britannien geleſen, ſchon vor dem Jahre 
1500 erſchienen ſie 26mal im Druck und in drei italieniſchen Ueber⸗ 
ſetzungen.) Erlahmte der Widerſtand der Mönche fo ſchnell und war 
er in dem freiſinnigen Zeitalter Nicolaus' V ſo gänzlich dahingeſchwun⸗ 
den, oder flößte Poggio's giftige Laune ſelbſt dieſen Gegnern Furcht ein? 

Noch manches Werk gehört hieher, deſſen Andenken durch ſpätere 
Erſcheinungen ähnlicher Art, zumal durch die tusciſchen Novellenbücher 
hinweggeſpült oder doch nicht durch die Buchdruckerkunſt verewigt iſt. 
Porcello de’ Pandoni wurde wegen der Unfläthigkeit feiner Verſe als 
Rival Beccadelli's aufgeführt, an der Perſon wie am Namen des 
Dichters ſchien die Eſſenz der Unſittlichkeit und des Schmutzes zu haf⸗ 
ten. Auch Filelfo blieb nicht zurück: fein Werk de jocis et seriis, 
eine Epigrammenſammlung in zehn Büchern zu je tauſend Deren, ift 
niemals edirt worden, uns genügt das Urtheil ſeines Biographen, dem 
das Schaamgefühl verbot, Proben aus der ihm vorliegenden Hand⸗ 
ſchrift mitzutheilen.) In den beiden Büchern, die Filelfo als Con- 
vivia Mediolanensia herausgab, wird gleichfalls das Mahl durch der⸗ 
gleichen piquantes Beiwerk gewürzt?) und in den Satiren erreicht er 
nicht ſelten die Schaamloſigkeit feiner römiſchen Vorbilder.“) Selbſt 
Lionardo Bruni, der ernſte und feierliche Mann, widerſtand nicht der 
Verſuchung, feine Feder in dieſem Stil, der ja als ein claſſiſcher galt, 
zu üben. Er las in des Lampridius Geſchichte, wie Kaiſer Elagabal 
die Dirnen Roms in ein öffentliches Gebäude zuſammengerufen, als 
Commilitonen in einer Feldherrnrede begrüßt und mit ihnen über die 
verſchiedenen Gattungen der Wolluſt disputirt habe.) Eine Rede der 
Art aufzuſetzen, erſchien Bruni, zumal da ihn Niccoli noch anreizte, 
als eine würdige Aufgabe.“) Als beliebt und gern geleſen haben wir 


) Nach Ludo v. Hain Repertor. bibliograph. s. v. Po g gius. 

2) Rosmini Vita di Filelfo T. II p. 154: molto potrebbe nuocere al buon 
costume per le orribili oscenità che vi sono sparse, e per motti tolti di mezzo 
ai trivj ed ai postriboli. — Handſchriften des Werkes in der Ambroſiana zu Mai⸗ 
land und in der Franciscaner⸗- Bibliothek zu Ceſena. 

) Ich habe die Spiris 1508 erſchienene Ausgabe vor mir, ſie iſt nicht paginirt. 

) Vergl. z. B. Dec. III. hec. 2. 

) Aelius Lampridius in Antonino Heliogabalo cap. XXVI. 

9) Proben derſelben vor Forberg's Ausg. des Hermaphr. p. V. Bruni ſchricb 


VII. Lockerung der Autoritäten. 467 


hier noch Enea Silvio aufzuführen, der feinen frivolen Stil ganz nach 
Poggio gebildet und dieſen Meiſter beinahe erreicht hat. Seine Briefe 
erotiſchen Inhalts, bald leichtfertige, Vertheidigungen der Liebe, das 
heißt des Sinnengenuſſes, bald wenig ernſtgemeinte Mahnungen zur 
Keuſchheit, feine ſchlüpfrige Novelle Euryalus und Lucretia, feine Scherze 
und Hiſtörchen waren in Deutſchland nicht minder verbreitet als in 
Italien Poggio's Facetien und erſchienen nur um ſo anziehender, ſeit⸗ 
dem ihr Verfaſſer ſeine Jugendſünden vom apoſtoliſchen Stuhl herab 
verdammt hatte. 

Doch warum einzelne Werke hervorheben, wenn wir den frivolen 
Zug in dieſer humaniſtiſchen Literatur erkennen wollen? Dieſelbe Er⸗ 
ſcheinung, die ſich im Hermaphroditus und in den Facetien nur ver⸗ 
dichtet zeigt, tritt dem aufmerkſameren Auge eigentlich aus allen Schrif⸗ 
ten jener Männer entgegen. | 

Die Autorität ift das zuſammenhaltende Band, durch welches die 
Bewegung der Geiſter in eine ſtraffe Richtung geleitet wird, ſie iſt ein 
einiges, aber aus vielen Fäden zuſammengeſchlungenes Band. Wer an 
einem dieſer Fäden zerrt und lockert, verletzt das Ganze. So ſtehen 
auch die religiöſen und ſittlichen Grundſätze eines Zeitalters alle ſoli⸗ 
dariſch für einander. Wo ſie mit dem Ernſte des innerſten Menſchen 
angegriffen werden, reift die ſittliche Freiheit und Fortbildung heran. 
Wo aber die Leichtfertigkeit das Heilige mit dem Gemeinen miſcht, da 
entſteht überall und auf allen Gebieten die Frivolität. In ihr hebt 
ſich der perſönliche Menſch in ſeiner intenſivſten Kraft, dem ſtechenden 
Witz und dem verachtenden Spott, über das Ehrwürdige hinaus, ſeine 
ſpielende Keckheit ſteht zu dem ernſten und ſchweren Object im reizen⸗ 
den Gegenſatz, er hat die Leichtfertigen, die Neuerungsſüchtigen, die 
Lacher allemal auf ſeiner Seite. Wie ſich ſelbſt, ſo lockert er auch ſie 
von dem Boden des guten alten Herkommens, des blinden Glaubens 
und der keuſchen Sitte los, um ſie auf unſtäter, aber lieblicher Welle 
ſchaukeln zu laſſen. So liegt in dem frivolen Treiben eine anſteckende 
und gefährliche Kraft, die ſcheinbar im Kleinen ſpielt und doch unbe⸗ 
rechenbar ins Große wirkt, die das verjährte Vorurtheil und die Dumpf⸗ 
heit oft mit dem erſtaunlichſten Erfolge bekriegt, aber mit dem Unkraut 

auch den geſegneten Halm ausreißt. 


unter das Werk: Leonardus Arretinus recreandi ingenii causa ridens ludensque 
dictavit, unde severiores rogat, ne legant, urbaniores, ne efferant. Mehus 
Scripta Leon. Bruni p. 63. cf. Leon. Bruni epist. II, 16. 


30 * 


468 VII. Angriffe auf die Außenwerke der Religion und Kirche. 


Warum ſollte dieſe Frivolität das religiöſe und kirchliche Gebiet 
verſchonen? Keiner der Humaniſten hatte Gemüth für den Glauben 
und Intereſſe für den Heilsberuf der Kirche, keiner hatte die mindeſte 
Begier nach der Märtyrerpalme. Führten ſie einmal die ernſte Waffe, 
ſo geſchah es zur Ehre ihrer Perſon oder der humaniſtiſchen Kunſt, 
aber ſie liebten die ernſte Waffe überhaupt nicht. Erinnern wir uns 
noch einmal, wie äußerlich die Motive Valla's waren, als er die con⸗ 
ſtantiniſche Schenkung angriff, wie leichtfertig ſeine Vertheidigung, als 
er gewiſſe Traditionen der Kirche mit kritiſchem Scharfſinn angefeindet. 
Er ſchrieb auch über das neue Teſtament, er tadelte mehrere Stellen 
der üblichen Ueberſetzung und zeigte, wie man ſie getreuer wiedergeben 
könne, aber nur um ſeine Gelehrſamkeit im Griechiſchen zu zeigen und 
die Theologen zu ärgern. Manetti, ein Mann von notorifcher Recht⸗ 
gläubigkeit, meiſterte in ähnlicher Weiſe an den Pſalmen und hatte 
eine neue Ueberſetzung des alten Teſtamentes im Sinne. Beide nah⸗ 
men keinen Anſtand, die ehrwürdige Vulgata zu bekritteln, beide aber 
waren weit entfernt, dieſe nene Bahn der Theologie mit Ernſt und 
Eifer zu verfolgen. Und ernſt meinte es auch Lionardo Bruni nicht, 
wenn er gegen das Erlernen der hebräiſchen Sprache mit dem Argu⸗ 
mente declamirt, daß es ein Mißtrauen gegen die Treue der hieronh⸗ 
mianiſchen Ueberſetzung bezeuge, er ſprach wie der Fuchs von der Traube.) 
Der Vulgata geſchah durch ſeine Aeußerung nicht mehr Ehre, wie 
wenn Auguſtinus, Ambroſius und Lactantius geprieſen wurden, weil ſie 
ein gutes Latein geſchrieben und demjenigen zur Folie dienten, der auf 
die gelehrteſten Theologen der Scholaſtik, auf Hugo von S. Victor, 
Alexander von Hales, Albertus Magnus und Nicolaus von Lyra los⸗ 
ziehen wollte. | 

Im natürlichen und ſchneidenden Gegenſatz ſtanden die Humaniſten 
gegen die Mönche und das Mönchthum. Sie ſelbſt lebten arbeitſam 
und mit dem Stolze der Selbſtſtändigkeit, deſto mehr waren ihnen die 
faulen Kloſterbrüder widerwärtig, die ihre knechtiſche Demuth recht 
zur Schau trugen und doch den Dünkel, den der Humaniſt lieber der 
Welt ins Geſicht zeigte, im tiefſten Herzen hegten. Die Mönche waren 
Jahrhunderte hindurch die Träger der Gelehrſamkeit geweſen, das claſ⸗ 
ſiſche Alterthum aber war ihnen eine völlig ſremde Region, ſie buhlten 
um die Gunſt der Reichen und der Höfe,, aber nicht mit dem Talente 
ſondern mit dem Verdienſte ihres Glaubens und ihrer Regel, ſie galten 


) Epist. IX, 12. 


VII. Der Humanismus und das Miünchthium. 469 


unter dem Volk als die großen Redner, aber ihre Beredtſamkeit war 
keine Kunſt, ſondern eine gaukleriſche Fertigkeit. Sie geberdeten ſich 
immer noch als das Salz der Erde, als die Wächter über Glauben 
und Sitte, und doch hatten Männer ihres Standes ſchon oft genug 
das Wehe über ſie gerufen, ein Orden zankte mit dem andern, faſt in 
allen gab es Spaltungen und Scandal. Ihre Laſter zu brandmarken 
war kein verbotenes Ding und konnte auf den ſtillen Beifall rechnen. 
Die Mönche waren ja nicht die Kirche, ſo wenig als die Vulgata die 
Religion war, beide waren aber die zuerſt dem Angriffe preisgegebenen 
Außenwerke. \ 

Ob der Vortheil auf Seite der Angreifer oder der Angegriffenen 
war, dürfen wir nicht erſt fragen. Die Frivolität iſt vor aller Welt, 
was ſie iſt, ein Laſter in reizender Hülle; frommes Thun aber, iſt es 
vom Verdacht der Heuchelei auch nur angehaucht, unterliegt ſofort der 
tiefſten Verachtung. Die natürlichen Gegner mußten ſich bald finden. 
Schon die Novelliſten, ein Boccaccio, Sacchetti und Ser Giovanni 
machten gar gern Mönche und Nonnen zu den Helden obſcöner Ge— 
ſchichten und am Ende des 15. Jahrhunderts erklärte Maſſuccio da 
Salerno in der Einleitung zu feinem Novellino gerade heraus, die Ten⸗ 
denz ſeiner Novellen ſei, „das wüſte Leben der heuchleriſchen Mönche“ 
darzuſtellen. Boccaccio hat auch in ſeinen theoretiſchen Schriften die 
Bahn bereits eröffnet. Zunächſt hatten ihn die Mönche gereizt, weil 
ſie von der Poeſie als von Poſſenzeug und von den Poeten als von 
Fabelmachern geſprochen, weil ſie den Dichtern ihre Lascivitäten vor⸗ 
geworfen und ſie der Verführung zum Heidenthum beſchuldigt hatten. 
Dafür ſchont Boccaccio auch ſie nicht, dieſe Heuchler, die immer aus⸗ 
ſehen, als wollten ſie mit dem Propheten ſagen: der Eifer für das 
Haus Gottes verzehrt mich. Sie ſchlagen die Augen zur Erde nieder, 
als ſeien ſie mit tiefem Nachdenken beſchäftigt, ſie ſchleichen langſam 
im einfachen Gewande umher, als lebten ſie nur für ihre heiligen und 
erhabenen Speculationen, fie ſprechen wenig und wenn ſie gefragt wer⸗ 
den, nur nach einem vorausgeſchickten Seufzer und die Augen gen Him⸗ 
mel verdreht. Aber ſie wollen dadurch nur bewirken, daß das Volk 
mit Fingern auf ſie zeige, vor ihnen aufſtehe und ſie Rabbi nenne. 
Sie fügen ſich demüthig den Befehlen ihrer Oberen, aber nur, um zu 
einem höheren Grade zu gelangen. Im Stillen wiſſen ſie auch recht 
gut mit weltlichen Dingen umzugehen, Ehen zu vermitteln, Gaſtmählern 
beizuwohnen und den Teſtirenden zu helfen. Und dieſe Heuchler thun, 


470 VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 


als ergriffe ſie ein heiliger Zorn, wenn ſie von Poeſie und Poeten 
hören!) 

Als der Humanismus die herrſchende Richtung geworden war, 
traten in den Vordergrund des Kampfes auf der einen Seite Filelfo 
und Poggio, die keckſten und ſchmähſüchtigſten Großmäuler, auf der 
andern die Minoriten von der Obſervanz, die ſchleichendſten und indu⸗ 
ſtriöſeſten Heiligen des Tages, angeſtaunt vom Volke, das zu ihren 
Bußpredigten ſtrömte, oft von den Herrſchern begünſtigt und die ent- 
ſchiedenſten Lieblinge Papſt Eugen's IV. Sie hielten ſich allein für 
die echten Jünger des heiligen Franciscus, weil ſie allnächtlich ein 
Benedicta mehr an die heilige Jungfrau ſprachen, täglich zweimal 
Bußpſalmen mit doppelter Litanei ſangen, öffentlich im Refectorium 
beichteten und ihren abgehagerten Leib ſowie ihre bettelarme Familie 
beſtändig im Munde führten. Dabei ſuchten ſie die Conventualen — 
ſo nannte man den Stamm des Ordens, der die ſogenannte Reforma⸗ 
tion nicht annehmen wollte — immer mehr einzuſchränken, auszuftechen, 
um ihre Häuſer und um ihre Popularität zu bringen. Bruder Ber⸗ 
nardino war der Name, den ſie emporhielten und dem ſie, ſchon wäh⸗ 
rend er noch lebte, durch geſchäftige Vorbereitung auf ſeinen Einzug, 
wenn er auf ſeinem Eſelein und ganz zerlumpt angeritten kam, und 
durch Verbreitung und Beglaubigung ſeiner Wunder den Weg in die 
heiligen Faſten bahnten. Er ſollte der beſondre Heilige des neuen 
Ordens werden, der ſich von den Franciscanern zugleich abzuſondern 
und doch ihr beſtes Erbe an ſich zu reißen trachtete. 

Bernardino hielt zu Mailand die Faſtenpredigten, die ſeinen Ruf 
als Volksredner und Wunderthäter recht eigentlich begründeten. Das 
gemeine Volk ſchaarte ſich um ſeine Canzel, fiel vor dem Jeſusnamen 
nieder, den er auf eine große Tafel gemalt mit ſich führte, horchte ſei⸗ 
nen Lobpreiſungen der Jungfrau Maria, zitterte zerknirſcht unter dem 
Donner ſeiner Worte, wenn er die Hölle ausmalte und zur Buße rief. 
Die Gelähmten wandelten wieder, die Blinden wurden ſehend, Kranke 
aller Art genaſen plötzlich und Todte ſtanden wieder auf. Auch Filelfo, 
der damals in Mailand die griechiſche Grammatik und die lateiniſche 
Rhetorik lehrte, machte ſich das Vergnügen, den Gottesmann zu ſehen 
und zu hören, er brachte wohl ſchon wenig Glaubensempfänglichleit 
mit, als er kam. Mochte nun den claſſiſchen Prunkredner der Ruf 


) Boccatii de geneal. Deor. Lib. XIV cap, 5. 


VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 471 


des Volksredners ärgern, oder war es der abergläubiſche Spuk, der 
ihn reizte, er zog ſeitdem mit Witzen und Schmähungen ſo bitter und 
wüthend auf Bernardino los, wie er ſeinem Groll gegen andre minder 
heilige Gegner Luft zu machen pflegte.) Viele ſeiner Ausfälle mögen 
in dem ungedruckten Werke de jocis et seriis enthalten ſein; wir mei⸗ 
nen aber auch in einer feiner Satiren“) Bernardino deutlich herauszu⸗ 
erkennen, wenn er auf den Mann läſtert, der von ſeiner hohen Canzel 
die ſüßen Freuden des ewigen Lebens und die Schrecken der Hölle zeige, 
den das dumme Volk zum Himmel erhebe, der den Namen der Jung⸗ 
frau Maria mit fündlicher Liebesgluth feiere. Dieſen Mönch, von 
dem ſeine Hagiographen erzählen, er ſei jedem weiblichen Weſen auf 
der Straße ausgewichen und habe bei Seite geſehen, um ſeine Sinne 
nicht in Verſuchung zu führen, ihn bezeichnet Filelfo als den gefähr⸗ 
lichſten Feind aller Jungfräulichkeit und Schaamhaftigkeit '), ihn ſtellt 
er als Seitenſtück zu einem nichtswürdigen Knabenſchänder auf und 
verhehlt nicht ſeine Anſicht, daß der ganze Stand ihm ähnlich ſein 
möge.) Das ganze Treiben der Mönche erſcheint ihm als eitel Gau⸗ 
kelei und Gaunerei, er behandelt ſie gerade wie die albernen Aſtrologen, 
deren Zunft am Hofe Filippo Maria's blühte.) Daß nur ſeine ver⸗ 
rufene Schmähſucht, nicht etwa Religioſität die Urſache ſeines Haſſes 
iſt, bedarf keines Beweiſes. Vergebens wird man in ſeinen Schriften 
irgend einen wahren Ausdruck des Glaubens ſuchen, man müßte ihm 
denn, wie ſein Biograph wirklich gethan hat, ſeine Declamationen ge⸗ 
gen die Türken als miſſionären Eifer auslegen.) Wir finden es er⸗ 
ſtaunlich kühn, daß er jene Satire, in welcher Bernardino ſo handgreif⸗ 
lich gezeichnet war, mit den andern Papſt Nicolaus überreichte, der 
zwar kein Gönner der Obſervanten war, aber Bernardino doch kano⸗ 
niſirt hatte. Da indeß der Name nicht offen genannt war, ſcheint der 


1) Joh. Jovin. Pontanus de sermone V, 1 (Opp. T. II. Basileae, 1538. 
p. 440). Ich geſtehe, die Zeit dieſer Vorfälle nicht beſtimmen zu können, da die ver⸗ 
worrenen Angaben in den Acta Sanctorum mit den Daten aus dem Leben Filelfo's 
nicht übereinſtimmen wollen. 

2) Dec. II. hec. 5. 

) Qui nullum flagrare sinit tentigine cunnum ete. 

) Ecce sacerdotes qui sacra deumque ministrant, 

Ecce probos pietate viros! etc. 

) v. Rosmini Vita di Filelfo T. III. p. 75. 76. 

) Ros mini l. c. p. 76: fu ardente il suo zelo per la propagazione di lei 
della sua religione) e per l’estirpamento dell' eresie e dell' infedeltä. 


472 VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 


Papſt daran fo wenig Anſtoß genommen zu haben wie an den Läſte⸗ 
rungen gegen die Medici und ſeine florentiniſchen Freunde. 

Denſelben Kampf, zu dem ſich Filelfo gelegentlich herausgefordert 
fühlte, betrieb Poggio ſyſtematiſch und länger als ein Vierteljahrhun⸗ 
dert. Er war in das Intriguenſpiel, welches die Obſervanten an der 
römiſchen Curie gegen die conventualen Franciscaner führten, verwickelt 
worden. Papſt Martin V hatte ihm nämlich den Auftrag gegeben, in 
der Cancelei gewiſſe Decrete aufzuſetzen, nach welchen bis zur Entſchei⸗ 
dung eines Generalcapitels die Obſervanten in ihrem Vordringen ge⸗ 
hemmt und beſchränkt werden ſollten. Nur eine kleine Zahl von ihnen 
ſollte inzwiſchen predigen dürfen, die Errichtung neuer Häuſer für ihre 
Familie ganz unterbleiben. Mag ſein, daß Poggio diesmal ſeine Amts⸗ 
pflicht mit beſonderm Eifer erfüllte. Die Obſervanten aber hielten ihn 
für den Anſtifter jener Maßregeln und begannen ihn durch Beſchuldi⸗ 
gungen zu reizen. Poggio vergalt es ihnen. Zunächſt machte er ſofort 
beim Papſte Anzeige, als die Obſervanten trotz dem Decret ein neues 
Haus ihrer Familie gründen wollten und zwar auf einem Grundſtücke, 
welches ihnen der Florentiner Carlo Ricaſſoli in der Nähe von Ter⸗ 
ranuova, Poggio's Geburtsflecken, und einer Villa, die Poggio dort 
beſaß, geſchenkt hatte. Dieſe Mönche, meinte Poggio ſpöttiſch, thäten 
beſſer, Wälder und Wüſten aufzuſuchen als ſo liebliche Gegenden, in 
denen ihre Tugend allzuſehr in Gefahr ſei.) Er kannte die Wege der 
curialen Verwaltung. Den Obſervanten wurde geboten, den Bau ſo⸗ 
fort einzuſtellen, ja die ſchon errichteten Mauern wieder zu brechen. 
Sie ſchrieen ihn dafür als einen Feind des chriſtlichen Glaubens und 
Verfolger der Gläubigen aus. Seitdem blieb Poggio bis in ſein hohes 
Alter ein unverſöhnlicher Feind dieſes Ordens und der Mönche über⸗ 
haupt. Er wußte ihr Treiben in draſtiſchen Zügen und mit treffender 
Lebenswahrheit auszumalen, er hatten ihre ſchwachen Seiten ſcharf aus⸗ 
geſpäht. Oft war er gegangen, um zu ſeiner Beluſtigung, wie er ſagt, 
Männer wie Bernardino oder Alberto da Sarteano anzuhören, von 
denen die Kirche den einen heilig, den andern ſelig geſprochen hat. 
So unterſchied ſich ſeine Satire von dem Wehgeheul frommer Peſſi⸗ 
miſten, die überall und auch im Mönchsſtande Entartung und Verder⸗ 


) Sein Brief an Traverſari in deſſen Epistt. XXIV, 8, an Niccoli ibid. XXV, 
41. Alberti Sarthianensis epist. 2. ap. Martene et Durand Collect. 
ampliss. T. III. p. 758. 


VII. Der Humanismus und das Mönchthum. 473 


ben ſahen, ohne beſtimmte Gruppen und Perfonen zu bezeichnen. Hier 
machte ein alter Curiale ſeine Enthüllungen, der vierzig Jahre lang 
in der päpſtlichen Cancelei gedient und die Regierung von ſieben bis 
acht Päpſten geſehen hatte. Wir ſtellen aus mehreren ſeiner Schriften 
zuſammen, wie er dem Mönchthum zu Leibe ging. 

Schon von den Motiven, welche die Menſchen zur Annahme des 
religioſen Charakters bewegen, hat Poggio die Anſicht eines kühlen 
Realiſten. Meiſtens beſtimme nur der Wunſch, ein faules Leben zu 
führen, die Menſchen dazu, daß ſie die Kutte nehmen: einige ſeien zu 
arm und ſchwach, andre zu faul und untauglich, um einen ehrlichen 
Lebensunterhalt zu erwerben. Liederliche Burſchen, die nichts gelernt 
oder ihr Vermögen durchgebracht haben und des wüſten Lebens wegen 
verrufen ſind, ſtellen ihre Ehre dadurch her, daß ſie Religioſen werden 
und ein ſchmutziges Kleid anlegen, ohne deshalb den Schmutz ihrer 
Seele und ihres früheren Wandels von ſich zu werfen. Die meiſten 
Obſervanz⸗Minoriten ſeien vorher faule Ackerknechte oder Söldner ges 
weſen und nur in den Orden getreten, um nicht arbeiten zu dürfen. 

Er ſelbſt, ſagt Poggio, ſei kein tugendhafter Menſch, aber er 
verabſcheue jene Rotte, die durch den Heuchelſchein der Tugend nicht 
ſowohl Andre als ſich ſelbſt betrüge, ſich für unbefleckt und vollkommen 
halte und in ihrem Stolz alle andern Menſchen verachte. Wenn ſie ein 
rauhes und ſchmutziges Kleid tragen und auf Holzſandalen gehen, wenn 
fie den Nacken krümmen und den Kopf hängen laſſen, bleich und mager 
ausſehen, ſo glauben ſie damit ſchon den unumſtößlichen Beweis ihrer 
Heiligkeit und Demuth zu liefern. Man ſehe nur das Heuchlergeſchlecht, 
welches ſich am Hofe Eugen's IV eingeniftet, wie fie öffentlich ihre 
Verachtung des Geldes darlegen, immerfort den Namen Jeſus im 
Munde führen, mit ihren Faſten Aufſehen machen, dabei aber ſich mit 
Aeckern und Gütern zu bereichern, die frommen Männer zu betrügen 
und die frommen Weiber zu verlocken wiſſen. Warum nennen ſie den 
Heiland nur Jeſus, nicht wie Andre Jeſus Chriſtus, warum nennen 
ſie ſich ſelbſt Jeſuiten, nicht wie Andre Chriſten? Sie wollen mit die⸗ 
ſer neumodiſchen Sitte als eine auserleſene Schaar erſcheinen. Sie 
reden von ihrer asketiſchen Lebensweiſe wie von Herculesthaten, wie 
ärmlich ihr magerer Leib umhüllt ſei, wie oft ſie des Nachts aufſtän⸗ 
den, um zu ſingen und Gott zu preiſen. „Wahrlich ein herrliches, 
nicht genug zu lobendes Ding, nur Singens halber nächtliche Wachen 
zu halten. Was würden ſie wohl ſagen, wenn ſie als Ackersleute zum 


474 | VII. Der Humanismus und das Möndthuu. 


Pfluge gehen müßten, auch bei Sturm und Regen, oft mit nackten Fü⸗ 
ßen und mit kaum bedecktem Leibe?“ Und trotz der ſtrengen Regel ver⸗ 
laſſen ſie ihre Klöſter, treiben ſich auf den Straßen und Maͤrkten umher, 
wo Fleiſch, Gemüſe, Oel und Fiſche verkauft werden; als läſtige Bett⸗ 
ler, nicht als demüthig Bittende verlangen ſie zudringlich Geld, Schuhe 
und dergleichen, was ſie nicht einmal annehmen ſollten. Selbſt jeder 
Arbeit fremd, leben ſie vom Schweiße Andrer. Die verſchlagenſten 
unter dieſen Obſervanten aber ſchleichen an der Curie umher, um für 
ihren Orden Gnaden, Immunitäten und Privilegien auszuwirlen, für 
ſich aber Bisthümer und Cardinalshüte. Erlangen ſie dann ſolche 
Würden, ſo müſſen der Papſt und ihre Oberen die Schuld tragen, 
die haben es ihnen befohlen und ihren Abſcheu vor der Ehre über⸗ 
wunden. 

Und ihre Predigten, auf deren Verdienſt ſie ſich ſo viel zu Gute 
thun, als entriſſen ſie dadurch die Seelen ſchaarenweiſe der Hölle — 
ſie zu hören und zu ſehen, könne einen Melancholiſchen zum Lachen brin⸗ 
gen. Seitdem Bernardino mit ſeinen Bußreden ſo vielen Beifall ge⸗ 
funden, wolle es ihm jeder unverſchämte Dummkopf nachthun. Wie 
ſie ſich bald emporſchnellen, als wollten ſie von der Canzel ſpringen, 
bald wie Wahnſinnige ſchreien und dann wieder ganz leiſe flüſtern, 
bald wüthend mit der Fauſt auf die Canzel ſchlagen, bald lachen, man⸗ 
nigfaltig wie Proteus, oft Affen ähnlicher als Predigern! Sie über⸗ 
laſſen ſich ganz ihrer ungebildeten Geſchwätzigkeit und wenn ſie einen 
Zweck verfolgen, fo iſt es nicht das Heil der kranken Seele, ſondern 
nur der Beifall und die Gunſt des dummen Volles, welches ſie zum 
Lachen bringen und durch dieſe Abwechſelung unterhalten. Die guten 
Weibchen ſind entzückt, ohne zu wiſſen warum, und laſſen ſich fromme 
Gaben ablocken. Oft haben ſich dieſe Prediger in beſtimmten Materien 
feſtgerannt und bringen fie überall vor, oft donnern fie in jo abſtruſen 
Worten, daß weder Andre noch ſie ſelbſt das Zeug verſtehen, oft ſind 
ſie ſo einfältig und langweilig, daß die Zuhörer bei ihren Dummheiten 
einſchlafen, oft ziehen ſie gegen das Laſter in ſolcher Weiſe zu Felde, 
daß ſie vielmehr darin unterrichten, erzählen alberne und ungehörige 
Poſſen oder die ſcandalöſeſten Geſchichten. Von einem dieſer Obſer⸗ 
vanten will Poggio gar wiſſen, daß er nackt gepredigt habe, um die 
Weiber anzulocken. So iſt denn der Erfolg, daß ſie heiſer und mit 
Schweiß bedeckt, die Zuhörer aber dummer, als ſie gekommen, davon⸗ 


* 


VII. Aufnahme des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 475 


gehen. Sie bellen und brüllen Jahre lang von ihren Canzeln, und 
doch wird niemand und nichts in der Welt beſſer.) 

Zu ſolchen Schilderungen bringt Poggio überall, beſonders aber 
in ſeinen Facetien, eine Menge von Beiſpielen und Geſchichten von 
habſüchtigen und gaunerhaften Mönchen, von ſolchen Heiligen, die durch 
den ſchaamloſeſten Umgang mit ihren weiblichen Beichtkindern jene Bläſſe 
des Geſichts und die Hagerkeit erwarben, um deren willen ſie das Volk 
bewunderte, von ertappten und beſtraften Ehebrechern u. ſ. w. Die 
Perſönlichkeiten werden oft ſo angedeutet, daß man ſie entweder erkannte 
oder doch verſucht war, auf dieſen und jenen zu rathen, oft werden ſie 
auch geradezu genannt. Erwägen wir, daß Poggio am Hofe Nicolaus’ V 
ein angeſehener Mann war, als er ſeinen Dialog gegen die Heuchelei 
ſchrieb, daß die Würde eines florentiniſchen Staatsſecretärs ihn hoch 
über die Schaar der gewöhnlichen Literaten gehoben hatte, als er die 
Facetien herausgab, erinnern wir uns ferner, wie vielgeleſen ſeine 
Schriften und zumal die Facetien waren, ſo tritt erſt dadurch ihre Be⸗ 
deutung in das volle Licht, und der bittre Haß, den die Bettelmönche 
auf ihn und auf ſein Andenken geworfen, wird uns erklärlich. 

Indeß die Kirche iſt keinem Angriff erlegen, der ihr von außen 
gekommen wäre. Was man von ihrer Verderbniß in Haupt und Glie⸗ 
dern ſagen mag, das neubelebte Heidenthum war ſicher auch nicht die 
Macht, ſie zu ſtürzen oder gar zu erſetzen, wenn es nur eine Liebhaberei 
nebenher geblieben, wenn es nicht von der Kirche ſelbſt aufgenommen, 
gleichſam aufgeſogen wäre. Wir bezeichneten oben ſchon die Periode 
Nicolaus’ V als die ſeines Sieges. Damals lebte in den Prälaten 
und Cardinälen bereits ſo viel Sinn für das humaniſtiſche Treiben, 
daß ſelbſt diejenigen, deren Bildung nicht in dieſer Richtung lag, ſich 
gern wenigſtens den Anſchein von Freunden und Mäcenen der neuen 
Literatur gaben, um nicht als rohe Menſchen zu erſcheinen. Nahm 
doch kaum jemand Anſtoß daran, daß jener Papſt die Einkünfte der 
apoſtoliſchen Kammer lieber auf eine Bibliothek als auf die Kirche 
und das Heil der Seelen verwendete, daß er ſich lieber mit unruhigen 
Literaten von aurüchigem Lebenswandel umgab als mit Mönchen und 
frommen Dienern der Religion. 


) Nach dem Dial. contra hypocrisim (I. s. c.), der Hist. conviv. discept. 
de avaritia (Opp. p. 2sq.), de miser. condit. human. Lib. I (Opp. p. 100 sq.), 
epist. Alberto suo (Opp. p. 317), Franc. Barbaro epist. 14. 27. inter Epistt. 
LVII, epist. Nicolao suo inter Ambr. Travers. Epistt. XXV, 41. 


476 VII. Aufnahme des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 


Das Mönchthum, ja das Bettelmönchthum ſelbſt iſt von der neuen 
Richtung nicht unberührt geblieben, und ſich mit ihr befreunden hieß 
ihr unterliegen. Schon in der Zeit nach Petrarca's Tode, als Filippo 
Villani noch zu klagen hatte, er finde niemand, dem er ſein Werk über 
den Urſprung von Florenz und über die berühmten Männer der Re⸗ 
publik widmen möchte, denn Alle hätten nur am Gegenwärtigen, an 
Geld und Zins ihre Freude und würden ſtatt der Ehre, in den Vor⸗ 
reden eines Maro oder Livius erwähnt zu werden, lieber einen Gro⸗ 
ſchen geſchenkt nehmen, ſchon damals, als der Humanismus mit ſeiner 
Ruhmesſehnſucht eben erſt erwacht war, weiß Villani den Klöſtern ein 
ſeltſames Lob zu ſpenden. In den Orden, ſagt er, giebt es wohl lo⸗ 
benswerthe Geiſter, die neben ihren heiligen Studien auch durch welt- 
liche Töne gelockt werden, aber ſie wagen dieſelben nur im Stillen 
zu genießen und meiden das öffentliche Aufſehen, um nicht in den 
Verdacht weltlicher Ruhmesliebe zu fallen.) Dieſe anfängliche Scheu 
wurde bald überwunden. In Florenz gingen die Dominicaner von 
S. Maria Novella und die Franciscaner von S. Croce voran. Wir 
erinnern ferner an Traverſari den Camaldulenſergeneral, der mit dem 
heidniſchen Marſuppini und mit dem frivolen Poggio im freieſten 
Umgange ſtand, der um die tullianiſche Eloquenz buhlte und um ſei⸗ 
nen Ruhm ſchrieb, ganz wie die andern Literaten. Das Beiſpiel des 
Generals trug ſeine Früchte, das zeigt ſchon die Geſchichte des Hauſes 
degli Angioli, dem er angehört. Paolo Orlandini, ein Bruder aus 
demſelben, bejahte nicht nur die Frage, ob es einem Mönche anſtehe, 
ſich mit der heidniſchen Literatur zu beſchäftigen, er führte ſogar als 
erſten Grund dafür an, daß durch die Bücher der Heiden eine glän⸗ 
zendere und reichere Rednergabe gewonnen werde.“) Und Guido, der 
Prior des Hauſes, erklärte dieſe Studien für die N Füllung 
der klöſterlichen Muße.) 

Die Bettelmönche hätten vor andern den Prunk der claſſiſchen 
Wiſſenſchaft wie jeden ſonſtigen Pomp der Welt energiſch von ſich 
weiſen müſſen, und doch wurden auch ihrer nicht wenige in die ſchön⸗ 
geiſtige Sphäre gelockt. Antonio da Rho, der Valla in grammatiſchen 
Fragen anzugreifen wagte und gleichfalls ein Werk über die Eleganz 


) Aus ſeiner epist. ad anonymum bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 333. 
2) Aus feinem Heptathicus ibid. p. 394. | 
) ibid. | 


VII. Aufnahme des Humanismus in bie Kirche ſelbſt, fein Sieg. 477 


der lateiniſchen Sprache ſchrieb, war ein Franciscaner.) Sogar vom 
heiligen Bernardino wird erzählt, daß er die Redekunſt nach dem Mu⸗ 
ſter der Alten ſtudirt. Mag das wahr ſein oder nicht, er wäre nicht 
der erſte heilige Mann, deſſen Glaubenseifer von rhetoriſchen Studien 
ausging. Als ein rechtes Zwittergeſchöpf der Art erſcheint jener Al⸗ 
berto da Sarteano, der Obſervanz-Minorit, von deſſen heiligen Ver⸗ 
dienſten die Acten ſeines Ordens gar viel zu erzählen wiſſen und den 
der römiſche Stuhl heilig geſprochen. Noch als ein Mann von 37 Jah⸗ 
ren, alſo dem Alter der Spielereien und Extravaganzen bereits fern 
genug, kam er nach Ferrara, um von Guarino die Rhetorik und Grie⸗ 
chiſch zu lernen.) Dann zog er herum, als der König der Volkspredi⸗ 
ger, als der würdigſte Nachfolger Bernardino's bezeichnet.“) Hätten wir 
nicht von ihm eine Reihe von Briefen, die er in verſchiedenen Lagen 
des Lebens geſchrieben “, es gelänge uns ſchwer, eine andre Vorſtellung 
von dem Manne zu gewinnen, als die ſeine Ordensbrüder verbreitet 
haben. So aber erkennen wir deutlich das Gift der Wohlredenheit, 
welches den glaubenseifrigen Mönch inficirt hat. Der Schüler Gua⸗ 
rino's war mit dem florentiniſchen Kreiſe, zumal mit Niccoli und Bruni, 
meiſtens auch mit Poggio befreundet. Nun fetzte es ihn in Verlegen⸗ 
heit, als Poggio bei dem Bau des Ordenshauſes zu Terrannova oder 
Gangareto den Obſervanten nicht nur hindernd in den Weg trat, ſon⸗ 
dern über den ganzen Stand feine derbſte Meinung ſagte. Er mochte 
gegen den Freund nicht, wie früher gegen Beccadelli's Hermaphroditus, 
auf den Gaſſen predigen, ſo ergriff er die Feder, um ſeine Ordens⸗ 
brüder nicht nur zu vertheidigen, ſondern durch literariſches Lob zu 
verherrlichen, damit nicht „die unſchuldigen Knechte Gottes“ dem Ta⸗ 
lente und Ruhme des Angreifers erliegen möchten.) Er will mit ihm 
im Tone der chriſtlichen Liebe rechten und redet ihn daher gewöhnlich 
als „ſüßeſten Poggio“ an, aber er will doch auch ſeinem Stande nichts 
dergeben. Er wirft Poggio vor, daß er ſich an den Poſſen der heid⸗ 
niſchen Literatur ergötze, daß er ſeinen Leib mit antiken Sentenzen, 
„gleichſam mit Schweineträbern« ſättige, wie die Schrift vom verlore⸗ 


) Aeneas Sylvius de vir. clar. XVI. Valla ſchrieb gegen ihn ſeine Ad- 
notationes in errores Antonii Raudensis (Opp. p. 390 sq.). 

2) Mehus l. c. p. 384. Maffei Verona illustr. P. II. p. 137. 

) cf. Wadding Annal. Minor. edit. Lugdun. T. V. p. 101. 

) In Martene et Durand Collect. ampliss. T. III. p. 7558. 

) Epist. 1. I. c. an Niccoli. Epist. 2, an Poggio gerichtet, iſt die Schrift ſelbſt. 


* 


478 VII. Pius II, der Humaniſt auf dem apoſtoliſchen Stuhl. 


nen Sohne erzähle. Und das zunächſt, weil Poggio den trefflichen 
Wein von Gangareto, den er den Mönchen nicht gönnte, leichthin als 
Jupitersnektar bezeichnet. „Was heißt das anders, ſagte Alberto, als 
den wahrhaftigen Gott ſchmähen oder vielmehr offen bekennen, daß 
Jupiter dein Gott iſt!“ Er that wohl, als laſſe er ſich gleichſam her- 
ab, gegen den weltlichgeſinnten Gegner mit den weltlichen Waffen der 
Gelehrſamkeit und Beredtſamkeit zu kämpfen; citirt er Cicero, fo foll 
es ſcheinen, als füge er ſich nur der Anſchauung Poggio's: „dein Tul⸗ 
lind.u Und doch ſchüttet er ſelbſt feine claffifche Weisheit mit vollen 
Schalen aus, wenn auch mit chriſtlichen Redeblumen vermiſcht. Pre⸗ 
digte er in einer Muſenſtadt wie Ferrara und in Gegenwart eines 
Guarino, ſeines Lehrers, dann konnte er vier Stunden lang gegen die 
Laſter donnern und außer durch theologiſche Gelehrſamkeit auch durch 
einen unglaublichen Reichthum von claſſiſchen Dichter⸗ und Redner⸗ 
ſtellen ſein Publicum entzücken.) In der Schrift gegen Poggio ſprach 
er mit Verachtung vom „Klang der Worte“, den ein heiliger Mann 
der Kirche zurückweiſen müſſe, und doch legte er eben dieſe Schrift Nic⸗ 
coli zur Beurtheilung vor, durch Ben Cenſur er „täglich gefeilter“ 
zu ſchreiben hoffe. 


Nur einen flüchtigen Blick werfen wir von der Epoche Nicolaus’ V 
aus in die nächſtfolgenden Jahrzehnte und nur auf Rom beſchränken 
wir dieſen Blick. Nach kurzer Zwiſchenregierung eines alten kraftloſen 
Mannes folgt auf dem apoſtoliſchen Stuhle jener Pius II, deſſen welt⸗ 
licher Name Aeneas Sylvius in der humaniſtiſchen Literatur mindeſtens 
ſo bedeutend iſt als ſein apoſtoliſcher Name in der kirchlichen Geſchichte. 
Er war ein Schüler Filelfo's und bildete ſich vorzugsweiſe nach Pog⸗ 
gio's Schriften. Leichtfertig und frivol in jüngeren Jahren, eitel und 
ruhmbegierig als Mann, keimte in ihm der Sinn für das Kirchliche 
erſt auf, ſeitdem er unter die Großen der Kirche aufzuſteigen hoffte. 
Als Papſt hatte er ſich allerdings bereits in ſeine Würde gefunden, 
doch lebte auch der Humaniſt in ihm immer noch fort. Immer noch 
liebte er die witzigen und lebensluſtigen Menſchen, gefiel ſich in geiſt⸗ 


) ef. Guari ni epist. 1. ap. Martene et Durand l. e. T. III. p. 855. 


VII. Scheinbare Reaction unter Panlus IT. 479 


reichen Sentenzen, hielt ſtattliche Reden nach der Kunſt und freute ſich 
des Beifalls, ſchrieb oder dictirte pomphafte Breven, gleichwie er früher 
mit Leidenſchaft Briefe geſchrieben, verfaßte Commentarien über ſeine 
Regierung und ſeine Zeit und buhlte durch wiſſenſchaftliche Werke um 
ein ruhmvolles Andenken in der Geſchichte. 

Sein Nachfolger Paulus II iſt von einem gekränkten Curialen, 
der eine Papſtgeſchichte ſchrieb, von Platina, in den Ruf gebracht wor⸗ 
den, als ſei er ein principieller Feind der claſſiſchen Studien und ein 
ergrimmter Verfolger der platoniſchen Akademie geweſen. Als Mäcenas 
ließe er ſich gleichfalls darſtellen, wollten wir einem Filelfo glauben, 
den der Papſt mehrmals beſchenkt hat. Indeß haben wir genug Ma⸗ 
terial aller Art, um uns von ihm und von ſeinem Verfahren gegen 
die Akademie eine Vorſtellung zu machen, und auch was Platina aus 
erbittertem Herzen berichtet, zeugt für ſich ſelbſt. Nur müſſen wir, 
‚um die Sache in das rechte Licht zu ſetzen, ein wenig ausholen. 

Die Zahl der Secretäre, Scriptoren und Abbreviatoren der Curie 
war unter Nicolaus V und Pius II unmäßig angewachſen, weil dieſe 
Aemter wie Pfründen betrachtet wurden, mit welchen man allerlei 
Günſtlinge, beſonders aber Humaniſten und Dichter am bequemſten. 
abfand. So ſah ſich Papſt Paulus veranlaßt, das Collegium der 60 
Abbreviatoren (del Pareo maggiore), welches ſein Vorgänger zur Ver⸗ 
beſſerung des Canceleiſtils geſchaffen und zum Theil mit Schöngeiſtern 
beſetzt, alsbald wieder aufzulöſen, mochte er ſie nun unbrauchbar finden 
oder mochte er ſich ſelbſt die Beſetzung der erledigten Stellen um Geld 
und Gunſt vorbehalten wollen. Die entlaſſenen Literaten, unter denen 
auch Platina war, erhoben ein großes Geſchrei, ſie dachten natürlich 
alle wie er: ſie hätten als Dichter und Redner der Curie mindeſtens 
ſo viel Ehre verliehen, als ſie von ihr empfangen; Männer von ihrer 
Gelehrſamkeit und Bildung hätte der Papſt vielmehr vom ganzen Erd⸗ 
kreiſe zuſammenrufen müſſen. Sie verlangten, ihre Sache ſollte den 
Richtern der Ruota vorgelegt werden, und wollten ſich in einer Audienz 
vor dem Papſte vertheidigen. Als aber Paulus dieſe abſchlug und feſt 
auf ſeinem Beſchluſſe beſtand, richtete Platina ein drohendes Schreiben 
an ihn im Namen ſeiner Collegen: ſie würden die Fürſten aufzuregen 
und ein Concil gegen den Papſt zu veranſtalten wiſſen. Kerker und 
Feſſeln waren die Antwort. Es wurde eine Unterſuchung auf Pasquill 
und auf jene Drohung mit dem Concil eingeleitet. Platina konnte 
nach viermonatlicher harter Haft kaum mehr auf den Beinen ſtehen, als 


480 VII. Die catilinariſche Bande in Rom. 


er endlich in Folge der Verwendung eines Cardinals freigelaffen wurde; 
doch durfte er Rom nicht verlaſſen.) Es war das erſte Mal, daß 
der Uebermuth des lange gehegten und gehätſchelten Literatenvolkes eine 
empfindliche Züchtigung erhielt. Doch war dies nur der erſte Act des 
Drama's. 

Es gab in Rom eine gefährliche Menſchenclaſſe, die aus den Söh⸗ 
nen ärmerer Adliger, aus böſen Schuldnern und heruntergekommenen 
Menſchen aller Art beſtand. Die großen Adelshäupter, die Colonna 
und Orſini, bedienten ſich dieſer ſogenannten Ritter zu ihren Fehden 
und Aufſtänden. Sie waren es, die unter Eugen IV den Pöbel an⸗ 
geführt, den Papſt und die Cardinäle verjagt und die Republik aus⸗ 
gerufen hatten. Schon damals ſpielte unter ihnen Stefano de' Porcari 
eine Hauptrolle), keinesweges ein roher Räuber, wie die Curialen, 
die vor ihm gezittert, ihn darzuſtellen pflegten. Vielmehr war er einſt 
ein Jüngling von hochfliegendem Geiſt und voll republicaniſcher Träume 
geweſen, Humaniſt und Dichter, mit Poggio und Traverſari befreun⸗ 
det.“) In feiner wirren Phantaſie bezeichnete er ſich ſelbſt als denjeni⸗ 
gen, auf welchen Petrarca in der berühmten Canzone Spirto gentil, 
deren Held bekanntlich Cola di Rienzo iſt, prophetiſch hingedeutet: 

Sopra il monte Tarpejo, Canzon, vedrai 
‘Un cavalier ch’ Italia tutta onora etc.?) 

Aber in der wüſten Geſellſchaft, in die er gerieth, verſank er ret⸗ 
tungslos in Schulden und aus dem Brutus wurde ein Catilina. Wäh⸗ 
rend des Conclave, in welchem Nicolaus V gewählt wurde, ſtiftete er 
neue Unruhen an. Damals hielt er in ſeinem Hauſe vor der verſam⸗ 
melten Bande eine Rede, an der er mehrere Tage gearbeitet, im Stile 
Cola's: er beklagte den verlorenen alten Ruhm der Weltſtadt, wo jetzt 
Männer von antiker Tugend in ſteter Gefahr lebten und dergleichen.) 


) Platina in Vita Pauli II. 

2) Ambros. Travers. epist. III, 7. 3. 10. 

) Er begegnet uns häufig als Stephanus Porcius in den Briefen Traver⸗ 
ſari's, mitunter als poeta bezeichnet. Auch leſen wir hier zwei ſeiner Brieſe (XXIV, 
27. 28). Eines veroneſiſchen Codex, in welchem neben Schriften Cicero's, Sallu⸗ 
ſtius', Petrarca's, Bruni's und Filelfo's auch einige von Porcari ſich befinden, gedenkt 
Ros mini Vita di Filelfo T. I. p. 55. 

) Vergl. Papencordt Geſch. der Stadt Rom im M. A. S. 483. 

) L. B. Alberti de Porcaria conjuratione ap. Muratori Seriptt. T. 
XXV. p. 310. 


VII. Die eatilinariſche Bande in Rom. Die Akademie. 481 


Aber der Verſuch wollte nicht gelingen, Porcari wurde nach Bologna 
verbannt. Von da aus ſtiftete er wiederum eine Verſchwörung gegen 
Nicolaus V nnd die geiſtliche Herrſchaft an, wurde aber gefangen ge⸗ 
nommen und mit neun ſeiner Genoſſen an der Engelsburg aufgeknüpft. 
Er iſt das grellſte Gegenbild zu dem ſchüchternen, bücherſammelnden 
Papſte und doch wie dieſer auf dem humaniſtiſchen Boden erwachſen.— 
Als ſich unter Papſt Calixtus III das Geſchlecht der Borja in Rom 
anſiedelte, beſtand ihr Gefolge aus Menſchen ähnlicher Art, verwilder⸗ 
ten Rittern. Während einer Abweſenheit Pius' II hauſten ſie in Rom 
wie eine Räuberhorde und erhoben einen gewiſſen Tiburzio, den Sohn 
eines angeſehenen Bürgers, als ihr Haupt und als den künftigen Her⸗ 
ſteller der Freiheit. Auch damals wurden die Rädelsführer gehenkt, 
die Bande aber blieb beſtehen und ergänzte ſich fortwährend aus allen 
unzufriedenen und desperaten Elementen. 

Nicht minder gefährlich, als dieſe Menſchen der Stadt und dem 
Pontificat, war die ſogenannte römiſche Akademie der Kirche und dem 
Glauben. Es herrſchte in derſelben eine entſchiedene Verachtung des 
theologiſchen Dogma und jeder hergebrachten Autorität, Alles dagegen 
galten das Hirngeſpinnſt der römiſchen Republik und Platon, von dem 
man ohne Weiteres vorausſetzte, daß feine Lehre der chriftlichen nicht 
widerſpreche. Gewiß waren ehrenhafte Charaktere unter den Mitgliedern 
der Geſellſchaft, zumal Pomponio Leto, ihr Gründer, der unter den 
Trümmern des alten Rom nur dem Andenken der alten Römer zu 
leben ſchien, der die Barone der Stadt und die Prälaten der Curie 
kaum eines Blickes würdigte, der jeden Prunk und jede Heuchelei mit 
ſtolzer Selbſtgenügſamkeit verachtete. Aber es waren auch leichtfüßige 
Dichter und frivole Witzbolde in dieſem Kreiſe, denen gerade das Hei⸗ 
ligſte der lohnendſte Gegenſtand des Spottes ſchien. Bis jetzt hatte 
der Ruf der tiefen Gelehrſamkeit und die Protection des alten Cardi⸗ 
nals Beſſarion die Akademie vor jeder Verfolgung geſchützt. Doch 
wohnte unbeſtritten in ihren Verfammlungen auf dem Quirinal und 
in ihren Sympoſien mehr als Ketzerei, das volle und deutliche Hei⸗ 
denthum. 

Dieſe beiden Klaſſen der römiſchen Geſellſchaft, die zügelloſen 
Ritter und die platoniſirenden Akademiker, hatten das Banner des 
Republicanismus mit einander gemein. Nur zeigte er ſich dort mehr 
in ſeiner demagogiſchen und tumultuariſchen, hier in ſeiner ſchwärme⸗ 

Voigt, Humanismus. öl 


482 VII. Scheinbare Reaction unter Paulus II. 


riſchen und ideellen Geſtalt. Eine wirkliche Verbindung zwiſchen beiden 
Körperſchaften mag nicht ſtattgefunden haben, aber es iſt dennoch er⸗ 
klärlich, daß Paulus II ſie wie zuſammengehörig betrachtete, und auch 
den weggejagten Abbreviatoren lag es in der That nahe, ſich den Un⸗ 
zufriedenen anzuſchließen. Einige wie Platina gehörten zur Akademie. 
Nun ſprach man von einer Verſchwörung, die freilich nach Platina's 
Angabe gar nicht beſtand. Ihr Haupt ſollte Filippo Buonaccorſi ſein, 
ein unter dem Namen Callimachus-Experiens wohlbekanntes Mitglied 
der Akademie; er ſei, wurde behauptet, nach dem Sturze des Papſtes 
zum Herrſcher der Stadt, wohl gar ſelber zum Papſte deſignirt. Dieſe 
Beſchuldigung erſcheint freilich ziemlich unſinnig, aber einige Urſache, 
beſorgt zu ſein und einzugreifen, hatte Paulus II gewiß. Platina 
wurde mit andern in der Engelsburg eingekerkert und mehrmals ge⸗ 
foltert, auch in der Haft behalten, als — nach ſeiner Darſtellung — 
der Papſt anerkannte, daß er eingeſchüchtert worden und daß ſein Ver⸗ 
fahren grundlos geweſen ſei (1468). Unſer Humaniſt, voll Erbitterung 
über das, was er ausgeſtanden, declamirt, das Grabmal Hadrians ſei 
zum Stiere des Phalaris geworden, unſchuldige Gelehrte ſeien mit 
tyranniſcher Grauſamkeit behandelt. Eine andre Erzählung aber, die 
offenbar denſelben Vorfall berührt und um ſo unbefangener iſt, da ſie 
ſeine tiefere Bedeutung nicht ahnt, läßt uns die Sache von einer an⸗ 
dern Seite ſehen. Der Papſt, heißt es, habe einige römiſche Jünglinge 
von frechen und verderbten Sitten, die ſchon unter ſeinem Vorgänger 
ein ungezügeltes Leben geführt, zum abſchreckenden Beiſpiel ein wenig 
auf der Burg torquiren laſſen (aliquanta maceratione puniri) und 
andre ungeſunde Elemente (consocii insanae conversationis) dadurch 
bewogen, aus Rom zu flüchten. Er habe ſich öfters gerühmt, die rö⸗ 
miſchen Bürger müßten ihm viel Dank wiſſen, daß er ihre mißrathenen 
Söhne durch ſolche Züchtigung beſcheidener und vernünftiger mache.) 
Das Schickſal der Akademiker tritt hier in den Hintergrund, während 
Platina es gefliſſentlich hervorhebt. | 
Callimachus war nach Ungarn geflüchtet. Pomponio Leto wurde 
zwar aus Venedig herbeigebracht, blieb aber, wie es ſcheint, unangefoch⸗ 
ten, obwohl er die Fragen der Unterſuchungsrichter mit Stolz und 
Verachtung beantwortete. Platina dagegen richtete an den Papſt die 
wehmüthigſten Bittſchreiben, in welchen er den Ton der kühnen Oppo⸗ 


) Cannesius Vita Pauli II ap. Muratori Scriptt. T. III. P. II. p. 1009. 


VII. Scheinbare Reaction unter Paulus II. 483 


fitton zu dem der kriechendſten Schmeichelei herabſtimmte. Er verſprach, 
wenn man ihn freilaſſe und der Dürftigkeit enthebe, der feurigſte Lob⸗ 
redner des Papſtes zu werden, in Proſa und in Verſen „das goldene 
Zeitalter ſeines glücklichſten Pontificates“ zu feiern oder auch die ſchö⸗ 
nen Künſte ganz zu laſſen und ſich den heiligen Schriften und der 
chriſtlichen Religion zu widmen. Gegen ihn und ſeine Leidensgenoſſen 
wurde nämlich aus einem andern Geſichtspuncte fortinquirirt. Er wurde 
des Irrglaubens beſchuldigt: er habe in der Lehre von der Unſterblich⸗ 
keit der Seele Platon beigeſtimmt, ja im Laufe der akademiſchen Dis⸗ 
putation ſei ſogar das Daſein Gottes angezweifelt worden. Letzteres 
wagte Platina nicht zu leugnen, er vertheidigte ſich mit einer Methode 
aller Theologen und Philoſophen: man ſtelle etwas, zum Beiſpiel Gott, 
in Abrede, um es dann auf dieſem Wege deſto glänzender zu beweiſen 
(inveniendi causa). Ein Ketzer ſei er nicht, das Merkmal der ver⸗ 
ſtockten Hartnäckigkeit fehle. Auch ſei ſein Wandel ohne Fehl, man 
könne ihm weder Diebſtahl noch Wegelagerung, weder Kirchenraub noch 
Geldunterſchlagung, weder Mord noch Raub oder Simonie vorwerfen. 
Er ſei wenigſtens einmal im Jahre zur Beichte und zum heiligen Mahle 
gegangen und habe kein Wort geſprochen, welches gegen die Symbole 
verſtoße oder nach der Ketzerei der Karpokratianer, Pauliner, Mani⸗ 
chäer u. ſ. w. ſchmecke. 

Dagegen betonte der Papſt, daß die Beklagten in das Heidenthum 
ganz vernarrt ſeien. Er wohnte dem Gericht, welches aus den Biſchö⸗ 
fen der Curie, einem Franciscaner und einem Dominicaner beſtand, 
ſelber bei und miſchte ſich mit hart⸗anfahrenden Worten in die Inqui⸗ 
ſition, die trotzdem mit auffallender Milde gehandhabt wurde. Nur 
Cardinal Barbo, ein Nepote des Papſtes, ſchmähte gegen die Ange⸗ 
klagten, ſie ſeien nicht Akademiker ſondern Schänder der Akademie. 
Paulus gerieth außer ſich, ſobald er die Akademie nur nennen hörte: 
wer fortan den Namen der Akademie im Ernſt oder im Scherz hören 
laſſe, ſei ein Ketzer! Trotzdem wurden die Angeklagten von dem Vor⸗ 
wurfe der Ketzerei freigeſprochen und ihre Haft auf den päpſtlichen Pa⸗ 
laſt, dann auf die Räume des Vatican und endlich durch Vermittelung 
der Cardinäle, unter denen Beſſarion ſich am dringendſten ſeiner Freunde 
annahm, auf die Stadt Rom befchränft. ') 


) Platin 1. c. bildet die Hauptquelle des Erzählten. Die Apologie des Car- 


484 VII. Triumph des Humanismus im päpſtlichen Rom. 


Es lag in dem Verfahren des Papſtes keine Conſequenz, nur per⸗ 
ſönliche und launiſche Willkür. Die unbeſtimmte Furcht vor einer 
Verſchwörung der Republicaner, nicht ein bewußter Haß gegen das 
Heidenthum leitete ihn. Er war übrigens ein ungebildeter, faſt roher 
Menſch, nur durch Nepotismus und Cabale emporgeſtiegen. Zu den 
Alterthumswiſſenſchaften hatte er weder Talent noch Luft. Wie er ſich 
einſt, bevor ſein Oheim als Eugen IV den apoſtoliſchen Stuhl beſtieg, 
dem Kaufmannsſtande gewidmet hatte, ſo blieb ſeine Lieblingsbeſchäfti⸗ 
gung auch während des Pontificates die mit Münzen, Edelſteinen und 
Geſchmeide. Von Koſtbarkeiten ſtrahlend, ja mit geſchminktem Geſichte, 
wie die Leute ſagten, erſchien er ſich würdig und majeſtätiſch. Trotz⸗ 
dem hatte der allgemeine Zug nach dem Alterthum hin auch auf ihn 
ſeine Wirkung: er war ein Liebhaber und Kenner von alten Münzen 
und Gemmen; fie zu ordnen, abzuwägen und zu entziffern, damit brachte 
er die beſte Zeit des Tages hin.“) In die Fundamente feiner Bauten 
ließ er jedesmal Münzen mit ſeinem Bilde niederlegen, eine Sitte, die 
allerdings, wie Platina bemerkt, mehr an die römiſchen Cäſaren als 
an Linus und Anakletus erinnert. Und noch in einer Beziehung er⸗ 
innerte ſein Herrſcherthum ſtark an das der alten Imperatoren: das 
Panem et Circensia machte er wieder zum Wahlſpruch für den Pöbel 
von Rom. Er vermehrte den Glanz des Carneval und andrer fFeſt⸗ 
lichkeiten durch neue Spiele und erhöhte Preiſe. Zu dem Wettlauf 
von Pferden, der immer ſchon üblich geweſen, fügte er den von Eſeln, 
Büffeln, jungen Burſchen, Greiſen und — Juden hinzu. Am Tage 
nach dieſen „Spielen“ gab er der Stadtbehörde von Rom in einem 
bei S. Marco dazu errichteten Gebäude ein glänzendes Gaſtmahl. Um 
den Reſt der mit Fiſchen, Fleiſch, Geflügel und verſchiedenen Weinen 
wohlbeſetzten Tafel zu vertilgen, wurden die Armen, das heißt der 
Pöbel zugelaſſen. Die Familie des Papſtes mußte die einzelnen Tiſche 
bedienen: ein Biſchof und andre Geiſtliche gingen umher und hießen 


dinals Querini (Pauli II. Vita etc. Romae, 1740), der dieſen Papſt gegen Pla⸗ 
tina in Schutz genommen, habe ich nicht geſehen, doch ſcheint er ſich nach Tira- 
bos chi T. VI. p. 105 nur auf die bekannten Quellen zu beziehen. Die neueſte 
Darſtellung der Sache von Stefano Biss olati le Vite di due illustri Cremo- 
nesi (I. Bart. Platina. II. M. Girol. Vida) Milano, 1856 nimmt natürlich Platina's 
Partei. 

) Card. Papiens. Comment. I. s. c. p. 371, 372. Raphael Volat err. 
Lib. XXII. p. 817. " 


VII. Triumph des Humanismus im päpſtlichen Rom. 485 


einen Jeden ſich gütlich thun. Der Papſt ſelbſt freute Silbermünzen 
unter das Volk aus.. 

In demſelben altrömiſchen Geſchmacke waren auch die Spiele, welche 
einſt die Römer dem Papſte gaben. Dieſer ſah aus einem entlegenen 
Fenſter — man erkennt darin noch eine gewiſſe Scheu — mit einigen 
Cardinälen zu. Perſonen als Giganten gekleidet ſchritten voraus, es 
folgte ein geflügelter Cupido mit dem Köcher an der Seite, Diana zu 
Pferde, umgeben von einer Nymphenſchaar, dann 160 Jünglinge in 
weißen Kleidern, die ein altrömiſches Heer darſtellten, Könige und Für⸗ 
ſten, die von den Römern beſiegt waren, die von Octavianus über⸗ 
wundene Kleopatra, Mars, Faunen, Bacchus und andre Götter, Tafeln, 
auf welchen Plebiscite und Senatusconſulte geſchrieben waren, Fahnen, 
Adler und andre Kriegszeichen. Den Zug beſchloſſen die Beamten der 
Stadt Rom als conſulariſcher und ſenatoriſcher Stand gekleidet.) 

Wir wüßten der Fülle des Stoffes nicht zu gebieten, wollten wir 
den Humanismus in allen ſeinen Kundgebungen, und wäre es auch nur 
am römiſchen Hof, in ſpätere Zeiten verfolgen. Wer kennte nicht 
Sixtus IV, den Eröffner der Vaticana, den freigebigſten aller Päpſte, 
und Alexander VI, den Helden in leichtfertiger Genußſucht, wer wüßte 
nicht von Julius II, der ſeinen apoſtoliſchen Namen von dem großen 
Römer borgte, oder von Leo X, an deſſen Audenken ſich das mediceiſche 
Zeitalter mit all ſeiner Formenſchönheit in Stil und Plaſtik, mit ſei⸗ 
nem künſtleriſchen Strahlenglanze knüpft! 

Das claſſifche Alterthum, obwohl es in jeder Beziehung eine neue 
Zeit entbunden, hat dennoch die Kirche, der es im tiefſten Innern die 
furchtbarſten Erſchütterungen bereitet, nicht umgeſtürzt und nicht um⸗ 
ſtürzen können, nur in einen andern Geiſt und in andre Formen hat 
es ſie gedrängt. Der Jeſuitenorden als Repräſentant der katholiſchen 
Reſtauration und die germaniſche Reformation ſind, jedes in ſeiner 
Weiſe, vermittelnd in dieſen Kampf getreten. Jener hat die fruchtloſe 
Oppoſition gegen die neue Wiſſenſchaft von vorn herein aufgegeben, 
vielmehr geſucht, ihren zügelloſen Geiſt zu bändigen, ſie in den Dienſt 
der Kirche zu nehmen, wie einſt die Scholaſtik derſelben gedient hatte, 


) Cannes ius l. e. p. 1012. Stefano Infess ura Diario della eittà di 
Roma ap. Muratori ibid. p. 1140. 
) Cannesi us p. 1019. 


Voigt, Humanismus. 


486 VII. Triumph des Humanismus im päpftlichen Rom. 


und mit ihren Mitteln zum Ruhme des Glaubens zu ſtreiten. Die 
Reformation hat dem Denken und dem Glauben, der alten und der 
neuen Zeit geſonderte Gebiete zugewieſen und den ewigen Kampf der 
Arbeit der Jahrhunderte überlaſſen. Sie wird immer mehr die Fäden 
ordnen, die noch wirr und verwirrend von einem Gewebe zum andern 
hinüberführen, und verſchiedene Beſtrebungen des Menſchengeiſtes zu 
einem hohen Ganzen zuſammenleiten. 


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Bei Georg Reimer in Berlin erſchien und iſt in allen Buchhandlun— 
gen zu haben: 


Ein Gang durch die chriſtliche Welt. 
Studien ö 


über die Entwicklung des menſchlichen Geiſtes 
in Briefen an einen Laien | 
von 


Heinrich Lang. 
Geh. 1 Thlr. 73 Sgr. 


Entstehung und Geschichte | 
des Westgothen- Rechts 


von 
Adolf Helfferich. 
Geh. 2 Thlr. 


Vorträge 
IN a über i 
römiſche Alterthümer, 
an der ee au Bonn gehalten 


B. G. „Niebuhr. 


Herausgegeben von M. Isler. 
Geh. 2 Thlr. 221 Sgr. 


GAI GRANI LICINIANI 


ANNALIVM 
QUAE SUPERSTNT 
CODICE TER SCRIPTO 
MVSEI BRITANNICI a 


NUNC PRIMUM EDI 


KAROLVS AVG. FRID. PERTZ. 
Accedit tabula. 1 Thlr. 


Ueber 
die Entſtehung der Ilias und der Odyſſee. 
V 


on 
Aug. Jacob. 
Geh. 2 Thlr. 74 8 


entſcheidende Frage im Streit. 


über 


Leib und Seele. 


Theodor Jacob. 
Geh. 15 Sgr. 


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